2 SWR2 Musikstunde „Mit allen Sinnen“ Folge 2: Mit den Augen hören (18.6.2013) Doris Blaich ca. 0„30 Intro Musikstunde Foto-Knipsgeräusch Guten Morgen! Heute geht‟s um das Sehen. Foto-Knipsgeräusch „Die Augen sind nicht nur zum Sehen, sind auch zum Singen eingericht„ – wie soll man es denn sonst verstehen, dass man von AugenLIEDERN spricht? … fragt Heinz Erhardt. Also: Augenlider auf mit Mozart! Nr. 3: Dies Bildnis ist bezaubernd M0089115 01-006 schön aus: Die Zauberflöte. Mozart, Wolfgang Amadeus Schikaneder, Emanuel The English Baroque Soloists; Schade, Michael; 3'28 Gardiner, John Eliot Erst sehen, dann hören, riechen, schmecken, tasten – diese Rangordnung der fünf Sinne hat Aristoteles in der Antike formuliert. Er hatte völlig Recht, das Sehen an erster Stelle zu nennen: Die Augen sind unser wichtigstes Tor zur Außenwelt: sie liefern dem Gehirn 10 Mal mehr Informationen als alle anderen Sinne zusammen. Oder anders gesagt: Von allem, was um uns herum passiert (sofern es sinnlich wahrnehmbar ist), bekommen wir 80 % über den Sehsinn vermittelt. Zwei Millionen Nervenfasern sind dabei beteiligt und ein Viertel unserer Gehirnkapazität. Umso erstaunlicher, wie klein unsere Augen sind – und wie leicht: gerade mal 15 Gramm wiegt ein Augenpaar. Bis Tamino in Mozarts Zauberflöte das bezaubernd schöne Bildnis wirklich wahrnimmt und es dann auch die entsprechenden Gefühle in ihm auslöst, hat das Auge das Licht gesammelt, gebrochen, fokussiert und in Nervenimpulse 3 umgewandelt – die werden dann mit früheren Erfahrungen verknüpft und emotional einsortiert. Das alles passiert in Millisekundenschnelle. Durchs akustische Opernglas haben wir Michael Schade beobachtet, wie er sich als Tamino auf den ersten Blick verliebt. Die English Baroque Soloists begleiteten unter John Eliot Gardiner. Musik lässt bei vielen Menschen Bilder vor dem inneren Auge entstehen: konkrete Landschaften oder auch abstrakte Formen und Farben. Und umgekehrt haben Komponisten schon immer mit Begeisterung Bilder in Musik verwandelt. Zum Beispiel Modest Mussorgsky in seinen „Bildern einer Ausstellung“. Die Bilder stammen von Mussorgskys Freund Victor Hartmann, einem der KreativMenschen seiner Zeit: er malt Zeichnungen und Aquarelle, entwirft Baupläne, gestaltet Bühnenbilder, Möbel und Schmuck. Als Hartmann 1873 stirbt, veranstalten seine Freunde, eine Gedenkausstellung in St. Petersburg. Mussorgsky besucht die Ausstellung natürlich, ist gebannt von den Eindrücken und übersetzt sie in sein eigenes künstlerisches Medium: die Musik. Begleitet von den Klängen einer gewichtigen Promenade betritt der Ausstellungsbesucher die Galerie und wandert durch den Saal. Da erblickt er das erste Bild, das sein Interesse anzieht: Die Zeichnung eines Zwerges, der auf krummen Beinen dahinwackelt (Es ist Hartmanns bizarrer Entwurf eines Nussknackers für den Weihnachtsbaum im St. Petersburger Kunstverein). Mussorgsky versetzt in seiner Musik die Zeichnung, die ja nur eine Momentaufnahme sein kann, in Bewegung: Der lichtscheue Gnom rennt im Zickzack hin und her, mit zuckenden, grotesken Bewegungen. (1) Promenade aus: Bilder einer M0016751 01-004 Ausstellung. Bearbeitet für Orchester Mussorgskij, Modest Ravel, Maurice Concertgebouw Orchester Amsterdam; Chailly, 4'21 Riccardo Ein musikalischer Museumsbesuch: Aus den „Bildern einer Ausstellung“ von Modest Mussorgsky war das die Promenade und das erste Bild, Gnomus. Maurice Ravel hat das ursprüngliche Klavierstück in ein großes, farbiges Klanggemälde für Orchester verwandelt. Das Concertgebouw Orchester spielte unter Leitung von Riccardo Chailly. 