__________________________________________________________________________________________ 2 SWR2 Musikstunde mit Jörg Lengersdorf 12.12.2012 Jascha Heifetz Vilna und St. Petersburg (3) Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts geht Jascha Heifetz erstmals auf Südamerika Tournee. Der Weltgeiger aus dem vergleichsweise ja doch kleinen Vilna dürfte schon viel gesehen haben, aber eine mexikanische Mariachi Band ist auch für ihn etwas neues. Am Abend vor seinem Debut in Mexico City sitzt Heifetz in einem Strassencafe und hört eine kleine Kapelle mit einem beliebten Schlager von Manuel Ponce, den jeder Mexikaner um diese Zeit auf den Lippen hat. Die lateinamerikanische Gastfreundschaft, das Wetter, die Stimmung, die Begeisterung der Zuhörer, alles passt. Zeitlebens wird Jascha Heifetz immer wieder mit der vermeintlich leichten Muse liebäugeln, aber jetzt, 1927 im Cafe in Mexico, entscheidet er spontan: Das Stück spiel´ ich morgen auch im Konzert. Eine Schachtel Zigaretten, zwei Flaschen Cola, und eine Nacht ohne Schlaf später ist Heifetz Transkription von „Estrellita“ fertig, ziemlich jazzig und harmonisch nicht ganz unkompliziert. Dennoch ist fast überflüssig zu sagen, dass die simple Melodie mit Heifetz Hilfe Flügel bekommt und sich als Schlager in den USA selbständig macht… Musik 1, 2.47 Manuel Ponce, „Estrellita“ Harry James and Orchestra CD Harry James „Feet draggin´Blues“ Diamond Jazz Collection Import, Doppel-CD Label: Pegasus Bezug über Amazon: ASIN: B000780LD6 3 Das Harry James Orchestra mit Manuel Ponces „Estrellita“, einem Stück, das in den USA ein Schlager wird, weil Heifetz es regelmäßig als Zugabe in Konzerten spielt und damit eine Steilvorlage für viele Bands liefert. Broadway Melodien, Jazz, Schlager… Jascha Heifetz liebt diese Musik, und wie sein großes Vorbild Fritz Kreisler ist Heifetz nicht nur ein hochseriöser Interpret der großen Klassiker, sondern auch ganz selbstverständlich Teil der Populärkultur. Der große Klezmer Klarinettist Giora Feidman wird später ganz richtig kommentieren: „Hören Sie sich Heifetz an, eigentlich ist der ein Klezmorim“, ein Volksmusiker. Daheim bei seiner frisch gebackenen Gattin versucht sich Heifetz derweil an der Transformation des Kosmopoliten zum Biedermann. Ehefrau Florence, eben noch Filmstar, wird zur braven Hausfrau, Jascha, der Alleinversorger, sorgt für ein standesgemäßes Familienbild: Ehepaar Heifetz zieht aus dem lauten New York ins ländliche Connecticutt, auf einen Bauernhof mit Waldgrundstück…allfällige Kinder sollen schließlich nicht in der Stadt aufwachsen. An freien Tagen gräbt Jascha im Garten, pflanzt Obstbäume und reitet im Wald. Die Familienplanung geht punktgenau auf: 1930 krabbelt das erste Kind durch den Garten, Tochter Josepha, 1932 bekommt sie einen kleinen Bruder, Robert. Endlich vierköpfig: die amerikanische Kernfamilie, bestehend aus Superstar, Hausfrau, Sohn und Tochter… Musik 2, 1.07 Sergey Prokofieff Gavotte op. 32,3 Jascha Heifetz/Emmanuel Bay CD Heifetz Collection Vol. 5, 1939-1946 LC 0316 RCA Victor Gold Seal, 09026617362 Jascha Heifetz und Emmanuel Bay mit Sergey Prokofieffs Gavotte op. 32,3. 1936, mit 4 bzw. 6 Jahren bekommen Robert und Josepha Heifetz ersten Klavierunterricht vom Papa, ein Heifetz Biograf merkt später lakonisch an: sie zeigten keinen genialen Funken wie ihr Vater. Kunststück. Jascha Heifetz hat den Ruf eines strengen Vaters, dennoch ist er angeblich froh, dass seinen Kindern mangels Genius eine normale 4 Kindheit bevorstehe, als erstes ruiniere ein Wunderkind - Dasein nämlich die Nerven, und das sei unheilbar, wird Jascha als alter Mann resigniert bemerken. In der Tat gibt es lebenslang nur wenige Photos, auf denen Jascha Heifetz lacht. Zwei der schönsten entstehen mit seinen Kindern bei einem Ferienaufenthalt in Kalifornien. Robert und Josepha schauen neugierig, Florence hat ihren schmachtenden Stummfilmblick, und Jascha, im Schneidersitz, lächelt ganz leger aus Ringelpulli und Strickjacke. Der zufriedene Gesichtsausdruck von Jascha auf den Photos dürfte umso mehr sein Konzertpublikum erstaunen. Auf der Bühne ist Mr. Pokerface von unanfechtbarer Ernsthaftigkeit. In den dreißiger Jahren verstärkt Heifetz sein Engagement, für zeitgenössische Komponisten. 