Wer macht denn solche Gesetze?

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Wer macht denn solche Gesetze?"
Entscheidungsprozess in der Demokratie
Ein Film Barbara Weber
Beitrag: Volker Eklkofer & Simon Demmelhuber
Inhalt
Wenn vom „Raumschiff Berlin“ die Rede ist, geht
es nicht um Science Fiction, sondern um die vermeintliche Abgehobenheit einer Politik, die anscheinend jeden Kontakt mit der Wirklichkeit verloren hat. Das Bild kommt vor allem dann zum
Einsatz, wenn „die da oben“ wieder einmal Gesetze beschließen, die beim Bodenpersonal,
sprich beim Bürger, heftiges Kopfschütteln auslösen.
Anlässe dazu gibt es genug. Immerhin umfasst
das Bundesrecht 1729 Gesetze mit 45 801 Einzelnormen sowie 2656 Rechtsverordnungen mit
37 364 Einzelnormen. Und die Parlamentarier
sorgen fleißig für Nachschub: Alleine in den vier
Jahren von 2005 bis 2009 hat der 16. Deutsche
Bundestag über 600 Gesetze verabschiedet und
mehr als 1600 Rechtsverordnungen erlassen.
Nicht jedes dieser Gesetze leuchtet auf Anhieb
ein. Dass die Bundesregierung beispielsweise im
Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes den Mehrwertsteuersatz für Hotelübernachtungen von 19 auf sieben Prozent reduzierte,
aber Babywindeln nach wie vor mit dem vollen
Satz belegt, stieß bei vielen Menschen auf Unverständnis. Ebenso rätselhaft bleibt etwa auch,
warum für Krabben und Garnelen die ermäßigte
Mehrwertsteuer gilt, während Hummer voll besteuert wird.
Doch wer um alles in der Welt macht solche Gesetze? Ist da schiere Willkür am Werk? Gibt es
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einen geheimen Sinn, der dem Normalverstand
verborgen bleibt? Oder zeigt sich hier der Einfluss finsterer Lobbyisten, die ihrer Klientel unlautere Vorteile verschaffen?
Die Frage ist berechtigt. Gesetze gehen uns alle
an. Sie regeln unser Zusammenleben, unsere
Pflichten und Rechte. Sie geben und beschränken Freiheiten und sie kosten unser Geld. Wie
zum Beispiel das 2004 beschlossene Gesetz zur
Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, dem wir die so genannte Praxisgebühr
verdanken. Das ist eine Zuzahlung in Höhe von
zehn Euro, die jeder gesetzlich Krankenversicherte einmal pro Quartal Versicherte entrichten
muss, wenn er einen Arzt aufsucht.
Der Film nimmt die gesetzlich verankerte Zuzahlungspflicht zum Anlass, um den Weg der Gesetzgebung exemplarisch nachzuzeichnen.
Im Zentrum der Handlung steht Tobias, den
schreckliche Zahnschmerzen quälen. Beim
Zahnarzt stellt er fest, dass er kein Geld dabei
hat. Weil er die Praxisgebühr nicht bezahlen
kann, lehnt der Arzt die Behandlung ab. Kein
Wunder, dass Tobias sauer ist. In seiner Empörung beschließt er nachzuforschen, wer ihm dieses Schlamassel eingebrockt hat.
Um die Frage zu klären, befragt er als rasender
Reporter zunächst Menschen auf der Straße und
fährt dann nach Berlin. Wie ein Detektiv gräbt er
sich durch die politischen Instanzen der Bundesrepublik. Er trifft u.a. auf Gesundheitsministerin
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Ulla Schmidt, auf den früheren Bundeskanzler
Gerhard Schröder und seine Nachfolgerin Angela
Merkel. Er beobachtet Abgeordnete und Regierungsmitglieder, lernt die Aufgaben von Bundestag und Bundesrat kennen und erfährt, dass nicht
nur Politiker Politik machen, sondern auch Funktionäre in Interessensverbänden.
