Bachelorstudiengang Bachelorarbeit Pathologischer

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Angewandte
Psychologie
www.psychologie.zhaw.ch
Bachelorstudiengang
Bachelorarbeit
Pathologischer Mediengebrauch
Welche diagnostischen Aspekte eines pathologischen
Mediengebrauchs aus der Literatur erachten Praktikerinnen
und Praktiker als relevant für die Praxis?
Regula Baumann
Robin Staufer
Vertiefungsrichtung: Klinische Psychologie
Referentin: Sarah Genner, lic. Phil.
Zürich, Mai 2013
Zürcher Fachhochschule
Diese Arbeit wurde im Rahmen des Bachelorstudienganges am Departement P der Zürcher Hochschule für
Angewandte Wissenschaften ZHAW verfasst. Eine Publikation bedarf der vorgängigen schriftlichen Bewilligung durch das Departement Angewandte Psychologie.
ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Departement Angewandte Psychologie, Minervastrasse 30, Postfach, 8032 Zürich.
Danksagung
Wir möchten uns bei allen bedanken, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben.
Wir danken unserer Referentin, Frau Sarah Genner, die uns dieses Thema nähergebracht hat
und uns mit Ratschlägen bezüglich der Auswahl der Fachpersonen, der Auswahl der Literatur sowie bei inhaltlichen und formalen Aspekten der Arbeit unterstützt hat. Wir danken den
Fachpersonen Frau Angelika Baumann, Frau Christine Bühlmann, Herrn Franz Eidenbenz,
Frau Sandra Kull Engler, Herrn Renanto Poespodihardjo, Herrn Matthias Rauh, Frau Regine
Rust und Herrn Beat Wyss, die uns ihre Zeit zur Verfügung gestellt haben, um die Interviews
durchzuführen, welche diese Arbeit erst ermöglicht haben.
Abstract
Noch gibt es keine offizielle klinische Definition von Internetsucht – dennoch hat sich in der
Praxis eine Vorstellung von pathologischem Mediengebrauch etabliert. In dieser Arbeit wird
der Frage nachgegangen, welche Diagnosekriterien für pathologischen Mediengebrauch aus
der Literatur Praktikerinnen und Praktiker als relevant für die Praxis erachten. Des Weiteren
wird untersucht, ob Praktikerinnen und Praktiker aufgrund ihrer Erfahrung eigene Diagnosekriterien zur Erfassung von pathologischem Mediengebrauch generiert haben und ob sie
das Phänomen als eigenständige psychische Störung erachten, welche in die Diagnosemanuals aufzunehmen wäre. Der Gegenstandsbereich wird anhand von nichtstandardisierten Leitfadeninterviews mit Expertinnen und Experten verschiedener Suchtberatungs- und Suchtpräventionsstellen in der Schweiz erschlossen. Die gewonnen Daten werden mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet. Die Resultate der Untersuchung haben aufgezeigt, dass von
den Expertinnen und Experten vor allem Diagnosekriterien aus der Literatur als relevant
erachtet wurden, dass sie aber aufgrund ihrer Erfahrung auch eigene Diagnosekriterien generiert haben. Des Weiteren konnte dargelegt werden, dass die grosse Mehrheit der Praktikerinnen und Praktiker pathologischen Mediengebrauch als eigenständige psychische Störung
ansehen, welche in den Diagnosemanuals aufzunehmen wäre. Aus den Untersuchungsergebnissen geht hervor, dass eine Diskrepanz besteht zwischen der Tatsache, dass die Nachfrage
von Personen steigt, welche aufgrund ihres exzessiven Mediengebrauchs bei den Suchtberatungsstellen Hilfe suchen und dem Faktum, dass keine offizielle klinische Diagnose von pathologischem Mediengebrauch existiert.
Inhalt
1
1.1
1.2
1.3
1.4
1.7
1.8
Einleitung ............................................................................................................................................ 1
Ausgangslage ...................................................................................................................................... 2
Ziel der Arbeit .................................................................................................................................... 2
Abgrenzung ........................................................................................................................................ 2
Begriffsklärung ................................................................................................................................... 3
Abhängigkeitserkrankung ................................................................................................................. 3
Internet- und Computerspielsucht .................................................................................................. 3
Diagnosekriterien............................................................................................................................... 8
Diagnoseinstrumente ...................................................................................................................... 21
The Internet Addiction Test (IAT) ............................................................................................... 22
Die Computerspielabhängigkeitsskala (KFN-CSAS-II) ............................................................ 22
Skala zum Online-Suchtverhalten (OSV-S) ................................................................................. 23
Compulsive Internet Use Scale (CIUS) ........................................................................................ 23
Problematic Internet Usage Scale.................................................................................................. 24
Fazit und Forschungslücke ............................................................................................................ 24
Fragestellung und Hypothesen ...................................................................................................... 26
2.
2.1
2.2
Methode ............................................................................................................................................ 27
Beschreibung der Stichprobe ......................................................................................................... 27
Methode der Datengewinnung ...................................................................................................... 28
3.
3.1
3.2
Ergebnisse ....................................................................................................................................... 29
Beschreibung des Auswertungs-Verfahrens ............................................................................... 29
Darstellung der Ergebnisse ........................................................................................................... 31
4.
4.1
4.2
4.3
4.4
Diskussion ....................................................................................................................................... 56
Beantwortung der Fragestellung................................................................................................... 56
Interpretation .................................................................................................................................. 59
Methodenkritik ............................................................................................................................... 62
Ausblick ........................................................................................................................................... 63
1.5
1.6
Literatur ....................................................................................................................................................... 66
Anhang ......................................................................................................................................................... 70
I
Abbildungen
Abbildung 1: Ablaufmodell deduktiver Kategorienanwendung (Mayring, 2000)
II
30
Tabellen
Tabelle 1: Gegenüberstellung von Abhängigkeitskriterien. (Teske & Mücken, 2010, S.49)
14
Tabelle 2: Dichotomie im Erleben in Bezug auf intrapsychische und interaktive Funktionen.
(Schuhler & Vogelsang, 2012, S. 23)
20
Tabelle 3: Diagnostische Kriterien und Verhaltenssucht nach Brown (1993, 1997). (Waller
& Süss, 2012, S.4)
21
Tabelle 4: Angaben zu den Fachpersonen
28
III
Abkürzungen
DSM-IV / DSM-V
Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders 4/5
ICD-10 / ICD-11
International Statistical Classification of Diseases and Related Health
Problems
PIU
Pathological Internet Use
MUD
Multi User Dungeon
IAT
The Internet Addiction Test
KFN-CSAS_II
Computerspielabhängigkeitsskala II des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen
OSV-S
Skala zum Online-Suchtverhalten
CIUS
Compulsive Internet Use Scale
IV
1
Einleitung
Als Ivan Goldberg 1995 eine Scherzmail an einige seiner Kollegen versandte, war ihm wohl
kaum bewusst, was er damit auslösen würde (Hahn & Jerusalem, 2001). Seine Scherzmail beinhaltete Diagnosekriterien zu einer neuen Krankheit, der „Internet Addiction Disorder“, mit der Aufforderung, der „Internet Addiction Support Group“ beizutreten (Goldberg, 1996). Seine Diagnosekriterien basierten auf den Kriterien für Abhängigkeitserkrankungen des amerikanischen Diagnosemanuals DSM-IV. Zu seiner Überraschung erhielt er darauf zahlreiche Rückmeldungen von
Menschen, die sich in den Diagnosekriterien wiederfanden (Vukicevic & te Wildt, 2012). Kurz
darauf veröffentlichte Molly O'Neill in der New York Times einen Artikel mit dem Titel The Lure
and Addiction Of Life On Line (The New York Times, March 8, 1995), in dem sie die moderne
Krankheit Internetsucht beschrieb, an der nach Meinung einiger von ihr befragter Experten und
Expertinnen immer mehr Personen erkranken würden. Sie berichtete von Betroffenen, die Internetsucht mit Kokain- oder Alkoholsucht verglichen und deren Leben dadurch stark beeinträchtigt sei. Der Artikel stiess auf grosses Interesse in der Öffentlichkeit und wurde bald auch in der
Forschung aufgegriffen.
Als Pionierin der psychologischen Forschung über das Phänomen Internetsucht gilt die
Amerikanerin Kimberly Young. Sie empfahl 1996 zur Diagnose der Internetsucht die Diagnosekriterien des DSM-IV für pathologisches Spielen zu verwenden. Andere Autoren schlugen dagegen vor, Internetsucht anhand der Kriterien für substanzgebundene Abhängigkeiten zu diagnostizieren. Einigkeit darüber, welche Diagnosekriterien sich besser eignen, herrscht bis heute nicht.
Goldberg selbst spricht sich ironischerweise bis heute grundsätzlich gegen die Diagnose „Internetsucht“ aus (Hahn & Jerusalem, 2001).
Seit Mitte der Neunziger Jahre entwickelt sich das Internet stetig weiter. Videochats, Online-Computerspiele, Social Networks etc. bieten immer mehr Möglichkeiten zur Internetnutzung, zugleich bergen sie aber auch neues Suchtpotenzial. Auch in anderen Bereichen der interaktiven Technik gab es viele weitere Entwicklungen. Eine immer grösser werdende Auswahl an
Spielkonsolen mit einer hohen Anzahl an Spielen ist erhältlich, wobei der Fokus immer häufiger
auf das Online Gaming gerichtet ist. In der Mobilfunkindustrie wurden Smart Phones entwickelt,
die zusätzlich zum Telefonieren und dem Verfassen von SMS mit einer Vielzahl von Apps und
dem Zugang zum Internet über weiteres Suchtpotenzial verfügen.
1
1.1
Ausgangslage
Trotz der hohen Zahl der Forschungsarbeiten, die sich mit Abhängigkeiten von modernen Medien beschäftigen, hat bisher noch keine der Formen des pathologischen Mediengebrauchs Einzug
in die Diagnosemanuals gefunden. Weder im ICD-10 noch im DSM-IV finden sich spezifische
Diagnosekriterien zu Internetsucht, Computerspielsucht, Handysucht oder zu Medienabhängigkeit im Allgemeinen.
1.2
Ziel der Arbeit
Ziel dieser Arbeit ist es, in einem ersten Schritt zu eruieren, was die Literatur unter patho-
logischem Mediengebrauch versteht. Im zweiten Schritt soll anhand von Experteninterviews erfasst werden, wie hilfreich allfällige Definitionen in der Literatur für Praktikerinnen und Praktiker
sind, welche diagnostischen Aspekte eines pathologischen Mediengebrauchs sie als relevant und
praxistauglich erachten, ob sie den Einzug von Diagnosekriterien zu pathologischem Mediengebrauch in die Diagnosemanuals überhaupt als sinnvoll erachten und wenn ja, ob für die verschiedenen Subgruppen des pathologischen Mediengebrauchs die Erstellung eigener Diagnosekategorien oder die Erstellung einer Sammelkategorie zweckmässig wäre. Abschliessend werden die
wesentlichen Definitionen und diagnostischen Aspekte des pathologischen Mediengebrauchs
anhand einer Inhaltsanalyse eruiert und es wird diskutiert, ob aufgrund der Forschungsergebnisse
der Einzug einer oder mehrerer Diagnosekategorien zu pathologischem Mediengebrauch in die
Diagnosemanuals sinnvoll wäre.
1.3
Abgrenzung
In dieser Arbeit wird nicht auf die Ätiologie und die Behandlung pathologischen Medien-
gebrauchs eingegangen. Ebenso wenig werden historische Aspekte des Mediengebrauchs berücksichtigt. Komorbiditäten mit anderen psychischen Krankheiten werden in dieser Arbeit nicht
thematisiert. Bei der Erfassung der Definitionen und der Diagnosekriterien des pathologischen
Mediengebrauchs wird kein Fokus auf die Unterschiede verschiedener Medienformen, wie Onlinesucht, Computerspielsucht oder Handysucht, gelegt. Fernsehsucht wird in dieser Arbeit nicht
mit eingeschlossen – einerseits, weil sich diese Arbeit mit interaktivem und nicht mit passivem
2
Mediengebrauch beschäftigt, andererseits, da Fernsehsucht in den meisten aktuelleren Forschungsarbeiten rund um das Thema pathologischer Mediengebrauch nicht thematisiert wird.
1.4
Begriffsklärung
Im Folgenden wird auf Definitionen eingegangen, welche für das Thema von Relevanz
sind. Es werden die Begriffe „Abhängigkeitserkrankung“, „Internet- und Computerspielsucht“
sowie „pathologischer Mediengebrauch“ erklärt und voneinander abgegrenzt. Es sei in diesem
Zusammenhang erwähnt, dass viele Autoren, welche in diesem Feld Forschung betreiben, nicht
auf Definitionen eingehen, sondern sich auf Diagnosekriterien beschränken, die im nächsten Kapitel genauer beschrieben werden. Byun et al. (2009) bemerken dazu:
However, while Internet addiction has received attention from studies in various fields,
no clear definition currently exists. Some researchers have adapted substance use disorder, while others reference pathological gambling, resulting in an inconsistent defi nition
of Internet addiction. Many researchers, due to the complex nature of the topic, do not
provide a clear definition of Internet addiction. (S. 204)
Abhängigkeitserkrankung
Rehbein et al. (2009, S. 12) definieren das wesentliche Merkmal jeglicher Abhängigkeitserkrankung wie folgt: „Als Kennzeichen einer jeden Abhängigkeitserkrankung gilt die Aufrechterhaltung des Suchtmittelkonsums bzw. des Suchtverhaltens trotz negativer Konsequenzen.“
Eine Abhängigkeitserkrankung liegt dann vor, wenn eine Person eine bestimmte Anzahl an Kriterien erfüllt, welche im ICD-10 bzw. dem DSM-IV aufgeführt sind. Da diese Kriterien im nachfolgenden Kapitel genauer definiert werden, reicht die Definition von Rehbein et al. als Arbeitsdefinition aus.
Internet- und Computerspielsucht
Im Folgenden wird auf Definitionen zur Internet- und Computerspielsucht eingegangen.
Es hat sich gezeigt, dass in der Literatur meist nicht zwischen Internetsucht und Computerspielsucht unterschieden wird. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Mehrpersonen-Online-Spiele am
weitesten verbreitet sind und es in der therapeutischen Arbeit am häufigsten um diese Erschei3
nung der Internet-Pathologie geht (Schuhler & Vogelsang, 2012), bei der Spiel und Internet zusammentreffen. Da es in diesem Zusammenhang wenig sinnvoll ist, die Computerspielsucht von
der Internetsucht abzugrenzen, wird in der vorliegender Arbeit bei der Definition zwischen Internetsucht und Computerspielsucht ebenfalls nicht unterschieden. Des Weiteren werden die
Begriffe „Internetsucht“, „Onlinesucht“, „Internetabhängigkeit“ und „pathologischer Internetgebrauch“ synonym verwendet.
Trotz der offensichtlich hohen Komplexität einer solchen Definition versuchen einige
Autoren dennoch, Internetsucht zu definieren. Dabei stehen häufig ätiologische Konzepte im
Hintergrund der jeweiligen Definitionen. Byun et al. verwenden eine von Beard (2005, zit. nach
Byun et al., 2009, S.204) initiierte Definition, die allgemein für alle Mediensüchte verwendbar ist.
Nach seiner Definition ist eine Person dann süchtig, „when an individual’s psychological state,
which includes both mental and emotional states, as well as their scholastic, occupational and
social interactions, is impaired by the overuse of the medium.“
Davis (2001) unterscheidet in seinem „cognitive-behavioral model“ zu pathologischem Internetgebrauch („pathological Internet use“, kurz PIU) zwischen spezifischem und generalisiertem
PIU. Den spezifischen PIU definiert Davis (2001) dabei wie folgt:
Specific PIU involves overuse and abuse of specific Internet functions. These might be
online auction houses, online pornography, online stock trading services, etc. Specific
PIU is assumed to be the result of pre-existing psychopathology, which becomes associated with online activity. Therefore, the individual that might otherwise be a compulsive gambler would efectively realize that gambling is available online and eventually
demonstrate specific PIU. (S. 192)
Dem gegenüber stellt Davis den generalisierten pathologischen Internetgebrauch, welcher
sich dadurch auszeichne, dass die Betroffenen abnormal viel Zeit im Internet verbringen und ihre
Zeit entweder mit ziellosem Surfen oder in Chatrooms verschwenden würden. Nach Davis gehen
sie dabei Aktivitäten nach, die ohne das Internet nicht möglich wären (Davis, 2001, S. 192).
Pruin (2012, S. 13) definiert pathologischen Internetgebrauch wie folgt: „Als pathologischer Internetgebrauch wird der zwanghafte Drang bezeichnet, sich regelmässig und exzessiv mit
dem Internet zu beschäftigen. Der User vernachlässigt beim pathologischen Internetgebrauch
meist seine normalen Lebensgewohnheiten soweit, dass es zu massiven sozialen Problemen führen kann.“
4
Christa Berger von der Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich unterscheidet zwischen
kompensatorischer und komplementärer Nutzung von Computerspielen. Dazu schreibt sie:
Die Grenze zwischen exzessivem Verhalten und effektivem Suchtverhalten ist fliessend.
Gefährdet sind diejenigen, bei denen Spielen am Bildschirm eine kompensatorische Funktion erhält. Die meisten Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen nutzen die Computerspiele allerdings komplementär, das heisst, für sie bleibt das Eintauchen in die virtuelle
Welt eine Ergänzung und stellt keinen Ersatz zum realen Leben dar. (2007, S. 7)
Nach Ko et al. (2005, zit. nach Wölfling & Leménager, 2011, S. 314) wird Internetabhängigkeit definiert „als ein fehlangepasstes Muster des Internetgebrauchs, das zu klinisch bedeutsamem Leiden führt“.
Liu et al. (2012, S. 283) definieren Internetsucht folgendermassen: „IA [Internet Addiction] is conceptualized as a problem where frequent use leads to significant impairment in one’s
life (i.e., urges to play, ignoring personal responsibilities, and loved ones).”