1930 gibt er ein erstes Werk beim Italiener Mario Castelnuovo Tedesco in Auftrag – neue Musik, betörende dazu. Mario Castelnuovo Tedesco schreibt Heifetz in den folgenden Jahren in die Finger wie kein anderer Zeitgenosse. Von 1933, aus dem Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland, stammt das hebräisch gefärbte 2. Violinkonzert: „Die Propheten“, betitelt nach Jesaja, Jeremia und Elia. Musik 3, 9.27min Mario Castelnuovo Tedesco Violinkonzert Nr. 2 „Die Propheten“ 2. Satz: Jeremiah Jascha Heifetz/L.A. Philharmonic, Alfred Wallenstein CD Heifetz Collection Vol. 32, Castelnuovo… RCA Victor Gold Seal 09026 61774 2 „Jeremia“ heißt dieser hinreissende Satz. L.A. Philharmonic unter Alfred Wallenstein und Jascha Heifetz mit dem Mittelsatz aus dem 2. Violinkonzert „Die Propheten“ von Mario Castelnuovo Tedesco, einem Komponisten der in den Dreissigern vor den italienischen Faschisten in die USA flieht. Jascha Heifetz gilt in jener Dekade längst unangefochten als bester Geiger der Welt. Kein Künstler erzielt höhere Gehälter, in den USA spricht man von der Heifetz Disease, der Heifetz Krankheit, an der jeder andere Geiger der Welt leide. Schlimmste Symptome: das erfolglose Konkurrieren mit Heifetz himmlisch zuckersüßem Ton und seiner höllischen Perfektion. 5 Im antisemitischen Nazi Deutschland, auch in Amerika, strickt man derweil an der Legende, die Heifetz für alle Ewigkeit beschädigen wird: Er sei der Prototyp des jüdischen Betrügers, ein Geiger, der blenden könne, aber niemals rühren, eine nur scheinbar musikalische Hülle ohne Inhalt. In Deutschland klingt das so: „Der Jude Heifetz ist eine seelenlose Maschine.“ Heifetz, der Mann der nie lachen soll, bekommt ein Problem auch in Amerika. Eines wahrscheinlich, dass er zunächst nicht einmal versteht. Wie auch? Nach Aufnahme Sessions setzt der angeblich Gefühlskalte Heifetz sich zu seinem Pianisten auf den Hocker und beide geben für die Techniker improvisierte Zugaben an den Tasten – vierhändig. Heifetz humorlos? Was jetzt klingt, wie der Anfang von Beethovens Violinkonzert, gehört sicher zu den schrägeren Musikscherzen der Studiogeschichte… Musik 4, 2.59 Jose Padilla Valencia, arr. Vermutlich Heifetz/Improvviso Jascha Heifetz/Isidor Achron, Klavier 4ms CD Heifetz rediscovered RCA Red Seal 09026 63907 2 Jascha Heifetz und Freund Isidor Achron, beide am Klavier, mit einem unbekannten Arrangement des Schlagers „Valencia“ von Jose Padilla, vermutlich ist das Meiste improvisiert, auch die Zitate aus Beethovens Violinkonzert und Carmen von Bizet. Man darf davon ausgehen, dass Heifetz auch bei diesem Stück nicht gelächelt hat, wozu auch, sein Humor sitzt von jeher und für jeden offenbar in den Fingern. Auf der Bühne steht Heifetz wie gemeißelt, die Bewegungen sparsam bis zur Absurdität, kein Muskel zu viel wird verzogen, erst recht nicht im Gesicht – Pokerface, Sphinx - seine Spitznamen. Ein amerikanischer Kritiker bemerkt, Heifetz Auftritt sei geradezu ärgerlich verfeinert, es sei Kunst wie seidene Unterwäsche. Andere formulieren metaphorisch etwas nachvollziehbarer: Heifetz sei nicht aus Glas, sehe aber so aus. Olin Downes von der New York Times schreibt nach einem Konzert sichtlich genervt: „Wenn Heifetz von seinem eigenen Spiel gelangweilt ist, warum spielt er nicht was anderes?