Deutschlandradio Kultur Verlorene Gewissheit? Die Dynamik der

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Deutschlandradio Kultur
Forschung und Gesellschaft am 24. Juli 2008
Verlorene Gewissheit?
Die Dynamik der Prognosen und die Dynamik des
Systems
Peter Kirsten im Gespräch mit dem Klimaforscher Mojib Latif
Deutschlandradio Kultur: Im Mai gab es in der Klimadiskussion, Herr Latif,
eine kleine Überraschung. Manche sagen vielleicht „eine große Überraschung“,
je nach dem. Da haben Sie mit Wissenschaftlern des Leibnitzinstitut für
Meereswissenschaften und des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in der
renommierten Zeitschrift „Nature“ eine Prognose veröffentlicht, eine Studie,
nach der der langfristige Erwärmungstrend im kommenden Jahrzehnt
abgemildert werden könnte. Der Grund dafür sei eine natürliche
Klimaschwankung.
Bevor wir auf die konkrete Prognose eingehen, sollten wir vielleicht zunächst
über Klimamodelle sprechen. Bekannt ist, dass die Modellierung des Klimas
sehr viel Rechnerkapazität verlangt, ungeheuer viel Aufwand, dass es lange
dauert, dass die Modelle kompliziert sind, dass der Globus mit einem Netz
gewissermaßen überspannt wird, eingeteilt wird, und dass sich in diesem Netz
Zellen befinden, in denen werden Messwerte eingegeben, viele mathematische,
physikalische Gleichungen. Damit wird dann versucht, die Vergangenheit und
die Zukunft des Klimas zu simulieren.
Welche Komponenten sind es, die jetzt in dieses Modell einfließen?
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Mojib Latif: Wir sprechen hier vom Klimasystem, das sich vor allen Dingen aus
der Atmosphäre, den Weltmeeren, also den Ozeanen, und dem Eis
zusammensetzt. Bei dem Eis betrachten wir in erster Linie das Meer-Eis, das
schwimmende Eis, das so genannte Packeis. Diese drei Komponenten sind
physikalische Systeme. Als solche gehorchen sie auch den physikalischen
Grundgleichungen. Diese Gleichungen sind bekannt, die können wir aufstellen.
Anhand dieser Gleichungen können wir dann die Entwicklung – entweder der
Vergangenheit oder der Zukunft – berechnen. Dazu braucht man Methoden, so
genannte numerische Methoden. Denn die Gleichungen sind so komplex, dass
man nicht einfach die Lösung hinschreiben kann, wie man es in der Schule bei
einfachen Gleichungen gelernt hat. Die numerische Mathematik gibt uns
Näherungsverfahren an die Hand. Dafür brauchen wir eben diese
Riesencomputer, weil man den Globus mit einem Rechennetz überzieht. Und
an jedem Punkt dieses Rechennetzes berechnet man dann die Gleichung. Je
besser, je höher aufgelöst das Rechennetz ist, umso komplizierter werden die
Rechungen, und umso mehr Computerkapazität brauchen wir auch.
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht zur Entwicklung: Sie haben schon in den
90er Jahren an Klimamodellen gearbeitet. Nun haben Sie von der Auflösung
gesprochen. Vielleicht allgemein: Welche Entwicklung hat es gegeben in den
letzten 10 Jahren? Wie hat sich das mit der Auflösung verhalten?
Mojib Latif: Die Klimamodellierung hat sich ja aus der Wetterforschung
entwickelt, das heißt, aus den Wettervorhersagemodellen in den 70er Jahren.
Dann sind die Meere und das Meer-Eis dazu gekommen. In den 90er Jahren
fingen wir gerade an, die Ozeane mit zu berücksichtigen. Wir konnten
Auflösungen typischerweise von 500 x 500 km rechnen. Mehr ging damals
leider nicht. Und oftmals konnte man noch nicht mal den tiefen Ozean mit
berücksichtigen, das heißt, die Tiefsee, sondern nur die oberen 50 m.