Yoo et al. (2004, S. 487) definieren Internetsucht vor allem anhand des Kriteriums
„Kontrollverlust”: „Internet addiction, also described as pathological Internet use, is conceptualized by an individual’s inability to control his or her use of the Internet, which eventually causes
marked distress and/or functional impairment.“
Gemäss Kratzer und Hegerl (2008, S. 80-81) wird pathologische Internetnutzung in Anlehnung an die Kriterien zum substanzgebundenen Abhängigkeitssyndrom nach ICD-10 definiert
als starker „Drang zur Aufrechterhaltung der privaten intensiven Internetnutzung trotz negativer
sozialer Folgen wie sozialem Rückzug, Partnerschaftskonflikten oder finanziellen und beruflichen
Problemen. Dem Nutzer gelingt es trotz Leidensdruck und Problembewusstsein nicht, die online
verbrachte Zeit zu kontrollieren und zu reduzieren.“
Vallerand et al. (2003, zit. nach Kammerl et al., 2012, S. 14): „unterscheiden zwischen
‚harmonischer Leidenschaft‘ und ‚obsessiver Leidenschaft‘“. Computerspiel als leidenschaftlich
ausgeübte Aktivität, die zwar viel Zeit braucht und deutlich über andere Freizeitaktivitäten dominiert, dabei aber freiwillig als wichtig angesehen wird, nicht zwingt und mit anderen Bereichen
des Lebens in Harmonie bleibt, wird als harmonische Leidenschaft definiert. „Dagegen entsteht
‚obsessive Leidenschaft‘ aus erlebten Defiziten (z.B. mangelnder Wertschätzung) und erfüllt eine
innere Bedürftigkeit. Sie kann auch entstehen, wenn das aus der Aktivität resultierende Vergnügen unkontrollierbar wird. Obsessive Leidenschaft kontrolliert das Leben“ (Kammerl et al.,
2012). Wang und Chu (2007, zit. nach Kammerl et al. 2012) konnten in einer empirischen Studie
5
nachweisen, dass die Werte in einem Fragebogen zur Computer- und Internetabhängigkeit umso
höher ausfielen, je ausgeprägter das Merkmal „obsessive Leidenschaft“ auftrat, dass „harmonische Leidenschaft“ hingegen nur schwach mit Abhängigkeit korrelierte. „Ob der Begriff der obsessiven Leidenschaft für das Computerspiel oder der der Computerspielabhängigkeit benutzt
wird, beides bezeichnet einen Zustand reduzierter Kontrolle über das Computerspiel, der je nach
Ausmass unterschiedlich gravierende Folgen für das psychosoziale Leben der Betroffenen hat.“
(Kammerl et al., 2012, S. 15). Wie die Autoren weiter ausführen ist Abhängigkeit pathologisch
und zeichnet sich durch reduzierte Verantwortung und Hilfsbedürftigkeit aus, „während der Begriff der obsessiven Leidenschaft jedoch die Verantwortlichkeit für das Problemverhalten beim
Betroffenen belässt“. (S. 15)
Im allgemeinen Diskurs darüber, wie Internetsucht zu definieren sei, wird von zahlreichen Autoren argumentiert, dass eine Unterteilung in verschiedene Subgruppen von Internetsucht notwendig sei. Als erstes unternahm Kimberly Young (1998) den Versuch, Internetsucht in
verschiedene Subgruppen zu unterteilen:
The Internet itself is a term that represents different types of functions that are accessible on-line. […] Dependents predominately used the two-way communication functions available on the Internet (i.e., chat rooms, MUDs, newsgroups, or e-mail). […] The
World-Wide Web and Information Protocols, or data base search engines that access
libraries or electronic means to download files or new software programs, were the least
utilized among Dependents. (S. 240)
Der Begriff MUDs, den Young verwendet, ist eine Abkürzung für „Multi User Dungeon“, was sie wie folgt erklärt (1998):
It should be noted that MUDs differ from chat rooms, as these are an electronic spinoff
of the old Dungeons and Dragons games where players take on character roles. There are
literally hundreds of MUDs, ranging in themes from space battles to medieval duels. To
log into a MUD, a user creates a character name, for example, Hercules, who fights
battles, duels other players, kills monsters, saves maidens, or buys weapons in a makebelieve roleplaying game. (S. 240)
Die Sucht Info Schweiz (2010) sieht bei folgenden Subgruppen das höchste Suchtpotenzial:
6
Vor allem bestimmte Angebote des Internets haben ein besonderes Potenzial, Nutzer/Innen sehr stark an sich zu binden. […] Vor allem drei Bereiche sind bekannt, die ein
Suchtpotenzial aufweisen: Online-Games (betroffen sind vor allem männliche Jugendliche), Online-Kommunikation (zum Beispiel Chats, betroffen sind besonders Frauen),
Konsum von Sex- und Pornoseiten (der Anteil jüngerer Männer scheint hier besonders
hoch zu sein). (S. 1)
Ergänzend könnten noch Online-Gambling bzw. Online-Glückspiel sowie die OnlineKaufsucht als mögliche Subgruppen angefügt werden. Gerade bei den Subgruppen OnlineSexsucht (z.B. Eichenberg, 2012), Online-Gambling (z.B. Griffiths, 2000) und Online-Kaufsucht
(z.B. Eidenbenz, 2002) wird häufig diskutiert, ob wirklich Internetsucht im Vordergrund stehe
oder ob es sich nicht eigentlich um Sexsucht, pathologisches Spielen bzw. Kaufsucht handle,
wobei das Internet nur die Möglichkeit böte, die jeweilige Sucht auszuleben. Griffiths (2000) geht
hierbei noch einen Schritt weiter, indem er argumentiert, dass jegliche Subgruppe der Internetsucht auf eine andere Verhaltenssucht zurückzuführen sei. So schreibt er als Antwort auf die
oben aufgeführten Vorschläge der Subgruppenbildung von Young (2000):
In reply to Young, I have argued that many of these excessive users are not “Internet
addicts” but just use the Internet excessively as a medium to fuel other addictions. Put
very simply, a gambling addict or a computer game addict who engages in their
chosen behaviour online is not addicted to the Internet. The Internet is just the place
where they engage in the behaviour. (S. 416)
Auch Christiane Eichenberg ist der Meinung, dass es keine Internetsucht an sich gäbe,
sondern, dass es sich beim Phänomen vielmehr um die Sucht nach der jeweiligen spezifischen
Nutzung handle. In einem Artikel zur Cybersexsucht schreibt sie (2012):
In den letzten Jahren differenzierte sich die Diskussion auf der Basis empirischer Befunde, die nahelegen, dass das Internet für sich genommen zu keiner pathologischen
Nutzung führt, sondern vielmehr bestimmte Nutzungsfacetten. Dazu zählen vor allem
Online-Gambling und Cybersex. (S. 417)
7
Pathologischer Mediengebrauch
Je nach Autor wird in der Literatur von „Internetsucht“, „Internetabhängigkeit“, „Onlinesucht“, „pathologischer Computer- und Internetgebrauch“, „Computerspielsucht“, „Computerspielabhängigkeit“ oder „Medienabhängigkeit“ gesprochen. In dieser Arbeit umfasst der Begriff „pathologischer Mediengebrauch“ alle diese Begriffe.
1.5
Diagnosekriterien
Im Folgenden wird auf verschiedene in der Literatur erwähnte Diagnosekriterien zu pa-
thologischem Mediengebrauch eingegangen.
Über die nosologische Einordnung sind sich Experten bis heute noch uneinig (te Wildt &
Fischer, 2011, Mitchell, 2000, Petry, 2010b, Schuhler et al., 2011, zit. nach Schuhler und Vogelsang, 2012, S. 22). Je nach Autor wird pathologischer Medienkonsum eher verstanden als Störung
der Impulskontrolle (Grüsser & Thalemann, 2006) oder als Abhängigkeitssyndrom (Block, 2008).
So empfehlen bspw. Schuhler und Vogelsang (2012), pathologischen Mediengebrauch unter den
„sonstigen näher bezeichneten Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“ (F68.8) einzuordnen,
was eine Unterkategorie der „abnormen Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“
darstellt, während bspw. Rehbein et al. (2009) die Gemeinsamkeiten zwischen pathologischem
Mediengebrauch und dem substanzgebundenen Abhängigkeitssyndrom des Diagnosemanuals
ICD-10 hervorheben.
Unter der Kategorie „abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“ (F63)
sind Verhaltenssüchte wie pathologisches Spielen, pathologische Brandstiftung (Pyromanie) und
pathologisches Stehlen (Kleptomanie) aufgeführt (Dilling et al., 2010). Sie stellen eine Unterkategorie der Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (F6) dar.
Beim Abhängigkeitssyndrom (F1x.2) handelt es sich „um eine Gruppe körperlicher, Verhaltens- und kognitiver Phänomene, bei denen der Konsum einer Substanz oder einer Substanzklasse für die betroffene Person Vorrang hat gegenüber anderen Verhaltensweisen, die von ihr
früher höher bewertet wurden“ (Dilling et al., 2010, S. 99). Das Abhängigkeitssyndrom ist eine
Unterkategorie der „Störungen durch psychotrope Substanzen“.
Die amerikanische Psychologin und Pionierin auf dem Gebiet von Internet- und Computerspielabhängigkeit Kimberley Young unternahm bereits 1996 den Versuch, Internetabhängigkeit anhand eines Fragebogens für pathologischen Internetgebrauch zu operationalisieren. Sie
entwickelte acht Kriterien für Internetsucht, von denen mindestens fünf erfüllt sein müssen, um
8
die Diagnose zu stellen. Sie orientierte sich dabei an den Kriterien der Kategorie F63.0 „pathologisches Spielen“ des Diagnosemanuals ICD-10. Die diagnostische Leitlinie lautet wie folgt (Dilling et al., 2010):
Das Hauptmerkmal dieser Störung ist beharrliches, wiederholtes Glücksspiel, das anhält
und sich oft noch trotz negativer sozialer Konsequenzen, wie Verarmung, gestörte Familienbeziehungen und Zerrüttung der persönlichen Verhältnisse steigert. (S. 259)
Die acht Kriterien von Young wurden von Beard 2001 dahingehend leicht modifiziert, als
dass zur Diagnose die ersten fünf Kriterien, die sich auf die primäre Symptomatik übermässigen
Internetkonsums beziehen, alle erfüllt sein müssen. Zusätzlich muss nach Beard mindestens eines
der drei Kriterien erfüllt sein, welche Folgeschäden beschreiben. Die Kriterien von Young und
Beard haben sich gemäss te Wildt & Mücken (2010) in Klinik und Forschung im deutschsprachigen Raum relativ gut durchgesetzt.
Die diagnostischen Kriterien für "problematischen Internetgebrauch“ von Young (1999),
modifiziert nach Beard (2001), sind folgendermassen formuliert (te Wildt & Mücken, 2010, S.
86):
Alle folgenden Kriterien (1-5) müssen vorliegen:
1. Ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Internet (Gedanken an vorherige OnlineAktivitäten oder Antizipation zukünftiger Online-Aktivitäten).
2. Zwangsläufige Ausdehnung der im Internet verbrachten Zeiträume, um noch eine Befriedigung zu erlangen.
3. Erfolglose Versuche, den Internetgebrauch zu kontrollieren, einzuschränken oder zu
stoppen.
4. Ruhelosigkeit, Launenhaftigkeit, Depressivität oder Reizbarkeit, wenn versucht wird,
den Internetgebrauch zu reduzieren oder zu stoppen.
5. Längere Aufenthaltszeiten im Internet als ursprünglich intendiert.
Zumindest eines der folgenden Kriterien (6-8) muss vorliegen:
6. Aufs-Spiel-Setzen oder Kriterien einer engen Beziehung, einer Arbeitsstelle oder eines
beruflichen Angebots wegen des Internets.
7. Belügen von Familienmitgliedern, Therapeuten oder anderen, um das Ausmass und die
Verstrickung mit dem Internet zu verbergen.
9
8. Internetgebrauch als ein Weg, Problemen auszuweichen oder dysphorische Stimmungen zu erleichtern (wie Gefühle von Hilfslosigkeit, Schuld, Angst, Depression).
Grüsser und Thalemann (2005) entwickelten für den deutschsprachigen Raum einen Kriterienkatalog für Internetabhängigkeit, der auf den Kriterien der Verhaltenssucht basiert und
deutliche Überschneidungen mit den Kriterien von Young aufweist. Der Katalog „verzichtet
jedoch auf das Kriterium Dissimulation (bei Young Kriterium Nr. 7) und fokussiert mit dem
ersten Kriterium auf eine Einengung des tatsächlichen Verhaltens und nicht der Gedanken wie
bei Young“ (te Wildt & Rehbein, 2010, S. 144). Die diagnostischen Kriterien für Internetabhängigkeit nach Grüsser und Thalemann sind demnach: „Einengung des Verhaltensmusters“, „Regulation von negativen Gefühlszuständen“, „Toleranzentwicklung“, „Entzugserscheinungen“,
„Kontrollverlust“, „Rückfall“, „negative Konsequenzen“.
Die koreanische Forscherin Chih-Hung Ko und ihre Kolleginnen und Kollegen (2005,
zit. nach te Wildt & Rehbein, 2010, S. 145) schlugen zur Erfassung von Internetabhängigkeit
folgenden Kriterienkatalog vor, der sich in einigen Punkten von Youngs Katalog abhebt:
A malaptive pattern of Internet use, leading to clinically significant impairment or
distress, occuring at any time within the same 3-month period.
A. Six (or more) of the following symptoms have been present
1.) Preoccupation with Internet activities
2.) Recurrent failure to resist the impulse to use the internet
3.) Tolerance: a marked increase in the duration of Internet use needed to achieve satisfaction
4.) Withdrawal, as manifested by either of the following:
i.
Symptoms of dysphoric mood, anxiety, irritability, and boredom after several days
without Internet activity
ii. Use of Internet to relieve or avoid withdrawal symptoms
5.) Use of Internet for a period of time longer than intended
6.) Persistent desire and/or unsuccessful attempts to cut down or reduce Internet use
7.) Excessive time spent on Internet activities and leaving the Internet
8.) Excessive effort spent on activities necessary to obtain access to the Internet
10
9.) Continued heavy Internet use despite knowledge of having a persistent or recurrent
physical or psychological problem likely to have been caused or exacerbated by Internet use.
B. Functional impairment: one (or more) of the following symptoms have been
present
1. Recurrent Internet use resulting in a failure to fulfill major role obligations at school
and home
2. Impairment of social relationships
3. Behavior violating school rules or laws due to Internet use
C. The Internet addictive behavior is not better accounted for by psychotic disorder or bipolar I disorder, or other disorder, which is classified in impulse control disorder and paraphilia in DSM-IV-TR.
Von den neun Kriterien unter „A“ müssen mindesten sechs in den letzten drei Monaten
bestanden haben, des Weiteren muss mindestens eine von drei funktionellen Beeinträchtigungen
vorliegen. Dazu muss gewährleistet sein, dass differenzialdiagnostisch bestimmte psychische Erkrankungen die Internetsucht nicht besser erklären können. „Das Verfahren weist im Abgleich
mit dem klinischen Eindruck eine gute klinische Validität auf“ (Ko et al, 2005, zit. nach te Wildt
und Rehbein, 2010, S. 146). Der Kriterienkatalog weist einige auffällige Unterschiede zu den Diagnosekriterien von Young auf. So wird für alle Kriterien festgelegt, dass diese mindestens seit
drei Monaten bestehen müssen, um für die Diagnostik relevant zu sein. Damit wird sichergestellt,
dass kurzfristige Episoden von häufigem Internetkonsum nicht als Abhängigkeit verstanden werden. Eine weitere Besonderheit ist die Aufspaltung des vierten Kriteriums „Entzugserscheinungen“. Dieses liegt dann vor, wenn entsprechende Symptome auftreten, aber auch wenn Symptome durch die Nutzung des Internets unterdrückt werden. Die Kriterien der Dissimulation und
Stimmungsregulation, wie sie Young vorgeschlagen hat, finden sich im Katalog von Ko et al.
nicht wieder. Des Weiteren sind im Kriterium 6 die zwei Diagnosekriterien „starkes Verlangen“
und/oder „Kontrollverlust“ zusammengefasst.
Während bei Young nicht sichergestellt wird, dass mindestens eine funktionale Beeinträchtigung vorliegen muss, um eine Internetabhängigkeit zu diagnostizieren, wird das durch die
11
Formulierung einer Dimension „B“ bei Ko et al. gewährleistet. Auch die Berücksichtigung möglicher Differenzialdiagnosen unterscheidet die Kataloge von Ko et al. und Young.
Wie te Wildt und Rehbein (2010) ausführen, hat der Fachverband Medienabhängigkeit einen Kriterienkatalog für Computerabhängigkeit erstellt, der sich an den Kriterien von
Young sowie Ko et al. orientiert und Konzeptionen von Fragebögen zur Computerabhängigkeit
miteinbezieht. Diese diagnostischen Kriterien lauten wie folgt (te Wildt & Rehbein, S. 150):
A) Zeitkriterium: Persistenz der Symptomatik
Die Symptomatik der Computerspielabhängigkeit muss über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten kontinuierlich bestanden haben.
B) Psychopathologische Kriterien der Symptomatik
B1) Primäre Kriterien: Abhängigkeitsverhalten (mindestens 4 erfüllt)
1. Einengung des Denkens und Verhaltens
2. Kontrollverlust
3. Toleranzentwicklung
4. Entzugserscheinungen
5. Dysfunktionale Regulation von Affekt oder Antrieb
6. Vermeidung realer Kontakte zugunsten virtueller Beziehungen
7. Fortsetzung des Spielens trotz bestehender oder drohender negativer Konsequenzen
B2) Sekundäre Kriterien: Negative Auswirkungen (mindestens 1 erfüllt)
1. Körperliche Konsequenzen im Bereich Körperpflege, Ernährung und Gesundheit
2. Soziale Konsequenzen im Bereich Schule, Ausbildung, Arbeit und Haushalt
3. Leistungsbezogene Konsequenzen im Bereich Schule, Ausbildung, Arbeit und Haushalt
C) Ausschlusskriterium
Das pathologische Computerspielverhalten lässt sich nicht durch eine Manie oder
Zwangserkrankung erklären.
Der britische Wissenschaftler Griffiths betreibt seit vielen Jahren Forschung zum pathologischen Glücksspiel und erkannte gemäss Teske und Mücken (2010, S. 44) eine hohe Überein12
stimmung zwischen Verhaltensweisen pathologischer Glücksspieler und Computerspieler. Dementsprechend entwickelte er sechs Kriterien zur Erfassung von Computerspielabhängigkeit, welche auf den DSM-IV Kriterien für pathologisches Glückspiel basieren. Die von ihm formulierten
Kriterien wurden auch von der Forschungsgruppe der Universität Amsterdam für die Entwicklung eines Selbstbeurteilungsbogens für das Computerspielverhalten übernommen (Lemmens,
2007, zit. nach Teske & Mücken, 2010, S. 44).
1. Anziehungskraft
Computerspielen ist eine wichtige Aktivität im Leben des Betroffenen. Diese Aktivität
dominiert sein Denken, seine Emotionen und sein Handeln. Auch wenn der Betroffene
nicht am Computer spielt, ist er gedanklich auf die nächste Gelegenheit, spielen zu können, ausgerichtet.
2. Gefühlsregulation
Mit Hilfe des Spielens versucht der Betroffene seine Stimmung zu verbessern oder negative Gefühle zu unterdrücken. Das Bekämpfen negativer Gefühle spielt für den Abhängigen die übergeordnete Rolle.
3. Toleranzentwicklung
Der Betroffene verbringt zunehmend mehr Zeit mit dem Spielen am Computer oder
braucht immer mehr neue Spiele, um seine Bedürfnisse zu befriedigen.
4. Entzugserscheinungen
Wenn dem Spielen am Computer ein Ende gesetzt wird, durchlebt der Betroffene eine
Reihe unangenehmer Gefühle wie Stimmungsschwankungen, Irritation und depressive
Symptome.
5. Konflikte
Das Spielen verursacht soziale oder innere Konflikte. Zumeist sind zwischenmenschliche
Beziehungen betroffen oder frühere Interessen und andere wichtige Aktivitäten, wie
Schule, Beruf etc., werden vernachlässigt.
6. Rückfall
Der Betroffene kann seinen Computerspielkonsum aus eigener Initiative nicht oder nur
schwer regulieren. Nach einer Zeit der Enthaltung fällt er in frühere Konsummuster zurück.
Griffiths modifizierte 2005 gemäss Teske und Mücken (2010, S. 45-46) seine Kriterien,
indem er das Kriterium „Konflikte“ in zwei Kriterien unterteilte. Während das Kriterium „Kon13
flikte“ in der alten Fassung sowohl interpersonale als auch innerpsychische Konflikte einschloss,
wurden nun mit dem neuen Kriterium „Konflikte“ nur interpersonelle Konflikte, wie Streitigkeiten, Verleugnung, Lügen oder bewusste Täuschung des Gegenübers, beschrieben. Mit dem zusätzlichen Kriterium „Probleme“ werden negative Konsequenzen, wie Vernachlässigung von
Schule, Arbeit oder soziale Aktivitäten, sowie innerpsychische Konflikte und subjektive Gefühle
von Kontrollverlust erfasst. Die modifizierte Version (Griffiths, 2005, Griffiths & Davies, 2005
zit. nach Teske & Mücken, 2010) wurde von Lemmens und seiner Forschungsgruppe an der
Universität Amsterdam (Lemmens, 2009) in den Kriterienkatalog für die Diagnostik von Computerspielabhängigkeit aufgenommen.
Hohe Übereinstimmung mit den von Lemmens et al. (2009) vorgeschlagenen Kriterien
weisen die von Meerkerk et al. (2007) formulierten Kriterien zur Diagnostik des „exzessiven und
compulsiven Internetgebrauchs“ auf. Meerkerk et al. (2007) haben die Dimension Toleranzentwicklung aufgrund ihrer Forschungsergebnisse verworfen und dafür die Dimensionen Verleugnung der Internetnutzung, Einengung des Verhaltensraumes und Kontrollverlust als eigene Kriterien aufgenommen. Die Dimension Rückfall ordnen sie als Bestandteil der Dimension Kontrollverlust zu (Teske & Mücken, 2010). Zur Übersicht sind nachfolgend die Kriterien Meerkerks
und Lemmens einander gegenübergestellt, sowie die Kriterien der Abhängigkeit und des pathologischen Spielens aufgeführt:
Tabelle 1: Gegenüberstellung von Abhängigkeitskriterien (Teske & Mücken, 2010, S.49)
Kriterien der Abhängigkeit (nach DSMIV)
Kriterien des
pathologischen
Glückspiels (nach
DSM-IV)
Entzugserscheinungen Unruhe und
Gereiztheit beim
Versuch, das
Spiel einzuschränken oder
aufzugeben
Kriterien des „Com7 Dimensionen des
pulsive Internet Use“ „Gameverslaving“
(Meerkerk et al., 2007) (Lemmens, 2007)
Kontrollverlust
Wiederholte
erfolg-lose Versuche, das Spiel
zu kontrollieren,
einzuschränken
Kontrollverlust
Toleranzentwicklung
Steigerung der
Einsätze
Spielen, um Problemen oder
nega-tiven Stimmungen zu entkommen
Entzugserscheinungen Entzugserscheinungen
Rückfall
Toleranzentwicklung
Coping (Gefühlsregulation)
Gefühlsregulation
Konflikte
14
Einschränkung wichtiger beruflicher,
sozialer oder Freizeitaktivitäten
Konsum länger als
beabsichtigt
Hoher Zeitaufwand
für den Konsum
Gefährdung oder Konflikte/Probleme
Verlust wichtiger in anderen LebensbeBeziehungen,
reichen
von Arbeitsplatz
und Zukunftschancen
Probleme
Anziehungskraft
Starke EinEinengung des Vergenommenheit
haltensraumes
vom Glücksspiel
(z.B. starke gedankliche Beschäftigung mit
Geldbeschaffung)
Lügen gegenüber
Dritten, um das
Ausmass der
Spielproblematik
zu vertuschen
Fortgesetzter Konsum Wiederaufnahme
trotz Problembedes Glücksspiels
wusstsein
nach Geldverlusten
Illegale Handlungen zur Finanzierung des Spielens
Verleugnung der
Internetnutzung
Hoffnung auf
Bereit-stellung
von Geld durch
Dritte
Neben Diagnosekriterien für pathologischen Mediengebrauch, welche sich an den Kriterien für pathologisches Spielen orientieren, gibt es auch Forscherinnen und Forschern, welche
das Phänomen eher als Abhängigkeitssyndrom verstehen.
