gfs, 29.02.2008 Williams: Genealogy §1. Real und fiktional 1. Ziel des Buches ist es, eine Genealogie der Wahrhaftigkeit zu liefern. 2. Dabei soll die Methode der Genealogie selbst thematisiert werden. 3. Eine Genealogie ist eine Erzählung, die ein kulturelles Phänomen erklärt, in dem sie nachweist, wie das Phänomen: 3.1. geschichtlich entstanden ist, oder 3.2. hätte entstehen können, oder 3.3. wie man sich vorstellen könnte, dass es entstanden wäre. 4. Geschichte: 4.1. Die Aufdeckung des historischen Hintergrunds (z.B. unserer gegenwärtigen ethischen Grundannahmen) kann: 4.1.1. die radikale Kontingenz unserer aktuellen Meinungen nachweisen; 4.1.2. zeigen, dass sich diese Meinungen nicht immer (wenn überhaupt) aufgrund ihrer intellektuellen Qualität gegen andere Meinungen durchgesetzt haben. 4.2. Damit ist die Autorität gegenwärtiger [ethischen, aber auch philosophischen]1 Positionen gefährdet. Transparenz (Wahrheit) über die Ursprünge gefährdet die Glaubwürdigkeit. 5. Fiktionale Genealogie: es wird ein Naturzustand vorgestellt, von dem aus die Entstehung des Phänomens erklärt wird. 5.1. Die Fiktion des Naturzustands wird oft in Bereich der politischen Philosophie verwendet, um die Entstehung des modernen Staates zu erklären; 5.2. Im Unterschied dazu möchte Williams davon ausgehen, dass die Individuen bereits eine Gesellschaft bilden und darin miteinander kooperieren. 5.3. Williams möchte die fiktionale Genealogie der Wahrhaftigkeit verwenden, um zwei Grund-Tugenden der Wahrheit zu erklären: accuracy (Sorgfalt) und sincerity (Aufrichtigkeit). §2. Naturalismus 1. Genealogie dient dem Naturalismus. 2. Unterschiedliche Formen von Naturalismus: 2.1. Physikalistischer Reduktionismus: 2.1.1. alles kann durch die Gesetzte der Physik erklärt werden; 2.1.2. [die gelieferte Erklärung bietet eine Reduktion an: es gibt keine nicht physikalische Gesetze.] 2.2. Nicht reduktionistischer Naturalismus: 2.2.1. Erklärung ohne Reduktion; 2.2.2. [Erklärung muss nicht gesetzmäßig sein.] 3. Beispiel: eine ethische Gesellschaft (eine Gesellschaft von Menschen, deren Verhalten von Werten und Normen geleitet ist) setzt bestimmte psychologische und soziale Bedingungen voraus. 3.1. Eine naturalistisch-genealogische Erklärung zeigt, wie eine solche ethische Gesellschaft aus bestimmten psychologischen und sozialen Bedingungen entstehen kann / entstanden ist. 3.2. Das bedeutet nicht, dass die Frage beantwortet werden muss, ob und wie eine ethische Gesellschaft aus einer nicht menschlichen „Gesellschaft“ entstehen kann („wie können Tiere 1 Eckige Klammern für meine Bemerkungen oder Kommentare 2/25/2008 9:31:00 AM - 06.06.2017 23:29:00 1/4 ethisch werden?“). Diese Frage ist steril und hat zu sinnlosen Entgegensetzungen geführt (Soziobiologie: alles beruht auf dem biologischen Instinkt des „Altruismus“; dagegen: Ethik hat nichts mit Natur zu tun). 3.3. Besser: wie ist die ethische Gesellschaft entstanden angesichts der menschlichen Natur, welche durch Kultur und Tradition geprägt ist. Die menschliche Natur ist das, was den Menschen anderen natürlichen Arten gegenüber auszeichnet. 4. [Die Idee bliebt eher vage. Vielleicht so: 4.1. Wir können Menschen von anderen natürlichen Arten unterscheiden, ohne Werte und Normen zu berücksichtigen; 4.2. Wir können uns fragen, wie die ethischen Züge auf Grund des gemachten Unterschieds beim Menschen zu erklären sind; 4.3. Wir können eine genealogische Erklärung anbieten: eine Geschichte über wie Werte und Normen entstanden sind, angesichts des ‚natürlichen’ Unterschieds. ] §3. Naturzustand und Pleistozän 1. Die Idee einer genealogischen Erklärung durch die Fiktion eines Naturzustandes wirft die Frage auf, ob die Evolutionstheorie da nicht besser gerüstet wäre. 2. W’s Antworten: 2.1. Die kulturellen Tätigkeiten des Menschen setzen bestimmte psychologische Fähigkeiten voraus. Diese Fähigkeiten haben sich vermutlich durch evolutionäre Anpassung entwickelt. Daraus folgt nicht, dass der kulturelle (und moralische) Unterschied zwischen Gesellschaften evolutionär zu erklären ist. Den Unterschied zu erklären ist aber Ziel von Ws Genealogie. 2.2. Die Idee einer kulturellen Evolution ist irreführend, weil: 2.2.1. Es nicht klar ist, welche kulturellen Gegenstände/Zustände der Evolution unterliegen (gibt es eine Evolution der Ideen?) 