Seit da hat es eine rasante Entwicklung in der Computertechnologie gegeben.
Das hat es uns ermöglicht, die Auflösung weiter zu verbessern. Heute können
wir schon mit einer Auflösung von etwa 100 km rechnen. Aber selbst das ist –
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und ein Blick in den Himmel verdeutlicht das, wenn man sich die Wolken
anguckt – immer noch nicht genug.
Deutschlandradio Kultur: Wo wollen Sie hin?
Mojib Latif: Wenn man wirklich die Prozesse auflösen möchte, von denen wir
glauben, dass sie wichtig sind, dann müsste man in Bereiche von etwa einem
Kilometer in der Atmosphäre und einem Zehntelkilometer in den Weltmeeren
kommen, da die Strukturen, die in den Weltmeeren wichtig sind, deutlich kleiner
als die in der Atmosphäre sind.
Deutschlandradio Kultur: Herr Latif, es gibt doch dann eine Korrelation
zwischen der Auflösung dieses berühmten Netzes und der Sicherheit einer
Prognose.
Mojib Latif: Es gibt zwar eine Korrelation, aber man muss immer wissen, was
man berechnet. Wir haben gesehen in den letzten Jahrzehnten, dass sich die
Prognosen eigentlich, wenn man globale Dinge berechnet, kaum
unterscheiden. Das heißt, wenn ich ein Modell nehme, das eine Auflösung von
500 X 500 km aufweist, dann ist die globale Mitteltemperatur in etwa ähnlich,
als wenn ich ein Modell benutze, das 100 X 100 km Auflösung besitzt. Und
auch die Änderung der Temperatur, wenn wir beispielsweise Gase wie das
Kohlendioxid erhöhen, sind dann kaum unterschiedlich. Worauf es natürlich
ankommt, auch bei Planung, bei politischen Entscheidungen, sind dann die
regionalen Details.
Diese regionalen Details können Sie natürlich nur darstellen, wenn Sie wirklich
massiv die Auflösung erhöhen. Denken Sie zum Beispiel an Deutschland.
Selbst bei 100 km Auflösung fällt so ein Bundesland wie Schleswig-Holstein
buchstäblich durch die Maschen.
Deutschlandradio Kultur: Welche Berücksichtigung fand bisher der Ozean
oder die Ozeane? Vielleicht ist ja die Tatsache interessant, dass drei Meter
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Wassersäule den gleichen Wärmeinhalt haben, wie die ganze Luftsäule bis zu
den höchsten Schichten der Atmosphäre. Das heißt, die Energie des Ozeans
muss eine enorme Rolle für das Klima spielen. Die Frage ist: Ist der Ozean
immer gleich berücksichtigt worden? Ich taste mich – wie Sie sehen – langsam
an Ihre neue Studie heran. Oder gab es da Zeiten, wo man andere
Komponenten mehr bedacht hat?
Mojib Latif: In den Anfängen der Klimaforschung hat man nur den oberen
Ozean berücksichtigt, typischerweise eine Schicht von 50 m. Das war in den
80er Jahren. Aber seit da haben wir eben dreidimensionale Ozeanmodelle
entwickelt und diese dann auch an die atmosphärischen Modelle angekoppelt.
Seit etwa Mitte der 90er Jahre rechnet man standardmäßig mit diesen
dreidimensionalen Ozeanmodellen. Diese Weltmeere sind ja in der Tat so
etwas wie die träge Masse im System. Das Klima reagiert ja nicht sofort
beispielsweise auf den menschlichen Einfluss, sondern es dauert Jahrzehnte.
Das liegt daran, dass die Ozeane so träge sind, langsam reagieren, die Wärme
aufnehmen und erst langsam wieder an die Atmosphäre abgeben. Deswegen
sehen wir heute noch gar nicht die Änderungen, die Menschen produziert
haben, sondern wir sehen erste die Anfänge. In den nächsten Jahrzehnten wird
dann das Ausmaß der Klimaänderung durch uns Menschen deutlicher zutage
treten.