Auch wenn Computer, Spielkonsolen, Smartphones etc. keine Substanzen sind, sehen
viele Experten wie bspw. Block (2008) und Rehbein et al. (2009) eine grosse Anzahl von Parallelen zwischen den Symptomen pathologischen Mediengebrauchs und den Diagnosekriterien für
das „substanzgebundene Abhängigkeitssyndrom“ F1X.2 des Diagnosemanuals ICD-10. Die
sechs Kriterien des substanzgebundenen Abhängigkeitssyndroms, wovon drei zur Diagnose erfüllt sein müssen, umfassen einen starken Wunsch oder eine Art Zwang des Konsums, eine verminderte Kontrollfähigkeit hinsichtlich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums, Entzugssymptome, Toleranzentwicklung, fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Konsums sowie einen anhaltenden Konsum trotz eindeutiger schädlicher Folgen (Dilling et al., 2010, S. 99). Ko et al. (2009, S. 937) verwendeten diese
sechs Kriterien, um Internetsucht in ihrer Studie zu eruieren.
Dass das substanzgebundene Abhängigkeitssyndrom viele Überschneidungen mit
15
Internetsucht aufweist, ist laut Hahn & Jerusalem (2001) nicht weiter überraschend, da „diese
Vergleichbarkeit auf die historischen Wurzeln der Glückspielsucht zurückzuführen ist, die sich
ihrerseits an der Definition der Alkoholabhängigkeit orientiert hat“ (S.3). Hahn & Jerusalem
(2001, S. 281) liefern ihre eigenen fünf Diagnosekriterien zur Internetsucht, die sie als gemeinsamen Nenner der verschiedensten Diagnosekriterien zahlreicher Autoren sehen. Internetsüchtig
ist laut ihnen jemand, wenn:
 über längere Zeitspannen der größte Teil des Tageszeitbudgets zur Internetnutzung verausgabt wird (hierzu zählen auch verhaltensverwandte Aktivitäten wie
beispielsweise Optimierungsarbeiten am Computer) (Einengung des Verhaltensraums).
 die Person die Kontrolle über ihre Internetnutzung weitgehend verloren hat bzw.
Versuche, das Nutzungsausmass zu reduzieren oder die Nutzung zu unterbrechen, erfolglos bleiben oder erst gar nicht unternommen werden (obwohl das
Bewußtsein für dadurch verursachte persönliche oder soziale Probleme vorhanden ist) (Kontrollverlust).
 im zeitlichen Verlauf eine Toleranzentwicklung zu beobachten ist, d.h. die “Verhaltensdosis” zur Erreichung der angezielten positiven Stimmungslage gesteigert
werden mußte.
 Entzugserscheinungen als Beeinträchtigungen psychischer Befindlichkeit (Unruhe,
Nervosität, Unzufriedenheit, Gereiztheit, Agressivität) und psychisches Verlangen
(“craving”) nach der Internetnutzung als Folge zeitweiliger, längerer Unterbrechung der Internetnutzung auftreten.
 wegen der Internetaktivitäten negative soziale Konsequenzen in den Bereichen
Arbeit und Leistung sowie soziale Beziehungen (z.B. Ärger mit Freunden oder
Arbeitgeber) eingetreten sind.
Des Weiteren schlagen Hahn & Jerusalem (2001) vor, die Internetsucht weder als Störung
der Impulskontrolle, noch als Zwangsstörung oder gar als psychosomatische Erkrankung zu verstehen, sondern als moderne Verhaltensstörung, „im Sinne eines exzessiven und auf ein Medium
ausgerichtetes Extremverhaltens“ (Hahn & Jerusalem, 2001, S. 4). In Anlehnung an Griffiths
(1995) würden Hahn & Jerusalem es als sinnvoll erachten, eine eigene Kategorie für technologische Abhängigkeiten zu erstellen, die durch Mensch-Maschine-Interaktion gekennzeichnet wäre.
Unter diese Kategorie würde beispielsweise auch Fernsehsucht oder Computerspielsucht fallen.
16
Auch Rehbein et al. (2009) orientierten sich für eine Studie zur Computerspielsucht „an
der Diagnostik der Abhängigkeit von psychotropen Substanzen, deren Paradigma die Alkoholabhängigkeit ist“ (Kammerl et al., 2012, S. 15). Dabei werden folgende Kriterien für Computerspielsucht herangezogen: Einengung des Verhaltensraums, Kontrollverlust, Toleranzentwicklung,
Entzugserscheinungen und schädlicher Gebrauch.
Mit „Einengung des Verhaltensraumes“ ist gemäss Autoren gemeint, dass der Computer
über eine längere Zeitspanne während des grössten Teil des Tages genutzt wird und auch bei
Nichtnutzung daran gedacht wird; „Kontrollverlust“ bedeutet, dass Betroffene deutlich reduziert
fähig sind, die Computernutzung zu begrenzen. Als „Entzugserscheinungen“ treten unangenehme emotionale und körperliche Zustände auf. „Toleranzentwicklung“ zeichnet sich dadurch aus,
dass immer länger gespielt wird, „um einen gewünschten Effekt und einen zufriedenen Zustand
zu erreichen“ (Kammerl et al, 2012, S. 15), und „schädlicher Gebrauch“ liegt vor, wenn andere
Aufgaben und Interessen vernachlässigt werden und wenn trotz schädlicher Folgen, wie Verlust
des Partners oder finanzielle Probleme, die Computernutzung nicht reduziert werden kann.
In einer Studie von Kratzer und Hegerl (2008) zu Personen mit exzessiver Internetnutzung wurde – ebenfalls angelehnt an die Diagnosekriterien der Abhängigkeit nach IDC-10 - von
pathologischer Internetnutzung ausgegangen, wenn fünf der folgenden sechs Kriterien vorlagen:
starkes Verlangen oder Drang zum Internet-Gebrauch, Gefühl des Kontrollverlustes über die
Zeit, wenn die Person online ist, sozialer Rückzug (von Freunden, Familie), Entzugserscheinungen, wenn über kürzere oder längere Zeit kein Internet-Zugang möglich ist (z.B. starke Nervosität, Unruhe, schlechte oder depressive Stimmung), ernsthafte Probleme durch den InternetGebrauch (z.B. am Arbeitsplatz, im Studium, zu Hause mit Eltern, Freunden oder Partnern),
Fortsetzung des Internet-Gebrauchs trotz des Bewusstseins über die hervorgerufenen oder zu
erwartenden negativen Folgen (z.B. Leistungsabfall, Probleme im Studium, drohender Verlust des
Arbeitsplatzes, Partnerverlust usw.)(Kratzer & Hegerl, 2008).
Gemäss dem US-Psychologen Jerald Block ist Internetabhängigkeit durch vier Merkmale
charakterisiert: Exzessive Nutzung, die „häufig mit dem Verlust des Zeitgefühls oder „der Vernachlässigung von grundlegenden Trieben assoziiert wird“ (Block, 2008, S. 306), Entzugserscheinungen, die sich in Wut, Anspannung und Depression zeigen, wenn der Konsum verhindert ist,
Toleranzentwicklung, die mit dem Bedürfnis nach leistungsfähigerer Hardware, mehr Software
oder einer erhöhten Computernutzung einhergeht und negative psycho-soziale und körperliche
Effekte wie beispielweise zunehmende Konflikte, Lügen, Leistungsabfall und Müdigkeit (Van den
Bulck, 2004, S. 101-104).
17
Bei einigen von Expertinnen und Experten erstellten Diagnosekatalogen für pathologischen Mediengebrauch wird nicht ausgewiesen, ob sie sich an den Kriterien für pathologisches
Spielen oder am Abhängigkeitssyndrom orientieren, und sie zeichnen sich durch ihre eigene
Konzeption aus.
Die Sucht Info Schweiz, eine Zusammenarbeit verschiedenster Präventions- und Suchtberatungsstellen in der Schweiz, hat unter der Leitung von Franz Eidenbenz eine Informationsbroschüre zum Thema Onlinesucht herausgegeben. Darin werden folgende Symptome genannt
(Sucht Info Schweiz, 2010):
 Einengung des Verhaltensraumes: Das Handeln und Denken ist auf den Internetgebrauch
fokussiert, das Interesse an anderen Freizeitbeschäftigungen nimmt ab.
 Sozialer Rückzug, Vernachlässigung sozialer Beziehungen ausserhalb des Internets
 Intensiver, kaum kontrollierbarer Drang, das Internet zu nutzen (Kontrollverlust), das
Ausmass der Nutzung wird bagatellisiert.
 Toleranzentwicklung: Zunehmende (häufigere und längere) Onlinezeiten.
 Nervosität, Aggressivität bei Entzug der Internetnutzung.
 Gesprächen zum Umgang mit dem Web wird aus dem Weg gegangen.
 Verdrängung negativer Gefühle: Der Gebrauch ist ein Versuch, negative Gefühle zu regulieren, im Sinne einer vermeidenden Stressbewältigungsstrategie. Eine kompensatorische
Nutzung von Internetangeboten (Ersatz für reales Leben, oft mit dem Ziel, Gefühle zu
regulieren) ist problematisch, im Gegensatz zu einer komplementären Nutzung (Ergänzung zu realen Lebenserfahrungen).
 Leistungsrückgang/Probleme in Schule und/oder im Beruf
 Veränderter Tag-Nacht-Rhythmus, verändertes Essverhalten, Gewichtsveränderungen,
Haltungsprobleme, Augenbelastung, Übermüdung etc.
Des Weiteren wird in der Broschüre diskutiert, ob die Nutzungszeit als Kriterium zur Diagnostik von Onlinesucht hilfreich sei. Es wird festgehalten, dass die Nutzungszeit an sich nicht
reicht, um feststellen zu können, ob jemand onlinesüchtig sei oder nicht, sich aber gezeigt habe,
dass ein Onlinesüchtiger durchschnittlich 35 Stunden in der Woche online verbringe.
Die Stiftelsen Ungdomsvard (Stiftung Jugendhilfe) in Schweden hat sich gemäss Teske (2010,
S. 72) intensiv mit dem Thema Internetabhängigkeit beschäftigt und fällt mit ihrer Vorgehensweise zur Erfassung der Medienabhängigkeit besonders auf. Die Stiftung hat Kriterien zwischen
gesundem, missbräuchlichem und abhängigem Internetkonsum festgelegt, die von den Mitarbei18
tern der Einrichtung aufgrund ihrer Erfahrungen im Umgang mit medienabhängigen Jugendlichen entwickelt wurden. Der Kriterienkatalog basiert auf einem dreistufigen System, wobei der
Internetkonsum eine grüne, gelbe und rote Zone eingeordnet wird.
Die grüne Zone beinhaltet ausschliesslich positive Erlebnisse im Umgang mit Medien,
z. B. verbessertes strategisches Denken, gesteigerte Computerkenntnisse oder Steigerung der
Reaktionsgeschwindigkeit. Bei der gelben Zone tauchen negative Effekte, z. B in der Schule oder
am Arbeitsplatz auf, die positiven Erlebnisse bleiben aber noch bestehen. In der roten Zone haben die negativen Auswirkungen überhandgenommen. Die rote Zone umfasst gemäss Teske
(2010, S. 73) folgende Kriterien, die auf das Vorliegen einer Computerspiel- oder Internetabhängigkeit schliessen lassen:
1. Bei Abstinenz – Der Spieler wirkt rastlos, irritiert, niedergeschlagen usw.,
wenn das Spiel ausbleibt
2. Probleme in der Schule, z.B. schlechte Noten, Schulschwänzen, verpasste Prüfungen, schlechtere Zeugnisse, Kündigung des Jobs oder Praktikumsplatzes
3. ernste Konflikte in der Familie und mit Freunden um Aufgaben und Pflichten
4. Besessenheit und Beschäftigung mit dem Computerspiel, selbst ausserhalb des
eigentlichen Spiels liest, spricht [sic], und denkt der Spieler an das Spiel
5. Lügen/Leugnung: Der Spieler schwindelt über Spielzeiten und andere Sachen
rund um das Spiel, um die Umgebung zu beruhigen
6. Verschobener Tagesrhythmus, nachts wach und am Tag schlafen
7. Desinteresse an alten Freizeitgewohnheiten und Freunden
8. Beeinträchtigte Gesundheit und schlechtere Kondition durch dauerndes Stillsitzen zuhause
9. Kriminalität, z.B. Diebstahl der elterlichen Kreditkarte, um das Spiel zu bezahlen
10. Kontrollverlust: Es wird mehr gespielt als geplant
11. Rückfall in alte Spielgewohnheiten beim Versuch, die Spielzeiten zu verkürzen
Auch der Kriterienkatalog von Schuhler und Vogelsang (2012, S. 22) hebt sich von den bisher erwähnten Katalogen durch seine Konzeption ab. Aus der Sicht von Schuhler und Vogelsang
braucht es für eine Diagnose des pathologischen Mediengebrauchs folgende Merkmale:
1. dichotome Störungen intrapsychischer und interaktiver Funktionen (vgl. Tabelle 2)
19
2. überwertiges Immersionserleben: Die intensive Aufmerksamkeitsfokussierung auf die virtuelle Welt führt dazu, dass die Realität immer mehr in der subjektiven Wahrnehmung
und Bedeutung zurücktritt
3. exzessive PC/Internet-Aktivität: (mehr als 30 Stunden wöchentlich, schul- und berufsfremd) Die Aktivität beherrscht die Lebensführung der betroffenen Person und führt zu
negativen psychischen, sozialen und körperlichen Folgen.
Das Dichotomieerleben sollte sich gemäss Autoren in mindestens einem der genannten Bereich (Selbstwerterleben, Affekterleben, Soziale Interaktionsfähigkeit, Handlungsmotivation) zeigen.
Tabelle 2: Dichotomie im Erleben in Bezug auf intrapsychische und interaktive Funktionen (Schuhler &
Vogelsang, 2012, S. 23)
Innerhalb der Literatur zur Diagnose pathologischen Mediengebrauchs existiert bislang
noch wenig zur Handysucht. Eberhardt & Bleuel (2008) gehen in ihrem Artikel Mobiltelefon als neue
Droge? auf die Handysucht ein, die sie wie die Onlinesucht unter die Kategorie „Stoffungebundene Suchtform“ einordnen. Die Anzeichen zur Handysucht beschreiben sie dabei wie folgt:
Ständiger Drang zum Telefonieren und zwanghaftes Kontrollieren, ob eine SMS eingegangen ist, permanentes Abrufen der Mailbox und der chronische Drang, mit irgendjemandem Kontakt aufzunehmen, wären die Anzeichen. (S. 147)
Waller & Süss (2012) schlagen vor, für die Handysucht die von Brown (1993, 1997 zit.
nach Waller & Süss, 2012, S. 3) erstellten Diagnosekriterien zu Verhaltenssüchten zu verwenden:
20
„Brown postuliert sechs Aspekte der Verhaltenssucht: Salienz, Konflikte mit anderen Aktivitäten,
Euphorie/Erleichterung, Toleranzaufbau, Entzugserscheinungen und Rückfallerscheinungen.“
Die Anwendung dieses Modelles stützen die Autoren auf verschiedene Studien zur Handysucht.
Als Beispiel führen sie eine qualitative Studie von Walsh et al. (2008) an, bei der Jugendliche im
Alter zwischen 16 und 24 Jahren in Fokusgruppen potenzielle Indikatoren von Handyabhängigkeit diskutieren mussten, wobei die Autoren der Studie sich am Konzept zur Verhaltenssucht von
Brown (1993, 1997) orientierten. Waller & Süss (2012) zeigen in ihrer Arbeit anhand einer Tabelle, die sowohl die Kriterien von Brown als auch Beispiele der Antworten der Fokusgruppen miteinander verbinden, dass das Konzept von Brown auf die Handynutzung übertragbar ist: „Aus
den Antworten der Jugendlichen geht hervor, dass die diagnostischen Kriterien zur Verhaltenssucht nach Brown (1993, 1997) auch auf die Handynutzung übertragen werden können“ (S. 10).
Des Weiteren betonen die Autoren in Bezug auf Griffiths (1995, 1999), dass diese Kriterien auch
auf andere Süchte übertragen werden können, wie die Computersucht und Internetsucht. Deshalb werden die Kriterien von Brown in der nachfolgenden Tabelle detailliert ausgeführt:
Tabelle 3: Diagnostische Kriterien und Verhaltenssucht nach Brown (1993, 1997). (Waller & Süss, 2012, S.4)
1.6
Diagnoseinstrumente
Im Folgenden werden einige Diagnoseinstrumente zu Internet- oder Computerspielsucht
vorgestellt.
21
The Internet Addiction Test (IAT)
Der Internet Addiction Test ist ein Instrument zur Abklärung, ob und wie stark eine Person internetsüchtig ist. Der von Widayanto & McMurren (2004) entwickelte Test umfasst 20 Fragen zum Zusammenhang von Internetkonsum und sechs Faktoren, die sie wie folgt beschreiben:
Factor 1 (five items) measures salience, Factor 2 (five items) measures excessive use, Factor 3 (three items) measures neglect of work, Factor 4 (two items) measures anticipation,
Factor 5 (three items) describes lack of control and Factor 6 (two items) measures neglect
of social life. (S. 448)
Die jeweiligen Fragen zu den Items müssen jeweils mit einer Likert-Skala die von 0 = Not
Applicable bis 5 = Always beantwortet werden, wobei gesamthaft ein Wert von 0-100 erreicht werden kann. Dieser Wert befindet sich in einer von vier Kategorien zum Ausmass des Internetkonsumverhaltens, die Young (2011, S. 23) wie folgt beschreibt: „Normal Range: 0-30 points, Mild:
31-49 points, Moderate: 50-79 points; Severe: 80-100 points“. Young empfiehlt nach der Durchführung des Tests die jeweiligen Fragen genauer anzuschauen, bei denen der Klient oder die Klientin einen Wert von 4 oder 5 erreicht hatte „to identify and pinpoint specific problem areas related to internet abuse“ (2011, S. 24).
Die Computerspielabhängigkeitsskala (KFN-CSAS-II)
KFN-CSAS-II ist ein Erfassungsinstrument zur Computerspielabhängigkeit und wird von
Rehbein et al. wie folgt beschrieben (2009):
Die für die KFN Schülerbefragung 2007/2008 weiterentwickelte Computerspielabhängigkeitsskala (KFN‐CSAS‐II) erfasst insgesamt fünf Merkmale einer Abhängigkeit und
lehnt sich damit eng an die bestehende Abhängigkeitsklassifikation des ICD‐10 an. Erhoben werden die Dimensionen Einengung des Denkens und Verhaltens (4 Items), negative
Konsequenzen (4 Items), Kontrollverlust (2 Items), Entzugserscheinungen (2 Items) und
Toleranzentwicklung (2 Items). (S. 20)
Der KFN-CSAS-II Test umfasst insgesamt 14 Fragen, die anhand einer vierstufigen Likert-Skala beantwortet werden müssen. Die Likert Skala reicht von 1 = stimmt nicht bis 4 =
22
stimmt genau. Die jeweils erreichten Werte der einzelnen Fragen werden für die Diagnosestellung
summiert, womit ein Wert zwischen 14 und 56 Punkten erreicht wird. Rehbein et al. (2009) beschreiben die Dimensionen der Computerspielabhängigkeit wie folgt:
Ab 35 Punkten (35 ‐ 41) wird eine Person als gefährdet im Sinne einer Abhängigkeitsproblematik eingestuft (…) Trotzdem kann hier noch nicht von einer Abhängigkeit ausgegangen werden, da Personen dieser Gruppe rein rechnerisch nicht allen Items des
CSAS in der Tendenz zustimmen können (14 x 3 = 42) und damit nicht alle von uns vorgeschlagenen Kernkriterien erfüllen (können). Ab 42 Punkten (42 ‐ 56), womit im Mittel
eine Zustimmung zu allen Items vorliegt (14 x 3 = 42), kann vom Vorliegen einer Computerspielabhängigkeit ausgegangen werden. (S. 21-22)
Skala zum Online-Suchtverhalten (OSV-S)
Die Skala zum Online-Suchtverhalten (OSV-S) ist ein von Beutel et al. (zit. nach Wölfling
et al., 2011) entwickeltes klinisch-diagnostisches Messinstrument zur Erfassung des Internetverhaltens einer Person. Es umfasst 14 diagnoserelevante Items und ist inhaltlich an die Skala zum
Computerspielverhalten (CSV-S) von Wölfling et al. (2011) angelehnt. Im Unterschied zum CSVS enthält der OSV-S ein zusätzliches Item zur Erfassung der Nutzungshäufigkeit von acht verschiedenen Internetanwendungen wie z.B. Erotikangebote, Social Networks etc. Die anderen
Items orientieren sich an den Diagnosekriterien für Abhängigkeitserkrankungen des ICD-10 (Dilling et al., 2010). Die einzelnen Fragen werden anhand einer Likert-Skala beantwortet, die von 0
= gar nicht bis 4 = sehr stark reicht. Zum erreichten Punktewert erfolgt eine Zuteilung des gezeigten Internetverhaltens in die Kategorien „unauffällig“, „problematisch“ oder „suchtartig“.