2.2.2. Es ist gar nicht klar, dass kultureller Fortschritt von evolutionären Anpassung geleitet ist (manchmal ganz und gar nicht [siehe Kulturen, die sich zerstört haben?]). 2.3. Die Idee des Naturzustandes ist eine Fiktion. Sie erhebt keinen Wahrheitsanspruch und steht damit nicht in Konkurrenz mit einer evolutionären Theorie. Genealogische Erklärung über Naturzustand ist eine andere Form von Erklärung als evolutionäre Erklärung. §4. Wodurch kann Fiktion dienen? 1. Wie muss der Naturzustand verstanden werden? Als einen Zustand der hätte existieren können? Nicht unbedingt. Eher: wäre so ein Zustand möglich gewesen, so hätte daraus die und die Gesellschaft entstehen können. Beispiele: 1.1. Craig: wozu haben wir Wissen? Antwort: Wissen hat eine praktische Funktion. Man versteht die Rolle dieser Funktion, wenn man eine Genealogie entwirft. 1.2. Nozick: invisible hand Erklärungen. 2. Beispiel aus Humes Ableitung der Tugenden der Gerechtigkeit (Treatise, III, 2, ii). 2.1. Hume geht von einer Gesellschaft aus, in der die Menschen Eigeninteresse haben, einen bestimmten Grad an Mitleid (sympathy), haben aber keinen Grund, um Gerechtigkeit walten zu lassen und keinen Begriff des Eigentums. 2.2. Er erzählt dann eine Geschichte über wie die Menschen davon ausgehend zur Gerechtigkeit und Eigentum kommen. 2.3. Der Punkt: eine neue Form von Handlungsgrund entsteht: ein gemeinsamer Grund, ein Grund, den ich zur Handlung habe, der davon abhängt, dass andere auch diesen Grund haben). 2/4 2.4. Hume ist sich über die Tatsache im Klaren, dass der ursprünglichen Zustand für eine Gesellschaft unmöglich ist. 3. Worin besteht die erklärende Kraft solcher Geschichten? 3.1. Zeigt, welche die Funktion von Handlungen ist, die von Gerechtigkeit und Eigentum geleitet sind (z.B.: alle profitieren davon); 3.2. Zeigt, warum die neuen sozialen Handlungsgründe rational sind: sie erscheinen den Leuten, die sie noch nicht haben, wertvoll und eine Gesellschaft, in der sie herrschen, erstrebenswert. 3.3. Im Unterschied zu Vertragstheorien macht der genealogische Ansatz den Übergang vom Naturzustand zum neuen Zustand verständlich: es wird nicht vorausgesetzt, dass die Menschen über die begrifflichen Mitteln verfügen, um über den neuen Zustand nachzudenken und zu verhandeln. Eher: die Einsicht in den Wert der neuen Gründe ergeben sich auch Bedürfnissen und Gründen, die bereits vorher vorhanden waren. 4. Genealogische vs rein funktionale Erklärung: selbst wenn die Genealogie uns hilft, um die Funktion einer Praxis zu erkennen, lassen sich die Werte, welche die Praxis leiten, nicht auf diese Funktion reduzieren. 4.1. [Etwa dies?: der Wert der Wahrheit kann nicht reduziert werden auf eine Funktion, wie etwa jene, Wissen herbeizuführen. Sondern? ....] §5. Beschämende Ursprünge 1. Die genealogische Geschichte kann die gegenwärtige Situation bekräftigen oder aber sie in Frage stellen. In beiden Fällen kann eine Erklärung geliefert werden. 2. Nietzsches Genealogie der Moral ist für den moralischen Menschen störend weil sie: 2.1. Nicht den Versuch unternimmt, moralische Begriffe auf nicht moralische zu reduzieren (die Moral wird als solche ernst genommen, mitsamt ihrer Begriffe Pflicht, Schuld und Schande/Tadel); 2.2. Die genealogische Erklärung ist störend, weil sie gerade von Einstellung ausgeht, die gewöhnlich als unmoralisch betrachtet werden (wie Hass, ressentiment und Selbstbehauptung) 2.3. Die Erklärung wird nicht als rationale Begründung geliefert (vs Hume), sondern als unbewusste Motivation, die beim moralischen Menschen auf Widerstand stoßen muss. 3. Nietzsches Genealogie ist (mindestens teilweise) historisch und nicht fiktional. 4. [Ist es immer so, dass nicht - bekräftigende Genealogien auf Widerstand stossen müssen? ] §6. Genealogie der Wahrhaftigkeit Allgemein: 1. Angenommen, wir wollen erklären, warum Menschen bestimmte ethische Werte haben und danach handeln. 2. Ein ytpicher streit: sie erklären X, warum es wertvoll ist, N zu tun. X erwidert, dass Sie das ja nur glauben, weil sie so und so beschaffen sind und dieses und jene geschichte haben. Sie erwidern: ist doch egal, was mich dazu führt, das hier zu glauben, mich interessieren die argumente, die ich geben, nicht wie ich dazu komme. Du musst gegene meine aqrgumente angehen, nicht zeigen, welche die genealogie ist . ieser Streit geht unter dem Streit um Geltung vs Ursprung. Er war in der Zeiut der neukantianer sehr heftig. 3/4 Dialoge: A: P 4/4