“ 6 Schwitzend und leidend auf der Bühne? Pathetische Optik statt Musik? Das ist Heifetz Sache weiß Gott nicht. Schon sein Lehrer Auer kannte das Problem und pflegte Kritiker zu bescheiden: Sie hören Musik oder? Was wollen sie denn noch… Musik 5, 4.23 Edouard Lalo Symphonie Espagnole, op.21 – Scherzando Jascha Heifetz, RCA Victor Symhony Orchestra, William Steinberg CD Heifetz, Lalo etc., Works for Violin LC 0316 RCA Victor Gold Seal GD 87709 Rca Victor Symphony unter William Steinberg und Jascha Heifetz im Scherzo von Lalos Symphonie Espagnole. Nachdem Heifetz von verschiedenen Seiten vorgeworfen wird, er opfere alles Musikalische der polierten Oberfläche seines Tons, eine heute kaum noch nachvollziehbare Kritik, die sich nur aus Heifetz versteinerter Optik erklären lässt, übernehmen die Studios die Initiative. Heifetz braucht, was man PR nennt, Public Relations, ein verbessertes „Image“, um es mal neudeutsch zu formulieren. Er bekommt eine ausgesprochen charmante und gewiefte Beraterin an die Seite, Constance Hope, die sich an ihm allerdings häufig die Zähne ausbeißt. Natürlich hat der übermenschliche Heifetz sympathische, menschliche Züge, er ist nur nicht gewillt, diese an ein Millionenpublikum auf den Boulevards zu verkaufen. Privatsache. Ein glücklicheres Medium wäre ja vermutlich ein schlechterer Geiger, bleibt seine häufig zitierte Devise. Trotzdem gibt es fast rührende Versuche, Heifetz Bild in der Öffentlichkeit behutsam zu verformen. Er spielt eine Nebenrolle in einem absurden Musikfilm über ein Waisenhaus – ohne zu lachen. Er wird Juror bei einem Fratzenwettbewerb – vermutlich ohne zu lachen. Er empfängt Gewinner eines Preisausschreibens – und lacht für ein Photo tatsächlich, naja ein bisschen. 7 Musik 6, 6.40 Johannes Brahms Doppelkonzert op. 102, 2. Satz Jascha Heifetz/Emmanuel Feuermann/Philadelphia Orch./ Eugene Ormandy CD Heifetz Collection Vol. 5, 1939-1946 LC 0316 RCA Victor Gold Seal, 09026617362 Ein Gipfeltreffen der Musikgeschichte, Jascha Heifetz und Cellist Emmanuel Feuermann im Mittelsatz des Brahmsschen Doppelkonzerts op. 102, begleitet vom Philadelphia Orchestra unter Eugene Ormandy. Trotz einer tragisch kurzen Karriere, Feuermann stirbt 1942 mit nur 40 Jahren, geht Feuermann als „Heifetz des Cellos“ in die Annalen ein. Vor allen anderen bleibt der nur ein Jahr ältere Heifetz Feuermanns größtes Vorbild. 1938 hatte Feuermann Idol Heifetz erstmals getroffen, in Los Angeles, wohin die vierköpfige Heifetz Familie angeblich wegen des Wetters gezogen war. Das Landleben in Connecticut scheint nicht dauerhaft zu befriedigen, vielleicht vermisst Hausfrau Florence auch ihre ehemalige Hollywood Existenz. Bei Heifetz Anwesen gibt es natürlich einen Pool, einen Tennisplatz, besten Blick auf die Stadt und den Ozean: Beverly Hills ist der Platz, an den es die Stars zieht. Jascha Heifetz hat niemals eine formale Schulbildung genossen, das intellektuelle Ostküstenmilieu und Großstädte wie New York hatten ihn stets verunsichert. Hier an der Westküste unter amerikanischen Aufsteigern aus dem Showbusiness fühlt er sich zu Haus. Er gilt als brillanter Cocktailmixer, spielt mit Kammermusikpartnern wie Feuermann Tischtennis oder zeigt seine repräsentative Ehefrau samt Kindern. Alles stabil, soweit. Bei einer bejubelten Europareise durch Prag und Budapest erfährt das Glamour Paar vom zynischen „Anschluß“ Österreichs an Hitlerdeutschland. Bis jetzt war der Krieg weit, doch in den Folgejahren wird Jascha Heifetz zum glühenden amerikanischen Patrioten. Musik 7, 1.44 Jascha Heifetz /Bell Telephone Hour Orchestra/Donald Vorhees The Star spangled Banner Amerikanische Nationalhymne Radio Mitschnitt Bell Telephone Hour, 8 Jascha Heifetz spielt mit dem Bell Telephone Orchestra die amerikanische Hymne. Im Dezember 1941 zieht Amerika in den 2. Weltkrieg. Jascha Heifetz, längst überzeugter US Bürger, besitzt in Los Angeles eine Flagge und einen Fahnenmast mit einer Spitze aus echtem Gold. Jeder Heifetz Schüler muss in der Lage sein, die Flagge