T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE Anfang und Ende menschlichen Lebens Die Würde des Menschen wahren Mit ethischen Problemen der modernen Medizin und Biotechnologie beschäftigte sich Mitte März in Köln ein Presseseminar der Bundesärztekammer mit dem Titel „Anfang und Ende menschlichen Lebens“. In dessen Mittelpunkt standen die biomedizinische Forschung am Menschen, die Präimplantationsdiagnostik und das Klonen von Säugetieren, die Transplantationsgesetzgebung sowie die ärztliche Sterbebegleitung. Die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer stellte eine Stellungnahme „Zum Schutz nichteinwilligungsfähiger Personen in der medizinischen Forschung“ vor. N icht zuletzt das geklonte Schaf „Dolly“ hat eine neue Ethikdiskussion ausgelöst, in der gefragt wird: Darf der Mensch durch Klonierung Leben schaffen, und darf er aktiv Leben beenden? Darf gemacht werden, was gemacht werden kann? Dürfen ethische Entscheidungen von Nützlichkeitserwägungen geleitet werden? „Nein“ ist die eindeutige Antwort des Vizepräsidenten der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe. Ärztliche Ethik sei überwiegend Gesinnungsbeziehungsweise Verantwortungsethik. Eine Nützlichkeitsethik könne zumindest nicht vorrangig als ärztliche Norm akzeptiert werden, stellte Hoppe vor Journalisten in Köln fest. Wenn man dem australischen Bioethiker Peter Singer folge, sei menschliches Leben nicht immer schützenswert, „ja sogar sind von menschlichen Eltern abstammende Geschöpfe nicht einmal immer als Menschen anzusehen“, so Hoppe. In der Gesellschaft sei ebenfalls zunehmend ein Bewußtseinswandel festzustellen. So würde beispielweise das kostenintensive Immer-älter-Werden mit Ausdrücken wie „Überalterung“, „Altersberg“ oder „Rentnerschwemme“ belegt. „Ethische Prämisse sollte dagegen immer die Würde des Menschen sein“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. med. Karsten Vilmar. 1 Regeln, die bei Wahrung der Würde des Menschen die Anwendung von Medizin und Biologie erlauA-814 ben, sollte der 1990 aus dem „Comité ad hoc des experts sur la bioéthique“ hervorgegangene Lenkungsausschuß „Comité Directeur pour la Bioéthique“ erarbeiten. Dieses vom Ministerrat des Europarats eingesetzte Komitee hat im Juni 1996 gegen die Stimme der Bundesrepublik die „Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with Regard to the Application of Biology and Medicine“ verabschiedet. Prinzip des „informed consent“ Anfang April soll der vom Ministerrat gebilligte Text dieser sogenannten Bioethik-Konvention in einer feierlichen Zeremonie im spanischen Oviedo zur Zeichnung offengelegt werden. „Bei dieser Gelegenheit wird der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zwar anwesend sein, jedoch die Konvention nicht zeichnen, da die Bundesregierung über einen eventuellen Beitritt noch nicht entschieden hat“, sagte Prof. Dr. med. Elmar Doppelfeld, Mitglied der deutschen Delegation im Lenkungsausschuß. Auf Kritik waren in Deutschland (vor allem bei der ursprünglichen Fassung von 1994) die geplanten Regelungen zur Embryonenforschung und zur Forschung an Nichteinwilligungsfähigen gestoßen. Doppelfeld, der die wichtigsten Artikel der Konvention vorstellte, betonte, daß in Kapitel 1 ausdrücklich (26) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 13, 28. März 1997 festgelegt sei, daß die Würde und Identität des „human being“ zu wahren und ohne Ausnahme seine Integrität, sonstige Rechte und besonders die fundamentalen Freiheiten zu respektieren seien. Der Vorrang des Individuums vor den Interessen der