Compulsive Internet Use Scale (CIUS)
Meerkerk et al. (2007) entwickelten die Compulsive Internet Use Scale (CIUS) als Messinstrument zur Erfassung von zwanghaftem Internetgebrauch. Die CIUS ist ein integratives Testverfahren, das sowohl die DSM-IV-Kriterien zu Substanzabhängigkeit und pathologischem Spielen als auch die Theorie der Verhaltenssüchte nach Griffiths (1999) miteinbezieht. Die Skala beinhaltet 14 Items, die anhand einer fünfstufigen Likert Skala beantwortet werden müssen. Die
Likert Skala reicht von 0 = Never bis 4 = very often.
23
Problematic Internet Usage Scale
Die Problematic Internet Usage Scale wurde von Ceyhan et al. (2007) entwickelt, wobei
die Items anhand von Expertenvorschlägen erstellt wurden. Nach Überarbeitung des Tests anhand einer Stichprobe von 1658 Studenten blieben 33 von 59 Items übrig, die faktorenanalytisch
unterteilt wurden in die drei Kategorien: „negative consequences of the internet“, „social benefit/social comfort“ und „excessive use“. Die Items müssen von den Klienten und Klientinnen
anhand einer fünfstufigen Likert-Skala beantwortet werden, wobei das Endergebnis zwischen 33
und 165 Punkten liegen kann. Das erreichte Endergebnis wird in keine Kategorie eingeteilt und
es erfolgt auch keine Diagnosestellung anhand des Instruments. Ceyhan et al. (2007) begründen
das wie folgt:
The Problematic Internet Use Scale has been developed as a vertical scale with the assumption that the intensity of the Internet use shows continuity from normal to pathologic use. For this reason, this scale must not be evaluated as a scale measuring problematic internet use to diagnose “the internet addiction” in individuals. This scale aims at indicating the healthy and unhealthy usage levels of the Internet. Thus, high scores from the
scale indicate that individual’s the internet usage become unhealthy, it may affect their
lives negatively and it may create tendency for the internet addiction. (S. 414)
1.7
Fazit und Forschungslücke
Es hat sich gezeigt, dass die meisten Autoren ihre Kriterien zu den verschiedenen Formen
pathologischem Mediengebrauchs anhand der Kriterien vom pathologischen Spielen oder anhand
der Kriterien des substanzgebundenen Abhängigkeitssyndroms abgeleitet haben. Es kann festgehalten werden, dass in der Forschungslandschaft bis anhin noch kein konsensfähiges Ergebnis
für eine Diagnosestellung von pathologischem Mediengebrauch erzielt wurde. Ob pathologischer
Mediengebrauch als eigenständige Krankheit anerkannt wird oder wie und in welcher Form er
Einzug in die Klassifikationssysteme erhalten wird, ist bislang noch unklar. Würde pathologischer
Mediengebrauch als eigenständige Diagnose in die Klassifikationssysteme aufgenommen, böte die
Literatur zahlreiche Vorschläge dazu, welche Symptome zur Diagnosestellung notwendig wären.
An dieser Stelle sollen die Symptome aufgelistet werden, die innerhalb der Literaturrecherche am
häufigsten vorgefunden wurden:
24
 Kontrollverlust: Die betroffene Person verliert die Kontrolle über die Nutzungszeit. Es
wird immer mehr Zeit für die Beschäftigung mit Medien aufgewendet. Versuche, den
Konsum einzuschränken, sind erfolglos.
 Toleranzentwicklung: Die betroffene Person muss immer mehr Zeit mit dem Gebrauch
des Mediums verbringen, um Befriedigung zu erlangen.
 Entzugserscheinungen: Die betroffene Person ist in ihrer psychischen Befindlichkeit beeinträchtigt, wenn das Medium nicht genutzt werden kann. Mögliche Symptome der Entzugserscheinungen sind Unruhe, Nervosität, Unzufriedenheit, Gereiztheit, Nervosität
sowie starkes psychisches Verlangen (craving).
 Einengung des Verhaltensraumes: Ein steigender Anteil des Tageszeitbudgets der betroffenen Person wird in den Mediengebrauch investiert - auf Kosten von alternativen
Beschäftigungen.
 Einengung des Gedankenraumes: Die betroffene Person beschäftigt sich gedanklich immer mehr mit dem Mediengebrauch, auch während dieser nicht stattfinden kann.
 Sozialer Rückzug: Die betroffene Person zieht sich zu Hause zurück, um Zeit mit den
Medien zu verbringen. Unternehmungen mit Personen des sozialen Umfelds (Familie,
Freunde etc.) werden vernachlässigt.
 Negative soziale Konsequenzen: Es kommt zu Streitigkeiten mit Familie, Freunden, Arbeitgeber etc. aufgrund des Mediengebrauchs und der daraus resultierenden Vernachlässigungen von Aufgaben und Pflichten der betroffenen Person.
 Leistungsabfall: Die betroffene Person erzielt immer schlechtere Leistungen in Schule
und/oder Beruf.
 Körperliche Konsequenzen: Der hohe Mediengebrauch führt zu körperlichen Konsequenzen. Mögliche körperliche Konsequenzen sind: Müdigkeit verursacht durch Schlafmangel, Fehlernährung, Über- oder Untergewicht, Haltungsprobleme u.a.
 Belügen Angehöriger über Mediengebrauch: Die betroffene Person belügt ihre Angehörigen über das eigentlich Ausmass ihres Mediengebrauchs.
Obwohl in der Literatur schon verschiedene Vorschläge zur Diagnostik pathologischen Mediengebrauchs existieren, ist noch offen, wie hilfreich diese für Praktikerinnen und Praktiker sind,
welche diagnostischen Aspekte sie als relevant für die Praxis erachten und ob sie den Einzug von
Diagnosekriterien zu pathologischem Mediengebrauchs in die Diagnosemanuals begrüssen würden. Diesen offenen Fragen soll in dieser Arbeit nachgegangen werden.
25
Fragestellung und Hypothesen
1.8
Im Folgenden werden die Untersuchungsfrage, Nebenfragen sowie die Hypothesen dargestellt.
Untersuchungsfrage:
 Welche diagnostischen Aspekte eines pathologischen Mediengebrauchs aus der Literatur
erachten Praktikerinnen und Praktiker als relevant für die Praxis?
Nebenfragen:
 Welche eigenen Diagnosekriterien zur Erfassung von pathologischem Mediengebrauch
haben Praktiker und Praktikerinnen aufgrund ihrer Erfahrung generiert?
 Erachten Praktikerinnen und Praktiker pathologischen Mediengebrauch als eigenständige
psychische Störung, welche in den Diagnosemanuals aufzunehmen wäre?
Hypothesen:
 Praktikerinnen und Praktiker verwenden auch eigene Diagnosekriterien zur Erfassung
von pathologischem Mediengebrauch, die sie nicht primär anhand von Fachliteratur,
sondern aufgrund ihrer Erfahrung generiert haben.
In der Fachliteratur wurden schon diverse Diagnosekriterien zu pathologischem Mediengebrauch formuliert und es hat sich eine Vorstellung des Phänomens etabliert. Dennoch herrscht
kein endgültiger Konsens darüber, welche spezifischen Kriterien bei einer Diagnosestellung pathologischen Mediengebrauchs relevant wären. Verschiedene Forscherinnen und Forscher haben
ihre eigenen Ideen zu den Diagnosekriterien in den Diskurs eingebracht. Es kann postuliert werden, dass auch Praktikerinnen und Praktiker aufgrund ihrer praktischen Erfahrung eigene Diagnosekriterien generiert haben.
26
 Praktiker und Praktikerinnen betrachten pathologischen Mediengebrauch als eigenständige psychische Störung und erachten es als sinnvoll, eine oder mehrere Diagnosen zu pathologischem Mediengebrauch in die Diagnosemanuals aufzunehmen.
Es hat sich in der Literaturrecherche gezeigt, dass viele Forscherinnen und Forscher, die sich
mit dem Thema beschäftigen, pathologischen Mediengebrauch als eigenständige psychische Störung betrachten und es als sinnvoll erachten würden, eine oder mehrere Diagnosen zu pathologischem Mediengebrauch in die Diagnosemanuals aufzunehmen. Es ist davon auszugehen, dass
dies gerade auch Praktiker und Praktikerinnen, welche in ihrer Tätigkeit mit Betroffenen arbeiten,
befürworten würden.
 Praktiker und Praktikerinnen leiten ihre Diagnosekriterien zu pathologischem Mediengebrauch entweder vom substanzgebunden Abhängigkeitssyndrom (ICD-10: F10-F19;
DSM-IV: 304.XX) oder vom pathologischen Spielen (ICD-10: F.63.0; DSM-IV: 312.31)
ab.
Die meisten Forscherinnen und Forscher auf diesem Gebiet haben ihrer Diagnosekriterien zu
pathologischem Mediengebrauch vom substanzgebundenen Abhängigkeitssyndrom oder vom
Pathologischen Spielen abgeleitet. Es ist anzunehmen, dass auch die Praktikerinnen und Praktiker
sich daran orientieren.
2.
Methode
Im Folgenden wird die Methode der qualitativen Untersuchung erörtert. An dieser Stelle
soll erwähnt sein, dass die Untersuchung auf den theoretischen Überlegungen zu Experteninterviews von Gläser & Laudel (2009) aufbaut wie sie in ihrem Buch „Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse“ ausgeführt sind.
2.1
Beschreibung der Stichprobe
Um die Breite des Untersuchungsfeldes zu berücksichtigen, wurden Interviewpartnerin-
nen und -partner aus verschiedenen Kantonen, aus verschiedenen Tätigkeitsfeldern rund um das
Thema Sucht sowie Fachleute beider Geschlechter befragt. Die Fachpersonen wurden durch
27
Internetrecherche ausfindig gemacht und telefonisch oder per Mail kontaktiert. In nachfolgender
Tabelle wird ersichtlich, um wen es sich bei den jeweiligen Fachpersonen handelt:
Tabelle 4: Angaben zu den Fachpersonen
Name
Berufsabschluss Titel
Fachstelle
Funktion
Ort
Angelika
Sozialarbeiterin
Stiftung Suchthilfe
Beratung /
St. Gallen
Baumann
Christine
Dipl.
FH
Psychologin
Bühlmann
Prävention
lic.
Fachstelle für Gesund-
phil
heitsförderung, Präventi-
Beratung
Schaffhausen
Zürich
on und Suchtberatung
Franz Eiden-
Psychologe
benz
lic.
Zentrum für Spielsucht
Beratung/
phil.
und andere Verhaltens-
Therapie/
süchte, RADIX
Forschung/
Prävention
Sandra Kull
Psychologin
Dr.
Engler
Akzent Prävention und
Prävention
Luzern
Beratung /
Basel
Suchttherapie
Renanto Po-
Psychologe
lic.phil Abteilung für Verhaltens-
espodihardjo
Matthias Rauh
Sozialpädagoge
MAS
süchte der Universitären
Therapie /
Psychiatrischen Kliniken
Lehre /
Basel
Forschung
Berner Gesundheit
Beratung /
Burgdorf
Therapie
Regine Rust
Beat Wyss
2.2
Sozialarbeiterin
Psychologe
MSc.
Beratungszentrum Bezirk
Beratung /
Baden
Therapie
Dipl.
Suchtberatung Bezirke
Beratung /
FH
Aarau & Kulm
Therapie
Baden
Aarau
Methode der Datengewinnung
Die Experten und Expertinnen wurden anhand nicht standardisierter Leitfadeninterviews
(Gläser & Laudel, 2009) befragt. Der Leitfaden (siehe Anhang) umfasst acht Fragen, teilweise mit
Unterfragen. Diese Fragen wurden allen Expertinnen und Experten gestellt. Zusätzlich zu den
im Leitfaden enthaltenen Fragen wurden im Sinne des nicht standardisierten Interviews Ergän28
zungs-, Vertiefungs- und Klärungsfragen gestellt. Zudem wurde den Experten und Expertinnen
die Möglichkeit gegeben, am Ende des Interviews Ergänzungen zum Thema pathologischer Mediengebrauch zu machen, unabhängig von den im Leitfaden enthaltenen Fragen.
Der Interviewleitfaden wurde anhand des theoretisch erarbeiteten Vorwissens generiert
und in fragestellungsrelevante Kategorien unterteilt. Dabei wurde eine möglichst optimale Reihenfolge der Fragen im Leitfaden angestrebt, um vorwegnehmende Antworten zu vermeiden und
das Interview möglichst sinnvoll zu strukturieren.
Mit der Einstiegsfrage werden die für die Befragten persönlich als relevant erachteten Diagnosekriterien für pathologischen Mediengebrauch erfragt. Dabei werden in zwei Unterfragen
die Abgrenzung zwischen exzessivem und suchtartigem Mediengebrauch sowie das Vorgehen der
Fachleute bei der Diagnose pathologischen Mediengebrauchs erfragt. Die zweite Frage bezieht
sich auf das Pro und Contra einer Aufnahme der Diagnose pathologischen Mediengebrauchs in
den zukünftigen Versionen der Diagnosemanuals. Frage 3 und 4 erfassen die Diagnosekriterien,
welche nach der persönlichen Meinung der Expertinnen und Experten in den Diagnosemanuals
vorhanden sein müssten. Dabei wird auch erfragt, ob in der Literatur Diagnosekriterien fehlen,
die in der praktischen Arbeit mit medienabhängigen Personen verwendet. Frage 5 und 6 stellen
die beiden Diagnosen „substanzgebundenes Abhängigkeitssyndrom“ und „pathologisches Spielen“ einander gegenüber, um der Frage nachzugehen, ob die Verwendung der jeweiligen Diagnosekriterien zur Diagnostik pathologischen Mediengebrauchs sinnvoll wäre. In Frage 7 werden mit
Hilfe dreier Unterfragen die jeweiligen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschieden Subgruppen pathologischen Mediengebrauchs erfragt sowie die Einstellung der Experten und Expertinnen dazu, ob eigene Diagnosekriterien benötigt werden würden. In der Abschlussfrage wird
eruiert, wie die von pathologischem Mediengebrauch betroffenen Personen, die in den Fachstellen Hilfe suchen, von den Fachleuten erlebt werden.
Die Interviews wurden im Februar und März 2013 durchgeführt. Sie dauerten zwischen
30 und 60 Minuten. Die Interviews wurden in den jeweiligen Fachstellen durchgeführt. Dabei
wurden Tonaufnahmen erstellt, welche einzig zum Erfassen der Transskripte verwendet und
danach gelöscht wurden. Dies erfolgte mit Einverständnis der Experten und Expertinnen.
3. Ergebnisse
3.1 Beschreibung des Auswertungs-Verfahrens
Die acht Experteninterviews wurden anhand der Tonbandaufzeichnungen transkribiert
29
und gemäss qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) ausgewertet. Zur Auswertung wurden
alle acht Interviews verwendet. Die Kategorienbildung erfolgte primär durch die deduktive Kategorienanwendung wie sie in Abbildung 1 dargestellt wurde. Somit wurden die Kategorien anhand
des Leitfadens erstellt, der sich wiederum aus der erarbeiteten Theorie ableitete. Die deduktive
Kategorienanwendung, schien aus Sicht der Verfasserin und des Verfassers dieser Arbeit zwingend, da die Untersuchungsfrage „Welche diagnostischen Aspekte eines pathologischen Mediengebrauchs aus der Literatur erachten Praktikerinnen und Praktiker als relevant für die Praxis?“
einen Einbezug der Theorie voraussetzt. Nach erfolgter Auswertung anhand deduktiver Kategorienanwendung wurden die acht transkribierten Interviews erneut anhand induktiver Kategorienanwendung überprüft. Damit wurde das Ziel verfolgt, allfällige wichtige Kategorien, die durch
den offenen Charakter der durchgeführten Interviews entstanden sein könnten, miteinzubeziehen.
Die einzelnen Kategorien wurden definiert, mit Ankerbeispielen vertieft und mit quantitativen Aussagen ergänzt, die aufzeigen sollten, wie viele der Befragten sich im Hinblick auf die
jeweilige Kategorie einig waren.
Abbildung 1: Ablaufmodell deduktiver Kategorienanwendung (Mayring, 2000)
30
3.2 Darstellung der Ergebnisse
Kategorie 1: Diagnosekriterien zu pathologischem Mediengebrauch
a. Von den Fachpersonen explizit ausgeführte Diagnosekriterien
Das Kriterium, welches am meisten von den Fachpersonen erwähnt wurde, sind die negativen Auswirkungen auf sozialen Beziehungen bzw. sozialer Rückzug. Dieses Kriterium wurde
von sieben der acht Fachleute explizit angeführt.
[…] dass so Kokon-Effekte einsetzen. Dass sie quasi nur noch zu Hause sitzen […]. Wo
das in Japan besser untersucht wurde, dass die Jugendlichen wirklich nur noch zu Hause
sind, nicht mehr rausgehen und nur noch über das Internet mit der Welt kommunizieren
[…]
Fünf der Fachleute sahen die negativen Auswirkungen auf die Arbeit bzw. die schulische Leistung als relevantes Kriterium zur Diagnosestellung von pathologischem Mediengebrauch.
Und beim Gamen hatte ich jemanden, der ist mit den Arbeitskleidern aus dem Haus
gegangen, auf den Zug. Hat dann mit dem Zug wieder gekehrt, da dann die Mutter bei
der Arbeit war und ist dann wieder nach Hause gegangen, um zu gamen.
Das Kriterium Kontrollverlust wurde ebenfalls fünfmal genannt.
Ich glaube ich würde die Grenze [zwischen exzessivem und suchtartigem
Mediengebrauch] beim Kriterium des Kontrollverlustes ziehen. Also dass jemand der
wirklich süchtig spielt und es nicht ändern kann, auch wenn er es sogar will.
Fünffach wurde der Zeitfaktor als Kriterium genannt. Der Zeitfaktor umfasst sowohl die Anzahl
Stunden, die im Durchschnitt für den pathologischen Mediengebrauch aufgebracht werden, als
auch die langfristige Zeitspanne in der die betroffene Person dieses Verhalten bereits zeigt. Nur
eine Expertin bezifferte diesen Faktor.
31
Die nennen wir, die 35 Stunden. […] An dem orientieren wir uns und dann vermitteln
wir das so. Die 35 Stunden sind einfach von dieser Studie, bei der man gemerkt hat, dass
die, die onlinesüchtig sind, 35 Stunden und mehr pro Woche spielen. Und dann die 20
Stunden mit einer leichten Gefährdung.
Das Kriterium Toleranzentwicklung wurde viermal genannt. Ein Experte wies auf die Schwierigkeit hin, dieses Kriterium zu messen.
Toleranzentwicklung haben wir auch noch drin, wobei auch die Frage ist, wie man das bei
Medien festmachen will, da man nicht einfach klare Mengen hat und die Zeit alleine nicht
sehr viel aussagt.
Das Kriterium körperliche Veränderungen (wie Übergewicht, Fehlernährung, Schlafmangel etc.)
wurde von vier Fachpersonen ausgeführt.
Was noch dazu kommt ist der körperliche Aspekt; also dass es auch zu Übergewicht und
Fehlernährung kommt.
Wenn jemand sich vernachlässigt, nicht mehr isst.
Vier der Fachpersonen gaben in der Aufzählung von Kriterien an, dass die dysfunktionale Regulation von Affekten und Trieben ein Kriterium zur Diagnosestellung von pathologischem Mediengebrauch darstellen würde.
[…] was auch immer für eine Abhängigkeit vorliegt, ist Verdrängung von negativen Gefühlen, also von unangenehmen Gefühlen, also sozusagen im Sinne einer vermeidenden
Stressbewältigung; ein wesentliches Kriterium.
Von drei Expertinnen und Experten wurde das Kriterium Entzugserscheinungen genannt.
Und manifest wurde es [das Ausmass der Sucht], weil ihm der Computer kaputt gegangen
war und das brachte ihn ziemlich ins Kribbeln.
32
Zwei der Fachpersonen nannten explizit das Kriterium der Einengung des Verhaltens- und Gedankenraumes.
[…] Dann Einengung des Verhaltensraumes, also das Handeln und Denken ist auf das
Internet fokussiert, was zum Beispiel dazu führt, dass das Interesse an anderen Freizeitbeschäftigungen abnimmt. Also statt dass ich den Kollegen anrufe und nach draussen gehe
oder ins Kino gehe, gehe ich daheim aufs Netz und chatte, skype von dort aus mit ihm
und mache mit ihm noch Spiele.
Zwei der Fachleute gaben an, dass das Belügen Angehöriger über das Ausmass des Konsums ein
Kriterium darstelle.