Deutschlandradio Kultur: Zurück zu Ihrer Studie vom Mai. Nach dem letzten
Bericht des IPCC vom Frühjahr 2007 muss mit einem Anstieg der globalen
Temperatur in den nächsten Dekaden von 0,2 Grad gerechnet werden. Das
wären bei 100 Jahren dann etwa 2 Grad. Das soll übrigens unabhängig sein
von oder Emission, ob die weiterläuft oder gestoppt wird.
Nun kommt die Überraschung: Ihr Befund vom Mai 2008 besagt, dass dieser
Erwärmungstrend in den nächsten 10 Jahren nicht stattfindet. Was haben Sie
als Ursache dafür gefunden?
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Mojib Latif: Es gibt in der Öffentlichkeit ein großes Missverständnis, dass
nämlich die Modelle eine kontinuierliche Erwärmung simulieren. Das stimmt
nicht. Wenn man ein einzelnes Modell hernimmt, dann sieht man, dass die
Erwärmung nicht kontinuierlich erfolgt, sondern dass es mal wärmer wird. Dann
bleibt die Erwärmung mal stehen. Dann wird es vielleicht wieder kälter. Nur
unterm Strich, wenn man die nächsten 100 Jahre betrachtet, dann sieht man
den Erwärmungstrend ganz deutlich.
Deutschlandradio Kultur: Aber Herr Latif, wenn jetzt der IPCC-Bericht sagt,
im Schnitt 0,2 Grad pro Dekade, dann ist das ja zunächst etwas, was
vorgegeben wurde.
Mojib Latif: Ich habe von einem Missverständnis gesprochen. Das IPCC
benutzt eben nicht nur ein Modell, sondern viele Modelle. Und wenn man über
diese ganzen Modelle mittelt, dann kommt eine kontinuierliche Erwärmung
dabei raus. So ist die Natur aber nicht. Wir haben nicht viele Planeten Erde, die
wir mitteln, und dann kommt eine glatte Kurve raus, sondern – wie wir anhand
der letzten 100 Jahre sehen – es gibt zwar einen Erwärmungstrend, aber mal
ist er stärker, mal schwächer und die Temperatur kann auch wieder leicht
zurückgehen. Genau das zeigen wir mit unserer Prognose, dass zwar langfristig
der Erwärmungstrend stimmt, im Mittel stimmen wird, aber kurzfristig kann er
durchaus von diesem mittleren Erwärmungstrend abweichen. Das liegt eben
daran, dass wir versucht haben, den tatsächlichen Zustand des Klimas in das
Modell einzugeben. Das hat man vorher nicht getan. Vorher hat man nur die
Konzentration der Spurengase in der Atmosphäre erhöht, man hat aber nicht
die Modelle initialisiert, wie wir sagen. Das heißt, man hat nicht vom heutigen
Zustand aus los gerechnet, sondern hat diesen vernachlässigt, weil man ihn
nicht bestimmen konnte. Das heißt, insbesondere der tatsächliche Zustand der
Meeresströmungen, so wie er sich heute darstellt, wurde nicht berücksichtigt.
Deswegen gibt es eben in den Modellen keine verlässliche Entwicklungen des
kurzfristigen Klimas.
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Deutschlandradio Kultur: Warum konnte man den vorher nicht bestimmen vor
10, 15 Jahren? Forschungsschiffe, das gab es alles schon.
Mojib Latif: Es gab zwar Forschungsschiffe, aber der Ozean bedeckt ja zwei
Drittel der Erde. Das sind riesige Flächen. Die können Sie gar nicht mit
Forschungsschiffen abdecken. Wir fangen jetzt an seit einigen Jahren, so
genannte „Driftbojen“ in den Ozean zu werfen. Das sind autonome Messgeräte.
Die tauchen in die Tiefe, kommen wieder hoch, senden die Daten an Satelliten.
Das ist ein weltweites Projekt. Alle Länder sind daran beteiligt. Alle tun diese
Driftbojen in die Meere. Dadurch bekommen wir so ganz allmählich einen
Überblick über die weltweiten Meeresströmungen.
