SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde „Verkannte Meisterwerke“, Teil 3 Von Thomas Rübenacker Sendung: 26. Oktober 2016 Redaktion: Bettina Winkler 9.05 – 10.00 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2 2 SWR2 Musikstunde mit Thomas Rübenacker „Verkannte Meisterwerke“ (3) SWR 2, 24. Oktober - 28. Oktober 2016, 9h05 – 10h00 … mit T. R. Heute: „Verkannte Meisterwerke“, Teil 3. MUSIK Die Opernbühne ist nicht gerade gesegnet mit musikalischen Komödien: Mozarts Opern sind eher Dramen, mit komischen ebenso wie tragischen Elementen; auch „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss ist keine Komödie, sondern – sogar in der Geisterbahn des 3. Aktes – das anrührende Psychogramm einer alternden Schönheit. Es bleiben also im Wesentlichen „Der Wildschütz“ von Albert Lortzing und Otto Nicolais „Lustige Weiber von Windsor“, auch Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ sind mehr Komödie als sonstwas. Deutlich fehlt aber ein komödiantisches Meisterwerk, das dem Kosmos der Märchen aus Tausendundeiner Nacht“ entspringt: „Der Barbier von Bagdad“ von Peter Cornelius. Der Text vom Komponisten gelang ebenso pointiert wie die Musik, selbst bei Lortzing wird keine solche Einheit von Wort und Klang erreicht. Aber die Uraufführung in Weimar (unter Franz Liszt) war ein Misserfolg, die einzige Aufführung, die Peter Cornelius je erleben durfte (oder musste). Nach dessen Tod empfahl sein Freund und Mentor Liszt den „Barbier“ nach Hannover, wo er ebenfalls floppte. Auch Felix Mottls Karlsruher Bearbeitung von 1884 war einer der wenigen solennen Misserfolge dieses fähigen Mannes. Erst allmählich, nach dem Zweiten Weltkrieg, etablierte sich das Werk auf deutschen Bühnen – aber wo wird es heute noch gespielt, frage ich Sie? MUSIK: CORNELIUS, DER BARBIER VON BAGDAD, CD 1, TRACK 1 (7:10) Peter Cornelius, „Der Barbier von Bagdad“, die originale – nicht die von Liszt oder von Mottl bearbeitete – Ouvertüre, gespielt vom Münchner Rundfunkorchester, die Leitung hatte Heinrich Hollreiser. Peter Cornelius, der einer alten Schauspielerfamilie entstammte, trat zunächst einmal in die Fußstapfen der Eltern: wurde eben Schauspieler. Musikalisch war er, wie sein späterer Freund Richard Wagner, weitestgehend Autodidakt. Er verfasste gereimte Tragödien und ungereimte Komödien, die häufig von der Familie sechsbis zehnmal aufgeführt wurden, je nach Publikumszuspruch, und dann oft nie wieder. Zugleich komponierte er erste Lieder und Kirchenmusik, ja arbeitete sogar – wenn die Schauspielerei mal brotarm war – als Musikkritiker in Berliner Kulturjournalen. Geboren wurde er 1824 in Mainz, wo er ziemlich exakt 50 Jahre später auch verstarb. 1852 lockte ihn Franz Liszt nach Weimar, als eine Art 3 Famulus-und-Privatsekretär, weil ihm der Virtuosenbetrieb langsam über den Kopf wuchs. Sieben Jahre später siedelte Cornelius (Grund: unbekannt) nach Wien, wo er sich mit Richard Wagner anfreundete. Der schlug ihm sogar ein „partnerschaftliches Zusammenleben“ vor, eine Art früher WG, und Cornelius folgte dem Damals-noch-nicht-so-Meister nach München, wo er eine Stelle am Konservatorium ergatterte. Wer jetzt aber denkt: Aha! Wagner-Einfluss!, der irrt: Cornelius achtete immer sehr darauf, sich kompositorisch seine Eigenständigkeit zu bewahren. Eher war's umgekehrt: Passagen der „Meistersinger von Nürnberg“, also Wagners einziger Bühnenkomödie, sind beeinflusst von Cornelius. Und in dessen Musikdrama „Gunlöd“, das wie Wagners „Ring“ auf dem germanischen Schöpfungsmythos Edda basiert, verwendet Peter Cornelius sogar vor Wagner bereits ein dem „Tristan“ verdächtig ähnliches Motiv als Grundbaustein des ganzen Werkes. Doch zurück zum „Barbier von Bagdad“, dieser raren, aber verkannten deutschen Musikkomödie! MUSIK: CORNELIUS, DER BARBIER VON BERLIN, CD 1, TRACK 2 (5:08) Peter Cornelius, „Der Barbier von Bagdad“, der Beginn, gesungen vom Tenor Adalbert