SWR2 Musikstunde

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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
„Verkannte Meisterwerke“, Teil 3
Von Thomas Rübenacker
Sendung:
26. Oktober 2016
Redaktion:
Bettina Winkler
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
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SWR2 Musikstunde mit Thomas Rübenacker
„Verkannte Meisterwerke“ (3)
SWR 2, 24. Oktober - 28. Oktober 2016, 9h05 – 10h00
… mit T. R. Heute: „Verkannte Meisterwerke“, Teil 3.
MUSIK
Die Opernbühne ist nicht gerade gesegnet mit musikalischen Komödien: Mozarts
Opern sind eher Dramen, mit komischen ebenso wie tragischen Elementen; auch
„Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss ist keine Komödie, sondern – sogar in der
Geisterbahn des 3. Aktes – das anrührende Psychogramm einer alternden
Schönheit. Es bleiben also im Wesentlichen „Der Wildschütz“ von Albert Lortzing
und Otto Nicolais „Lustige Weiber von Windsor“, auch Wagners „Meistersinger
von Nürnberg“ sind mehr Komödie als sonstwas. Deutlich fehlt aber ein
komödiantisches Meisterwerk, das dem Kosmos der Märchen aus
Tausendundeiner Nacht“ entspringt: „Der Barbier von Bagdad“ von Peter
Cornelius. Der Text vom Komponisten gelang ebenso pointiert wie die Musik,
selbst bei Lortzing wird keine solche Einheit von Wort und Klang erreicht. Aber die
Uraufführung in Weimar (unter Franz Liszt) war ein Misserfolg, die einzige
Aufführung, die Peter Cornelius je erleben durfte (oder musste). Nach dessen Tod
empfahl sein Freund und Mentor Liszt den „Barbier“ nach Hannover, wo er
ebenfalls floppte. Auch Felix Mottls Karlsruher Bearbeitung von 1884 war einer
der wenigen solennen Misserfolge dieses fähigen Mannes. Erst allmählich, nach
dem Zweiten Weltkrieg, etablierte sich das Werk auf deutschen Bühnen – aber
wo wird es heute noch gespielt, frage ich Sie?
MUSIK: CORNELIUS, DER BARBIER VON BAGDAD, CD 1, TRACK 1 (7:10)
Peter Cornelius, „Der Barbier von Bagdad“, die originale – nicht die von Liszt oder
von Mottl bearbeitete – Ouvertüre, gespielt vom Münchner Rundfunkorchester,
die Leitung hatte Heinrich Hollreiser.
Peter Cornelius, der einer alten Schauspielerfamilie entstammte, trat zunächst
einmal in die Fußstapfen der Eltern: wurde eben Schauspieler. Musikalisch war er,
wie sein späterer Freund Richard Wagner, weitestgehend Autodidakt. Er verfasste
gereimte Tragödien und ungereimte Komödien, die häufig von der Familie sechsbis zehnmal aufgeführt wurden, je nach Publikumszuspruch, und dann oft nie
wieder. Zugleich komponierte er erste Lieder und Kirchenmusik, ja arbeitete sogar
– wenn die Schauspielerei mal brotarm war – als Musikkritiker in Berliner
Kulturjournalen. Geboren wurde er 1824 in Mainz, wo er ziemlich exakt 50 Jahre
später auch verstarb. 1852 lockte ihn Franz Liszt nach Weimar, als eine Art
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Famulus-und-Privatsekretär, weil ihm der Virtuosenbetrieb langsam über den Kopf
wuchs. Sieben Jahre später siedelte Cornelius (Grund: unbekannt) nach Wien,
wo er sich mit Richard Wagner anfreundete. Der schlug ihm sogar ein
„partnerschaftliches Zusammenleben“ vor, eine Art früher WG, und Cornelius
folgte dem Damals-noch-nicht-so-Meister nach München, wo er eine Stelle am
Konservatorium ergatterte. Wer jetzt aber denkt: Aha! Wagner-Einfluss!, der irrt:
Cornelius achtete immer sehr darauf, sich kompositorisch seine Eigenständigkeit
zu bewahren. Eher war's umgekehrt: Passagen der „Meistersinger von Nürnberg“,
also Wagners einziger Bühnenkomödie, sind beeinflusst von Cornelius. Und in
dessen Musikdrama „Gunlöd“, das wie Wagners „Ring“ auf dem germanischen
Schöpfungsmythos Edda basiert, verwendet Peter Cornelius sogar vor Wagner
bereits ein dem „Tristan“ verdächtig ähnliches Motiv als Grundbaustein des
ganzen Werkes. Doch zurück zum „Barbier von Bagdad“, dieser raren, aber
verkannten deutschen Musikkomödie!
MUSIK: CORNELIUS, DER BARBIER VON BERLIN, CD 1, TRACK 2 (5:08)
Peter Cornelius, „Der Barbier von Bagdad“, der Beginn, gesungen vom Tenor
Adalbert Kraus als Protagonist Nureddin und dem Chor des Bayerischen
Rundfunks als seine Diener, das Münchner Rundfunkorchester spielte, den Stab
schwang Heinrich Hollreiser.