4 Sehen ist wie Trinken aus einem Wasserfall: ständig strömt eine riesige Masse von visuellen Reizen auf uns ein, das Auge nimmt sie auf – und das Gehirn unterscheidet blitzschnell in brauchbar und unbrauchbar. Dank der Augen können wir Formen erkennen, Konturen und räumliche Abstände, hell und dunkel, Bewegungen und Farben. Töne und Farben – für viele Menschen gibt‟s da eine direkte Verknüpfung (wohlgemerkt: auch ohne Drogenkonsum). Wenn jemand zu einem bestimmtem Ton oder einer Tonart immer dieselbe Farbwahrnehmung hat, dann spricht man von Synästhesie – also der Verknüpfung von zwei unterschiedlichen Sinnesreizen. Echte Synästhesie gibt‟s relativ selten, die Quote liegt ungefähr bei 1 zu 25.000; das heißt in einer Stadt wie Karlsruhe (mit gut 300.000 Einwohnern) leben im Schnitt 12 Synästhetiker – oder besser Synästhetikerinnen, bei Frauen ist das Phänomen nämlich deutlich häufiger verbreitet. Ob diese Frauen wollen oder nicht: sie nehmen den einen Reiz grundsätzlich in Verbindung mit dem anderen wahr, und zwar ihr Leben lang – und dabei (dafür möchte man sie fast beneiden) stellt sich ein ausgeprägtes Glücksgefühl ein. Die Nervenzellend des Gehirns reagieren ausschließlich auf elektrochemische Signale – ob die nun ursprünglich von den Augen, den Ohren oder der Nase geliefert wurden, ist dem Gehirn salopp gesagt egal. Bei Synästhetikern sind die Gehirnareale, die für die Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen verantwortlich sind, stärker miteinander vernetzt als üblicherweise – so erklären uns die Hirnforscher dieses Phänomen. Auch manche Musiker kennen Synästhesien von Klang und Farbe, die Pianistin Hélène Grimaud zum Beispiel. Und die Komponisten Alexander Skrjabin, Olivier Messiaen und György Ligeti haben ihre Musik gleichzeitig immer als sehr differenziertes Farbenspiel empfunden. Ligeti hat das einmal so beschrieben: „Das unwillkürliche Umsetzen optischer und taktiler Empfindungen in akustische kommt bei mir sehr häufig vor. Zu Farbe, Form und Konsistenz assoziiere ich fast immer Klänge, wie auch umgekehrt zu jeder akustischen Sensation Form, Farbe und materielle Beschaffenheit“ Das betrifft auch die Richtungen rechts und links: Links – so sagt Ligeti – ist „ein violetter Ort von blecherner Beschaffenheit und ebensolchem Klang, ‚rechts‟ hingegen ist orangefarben, hat eine hautartige Oberfläche und einen dumpfen Ton.“ 5 „Arc-en-ciel“ heißt eine von Ligetis Klavieretüden, in der er die Farben eines Regenbogens in Töne verwandelt. Nr. 5: Arc-en-ciel M0300617 01-005 aus: Etudes pour piano, premier livre Ligeti, Aimard, Pierre- György Laurent 3'52 „Arc-en-ciel“, die bunten Farben eines Regenbogens. Pierre-Laurent Aimard spielte diese Klavieretüde von György Ligeti, der Farben und Töne immer gemeinsam erlebt hat. Schwarz ist eine unbunte Farbe, weil sie das Licht vollständig absorbiert. Und es ist die passende Farbe, wenn mit