Was wir gemacht haben, ist, dass wir eine Methode entwickelt haben, aus den
Meerestemperaturen diese Strömungen abzuleiten. Das ist natürlich nur – wenn
überhaupt – die zweitbeste Methode, das zu tun. aber es war der erste
Versuch, mal diesen Effekt mit zu berücksichtigen. Denn dieser Effekt ist eben
in unserem Modell – und es muss sich in den nächsten 10 Jahren
herausstellen, ob das Modell dann auch richtig war. Es hat sich herausgestellt,
dass wir eben vorhersagen, dass es eine leichte Abkühlung im nächsten
Jahrzehnt geben wird.
Deutschlandradio Kultur: Ihr Kollege Stefan Rahmstorf vom Potsdamer
Institut für Klimafolgenforschung ist, wenn ich das richtig gelesen habe, etwas
skeptisch, was dieses Modell angeht, was diese Vorhersage vor allem auch
angeht. Er hat in einem Interview gesagt, dass die Atlantikzirkulation, die eine
wichtige Rolle spielt, schon immer enthalten war – nur mit zufälligen
Komponenten.
Mojib Latif: Die Modelle simulieren natürlich die Schwankungen der
Meeresströmungen. Allerdings wissen sie nicht, wie eben der momentane
Zustand ist. Das haben wir versucht anders zu machen. Natürlich ist diese
Methode sehr einfach, aber es war das Beste, was uns eingefallen ist. Denn wir
müssen uns fragen: Welche Daten gibt es, welche Messungen gibt es, die
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wirklich verlässlich für die letzten Jahrzehnte sind? Die einzigen Daten, die
verlässlich sind, sind die Temperaturen des Meeres an der Oberfläche. Wir
haben das Modell ja getestet. Wir haben ja nicht einfach die Vorhersage
gemacht, sondern wir haben die letzten 50 Jahre hergenommen. Zum Beispiel
haben wir gesagt, wir sind jetzt im Jahr 1960. Wir geben jetzt mal die
Meerestemperaturen von den 50er Jahren ein, rechnen mal in die Zukunft und
gucken mal, was bis 1970 passiert ist. Und wir haben gesehen, das hat gut
geklappt. Das haben wir für alle Jahrzehnte gemacht und das klappte sehr gut.
Das hat uns dann letzten Endes dazu ermutigt, diese Vorhersage zu machen.
Aber ich stimme natürlich mit Stefan Rahmstorf völlig darin überein, dass das
erst der erste Schritt ist. Wenn erst einmal dieses weltweite Messnetz im Ozean
implementiert ist, dann wird man sicherlich viel, viel verlässlichere Vorhersagen
machen. Aber, ich möchte betonen, es sind immer kurzfristige Vorhersagen.
Wir reden nicht über den langfristigen Erwärmungstrend. Wir reden nur über die
kurzfristigen Schwankungen, die von diesem langfristigen Trend überlagert
sind.
Deutschlandradio Kultur: Das müssen Sie mir jetzt bitte noch einmal erklären.
Ich meine: Wir haben festgestellt, dass der Ozean mit seinem Wärmeinhalt für
das Klima eine ungeheure Rolle spielt. Sicher, Ihr Modell befasst sich mit
Kurzzeiträumen, also mit einer Dekade in etwa. Aber ist es nicht trotzdem so,
dass auch mit Blick auf 50 Jahre der Ozean immer eine sehr große Rolle
spielen wird?
Mojib Latif: Der Ozean spielt immer eine große Rolle. Deswegen wird er
natürlich auch in 50 oder in 100 Jahren immer noch die Temperaturen
verändern. Man muss sich aber fragen: Wie stark ist der Einfluss dieser
natürlichen Klimaschwankungen im Vergleich zu der von uns produzierten
Erwärmung? Im Moment ist der von uns verursachte Erwärmungstrend noch
relativ klein. Wir sprechen über 0,7 Grad in den letzten 100 Jahren. Der
Ozeaneffekt ist durch die Wechselwirkung mit der Atmosphäre deutlich kleiner.