Dass man andere und sich selber darüber belügt, über den effektiven Konsum.
Aufmerksamkeitsdefizite bzw. Konzentrationsprobleme finden bei zwei Fachpersonen Erwähnung.
[Zitiert einen fiktiven Patienten] „Naja, ich arbeite jetzt seit drei Jahren nicht mehr. Ich
bin, was die schulischen Leistungen anbelangt, eigentlich gut. Ich konnte das mehr oder
weniger gut schaffen Aber seitdem geht’s nicht mehr. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren.“
Zwei Experten sahen ein Kernkriterium in der Fortsetzung des Verhaltens trotz Schadensbewusstsein.
Wenn ich weiss, dass dieses Verhalten, das ich habe, mittelfristig oder kurzfristig Schaden
verursacht und ich dieses Verhalten dennoch weiter durchführe.
Zwei Expertinnen gaben an, dass es ja eigentlich keine Kriterien gäbe, da es sich noch um keine
offizielle Diagnose handle.
Und sonst sagen wir einfach auch, es gibt keine Kriterien. Also das ist noch nicht wirklich
eine psychologische Störung in dem Sinne mit Diagnosekriterien.
33
Zwei Expertinnen gaben die Entwicklungshemmung bei jüngeren Betroffenen als Kriterium an.
Jugendliche müssen gewisse Entwicklungsaufgaben bewältigen und ein [onlinesüchtiger]
Jugendlicher bleibt dann in der Regel in der Entwicklung stecken. Er weicht gewissen
Dingen aus, Anforderungen, Berufswahl, Freundschaften zu pflegen, und man merkt, der
bleibt jetzt stecken.
Eine Expertin nannte die Unfähigkeit, den Alltag zu bewältigen, als Kriterium für pathologischen
Mediengebrauch.
Also eigentlich finde ich, pathologisch wird es dann, wenn ein Mensch, also ein erwachsener Mensch nicht mehr in der Lage ist, seinen Alltag zu bewältigen.
Ein Experte sah ein Kriterium darin, dass Erfolgserleben nur noch durch Mediennutzung stattfinde.
Und was auch ist, ist, dass es [online] eigentlich der einzige Ort ist, wo Erfolg erlebt wird.
Das Kriterium „Übersensibilität in der Reaktionszeit“ wurde von einem Experten genannt.
[…] oder Übersensibilität in der Reaktionszeit, also dass die Personen enorm „klüpfig“
sind.
Ein Experte führte aus, dass der pathologische Mediengebrauch zu Beschaffungskriminalität führen könne.
Was wirklich neu für mich war, ist, dass aufgrund des Online-Spiels Delinquenz stattfindet. Das heisst, dass ich betrüge, dass ich Unterschlagungen durchführe, dass ich eine
Lehre dadurch verliere, weil ich aus der Kasse Geld rausgenommen habe.
b. Anlehnung an Kriterienkataloge aus der Literatur
Im Folgenden wird ausgeführt, auf welche Autoren und Autorinnen die Fachpersonen
sich bezüglich der Kriterien beziehen. Diese Liste umfasst lediglich Autoren und Autorinnen, die
34
explizit von den Fachleuten erwähnt wurden. Die jeweiligen Kriterien der Autorinnen und Autoren werden an dieser Stelle nicht wiederholt, da sie bereits unter Kapitel „1.5 Diagnosekriterien“
aufgeführt sind.
Zwei der Fachpersonen bezogen sich bei den Kriterien auf den Fachverband Medienabhängigkeit
Deutschland.
Folgende Autoren und Autorinnen wurden jeweils einmal genannt: Kimberly Young, André
Hahn & Matthias Jerusalem, Sabine Grüsser, Bert te Wildt, Dorothee Mücken sowie die Organisation Sucht Info Schweiz.
Kategorie 2: Unterschied zwischen exzessivem und suchtartigem Konsum
Drei der acht befragten Fachpersonen nannten die Fähigkeit zur Reduzierung des Medienkonsums bei anfallenden Aufgaben als Kriterium zur Unterscheidung zwischen exzessivem
und suchtartigem Konsum. So sei es bei den Personen, welche exzessiv, aber noch nicht suchtartig Medien konsumieren würden, durchaus noch möglich, den Konsum bei anfallenden Aufgaben
(z.B. schulischer Natur) vorübergehend oder langfristig zu reduzieren, wobei diese Möglichkeit
bei der Gruppe der suchtartigen Konsumenten nicht mehr bestehe.
Wir haben ganz viele Exzessive, bei denen wir sehen, die spielen phasenweise ohne Ende,
10, 20 Stunden am Tag; nachts; keiner weiss es. Sobald aber wichtige Aufgaben kommen,
[…] wird auch damit aufgehört.
Drei der Fachleute nannten die Intaktheit des Berufs- und Privatlebens ausserhalb des Mediengebrauchs als wichtiges Kriterium zur Unterscheidung zwischen exzessivem und suchtartigem
Konsum. So würden exzessive Konsumenten, die sich noch nicht im suchtartigen Bereich befänden, durchaus noch über ein intaktes Privat- und Berufsleben verfügen, während Personen, die
suchtartig Medien gebrauchten, meist nicht mehr ins Berufsleben integriert seien und kaum mehr
über ein Privatleben ausserhalb des Mediengebrauchs verfügen würden.
[…] oder ist es einfach exzessiv, aber es hat keine Folgen auf soziale Beziehungen oder er
geht noch in den Ausgang, macht seinen Job noch, und so weiter und ist aber vielleicht
exzessiv am Konsumieren.
35
Zwei der Fachpersonen differenzierten insofern, als dass der suchtartige Mediengebrauch deutlich länger anhaltend sei als der exzessive Mediengebrauch.
Suchtartig ist sicher etwas länger Anhaltendes und exzessiv kann sicher auch mal für eine
gewisse Zeit sein. Wenn beispielsweise Schulferien sind und dann hat man viel Zeit und
es regnet draussen oder so. Und dann wird halt einmal eine Woche lang ganz viel [gespielt] und dann fängt die Schule wieder an und es normalisiert sich wieder.
Eine Expertin bezeichnete den Gebrauch von Medien in aller zur Verfügung stehenden freien
Zeit als Kriterium für suchtartigen Konsum.
[…] dass Pausen nicht mehr Pausen sind, sondern dass sie genutzt werden für solche
Dinge. Und in jeder freien Minute wird aufs Handy gekuckt.
Ein Experte beschrieb, dass Personen mit suchtartigem Mediengebrauch den Konsum nicht
mehr aus eigener Kraft reduzieren könnten, sondern Hilfe von aussen benötigen würden.
Und ich denke in der Sucht ist es so, dass der Klient sagt: „Ich kann es nicht mehr stoppen, ich brauche Hilfe. Ich muss etwas herausfinden. Ich brauche äussere Möglichkeiten,
um es zu stoppen.“
Ein Experte beschrieb das Vorhandensein von Schemen als Kriterium für suchtartigen Mediengebrauch.
Also wenn Schemen da sind, dann kommen wir aus dem Exzessiven ins Problematische oder Krankhafte, Suchtartige.
Ein Experte sah ein Kriterium zur Unterscheidung von suchtartigem und exzessivem Mediengebrauch im Zusammenhang mit der Remissionsrate, wobei er bei Personen, die Medien exzessiv,
aber nicht suchtartig gebrauchen würden, eine hohe Remissionsrate vermutete.
Wobei das spannend ist, dass wir ja wahrscheinlich eine recht hohe, spontane Remissionsrate haben im Bereich des exzessiven Gebrauchs.
36
Ein Experte war der Ansicht, dass die Unterscheidung zwischen exzessivem und suchtartigem
Mediengebrauch nur aus ökonomischer Sicht Sinn mache, für die Behandlung aber keine Relevanz habe.
Die Unterscheidung ist es exzessiv aber nicht schädlich oder ist es exzessiv und schädlich,
das ist vor allem, denke ich, für Theoretiker wichtig, um die Diagnose zu stellen. Das ist
wichtig für Leute, die entscheiden wollen, ob eine Beratung etwas kosten soll oder nicht
oder ob der Arbeitgeber noch weiter aufkommen soll für den Betroffenen oder ob die Eltern mit einem Begriff leben können, dass ihr Kind krank ist […] also ökonomische
Gründe spielen eine Rolle, warum wir Sachen, Symptome zusammen „clustern“ und
nachher eine Diagnose machen. Also ich bin da jetzt mal relativ frech, also als Berater
[…] interessiert mich das weniger.
Kategorie 3: Vorgehen bei der Diagnostik pathologischen Mediengebrauchs
Vier der Fachleute sahen die Erhebung der zeitlichen Dimension des Mediengebrauchs als ein
zentrales Kriterium zur Diagnosestellung.
Natürlich spielt es auch eine Rolle, was für eine Zeitdimension es hat […], weil ab einer
gewissen Zeitdimension ist es schlicht nicht mehr möglich, anderes Freizeitverhalten zu
pflegen.
Drei der Fachpersonen wiesen darauf hin, dass die Einschätzung der Angehörigen über das Medienkonsumverhalten der zu beratenden Person wesentlich sei, um das Ausmass des Mediengebrauchs genauer erfassen zu können.
Und bei den Betroffenen, welche ja meist Jugendliche sind, ist auch die Einschätzung der
Angehörigen wichtig. Da [bei den Jugendlichen] ist ja die Vorstellung immer, ich habe
einfach ein exzessives Hobby und es ist eigentlich kein Problem.
Drei der Fachpersonen gaben an, dass auch die Selbstdiagnose der Betroffenen in die Diagnostik
miteinbezogen werde.
37
Meistens reicht der Hilfeschrei von irgendwelchen Leuten, die kommen, ob sie nun betroffen sind oder nicht, also ob es Angehörige sind oder nicht, und die fassen die Probleme meist zusammen in einem Kriterium.
[…] es gibt sozusagen Selbstdiagnostik von den Leuten, die ich mal zur Kenntnis nehme.
Zwei der Fachpersonen berichteten, dass Sie das Eruieren der genauen Form des Mediengebrauchs als wesentlich ansehen würden, um diagnostizieren zu können.
Wenn ich das Gefühl habe, ich möchte es genauer wissen, dann will ich wissen: Spieldauer, was genau […] und wie häufig. […] Und wir haben die Unterscheidung in die Hauptgebiete: Kommunikationsplattformen, Netzwerke, Gamen, Online-Gambling und Online-Sexsucht.
Zwei der Expertinnen gaben an, dass auch das Erziehungsverhalten der Eltern zu erfragen sei, da
die Eltern bei jungen Medienabhängigen miteinbezogen werden müssten.
Es kommen oft Eltern mit ihren Kindern zu dem Thema [pathologischer Mediengebrauch], wo wir schauen müssen, wo es den Bereich Erziehungsverhalten berührt […]
Eine Expertin fügte an, dass das jeweilige Medienkonsumverhalten der Eltern ebenfalls mitzuberücksichtigen sei.
Bei Jugendlichen gucken wir sicher bei der Diagnostik auch drauf, wie ist eigentlich das
Medienverhalten bei den Eltern? Es kann ja sein, dass Eltern sagen: „Mein Sohn sitzt zu
viel am PC“, aber die Eltern sind auch jede freie Minute mit irgendwelchen Medien beschäftigt.
Drei der Fachleute berichteten, dass sie diagnostische Tests verwenden würden. So wurden der
Youth Self- Report (YSR), die Child Behavior Checklist (CBCL), ein Screening Fragebogen von
Petri sowie der Lie-Bet-Screen als diagnostische Mittel angegeben. Ein Experte gab an, weitere
Tests zu verwenden, welche er aber nicht weiter ausführte.
38
Wir haben ein ganzes Arsenal von diagnostischem Material. Wir haben störungsspezifische und störungsübergreifende Diagnostik. Und alle Patienten, die zu uns kommen, bekommen dem ganzen Katalog.
Vielleicht kennen Sie den Lie-Bet-Screen vom pathologischen Glückspiel, […] ich versuch das jetzt mal transparent auf das Online Spiel anzuwenden […]
[…] manchmal setzte ich noch den Screening Fragebogen von Petri ein, der hat ja auch
einen entwickelt.
Wir haben uns jetzt zu diesem Zweck zwei Fragebögen zugetan. […] Also der eine ist der
YSR, Youth Self-Report, den der Jugendliche selbst ausfüllt und bei dem man so die
Bereiche Verhaltensauffälligkeiten, emotionale Probleme, Kompetenzen… ein bisschen
grob gesagt, das befragt. Und der andere Fragebogen ist die Child Behavior Checklist, die
man von den Eltern ausfüllen lässt und die in etwa die gleichen Bereiche befragt.
Obwohl die Mehrheit der Fachleute ihr Vorgehen bei der Diagnostik dargelegt hat, gaben fünf
der acht Fachpersonen an, keine Diagnostik im klassischen Sinne zu betreiben. Vielmehr gehe es
um ein Eruieren des subjektiven Leidens der Betroffenen und um ein Eruieren der Gesamtsituation.
Die Klienten, die zu mir kommen und sagen, sie können aus eigener Kraft ihren Konsum, ihres Konsumverhalten, nicht mehr reduzieren. Sie bräuchten jemanden, der ihnen
dabei hilft. Das ist für mich eigentlich zum Arbeiten Grund genug.
ICD-10 Diagnosen sind in der Praxis nicht wahnsinnig hilfreich. Also wir machen das generell relativ wenig. […] Wenn jemand kommt, der volljährig ist, dann geht es mehr darum ein Gesamtbild zu erfassen.
Eine Expertin gab an, gar keine Diagnostik zu betreiben.
Kategorie 4: Vorteile einer Aufnahme der Diagnose „pathologischer Mediengebrauch“ in
die Diagnosemanuals
Sechs der acht Fachpersonen sprachen sich für eine Aufnahme pathologischen Medien39
gebrauchs in die Diagnosemanuals aus. Zwei der Fachleute legten sich nicht fest, ob sie dafür
oder dagegen seien. Keine Fachperson sprach sich ausdrücklich gegen eine Aufnahme in die Diagnosemanuals aus. Als häufigstes Argument, welches für eine Aufnahme in die Diagnosemanuals spreche, wurde die Notwendigkeit einer Behandlungsgrundlage genannt, so dass das Phänomen in irgendeiner Form als Krankheit anerkannt werde und somit diagnostizierbar wäre.
Grundsätzlich würde ich es schon sehr begrüssen, dass das aufgenommen werden würde,
weil der Vorteil natürlich wäre, dass wir eine andere Behandlungsgrundlage hätten. […] In
der Behandlung tauchen die Menschen auf, bei den Beratungsstellen, aber es gibt eigentlich noch keine Grundlage. Auf welcher Grundlage behandeln wir eigentlich? Wir hier
auch, wir behandeln eigentlich, ohne dass es dafür eine Grundlage gibt und das ist meiner
Meinung nach nicht haltbar.
In diesem Zusammenhang wurde von vier der sechs Fachleute, welche für eine Aufnahme plädierten, darauf hingewiesen, dass eine Behandlungsgrundlage auch deswegen vonnöten wäre,
damit die Krankenkasse die Kosten für die Therapie übernimmt.
Die Krankenkassen müssen auch schauen, wie sie ihre Gelder zusammenbehalten. Das
wäre sicher etwas, was dafür sprechen würde. Dass man sagt: „Man muss das irgendwie
offiziell machen“, dass es gewährleistet ist, dass eine notwendige Behandlung finanziert
wird.
Vier Expertinnen und Experten haben angemerkt, dass das Phänomen in der klinischen Praxis
seit Jahren feststellbar ist und es darum ihrer Meinung nach gerechtfertigt wäre, es in die Diagnosemanuals aufzunehmen.
Die Kliniken sind voll, es gibt Internet- und Onlinesuchttherapie, die gibt es, aber es gibt
sie noch nicht wirklich mit den Kriterien definiert in den gängigen psychologischen Diagnosemanuals; das ist für mich unverständlich, warum das jetzt in der neuen revidierten
Form nicht aufgenommen worden ist, ich kann es nicht ganz nachvollziehen.
Die Fachleute waren sich darüber einig, dass der Gebrauch von Medien zweifelsohne krankhaft
werden könne und Suchtpotenzial beinhalte, was zum jetzigen Zeitpunkt im ICD-10 und im
DSM nicht berücksichtigt werde.
40
Es ist eine Form […], die behandelbar ist und behandelt werden soll, und es soll auch
nach den, denk ich mal, Prinzipien der medizinischen, psychologischen Suchtbehandlungen [behandelt werden]. Die ganzen Instrumente, die wir für die Suchtbehandlung haben,
die evaluiert sind, die kann man gut auch transferieren in diesen Bereich. Nicht alle, aber
vieles kann man gut übernehmen. Und von daher ist es sinnvoll aus einer praktischen
Perspektive die Diagnose zu haben und auch die Instrumente der Suchtbehandlung zu
verwenden.
Von drei Fachpersonen wurde das Argument genannt, dass eine Diagnose zur Entlastung der
Betroffenen führen könnte.
[…] die Entlastung, die eine Diagnose mit sich bringt, nämlich, dass man sagen kann, das
ist eine Krankheit, und eine Krankheit, da kann man jetzt nicht einfach a priori etwas dafür, sondern man wird irgendwie krank und es kann verschiedenen Leuten passieren, vor
allem wenn man gewisse Vorbedingungen oder Lebenssituationen hat.
Kategorie 5: Nachteile einer Aufnahme der Diagnose „pathologischer Mediengebrauch“
in die Diagnosemanuals
Obwohl sich keine der Fachpersonen ausdrücklich gegen eine Aufnahme pathologischen
Mediengebrauchs in die Diagnosemanuals ausspricht, sehen sie durchaus auch Aspekte, welche
gegen eine Aufnahme sprechen könnten oder bei einer allfälligen Aufnahme kritisch hinterfragt
werden sollten.
Vier der Fachpersonen sehen eine Gefahr darin, dass vorschnell pathologisiert wird und dementsprechend der Begriff der Sucht vorschnell gebraucht wird, was zu einer Stigmatisierung führen
könnte.
Jetzt ist es natürlich gefährlich oder ungut, wenn man zu schnell ein Phänomen als Sucht
definiert, weil das Risiko besteht, dass man den Suchtbegriff inflationär braucht […], es
ist klug und richtig, dass das nicht voreilig passiert, um die Leute nicht zu stigmatisieren,
um auch nicht etwas als Problem zu diagnostizieren, oder zu beschreiben, obschon eigentlich die Ursache oder der Kernpunkt anderswo liegt.
41
Eine Expertin wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es ein Phänomen der heutigen
Zeit sei, zu pathologisieren.
Was dagegen spricht ist, dass man versucht alles, was ein bisschen anders ist, als krank zu
bezeichnen. Das ist letztlich auch etwas Gesellschaftliches. Und kann zu einer Stigmatisierung führen. [...] Oder das andere ist halt, dass Normalität immer enger wird. Aber das ist
jetzt eine generelle Aussage zu Diagnosen. Wie viel verträgt es, dass jemand etwas ein
bisschen anders macht?
Vier der Fachpersonen nannten als Nachteil einer Aufnahme der Diagnose in die Manuals die
mangelnde wissenschaftliche Begründung und den fehlenden Konsens unter Fachleuten.
Ich verstehe wohl aus der Forschungslage heraus, dass man sagt, wir werden es noch
nicht als Krankheitskriterium aufnehmen, weil bestimmte Sachen nicht geklärt sind. Und
eine Sache ist für mich mit Sicherheit noch nicht geklärt. Ist es eine selbständige Erkrankung oder ist es ein Phänomen, das sich aus einer anderen Erkrankung erklären lässt?
Beim Glücksspiel, ja. Ich kenne Glücksspieler, bei denen ich sagen würde: „Ich lege meine Hand ins Feuer, da ist nichts anderes als das Glücksspiel.“ Und das massiv, exzessiv,
schädigend. […] Beim Online vermag ich das nicht zu sagen. Ich würde es auch als Sucht,
Abhängigkeit beschreiben. Aber es ist nur das Phänomen, aber noch nicht unbedingt die
Grunderkrankung, nicht die einzige Erkrankung. Und so lange es das nicht gibt, können
wir auch von keiner Erkrankung sprechen. Es braucht noch Forschungsarbeit, aber ich
denke, dass es reinkommen wird. […]
Zwei Experten betonten, dass eine Diagnose für die Arbeit als Therapeut für sie überhaupt nicht
relevant sei. Einer davon gehört zu der Gruppe, welche sich nicht festlegte, ob eine Aufnahme
der Diagnose in die Diagnosemanuals zwingend notwendig sei. Der andere hat sich dennoch für
eine Aufnahme ins Diagnosemanual ausgesprochen.
Zum Arbeiten nützt mir die Diagnose überhaupt nichts. Es ist für mich egal. Ob jemand
eine Depression hat oder eine Alkoholsucht hat, weil am Ende das Lebensthema, das dahinter steht, immer individuell ist. Es ist auch oft ein Anlassproblem, eine Anlassdiagnose. […] Es gibt viele Anlassdiagnosen, bei denen es nicht um Onlinekonsum geht, dieser
42
aber dann irgendwann auftaucht. Oder wo jemand mit Online-Problemen kommt, es aber
eigentlich um Beziehungsprobleme geht.