dem Licht auch die Freude vollständig absorbiert ist: die Farbe der Trauer. „Legt Eure Trauerkleider an und weint dicke Tränen. Ihr Nymphen der Wälder, ihr Göttinnen der Quellen, lasst eure klaren und hohen Stimmen mit durchdringenden Schreien und Klagen ertönen“, heißt es im Text einer der großen Trauermotetten der Renaissance. Sie stammt von Josquin Desprez, 1497 hat er sie auf den Tod seines Lehrers Johannes Ockeghem komponiert. Der frei gedichtete Text ist dabei vermischt mit einem liturgischen Text – mit den ersten Zeilen des Requiems, der lateinischen Totenmesse: „Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihnen.“ Auch die gregorianische Melodie des Requiems baut Josquin in die Komposition ein. In dieser Zeit notiert man Musik in weißer Mensuralnotation: die Noten sind quadratisch und innen hohl, also weiß. So lassen sie sich leicht mit der Feder auf Papier oder Pergament schreiben und man braucht dabei nicht besonders viel Tinte. Josquin hat das Stück bewusst anders notiert: bei ihm sind alle Noten schwarz. Auch optisch weint diese Musik. Nymphes des bois M0318506 01-010 Requiem aeternam, für 5 Stimmen Josquin Desprez Josquin Molinet, Desprez Cinquecento 3'40 Jehan ... “Nymphes des bois” – das Ensemble Cinquecento sang diese fünfstimmige Trauermotette von Josquin Desprez, die in geschwärzten Noten aufgeschrieben ist. Augentrauer und Ohrentrauer wirken hier gemeinsam. 6 Augenmusik – gerade unsere Zeit ist damit sehr erfinderisch und kreativ. Man gibt sich nicht mehr mit den fünf Notenlinien und den üblichen Noten mit Hals, Kopf, Punktierungen, Balken und Pausen zufrieden, sondern erfindet neue Notationsweisen, die die Eigenart einer Komposition vielleicht treffender auf ein stummes Stück Papier bannen können als die traditionelle Notation. Manche Partituren in grafischer Notation gleichen eher einer Zeichnung oder einer architektonischen Skizze als einem Notenblatt. Vom Interpreten verlangt das erst mal, dass er sich in eine neue Zeichensprache vertieft und sich mit ihr anfreundet. Der amerikanische Komponist George Crumb war einer der besonders fantasievollen Schöpfer neuer Formen der musikalischen Notation. Sein Klavierzyklus „Makrokosmos“ aus dem Jahr 1973 enthält zwölf Fantasiestücke über den Tierkreis, also eine Art klingende Sternbilder. Einige Stücke darin sind ganz konventionell aufgeschrieben, andere sind in speziellen Formen notiert, zum Beispiel in einem Friedenssymbol oder im Kreis. „The Magic Circle of Infinity“ – der magische Kreis der Unendlichkeit – heißt das Stück über das Sternbild des Löwen. Das Notenbild ist hier kreisrund. Klaviernoten sind ja üblicherweise in zwei Notensystemen notiert: eines für die rechte und eines für die linke Hand. Hier laufen drei Systeme im Kreis, wobei das äußerste für einzelne, sehr hohe Töne reserviert ist. Sie sind eine Art klirrender Stundenzeiger; im Zeitraffer und mit unterschiedlichen Abständen. Zwölf Mal klirren hier die KlavierStunden, dann geht der Kreis wieder von vorne los. Dreieinhalb Mal wiederholt man ihn. Vorweg gibt‟s ein paar Einleitungstakte, die sind überschrieben „luminous“ – leuchtend. The Magic Circle of Infinity (moto perpetuo) - Leo aus: Makrokosmos, Teil M0068395 01-016 1. Zwölf Fantasiestücke über