1 Fragestellung, Methoden und Materialien Die zur Zeit in der Philosophie heftig diskutierten Fragestellungen, die nach der Struktur und Ausrichtung des menschlichen Handelns, und die nach der Bedeutung der Emotionen für den Menschen, sollen zusammengeführt werden, um sie an die bisher recht vernachlässigte Frage danach, was den Menschen zentral motiviert, heranzutragen. Der Erklärungsrahmen zur Deutung dieses Problemkomplexes ist ein dynamischer Funktionalismus, der speziell für die angezielten Fragen konstruiert wird. Die Auseinandersetzung um die Handlung in der derzeitigen und gängigen Diskussion beruht weitgehend auf der Theorie rationaler Entscheidungen, auch wenn der kausale Ansatz der klassischen rational-choice-theory (vgl. Baurmann 2000; Kunz 2004) durch Überlegungen zur teleologischen Struktur menschlicher Handlungen zum Teil ergänzt (vgl. Horn, Löhrer 2010) und immer wieder Kritik an der rationalistischen Basis dieses Ansatzes geübt wurde (z.T. mit empirischen Befunden). Im Gegensatz dazu bietet sich eine anthropologische Handlungstheorie an, für die es Vorbilder in der Tradition der mittelalterlichen Ethik (Augustinus, Abaelard, Thomas von Aquin), bei Max Scheler und sogar in der wirtschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung (vgl. Martin 2011) gibt. Danach besteht eine Handlung in einem einheitlichen und geschlossenen Prozess, der vom Entschluss, der wiederum auf Vorbedingungen anthropologischer Möglichkeiten und der Handlung vorhergehender Überlegungen fußt, über die Ergreifung der Mittel bis zur Handlungsausführung beruht. Im Rahmen der Theorie einer einheitlichen anthropologischen Handlungsstruktur wird die Handlung zwar ebenso in ihre Elemente sequenziert wie in der Theorie der rationalen Entscheidung, das dient aber nur der wissenschaftlichen Analyse der Bestandteile. Das erlaubt z.B. eine Rekonstruktion der pluralen Ethikbegründungen in der philosophischen Tradition, die jeweils von einem bestimmten Handlungselement ausgehen, um die anderen aus dessen Blickwinkel wieder einzuholen. So verfolgt die Nikomachische Ethik zwar einen konsequentialistischen Ansatz, durch die Forderung nach der Ausprägung einer inneren Disposition und der Verlegung der eudaimonia in das Handeln (vgl. Fröhlich 2013) ergänzt Aristoteles die Zielorientierung dadurch, dass er den Handlungsbeginn in den Akteur verlegt. Bei Kant unterliegt schon die Zielbestimmung der Prüfung durch das praktische Vernunftgesetz, wodurch er erhebliche Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Frage hat, warum wir moralisch handeln sollen. Seine Konstruktion mit der Achtung als vernunftgewirktes Gefühl überzeugt letztlich nicht. Dass bei Kant ein Gefühl eine so prominente Rolle in seinem rationalistischen Ansatz einnehmen kann, verwundert nicht mehr, wenn wir bedenken, dass Kant die englische Tradition der Gefühlsmoral im 18. Jahrhundert gut kannte, auch wenn er im Grundsatz einen anderen Weg für die Ethikbegründung einschlug. Tatsächlich bietet uns diese Bewegung über Shaftesbury, Hutcheson, Hume und Smith eine Alternative zum gängigen Rationalismus in der Ethik. Wir können auf dieser Grundlage die Frage nach der Rolle der Gefühle für das Handeln und speziell für das moralische Handeln ganz neu angehen. Das Projekt fragt also danach, was ein bestimmter Emotionsbegriff für unsere moralischen Urteile bedeutet