Wissenschaft werde bekräftigt, die Beachtung sogenannter Professional Standards bei der Forschung gefordert. Forschung am Menschen sei nur dann erlaubt, wenn keine Alternative zu Forschung von vergleichbarer Wirksamkeit und ein angemessenes Verhältnis von Nutzen und Risiko bestünden. Es gelte grundsätzlich der informed consent, also die Zustimmung nach angemessener Aufklärung, die ausdrücklich für das spezielle Projekt einzuholen sei und nur für dieses gelte und dokumentiert werden müsse. Für die Forschung mit Nichteinwilligungsfähigen gelten außerdem, so Doppelfeld, besondere Schutzbestimmungen. 1 Als Präzisierung dieser Schutzbestimmungen für nichteinwilligungsfähige Personen ist die von der Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten bei der Bundesärztekammer jetzt vorgelegte Stellungnahme „Zum Schutz nichteinwilligungsfähiger Personen in der medizinischen Forschung“ gedacht. Sie entspreche „im groben“ den Regelungen in der sogenannten Bioethikkonvention, stellte der Kommissionsvorsitzende, Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Heinz Pichlmaier, fest. Danach ist „Forschung mit nichteinwilligungsfähigen Personen (. . .) nur dann zu rechtfertigen, wenn – das Forschungsprojekt nicht auch an einwilligungsfähigen Personen durchgeführt werden kann, – das Forschungsprojekt wesentliche Aufschlüsse zur Erkennung, Aufklärung, Vermeidung oder Behandlung einer Krankheit erwarten läßt, – das Forschungsprojekt im Verhältnis zum erwarteten Nutzen vertretbare Risiken erwarten läßt, – der gesetzliche Vertreter eine wirksame Einwilligung in die Maßnahme erteilt hat, wobei vorausgesetzt ist, daß er aus der Kenntnis der vertretenen Person ausreichende Anhaltspunkte hat, um auf ihre Bereit- T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE schaft zur Teilnahme an der Untersu- schränkte Lebenserwartung durch erAbsage an chung schließen zu können, höhtes Erkrankungsrisiko und vorzeiaktive Euthanasie – ein ablehnendes Verhalten des tige Alterung hätte. Angstwurm befürwortete ebenso Betroffenen selbst nicht vorliegt, Daß nicht alles gemacht werden – die zuständige Ethikkommissi- sollte, was gemacht werden kann, wie Prof. Dr. jur. Dr. h. c. Hans-Ludon das Forschungsvorhaben zustim- zeigt sich auch bei der Präimplantati- wig Schreiber, Präsident der Georgmend beurteilt hat.“ onsdiagnostik. Die Befürworter der August-Universität Göttingen, die Ein besonderes ethisches Dilem- Präimplantationsdiagnostik übersä- „erweiterte Zustimmungslösung“, woma trete bei Forschungen auf, durch hen häufig, so die Humangenetikerin, nach bei fehlender schriftlicher Erdie voraussichtlich nicht der Betroffe- daß auch der übertragene gesunde klärung des Verstorbenen die nächne selbst, immerhin aber andere Per- Embryo nur eine geringe Chance hat, sten Angehörigen des Verstorbenen sonen, die sich in der gleichen Alters- bis zur Geburt zu überleben. Rehder über eine Organentnahme entscheigruppe befinden oder von der glei- hält eine Präimplantationsdiagnostik den können. Dazu Schreiber: „Die chen Krankheit oder Störung betrof- nur dann für gerechtfertigt, „wenn Angehörigen haben auch nach geltenfen sind, von den gewonnenen Er- das zu diagnostizierende Krankheits- dem Recht nach dem Tod des Betrofkenntnissen Nutzen haben. „In dieser bild schwer, das Risiko für ein betrof- fenen wesentliche Entscheidungen zu Fallgruppe ist erforderlich, daß das fenes Kind extrem hoch und ein wei- treffen, so etwa über die Frage der Zulässigkeit einer Sektion Forschungsprojekt allenFoto: Deutsche Klinik für Fortpflanzungsmedizin GmbH, Bad Münder oder über die Art der Befalls minimale Risiken oder stattung. Die MenschenBelästigungen erwarten würde wird durch die erläßt. Ethisch nicht zu rechtweiterte Zustimmungslöfertigen ist die ,ausschließsung nicht verletzt.