Fakten
darf sich die Mehrheit nicht über den Willen der
Minderheit hinwegsetzen. Dennoch: Die Bundesrepublik versteht sich nicht als reine „Mehrheitsdemokratie“, sondern, wie der frühere Präsident
des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda,
betonte, als „wert- und wehrhafte Demokratie“.
Die Parteien, Vereinigungen von Bürgern, haben
in Deutschland eine starke Stellung. Das Grundgesetz legt fest: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit“ (Art. 21). Bei Wahlen
1. Der politische Prozess in der Bundesrepublik Deutschland – Wahlen, Parteien
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus “ (Art. 20
Abs.1 Grundgesetz)
Diese Bestimmung ist die Grundlage des politischen Willensbildungsprozesses in Deutschland.
Das bedeutet aber nicht, dass „das Volk“ direkt
und unmittelbar regieren kann. Die Macht wird
durch Wahlen auf Zeit delegiert.
Entscheidend ist, dass die Bürger ohne Ansehen
von Herkunft, Bildung, Geschlecht und Religion
darüber befinden, wer in Deutschland regieren
soll. Das Wahlverhalten ist seit der Gründung der
Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 erstaunlich stabil – nach den negativen Erfahrungen zu Zeiten der Weimarer Republik war damit
eigentlich nicht zu rechnen. Bei allen Bundestagswahlen entfielen bislang stattliche Mehrheiten auf die demokratischen Parteien. Betrachtet
man Gewinne und Verluste, wiesen CDU/CSU
und SPD seit 1961 von Wahl zu Wahl Differenzen von unter fünf Prozent auf. „Erdrutschwahlen“, wie wir sie aus anderen Ländern kennen,
blieben bislang aus. Bei der Bundestagswahl
2005 erreichten CDU/CSU (35,2 Prozent) und
SPD (34,2 Prozent) nahezu Gleichstand. Die
Wahlbeteiligung pendelt um 80 Prozent und ist
im europäischen Vergleich hoch. Bei der Bundestagswahl 2002 lag die Wahlbeteiligung bei
79,1 Prozent und sank 2005 auf 77,7 Prozent.
Das Wahlverhalten der Geschlechter hat sich in
den letzten Jahren weitgehend angenähert.
In der Bundesrepublik Deutschland haben wir
eine repräsentative Demokratie. Auf Bundesebene gibt es keine Volksbegehren und Volksabstimmungen. Auf Länderebene, z.B. in Bayern, können die Bürger in einigen Fällen „mitreden“. Für
Plebiszite setzen sich vor allem Menschen ein,
denen die „Mehrheitsdemokratie“ ein Dorn im
Auge ist und die für zivilen Ungehorsam eintreten. Angesichts der Globalisierung und im Hinblick auf Entscheidungen, die von existenzieller
Natur sind (z.B. EU-Verfassung), so die Meinung,
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konkurrieren sie miteinander, um einen Anteil an
der Regierungsmacht zu erhalten. Die meisten
Parteien streben eine Teilhabe bei der Verteilung
der politischen Ämter an. Als Volkspartei wird
eine Partei bezeichnet, die möglichst viele Gesellschaftsschichten umfasst und anspricht, während eine Klassenpartei nur eine bestimmte Bevölkerungsgruppe erfasst.
Der Name Partei ist abgeleitet vom lateinischen
„pars” (= Teil). Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass eine demokratische Partei niemals den
Anspruch erheben kann, das Ganze zu repräsentieren - auch wenn in ihrem Programm vom
Gemeinwohl die Rede ist.
Parteien erfüllen in der modernen Demokratie
unterschiedliche Funktionen:
• Sie artikulieren Interessen in ihren Programmen. Seit die großen Ideologien an Zugkraft
eingebüßt haben, müssen Volksparteien zu allen politischen Problemen Stellung nehmen
und können sich nicht darauf beschränken,
weltanschauliche Spezialinteressen zu vertreten.
• Sie mobilisieren Wähler für die Politik.
• Sie rekrutieren Politiker.