Die globale Temperatur schwankt maximal um +/- 0,5 Grad pro Jahrhundert.
Wenn wir jetzt darüber reden, dass wir möglicherweise 4 Grad Erderwärmung
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bekommen, wenn wir so weitermachen, wie bisher, durch den Ausstoß von
immer mehr Treibhausgasen, dann sind diese natürlichen Schwankungen zwar
immer noch vorhanden, aber sie spielen eigentlich keine Rolle mehr, denn ob
Sie nun 4 Grad Erwärmung oder 3,5 Grad Erwärmung haben, spielt letzten
Endes keine Rolle. Es ist beides einfach zu viel.
Deutschlandradio Kultur: Ich glaube, fast genau mit Ihrer Studie ist eine
andere Nachricht aus dem Alfred-Wegner-Institut gekommen. Da war nämlich
ein Forschungsschiff unterwegs. Das hat herausgefunden, dass das
Tiefenwasser in der Antarktis statt wärmer kühler wird. Das war ein
überraschender Effekt gewesen. Auch das Meer-Eis in der Antarktis hat
zugenommen, ganz im Gegensatz zur Arktis, wo es ganz offensichtlich wärmer
wird und die Gletscher sich zurückbilden. Gibt es dafür Erklärungen. Können
Sie das etwas mit Blick auf die Ozeanzirkulation – denn das spielt ja da
sicherlich auch eine Rolle – schon interpretieren?
Mojib Latif: Die Kollegen vom Alfred-Wegner-Institut haben einen
interessanten Befund hier gemessen, der mich aber keineswegs überrascht.
Wir hatten ja schon besprochen, dass wir nicht davon ausgehen können, dass
die Temperatur einfach immer ansteigt, Jahr für Jahr immer höher wird,
sondern dass es natürliche Schwankungen gibt. Diese natürlichen
Schwankungen können dazu führen, dass mal ein oder zwei Jahre die
Temperatur zurückgeht. Also, das bedeutet überhaupt nichts im Vergleich zu
dem langfristigen Erwärmungstrend.
Gleichwohl sehen wir in der Arktis eine sehr starke Erwärmung mit einem sehr
starken Rückgang des Eises. In der Antarktis oder um die Antarktis herum
sehen wir dies nicht. Wir haben, wenn überhaupt, vielleicht sogar einen leichten
Anstieg des Meer-Eises. Das kann man aber verstehen. Denn diese
Schwankungen, von denen ich jetzt geredet habe, von denen wir in unserer
Studie sprechen, die möglicherweise in den nächsten Jahren dazu führt, dass
es im Norden zumindest etwas kälter wird, die gleichen Schwankungen waren
eben in den letzten 20 Jahren in der anderen Phase. Das heißt also, sie haben
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die Arktis besonders warm gemacht und die Antarktis besonders kalt. Denn der
Fingerabdruck dieser Schwankungen des Golfstroms, wie man landläufig sagt,
ist eben ein umgekehrtes Vorzeichen zwischen Nordatlantik und Südatlantik.
Wenn der Golfstrom stark ist, dann bekommt der Norden mehr Wärme zu
Lasten des Südens. Und wenn er sich abschwächt, ist es umgekehrt. Genau
dieses unterschiedliche Verhalten der beiden Hemisphären kann eben erklären,
dass wir in den letzten Jahrzehnten eine so massive Eisschmelze in der Arktis
hatten und im Vergleich dazu so gut wie keine Eisschmelze im Süden – also,
alles verständlich, alles im Rahmen der natürlichen Klimaveränderlichkeit
erklärbar und überhaupt kein Argument dafür, dass wir kein Klimaproblem
haben.
Deutschlandradio Kultur: Gestatten Sie eine spekulative Frage
zwischendurch?
Mojib Latif: Auf jeden Fall.
