SEITE B4 KULTUR NR. 183 MONTAG, 8. AUGUST 2016 Als der Farbholzschnitt die Wohnzimmer eroberte N AC H R I C H T E N ................................................................................................................. Grütters reformiert Limbach-Kommission Berlin. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) will bis zum Herbst eine Reform der sogenannten LimbachKommission auf den Weg bringen. Das Gremium, das in Streitfällen um NS-Raubkunst eingeschaltet werden kann, soll künftig transparenter arbeiten. Zudem ist vorgesehen, ein oder zwei Persönlichkeiten des jüdischen Lebens als Mitglieder zu berufen. Die Reform geht auf Forderungen von Opferverbänden zurück, die einen Mangel an Fairness, Transparenz und Gerechtigkeit sehen. Grütters betonte, die von der früheren Bundesverfassungsgerichts-Präsidentin Jutta Limbach (82) geführte Kommission habe in den 13 Jahren ihres Bestehens „hervorragende Arbeit“ geleistet. Die neuen Vorschläge sehen unter anderem vor, die Mitglieder der Kommission nicht mehr auf Lebenszeit zu wählen, sondern für eine bestimmte Amtszeit. dpa Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt erzählt die Geschichte des Farbholzschnittes im Wien der Jahrhundertwende. Die Ausstellung ermöglicht Entdeckungen und kunsthistorische Erkenntnisse. Von SZ-Mitarbeiter Bülent Gündüz Happy Hartmut: Pur-Sänger Hartmut Engler freute sich über seine 18 000 Fans. Pure Nostalgie 65 000 Technofans bei Nature One Kastellaun. Das Technofestival Nature One auf der ehemaligen Raketenbasis Pydna im Hunsrück haben am Wochenende rund 65 000 Technofans besucht. Die meist jungen Besucher haben seit Freitag die Auftritte von Szenegrößen wie Dominik Eulberg, Moonbootica oder Sven Väth verfolgt. dpa Pur-Open-Air am Losheimer Stausee mit 18 000 Fans 2013 spielte Pur zum letzten Mal ein Open-Air-Konzert in Losheim am See. Am Samstag gastierte die deutsche Erfolgsband wieder dort – im mit 18 000 Besuchern ausverkauften Strandbad. Avantgarde-Festival in Hamburg Von SZ-Redakteurin Esther Brenner Hamburg. Ob Theater, Tanz, Musik, Film, Performance oder Bildende Kunst: Vom 10. bis zum 28. August sind wieder Künstler aus aller Welt in der Hamburger Kulturfabrik zu Gast. Eröffnet wird das Festival am Mittwoch mit der Uraufführung „Auguri“ des französischen Choreografen Olivier Dubois. Weitere Künstler kommen aus Japan, Israel, den USA, Großbritannien, Belgien, Südafrika und Ghana. In einer von Theatermacher Philippe Quesne entworfenen Manege bieten 14 internationale Performance-Künstler von Antonia Baehr bis Meg Stuart dem Publikum „The Greatest Show on Earth“. Insgesamt sind während des Avantgarde-Festivals fünf Uraufführungen zu sehen, darunter ein Musical über Pornografie. dpa Losheim. Pur ist ein Phänomen. Seit über 30 Jahren hält sich die schwäbische Band um Sänger Hartmut Engler im Musikgeschäft – und immer noch begeistert sie die Massen. So auch am Samstag vor der fantastischen Kulisse des Losheimer Stausees. Pur-Frontmann Hartmut Engler kann den ungebrochenen Erfolg scheinbar selbst manchmal nicht glauben. Man nimmt sie ihm ab, seine Rührung, als er sich bei den Fans fürs Kommen bedankt – ein großer Teil von ihnen ist mit dem jetzt 54Jährigen und der Band gealtert. Tatsächlich gleicht das Konzert einer Zeitreise zurück in die 1990er. Wer damals frisch verliebt war, den kann man heute