• Sie prägen Verwaltung und Regierung (parteilose Minister gibt es in Deutschland kaum).
• Sie haben eine Erziehungs- und Informationsfunktion. Diese Funktion ist inzwischen weitgehend auf die Medien übergegangen.
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War in den letzten Jahren eine deutliche Entideologisierung des Parteienwesens in Deutschland
zu beobachten, haben sich die Spannungen mit
dem Einzug der Linkspartei/PDS in den Bundestag seit 2005 wieder verschärft.
2. Das parlamentarische System
Parteien, die mehr als fünf Prozent der Zweitstimmen erreicht haben, formieren im Parlament
Fraktionen. Außerdem können Parteien Koalitionen bilden. Die Hauptarbeit des Bundestages findet nicht im Plenum statt, sondern in den Ausschüssen, die nicht öffentlich tagen (die Öffentlichkeit kann aber hergestellt werden). Deutlich
zeigt der Film, dass in den Ausschüssen nur selten so stark polarisiert wird, wie während der
Parlamentsdebatten.
Der verbale Schlagabtausch im Bundestag wird
Neben den Parteien nehmen vor allem Interessengruppen Einfluss auf die Willensbildung. Im
Filmbeispiel Gesundheitsreform sind dies Ärzteund Apothekervertretungen, Krankenkassen etc.
Die Interessengruppen gehen auf vier Ebenen
vor:
• Sie versuchen die Regierung für ihre Argumente zu sensibilisieren.
• Sie versuchen die Abgeordneten zu beeinflussen.
• Sie versuchen die Ministerialbürokratie für sich
einzunehmen.
• Sie bemühen sich, die öffentliche Meinung zu
beeinflussen.
Seit 1971 müssen sich alle Verbände, die auf die
Entscheidungen des Bundestags einwirken
möchten beim Bundespräsidenten in eine Liste
eintragen. Sachverständige und Interessenvertreter kommen bei öffentlichen Hearings zu Wort.
Die 2005 ins Amt gekommene Regierung und die
Abgeordneten des Deutschen Bundestags in
Berlin stehen derzeit nicht weniger als 1.927 Interessenverbänden gegenüber, die alle beim
Bundestag offiziell registriert sind. 1990, als der
Bundestag noch in Bonn tagte, waren es schon
1.501, 1973 dagegen nur 635. Fast jede Gruppe
versucht den Eindruck zu erwecken, als stünden
ihre Interessen vor dem Ausverkauf.
Zu den organisierten Interessen müssen auch
die Kirchen gezählt werden.
von Teilen der Öffentlichkeit immer wieder kritisiert, doch dies ist so gewollt. Im Parlament sollen – für alle Bürger nachvollziehbar – unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen.
Der Bundestag ist kein einheitliches Gebilde. Die
Mehrheitsfraktionen unterstützen die Regierung,
die Oppositionsparteien kritisieren und kontrollieren sie und erarbeiten Alternativvorschläge. So
verwundert es nicht, dass die meisten Gesetze
auf die Regierung zurückgehen, die die Entwürfe
von der Ministerialbürokratie ausarbeiten lässt.
Initiativen der Opposition haben i.d.R. nur geringe Erfolgschancen, sie können aber öffentlichkeitswirksam präsentiert werden.
Jeder Abgeordnete ist verpflichtet, anzugeben,
für welche Vereinigungen er tätig ist, doch diese
Verhaltensregel wird immer wieder unterlaufen.
Wenn ein Abgeordneter gegen sein Ethos, das
seine Unabhängigkeit von Interessengruppen fordert, verstoßen möchte, ist dagegen kaum ein
Kraut gewachsen.
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3. Die Abgeordneten
Abgeordnete sind Volksvertreter, Mitglieder des
Parlaments. Abgeordnete des Bundestages
(MdB = Mitglied des Bundestags) beraten und
beschließen Gesetze, kontrollieren die Regierung
und sind die Kontaktstelle zwischen Bürgern, Behörden und anderen Institutionen ihres Wahlkreises einerseits und dem Parlament und den Regierungsstellen in Berlin andererseits.