“ Schreilich‘ fremdnützige Forber, Vorsitzender der Stänschung bei nichteinwillidigen Kommission Organgungsfähigen Personen“, transplantation der Bundesheißt es in der Stellungärztekammer, wies außernahme. dem darauf hin, daß durch 1 Verboten seien in das Hirntodkonzept beiDeutschland durch das spielsweise Apalliker vor Embryonenschutzgesetz ungerechtfertigten Eingrifdie Verwendung einer totifen geschützt würden. potenten embryonalen Zel1 Um den Schutz diele zur Präimplantationsdiaser Wachkoma-Patienten gnostik und auch das Klo- Die Reproduktionsmedizin wirft eine Reihe von ethischen Problemen auf. geht es auch in der geplannen. Doch Prof. Dr. med. Helga Rehder, Leiterin der Abteilung terer Schwangerschaftsabbruch eines ten Neufassung der zuletzt 1993 aktuafür klinische Genetik am medizini- betroffenen Fetus nach Pränataldia- lisierten Richtlinien für die ärztliche schen Zentrum für Humangenetik gnose in der achten bis 20. Schwan- Sterbebegleitung durch den Ausschuß der Universität Marburg und Mitglied gerschaftswoche für die Mutter nicht für medizinisch-juristische Grundsatzfragen der Bundesärztekammer, die des Wissenschaftlichen Beirates der mehr zumutbar ist“. Bundesärztekammer, ist überzeugt 1 Daß eine Organentnahme bei von ihrem Vorsitzenden, Prof. Dr. davon, daß „es gemacht wird, wenn einem Sterbenden mit dem ärztlichen med. Eggert Beleites, vorgestellt wurdie Argumente ausgehen“. So könnte Ethos nicht vereinbar ist, stellte Prof. de. Der Präsident der Landesärztezum Beispiel langfristig das Klonen Dr. med. Heinz Angstwurm, Oberarzt kammer Thüringen betonte, daß auf von Menschen erwogen werden, weil der Neurologischen Klinik der Lud- keinen Fall an ein Verhungern- oder durch den Trend einer Zunahme der wig-Maximilians-Universität Mün- Verdurstenlassen bei apallischen PatiUnfruchtbarkeit und vor allem der chen, unmißverständlich fest. Das Le- enten gedacht sei. Die Basisbetreuung männlichen Sterilität „unsere Gesell- ben auch des sterbenden Menschen in Form von Zuwendung, Pflege, schaft irgendwann einmal vom Aus- sei unantastbar und unverfügbar. Schmerzbekämpfung, Freihalten der sterben bedroht ist“. Doch abgesehen Deshalb müsse ein künftiges Trans- Atemwege und Ernährung müsse von der „Gefahr einer gezielten Se- plantationsgesetz den Todesnachweis auch bei Schwerstkranken aufrechtlektion“ weist die Humangenetikerin als Voraussetzung der Organentnah- erhalten bleiben. Eine aktive Euauf die medizinischen Risiken einer me festlegen. Naturwissenschaftlich- thanasie nach niederländischem Vorsolchen Denkweise hin. Mit dem Klo- medizinisch bestehe keinerlei Zweifel bild werde es in Deutschland ebenfalls nen unter Verwendung einer Körper- an der Bedeutung des Hirntods als si- nicht geben. In der neuen Sterbezelle eines erwachsenen Individuums cherem Todeszeichen. „Denn mit hilferichtlinie werde lediglich über die werden auch die erworbenen umwelt- dem Tod des Gehirns ist die körper- Einstellung parenteraler Ernährung und altersbedingten Genmutationen lich-geistige Einheit zerstört, die der und eine stärkere Gewichtung von Paübertragen. Das hätte zur Folge, daß lebende Mensch war“, sagte Angst- tientenverfügungen diskutiert, betonte Beleites. Gisela Klinkhammer das geklonte Individuum eine einge- wurm. Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 13, 28. März 1997 (27) A-815