womöglich als älteres Paar bei Pur treffen: Arm in Arm steht Er mit Ihr am See und wippt mit glasigen Augen zum Pur-Kuschelrock. . . Da oben auf der Bühne rocken sie also, die reifen Helden aus den 90er Jahren, als Pur ihre größten Erfolge feierte. Ein paar frische Musiker sind zwar dazugekommen, aber der Sound – und Englers Stimme – klingen wie eh und je. Hier feiert man ein Fest der Nostalgie. Selbst die Jungen im Publikum scheinen diese Atmosphäre zu genießen – und sie kennen die alten Texte (von ihren Eltern?). Feiern trotz oder gerade wegen der angespannten Weltlage, des Terrors mitten in Deutschland, den einer wie Engler natürlich nicht unerwähnt lässt. Aus dem reichen Fundus der mehr oder weniger guten gesellschaftskritischen Pur-Songs aus drei Jahrzehnten passt eben immer auch ein Lied auf die desolate Weltlage (Hier ist es „Neue Brücken“ von 1993). 18 000 Menschen feiern ein Konzert als verschworene Spanischer Philosoph Gustavo Bueno ist tot Madrid. Der spanische Philosoph Gustavo Bueno ist tot. Der bekannte Vertreter des philosophischen Materialismus sei am Sonntag im Alter von 91 Jahren in Niembro im nordspanischen Asturien gestorben, berichtete die spanische Zeitung „El País“ unter Berufung auf seine Stiftung. Bueno lehrte an den Universitäten von Salamanca und Oviedo und gründete 1998 die philosophische Akademie „Fundación Gustavo Bueno“. Berühmt wurde er im spanischsprachigen Raum auch als Gründer der Philosophiezeitschrift „El Basilisco“. dpa Produktion dieser Seite: Esther Brenner Daniel Kirch Kultur Telefon: Fax: E-Mail: (06 81) 5 02 22 44 (06 81) 5 02 22 49 [email protected] Team Kultur: Oliver Schwambach (oli, Leiter), Tobias Kessler (tok), Esther Brenner (esb), Cathrin Elss-Seringhaus (ce, Reporterin), Christoph Schreiner (cis) FOTOS: DANIEL BITTNER Jung und Alt gemeinsam begeistert von Pur im vollen Strandbad. Pur-Gemeinschaft, die sich selbstbewusst an den simplen, oft schnulzigen Texten Englers ergötzt und aus voller Kehle mitsingt. Wer kommt schon, um die Lieder des neuesten Albums „Achtung“ zu hören, mit denen Pur den Abend eröffnet? Ach was, hören wollen die Fans alte Hits wie „Lena“, „Funkelperlenaugen“, „Freunde“ oder „Abenteuerland“. Und Pur liefert. Einige Songs hat die Band zu sehr schönen Akustik-Medleys neu arrangiert. Anderes klingt noch so wie vor 20 Jahren. Die Fans sind aus dem Häuschen. Hartmut Engler ist es auch. Mag sein, dass er kein großer Lyriker ist. Und auch die Musik der Band ist eher simpel gestrickt. Was soll’s! Hier geht es um das Zusammengehörigkeitsgefühl, um den Spaß, aber auch um ein paar sehr simple, leicht verständliche Botschaften: „Achtung und Respekt“ sind solche. Und ja, Engler gelingen manchmal tatsächlich sehr schöne Verse. Ist er nun wirklich der gefühlvolle Frauenversteher, dessen blumige Balladen beim weiblichen Publikum mitten ins Herz treffen? Er hat jedenfalls einen exzellenten Draht zu den Frauen, deren Männer – wenn sie auch wirken, als seien sie peinlich berührt von so viel Gefühlsduselei – gerne mal verstohlen mitsingen: „Ich lieb’ dich, egal wie das klingt“ – Einfach locker bleiben und raus damit! Singt euch frei mit Hartmut, kommt mit ins „Abenteuerland“. Es war wieder schön mit den älteren Herren aus dem Schwabenländle. Pure Nostalgie eben. Danke. Erforscher des Klangspektrums Saarbrücker Sommermusik im Kleinen Theater Saarbrücken. Stimme