korrekt zu hissen und zusammen zu legen. Publikumswirksam möchte Heifetz eine Aluminiumgeige aus seinem Besitz nach einem Auftritt einschmelzen lassen, um der Industrie Metall zur Verfügung zu stellen. New Yorks Bürgermeister hat eine bessere Idee.Er versteigert das Instrument für eine horrende Summe und kauft vom Erlös Aluminium für die Waffenproduktion. In Lagern der Truppen treten Künstler auf. Auch Heifetz. Allein: der vermeintlich unterkühlte Heifetz vor Truppen? Passt das? Heifetz gesteht erstmals vor einem Auftritt echte Bühnenangst. Kritiker spötteln: andere sähen so aus, als spielten sie für 1000 Freunde, Heifetz sehe so aus, als müsse er 999 davon erschießen. Tatsächlich beginnt Heifetz das Konzert mit schwerer Kost und einer vermeintlich defensiven Ansage: „Ich spiele Bach, keine Angst. Ach ja, wenn Sie Bach nicht mögen, ich spiele ihn trotzdem…“ Das Konzert wird ein riesiger Erfolg. Dass die Gis Heifetz lieben, liegt auch an seinem Radioauftritt mit dem Komiker Jack Benny. Jack Benny ist selbst Geiger, und fragt Heifetz während einer Truppen-Show, ob er mal mitspielen dürfe… Musik 8, 4.24 Jascha Heifetz und Jack Benny spielen Jeanette Mc Dowells „to a wild Rose“ Bell Telephone Hour The Bell Telephone Hour Orchestra, Donald Vorhees CD Heifetz Never-Before-Published and Rare Live Recordings 6 Cembal d`amour CD122 Komiker Jack Benny und Jascha Heifetz spielen während des 2. Weltkrieges in der Bell Telephone Hour ein schräges Duett: „To a Wild Rose“. Das Publikum genießt hörbar den absurden Spaß, der Heifetz beängstigende Perfektion und die Aussichtslosigkeit jedes anderen Geigers demgegenüber ziemlich treffsicher ironisiert. Als Jack Benny Heifetz anschließend fragt, ob man nicht häufiger mit dem Sketch auftreten solle, in amerikanischen Shows, antwortet Heifetz abschlägig: „So etwas nur für die Truppen, Mr. Benny.“ 9 Tatsächlich springt Patriot Heifetz für die Truppen häufiger über seinen Schatten, fraternisiert. Wenn man Heifetz zum Essen ins Offizierskasino einlädt, bemerkt er knapp: ich bin hier für die Truppen, also esse ich mit den Jungs im Camp. Auf Nachfrage spielt er Stücke, die er eigentlich nicht ausstehen kann. Mit einem resignierten: „ob ich mag oder nicht, muss wohl sein“ quittiert er Soldatenwünsche staubtrocken und spielt danach dennoch zum Steinerweichen schön. Als Heifetz in einem Militärlager in Europa musiziert, stehend auf der Pritsche eines Lastwagens, warnen während des Konzerts Sirenen vor einem Luftangriff. Die trainierten Soldaten springen routiniert unter die nächste Deckung, ein GI reisst Heifetz die Guarneri aus der Hand. Heifetz bleibt etwas ratlos zurück, nichts passiert. Als er wenig später die Guarneri zurückbekommt, entschuldigt sich der junge Soldat: Mr. Heifetz, ich wollte doch nicht, dass ihrer teuren Geige etwas geschieht… Musik 9 Cyrill Scott „Bygone Memories“ aus Talahassee Suite Jascha Heifetz, Bell Telephone Orchestra/Donald Vorhees CD Jascha Heifetz Miniatures 1 LC 05537 Naxos 8.111379 V-Discs werden diese Schallplatten genannt, nach dem Victory V, der Siegesgeste von Winston Churchill mit Zeige und Mittelfinger. Jascha Heifetz produziert eine ganze Reihe Schlager für diese V Discs, die limitiert nur für amerikanische Soldaten gepresst werden. Bygone Memories hiess das Stück gerade, verflossene Erinnerungen, und mancher Weltkriegs Kämpfer dürfte vor dem Truppenradio einige Tränen vergießen beim Gedanken an daheim. Tränen werden auch daheim im Hause Heifetz fließen. Das Leben als Hausfrau hat für Ex Hollywoodstar Florence kein Happy Ending. Jascha Heifetz, ohnehin selten zu Hause reicht 1945 die Scheidung ein. All die idyllischen Familienfotos für die Presse Makulatur… 10 Musik 12, 3.54 George Gershwin, arr. Heifetz My Man´s gone now Jascha Heifetz Emanuel Bay CD: Jascha Heifetz Miniatures LC 12281 Membran Music, Ordernr. 232673