Kategorie 6: In der Literatur fehlende Diagnosekriterien
Fünf der acht Expertinnen und Experten bejahten die Frage, ob in der Literatur Diagnosekriterien fehlen, die in der Praxis von Bedeutung wären. Zwei der Fachleute waren der Meinung, dass die Diagnosekriterien in der Literatur genügend ausgearbeitet seien. Eine Fachperson
gab an, sie kenne sich in der Literatur zu wenig aus, um die Frage zu beantworten.
Eine Expertin sagte aus, dass für sie das Thema Vermeiden in der Literatur als Diagnosekriterium
zu kurz käme.
Ich glaube das Thema „Vermeiden“ in jeglicher Form würde ich auf jeden Fall mit aufnehmen. Es ist natürlich so ein bisschen schon drin, aber ich erlebe es als ganz zentral.
Und in so einer Form, die ich so von anderen Suchtformen nicht kenne. Ich finde gerade
bei Computerspielern, wenn sich das manifestiert hat und wenn die kommen - ich hab so
einige junge Männer im Kopf, die sind so um die dreissig, und viele Dinge, die irgendwie
gescheitert sind, oder Abbrüche, was ein sehr klassisches Merkmal ist, und wenn es darum geht, gibt es vordergründig eine hohe soziale Anpassung, vordergründig ganz stark,
darunter steckt aber ganz tiefes Vermeiden. Wenn Sie mit denen im therapeutischen Prozess etwas erarbeiten, dann gibt’s ganz viel Zustimmung… dass sie das erst mal mitgeben
und da drunter liegt aber ganz viel Vermeiden. Das heisst, wenn sie das nächste Mal mit
denen das wieder anschauen, gibt’s ganz viel, das nicht stattgefunden hat, weil es quasi eine Überforderung ist. Ich glaube, Vermeidung ist ein ganz grosses Thema, das da drunter
liegt.
Eine Expertin gab an, dass für sie eine Festlegung von Anzahl Stunden, welche man vor dem
Medium verbringt, fehle.
Eben die Stunden. Also wie viele Stunden […] Gibt es unterschiedliche Anzahl Stunden
je nach Altersgruppe, nach Geschlecht oder so? Wir merken bei der Arbeit, das ist etwas,
an dem sich unsere Zielgruppe und Schlüsselpersonen gerne daran orientieren.
43
Ein Experte findet, dass in den Diagnosekriterien, welche in der Literatur beschrieben sind, die
systemische Sichtweise auf das Problem zu kurz komme:
Der Aspekt, dass es eigentlich ein interaktives und damit ein Beziehungsproblem oder
systemisch gesehen ein familiäres Problem ist […], würde heissen, dass man eigentlich
Beziehungs- und Konfliktsituationen im System in die Diagnose miteinbeziehen müsste.
Das heisst, es bräuchte eigentlich eine systemische Diagnose. Eltern, die ein Problem mit
der Ablösung von den Jugendlichen […] haben, haben einen enormen Sekundärgewinn,
wenn sie einen internetsüchtigen Sohn haben. Ebenso vielleicht eine überängstliche Mutter, die zwar sieht, dass es ein Problem ist, aber keine Angst haben muss vor Unfällen, vor
Drogenkonsum, vor sexuell übertragbaren Krankheiten und so weiter. Die Hauptergänzung wäre eben, dass eigentlich die Systemdiagnostik, im Sinne von „gibt es ein Problem
im Konflikt und ein Problem mit dem Umfeld?“, dass das zu wenig einbezogen wird, und
ich mache das in der Praxis, indem ich möglichst versuche, das System als Ganzes anzuschauen und auch einzuladen.
Ein Experte nannte einen ätiologischen Aspekt, um aufzuzeigen, welche Diagnosekriterien seiner
Meinung nach in der Literatur fehlen.
Wofür ich mich jetzt wirklich einsetzen würde, wäre zum Beispiel bei einem Gamer, den
ganz tiefen Spieltrieb, den solche Personen haben. Die Lust einfach zu spielen. Und die
das Spielen als positive Lebenserfahrung oder als Möglichkeit, die Welt zu erleben oder
Möglichkeit zu lernen, wahrnehmen. Und ich finde, es wäre schön, wenn diese Stimme
noch etwas lauter werden würde.
Ein Experte, welcher aussagte, dass er die Erfahrung gemacht habe, dass in der Literatur Diagnosekriterien fehlen würden, die in der Praxis von Bedeutung seien, differenzierte zwischen Kriterien für die Diagnose und solchen für die Behandlung.
Für die Diagnose nicht, aber für die Behandlung ja. Und für die Behandlung braucht es
natürlich die differenziertere, wahrscheinlich auch immer wieder verändernde Frage in
Bezug auf das Konsumprodukt. […] Also Second Life zum Beispiel ist jetzt ein völlig alter Hut. Aber SMITE, wenn wir erklären würden, was SMITE ist, dann würden Sie sagen:
„Was, das ist aber spannend“ und dann würde ein Abhängiger sagen: „Das ist schon ein
44
alter Hut. Das ist ein Restposten, der noch übrig ist. Wir sind schon wieder ganz woanders“. Das heisst wir brauchen in der Behandlungsdiagnostik… nenne ich das
Mal…Interviewsituationen, in denen wir das Produkt genau anschauen, wo sind sie und
auf welchem Absprung sind sie schon wieder? Und ich muss in sein. Und natürlich bin
ich völlig out und ich werde immer out sein, und ich muss versuchen irgendwo noch eine
Verbindung hinzubekommen, um behandeln zu können und zu sehen, was passiert da eigentlich? Das heisst ich brauche eine intensive Produktbeschreibung, eine individuelle Beschreibung. Das ist anders als bei den anderen Abhängigkeiten.
Kategorie 7: Anlehnung an das substanzgebundene Abhängigkeitssyndrom oder an das
Pathologische Spielen
Während sich viele Forscherinnen und Forscher bei der Ausarbeitung der Diagnosekataloge für pathologischen Medienkonsum an den Diagnosekriterien für pathologisches Spielen orientierten, erachteten andere die Diagnosekriterien für das substanzgebunden Abhängigkeitssyndrom als geeignet zur Diagnosestellung pathologischen Mediengebrauchs.
Die Meinungen der Befragten, wie weit die Anlehnung an das Abhängigkeitssyndrom bzw. das
pathologische Glücksspiel sinnvoll ist, gehen auseinander.
Drei Fachpersonen waren der Meinung, dass die Anlehnung an das Abhängigkeitssyndrom
grundsätzlich geeignet sei zur Diagnosestellung pathologischen Mediengebrauchs.
Eine davon wies darauf hin, dass sie aber auch das pathologische Spielen unter das substanzgebundene Abhängigkeitssyndrom einordnen würde und dass in dieser Kategorie wiederum gut
differenziert werden müsste.
Ich würde auf jeden Fall den pathologischen Mediengebrauch und das pathologische
Glücksspiel unter die Kategorie der Süchte einordnen, wobei ich genau gucken würde.
Gerade beim Bereich Medienabhängigkeit würde ich sehr genau gucken, was darunter anzusiedeln ist. Zum Beispiel den Bereich Internetpornografie würde ich unter Sexsucht
klassifizieren. […] die Fälle, die ich erlebt habe, waren immer so, dass das Eigentliche das
Thema Sexsucht war und das Internet die Plattform war, so wie eine Darreichungsform
[…]. Ich glaube nicht, dass das wirklich mit dem Internet zu tun hat, sondern das ist eher
was anderes, glaube ich. Also ähnlich wie zum Beispiel beim Glücksspiel. Das Glücksspiel, welches online betrieben wird, würde ich auch nicht unter Medienabhängigkeit einordnen, sondern immer unter Glücksspiel.
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Einer der Experten fand es grundsätzlich sinnvoll, die Diagnosekriterien für das substanzgebundene Abhängigkeitssyndrom zur Diagnosestellung pathologischen Mediengebrauchs zu verwenden, wies aber darauf hin, dass die Kriterien des Abhängigkeitssyndroms noch stark ausgebaut
werden müssten, um sie auf den pathologischen Mediengebrauch übertragen zu können.
Ja das ist praktikabel. Extrem praktikabel [...] Bei den Abhängigkeiten haben wir oft den
Entzug, bei den Substanzen. Der körperliche Entzug. Anders bei den Substanzungebundenen [...] der Glückspielsüchtige, der hat ein starkes Craving. Der träumt vom Glückspiel. Er träumt, wie die Kugel rollt. Sehr plastisch. Im Entzug, das heisst in der Spielabstinenz, intensiviert sich das und dann fliesst es wieder raus. Und bei den Onlineabhängigen, bei bestimmten Produkten bei der Onlineabhängigkeit, dort haben wir einen anderen
Entzug oder einen anderen Prozess. Und das ist nämlich die Ablösung von sozialen Bindungen, von extrem intensiv erlebten sozialen Bindungen. Und dass wir dann vielleicht
vom Thema der Trauer sprechen. Das heisst wir haben keinen Entzug, sondern einen
Trauerprozess, eine Trauerverarbeitung. Ich bin jetzt da kein Experte so in diesem Bereich, aber ich würd mir schon wünschen, dass man das nochmal abfragt, auch ein Kriterium dafür… das ist nicht das Craving, nicht das Verlangen danach. Ich glaub, es hat eine
andere Qualität. Dass man das auch erfragt. Denn ich glaube je intensiver die Beziehungsverbundenheit im Netz… und die bezieht sich nicht nur auf Personen im Netz, mit
denen ich Kontakt habe. Das heisst wenn ich WOW spiele und ich hab einfach ein geniales Schwert, und ich hab lange an diesem Schwert gearbeitet und es hat keiner so ein
Schwert wie ich, dann entwickle ich eine Bindung zu diesem Schwert, die auch eine Krisenqualität hat. Und ich gebe es nicht auf. Ich hab’s in meinem stillen Kämmerlein, dieses Schwert. [...] Diese Qualität müsste man glaube ich noch irgendwie erfassen und ist
prognostisch ganz wichtig und auch behandlungstechnisch ganz wichtig, in Bezug auf den
Umgang mit Entzug und auch der Rückfallprophylaxe und so weiter. Also das heisst, diese Kriterien für substanzgebundene Abhängigkeit, ja [die machen Sinn]. Sie wären noch
zu modifizieren und es bräuchte zusätzlich einige deutlich andere Kriterien.
Zwei der Experten, welche die Anlehnung an das substanzgebundene Abhängigkeitssyndrom als
diagnostisch geeignet empfinden, betonten, dass eine Anlehnung an das pathologische Spielen
ihrer Meinung nach verfehlt wäre, da es sich um eine andere Form der Abhängigkeit handle.
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Ich behaupte, es ist eine Differenzierung nötig, denn Glücksspieler haben noch andere
Ziele. Der pathologische Spieler hat ein anderes kompensatorisches Verhalten, er braucht
das Spielen für andere kompensatorisches Faktoren als jemand, der skypesüchtig ist oder
chatsüchtig oder pornosüchtig, es geht um etwas anderes. Ganz viele pathologische Spieler haben noch das Thema Perfektionismus, Glück haben, Gewinn haben, Erfolg haben,
Reichtum, Anerkennung. Es wäre jetzt, zum jetzigen Zeitpunkt, finde ich, falsch, wenn
man es gleich eingliedern würde. Das kann man dann vielleicht in fünfzig Jahren machen,
wenn alles viel differenzierter ist, dass man dann vielleicht bei beiden Gruppierungen
mehr Kriterien hat.
Zwei der Experten und Expertinnen erachteten die Diagnosekriterien für pathologisches Spielen
als geeigneter zur Diagnosestellung pathologischen Mediengebrauchs.
Ich denke, dass eine andere Verhaltenssucht, wie das jetzt eben das pathologische Spielen
darstellt, geeigneter ist. Es ist ja so, dass es Parallelen und Unterschiede gibt zwischen
substanzgebundenen Abhängigkeiten und Verhaltenssüchten. Ein gewisser Vorteil des
Substanzgebundenen ist, dass man dem Suchtmittel die Schuld oder die Ursache zuschreibt, was zu einer Entlastung von Schuldgefühlen führt. Das ist bei den Verhaltenssüchten nicht der Fall, oder eben bei der Mediensucht. Bei den Verhaltenssüchten und
insbesondere bei den Mediensüchten ist es eigentlich ein Verhalten, das der normale
Mensch auch macht und in dem Sinn auch sehr unauffällig ist, insofern finde ich die Abgrenzung gegenüber den Substanzen sinniger. [...] Ich glaube die einfachste Unterscheidung ist wirklich die Verfügbarkeit und die unauffällige Verfügbarkeit und das fehlende
Bewusstsein, dass es ein Risiko ist. Wenn jemand hinter einem Computer sitzt, haben Sie
das Gefühl, der macht etwas Gescheites, wenn jemand hinter einem Glas Wein sitzt, dann
haben Sie vielleicht auch das Gefühl, der geniesst das, aber wenn er das dritte Glas trinkt,
dann ist’s dann vielleicht ein Problem, hingegen wenn er drei Stunden hinter dem Computer sitzt, haben Sie noch nicht das Gefühl, der hat jetzt ein Problem.
Eine Expertin favorisierte zwar die Anlehnung an das pathologische Spielen, da es auch eine substanzungebundene Sucht darstellt, relativierte aber ihre Aussage, indem sie darauf hinwies, dass
letztendlich auch die Kriterien des pathologischen Glücksspiels auf dem substanzgebunden Abhängigkeitssyndrom beruhen würden.
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Glücksspiel passt ein bisschen besser, weil es auch nicht eine substanzgebundene Sucht
ist. Darum passt die Anlehnung an das Glückspiel. Aber die Kriterien des Glücksspiels
sind ja auch abgeleitet vom substanzgebundenen Abhängigkeitssyndrom, also letztendlich
ist das wieder dasselbe. Aber wenn man die Glücksspiele schon hat, dann ist es naheliegend den nächsten Schritt zu machen und zu sagen, man definiert die Internetsucht auch
mal. Man hat ja die Grundlagen schon.
Drei der Expertinnen und Experten haben sich nicht festgelegt, ob die Anlehnung an die Diagnosekriterien des substanzgebunden Abhängigkeitssyndroms oder an die des pathologischen
Spielen bessert geeignet wären.
Einer der Experten hielt weder die Anlehnung an das substanzgebunden Abhängigkeitssyndrom
noch die Anlehnung an das pathologische Spielen für geeignet, da eine Differenzierung verschiedener Süchte für die Behandlung unerlässlich sei.
Also das Naheliegende ist, dass man Dinge mit Dingen erklärt, die man schon vorher gekannt hat. Aber je schärfer man hinschaut, desto differenzierter wird es und desto mehr
Unterschiede gibt es. [...] Je differenzierter es ist, desto mehr kann ich mich einfühlen und
professionell vorbereiten. Wenn man sagt „hören Sie, Sie haben in etwa das gleiche Probleme wie ein Alkoholiker. Sie müssen einfach mal das Zeug absetzen und schauen, ob es
besser wird“, dann finde ich das etwas flach. Ich habe halt mehr den Behandlungsfokus
als den diagnostischen Fokus.
Eine weitere Expertin befand ebenfalls, es spiele für die Behandlung grundsätzlich keine Rolle, an
welcher Kategorie man sich eher anlehne.
Ich habe einen Artikel gelesen, der mir sehr gut gefallen hat. Da steht irgendwo relativ lapidar, das sei einfach ein akademischer Streit. Ob man das vergleichen könne oder nicht,
sei für die Praxis eigentlich nicht relevant. Und der hat mir ziemlich aus dem Herzen gesprochen. [...] Für die Forschung mag es meinetwegen eine Rolle spielen, aber für die
Praxis nicht.
Eine Expertin, welche sich ebenfalls nicht festlegte, sah bezüglich pathologischen Mediengebrauchs Ähnlichkeiten und Unterschiede sowohl zum substanzgebunden Abhängigkeitssyndrom
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wie auch zum pathologischen Glücksspiel. So sagte sie zur Anlehnung des pathologischen Mediengebrauchs an das substanzgebundene Abhängigkeitssyndrom:
Es gibt sicher Ähnlichkeiten, ob jemand kifft oder ob jemand viel am PC sitzt. Also der
Zweck und was es bedeutet und wie es einem geht und was man damit erreichen kann.
Da gibt’s oft ganz viele Ähnlichkeiten. Was für mich der Unterschied ist, ist, dass man bei
Substanzen ein Ziel von Abstinenz verfolgen kann. Und bei den Verhaltenssüchten kann
man das ja nicht. [...] Verhaltenssüchte, ob es jetzt Kaufsucht ist, Internetbenutzung, das
sind Alltagsdinge...Wenn man versucht, abstinent zu leben, dann ist man heutzutage
ziemlich nebenan. Das ist ein grosser Unterschied für mich. Und eine andere Herausforderung. Man muss lernen damit anders umzugehen.
Auch zwischen pathologischem Mediengebrauch und pathologischem Glücksspiel sah sie Unterschiede wie auch Ähnlichkeiten.
Es gibt definitiv Unterschiede. Ob jemand immer Facebook oder soziale Netzwerke benutzt, immer im Kontakt mit jemandem ist. Das ist nicht das Gleiche, wie wenn sie an einem Spielautomaten sitzen. Oder wenn sie Strategiespiele spielen, das will ich nicht vergleichen mit Glücksspiel. Beim Glücksspiel geht es auch ums Geld. Und um Gewinnen.
Das kann es auch bei einem Computerspiel mal geben. Dann hat es wieder Ähnlichkeiten.
Generell würde ich sagen, es ist nicht das Gleiche. Aber es gibt Ähnlichkeiten, immer
wieder. Ob jetzt jemand immer vor dem Spielautomaten sitzt, damit er den Alltag hinter
sich lassen kann oder ob jemand Fernsehen guckt. Man muss immer die Funktionen beachten. Manchmal sind sie ähnlich wie beim Glücksspiel. Und es gibt ja wahnsinnig viele
Überschneidungen, weil sie Glücksspiel ja auch online machen können. Und dann ist die
Frage, was steht im Vordergrund? [...] Ich glaube, das macht es auch ein bisschen schwierig, diese Mediensüchte im Allgemeinen in etwas einzuordnen.
Kategorie 8: Praxisrelevante Subgruppen pathologischen Mediengebrauchs
Sieben der insgesamt acht befragten Fachpersonen bieten Beratung und Therapie für Personen an, deren Mediengebrauch sich im pathologischen Bereich bewegt. Folgende Subgruppen
begegnen diesen Fachleuten ihrer Aussage gemäss in der Praxis: Computerspielsucht, Online-
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Sexsucht, Online-Kommunikationssucht, Online-Glücksspielsucht, Online-Kaufsucht, Sucht
nach Sammeln von Informationen.
Alle sieben dieser Praktikerinnen und Praktiker gaben an, dass sie von vielen Klientinnen und
Klienten wegen Computerspielsucht – viele Fachleute nannten dafür auch den Begriff Gamesucht – aufgesucht wurden.
Also sicher, das Gamen treffen wir oft in der Praxis an. Alle Arten von Strategiespielen,
Rollenspielen, sich in neuen Welten mit neuen Identitäten bewegen.
Sechs Fachleute haben die Erfahrung gemacht, dass Menschen wegen ihrer Sucht nach OnlinePornografie zu ihnen in die Beratung kommen.
Wir haben natürlich auch Leute im Bereich Sexsucht, bei denen online ein grosses Thema
ist. [...] Das sind eher Erwachsene.
Fünf Fachleute haben Erfahrungen mit Klientinnen und Klienten, die wegen ihrer OnlineKommunikationssucht, welche durch Social media, Chatten oder Skypen befriedigt wird, in die
Beratung kamen.
Die klassischen Subgruppen sind für mich Computerspiel, dann Chat und Kommunikationssystem und das Dritte ist Onlineporno. Von denen sehe ich alle Gruppen, am meisten
Computerspiel und Kommunikation bei Jugendlichen und Online-Sexsucht am meisten
bei männlichen Erwachsenen. Und bei den Computerspielsüchtigen bin ich eigentlich der
Meinung, dass die auch den Bereich von Chat und Kommunikation... so den Aspekt, den
Suchtaspekt haben, weil bei den Online-Rollenspielen - was ja die meisten sind - die ich
antreffe, am allermeisten WOW, wird ja häufig im Spiel oder neben dem Spiel kommuniziert.
Vier der Befragten nannten Online-Glücksspielsucht als weiteres wichtiges Phänomen, weshalb
Menschen zu ihnen in die Beratung kommen.
Online-Glücksspiel, denke ich, haben wir beinahe am Meisten. Zum Beispiel ein Hausarzt
oder eine Lebenspartnerin oder so entdeckt das und findet... Der Leidensdruck ist ja dort
auch vorhanden, weil es um Geld geht.
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Eine Expertin führt aus, dass unter das Phänomen der Online-Glücksspielsucht auch das Thema
Wetten fällt, welches sie in der Beratung ebenfalls antrifft.