und untersucht dabei insbesondere das Basisgefühl der Handlungsmotivierung, die Frage, warum wir überhaupt handeln und speziell auch noch moralisch (vgl. Fröhlich 2012c). Moralische Urteile, wie so genannte ethische Gefühle sind nicht nur situationsbezogen, sondern auch handlungsrelevant. Entsprechend fragt dieser Projektteil nach den Funktionen von Gefühlen und wie diese auf die Situation und auf das Handeln bezogen sind. Bei allem Unterschied der einzelnen Gefühlsqualitäten scheinen Emotionen generell eine primäre Funktion für die Wahrnehmung (z.B. auch im Sinn einer Warnungsfunktion), für die Stabilisierung im individuellen und sozialen Verhalten, für die Bewertung und Schwerpunktsetzung, für die Motivation, die Aufmerksamkeitssteuerung und die Handlungsfeinsteuerung zu haben. Die Frage nach der primären Funktion von Gefühlen erschöpft aber keineswegs deren Bedeutung. Eine solche Untersuchung bietet erhebliche Schwierigkeiten: die Vielzahl der unterschiedlichen Gefühle, ihre Verwobenheit, ihre unterschiedlichen Funktionen (für Wahrnehmung, Verhalten, Selbstverhältnis), eine unzureichende und unscharfe Begrifflichkeit. Von daher wird versucht, diese Hindernisse im Rahmen eines dynamischen Funktionalismus zu reduzieren. Wir beschränken uns also auf eine Analyse der Funktionen von Emotionen für den menschlichen Handlungsvollzug. Der verwendete Begriff funktionaler Erklärungen unterscheidet sich allerdings erheblich von mathematisch-analytischen Funktionen, welche Zustandsgleichgewichte beschreiben. Das würde der dynamischen Struktur des Handelns aber nicht gerecht werden, die – mathematisch betrachtet – ständig ihre Zielbereiche ändert, deren Elemente in einer mathematischen Funktion miteinander korreliert sind. Die Funktionsweise z.B. eines Thermostats (die mathematisch vollständig beschrieben werden kann) ist nicht identisch mit der Funktion, die der Thermostat hat. Um mit Arnold Gehlen zu sprechen (vgl. Gehlen 2004, 2007), ist mit der korrekten Funktionsweise eine Entlastungsfunktion für den Menschen verbunden, die ihn freisetzt (z.B. in Bezug auf Zeit, Kraft, Aufmerksamkeit), andere Tätigkeiten auszuführen. Die Handlungen, die damit verbunden sind, treten wieder in einen funktionalen Zusammenhang auf einer anderen Stufe, was wiederum eine Entlastung bedeutet usf. Zwar ist dieses funktionale „Hochschrauben“ endlich, für unseren Zusammenhang ist aber entscheidend, dass so gut wie alle menschlichen Handlungen in solchen dynamischen Bezügen stehen (vgl. Fröhlich 2012b). Die Gefühle docken sich dabei an alle Elemente des Handlungsvollzugs an, begleiten diesen, zeigen spezifische Reaktionsantworten bezogen auf die neue Situation und stabilisieren das Verhalten. Dass Lebewesen sich überhaupt bewegen, muss aber eine basalere Fundierung aufweisen, die in natürlichen Triebregungen liegt. Solche sind philosophisch zuletzt als „Lebenstrieb“ oder „-kraft“ gedeutet worden. Damit halst man sich allerdings einen erheblichen metaphysischen Ballast auf (vgl. Fellmann 1993). Die funktionale Interpretation, die aufgrund ihrer Dynamik dem menschlichen Handeln gerecht wird, soll dieses Problem umgehen. Eine genauere Analyse ergibt allerdings (vgl. Fröhlich 2012a), dass dieses Moment der Motivation weder phänomenologisch noch begriffsanalytisch in den Griff zu bekommen ist. Vielfach wird angenommen, dass, wenn eine Handlung