Kraus als Protagonist Nureddin und dem Chor des Bayerischen Rundfunks als seine Diener, das Münchner Rundfunkorchester spielte, den Stab schwang Heinrich Hollreiser. Schon dieser Anfang: Nureddin schmachtet nach Margiana, die Diener wollen ihn wecken – zeigt wie im Brennglas gebündelt die Qualitäten dieser komischen Oper: ein anmutig-witziger Text (auch von Cornelius), dazu eine Musik, die im Rahmen der Zeit nur „sehr modern“ genannt werden kann, harmonisch komplex, leitmotivisch verankert, stark kontrapunktisch, durchbrochen im Satz – und von einer Beschwingtheit, die mitunter haarscharf an der Operette vorbeisurft. Die Diener, die mit dem baldigen Ableben ihres Herrn rechnen, singen dabei so poetisch wie pointiert: In Paradieses Mitten Ruht er beglückt. Granaten pflückt Und Datteln seine Hand Im wonnigen Land. An der Glücksel'gen Baum, Am moschusduftenden Saum Von Edenflüssen, Wiegt ihn mit Küssen Der Huri Mund In seligen Traum. 4 Weckt ihn nicht, still! Weckt ihn nicht! Bald verglimmt sein Lebenslicht. Einer der besten Kenner des Werkes, Max Hasse, schreibt: „Peter Cornelius stand, als er an die Dichtung und Komposition des Barbiers von Bagdad heranging (seiner ersten komischen Oper), im 33. Lebensjahre. Die Berliner Zeit (…) lag hinter ihm. 1853 war der Dichter-Musiker in ihm erwacht – der (Zitat Cornelius) 'lachte mit freiem künstlerischen Gebahren in die Welt'. Schönes wurde in Schmerzen geboren. Die Not spornte ihn an zu Taten. Er hatte erfahren, was es heißt, als deutscher Komponist durch die Welt zu wandern; er konnte das Wort Goethe's auf sich anwenden, das der große Menschenkenner seinem Wilhelm Meister in die Feder diktierte: 'Mein Leben soll eine Wanderschaft werden. Sonderbare Pflichten des Wanderers habe ich zu erfüllen und ganz eigene Prüfungen habe ich zu bestehen.' Die Mainzer Liedertafel hatte diesen Meister des Liedes als Dirigenten abgelehnt, Frau Sorge klopfte stark und stärker an die Tür ...“ Cornelius hatte Platz genommen zwischen allen Stühlen, und das war schon damals nicht wohlgelitten; dass er ein Genie war, kümmerte offenbar niemanden. Und die, die ihn als solches hätten entdecken können, nämlich die Nachwelt – die taten es auch nicht. So wurde ein Bühnenkomödiant vom Schlage mindestens eines Lortzing oder Nicolai vergessen und vergessener – bis heute. Es passiert nicht oft, dass eine Musikstunde sich einem einzigen Werk widmet: Aber diesmal ist es gerechtfertigt. „Der Barbier von Bagdad“ müsste eigentlich genau so eine Säule des Repertoires sein wie „Der Wildschütz“ oder „Die lustigen Weiber von Windsor“, und das ist er nicht. Die Geschichte dürfte eine der weniger spektakulären aus „Tausendundeiner Nacht“ sein: keine menschenfressenden Zyklopen, kein feuerspeiender Drache, keine wild herumhexenden Djinnis – eigentlich nicht viel mehr als: boy meets girl. Nureddin verzehrt sich in Liebe zu Margiana, dem schönen Töchterlein des Kadi – also des Dorfrichters. Der will sie aber nicht hergeben, jedenfalls nicht an Nureddin. Nureddin winkt erst mit Hilfe einer alten Freundin dann doch noch ein Rendezvous mit Margiana, und er lässt sich bei dem Barbier Abul Hassan aufhübschen, einem geschwätzigen Märchenerzähler und dem komischen Protagonisten der Geschichte. Als dann aber der Kadi ins Rendezvous hineinplatzt, versteckt man Nureddin in einer Truhe, wo er vor Aufregung ohnmächtig wird, also leblos – während Abul Hassan den Kalifen herbeispiritiert, den Dienstherrn des Kadi. Der ohnmächtige Nureddin wird gefunden, aber für tot gehalten, und der Kadi gerät in den Verdacht, sein Mörder zu sein. Schließlich wacht Nureddin wieder auf. Ergo: Kadi ist kein Killer, aber seine schöne Tochter kann er Nureddin nun auch nicht mehr verwehren – wenn sogar der Kalif seinen Segen gibt! Und der Barbier Abul Hassan? Hat sich 5 inzwischen in das Herz des Kalifen geschwatzelt, der ihn an seinen Hof mitnimmt – als sozusagen