Schon dieser Anfang: Nureddin schmachtet nach Margiana, die Diener wollen
ihn wecken – zeigt wie im Brennglas gebündelt die Qualitäten dieser komischen
Oper: ein anmutig-witziger Text (auch von Cornelius), dazu eine Musik, die im
Rahmen der Zeit nur „sehr modern“ genannt werden kann, harmonisch komplex,
leitmotivisch verankert, stark kontrapunktisch, durchbrochen im Satz – und von
einer Beschwingtheit, die mitunter haarscharf an der Operette vorbeisurft. Die
Diener, die mit dem baldigen Ableben ihres Herrn rechnen, singen dabei so
poetisch wie pointiert:
In Paradieses Mitten
Ruht er beglückt.
Granaten pflückt
Und Datteln seine Hand
Im wonnigen Land.
An der Glücksel'gen Baum,
Am moschusduftenden Saum
Von Edenflüssen,
Wiegt ihn mit Küssen
Der Huri Mund
In seligen Traum.
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Weckt ihn nicht, still!
Weckt ihn nicht!
Bald verglimmt sein Lebenslicht.
Einer der besten Kenner des Werkes, Max Hasse, schreibt: „Peter Cornelius stand,
als er an die Dichtung und Komposition des Barbiers von Bagdad heranging
(seiner ersten komischen Oper), im 33. Lebensjahre. Die Berliner Zeit (…) lag hinter
ihm. 1853 war der Dichter-Musiker in ihm erwacht – der (Zitat Cornelius) 'lachte mit
freiem künstlerischen Gebahren in die Welt'. Schönes wurde in Schmerzen
geboren. Die Not spornte ihn an zu Taten. Er hatte erfahren, was es heißt, als
deutscher Komponist durch die Welt zu wandern; er konnte das Wort Goethe's
auf sich anwenden, das der große Menschenkenner seinem Wilhelm Meister in
die Feder diktierte: 'Mein Leben soll eine Wanderschaft werden. Sonderbare
Pflichten des Wanderers habe ich zu erfüllen und ganz eigene Prüfungen habe
ich zu bestehen.' Die Mainzer Liedertafel hatte diesen Meister des Liedes als
Dirigenten abgelehnt, Frau Sorge klopfte stark und stärker an die Tür ...“ Cornelius
hatte Platz genommen zwischen allen Stühlen, und das war schon damals nicht
wohlgelitten; dass er ein Genie war, kümmerte offenbar niemanden. Und die, die
ihn als solches hätten entdecken können, nämlich die Nachwelt – die taten es
auch nicht. So wurde ein Bühnenkomödiant vom Schlage mindestens eines
Lortzing oder Nicolai vergessen und vergessener – bis heute.
Es passiert nicht oft, dass eine Musikstunde sich einem einzigen Werk widmet:
Aber diesmal ist es gerechtfertigt. „Der Barbier von Bagdad“ müsste eigentlich
genau so eine Säule des Repertoires sein wie „Der Wildschütz“ oder „Die lustigen
Weiber von Windsor“, und das ist er nicht. Die Geschichte dürfte eine der weniger
spektakulären aus „Tausendundeiner Nacht“ sein: keine menschenfressenden
Zyklopen, kein feuerspeiender Drache, keine wild herumhexenden Djinnis –
eigentlich nicht viel mehr als: boy meets girl. Nureddin verzehrt sich in Liebe zu
Margiana, dem schönen Töchterlein des Kadi – also des Dorfrichters. Der will sie
aber nicht hergeben, jedenfalls nicht an Nureddin. Nureddin winkt erst mit Hilfe
einer alten Freundin dann doch noch ein Rendezvous mit Margiana, und er lässt
sich bei dem Barbier Abul Hassan aufhübschen, einem geschwätzigen
Märchenerzähler und dem komischen Protagonisten der Geschichte. Als dann
aber der Kadi ins Rendezvous hineinplatzt, versteckt man Nureddin in einer Truhe,
wo er vor Aufregung ohnmächtig wird, also leblos – während Abul Hassan den
Kalifen herbeispiritiert, den Dienstherrn des Kadi. Der ohnmächtige Nureddin wird
gefunden, aber für tot gehalten, und der Kadi gerät in den Verdacht, sein
Mörder zu sein. Schließlich wacht Nureddin wieder auf. Ergo: Kadi ist kein Killer,
aber seine schöne Tochter kann er Nureddin nun auch nicht mehr verwehren –
wenn sogar der Kalif seinen Segen gibt! Und der Barbier Abul Hassan? Hat sich
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inzwischen in das Herz des Kalifen geschwatzelt, der ihn an seinen Hof mitnimmt –
als sozusagen islamische Version eines Hofnarren: als Hofmärchenonkel.