Wir haben Personen im Bereich Glücksspiel. Dass Leute sich im Casino sperren lassen
und dafür online spielen. Glücksspiel besteht nicht nur aus Casino-Sachen, sondern Wetten ist auch ein ganz grosses Thema. Sportwetten. Oder überhaupt Wetten. Das haben
wir in der Beratung.
Zwei Fachpersonen haben die Erfahrung gemacht, dass Menschen aufgrund von OnlineKaufsucht zu ihnen die Beratung kommen.
Ich treffe natürlich Leute an, die ihre Kaufsucht jetzt so neu gestalten. Die Kaufsucht hat
sich verändert. Die Kaufsucht von heute ist logischerweise morgen nicht mehr die gleiche
[...] also meine Generation hat noch ohne Kärtchen eingekauft, wir haben noch ohne
Kreditkarte eingekauft, wir hatten noch Geld in der Börse, es hat noch ein Portemonnaie
gebraucht, ich konnte das Geld abzählen, das muss ich heute nicht mehr. Wer schon früher Mühe hatte mit Zahlen, sich nicht vorstellen konnte, wie viel ist jetzt das abstrakt
zehn Franken, der wird jetzt noch mehr Mühe haben.
Zwei der Fachleute nannten das Sammeln von Informationen im Internet als Erscheinungsform
der Sucht, welche ihnen in der Beratung bereits begegnet ist.
Es gibt so dieses viele Datenrunterladen, quasi das Sammeln im Internet, dieses Informationensammeln, das hab ich halt auch schon gehabt, dass man wirklich von einer Information zur nächsten surft und so im Netz verloren geht.
Kategorie 9: Subgruppenspezifische Symptome
Sechs Expertinnen und Experten waren der Meinung, dass die Symptome der verschiedenen Subgruppen sich voneinander unterscheiden und bei einer Aufnahme in die Diagnosemanuals dementsprechend jeweils eigene Diagnosekriterien für die einzelnen Subgruppen nötig wären.
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Einer der Experten war der Meinung, dass für die Subgruppe Online-Glücksspielsucht das Kriterium der Beschaffungskriminalität aufgeführt werden sollte.
Da hat sich eine neue Gruppe installiert, die Glücksspieler, die Glücksspiel auf einem Online-Niveau betreiben. Das heisst sie geben Geld rein, kriegen aber kein Geld raus, spielen
aber dennoch das Glücksspiel exzessiv. Es sind also alle Charakteristiken des Glücksspiels, ausser, dass sie keine monetäre Gewinnerwartung haben, sondern eine Punkteerwartung und Levelerwartung. Da ist die Frage, ist es Glücksspiel? Ist es nicht mehr
Glücksspiel? Es ist schwer zu sagen. Ich würde sagen, es ist wahrscheinlich noch Glücksspiel, aber eine neue Form. Was für mich wirklich neu war, ist, dass aufgrund des OnlineSpiels Delinquenz, also real-life Delinquenz stattfindet. Das heisst, dass ich betrüge, dass
ich Unterschlagungen durchführe, dass ich eine Lehre dadurch verliere, dass ich aus der
Kasse Geld rausnehme. Und das ist ein neues Phänomen. Über das Medium Spiel wird
eine Bindung geschaffen, es wird Online Commerce eingebaut, wo ich dann Dinge kaufe,
die ich natürlich durch reales Geld kaufen muss, ich es dann aber nicht mehr realisieren
kann und dies zu Delinquenzen führt. Beschaffungskriminalität haben Sie beim Glücksspiel, bei der Kaufsucht auch. Das haben Sie bei Online-Sucht noch nicht drinnen. Und
ich lege meine Hand ins Feuer, das wir als Kriterium auch noch kommen. Vor einem halben Jahr habe ich nicht danach gefragt. Heute frage ich danach. Ob sie schon mal Geld
irgendwo genommen haben, etc.
Ein weiterer Experte wies darauf hin, dass sich die Symptome des Online-Glücksspiels von
Symptomen anderer Subgruppen insofern unterscheiden würden, als das es um Geld ginge.
Beim Online-Gambling herrscht der Zwang, das zu machen. Und in dem Moment, in
welchem die Karte dann geladen ist, ist alles auf Spielen gestellt. Und dann die Geschwindigkeit… und weil es um Geld geht… da gibt es Folgeerscheinungen, dass die Personen
versuchen, ihre Rechnungen am Partner vorbeizubringen. Was dann alles gemacht wird,
um dem aufwendig aus dem Weg zu gehen; das sind ganz andere Äusserungsformen.
Eine der Fachpersonen befand, dass sich Computerspielsucht in den Symptomen von den anderen Subgruppen unterscheide; so sei der der zeitliche Aufwand bei dieser Gruppe enorm und
müsste bei der Erfassung der Störung mitberücksichtigt werden.
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Wenn jemand Strategie- oder Rollenspiele macht, dann müssen Sie immer da sein, damit
der Level gehalten werden kann. Da müssen Sie drin bleiben. Also das hat eine ganz andere Auswirkung auf die Symptome, als wenn Sie stundenlang Fernsehen gucken oder so.
Da verlieren Sie viel mehr, wenn Sie sagen: „Ich pausier mal zwei Wochen oder drei.“
Dann fangen Sie von vorne an. Dann interessiert sich vielleicht auch niemand mehr für
Sie. Da haben Sie viel mehr zu verlieren. […] Wenn es eine Diagnose geben soll „pathologischer Mediengebrauch“, dann bräuchte es Untergruppen. Es bräuchte eine Menge
Unterabteilungen, weil es nicht immer dasselbe ist.
Zwei Experten sahen deutliche Unterschiede zwischen den Subgruppen und deren Symptomen,
nannten aber keine spezifischen Merkmale.
Der Onlinesüchtige, der gamt ja nicht nur, es gibt ja auch Menschen, die onlinesüchtig
sind, die überhaupt nicht gamen, die interessieren sich für kein Spiel, die zappen einfach
herum oder die streamen irgendwelche Sachen runter, dann kann man nicht sagen, die
sind jetzt kaufsüchtig. Also man muss das fein unterscheiden können […] und klar würde
dies ein Manual oder ein fein aufgegliederter Katalog vereinfachen.
Dieser Experte machte aber auch darauf aufmerksam, dass ihm für die Praxis eine solche Auflistung wenig nützen würde, da er der Meinung sei, dass ein Therapeut nicht zu sehr nach einem
Manual vorgehen, sondern in erster Linie das Gegenüber im Fokus haben sollte.
Auf dieselbe Problematik machte eine weitere Fachpersonen aufmerksam, welche vertrat, dass es
keine eigenen Diagnosekriterien für die unterschiedlichen Subgruppen benötigen würde; sie relativierte ihre Aussage allerdings und räumte ein, dass es für die Forschung durchaus Sinn machen
würde.
Nein, also wie gesagt, für die Praxis nicht. Weil ich eben ehrlich gesagt nicht mit Diagnosekriterien arbeite. Ich schaue mir wirklich den Einzelfall an und versuche dann mit dem
betroffenen Menschen spezifisch zu schauen, „was tut Not?“ Wo ich aber denke, eben
für die ganze Forschung, die ja noch im Gange ist… die bemüht sich ja auch um spezifische Behandlungsformen. Für diesen Bereich könnte ich mir schon vorstellen, dass es
sinnvoll wäre, das Ganze zu differenzieren.
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Kategorie 10: Relevanz der Unterscheidung verschiedener Medienformen
In der Literatur wird bei der Beschreibung pathologischen Medienkonsums meist nicht
unterschieden, mit welchem Medium das Suchtverhalten ausgelebt wird. Pathologischer Medienkonsum umfasst in der Literatur demnach Süchte, welche übers Internet ausgelebt werden, exzessives Spielen auf einer Spielkonsole oder auf dem Computer sowie übermässige Nutzung des
Handys gleichermassen. Die Fachpersonen im Praxisfeld machten sich Gedanken, ob diese Unterscheidung nicht einen grösseren Stellenwert bei der Erfassung von pathologischem Medienkonsum haben sollte.
Fünf der Fachleute waren grundsätzlich eher der Meinung, dass die Art des Mediums wenig entscheidend sei, um die Sucht zu erfassen, es also von sekundärer Bedeutung sei, ob nun beispielsweise ein Spiel auf dem PC, auf einer Spielkonsole oder auf dem Smartphone gespielt werde, ob
jemand exzessiv über die App „Whats-App“ per Smartphone kommuniziere oder ob dies mit
Facebook übers Internet geschehe.
Das eine ist die Software, also was macht man? Das andere ist quasi die Hardware, die
Darreichungsform. Zum Vergleich: Ob ich jetzt Cannabis rauche als Joint oder in einer
Bong oder ob ich Kekse esse, das ist immer noch das Gleiche, was da passiert. Meine
Hypothese ist, dass in, weiss nicht, zehn Jahren... wie viele Desktop-Computer es dann
überhaupt noch geben wird? Also ob das überhaupt noch einen Unterschied macht, ob
wir ein Smartphone haben oder ein Tablet oder ich weiss nicht was.
Ein Experte wies darauf hin, dass sich die verschiedenen Formen schon heute stark vermischt
hätten.
Also grad Smartphones haben dazu beigetragen, dass sich diese Formen aufgelöst haben.
Man kann ja jetzt mit den Smartphones alles machen, ich habe einen Fotoapparat, ich habe eine Einkaufstasche, ich habe ein Telefon, ich habe einen Computer, ich habe ein Game. Ich habe alles gleich dabei. Und einen eigentlichen I-Pod habe ich grad auch noch,
früher „Walkman“ genannt, das ist ja auch schon im Smartphone integriert.
Einer der Experten, der die Frage nach dem Medium, mit welcher der Sucht nachgegangen wird,
für zunehmend sekundär hält, wandte aber dennoch ein, dass der Konsum per Handy spezielle
Herausforderungen berge.
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Es ist für die Betroffenen, respektive die Angehörigen viel schwieriger, weil man die
Handynutzung noch schlechter kontrollieren kann und die Ambivalenz noch stärker ist
als beim Computer. Man sagt, sie muss ja auch noch Aufgaben machen, das Handy ist
auch noch der Kalender und das Aufgabenheftli und die Notfallnummer und, und, und...
Eine der Expertinnen hielt fest, dass zwar der Effekt und die Hintergründe unabhängig von der
Wahl des Mediums dieselben seien, gab aber zu bedenken, dass ihrer Meinung nach bei der
Sucht, welche übers Handy ausgelebt wird, weniger weitreichende Folgen zu befürchten seien.
Das Handy habe ich immer dabei und kann irgendwie immer noch gut angepasst leben.
Computerspielsüchtige, auch wenn man jetzt mittlerweile auf dem Smartphone spielen
kann, sind doch meistens eher daheim und es setzen so Kokon-Effekte ein, dass sie quasi
nur noch zu Hause sitzen, die Vermüllung zunimmt[...], dass die Jugendlichen wirklich
nur noch zu Hause sind, nicht mehr rausgehen und nur noch über das Internet mit der
Welt kommunizieren, und ich finde, das passiert sehr häufig beim Thema Computerspielsucht. Und beim Handy ist es so, die Leute sind noch unterwegs, auch wenn sie dann
noch mit den anderen zusammen sitzen und [aufs Handy] gucken, sind sie doch auch
noch irgendwie dabei. Und das ist, glaube ich, ähnlich wie bei der Zigarette. Raucher sind
auch noch irgendwie dabei und ich sag mal anders als bei Heroinabhängigkeit. Ab einer
gewissen Form ist man nicht mehr sozial integriert. Ich weiss, das ist ein gewagter Vergleich.
Ein Experte betonte die Notwendigkeit, zu unterscheiden, mit welchem Medium die Personen
ihre Sucht auslebten.
Das ist schon deshalb notwendig, weil, wenn Sie einen Spieler haben, der so vernetzt ist,
dass er es auch mit dem Smartphone durchführen kann, dann haben Sie in Bezug auf
Abstinenzrealisierung ganz andere Aufgabenstellungen, als wenn es jemand ist, der immer
einen Riesencomputer braucht mit allen möglichen Daten drauf.
Zwei Fachleute haben sich nicht festgelegt, wie wichtig die Unterscheidung der Medienart für die
Erfassung der Sucht sei.
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4. Diskussion
4.1 Beantwortung der Fragestellung
Welche diagnostischen Aspekte eines pathologischen Mediengebrauchs aus der Literatur
erachten Praktikerinnen und Praktiker als relevant für die Praxis?
Im Folgenden werden die Diagnosekriterien aus der Literatur dargelegt, welche von den
Praktiker und Praktikerinnen als relevant erachtet wurden. Es wird jeweils in Klammern angemerkt, wie viele der Fachpersonen das jeweilige Kriterium anfügten:
 negative Auswirkungen auf soziale Beziehungen bzw. sozialer Rückzug (7 P.)
 negative Auswirkungen auf die Arbeit bzw. schulische Leistung (5 P.)
 Kontrollverlust (5 P.)
 Zeitfaktor (5 P.)
 Toleranzentwicklung (4 P.)
 Körperliche Veränderungen wie Übergewicht, Fehlernährung, Schlafmangel etc. (4 P.)
 dysfunktionale Regulation von Affekten und Trieben (3 P.)
 Entzugserscheinungen (3 P.)
 Einengung des Verhaltens- und Gedankenraumes (2 P.)
 Belügen Angehöriger über das Konsumverhalten (2 P.)
 Aufmerksamkeitsdefizite bzw. Konzentrationsprobleme (2 P.)
 Fortsetzung des Verhaltens trotz Schadensbewusstsein (2. P)
 Beschaffungskriminalität (1 P.)
Nebenfrage 1: Welche eigenen Diagnosekriterien zur Erfassung von pathologischem
Mediengebrauch haben Praktikerinnen und Praktiker aufgrund ihrer Erfahrung generiert?
Im Folgenden werden die Diagnosekriterien dargelegt, welche von Praktiker und Praktikerinnen selber generiert wurden und in unserer Literaturrecherche keinen Einzug fanden.
 Entwicklungshemmung bei jüngeren Betroffenen (2 P.)
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 Erfolgserleben nur noch durch Mediennutzung (1 P.)
 Unfähigkeit den Alltag zu bewältigen (1 P.)
 Übersensibilität in der Reaktionszeit (1 P)
Es kann vermutet werden, dass das Kriterium „Entwicklungshemmung bei jüngeren Betroffenen“ keinen Einzug in die Diagnosekriterien aus der Literatur gefunden hat, da es sich um
ein Kriterium handelt, das altersspezifisch ist und somit nicht verwendbar wäre für eine allgemeine Diagnosestellung pathologischem Mediengebrauchs in den Diagnosemanuals. Des Weiteren
ist das Kriterium „Entwicklungshemmung“ schwer zu definieren und nicht messbar, da Entwicklung keiner Normierung unterliegt.
Dass das Kriterium „Erfolgserleben nur noch durch Mediennutzung“ keinen Einzug in
die Literatur gefunden hat, liegt vielleicht daran, dass sich beim Thema „Pathologischer Mediengebrauch“ Autorinnen und Autoren meist an das pathologische Spielen oder an das substanzgebundene Abhängigkeitssyndrom anlehnen. Bei diesen Formen der Sucht gibt es ebenfalls kein
Kriterium, das dem entsprechend „Erfolgserleben/Glücksgefühl nur noch durch Suchtverhalten“
heisst.
Das Kriterium „Unfähigkeit den Alltag zu bewältigen“ könnte an verschiedene Kriterien
aus der Literatur erinnern, wie „soziale bzw. leistungsbezogene Konsequenzen im Bereich Schule,
Ausbildung, Arbeit und Haushalt“ oder „körperliche Konsequenzen im Bereich Körperpflege,
Ernährung und Gesundheit“. Das genannte Kriterium ist aber umfassender und aus der Praxis
generiert und soll deshalb an dieser Stelle aufgeführt werden.
Dass das Kriterium „Übersensibilität in der Reaktionszeit“ keinen Einzug in die Literatur
gefunden hat, ist vermutlich damit zu erklären, dass dieses Kriterium nicht allgemeingültig ist,
sondern sich auf bestimmte Subgruppen wie Computerspielsucht oder Online-Spielsucht beschränkt, nicht aber Personen betrifft, welche online ihre Kaufsucht oder Sexsucht ausleben.
Die Frage nach den Kriterien, welche die Fachleute in der Literatur vermissen würden, ergab
keine neuen und allgemeingültigen Kriterien, welche die Fachleute selber generiert hätten. Bei der
Beantwortung dieser Frage gingen die einen Expertinnen und Experten auf ätiologische Faktoren
und/oder auf therapeutische Ansätze ein, andere wiederum auf Diagnosekriterien, die in der Literatur vorhanden sind, ihrer Meinung nach aber zu wenig betont werden.
Hypothese 1: Praktikerinnen und Praktiker verwenden auch eigene Diagnosekriterien
zur Erfassung von pathologischem Mediengebrauch, die sie nicht primär anhand von
Fachliteratur, sondern aufgrund ihrer Erfahrung generiert haben.
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Zwar wurden, wie oben dargelegt, weit mehr Kriterien genannt, welche aus der Fachliteratur stammen, dennoch haben einige Praktikerinnen und Praktiker auch eigenen Diagnosekriterien entwickelt. Es sind dies Entwicklungshemmung, Erfolgserleben nur noch durch Mediennutzung, Unfähigkeit den Alltag zu bewältigen und Übersensibilität in der Reaktionszeit.
Die Hypothese 1 kann somit bestätigt werden.
Nebenfrage 2: Erachten Praktikerinnen und Praktiker pathologischen Mediengebrauch
als eigenständige psychische Störung, welche in den Diagnosemanuals aufzunehmen
wäre?
Sechs der acht Fachpersonen sprachen sich explizit für die Aufnahme pathologischen
Mediengebrauchs in die Diagnosemanuals aus. Die anderen beiden Fachpersonen sprachen sich
weder dafür noch dagegen aus. Auch wenn sich keine der Experten und Expertinnen explizit
gegen eine Aufnahme ausspricht, sehen sie durchaus auch Gefahren bei einer allfälligen Aufnahme, wie beispielsweise vorschnelle Pathologisierung oder mangelnde wissenschaftliche Begründung. Die Nebenfrage 2 kann mit ‚Ja, Praktikerinnen und Praktiker erachten eine Aufnahme pathologischen Mediengebrauchs als sinnvoll‘, beantwortet werden, da sich eine Mehrheit dafür
aussprach.
Hypothese 2: Praktiker und Praktikerinnen betrachten pathologischen Mediengebrauch
als eigenständige psychische Störung und erachten es als sinnvoll, eine oder mehrere
Diagnosen zu pathologischem Mediengebrauch in die Diagnosemanuals aufzunehmen.
Die Hypothese 2 hat sich klar bestätigt. Pathologischer Mediengebrauch wird von Praktiker und Praktikerinnen als eigenständige psychische Störung betrachtet. Eine deutliche Mehrheit
der Fachpersonen hat sich explizit für die Aufnahme pathologischen Mediengebrauchs in die
Diagnosemanuals ausgesprochen und gewichtet die Vorteile einer Aufnahme mehr als die Nachteile.
Hypothese 3: Praktiker und Praktikerinnen leiten ihre Diagnosekriterien zu pathologischem Mediengebrauch entweder vom substanzgebunden Abhängigkeitssyndrom (ICD10: F10-F19; DSM-IV: 304.XX) oder vom pathologischen Spielen (ICD-10: F.63.0; DSMIV: 312.31) ab.
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Drei Expertinnen und Experten waren der Meinung, dass die Anlehnung an das Abhängigkeitssyndrom grundsätzlich geeignet ist zur Diagnosestellung pathologischen Mediengebrauchs. Zwei Fachleute erachteten die Diagnosekriterien für pathologisches Spielen als geeignet
zur Diagnosestellung pathologischen Mediengebrauchs. Drei der Fachleute haben sich nicht festgelegt, ob die Anlehnung an die Diagnosekriterien des substanzgebundenen Abhängigkeitssyndroms oder die des pathologischen Spielens besser geeignet wären für die Diagnosestellung pathologischen Mediengebrauchs.
Unabhängig davon, wie die Expertinnen und Experten die Anlehnung an das substanzgebundene Abhängigkeitssyndrom bzw. an das pathologische Spielen bewertet haben, hat sich gezeigt, dass die Kriterien, welche von Praktikerinnen und Praktiker als relevant empfunden werden, grösstenteils der Literatur entnommen und demnach überwiegend entweder vom substanzgebundenen Abhängigkeitssyndrom oder vom pathologischen Spielen abgeleitet wurden wie beispielsweise negative Auswirkungen auf soziale Beziehungen und Arbeit bzw. schulische Leistungen, Kontrollverlust, dysfunktionale Regulation von Affekten, Toleranzentwicklung und Entzugserscheinungen. Die Hypothese 3 kann demnach bestätigt werden.
