Tabea Mahler Bachelor of Music Oper/Konzert und GP Musikgeschichte Vorlesung 30.06.2016 Protokoll Musik und die Medien Das Hören von Musik durch die Verwendung von Medien ist heutzutage, insbesondere im Bereich der Unterhaltungsmusik, selbstverständlich. Doch was ist eigentlich die Unterhaltungsmusik und wie unterscheidet sie sich von der ernsten Musik? Bei der Abgrenzung dieser beiden Bereiche voneinander gibt es unterschiedliche Möglichkeiten ebenso wie die Einordnung von Pop-Musik und Klassik oder die der populären Musik und Kunstmusik. Wann zum Beispiel begann die Pop-Musik? Mit dem Beginn der Jugendkultur Mitte des 20. Jahrhunderts oder bereits mit der Erfindung der Schallplatte? Welche Kriterien kennzeichnen Musik als ernste Musik oder Klassik? Wenn populäre Musik die Musik beschreibt, die von einer breiten Bevölkerungsschicht konsumiert wird, e infach rezipierbar ist, dann waren doch auch klassische Stücke populäre Musik? Ist die Spaltung durch die GEMA manifestiert worden und warum gibt es heute immer noch eine Wertigkeit und Hierarchie zwischen Klassik und Pop? Das Festival „Entertain Us“ (04.06.16) diskutierte diese Fragenstellungen. Weltmetropole Berlin Die 1920er Die technischen Innovationen des 20. Jahrhunderts sind insbesondere im Musik- und Filmbusiness enorm. Fernand Léger bezeichnet die Schnelligkeit des atemlosen und bewegtem Leben als neues Lebensgesetz. Im Jahre 1889 wurde das Grammophon zum ersten Mal öffentlich präsentiert und erreichte innerhalb kürzester Zeit große Beliebtheit, ebenso wie der erste lippensynchrone Sprechfilm 1903. 1922 haben in Berlin bereits 70 Plattenfirmen ihren Hauptsitz, 1931 erscheint die erste Tonfilmoperette „Die Drei von der Tankstelle“. Doch nicht nur die Technik entwickelt sich weiter, sondern auch die Musik: Das Kabarettmilieu Berlins entsteht 1901 mit der Eröffnung des „Überbrettl“ und wird zusammen mit der Gattung der Operette maßgeblich für das Nightlive der Berliner in den 1920ern. Doch was passiert mit Kunstwerken und ihrer Aura im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit? Walter Benjamin warnt vor der Vermassung der Kunst, durch die keine angemessene Betrachtung und Wertung mehr möglich ist. Der neue Opernstil der „Zeitoper“ entsteht, eine Suche nach neuer Sachlichkeit, Klarheit und Präzision der Tonsprache und eine Abkehr von der romantischen Oper. Der Komponist Kurt Weill (1900-1950), fasziniert von den Möglichkeiten des Films und der neuen Schnelligkeit des Alltags, will die für ihn tote Gattung der Oper erneuern mit dem Ziel eine breitere Masse anzusprechen. Zusammen mit Berthold Brecht (1898-1956), der als Libretto einen englischen Text von John Gay (1728) bearbeitet, komponiert er das 1928 uraufgeführte Zeitstück „Dreigroschenoper“, die ein riesiger Erfolg wurde. -1- Tabea Mahler Bachelor of Music Oper/Konzert und GP Musikgeschichte Vorlesung 30.06.2016 Protokoll Die Handlung spiegelt sowohl musikalisch als auch personengebunden die Berliner Szene wieder: In den Titelrollen spielen Kriminelle, Prostituierte und Bettler; die Musik, hier am Beispiel der Ouvertüre, ist ein Antistück zur klassischen Tradition in ihrem Musikstil und ihrer Besetzung. Ein Sprecher moderiert die einleitende Handlung während des instrumentalen Vorspiels mit Ironie und PseudoPathos, die Balladen werden teilweise rezitierend vorgelesen, einem Sprechgesang ähnelnd. Beeinflusst von Tanzmusik und einem einfachen Lied-Stil, sind sie komplementär zu den Arien der bekannten Opernszene, insbesondere zu dem dominant vorherrschenden Wagnerismus der Zeit. Kurt Weills Musiksprache wird daher