Deutschlandradio Kultur: Wenn es in der Antarktis kälter wird und in der
Arktis wärmer, könnte doch jemand auf den Gedanken kommen, vielleicht hat
sich doch die Erdachse etwas verschoben, so dass die Sonneneinstrahlung in
der Antarktis geringer ist und die in der Arktis größer.
Mojib Latif: Wenn sich die Erdachse verschieben würde, dann wüssten wir
das. Das kann man nämlich alles messen. Wir haben Satelliten im Weltraum.
Das findet nicht statt. Es findet natürlich statt auf ganz langen Zeiträumen.
Wenn wir Jahrtausende, viele Jahrtausende betrachten, dann ist das in der Tat
der Fall. Die heutige Erdachse hat eine Neigung von 23,5 Grad. Das kann
schwanken etwa zwischen 22 und 24,5 Grad. Das ist zum Beispiel einer der
Gründe, warum es so etwas wie Eiszeiten gibt. Aber auf diesen kurzen
Zeiträumen – und das ist auch gut so – da schwankt die Erdachse nicht.
Deswegen kann auch die Sonne für diese Veränderung nicht verantwortlich
sein.
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Deutschlandradio Kultur: Können Sie verstehen, auch gerade mit Blick auf
Ihre neue Studie, dass es natürlich da so ein bisschen Verunsicherung gibt und
gesagt wird, was ist das jetzt? Jetzt wird es doch nicht so warm. Es wird eine
kontinuierliche Erwärmung prognostiziert, siehe IPCC-Bericht, und nun sagt
Herr Latif, das ist doch nicht so, sondern jetzt wird es erst mal kälter.
Mojib Latif: Ich denke, wir haben hier ein Kommunikationsproblem. Ich habe es
selbst immer wieder gemerkt, auch im Bekanntenkreis oder auf
Veranstaltungen, dass ich darauf angesprochen worden bin. Man unterscheidet
offensichtlich nicht zwischen den kurzfristigen natürlichen Schwankungen und
dem langfristigen Erwärmungstrend. Es gibt diese beiden Phänomene und
beide Phänomene finden gleichzeitig statt. Wir haben durch den Ausstoß der
Spurengase, insbesondere das Kohlendioxid, diesen langfristigen
Erwärmungstrend. Der ist relativ kontinuierlich. Das erwarten wir auch.
Andererseits haben wir die natürlichen Schwankungen. Und die tatsächliche
Temperaturentwicklung ergibt sich aus beidem, das heißt, aus dem langfristigen
Erwärmungstrend und den kurzfristigen Schwankungen, die eben dem Trend
überlagert sind.
Am besten kann man sich das zum Beispiel mit dem Aktienkurs verdeutlichen.
Wenn Sie Jahrzehnte betrachten, geht der Aktienkurs immer nach oben, aber
Sie sehen diese Schwankungen. Trotzdem gibt es diesen langfristigen Trend.
Deswegen sagen ja auch Börsengurus, man soll jetzt nicht kurzfristig mit Aktien
umgehen, sondern man soll sie kaufen, am besten unters Kopfkissen legen und
dann in 40 Jahren mal gucken, was passiert ist. Dann werden sie sicherlich
zugenommen haben. So ist das eben auch mit dem Klima. Sie können die
menschgemachte Erwärmung nur sehen, wenn Sie längere Zeiträume
betrachten. Was in kurzen Zeiträumen passiert, ist sehr stark durch die
natürliche Veränderlichkeit dominiert. Aber langfristig, und da führt kein Weg
dran vorbei, wird sich die Erde erwärmen.
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Deutschlandradio Kultur: Sie werden an dieser Modellentwicklung weiter
arbeiten. Sie haben es schon angedeutet. Sie werden präzisere Messdaten mit
einführen. Wo können Sie Ihrer Meinung nach noch hingehen?
