"Schon aus sittlichen Gründen ..."

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Das Attentat vom 20. Juli 1944
"Schon aus sittlichen Gründen ..."
Ohne Claus Schenk Graf von Stauffenberg wäre das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 nicht erfolgt.
Hätte der Offizier Erfolg gehabt, hätten viele Millionen Menschen den sinnlosen Krieg und den Holocaust
überlebt.
Von Hans Mommsen
Der deutsche Offizier und spätere Widerstandskämpfer Claus Graf
Schenk von Stauffenberg in einer Aufnahme aus den dreißiger Jahren.
Archivfoto: dpa
Hätte das Attentat des Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf
Hitler Erfolg gehabt, hätten viele Millionen Tote, die der sinnlosen Fortsetzung eines längst verlorenen Krieges geopfert wurden, überlebt. Nachdem Hitler die Explosion in der Lagerbaracke
der Wolfsschanze mit leichten Verletzungen überstanden hatte,
wurde Stauffenberg zusammen mit Friedrich Olbricht, Albrecht
Ritter Mertz von Quirnheim und Werner von Haeften im Hof des
Bendlerblocks standrechtlich erschossen.
Danach ruhte der Diktator nicht, ihr Andenken auszulöschen. Heinrich Himmler ließ die in der Nacht auf
dem St.-Matthei-Friedhof in Berlin bestatteten Leichen ausgraben, verbrennen und ihre Asche über Feldern verstreuen.
Die Absicht, die Erinnerung an die Verschwörer zu zerstören, schlug ins Gegenteil um. Heute wird Stauffenberg als der mutige Attentäter und Führer des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 als Repräsentant
des "Anderen Deutschland" und Bewahrer der nationalen Ehre gefeiert.
Stauffenberg entstammte einem angesehenen schwäbischen Adelsgeschlecht, er war leidenschaftlicher
Soldat und zugleich ein Verehrer Stefan Georges. Er gehörte zu den begabtesten Generalstabsoffizieren
der Deutschen Wehrmacht.
Die Machtübernahme der Nazis begrüßte er, rückte aber bald in innere Distanz zum NS-Regime. Frühzeitig übte er Kritik an Hitler und dessen Führungsstil und war sich seit dem Angriff auf die Sowjetunion am
22. Juni 1941 darüber im Klaren, dass Deutschland in eine militärische Niederlage hineintrieb. Sarkastisch sagte er 1939: "Der Narr macht Krieg."
Aber er hoffte noch, dass es möglich sein werde, mit der "braunen Pest" nach dem gewonnenen Krieg
aufzuräumen. Selbst nach der verlorenen Schlacht vor Moskau hoffte er, dass die Fehlentscheidungen
Hitlers bei Anspannung aller Kräfte noch korrigiert werden könnten.
Dazu gehörte aber auch, dass die Unterdrückung der Ostvölker beendet und Hitlers Vorhaben, den russischen Staat zu zerschlagen und einen Rassenvernichtungskrieg zu führen, fallen gelassen wurde.
In der Überzeugung, dass der Krieg nicht länger gegen das russische Volk geführt werden dürfe, stimmte
Stauffenberg mit Generalmajor Henning von Tresckow überein, der zunächst als Generalstabsoffizier Ia
der Heeresgruppe Mitte, dann als Chef der Operationsabteilung tätig war.
Gegen Hitlers Willen wollten die zwei Offiziere eine russische Hilfswilligenarmee aufbauen. Sie wollten die
Völker der Sowjetunion für einen Befreiungskampf gegen das verhasste bolschewistische System gewinnen. Auch sollten die russische Zivilbevölkerung und die russischen Kriegsgefangenen besser behandelt
werden. Mit ihren Vorstellungen drangen sie jedoch nicht durch.
Erst als die militärische Lage sich extrem verschlechtert hatte, kam es zu Verhandlungen mit dem
kriegsgefangenen russischen General Andrej Wlassow über die Aufstellung einer Freiwilligenarmee, allerdings kam der Zusammenbruch der Ostfront dem zuvor.
Hitler zeigt Mussolini noch am Tag des Attentats das Führerhauptquartier.