4.2 Interpretation
Im aktuellen Diagnosemanual ICD-10 fehlt die Diagnose „pathologischer Mediengebrauch“ und auch im erst kürzlich neu erschienen DSM-V wurde „pathologischer Mediengebrauch“ nicht als Kategorie aufgenommen. Es gibt demnach keine allgemein gültigen Kriterien
für das Phänomen. Dennoch hat sich in der vorliegenden Arbeit gezeigt, dass Praktikerinnen und
Praktiker sich darüber einig sind, dass sich eine Diagnose erstellen lässt und sie stimmen auch zu
einem grossen Teil überein, welche Kriterien dafür relevant sind. Die Fachleute greifen dabei
meist auf Diagnosekriterien zurück, welche in der Literatur vorgeschlagen wurden. Nachdem in
dieser Arbeit festgestellt werden konnte, dass Expertinnen und Experten oft mit dem Phänomen
konfrontiert werden und mit der Diagnose „pathologischer Mediengebrauch“ arbeiten, drängt
sich die Frage auf, weshalb eine Aufnahme in die Diagnosemanuals bis anhin und auch in der
neuesten Version des DSM nicht als eigenständige Krankheit Einzug gefunden hat.
Die Diskrepanz zwischen den Diagnosemanuals und dem Praxisalltag scheint beim Phänomen des pathologischen Mediengebrauchs besonders gross zu sein. So hat sich im Forschungsfeld der vorliegenden Arbeit gezeigt, dass gerade in Suchtberatungsstellen die Zahlen
derer zunehmen, die betroffen sind von pathologischem Mediengebrauch. Besonders häufig
scheinen es junge Männer oder deren Angehörigen zu sein, die entweder auf Grund von Online59
oder Computerspielsucht bei den Beratungsstellen Hilfe suchen. Praktikerinnen und Praktiker
behandeln pathologischen Mediengebrauch regelmässig, ohne dass offizielle Diagnosekriterien
vorliegen. Auch existieren bereits zahlreiche Diagnoseinstrumente zur Erfassung pathologischen
Mediengebrauchs, die in der Praxis bereits Anwendung gefunden haben, wie sich im Forschungsfeld der vorliegenden Arbeit gezeigt hat. Es scheint darum umso überraschender, dass weder die
Diagnose „pathologischer Mediengebrauch“ noch ein vergleichbare Diagnose (z.B. OnlineAbhängigkeit) Einzug ins DSM-V gefunden haben.
Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass es noch keinen wissenschaftlichen Konsens
und noch nicht genügend Forschungsergebnisse darüber gibt, ob und wie „pathologischer Mediengebrauch“ zu diagnostizieren wäre. So herrscht in der Fachwelt eine hohe Uneinigkeit darüber,
ob sich die Diagnose „pathologischer Mediengebrauch“ eher an die Kriterien des substanzgebundenen Abhängigkeitssyndroms oder an den Kriterien des pathologischen Spielens orientieren
sollte. Die in unserer Arbeit befragten Praktikerinnen und Praktiker waren sich diesbezüglich
ebenfalls uneinig. Auch wenn ein Konsens bei der Beantwortung dieser Frage vonnöten wäre,
scheint dieser Fachstreit den Praxisalltag eher zu behindern. Schliesslich wurden die Kriterien des
pathologischen Spielens ursprünglich von denen des substanzgebundenen Abhängigkeitssyndroms abgeleitet, wie auch einer der befragten Fachpersonen anmerkte. Somit wirkt dieser Diskurs etwas künstlich.
Ein plausiblerer Grund dafür, warum „pathologischer Mediengebrauch“ bisher nicht als
Diagnose anerkannt wurde, ist, dass Fachleute in aller Welt sich uneinig darüber sind, ob pathologischer Mediengebrauch eine eigenständige Erkrankung oder eher ein Ausdruck anderer Erkrankungen ist. So wurden oft Komorbiditäten mit affektiven Störungen, Angststörungen, anderen Abhängigkeitserkrankungen, Persönlichkeitsstörungen etc. festgestellt, wobei der pathologische Mediengebrauch Symptom der jeweiligen psychischen Erkrankung sein könnte. Um zu beantworten, ob und unter welchen Umständen pathologischer Mediengebrauch eine eigenständige
Krankheit ist, sind weitere Studien notwendig.
Des Weiteren wurde von verschiedenen Expertinnen und Experten angemerkt, dass die
Gefahr einer vorschnellen Pathologisierung bestehen könnte, da gerade das Internet im Alltag
vieler Menschen eine Notwendigkeit darstellt.
Diese Begründungen sind nachvollziehbar und berechtigen eine Zurückhaltung bei der
Aufnahme in die Diagnosemanuals. Es ist nichts Neues, dass eine Krankheit erst als solche anerkannt, definiert, von anderen Erkrankungen abgegrenzt und mit Kriterien erfasst werden muss,
bevor sie in den Diagnosemanuals Einzug findet. Schliesslich haben die Manuals zu Beginn nur
wenige Krankheiten erfasst und wurden von Ausgabe zu Ausgabe umfangreicher.
60
Dennoch wird die Frage nach einer Diagnose des pathologischen Mediengebrauchs die
Forschungslandschaft weiterhin mitprägen, besonders im Bereich der Medienpsychologie. Gerade die schnellwachsende Technikindustrie wird auch weiterhin Produkte entwickeln, die über
Suchtpotenzial verfügen bzw. bestehende Suchtproblematiken verstärken könnten. So wäre ein
Konsens über die wichtigsten Diagnosekriterien sowie über die diagnostische Zuordnung erstrebenswert.
Es hat sich in der Arbeit gezeigt, dass bei den Expertinnen und Experten bezüglich einiger Kriterien grosse Einigkeit herrschte. So wurde das Kriterium „negative Auswirkungen auf
soziale Beziehungen bzw. sozialer Rückzug“ von sieben der acht Expertinnen und Experten genannt. Aufgrund dieses Ergebnisses kann vorausgesetzt werden, dass dieses Kriterium, welches
auch in der Literatur einhellig als relevant betrachtet wird, bei einer allfälligen Aufnahme der Diagnose „pathologischer Mediengebrauch“ in die Diagnosemanuals, aufgeführt werden müsste.
Auch die Kriterien „negative Auswirkungen auf die Arbeit bzw. schulische Leistung“, „Kontrollverlust“ und der „Zeitfaktor“ wurden von mehr als der Hälfte der Expertinnen und Experten
genannt und tauchen in der Literatur immer wieder auf. Es kann demnach angenommen werden,
dass auch dies wichtige, valide Kriterien darstellen. Bei einer allfälligen Aufnahme ins ICD bzw.
DSM müssten sicherlich auch die weiteren Kriterien, welche in der Literatur immer wieder vorkommen und auch von der befragten Fachleuten genannt wurden, berücksichtigt werden: „Toleranzentwicklung“, „körperliche Veränderungen“, „dysfunktionale Regulation von Affekten und
Trieben“, „Entzugserscheinungen“, „Einengung des Verhaltens- und Gedankenraumes“, „Belügen Angehöriger über das Konsumverhalten“, „Aufmerksamkeitsdefizite“ und „Fortsetzung des
Verhaltens trotz Schadensbewusstsein“. Es kann aufgrund der Auswertungsergebnissen postuliert werden, dass diese Kriterien zumindest in die Überlegungen zu validen Diagnosekriterien
einbezogen werden müssten.
Neue Impulse bieten die von den Praktikerinnen und Praktikern selbst generierten Kriterien wie „Entwicklungshemmung bei jüngeren Betroffenen“, „Erfolgserleben nur noch durch
Mediennutzung“, „Unfähigkeit den Alltag zu bewältigen“ und „Übersensibilität in der Reaktionszeit“. Diese Kriterien sind in der gängigen Literatur nicht zu finden, haben aber durchaus ihre
Berechtigung und wären demnach weiter zu erforschen.
Es ist grundsätzlich zu überlegen, ob die Tatsache, dass bei den Suchtfachstellen Menschen Rat suchen, welche mit dem Phänomen „pathologischer Mediengebrauch“ konfrontiert
sind, nicht höher zu gewichten wäre als der einhellige Konsens darüber, in welche Kategorie das
Phänomen nun einzuordnen wäre und mit welchen Diagnosekriterien es zu diagnostizieren wäre.
Die praktische Erfahrung, die breite Forschung und das bereits generierte Wissen zum Thema
61
würden eine Aufnahme des Phänomens in die Diagnosemanuals rechtfertigen. Ausführungen zu
den Krankheiten in den Diagnosemanuals sind nicht sakrosankt und neue Forschungsergebnisse
könnten in den folgenden Manuals einbezogen werden.
Es lässt sich aufgrund der Recherchen feststellen, dass die momentane Situation, dass
keine eigenständige Diagnose „pathologischer Mediengebrauch“ existiert, für verschiedene Praktikerinnen und Praktiker nicht gänzlich befriedigend ist und dass teilweise ein gewisses Unverständnis darüber herrscht. Fachleute sind gezwungen, ohne offizielle Grundlage zu behandeln.
Gleichzeitig ist der Stellenwert einer genauen Diagnose bei den Praktikerinnen und Praktiker
nicht so hoch, da sie bei ihrer alltäglichen Arbeit den Fokus auf den Menschen und nicht auf die
Diagnose legen. Praktikerinnen und Praktikerinnen sehen demnach bei ihrer Arbeit, dass pathologischer Mediengebrauch existiert und als eigenständige Krankheit angesehen werden kann, sind
aber nicht auf die Aufnahme der Diagnose in die Diagnosemanuals angewiesen, um ihre Arbeit
zu machen.
4.3 Methodenkritik
Um den Gegenstandsbereich „pathologischer Mediengebrauch“ zu explorieren, haben
sich die verwendete Methode zur Datengewinnung und das Auswertungsverfahren anhand der
qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring als geeignet erwiesen. Mit der gewählten Forschungsmethode gelang es, umfangreiches und detailliertes Datenmaterial zu gewinnen. Es erwies sich als
sinnvoll, die Interviews erst anhand deduktiver Kategorienanwendung auszuwerten und sie dann
erneut anhand induktiver Kategorienanwendung zu überprüfen. Damit gingen keine wichtigen
Kategorien, welche sich durch den offenen Charakter der durchgeführten Interviews ergeben
haben, verloren. Mittels der induktiven Überprüfung bei der Auswertung konnten so neue Aspekte des Themenbereichs erfasst werden. Die gewählte Form des nichtstandardisierten Leitfaden-Interviews hat sich als geeignet erwiesen. Dass Fragen aus dem Leitfaden auch ausserhalb
der Reihenfolge gestellt werden konnten, Nachfragen möglich waren und die Interviewpartner
nicht gelenkt werden mussten, ermöglichte es, das Interview soweit wie möglich an einen natürlichen Gesprächsverlauf anzunähern und gaben ihm einen narrativen Charakter, woraus sich authentische und umfangreiche Informationen ergaben. Der Leitfaden war des Weiteren gut auf die
Fragestellung abgestimmt und strukturiert, was die spätere Auswertung erleichterte.
Es hat sich im Verlauf der Interviews gezeigt, dass die Frage im Leitfaden nach den verschiedenen Subgruppen unglücklich formuliert war, da auf die verschiedenen Medienformen
angesprochen wurde. In der Fachwelt werden aber mit Subgruppen verschiedene Formen der
Sucht wie Computerspielen oder Online-Kaufsucht bezeichnet. Die Expertinnen und Experten
62
haben dementsprechend bei der Beantwortung der Frage meist Bezug auf diese Subgruppen genommen. Die letzte, sehr offen formulierte Frage, wie die Personen, die wegen problematischen
Mediengebrauchs in die Beratung kommen, von den Fachleuten erlebt werden, hat viele interessante Informationen ergeben, welche aber nur zu einem sehr kleinen Teil verwendet werden
konnten, da sie nicht zur Beantwortung der Fragestellung beigetragen haben. Die gezielteren Fragen waren letztendlich von grösserem Nutzen für die Beantwortung der Fragestellung.
Die Grösse der untersuchten Stichprobe kann als ausreichend angesehen werden. Im
Rahmen dieser Arbeit war es nicht möglich das Ausmass der Triangulation mit zusätzlichen Interviewpartnern und -partnerinnen noch zu vergrössern. Die Breite des zu untersuchenden Feldes war insofern berücksichtigt, als dass Interviewpartnerinnen und -partner aus verschiedenen
Kantonen, verschiedenen Tätigkeitsfeldern rund um das Thema Sucht sowie Personen beider
Geschlechter befragt wurden. Aufgrund dessen, dass erfahrene Expertinnen und Experten befragt wurden, welche bei ihrer Arbeit mit dem Phänomen konfrontiert sind, kann davon ausgegangen werden, dass die Aussagen fundiert sind.
4.4 Ausblick
Heute werden Personen, welche wegen ihres exzessiven Mediengebrauchs bei den Suchtfachstellen Rat suchen, ohne offizielle Grundlage behandelt. Verschiedene Expertinnen und Experten haben darauf hingewiesen, dass dies auf Dauer nicht haltbar sei.
Der grösste Teil der befragten Fachpersonen würde sich wünschen, dass die Aufnahme
dieser Diagnose in zukünftigen Diagnosemanuals erfolgen würde und zeigte sich diesbezüglich
optimistisch. Dennoch kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht voraussagen, ob die Aufnahme der Diagnose „pathologischer Mediengebrauch“ in den zukünftigen Diagnosemanuals
erfolgen wird.
Die Anzahl der Personen, welche aufgrund ihres exzessiven Mediengebrauchs Hilfe suchen, ist steigend. Die Betroffenen bzw. ihre Angehörigen suchen bei dieser Problematik primär
Suchtberatungsstellen auf, oft unter hohem Leidensdruck. Dort wird ihnen zwar geholfen, jedoch
ohne eigentliche Behandlungsgrundlage. Für eine stationäre Behandlung bei pathologischem Mediengebrauch kommen Krankenkassen, ohne dass eine komorbide, anerkannte psychische Störung vorliegt, in der Regel nicht auf, da keine offizielle Diagnose existiert. Der steigende Handlungsbedarf gekoppelt mit der Finanzierungsfrage ist einer der Gründe, die dafür sprechen würden, die Diagnose „pathologischer Mediengebrauch“ in die Diagnosemanuals aufzunehmen.
63
Die Hälfte der befragten Fachpersonen wies auf die Gefahr hin, dass immer mehr Verhalten pathologisiert werde. Obwohl diese Bedenken gerechtfertigt sind, sprechen sie dennoch kaum
gegen eine allfällige Aufnahme. Schliesslich erfasst das DSM-V auf knapp tausend Seiten etliche
Diagnosen mehr als sein Vorgänger, das DSM-IV. Bisher scheint daher noch kein Ende der Tendenz zur steigenden Pathologisierung in Sicht.
Ein gewichtigeres Argument dafür, weshalb die Diagnose „pathologischer Mediengebrauch“ nicht in den zukünftigen Diagnosemanuals erscheinen könnte, liegt im fehlenden Konsens der Fachwelt. Es herrscht einerseits Uneinigkeit über die Diagnosekriterien, mit denen pathologischer Mediengebrauch erfasst werden müsste, andererseits darüber, ob sich die Diagnose
eher ans pathologische Spielen oder an das substanzgebundene Abhängigkeitssyndrom anlehnen
müsste. Dieser Fachstreit hält bereits seit Ende der Neunziger Jahre an, und ein Ende scheint
nicht in Sicht. Es besteht die Möglichkeit, dass in den kommenden Jahren durch neuere Forschungsergebnisse Einigkeit erzielt wird. Sollte dies nicht der Fall sein, ist es fragwürdig, ob die
Diagnose trotz mangelndem Konsens in die Diagnosemanuals aufgenommen wird.
Teilweise wird angemerkt, dass pathologischer Mediengebrauch meist komorbid mit anderen psychischen Störungen wie Depressionen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen etc.
auftreten würde und es daher möglicherweise nur ein Symptom oder eine Begleiterkrankung einer anderen Störung sei. Auch wenn dies nicht ausgeschlossen werden kann, scheint diese Argumentation nicht gegen eine Aufnahme zu sprechen. Das gleiche Argument könnte man beispielsweise bei Essstörungen anführen, die ebenfalls häufig komorbid mit Depressionen, Angststörungen und Persönlichkeitsstörungen auftreten und dennoch eine eigene Diagnosekategorie
darstellen.
Abschliessend soll das Phänomen „pathologischer Mediengebrauch“ noch im Zusammenhang mit dem technologischen Fortschritt betrachtet werden. Dazu nannte einer der befragten Fachpersonen folgendes Beispiel:
Suchen Sie mal noch nach Google Glass. Das ist nur eine Brille. Die ist so gross wie eine
normale Brille und hat einen Bildschirm integriert. Und das wird jetzt erprobt in den
USA. Und da werden dann ständig Nachrichten eingeblendet, standortbezogene Informationen. Du gehst über die Strasse, du läufst an der U-Bahn Station vorbei, es zeigt direkt
an, welche U-Bahn, um wie viel Uhr abfährt. Und das ist nur eine Brille. Also es ist kein
Rucksack.
64
„Google Glass“ ist nur eines von vielen Beispielen betreffend technischen Neuheiten, die
in naher Zukunft auf uns zukommen. Die neu erschiene Spielkonsole „xbox one“ von Microsoft
beinhaltet eine Kamera, die die Umgebung der Personen scannt und analysiert. Das neuste Modell der Samsung Smart Phone Reihe „Galaxy“, das „Samsung Galaxy S 4“ enthaltet Sensoren, so
dass das Smart Phone gesteuert werden kann, ohne berührt zu werden. So kann beispielsweise
ein E-book alleine durch Augenbewegung umgeblättert werden. All diesen Erfindungen ist gemeinsam, dass die Vernetzung mit dem Internet einen immer höheren Stellenwert einnimmt.
Gerade Google Glass tendiert in die Richtung, dass das Internet rund um die Uhr verfügbar ist,
ohne dass die Person, welche die Brille trägt, überhaupt noch die Hände benutzen müsste. Es ist
anzunehmen, dass die durchschnittliche Onlinezeit in den kommenden Jahren weiter ansteigt,
ebenso der pathologische Gebrauch. Dies würde den Handlungsbedarf noch steigern und könnte
die Aufnahme der Diagnose „pathologischer Mediengebrauch“ vorantreiben. Zugleich bringt es
der technische Fortschritt aber vielleicht mit sich, dass es nicht mehr möglich sein wird, Mediengebrauch als psychische Störung anzuerkennen. Würde es soweit kommen, dass eine Mehrheit
der Bevölkerung einen Grossteil der Zeit mit Medien verbringen würde, wäre eine Pathologisierung kaum denkbar.
Die Frage, ob die Diagnose „pathologischer Mediengebrauch“ in den zukünftigen Diagnosemanuals Eingang finden wird, kann nicht abschliessend geklärt werden. Es kann festgehalten
werden, dass sich eine Mehrheit der in dieser Arbeit befragten Fachpersonen dafür ausgesprochen hat. Auch in der Literatur scheint die Tendenz dahin zu gehen, dass mögliche Diagnosekriterien besprochen werden, ohne dass der eigentliche Sinn einer Aufnahme hinterfragt wird. Somit
scheint eine Aufnahme der Diagnose in zukünftigen Versionen der Diagnosemanuals wahrscheinlich – ungeachtet dessen, dass sich der Erfinder der Internetsucht, Ivan Goldberg, wohl
weiterhin dagegen aussprechen wird.
65
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69
Anhang
Anhang A: Interview Leitfaden
70
Anhang A
Interview-Leitfaden
1. Was sind für Sie persönlich Kriterien für pathologischen Mediengebrauch?
a. Wo ziehen Sie die Grenze zwischen exzessivem und suchtartigem Mediengebrauch?
b. Wie gehen Sie vor bei der Diagnostik von pathologischem Mediengebrauch?
2. Was spricht für Sie dafür oder dagegen, pathologischen Mediengebrauch in die Diagnosemanuals ICD-11 und DSM-V aufzunehmen?
3. Welche Kriterien würden Sie als sinnvoll erachten, wenn die Diagnose ‚pathologischer Mediengebrauch‘ in den Diagnosemanuals aufgenommen werden würde?
4. Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass in der Literatur Diagnosekriterien fehlen, die in der
Praxis von Bedeutung sind?
5. Viele Autoren erachten die Diagnosekriterien für das substanzgebundene Abhängigkeitssyndrom als geeignet zur Diagnosestellung pathologischen Mediengebrauchs. Was denken Sie
darüber?
6. Viele Autoren erachten die Diagnosekriterien für pathologisches Spielen als geeignet zur Diagnosestellung pathologischen Mediengebrauchs. Was denken Sie darüber?
7. In der Literatur wird bezüglich Diagnostik meist nicht zwischen verschiedenen Subgruppen
pathologischen Mediengebrauchs unterschieden, z.B. wird nicht zwischen Internet-, Computerspielsucht oder Handysucht differenziert.
a. Welche Formen von pathologischem Mediengebrauch treffen Sie in der Praxis an?
b. Sehen Sie Unterschiede in den Symptomen der jeweiligen Formen?
c. Würde es eigene Diagnosekriterien für die jeweils unterschiedlichen Formen benötigen?
8. Wie erleben Sie die Personen, die wegen problematischen Mediengebrauchs zu Ihnen in die
Beratung kommen?
Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne Benützung anderer als der angegebenen Hilfsmittel verfasst habe.
Unterschrift:
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