Mojib Latif: Wir haben noch ein zweites Problem, und zwar dass wir nicht alle
Komponenten des Erdsystems berücksichtigt haben. Das ist vielleicht kurzfristig
nicht so wichtig, aber wenn wir längere Zeiträume betrachten, jenseits von
2100, dann wird es immer wichtiger. Ich denke zum Beispiel an die bio-geochemischen Kreisläufe, den Kohlestoffkreislauf. Beispielsweise die
Ozeansenke: Der Ozean nimmt ja von uns Menschen in die Atmosphäre
entlassenes CO2 auf, dadurch versauert er übrigens. Wie entwickelt sich infolge
der Ozeanversauerung diese Senke? Das kann man nur mit einem gekoppelten
System untersuchen. Das heißt, wir müssen die Klimamodelle, so wie wir sie
heute kennen, auch noch mit anderen Komponenten koppeln. Das Gleiche gilt
für die ganzen chemischen Prozesse in der Atmosphäre, die beispielsweise die
Ozonproblematik bestimmen und die auch wieder Rückwirkungen auf die
globale Erwärmung haben können. Das heißt also, wir sind limitiert auf der
einen Seite, was die Auflösung angeht, andererseits aber auch, was die
Darstellung des gesamten Erdsystems angeht. Deswegen wird es noch
Jahrzehnte dauern, selbst wenn die Rechnerentwicklung immer so weitergeht,
wie sie in den letzten 10 Jahren weitergegangen ist, bis wir wirklich das Modell
rechnen können, das wir aus Sicht der Klimaforschung wirklich rechnen
müssten.
Deutschlandradio Kultur: Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, gibt es
Prozesse, biochemische Kreisläufe, möglicherweise auch Prozesse, die so eine
Art negative Rückkopplung haben, das heißt, die dem Trend der Erwärmung
entgegenlaufen können.
Mojib Latif: Nach allem, was wir wissen, ist der Kohlenstoffkreislauf eine
negative Rückkopplung. Und das äußert sich darin, dass die Erwärmung heute
gar nicht so stark ist, wie sie eigentlich wäre, wenn das Weltmeer nicht
pausenlos CO2 aufnehmen würde. Das Gleiche gilt übrigens auch für die
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Vegetation. Etwa die Hälfte dessen, was wir in die Atmosphäre entlassen, geht
wieder raus, weil wir die Natur als Partner haben. Aber das wird nicht immer so
sein. Insofern kann diese negative Rückkopplung schwächer werden. Die
Ozeanaufnahme für CO2 kann – relativ gesehen – schwächer werden, wenn
nämlich über die Erwärmung, über die Versauerung der Weltmeere auf der
einen Seite die Organismen geschädigt werden, die ja auch für den Transport
von CO2 in die Tiefsee verantwortlich sind, und auf der anderen Seite durch die
Erwärmung einfach der Ozean infolge einer geringeren Löslichkeit weniger CO2
aufnimmt.
Das sind wirklich Prozesse, die wir interaktiv bestimmen müssen. Im Moment
rechnen wir auf der einen Seite die Klimamodelle, auf der anderen Seite dann
die bio-geo-chemischen Modelle unter Vorgabe bestimmter Szenarien. Aber
das muss interaktiv passieren. Das ist eine der großen Herausforderungen.
Denn es gibt ja nicht nur den Kohlenstoffkreislauf. Es gibt auch den
Methankreislauf, den Stickstoffkreislauf. Hier ist man wirklich noch lange nicht
am Ziel. Aber wichtig ist: Wir wissen heute schon genug, um zu handeln. Wir
wollen zwar immer mehr verstehen, das liegt ja auch in der Natur eines
Wissenschaftlers. Der ist neugierig. Es gibt auch per se ein Recht des
Verstehens. Aber wir wissen heute schon genug. Insofern darf die
Klimaforschung nicht zur Alibiforschung verkommen, dass man sozusagen Geld
bekommt, ruhiggestellt wird und dass man dafür dann letzten Endes nichts tut.
Deswegen sage ich immer: Trotz aller nötigen weiteren Entwicklung müssen wir
heute schon die notwendigen Weichen stellen, um den Klimawandel auf einem
Niveau zu halten, dass er nicht als gefährlicher Klimawandel gelten kann.
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