Obwohl sie von einer bestimmten Partei benannt
(„aufgestellt”) werden, sind die Abgeordneten
„Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen” (Art. 38 GG). D.h.:
Abgeordnete sind im Bundestag nicht an eine
„Parteilinie” gebunden, müssen aber damit rechnen, bei den nächsten Wahlen nicht mehr aufgestellt zu werden, wenn ihr Stimmverhalten von
der Position der Parteiführung abweicht.
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Wenn ein Abgeordneter während der Wahlperiode die Partei wechselt, verliert er sein Mandat
nicht.
Während
der
Sitzungswochen
(ca.
30
Wochen/Jahr) haben die Abgeordneten i.d.R.
einen Zehn- bis Zwölf-Stunden-Tag. Die meiste
Zeit verbringen sie nicht im Plenarsaal, sondern
in den Sitzungssälen der Ausschüsse und der
Fraktionen, in Arbeitskreisen und im eigenen
Büro. Hier leisten sie mit ihren Assistenten politische Kleinarbeit (z.B. Briefe von Bürgern beantworten), lesen Akten und Papiere bereiten sich
auf Reden vor. Dies ist auch der Grund dafür,
dass bei Bundestagssitzungen oft nur wenige
Volksvertreter im Plenarsaal anwesend sind. So
lohnt es sich z.B. nicht, dass alle Abgeordneten
zur Debatte kommen, wenn ein Gesetz über die
Sicherheit von Bergbahnen ansteht. In diesem
Fall bleiben die „Experten” unter sich.
4. Regierung, Verwaltung, Justiz
Art. 65 des Grundgesetzes regelt die Befugnisse
der Bundesregierung:
• Der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin
bestimmt die Richtlinien der Politik (Kanzlerprinzip).
• Jeder Minister leitet innerhalb der Richtlinien
seinen Geschäftsbereich selbständig (Ressortprinzip).
• Kommt es zu Differenzen zwischen den Minis
tern, entscheidet die Bundesregierung
(Kollegialprinzip).
Das Kanzlerprinzip ist das wichtigste der drei
Prinzipien. In der Vergangenheit, als starke
Kanzler mit stabilen Mehrheiten regierten (z.B.
Konrad Adenauer, Helmut Kohl) bürgerte sich
der Begriff „Kanzlerdemokratie“ ein. Doch die
Macht eines Regierungschefs hängt von verschiedenen Faktoren ab. So kann in einer Koalitionsregierung der Kanzler/die Kanzlerin keinen
Einfluss darauf nehmen, wen der Koalitionspartner als Minister benennt. Derzeit verfügt die amtierende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der
Großen Koalition mit der SPD nicht annähernd
über so viel Macht, wie sie ihr Parteifreund Helmut Kohl besaß. Mit ähnlichen Problemen haben
auch die Minister zu kämpfen. Ihr Einfluss hängt
vom Stellenwert des Ressorts (wer über „Schlüsselressorts“ wie das Finanzministerium gebietet
ist mächtiger als z.B. ein Entwicklungshilfeminister) und von der Stellung in der Fraktion ab.
Gesetzesinitiativen kann die Bundesregierung
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nur als Ganzes einbringen. Wichtige Fragen werden daher i.d.R. in so genannten Kabinettsausschüssen geklärt. Hier bereiten die Minister zusammen mit ihren Staatssekretären und hohen
Ministerialbeamten die späteren Entscheidungen
der Regierung vor. Werden Streitigkeiten zwischen Ministern in der Öffentlichkeit – also über
die Medien ausgetragen – ist dies zumeist mit
Machtkämpfen verbunden.
Minister sind zumeist keine „Experten“, sondern
Politiker. Die Bevölkerung reagiert zuweilen mit
Unverständnis, wenn ein Minister kein Fachmann
für das von ihm geleitete Ressort ist. Diese Vorbehalte sind unangebracht. Fest steht aber: Ein
Minister trägt die politische Verantwortung für
schwere Fehler, auch wenn sie ihm nicht persönlich anzulasten sind.
