Am Puls des Tagesgestirns - Spektrum der Wissenschaft

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THEMEN DER WISSENSCHAFT
Didaktisches Material zu den
folgenden drei Beiträgen:
www.wissenschaft-schulen.de
und www.suw-online.de
Am Puls des Tagesgestirns
Die Sonne ist voller Töne. Mit Beobachtungen von Schwingungen ihrer Oberfläche können Astronomen diese Töne erforschen – und gewinnen daraus Einblicke in das Innere unseres Sterns. Auch für Vorhersagen des Weltraumwetters sind die Beobachtungen nützlich.
A
Tiefe Schwingung
Im Jahr 1974, mehr als ein Jahrzehnt nach
der Entdeckung Leightons, war die Ursache der Oszillation noch immer rätselhaft. Die meisten Astronomen vermuteten, dass es sich bei den Schwingungen
um lokale Phänomene auf der Sonnenoberfläche handelte. Als Außenseiter unter den Theorien galt die Vorstellung, dass
die Oszillationen auf der Oberfläche die
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STERNE UND WELTRAUM
sichtbaren Anzeichen von Eigenschwingungen sind, die das gesamte Volumen
der Sonne erfüllen: Stehende Schallwellen, für die das Sonneninnere einen akustischen Resonator darstellt. Demzufolge
würde die Sonne in gewisser Weise einer
Orgelpfeife ähneln, die aufgrund stehender Schallwellen klingt. Macht die Sonne
Musik?
Wie Johann Reiter in diesem Heft ab
Seite 33 schildert, gelang es Franz-Ludwig
Deubner, eine Antwort auf diese Frage zu
finden. Er erkannte, dass die Schwingungen ganz bestimmte Kombinationen von
Wellenlängen und Frequenzen aufweisen – genau wie von der Theorie solarer
Eigenschwingungen vorhergesagt. Die
Fünf-Minuten-Oszillation ist ein Klang
aus der Tiefe der Sonne.
Rätselhafte Sonne
Dreißig Jahre nach Deubners Entdeckung
ist die Helioseismologie zu einem aufregenden Gebiet der Astronomie geworden. Ihr Gegenstand ist es, aus Beobachtungen der Fünf-Minuten-Oszillation
und ähnlicher Schwingungen die Rotation, Strömungen sowie die Struktur und
Temperaturen im Inneren der Sonne zu
ermitteln. Sogar über den Ursprung des
solaren Magnetfelds, und damit des Sonnenzyklus, könnte man mit dieser Technik etwas lernen. Davon berichtet Markus Roth in diesem Heft ab Seite 24.
Neue Erkenntnisse über das Innere
der Sonne sind dringend erwünscht. Seit
mehr als einem Jahrhundert wissen wir
zwar recht genau, wie hell, massereich
und groß die Sonne ist (siehe Tabelle). Welche Verhältnisse jedoch in ihrem Inneren
herrschen, konnte bis vor kurzem allein
mit Modellen erschlossen werden. Unter
der Voraussetzung, dass die Sonne eine
Gaskugel ist, kann man mathematische
Modelle ihres Inneren berechnen. Einen
ersten Versuch machte Jonathan Homer
Lane vom US-Amerikanischen Patentamt im Jahr 1869. Er nahm an, dass sich
die Sonne im hydrostatischen Gleichgewicht befindet, sich also an jedem Punkt
in ihrem Inneren der Gasdruck und die
Schwerkraft der äußeren Schichten die
Waage halten. Diese Annahme liegt bis
heute den Modellen zugrunde.
Kernreaktionen
Das größte Rätsel der Sonnenforschung
war die Frage, woher die Sonne ihre unvorstellbar große Energie bezieht. Im Jahr
1920 schlugen Arthur Eddington in Cambridge und Jean Perrin in Paris vor, dass
die Strahlung der Sonne auf der Umkehrung des radioaktiven Zerfalls von Atomen beruht: Wird Energie frei, wenn sich
die Atome von Wasserstoff zu denen des
Heliums verbinden? Bei den für den Sonnenkern erwarteten hohen Werten von
Druck und Temperatur schien diese Möglichkeit zu bestehen. Im Jahr 1934 gelang
es Hans Bethe und Carl-Friedrich von
Weizsäcker, mit der Theorie der ProtonProton-Kette einen detaillierten Mechanismus aufzuzeigen, der diese Atomumwandlung erklärt. Heute wissen wir, dass
die Freisetzung von Energie durch die
Umwandlung der Atome von Wasserstoff
in die Atome von Helium über Milliarden
von Jahren die Leuchtkraft der Sonne liefern kann.