Foto: Scherl
Den Hintergrund für diese Bemühungen bildete die Erkenntnis,
dass die hohen Verluste im Ostfeldzug immer weniger ausgeglichen werden konnten, sodass eine militärische Niederlage schon
aufgrund des demografischen Faktors unausweichlich war. Seit
der Schlacht um Moskau verlor die Wehrmacht in der Regel
mehr als hunderttausend Mann pro Monat.
Stauffenberg hatte den Angriff auf die Sowjetunion für einen unverzeihlichen Fehler Hitlers gehalten und betonte wiederholt,
dass der Feldzug auch bei besserer Führung nicht durchgestanden werden könne. Noch vor Stalingrad
plädierte er nachdrücklich dafür, einen Friedensschluss herbeizuführen, solange die militärische und politische Handlungsfähigkeit des Reiches noch gegeben war.
Da er im Generalstab nicht zuletzt für die Bereitstellung von "Ersatz" zuständig war, bedrückte ihn die
Last der Mitverantwortung dafür, täglich viele Tausende in den Tod zu schicken, ohne dass eine Perspektive zur Beendigung der Kampfhandlungen sichtbar war.
Durch die Berufung in den Generalstab des Heeres gelangte Stauffenberg in das militärische Entscheidungszentrum, und er erkannte, dass die von Hitler befohlenen Strategien die vorhandenen Kräfte immer
mehr überforderten. Die Bestrebungen Henning von Tresckows als Ia der Heeresgruppe Mitte, durch
Einwirkung auf die Armeebefehlshaber eine Reform der Spitzengliederung zu erreichen, die Hitler den direkten Einfluss auf die operativen Entscheidungen nehmen sollte, wurde von Stauffenberg voll geteilt.
Eine Unterredung mit Feldmarschall Erich von Manstein scheiterte jedoch. Manstein bemerkte anschließend abschätzig: "Er hat mir weismachen wollten, der Krieg sei verloren." Stauffenberg kommentierte:
"Das ist nicht die Antwort eines Generalfeldmarschalls."
Stauffenberg gab sich keinerlei Illusionen mehr hin. Er erkannte, dass eine Reform der Spitzengliederung
nicht erreichbar war. Ebenso wie Henning von Tresckow, mit dem er in diesen Monaten Kontakt aufnahm, war er überzeugt, dass die einzige Chance, einen totalen militärischen Zusammenbruch abzuwenden, in der Ausschaltung Hitlers mittels eines Attentats lag.
Die verbreitete Vorstellung, Hitler durch gemeinsame Demarchen der Generalität zum Nachgeben zu
bringen, hielt er mit Recht für völlig illusorisch, ebenso wie er später entsprechende Vorschläge Carl
Friedrich Goerdelers als absurd verwarf.
"Ich bin bereit, es zu tun."
Schon im Spätsommer 1942 sagte Stauffenberg, Hitler sei "der eigentliche Verantwortliche. Eine grundsätzliche Änderung ist nur möglich, wenn er beseitigt wird. Ich bin bereit, es zu tun".
Seit dem Frühsommer 1942 hatte Henning von Tresckow ein Netzwerk oppositionell eingestellter Offiziere ins Leben gerufen, das sich dem Tyrannenmord verschrieben hatte. Diese im Umkreis der Heeresgruppe Mitte entstehende zweite Opposition stand anfänglich nur mit der Widerstandsgruppe um Hans
Oster in der Militärischen Abwehr in Verbindung, doch nahm Tresckow schon im Herbst 1941 Kontakte zu
Beck auf, dem ehemaligen Generalstabschef, damals noch in der Absicht, die Chancen einer eventuellen
Verständigung mit Großbritannien auszuloten.
Seit 1943 knüpfte Tresckow, der nun auch Stauffenberg im Generalstab zu seinen Gesinnungsgenossen
zählte, enge Verbindungen zu Ludwig Beck und über ihn zur zivilen Opposition um Goerdeler.
Die Operation "Walküre"
Überraschend wurde Stauffenberg zum Ia der 10. Panzerdivision in Tunis ernannt. Er nahm an den
schweren Kämpfen in Nordafrika teil, doch endete die Abordnung schon nach wenigen Wochen, am
7. April 1943, mit seiner schweren Verwundung. Die schweren Verletzungen änderten nichts an seiner
Entschlossenheit, sich für eine Ausschaltung Hitlers einzusetzen.
