Protokoll Musikgeschichte 1 – Prof. Dr. Meine Vorlesung vom 29.10.15 Die zweite Vorlesung in der Reihe „Musikgeschichte 1“ befasste sich mit der Fragestellung „Wo erklingt Musik?“. Dazu wurden zunächst allgemeine Überlegungen zur Rolle des Raums in der Musik in Geschichte und Gegenwart gemacht, angefangen bei den Ursprüngen europäischer, heute überlieferter Musik in Klöstern und Kirchen im frühen Mittelalter. Im Gegensatz zum Leben in den Klöstern wurde im Familienleben später die Kammermusik (da aufgeführt im Wohnraum) als Gegenstück zur kirchlichen Musik eingeführt. Außerdem war Musik auch oft auf bestimmte Orte zugeschnitten, einerseits durch verschiedene Besetzungsgrößen (Sinfonieorchester vs. Streichqaurtett), andererseits durch ortsgebundene Anlässe (Gottesdienste, Volksfeste etc.). Der Aufführungsort wirkt sich außerdem auf die Anzahl der überlieferten Werke aus, da beispielsweise Musik aus historischen Städten in größerem Umfang als solche aus bäuerlichen Regionen tradiert ist. Des Weiteren wurde darauf eingegangen, dass Musik bei heutiger globaler Verfügbarkeit in weit mehr Orten verfügbar ist und die Rolle des Raums in der Musik zu einem neuen Forschungsobjekt wird, angefangen bei veränderten Erwartungshaltungen (Beispiel: Oratorium in einer WG), bis hin zu vorgestellten/entstehenden Räumen „im Kopf“ (Beispiel: Edgar Vare?ses – Ameriques, siehe Vorlesung 1). Der als „Spatial Turn“ bezeichnete Paradigmenwechsel bezeichnet demnach neben dem Parameter der Zeit den Einbezug des Raums als Forschungsobjekt, der sich auch auf viele andere soziokulturelle Disziplinen auswirkt (philosophische Themen, Genderstudies). Der weitere Verlauf der Vorlesung wird an dieser Stelle in 6 Themebereiche unterteilt: 1.Musik in Kloster und Kirche 2.Musik in Opern / Konzerthäusern 3.Musik in Disco, Kneipe, Verein 4.Musik im Freien, auf Festen 5.Musik im Haus 6.Musik im Kopf 1. Musik in Kloster und Kirche: Die ersten Überlieferungen von Musik in Mitteleuropa stammen aus Klöstern und Kirchen, da geistliche Gesänge vor allem in der christlichen Kultur verbreitet waren und wurden und verschiedene Zwecke erfüllen, da sich die Menschen beispielsweise durch „engelsgleichen“ Gesang dem Himmel näher fühlten und dieser auch das Gemeinschaftsgefühl stärkte, wobei zu beachten sei, das bis zu den Reformen Martin Luthers lediglich Geistliche sangen. Die Klöster trugen erheblich zur Verbreitung der christlichen Lehre bei und vergrößerten sich, da viele Menschen in ein Kloster eintraten in der Hoffnung der Hölle entgehen zu können. Des Weiteren wurden durch Abschriften Wissen und Kultur, und dadurch auch die Musik konzentriert, weiterentwickelt und verbreitet. Die Rolle der Musik steigt besonders durch den strengen Tagesablauf von Nonnen und Mönchen, in den feste Zeiten für Psalmengesänge eingebunden waren. Als Beispiel wurde die Klosterabtei St. Gallen in der Schweiz gewählt (Jahres und Ortsdaten sind der begleitenden Präsentation zu entnehmen), von der viele und die frühesten schriftlichen Überlieferungen von Musik stammen. Anhand eines Gebäudeplans (siehe Präsentation) wurde ersichtlich, dass Klöster durch Einrichtungen wie Handwerks-, Kranken- und Schulhäuser im frühen Mittelalter die Zentren des Lebens darstellten. Eine weitere wichtige Entwicklung im 9. Jh. stellt die Einführung der in den Klöstern ausgearbeiteten Neumennotation dar, deren „Noten“, die Neumen, vermutlich aus den Dirigierbewegungen frühmittelalterlicher Leiter von Sängergruppen hervorgingen. Sie ermöglichte durch neue agogisch genaue Aufzeichnung die Weiterentwicklung des gregorianischen Gesangs zur Sequenz. Hierzu wurde das Musikbeispiel „Natus ante seacula“ (dt.: „Geboren vor den Zeiten“, Zu Weihnachten) angeführt. (Text und Übersetzung unter www.e-sequenz.eu zu finden) Auf die besonderen Klangeigenschaften eines Kirchen-/Klosterraumes wurde durch das Beispiel der ältesten Hallenkirche Deutschlands, der Bartholomäuskapelle in Paderborn eingegangen, die sich aufgrund ihrer Kuppelkonstruktion durch eine einzigartige Akustik auszeichnet. Der erste Themenbereich wurde damit abgeschlossen, dass aus diesen Tatsachen geschlossen werden kann, dass sich in Kloster und Kirche als Zentren der Gesellschaft viele liturgische Gattungen herausbildeten, diese Orte jedoch auch großen Einfluss auf die Geschichte der Akustik haben und für die Überlieferung von Musik von großer Bedeutung sind. 2. Oper & Konzerthaus: Die Oper wurde zunächst besonders zu fürstlicher Selbstdarstellung genutzt, besann sich inhaltlich auf antike Dramen zurück. Auf mögliche gesellschaftliche Aspekte des Orts „Oper“ wird anhand von zwei Fotos von Bundeskanzlerin Angela Merkel aufmerksam gemacht, die diese jeweils 2008 und 2012 beim Besuch der Bayreuther Festspiele zeigen und somit auf die große Aufmerksamkeit der Gesellschaft hinweisen. Die frühen Aufführungen von Opern fanden meist in privaten Häusern statt, wobei als Beispiele einerseits das Werk Dafne.Favola drammatica (hier bereits alle Aspekte der frühen Oper enthalten) sowie Orfeo.Favola in musica (Musik: Claudio Monteverdi; Libretto: Alessandro Striggio) vorgestellt werden. Dabei wurde besonders darauf verweisen, dass Librettist und Komponist in den frühen Zeiten der Oper als gleichberechtigt angesehen wurden. Nach einiger Zeit führten die Familien Eintrittskarten ein (erstmals Nachweisbar bei „L'Andromeda, Benedetto Ferrari (Libretto) ) und Patrizierfamilien stellen sog. Impresarios Theatermanager – ein. Die Oper, noch immer auf kleinen Holzbühnen in Wohnhäusern aufgeführt, wird zum Geschäft, sodass nach einiger Zeit verschiedene Familien Opern anbieten und untereinander konkurrieren. Ein weiteres Beispiel für das „Geschäft“ Oper wurde durch La Didone. Opera Seria von Giovanni Busenello und Francesco Cavalli gegeben. Cavalli, eigentlich Sänger in der bedeutenden MarkusBasilka, der Privatkapelle des Dogen, schreibt Opern, da diese sich mehr rentieren. Als Gegenbeispiel zu den Opernhäusern, die den Palazzi von Patrizierfamilien hervorgegangen sind, wird das zur Aufführung von Stücken Richard Wagners gebaute Bayreuther Festspielhaus genannt, welches einem Amphitheater nachempfunden ist und über einen versteckten Orchestergraben verfügt, wodurch ein gewisser „magischer“ Effekt erzielt wird. Als Musikbeispiel wurde der Anfang vom „Rheingold“ von Richard Wagner verwendet, welcher sich durch einen 135 Takte langen Aufbau / langes Crescendo auszeichnet, auch unter der Fragestellung, inwiefern Wagner das Festspielhaus für seine Stücke konzipiert hat. Als Fazit des zweiten Themenbereichs wurde festgestellt, dass sich die Musik im Opern- und Konzerthaus besonders im 17. bis 19. Jh. an die europäischen Eliten richtete und Einfluss auf Gattungen wie die Oper, die Sinfonie oder das Konzert hat. 3. Musik in Diskothek, Kneipe, Club Diese Orte sind Teil der Jugendkultur seit den 1950er & -60 er Jahren. Zwar ist die Popmusik bereits der Teil der Musikhistorie, jedoch spielt sie in der Forschung kaum eine Rolle, auch da sie sich (Teilweise in „Gegenkulturen“) von der Klassik abgrenzen will. Des Weiteren spielen Medien und Konsum in der Popmusik eine weitaus größere Rolle als in der Klassik, da Popmusik vor allem durch moderne Speichermedien wie dem Internet an vielen Orten verfügbar ist. 4. Musik im Freien Für „Musik im Freien“ wurde als Beispiel Musik aus dem römischen Karneval „Noi, l‘amazone siamo“ / „Amazonen sind wir“ (1508) verwendet. Bei diesem geben sich Männer als Frauen aus und werben um „Männer“. Diese Art von Musik prägt zwar viele Lebenswelten und verbindet Kulturen, jedoch ist solche Musik kaum tradiert und sehr unerforscht. 5. Musik im Haus Musik im Haus hat vor allem im 18./19. eine große Tradition, so hatte das Haus oft öffentlichen Charakter, da berühmte Persönlichkeiten eingeladen wurden. Des Weiteren wurde vor allem Kammermusik aufgeführt, meist im eigenen Freundeskreis im Salon des Hauses. Auf diese Weise kommen privater und öffentlicher Raum in Kontakt. Als Beispiel für Salonmusik wurde eine Transkription der Mazurka op. 68 von Frederic Chopin für Gesang und Klavier von Pauline Viardot-Garcia, einer Bekannten von Chopins Lebensgefährtin George Sands, gewählt. Pauline Viardot stammt aus einer berühmten Sängerdynastie, wurde selbst eine europaweit bekannte Sängerin und Komponistin. 6. Musik im Kopf Mit „Musik im Kopf“ wird die Vorstellungskraft und die Fähigkeit des Hörers, sich in eine „eigene“ Welt, inspiriert und geformt durch den Klang der Musik, zu versetzen. Hier wird erneut auf das Stück Ameriques von Edgar Vare?se verwiesen (vgl. Vorlesung 1), der in seinem Stück seine Klangeindrücke von Hudson und East River zu einem für den Hörer als „Klangstrom“ erlebbaren Werk vereint und bei diesem ein Bild im Kopf hervorruft, ihm die Möglichkeit gibt, durch die Musik an diesen Ort zu „reisen“. Fazit: Insgesamt fällt auf, dass der Raum in der Musik zwar zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Disziplinen eine Rolle spielt und sich seine Bedeutung verändert, er jedoch einen zentralen Bestandteil der Musikgeschichte ausmacht, da er unsere Musikwahrnehmung und viele andere gesellschaftliche Bereiche beeinflusst. Matthias Dennemann (1. Semester, Musikübertragung)