m 20. September 1974 machte
das Wetter auf Capri dem Astronomen Franz-Ludwig Deubner einen Strich durch die Rechnung. Eigentlich hatte der Forscher des Freiburger
Fraunhofer-Instituts für Sonnenphysik
mit dem dort aufgestellten Teleskop das
Magnetfeld an der Sonnenoberfläche
messen wollen. Voraussetzung dafür ist
ein gutes »Seeing«, also eine sehr ruhige Luft. An diesem Tag war die Luft über
der italienischen Insel jedoch so turbulent, dass die hohe Winkelauflösung,
welche für diese Messungen erforderlich
ist, nicht zu erreichen war. Für Deubner
war das kein Grund zur Verzweiflung. Im
Gegenteil: Er nutzte die Gelegenheit, um
Messungen für ein anderes Projekt zu machen, das weniger Ansprüche an die Winkelauflösung der Beobachtungen stellte.
Bereits im Jahr 1960 hatte er mit dem
Sonnenteleskop auf dem Schauinsland
(Schwarzwald) bei Geschwindigkeitsmessungen eine seltsame Beobachtung
gemacht: Einzelne Bereiche der Sonnenoberfläche schienen sich im Takt weniger
Minuten rhythmisch zu heben und dann
wieder zu senken. Handelte es sich dabei
tatsächlich um eine Schwingung der Sonne, oder war es das Ergebnis eines Nachführfehlers des Teleskops? Deubner hatte
letzteres für wahrscheinlicher gehalten
– und eine Sensation verpasst. Denn nur
wenige Monate später hatte der amerikanische Physiker Robert Leighton die Entdeckung dieser »Fünf-Minuten-Oszillation« der Sonne bekannt gegeben.
VON GÖTZ HOEPPE
Die Sonne in Kürze. (Quelle: Kenneth R. Lang)
Radius R
6.96  108 m
(109 Erdradien)
Masse M
1.99  1030 kg
(300 000 Erdmassen)
Mittlere Dichte
1.41 g/cm3
Mittlere Entfernung
1.496  108 km
Leuchtkraft L
3.85  1026 Watt
Winkeldurchmesser
32 Bogenminuten
Temperatur
der Photosphäre
5780 Kelvin
Alter
4.55 Milliarden Jahre
August 2004
30.6.2004 20:25:26 Uhr
Protuberanz
8000 Kelvin

Granulation
Konvektionszone
105 bis 106 Kelvin
Photosphäre
5780 Kelvin
Strahlungszone
106 bis 107 Kelvin
Kern
1.57  107 Kelvin
Chromosphäre
8000 Kelvin
Sonnenflecken
Korona
105 bis 107 Kelvin
Ein Stern im Computer
In den fünfziger Jahren gelang es erstmals
mit dem Computer, ein detailliertes Modell der Sonne zu berechnen. Ergebnisse
verschiedener Forschergruppen stimmen
heute so weit überein, dass man von einem Standard-Sonnenmodell sprechen
kann (siehe Abb.). Demzufolge finden
die Kernreaktionen im inneren Viertel
des Sonnenradius statt. Im Zentrum beträgt die Temperatur 15.7 Millionen Kelvin. Von dort wird die frei gewordene
Energie zunächst durch Strahlung nach
außen transportiert, und im äußeren
Drittel durch Konvektion (ähnlich wie in
kochendem Wasser steigen dabei heiße
Gaspakete auf und kalte sinken ab). Bis
zur Photosphäre, der sichtbaren Sonnenoberfläche, nimmt die Temperatur bis auf
knapp 6000 Kelvin ab.
Auch wenn die Modelle auf die in der
Tabelle angegebenen integralen Eigenschaften der Sonne führen, ist damit
nicht bewiesen, ob sie den tatsächlichen
Verlauf von Temperatur, Druck, Dichte, chemischer Zusammensetzung und
Leuchtkraft widerspiegeln.
Neutrinos
mit Familienproblemen
Ausgerechnet der einzige Anhaltspunkt,
der als unmittelbares Signal des Sonneninneren gilt, hat die Astronomen über
drei Jahrzehnte in eine Krise gestürzt.