Der Behördenapparat untersteht den Ministern.
Die höchsten politischen Beamten können jederzeit in den Ruhestand versetzt werden. Der
Grund: Einer Regierung steht es zu, Personen ihres Vertrauens in der Leitungsebene eines Ministeriums zu haben. Müssen besonders heikle Fragen geklärt werden, setzt die Regierung auch
Planungsstäbe ein.
Die Justiz spielt als dritte, unabhängige Gewalt
eine wichtige Rolle in der Bundesrepublik. „Hüter
der Verfassung“ ist das 1951 gegründete Bundesverfassungsgericht. Bei der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes werden mögliche Einwände
der Verfassungsrichter meist im Vorfeld berücksichtigt. Oppositionsparteien rufen gern das Bundesverfassungsgericht an – in der Hoffnung, Abstimmungsniederlagen im Parlament ungeschehen zu machen.
5. Die Gesetzgebung
Gewaltenteilung gibt es im demokratischen Verfassungsstaat auf drei Ebenen:
1. Grundlegende staatliche Aufgabenbereiche
(sog. Grundfunktionen) sind festgelegt.
2. Verschiedene Institutionen und Organe handeln weitgehend eigenständig.
3. Die Ausübung von Staatsgewalt ist territorial
aufgegliedert (Kompetenzbereiche von Bund,
Ländern und Gemeinden).
Die obersten Staatsorgane sind in der Bundesrepublik Deutschland sind
• der Bundestag,
• der Bundesrat,
• der Bundespräsident,
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• die Bundesregierung (mit dem Bundeskanzler/der Bundeskanzlerin an der Spitze)
• und das Bundesverfassungsgericht.
An der Gesetzgebung sind alle fünf obersten
Bundesorgane mit unterschiedlichem Gewicht
beteiligt.
Die geringste Bedeutung kommt dabei dem Bundespräsidenten zu. Von ihm wird eigentlich nur
die Unterzeichnung eines vom Bundestag beschlossenen Gesetzes erwartet.
Zur Gesetzesinitiative ist im Art. 76 des Grundgesetzes zu lesen: “Gesetzesvorlagen werden
beim Bundestage durch die Bundesregierung,
aus der Mitte des Bundestages oder durch den
Bundesrat eingebracht”.
Bewusst haben die Verfassungsväter der Bundesregierung eine wichtige Rolle im Gesetzgebungsprozess zugedacht. Die Regierung ist an
der Gesetzesinitiative ebenso beteiligt, wie an
der Gesetzesbearbeitung und an der Gesetzesentscheidung. Falls der Bundesrat die Gesetzesinitiative ergreifen möchte, ist festgelegt, dass die
“Vorlagen des Bundesrates dem Bundestage
durch die Bundesregierung zuzuleiten sind”. Die
Mitglieder der Bundesregierung (hier ein Blick auf
die Regierungsbank der Regierung Schröder, die
bis 2005 im Amt war) wirken an der Gesetzesarbeit im Bundestag mit. Sie sind zumeist stimmberechtigte Mitglieder des Bundestages und haben im Plenum des Parlaments sowie in den
Ausschüssen jederzeitiges Rederecht. In den
Ausschüssen des Parlaments verfügen nicht nur
die Minister über ein jederzeitiges Rederecht,
sondern auch deren Staatssekretäre und die Vertreter der Ministerialbürokratie.
Durch den Bundesrat können sich auch die Länder an der Gesetzgebung des Bundes beteiligen.
tung, sondern besitzt auch Einspruchs- und Zustimmungsrechte. Eine Änderung des Grundgesetzes kann z.B. auf dem Wege des Gesetzgebungsprozesses nur stattfinden, wenn neben
dem Bundestag auch der Bundesrat mit einer
Zweidrittelmehrheit zustimmt. Bei zustimmungspflichtigen Gesetzen, die heute den größten Teil
der bedeutenden Gesetze ausmachen, kann ein
Gesetz überhaupt nur mit Einverständnis des
Bundesrates zustande kommen. Gegen andere
Gesetze kann der Bundesrat Einspruch einlegen,
der Bundestag muss dann erneut beschließen.