MUSIK: CORNELIUS, BVB, CD 2, TRACK 11 (11:41)
So weit das Finale des „Barbiers von Bagdad“ des Peter Cornelius, das
Entschürzen aller Knoten, mit Adalbert Kraus als Nureddin, Karl Ridderbusch als
Abul Hassan, Sylvia Geszty als Margiana, Trudelise Schmidt als Bostana, Bernd
Weikl als Kalif und Gerhard Unger als Kadi, der Chor des Bayerischen Rundfunks
sang Nureddins Diener, Freunde des Kadi, Klagefrauen, das Gefolge des Kalifen
sowie generell Bewohner Bagdads. Wieder spielte das Münchner
Rundfunkorchester, hatte Heinrich Hollreiser die Gesamtleitung.
Wenn überhaupt ein Einfluss erkennbar ist, dann der des Héctor Berlioz, dem
Cornelius einmal ein Libretto ins Deutsche umdichtete: Die Instrumentation
jedenfalls läuft weniger auf eine Klangmischung hinaus denn auf eine
Klangspaltung. Daher, wie gesagt, inspirierte weniger Wagner Cornelius, als
umgekehrt. Trotzdem steht der sächs'sche Meester, mit dem Cornelius damals
bereits befreundet war, im Mittelpunkt der Oper: als benevolente Karikatur, als
freundschaftliche Parodie. Denn Abul Hassan, der geschwätzige Barbier, spricht
von sich also: „Bin Gesamtmensch, bin Barbier der Nachwelt“, auch die
Aufzählung der 42 Berufe und philosophischen Richtungen des „Gesamtgenies“
spricht natürlich Bände. Hier nur ein Teil der Selbstglorifizierung:
Tänzer und Mimiker,
Dichter und Musiker,
Großer Dramatiker,
Epigrammatiker,
Scharfer Satiriker,
Epiker, Lyriker,
Dabei ein Sokrates
Und Aristoteles.
Bin Dialektiker,
Sophist, Eklektiker,
Zyniker, Ethiker,
Peripathetiker.
Bin ein athletisches,
Tief theoretisches,
Musterhaft praktisches,
Autodidaktisches
Gesamtgenie,
Ja, ein Gesamtgenie!
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MUSIK: CORNELIUS, BVB, TRACK 6 (8:18)
„Der Barbier von Bagdad“, sich selbst entlarvend als Wagner'scher GesamtKünstler-Philosoph-Sportler-und-Mensch: Peter Cornelius schrieb dem
Komponistenfreund hier eine hinreißende Parodie auf den samt-undseidegewandeten Leib. Mit Adalbert Kraus und Karl Ridderbusch.
Zum Ende dieser Musikstunde möchte ich gerne noch einmal auf den Librettisten
Peter Cornelius zu sprechen kommen. Es ist ja nicht nur so, dass er pointierte
Dialoge in die verschiedensten Versmaße gießt – was schon genug wäre. Auch
dass ihm offenbar das große Latinum und das große Graecum zur Verfügung
stehen, macht ihn nicht zum Solitär. Eher ist es die Kunst, etwas zu parodieren,
ohne es verächtlich zu machen – gleichzeitig aber auch, ohne die Parodie
weichzuspülen. Konturenscharf persifliert er seinen Freund Richard Wagner, aber
auch die Sprache der arabischen Märchen, die vor lauter „blumiger“ Auszierung
mitunter aus dem Blick verliert, was sie eigentlich sagen will. In dem großen Duett
zwischen Nureddin und seiner Vertrauten Bostana, die ihm das Rendezvous mit
Margiana ermöglichen will, singt der Protagonist:
So bist die Taube du,
Die nach der Sturmflut
Herniederfliegt zur Arche
Meines Herzens,
In dem des Grames Riesenschlange zischt,
Darin Verzweiflung
Wie ein Schakal wimmert
Und wilde Eifersucht, ein Tiger, heult
Und ach, die Nachtigall der
Sehnsucht flötet.
Eine Taube, eine Riesenschlange, ein Schakal, ein Tiger, eine Nachtigall – ist das
schon Cornelius' Tierleben? Oder eine tierisch gemischte Metapher? Oder ein
typischer Satz – ein Satz! - aus „Tausendundeiner Nacht“? Nun, die Eule mag es
künden: Dies ist des Fuchses Peter Cornelius' dachsgewitzte Variante von
tausendundeiner Nachtigall, deren Lied das Löwenherz zu Schafskäse weichet!
Hough, der Rabe hat gesprochen. - Im Grunde war „Der Barbier von Bagdad“
seiner Zeit weit voraus – weshalb es nicht ganz einzusehen ist, warum er ihr heute
hinterher sein soll …!
MUSIK: CORNELIUS, BVB, TRACK 4 (7:05)
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1) bis 4) Peter Cornelius, Der Barbier von Bagdad; Kraus, Geszty, Weikl,
Ridderbusch, Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Rundfunkorchester,
Heinrich Hollreiser; RCA 74321 32223 2 (LC 0316)
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