auf eine Emotion zurückgeführt werden kann, die Frage der Motivation schon hinreichend beantwortet zu sein schein (vgl. z.B. Schönecker 2006). Aber wir können uns z.B. im Zorn zu ganz unterschiedlichen Handlungen motiviert sein, welche wir von den möglichen ausführen, liegt dann offenbar nicht im Zorn. Es scheint naheliegend, dass die starken Antriebe irgendwie aus der Vermittlung von Situationsauffassung, Zielerfassung und Handlungsvollzug und den mehrstufigen Funktionsbezügen des Wohlfühlens, des Aktivitätserlebens, der Kompetenzschwellenempfindens, des Kontrollgefühls, der damit verbundene Selbstaufmerksamkeitsverlust und die spezifische Zeitdilatation sowie die Tätig- keitsfixierung entstehen müssen. Eine Einordnung dieser Phänomene soll den Motivationsbegriff so strukturieren, dass er einer philosophischen Reflexion eher zugänglich ist. 2 Forschungsstand Etwa in den letzten zehn Jahren sind eine Fülle von Emotionstheorien erschienen (vgl. für einen Überblick Landweer 2007, Döring 2009, Hartmann 2010, Andermann, Eberlein 2011), bei denen es sich in erster Linie um theoretische Untersuchungen handelt, die klären wollen, was Gefühle sind und wie diese sich beschreiben lassen. Eine parallele Diskussion mit anderen Methoden und Theoriemodellen findet sich in der Psychologie (vgl. Galliker 2009). Die Schnittstellen versuchen Müller, Reisenzein (2013) zu beleuchten. Es gibt aber nur wenige Untersuchungen, die sich mit der ethischen Relevanz von Gefühlen beschäftigen. Zumeist wird dabei auf die britische Gefühlsmoral des 18. Jahrhunderts zurückgegriffen oder auf die Philosophie Max Schelers (vgl. Fröhlich 2006, 2011, 2012a, 2012c). Das Motivationsproblem ist erst allerjüngsten Gegenstand philosophischer Fragestellungen (vgl. Brüntrup, Schwartz 2012) und sonst in erster Linie ein Problem innerhalb der Psychologie (Keller 1981, Schmalt, Langens 2009, Heckhausen, Heckhausen 2010, Rheinberg, Vollmeyer 2012), die sich dabei aber immer wieder auch geistesgeschichtlichen Erklärungen annähert (vgl. Galliker 2012). Die Handlungstheorie und der dynamische Funktionalismus müssen erst entwickelt werden, es stehen dazu aber bereits umfangreiche Manuskripte, die zum Teil zeitnah publiziert werden, zu den Einzelproblemen und eine Reihe von Publikationen (Fröhlich 2012a, 2012b, 2012c, 2012d; dort auch weitere Literatur) zur Verfügung, welche die Grundlagen klären, die im Projekt zusammengeführt werden. Literatur: Kerstin Andermann, Undine Eberlein, (Hg.), Gefühle als Atmosphären. Neue Phänomenologie und philosophische Emotionstheorie, Sonderband 29 der Deutschen Zeitschrift für Philosophie, Berlin 2011. Michael Baurmann, Der Markt der Tugend: Recht und Moral in der liberalen Gesellschaft; eine soziologische Untersuchung, Tübingen 2000. Godehard Brüntrup, Maria Schwartz (Hg.), Warum wir handeln – Philosophie der Motivation, Stuttgart 2012. Sabine A. Döring (Hg.), Philosophie der Gefühle. Frankfurt a.M. 2009. Ferdinand Fellmann, Lebensphilosophie. Elemente einer Theorie der Selbsterfahrung, Reinbek bei Hamburg 1993. Günter Fröhlich, Nachdenken über das Gute. Ethische Positionen bei Aristoteles, Cicero, Kant, Mill und Scheler, Göttingen 2006. Günter Fröhlich, „John Stuart Mill: Utilitarismus“, in: Klassische Werke zur Philosophischen Ethik, München, Freiburg 2010, 230-265. Günter Fröhlich, Form und Wert. Die komplementären