und Streicher sind bevorzugte Farben der Saarbrücker Sommermusik 2016. Den Part der Stimme übernahm nun, so Festivalchef Thomas Altpeter zur Begrüßung, einen Abend lang die Posaune von Paul Hubweber: Flankiert von den Kontrabassisten Ulrich Phillipp und Georg Wolf stand Hubweber am Freitag im Kleinen Theater im Rathaus im Zentrum einer ungewöhnlichen Instrumentenkombination. Phillipp, Wolf und Hubweber, allesamt Spitzen der deutschen Improvisationsszene und bekannte Sommermusikgäste, ließen sich in der „Doppel- bassposaune“ getauften Konstellation hier freilich noch nicht hören. Bei ausgedehnten freien Fantasien erforschte der Dreier ein Spektrum von Klangmöglichkeiten, das keine Wünsche offen ließ. Sattes Unisono-Brummen massierte ebenso die Ohren wie sirenenartiges Heulen, wenn die Bassisten, emsig streichend, tiefe und erstaunlich hohe Register erkundeten – mittendrin klagte die Posaune. Neben raumfüllendem Forte gab es viel Feinnerviges, mit Obertönen, perkussiven Knüffen aufs Holz und Luftgeräuschen des mit Dämpfer geblasenen Blechbläsers. In derlei Mo- menten im Grenzbereich zwischen Ton und Geräusch verschmolzen die Klangerzeuger nicht selten zur Einheit. Fesselnde Momente hatte der Abend gerade bei Ruhestrecken im Pianissimo. Ein sanfter Peitschenhieb von Georg Wolf mit dem Bogen durch die flirrende Luft war schon ein Ereignis. Im Finale des Improvisationsreigens näherten sich Phillipp, Wolf und Hubweber auf Sichtweite der „gegenständlichen“ jazznahen Musik. Kräftiger Beifall, Zugabe. uhr 쐌 Termine auf der Seite: www.saarbrücken.de/kultur Frankfurt. Mit dem Ende der akademischen Malerei im 19. Jahrhundert waren die Künstler frei von formalen Zwängen. Ihr Wunsch, eigene Wege zu gehen, und die Zukunftseuphorie der Jahrhundertwende gebaren eine Lust zu wilden Experimenten. Kunst sollte nicht mehr länger Staffage für die Reichen und Schönen sein. Ziel der Künstler war es nun, Kunst in die Gesellschaft zu tragen. Dafür brauchte es eine Kunst für alle. So erlebte die Grafik als günstige Alternative zum teuren Ölgemälde einen Aufschwung. Die Japanbegeisterung des Fin de Siècle brachte den fast vergessenen Farbholzschnitt zurück nach Europa. Die jungen Talente der Wiener Kunstgewerbeschule waren begeistert von den Möglichkeiten. Die Experimente mit der wiederentdeckten Technik führten zu einer Aufbruchstimmung und zu einer neuen Vielfalt in der Kunst, die bis heute nachwirkt. Trotzdem wurde dieses Kapitel bis heute kaum beleuchtet, weil die Auseinandersetzung mit der Wiener Moderne vor allem von Klimt, Schiele und Kokoschka bestimmt wird und sich die drei kaum für Druckgrafik interessierten. Ausgangspunkt für die Entwicklung der Kunst in Österreich war die 1897 gegründete Wiener Sezession, die mit dem rückwärtsgewandten Historismus brechen wollte, der längst überwundene Stile wieder zu etablierten suchte. Wichtige Instrumente dafür waren neben den Ausstellungen der Sezession auch das vereinseigene Magazin „Ver Sacrum“ sowie die Jugendstilzeitschrift „Die Fläche“. Beiden Zeitschriften räumt die Ausstellung breiten Raum ein und demonstriert, wie wichtig die Publikationen für die Entwicklung des Farbholzschnittes waren, weil sie intensiv über die Techniken berichteten und hochwertige Originaldrucke aus den Wiener Ateliers beilegten. Es ist erstaunlich, dass nur wenige Künstler der Bewegung wirklich