Im Bundesrat dominiert heute das parteienstaatliche über das bundesstaatliche Prinzip. Vor dem
Zustandekommen der Großen Koalition im Jahre
2005 nutzte der von CDU/CSU beherrschte Bundesrat seine Mehrheit immer wieder, um Gesetzesvorhaben der rot-grünen Koalition zu blockieren und die Arbeit der Bundesregierung zu erschweren. Der Bundesrat rief häufig den Vermittlungsausschuss an, der in mühsamer Prozedur
Kompromisse erarbeitete. Die Zurechenbarkeit
so manchen Vorhabens blieb auf der Strecke.
Das Bundesverfassungsgericht ist insoweit in
den Gesetzgebungsprozess einbezogen, als es
im Streitfall darüber entscheiden muss, ob ein
Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Die Hauptrolle im Gesetzgebungsprozess spielt
der Bundestag. So heißt es im Art. 77 des
Grundgesetzes: “Die Bundesgesetze werden
vom Bundestage beschlossen. Sie sind nach ihrer Annahme durch den Präsidenten des Bundestages unverzüglich dem Bundesrate zuzuleiten”.
Gesetzesvorlagen durchlaufen im Bundestag
einen umfangreichen Bearbeitungsprozess :
Neben den drei Lesungen im Plenum wird in verschiedenen formellen und informellen Gremien an den Gesetzesentwürfen gearbeitet. Die
einzelnen Fraktionen bilden Arbeitskreise und
-gruppen, es kommt zu interfraktionellen Treffen,
Experten und Interessenvertreter werden zu Rate
gezogen und - zumindest auf der Regierungsseite - beraten sich die Abgeordneten mit Regierungsmitgliedern oder deren Vertretern. Hinzu
kommt die Arbeit in den mit den Vorlagen befassten Bundestagsausschüssen, ihren Unterausschüssen und in speziellen Expertengruppen, die
zumeist in nichtöffentlichen Sitzungen beraten.
6. Der Bundestag
Der Bundesrat verfügt nicht nur über das Recht
der Gesetzesinitiative und der Gesetzesbera© Bayerischer Rundfunk
Deutschland ist eine repräsentative Demokratie,
d.h. die Volksherrschaft wird auf Volksvertreter
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übertragen. Deutschland ist eine parlamentarische Demokratie, weil das Parlament im Zentrum der politischen Macht steht und die Regierung das Vertrauen der Mehrheit im Parlament
benötigt. Als Organisatoren dieser Verbindung
von Parlamentsmehrheit und Regierung fungieren die Parteien. Sie sorgen im parlamentarischen System dafür, dass die von ihnen getragene Regierung zu politischer Führung und wirksamem Regieren in der Lage ist.
Jedes demokratische Parlament ist in mindestens zwei Lager geteilt. Die eine Gruppe hat die
Mehrheit der Abgeordneten und kann deswegen
die Regierung stellen, die natürlich unterstützt
wird. Bilden mehrere Parteien die Regierung,
spricht man von einer Koalition. Die nicht an der
Regierung beteiligte Gruppe wird als Opposition
bezeichnet. Sie ist der Gegenpol zur Regierung
und hat vor allem Kontrollfunktion.
Die Oppositionsparteien sollen aber auch eigene
politische Vorschläge unterbreiten und gegebenenfalls auch die Regierungsgeschäfte übernehmen können. Die Abgeordneten der Opposition
sind zudem Sprachrohr jener Bevölkerungsteile,
die die Regierung nicht unterstützen. Besonders
einflussreich ist eine Opposition dann, wenn sie
glaubhaft machen kann, dass sie nach der
nächsten Wahl womöglich die Regierung stellen
wird oder als Koalitionspartner in Frage kommt.