den Tierkreis für elektronisch verstärktes Klavier Crumb, George Belli, Enrico 2'06 7 Hier spielen die Augen mit: Die Musik ist im Kreis notiert. Das war „Der Zauberkreis der Zeitlosigkeit – oder das Sternbild des Löwen“ von George Crumb. Enrico Belli spielte. Auge, Ohr und Gänsehaut – nirgendwo ist die Verknüpfung zwischen sinnlichem und emotionalem Erleben so ausgeprägt wie in der Filmmusik. Lange bevor Filme sprechen konnten, konnten sie klingen, und der Klang transportiert und verstärkt die Wirkung der Bilder. Bei der Filmmusik kommt es ganz besonders aufs sekundengenaue Timing an – und auf die Fähigkeit, innerhalb kürzester Zeit musikalisch zwischen Gefrier- und Siedepunkt zu wechseln. Auch heute halten sich viele Komponisten mit Arbeiten für den Film über Wasser – und sie sind damit in guter Gesellschaft: Dmitrij Schostakowitsch schrieb seine ersten Werke fürs Stummfilmkino, Nino Rota ist als Filmkomponist groß geworden. Einer der ganz wichtigen Filmkomponisten Hollywoods ist John Williams. Er hat die Musik für so unterschiedliche Filme wie Star Wars oder Schindlers Liste geschrieben. Seine Melodien sind exakt auf die Bilder zugeschnitten, aber – und das kann man nicht von jeder Filmmusik behaupten – die Musik ist auch ohne den Film autonom. John Williams‟ Filmmusik zu Schindlers Liste bringt mit großer Geste große Emotionen zum Klingen: sie unterstreicht die Tragik der Handlung und ist gleichzeitig ein Ausdruck für die menschliche Größe der historischen Hauptperson: des Industriellen Oskar Schindler, der im Dritten Reich Hunderte von Juden vor der Vernichtung rettet, indem er sie als Arbeiter in seiner Fabrik anstellt. John Williams hat den fertigen Film gesehen, bevor er die Musik dazu schrieb. Und er traute sich nicht so recht zu, den richtigen Ton zu finden. „Steven“, sagte er zum Regisseur Steven Spielberg, „du brauchst einen besseren Komponisten als mich.“ Darauf Spielberg: „Ich weiß! Aber die sind alle tot!“ Schindlers Liste CD Take 6 3‟44 Janine Jansen, Royal Philharmonic Orchestra, Barry Wordworth Hier hört das Auge mit: Die Geigerin Janine Jansen, das Royal Philharmonic Orchestra und der Dirigent Barry Wordsworth mit dem Hauptthema aus der Filmmusik zu „Schindlers Liste“ von John Williams. 1993 gab‟s dafür einen Oscar, zwei Jahre später den Grammy. 8 Wenn ein Insekt – zum Beispiel eine Stubenfliege – einen Film sieht, dann nimmt es nur die einzelnen Bilder wahr, abgehackt wie bei einer Diashow. Bei Insekten funktioniert nämlich die Verarbeitung von optischen Reizen sehr viel schneller als bei uns Menschen. Tier sehen überhaupt vieles ganz anders als wir: Chamäleons können ihre Augen getrennt voneinander bewegen, Hammerhaie haben einen 360Grad-Rundumblick, Regenwürmer erkennen nur den Unterschied zwischen hell und dunkel (etwas anderes brauchen sie auch nicht). Bienen und Vögel dagegen erkennen auch UV-Licht, das für Menschen unsichtbar ist. Diese tierische Fähigkeit wiederum nutzen viele Pflanzen für sich: Reife Früchte zum Beispiel bilden eine Schale aus, die das UV-Licht reflektiert: ein eindeutiges Signal, dass sie zum Verzehr geeignet sind – für den Vogel ist das ausgesprochen nützlich, für den Menschen manchmal ziemlich ärgerlich – besonders zur Kirschenzeit! Spätestens