Leseprobe

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März
1930
9. März 1930
Theaterskandal in Leipzig.
»Mahagonny« von Bertolt Brecht und Kurt Weill
Nach dem sensationellen Erfolg der »Dreigroschenoper« bei der Uraufführung im Herbst 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in
Berlin zeitigte die Zusammenarbeit zwischen Bertolt Brecht und
Kurt Weill wenig später ein nicht minder spektakuläres Ereignis der
modernen Operngeschichte. Es war die Uraufführung von »Aufstieg
und Fall der Stadt Mahagonny« am 9. März 1930 am Neuen Theater
in Leipzig. Was diese Oper der Brechtschen Intention nach von der
zwei Jahre zuvor gespielten unterscheidet, ist ihrem Untertitel zu
entnehmen: »Ein Versuch in der epischen Oper: eine Sittenschilderung«. Als der Text im gleichen Jahr als 2. Heft der »Versuche« abgedruckt wurde, gab ihm Brecht – typisch für seine Theaterarbeit –
»Anmerkungen« bei, die Einblick in sein theoretisches Denken bei
der Herausbildung eines »epischen Theaters« geben, denen eine
nicht minder theoretisierende Studie des Musikkritikers Theodor W.
Adorno unter dem Titel »Mahagonny« folgte, mit der die Aufführung
der Brecht/Weill-Oper in Essen vorbereitet werden sollte. In der Regensburger »Zeitschrift für Musik« war dagegen zu lesen: »Halloh,
meine sauberen Herren Brecht und Weill, Ihre Tage dürften wohl
ebenfalls so gezählt sein wie die Ihrer Abschaumstadt Magagonny.«
Auch in Leipzig waren vergleichbare Stimmen zu hören gewesen.
1930
März
Schauplatz des Geschehens ist diesmal die »Netzestadt«, die aber
für die dort aufeinander treffenden Männer vom Schlag Paul Ackermanns, eines Holzfällers aus Alaska, erst dann zur Bleibe wird, als er
und seine Freunde, der dort herrschenden Langweile überdrüssig,
eine neue Satzung verkünden, die ihren Lebensvorstellungen entspricht: Man muß alles dürfen können. Das heißt in dieser Männerwelt (die Hure Jenny macht die Ausnahme darin): Man darf so viel
fressen, saufen, lieben und kämpfen (im Boxring), wie man will,
selbst auf die Gefahr hin, sich dabei zugrunde zu richten. Nur ein
Vergehen wird bestraft: Geldnot. In dieser Situation aber gerät Paul
Ackermann: Er kann nicht mehr bezahlen, was er konsumiert hat.
Und er erkennt: »Die Freude, die ich kaufte, war keine Freude, und
die Freiheit für Geld war keine Freiheit.« Diese Szene trägt den Titel
»Hinrichtung und Tod des Paul Ackermann.« Die ihr nachfolgende,
die Oper beschließende, zeigt die »Netzestadt« in Aufruhr, bei dem
Inschriften getragen wurden, die in Leipzig zum Stein des Anstoßes
wurden: »Für die Freiheit der reichen Leute / Für die Tapferkeit gegen die Wehrlosen / Für die Ehre der Mörder (...)«. Gefolgt von dem
weitaus bekannteren Gesangszeilen: »Denn wie man sich bettet, so
liegt man / Es decket einen keiner da zu.«
Regie führte Walther Brugmann, der ebenso wie der Dirigent Gustav Brecher schon in den Jahren zuvor mit modernen Inszenierungen das Leipziger Publikum und einen Teil der hiesigen Presse in
Rage gebracht hatte. Die Bühnenbildner stammten von Caspar Neher. Die Uraufführung endete mit einem ungeheuren Tumult und
Skandal – nicht nur von Seiten mißmutiger Freunde der traditionellen Oper, sondern durch organisierte Störtrupps der Nazis. Tags darauf hetzte die »Leipziger Abendpost«: »Generalmusikdirektor Brecher treibt kommunistische Propaganda im Neuen Theater«.
Die Oper mußte auf amtlichen Beschluß aus den Abonnementsveranstaltungen genommen werden. Zuvor hatte am 11. März eine
Sitzung des »Gemischten Theaterausschusses« stattgefunden, auf
der verlangt wurde, die Oper abzusetzen, was aber durch Mehrheitsbeschluß verhindert werden konnte. Dennoch erhielt das Theater
die Auflage, »Milderungen und Kürzungen im Text« vorzunehmen.
Hans Natonek, der in einem Aufsatz in der »Neuen Leipziger Zeitung«
(unter dem Titel »Die Absetzung«) Position bezog, warnte vor derartigen Praktiken der politischen Einflußnahme auf den Theaterbetrieb, die einige Zeit später, im Februar 1933, zur sofortigen Absetzung des von Georg Kaiser verfaßten und wiederum von Kurt Weill
vertonten Dramas »Der Silbersee« führte. Leipzig aber ist mit der
Uraufführung von Brechts »Mahagonny« in die Operngeschichte des
20. Jahrhunderts eingegangen.
Klaus Schuhmann
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