Da die Bundesrepublik ein, so der Politikwissenschaftler Winfried Steffani, “bundesstaatlich relativiertes parlamentarisches System”, also ein parlamentarischer Bundessstaat ist, verfügt die Opposition noch über weitere Einflussmöglichkeiten.
Parlamentarische Debatten werden oft hart geführt. Das Recht der Indemnität (Artikel 46
Grundgesetz) räumt den Abgeordneten hinsichtlich ihrer Äußerungen im Parlament und in den
Ausschüssen sowie und bezüglich ihres Abstimmungsverhaltens ausdrücklich besondere Rechte ein. Mit Ausnahme von verleumderischer Beleidigung bleiben Äußerungen im Parlament
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straflos. Die Indemnität kann im Gegensatz zur
Immunität nicht aufgehoben werden.
Zu Beginn einer Legislaturperiode legt das Parlament seine Organisation fest. Der Bundestagspräsident, der in der Regel aus der stärksten
Fraktion kommt, leitet die Sitzungen des Bundestages und sorgt für den reibungslosen Geschäftsablauf.
Zahlreiche Ausschüsse, die zu den wichtigsten
politischen Fachgebieten eingerichtet sind, sollen
die politische Arbeit effektiver machen. Die Ausschüsse sind verkleinerte Spiegelbilder des gesamten Parlaments, d.h. sie sind nach denselben
Stärkeverhältnissen und Fraktionen zusammengesetzt wie das Plenum. Die Parteien entsenden
jeweils ihre “Experten”. Die Ausschüsse leisten
allerdings nur Vorarbeit. Die endgültige Beschlussfassung liegt immer beim Parlament.
Das Parlament als wichtigstes Staatsorgan in
Deutschland hat herausragende politische Kompetenzen. Nach einem im Grundgesetz genau
festgelegten Verfahren werden im Zusammenwirken mit dem Bundesrat die Gesetze verabschiedet. Der im Bundesfinanzministerium erstellte
Haushaltsentwurf bedarf der Genehmigung des
Parlaments.
Bei wichtigen Bundesorganen kann der Bundestag bei deren Bestellung großen Einfluss ausüben. Der Regierungschef braucht die Rückendeckung, d.h. die Mehrheit des Parlaments hinter
sich. Nur wenn Parlamentsmehrheit und Regierung politisch eng miteinander verbunden sind,
lassen sich handlungsunfähige Regierungen
bzw. häufige Regierungswechsel vermeiden.
Alle Bundestagsabgeordneten gehören der Bundesversammlung an, die den Bundespräsidenten wählt. Auch bei der Zusammensetzung der
Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts
oder bei der Besetzung der obersten Bundesgerichte entscheidet es mit.
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Didaktische Hinweise
Der Film ist für den Einsatz in den Fächern GSE und Sozialkunde ab der 9. Jahrgangsstufe geeignet.
Lehrplanbezüge (Bayern)
Hauptschule
GSE
9.2 Demokratie in Deutschland
9.2.1 Politische Parteien in Deutschland
9.2.2 Wahlen auf Bundesebene
Realschule
Sozialkunde
10.3 Politische Strukturen und Entscheidungen auf Landes- und Bundesebene
Gymnasium
Sozialkunde
9.4 Verfassungsorgane und Akteure im politischen Prozess der Bundesrepublik Deutschland im Überblick
10.5 Das parlamentarische Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland
Lernziele
Die Schülerinnen und Schüler sollen
• die obersten Staatsorgane der Bundesrepublik kennen lernen;
• den Gesetzgebungsprozess nachvollziehen;
• Einblick in die Bedeutung und in die Arbeitsweise des Bundestages gewinnen;
• verstehen, dass in einer repräsentativen Demokratie die Abgeordneten als Vertreter des Volkes
über die wichtigen politischen Angelegenheiten des Staates entscheiden und die Verantwortung
tragen;
• wissen, dass Interessengruppen versuchen, Einfluss auf die Willensbildung zu nehmen.