islamische Version eines Hofnarren: als Hofmärchenonkel. MUSIK: CORNELIUS, BVB, CD 2, TRACK 11 (11:41) So weit das Finale des „Barbiers von Bagdad“ des Peter Cornelius, das Entschürzen aller Knoten, mit Adalbert Kraus als Nureddin, Karl Ridderbusch als Abul Hassan, Sylvia Geszty als Margiana, Trudelise Schmidt als Bostana, Bernd Weikl als Kalif und Gerhard Unger als Kadi, der Chor des Bayerischen Rundfunks sang Nureddins Diener, Freunde des Kadi, Klagefrauen, das Gefolge des Kalifen sowie generell Bewohner Bagdads. Wieder spielte das Münchner Rundfunkorchester, hatte Heinrich Hollreiser die Gesamtleitung. Wenn überhaupt ein Einfluss erkennbar ist, dann der des Héctor Berlioz, dem Cornelius einmal ein Libretto ins Deutsche umdichtete: Die Instrumentation jedenfalls läuft weniger auf eine Klangmischung hinaus denn auf eine Klangspaltung. Daher, wie gesagt, inspirierte weniger Wagner Cornelius, als umgekehrt. Trotzdem steht der sächs'sche Meester, mit dem Cornelius damals bereits befreundet war, im Mittelpunkt der Oper: als benevolente Karikatur, als freundschaftliche Parodie. Denn Abul Hassan, der geschwätzige Barbier, spricht von sich also: „Bin Gesamtmensch, bin Barbier der Nachwelt“, auch die Aufzählung der 42 Berufe und philosophischen Richtungen des „Gesamtgenies“ spricht natürlich Bände. Hier nur ein Teil der Selbstglorifizierung: Tänzer und Mimiker, Dichter und Musiker, Großer Dramatiker, Epigrammatiker, Scharfer Satiriker, Epiker, Lyriker, Dabei ein Sokrates Und Aristoteles. Bin Dialektiker, Sophist, Eklektiker, Zyniker, Ethiker, Peripathetiker. Bin ein athletisches, Tief theoretisches, Musterhaft praktisches, Autodidaktisches Gesamtgenie, Ja, ein Gesamtgenie! 6 MUSIK: CORNELIUS, BVB, TRACK 6 (8:18) „Der Barbier von Bagdad“, sich selbst entlarvend als Wagner'scher GesamtKünstler-Philosoph-Sportler-und-Mensch: Peter Cornelius schrieb dem Komponistenfreund hier eine hinreißende Parodie auf den samt-undseidegewandeten Leib. Mit Adalbert Kraus und Karl Ridderbusch. Zum Ende dieser Musikstunde möchte ich gerne noch einmal auf den Librettisten Peter Cornelius zu sprechen kommen. Es ist ja nicht nur so, dass er pointierte Dialoge in die verschiedensten Versmaße gießt – was schon genug wäre. Auch dass ihm offenbar das große Latinum und das große Graecum zur Verfügung stehen, macht ihn nicht zum Solitär. Eher ist es die Kunst, etwas zu parodieren, ohne es verächtlich zu machen – gleichzeitig aber auch, ohne die Parodie weichzuspülen. Konturenscharf persifliert er seinen Freund Richard Wagner, aber auch die Sprache der arabischen Märchen, die vor lauter „blumiger“ Auszierung mitunter aus dem Blick verliert, was sie eigentlich sagen will. In dem großen Duett zwischen Nureddin und seiner Vertrauten Bostana, die ihm das Rendezvous mit Margiana ermöglichen will, singt der Protagonist: So bist die Taube du, Die nach der Sturmflut Herniederfliegt zur Arche Meines Herzens, In dem des Grames Riesenschlange zischt, Darin Verzweiflung Wie ein Schakal wimmert Und wilde Eifersucht, ein Tiger, heult Und ach, die Nachtigall der Sehnsucht flötet. Eine Taube, eine Riesenschlange, ein Schakal, ein Tiger, eine Nachtigall – ist das schon Cornelius' Tierleben? Oder eine tierisch gemischte Metapher? Oder ein typischer Satz – ein Satz! - aus „Tausendundeiner Nacht“? Nun, die Eule mag es künden: Dies ist des Fuchses Peter Cornelius' dachsgewitzte Variante von tausendundeiner Nachtigall, deren Lied das Löwenherz zu Schafskäse weichet! Hough, der Rabe hat gesprochen. - Im Grunde war „Der Barbier von Bagdad“ seiner Zeit weit voraus – weshalb es nicht ganz einzusehen ist, warum er ihr heute hinterher sein soll …! MUSIK: CORNELIUS, BVB, TRACK 4 (7:05) 7 1) bis 4) Peter Cornelius, Der Barbier von Bagdad; Kraus, Geszty, Weikl, Ridderbusch, Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Rundfunkorchester, Heinrich Hollreiser; RCA 74321 32223 2 (LC 0316) Absage