seit Saint-Exupéry wissen wir‟s: das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar, weil man sowieso nur mit dem Herzen gut sieht. In der Vorstellung des mittelalterlichen Menschen gibt es diese direkte Verbindung zwischen Auge und Herz. Wenn zwei sich anschauen – mal angenommen, das sind Mann und Frau –, dann gerät das Bild des jeweils anderen ins eigene Herz, dem Zentrum des Fühlens, Denkens und Wollens. Über diesen Kanal entsteht die Liebe, und es gibt deswegen kein mittelalterliches Liebesgedicht, in dem der Austausch von Blicken nicht eine entscheidende Rolle spielen würde. Die Augen sind die einzigen Sinnesorgane, die nicht nur etwas von der Außenwelt empfangen, sondern auch etwas an sie abgeben – eben Blicke aller Art: prüfende und musternde, neugierige und leere, gelangweilte, amüsierte, wohlwollende und vernichtende, lähmende, vergiftende und tötende, schmachtende, lüsterne, begehrliche oder eben liebevolle. Nr. 4: Wenn ich in deine Augen M0247940 01-004 seh' aus: Dichterliebe, op. 48 Schumann, Robert Heine, Heinrich Prégardien, Christoph; Staier, Andreas 1'33 9 „Wenn ich in deine Augen seh“ aus Robert Schumanns Dichterliebe. Gesungen von Christoph Prégardien und am Klavier begleitet von Andreas Staier – der übrigens seit vielen Jahren Brillenträger ist. Womit wir zum Phänomen – oder zum Segen – der Sichtkorrektur kommen. „Kleine und undeutliche Buchstaben erscheinen schärfer und größer, wenn man sie durch eine mit Wasser gefüllte Kugel betrachtet“, notiert im 1. Jahrhundert Seneca der Jüngere. Nun ist es ja relativ unpraktisch, immer eine gefüllte Wasserkugel mit sich rumzutragen. Da lässt sich die Idee des arabischen Mathematikers Abu Ali Al-Hasan schon leichter umsetzen: er empfiehlt als Lesehilfe eine geschliffene Halbkugel aus Glas oder Edelstein. Das Mineral Beryllium dient im Mittelalter als Sammelbegriff für alle klaren Kristalle, und vom Beryllium hat dann auch die Brille ihren Namen. Vor allem in den mittelalterlichen Klöstern kommen die kristallklaren Lesesteine zum Einsatz, und später dann auch Nietbrillen mit zwei Gläsern. Die älteren Mönche verwenden sie zum Lesen und Schreiben. Bekanntlich lässt ja im Alter die Flexibilität der Linse nach, was die Sehkraft in der Nähe empfindlich einschränkt. Mit Mitte 40 werden die meisten Leute weitsichtig – und greifen notgedrungen zur Lesebrille. Wer vorher schon kurzsichtig war, kommt jetzt in den Genuss einer Gleitsichtbrille, mit der man meistens alles Mögliche scharf sieht, nur nicht das, was man eigentlich fixieren wollte. Darum gibt‟s zum Beispiel für Orchestermusiker spezielle Musikerbrillen, die das Hin- und Herschauen zwischen Dirigent und Notenblatt erleichtern; und für alle Büromenschen die Bildschirmbrille. Besonders Weitsichtige können sich zusätzlich eine Schminkbrille anschaffen, bei der man die Gläser einzeln hochklappen kann, um mit klarem Blick Kajal und Wimperntusche aufzutragen. Vorausgesetzt, das Licht im Bad ist hell genug. Dann kann nämlich die Pupille genug Licht ins Augeninnere lassen. Die Pupille arbeitet so ähnlich wie die Blende einer Kamera: Bei Dunkelheit erweitert sie sich bis zu einem Durchmesser von 8 Millimetern. Bei Helligkeit zieht sie sich auf eineinhalb Millimeter zusammen. Die