Arbeitsaufträge (Fragen und Antworten)
Im Film wird am Beispiel der letzten Gesundheitsreform gezeigt, wie der Gesetzgebungsprozess in Deutschland funktioniert. Als damals die Praxisgebühr eingeführt wurde, war der Ärger
bei vielen Bürgern groß. Man schimpfte u.a. über den „Gesetzgebungsstaat“ und weil die
CDU/CSU-Opposition und die rot-grüne Regierung einen Gesundheitskompromiss gefunden
hatten, geriet der „Parteienstaat“ unter Beschuss. Welche Begriffe fallen dir noch ein? Warum
ist diese Kritik einseitig?
Weitere Begriffe wären „Verwaltungsstaat“ (wenn Behördeneingriffe auf Unverständnis stoßen), „Justizstaat“ (wenn Urteile nicht nachvollziehbar sind) oder „Verbändestaat“ (wenn man das Gefühl hat,
bestimmte Interessengruppen hätten ihre Vorstellungen durchgesetzt). Solche Charakterisierungen
erfassen nur Teilbereiche der politischen Willensbildung, die man nicht auf eine Gewalt, ein Organ,
eine Idee etc. reduzieren kann.
Wem obliegt im Bundestag die Wahlfunktion, wem die Kontrollfunktion?
Wahlfunktion – Mehrheitsfraktionen
Kontrollfunktion – parlamentarische Opposition
Wie versuchen Interessengruppen Einfluss auf die politische Willensbildung zu nehmen?
Interessengruppen versuchen die Regierung und die Abgeordneten für ihre Argumente zu sensibilisie ren, die Ministerialbürokratie für sich einzunehmen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
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Was besagt Art. 76 GG?
Art 76 GG: “Gesetzesvorlagen werden beim Bundestage durch die Bundesregierung, aus der Mitte
des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht”
Erläutert den Zusammenhang von Regierungsmehrheit und Gesetzgebungsmehrheit!
Die Länder verfügen in Deutschland über eigene Verfassungen und ein eigenes Gesetzgebungsrecht
und sind im Bundesrat parlamentarisch vertreten. Ist die Opposition in den Ländern stark und stellt die
Landesregierung, kann sie via Bundesrat den Gesetzgebungsprozess im Bund erheblich beeinflussen. Der Grund: Bei zustimmungspflichtigen Gesetzen, die heute den größten Teil der bedeutenden
Gesetze ausmachen, kann ein Gesetz überhaupt nur mit Einverständnis des Bundesrates zustande
kommen.
In Deutschland muss Regierungsmehrheit also nicht zugleich Gesetzgebungsmehrheit bedeuten (wie
z.B. in reinen parlamentarischen Systemen wie Großbritannien). Die Gesetzgebungsmehrheit ist erst
dann gegeben, wenn bei zustimmungspflichtigen Gesetzen Bundestags- und Bundesratsmehrheit
übereinstimmen.
Ladet den Bundestagsabgeordneten eures Heimatwahlkreises in die Klasse ein. Diskutiert über den
Gesetzgebungsprozess und recherchiert im Vorfeld des Gesprächs, was aus bestimmten Gesetzen
(man kann auch das Filmbeispiel Gesundheitsreform nehmen) geworden ist. Hat das Gesetz seinen
Zweck erreicht? Sind Reformen (z.B. die „Hartz“-Reformen) im Sinne der Initiatoren zur Geltung gekommen? Muss nachgebessert werden?
Kopiervorlage: Der Bundestag
Literatur
Mack, Andreas; Fehn, Jürgen. Demokratie verpflichtet. München: Oldenbourg Verlag, 2003.
pocket politik - Demokratie in Deutschland. Hg. Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn, 2002.
Die politische Ordnung in Deutschland. Hg. Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit.
Bestelladresse: Brienner Str. 41, 80333 München.
Links
http://www.bundespraesident.de/
http://www.bundestag.de
http://www.bundesregierung.de
http://www.bundesrat.de
http://www.bundesverfassungsgericht.de/
Internetauftritte der obersten Bundesorgane
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