Begründungen der Ethik bei Immanuel Kant, Max Scheler und Edmund Husserl, Würzburg 2011. Günter Fröhlich (2012a), „Ethische Emotionen: Gefühle als Grundlagen moralischer Motivation“, in: Anthropologische Wege. Ulmer Stadthausvorträge, Nordhausen 2012, 117-156 Günter Fröhlich (2012b), „Analyse und Funktion. Die Frage nach der Leitwissenschaft und die Philosophische Anthropologie“, in: Anthropologische Wege. Ulmer Stadthausvorträge, Nordhausen 2012, 185-225. Günter Fröhlich (2012c), „Fühlen, Handeln, Denken und das Problem moralischer Motivation“, in: Jahrbuch Ethik in der Klinik: Emotion und Ethik in der Medizin 5(2012), hg. v. Andreas Frewer, Florian Bruns und Wilhelm Rascher, Würzburg 2012 [im Druck]. Günter Fröhlich (2012d), „Entlastung und Verlust. Die kulturwissenschaftliche Funktion von Technik und Institutionen“, in: Anthropologische Wege. Ulmer Stadthausvorträge, Nordhausen 2012, 157-184. Günter Fröhlich, „Die aristotelische eudaimonia und der Doppelsinn vom guten Leben“, in: Archiv für Begriffsgeschichte 54(2013), 21-44 [im Druck]. Mark Galliker, Psychologie der Gefühle und Bedürfnisse. Theorien, Erfahrungen, Kompetenzen, Stuttgart 2009. Mark Galliker, Emotion und Motivation. Historische Diskurse, Menschenbilder, Lebenshilfe, Stuttgart 2012. Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen, Frankfurt a. M.: Klostermann, 62004. Arnold Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft, Frankfurt a.M. 2007. Michael Hartmann, Gefühle. Wie die Wissenschaften sie erklären, Frankfurt a.M. 22010. Jutta Heckhausen, Heinz Heckhausen, Motivation und Handeln, Berlin, Heidelberg 42010. Christoph Horn, Guido Löhrer, Gründe und Zwecke - Texte zur aktuellen Handlungstheorie, Frankfurt a.M. 2010. Josef A. Keller, Grundlagen der Motivation, München, Wien, Baltimore 1981. Volker Kunz, Rational Choice, Frankfurt am Main 2004. Hilge Landweer (Hg.), Gefühle – Struktur und Funktion, Sonderband 14 der Deutschen Zeitschrift für Philosophie, Berlin 2007. Albert Martin, Handlungstheorie. Grundelemente menschlichen Handelns, Darmstadt 2011. Anselm Winfried Müller, Rainer Reisenzein, Emotion – Natur und Funktion, Göttingen 2013. Falko Rheinberg, Regina Vollmeyer, Motivation, Stuttgart 82012. Dieter Schönecker, „Warum moralisch sein? Eine Landkarte für Moralische Realisten“, in: Heiner Klemme, Manfred Kühn, Dieter Schönecker (Hg.), Moralische Motivation. Kant und die Alternativen, Hamburg 2006, 299-327. Heinz Dieter Schmalt, Thomas A. Langens, Motivation, Stuttgart 42009. Für die Antragsstellung auf ein Forschungsprojekt in der Einzelförderung der DFG wird diese Skizze derzeit weiter ausgebaut. Der Antrag war bereits Gegenstand eines gemeinsamen Forschungsprojektantrags des Instituts für Sozialphilosophie der Universität Ulm (Prof. Keller) und des Instituts für Geschichte der Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin (Prof. Fangerau) bei der Volkswagenstiftung in der Förderlinie „Schlüsselbegriffe der Geisteswissenschaften“. Darin war vor allem eine enge Zusammenarbeit mit der Flow-Forschung von Prof. Keller vorgesehen. Die Befunde der empirischen Untersuchungen sollten näheren Aufschluss über das Motivationsverhalten der Probanden geben, die dann nach dem Modell des dynamischen Funktionalismus interpretiert werden sollten. Der Antrag ist von der Volkswagenstiftung leider nicht weiter verfolgt worden.