Pupille ist außerdem – über den Sympathicus-Nerv – direkt mit unserem Gefühlsleben verbunden (und das unterscheidet sie von jeder Kamera der Welt), Wenn uns etwas gefällt, wird der Sympathicus aktiv, das Herz schlägt höher und als Nebeneffekt erweitern sich auch die Pupillen. Orientalische Händler sind berüchtigt dafür, dass sie diese Signale bei ihren potentiellen Kunden sehr genau deuten können. Wem die Augen übergehen, der kann noch so kopfgesteuert verhandeln. Er 10 wird –und das weiß der Händler natürlich genau – er wird bereit sein, für den schönen Seidenteppich, das Gewürz oder die bestickten Schuhe einen ziemlich hohen Preis zu bezahlen. Sein Sympathicus hat ihn verraten. In Georg Friedrich Händels Oper Giulio Cesare spielt die ägyptische Königin Cleopatra gezielt mit allen Reizen, die man auf der Opernbühne aufbieten kann: mit den Reizen der Optik und natürlich der Akustik. Um jeden Preis will sie Cäser umgarnen, sein Herz gewinnen und ihn emotional so an sich fesseln, dass er gerne bereit ist, seine politische Macht mit ihr zu teilen. Dafür ist ihr kein Preis zu hoch: Sie engagiert zusätzlich zum normalen Opernorchester extra ein kleines privates Bühnenorchester, in dessen Mitte sie eine der schönsten Flirt-Arien singt, die Händel je geschrieben hat: Schöne Augen machen nennt man das. Die Arie ist direkt an die Pupillen und den damit verbundenen Sympathicus-Nerv von Gaius Julius Cäsar gerichtet: „V‟adoro pupille“. Übersetzung über Instrumentalritornell (ab 0’28 – geht bis 0’49): Ich bete euch an, ihr Augen, ihr Blitze Amors Eure Funken erfüllen meine Brust mit Freude. Mein trauriges Herz sehnt sich nach Eurer Milde Denn es nennt euch stets seinen Allerliebsten. 12-53077 CD 1 Take 9 Georg Friedrich Händel Giulio Cesare (1724): Arie der Cleopatra V‟adoro pupille 5‟21 Emma Kirkby The Brandenburg Consort Leitung: Roy Goodman „Ich kam, sah, und – verlor mein Herz“ – auf der barocken Opernbühne zählen nämlich auch bei einem Feldherrn wie Cäsar nicht die Siege auf dem Schlachtfeld, sondern einzig und allein die Siege und Verluste in Sachen Liebe. Das war die erfolgreiche Verführungsarie der Cleopatra aus Händels Oper Giulio Cesare. Emma Kirkby sang in Begleitung des Brandenburg Consort. Roy Goodman war der Dirigent. Cäsar liebt Cleopatra. Die Götter lieben den schönen Jüngling Narziss. 11 Aber der liebt nur sich selbst. So schildert es der antike Dichter Ovid in seinen Metamorphosen. Narziss ist nicht nur schön und jung, sondern auch überheblich. Knaben und Mädchen verehren und begehren ihn, aber er weist sie alle zurück. Er hat nur Augen für sich selbst; und er kann sich nicht sattsehen am eigenen Spiegelbild. Tagelang betrachtet er sich in der Oberfläche eines Waldteiches. Die Eigenliebe wird ihm zum Verhängnis: Als er erkennt, dass das schöne Bild seine Liebe nicht erwidert, nimmt er sich das Leben. Der Tod des Narziss ist gleichzeitig die Geburt einer Blume: Aus seinem Blut wächst die Narzisse. Der polnische Komponist Karol Szymanowski hat in seinen Mythen für Geige und Klavier aus dem Jahr 1915 ein musikalisches Porträt von Narziss gezeichnet. AM S Nr. 2: Narziß.: Drei M0023336 01-005 Mythen für Violine und Klavier, op. 30 Suwanai, Szymanowski, Akiko; Karol Moll, Phillip 6'57