große Namen in der Kunstwelt wurden. Umso schöner ist die Ausstellung, weil sie Entdeckungen ermöglicht und kunsthistorische Erkenntnisse ermöglicht. Zu den bedeutendsten Grafikern gehörte der aus Prag stammende Emil Orlik, der mit seiner Asienreise im Jahr 1900 zu den Ursprüngen der Farbholzschnitttechnik reiste und dort lernte. Seine Werke „Der Maler“, „Der Holzschneider“ und „Der Drucker“ zeigen die drei Arbeitsschritte, vom Anfertigen der Zeichnungen über den Schnitt der Holzplatten bis zum mehrfarbigen Druck. Ästhetisch geprägt sind die Holzschnitte von Farbflächen mit schwarzen Umrisslinien, was zu einer dezidiert zweidimensionalen Wirkung führte und an Comic- zeichnungen erinnert. Die Motivvielfalt nahm unglaublich zu. Akte, exotische Tiere, Alltagsszenen und Landschaften wurden in Holz geschnitzt und anschließend gedruckt. Herrlich grotesk und überdreht wirken viele Arbeiten, wie etwa Ludwig Heinirch Jungnickels „Rauchende Grille“ oder Gustav Marischs „Zwerg mit Vogel“. Der ansprechende Ausstellungsparcours wurde von Theaterregisseur Ulrich Rasche gestaltet und führt den Besucher durch ein fahl belichtetes Labyrinth aus schwarzen, sich neigenden Ausstellungswänden, die Kojen und Gänge öffnen. Anschaulich erklärt die Ausstellung die Drucktechnik des Farbholzschnitts und verwandte Methoden wie Linolschnitt, Spritztechnik und Papierschnittdruck. Und Weiblicher Akt von Karl Anton Reichel aus dem Jahr 1909. FOTO: ALBERTINA WIEN noch etwas zeigt die Schau: Auffallend viele Künstlerinnen waren damals aktiv und begeisterten sich für den Holzschnitt. Fast schon vergessen waren Marie Uchatius und Fanny Zackucka. Mit ihrer Arbeit nahmen die Wiener die Ästhetik der Comics vorweg. Dass die Schau mit rund 240 Werken von exquisiter Qualität ausgestattet werden konnte, verdankt sie Leihgaben aus aller Welt. Großen Anteil daran hat die Wiener Albertina, in der die Ausstellung im Anschluss ab Oktober zu sehen sein wird. 쐌 Bis 3. Oktober. Di, Fr-So: 10 bis 19 Uhr. Mi/Do: 10 bis 22 Uhr. Anzeige Bleib locker! 5% Rabatt fü r SZ-Card-Inhabe r! „Bleib locker!“ ist eine zeitgemäße Neu-Fassung vom bekannten Spieleklassiker „Mensch ärgere Dich nicht“! Also ein Spiel für die ganze Familie mit Saarlandbezug! Für 2–4 Spieler ab 5 Jahren. Artikelnum mmer: 200-093 16,95 € Jetzt bestellen unter: www.sz-einkaufswelt.de oder 0681– 502 52 22. Die Preise verstehen sich zzgl. Porto und Verpackung. Eine Affendame auf Rettungsmission Saarbrücken. Außerordentlich ist die Geschichte von Sally Jones. Sally Jones ist Maschinistin auf einem Frachter und ein hochbegabter Menschenaffe. Der Chief, Henry Koskela, mit dem sie um die halbe Welt gefahren ist, hat ihr ein paar Mal das Leben gerettet und ist ihr bester Freund. Nun muss Sally Koskela retten, der des Mordes angeklagt ist. Mit „Sally Jones. Mord ohne Leiche“ hat der preisgekrönte schwedische Autor Jakob Wegelius keine rührende Tiergeschichte geschrieben, sondern einen pral- len, poetischen Abenteuerroman, der um 1900 spielt und alles hat, was ein Schmöker braucht: Verlockungen, Hinterhalte, unerwartete Wendungen, Romanzen, Freundschaft, Verrat, Intrigen und Lebensgefahr. Mit der Affendame auf Weltreise gelingt Wegelius eine überzeugende Protagonistin mit kritischem Blick auf die Menschen. rr 쐌 Jakob Wegelius: Sally Jones. Mord ohne Leiche. Gerstenberg, ab 10 J., 624 S., 19,95 Euro