auch als neoklassisch beschrieben. Das Stück endet mit einem Happy End, dem eine Warnung folgt. Weill entscheidet sich zur Nachahmung eines Bach-Chorals, angelehnt an Bachs Passionen, um der Warnung vor der Realität Ausdruck zu verleihen. Denn während die Vergnügungsindustrie boomt zerbricht Deutschland an einer Wirtschaftskrise. Der verlorene Erste Weltkrieg und die hohen Reparationskosten führen zu Arbeitslosigkeit und Inflation, die Kriminalität und die Unzufriedenheit mit der neuen demokratischen Regierungsform steigen. Das Triptychon „Großstadt“ von Otto Dix (1927/28) stellt provokativ die beiden kontrastierenden Seiten von Vergnügungssucht und Weltwirtschaftskrise gegenüber. Die politischen Randbereiche radikalisierten sich, das Dritte Reich entsteht. Die 1930er In der NS-Zeit wird die Musiküberlieferung politisch gelenkt. Viele Komponisten wie zum Beispiel Kurt Weill fliehen und emigrieren in die USA. Ihre musikalischen Innnovationen gehen ein in die amerikanische Filmindustrie und Kulturszene, während Deutschland kulturell brach liegt. Die Ambitionen Richard Strauss‘, der 1934 das Amt des Präsidenten der Reichsmusikkammer innehat und anderer weltberühmter Komponisten und Dirigenten ändern an den musikalischen Einschränkungen der Zeit nichts. Musik dient als Propagandamittel, wie Dr. Josef Goebbels 1934 betont, und hat den Zweck der völkischen Erziehung. Der mediale Fortschritt ruht unterdessen nicht und wird durch die Nationalsozialisten bewusst gefördert. ( siehe WIE- Vorlesung 05.11.15 Musikbeispiel „Es ist ein Ros‘ entsprungen“) 2. Weltkrieg 1939-1945 Die 1950 - 60er Der bereits im Nationalsozialismus zentrale Begriff der „Jugend“ führt nach dem 2. Weltkrieg zu der Entstehung einer neuen Rezipienten Gruppe, die sich das Musikbusiness zunutze macht. Pop -Musik, Jazz und Rock ‘n Roll erobern Deutschland. Der mitreißende und energiegeladene Bass der auf afroamerikanischer Tanztradition basierenden Tanzmusik wird Ausdruck der Jugendlichen für die Rebellion gegen die eigenen Eltern und das kulturelle Erbe, das diese totalitär und autoritär erzogene -2- Tabea Mahler Bachelor of Music Oper/Konzert und GP Musikgeschichte Vorlesung 30.06.2016 Protokoll Generation ihren Kindern hinterlässt. Die Provokation steht hierbei im Vordergrund: Stars wie Elvis Presley, die Beatles oder Rolling Stones in der Musikindustrie und Schauspieler wie James Dean in der Filmindustrie werden zu vergötterten Idolen. Lange Haare, Musikfestivals und Drogenkonsum sind ein weiterer Teil dieser Provokation, ebenso wie die unkontrollierbare Hysterie vieler Fans. Im Kalten Krieg spaltet sich Deutschland jedoch nicht nur territorial sondern auch kulturell. Während das besetzte Westdeutschland mit den westlichen Musikmärkten und Plattenfirmen zusammenarbeitet, versucht Ostdeutschland den Kontakt zu unterbinden. Die Sputniks, ein Gesangsensemble nach dem Vorbild der Beatles mit gecoverten amerikanischen Songs, wird verboten. Als Begründung diente die instrumentalisierte Berichterstattung über Musikfestivals in Westdeutschland, als politischer Hintergrund ist die Loslösung von der westlichen Welt im Kalten Krieg zu sehen. Mit der 30 minütige Fernsehsendung des „Beat-Club“ erklingt ab 1965 jeden Samstag Livemusik für die Jugendlichen der BRD und macht die Pop-Musik salonfähig. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Verbreitung von Musik mit dem Beginn der Notenschrift über den Musikdruck hin zu den medialen Möglichkeiten des 20. Jahrhunderts eng verbunden ist. Die Entwicklung der Technik und den Medien ohne Musik und andersherum ist nicht vorstellbar. -3-