Bei den Kernreaktionen werden so genannte Neutrinos frei, massearme, elektrisch neutrale Elementarteilchen. Da diese kaum mit anderer Materie reagieren,
können sie nahezu ungehindert den Son-
nenkern verlassen, die restliche Sonne
durchqueren und nach etwa acht Minuten die Erde erreichen. Die Entstehungsrate der Neutrinos bei den Kernreaktionen im Sonnenkern hängt kritisch von
der Temperatur ab.
Seit den sechziger Jahren deuteten alle
Messungen auf eine Neutrinorate hin, die
unter den theoretischen Erwartungen
liegt. Sollte das Standard-Sonnenmodell,
immerhin ein Grundpfeiler der Astronomie, falsch sein? Wäre die Sonne im Zentrum kühler als vom Modell vorhergesagt, dann wäre die geringe Neutrinorate
nicht überraschend.
Allerdings konnte es für dieses solare
Neutrinoproblem auch eine nichtastronomische Lösung geben. Der 1985 vorgeschlagene Mikheyev-Smirnov-Wolfenstein-Effekt (MSW-Effekt) besagt, dass die
Neutrinos bei ihrer Reise von der Sonne
zur Erde periodisch ihre »Familie« wech-
Schema des inneren Aufbaus der
Sonne.
seln. Physiker sprechen von Neutrino-Oszillationen. Auch das würde zur Messung
einer geringeren Neutrinorate führen.
Zur Lösung dieses Rätsels hat die Helioseismologie einen wichtigen Beitrag geleistet. Sie ergab, dass die Temperatur der
Sonne im Zentrum tatsächlich 15.7 Millionen Kelvin beträgt – genau wie von den
Computermodellen gefordert. Damit waren die Astronomen als »Schuldige« des
Neutrinoproblems freigesprochen, noch
bevor es im Jahr 1999 Beweise für die
Neutrino-Oszillationen gab. Der MSWEffekt gilt heute als bestätigt. Der Familienwechsel der Neutrinos erklärt das solare Neutrinoproblem.
Weltraumwetter
Die Helioseismologie ist nicht nur für
die Grundlagenforschung wichtig. Sie ist
auch für die Vorhersage des Weltraumwetters nützlich, das von der Sonnenaktivität geprägt wird. Aktive Regionen
auf der Sonne sind die Ursache energiereicher Ausbrüche, deren Strahlung und
Teilchenschauer für Satelliten und Astronauten bedrohlich sein können und auf
der Erde die Kommunikation und Stromübertragung stören.
Mit der so genannten Far-Side-Helioseismologie, die von Doug Braun und
Charles Lindsey (beide heute bei NorthWest Research Associates in Boulder)
entwickelt wurde, ist es möglich, regelmäßig die Sonnenrückseite zu beobachten. Meist werden dazu die Daten des Satelliten SOHO verwendet, eines Projekts
von ESA und NASA. Die Technik ermöglicht, aktive Regionen zu beobachten, bevor sie aufgrund der Sonnenrotation auf
die Vorderseite gelangen und gefährliche
Ausbrüche verursachen. Die Vorwarnzeit des Auftretens großer, aktiver Regionen hat sich auf mehr als eine Woche
erhöht. Das reicht oft aus, um rechtzeitig
Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
□
Literaturhinweise
Rudolf Kippenhahn: Der Stern, von
dem wir leben, Deutsche VerlagsAnstalt 1990, Stuttgart. ISBN 3421-02755-2.
Kenneth R. Lang: Die Sonne – Stern
unserer Erde, Springer-Verlag
1996, Berlin, Heidelberg, New
York. ISBN 3-540-59437-X.
SuW-Special 4: »Sonne – Der Stern
in unserer Nähe«, Verlag Sterne
und Weltraum 1999, Heidelberg.
ISBN 3-87973-503-4.
Nach Abschluss seines
Studiums der Physik und
Astronomie in Göttingen und Albuquerque
(New Mexico, USA) sowie der Ethnologie in Berlin erforschte Götz Hoeppe die Welt indischer Fischer und schrieb darüber seine Dissertation. Seit Anfang 2003 ist er
Redakteur bei Sterne und Weltraum.
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30.6.2004 20:25:31 Uhr
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