Obwohl nur unzureichend wiederhergestellt, trat er als Chef des Stabes beim Allgemeinen Heeresamt im
Bendlerblock am 1. Oktober 1943 rasch in den Mittelpunkt des inzwischen von Tresckow und Olbricht
unter dem Deckmantel der Operation "Walküre" vorangetriebenen Putschvorbereitungen.
Stauffenberg war nun völlig überzeugt, dass der Krieg ohne weiteren Verzug beendet werden müsse.
Schon im August weihten ihn Olbricht und Tresckow in ihren Umsturzplan ein, der in der Ausnützung des
für den Fall eines Aufstandes unter den acht Millionen im Reichsgebiet lebenden Zwangsarbeiter entwickelten Einsatzplans des Ersatzheeres bestand - dem Unternehmen "Walküre".
Diese geniale Tarnung des Umsturzvorhabens ermöglichte es, Teile des militärischen Apparats in die logistischen Vorarbeiten einzuschalten. Nachdem Tresckow im November an die Front versetzt wurde, lag
die Vorbereitung des Umsturzes in erster Linie bei Stauffenberg.
Dieser begriff die geplante Verschwörung nicht als "Widerstand", sondern als "nationale Erhebung". Dabei stand ihm das Vorbild August Neidhard von Gneisenaus vor Augen, des preußischen Militärreformers,
auch vermittelt durch die Ideen Stefan Georges.
Zusammen mit seinem Bruder Berthold erwog er eine umfassende Erneuerung des Landes, die "in ganz
andere Lebensschichten reichen sollte als die Revolutionen von 1918 und 1933". Der Krieg, der ein "sinnloses Verbrechen" darstelle, musste zu einem Zeitpunkt beendet werden, da die militärische Handlungsfähigkeit des Reiches noch nicht verloren gegangen war.
Aus seiner militärischen Grundhaltung heraus betonte Stauffenberg die politische und gesellschaftliche
Verantwortung des Offiziers, den er als Diener des Staates betrachtete. Im Offizierskorps erblickte er
"den wesentlichen Träger des Staates und die eigentliche Verkörperung der Nation".
Sein an der idealistischen Sicht der preußischen Reform geschulter "Militarismus" stellte das Gegenteil
dessen dar, was er an Brutalisierung und moralischer Indifferenz täglich erlebte. In Reminiszenz an Gneisenau hob Stauffenberg die Verpflichtung des Offiziers zu öffentlichem Handeln und Verantwortung hervor.
Stauffenbergs romantisierende Sicht des Militärs schlug sich in der Erwägung nieder, dass das Offizierskorps nicht wie im November 1918 versagen und sich die Initiative aus der Hand nehmen lassen dürfe.
Die Wehrmacht, argumentierte er, sei schließlich "in unserem Staat die konservativste Einrichtung", die
aber "gleichzeitig im Volk verwurzelt" sei.
Die Befehlskette musste intakt bleiben
So gesehen, bestand die Aufgabe der Wehrmacht nicht nur darin, die drohende Niederlage abzuwenden,
sondern auch darin, den Staat vor dem Zerfall zu bewahren. Daraus folgte die Notwendigkeit, die Rückkehr zu Recht und Ordnung mittels eines vorübergehenden militärischen Ausnahmezustandes sicherzustellen, um die zu erwartenden Gegenkräfte gegen die angestrebte Übergangsregierung zu neutralisieren.
Eine unverkennbare Schwäche der Planungen lag darin, dass der Umsturz nur dann gelingen konnte,
wenn die militärische Befehlskette intakt blieb. Dies war in Paris und in Wien, wo der militärische Ausnahmezustand ohne größere Widerstände durchgesetzt werden konnte, der Fall, nicht jedoch im Reichsgebiet.
Es war kennzeichnend für den Umsturzversuch, dass die "politischen Beauftragten", entgegen den Vorstellungen Helmuth von Moltkes, den Militärbefehlshabern untergeordnet waren und dass gleichsam die
Vorschriften des preußischen Ausnahmezustands von 1860 erneut umgesetzt wurden.
Militärrevolution von oben
Es handelte sich also um eine Militärrevolution von oben. Es gab auch nicht ansatzweise Vorbereitungen,
die Bevölkerung sowie die einfachen Soldaten für den Umsturz, der anfänglich der Fiktion einer Ermordung Hitlers durch "frontfremde Parteiführer" folgen sollte, zu mobilisieren.
Die Erörterungen der zivilen Verschwörer, eine überparteiliche Volksbewegung ins Leben zu rufen, fanden
bei Stauffenberg und Beck, die in der Endphase eng zusammenarbeiteten, keine Resonanz. Unter den
bestehenden Bedingungen gab es wohl auch keine Möglichkeit, anders als durch den Rekurs auf den militärischen Obrigkeitsstaat zu verfahren, zumal die Verschwörer zunächst noch hofften, die Ostfront aufrechtzuerhalten.
In ihrer Auffassung von der politischen Führungsrolle der Wehrmacht stimmten Beck und Stauffenberg
überein, und so konnte Beck zum Hauptverbindungsmann Stauffenbergs zur zivilen Verschwörergruppe
werden und den Führungsanspruch des eigenwilligen Leipziger Ex-Oberbürgermeisters Carl Friedrich
Goerdeler begrenzen, der seine Aufgabe auch darin erblickte, zu verhindern, "dass die Generäle etwas
Politisches unternehmen".
Stauffenberg nutzte die Verzögerung, die sich aus dem wiederholten Scheitern des Attentatsvorhabens
ergab, um die Basis der Verschwörung im militärischen Apparat auszuweiten und zugleich die Kontakte
zur zivilen Opposition zu intensivieren. Es fehlte anfänglich nicht an Missverständnissen.
So rief seine Äußerung, gegenüber einem Vertrauensmann des Sozialdemokraten Wilhelm Leuschners
erhebliches Misstrauen hervor, dass "die geschichtlichen Leistungen des Adels" nicht über Bord geworfen
werden sollten.
Unzweifelhaft lehnte Stauffenberg die Rückkehr zu "Weimarer Verhältnissen“ und damit den parteienstaatlichen Parlamentarismus, nachdrücklich ab. Er war stark von korporatistischen Vorstellungen geprägt und näherte sich neokonservativen Ideengängen, wie sie im Kreisauer Kreis vorherrschten.
Indessen vermieden Stauffenberg wie Beck, sich direkt in die Pläne der zivilen Oppositionsgruppen einzuschalten. Für beide - darin waren sie sich mit dem Sozialdemokraten Julius Leber einig - stand die Notwendigkeit des Handelns im Vordergrund.
Daher verzichteten sie darauf, die zunehmenden Spannungen mit Goerdeler, der als Reichskanzler vorgesehen war, auszutragen. Der Leipziger Ex-Oberbürgermeister sah in den Militärs ein bloßes Vollzugsorgan der bürgerlichen Opposition. Goerdelers blauäugige Verkennung des schwindenden außenpolitischen Handlungsspielraums der Verschwörung stieß bei Stauffenberg auf Unverständnis.
Er blieb gleichwohl darum bemüht, Goerdeler weiterhin einzubinden, obwohl dieser noch immer das Attentat ablehnte und sich in der Haft zu der Vorstellung verstieg, in dessen Scheitern ein Gottesurteil zu
erblicken.
Erwägungen, den Westen doch noch zu einem Entgegenkommen zu bewegen, und die im letzten Moment
über Madrid aufgenommenen Kontaktversuche scheiterten auf der ganzen Linie. Im Gegensatz zu dem
noch immer in außenpolitischen Illusionen befangenen Goerdeler war sich Stauffenberg über die mangelnden diplomatischen Erfolgsaussichten völlig im Klaren.
Trotz allem musste der Umsturz um des Ansehen Deutschlands in der Welt gewagt werden. Mochten die
Erfolgsaussichten auch äußerst gering sein: "Schon aus sittlichen Gründen für die deutsche Zukunft"
musste man es versuchen.
Ohne Stauffenbergs unbeugsamen Tatwillen, seine moralische Energie und die Bereitschaft, sein Leben
für Deutschland zu opfern, wäre das Attentat des 20. Juli 1944 nicht erfolgt; und den Nachlebenden
bleibt nur, ihn in Ehrfurcht und Stolz in lebendiger Erinnerung zu halten.
Der Autor Hans Mommsen ist Historiker und einer der führenden Experten für den Nationalsozialismus
und den Holocaust. Mit seinen zahlreichen Werken prägte er die bundesdeutsche Zeitgeschichtsschreibung.
Süddeutsche Zeitung – 19.07.2008
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