Heft 15 Das Ende der Franzosenzeit an der Niederelbe Das Jahr 2013 stand in den deutschen Landen ganz im Zeichen des Gedenkens an das Ende der napoleonischen Fremdherrschaft vor 200 Jahren. Besonders in jenen Städten und Orten, in denen die entscheidenden Weichen für die Niederlage Napoleons gestellt wurden, erinnerte man sich mit Dokumentationen und Ausstellungen an das Jahr 1813. Auch für unser kleines Land Hadeln war das Jahr 1813 sehr unruhig. Seit 1803 stand es unter ständig wechselnder Fremdherrschaft. Einmal waren es die Franzosen, dann für kurze Zeit die Preußen, dann wieder die Franzosen, die es 1810 für einige Monate dem westfälischen Königreich unter Hieronymus (Jerome) Napoleon (König Lustig) zuteilten und bereits Ende des Jahres auf Befehl Napoleons dem französischen Mutterland einverleibten. Napoleon sah sich zu diesem Schritt gezwungen, um die gegen England verhängte Kontinentalsperre durchzusetzen. Das Land Hadeln, wie überhaupt das gesamte Küstengebiet, gehörte jetzt zu Frankreich und die Amtssprache war fortan französisch. Doch zurück zu den Vorgängen im Jahr 1813. Napoleon kam Ende 1812 schwer geschlagen aus Russland zurück. Die bislang Verbündeten fielen von ihm ab und schlossen sich zu einer Allianz gegen ihn zusammen; die alliierten Kräfte befanden sich auf dem Vormarsch. Da die französischen Einheiten im Norden Deutschlands zum größten Teil abgezogen waren, kamen die nachrückenden Kosaken unter Führung des deutschen Generals Friedrich Karl Freiherr von Tettenborn hier schnell voran. Anfang Februar 1813 rückten sie auf Hamburg vor, wo es am 24. Februar zu einem offenen Aufruhr kam. Bei der Einschiffung junger Konskribierter aus Hamburg wehrten sich einige gegen den Eintritt in die französische Armee und erhielten Beistand aus der Bevölkerung, die über die verheerende Niederlage Napoleons in Russland bereits informiert war. Im Verlauf des Aufruhrs ergriffen die Franzosen sieben Personen wahllos aus der Menge und füsilierten sie, d.h. die Bedauernswerten wurden an die Wand gestellt und erschossen. Dieses rücksichtslose Vorgehen des französischen Militärs sprach sich wie ein Lauffeuer im »Departement der Elbmündung« herum. In nur wenigen Tagen fanden nun zwischen Hamburg und Ritzebüttel ähnliche Aufstände gegen französische Offizielle und den so genannten Douaniers statt, was um so leichter fiel, weil das Militär fast gänzlich aus der Region abgezogen war. Über die Unruhen vom 28. Februar und 1. März in den Cantonen Otterndorf und Neuenkirchen berichtet der Otterndorfer Maire Goetze in einem Schreiben vom 7. März 1813 an den Regierungs-Commissair von Marschalk in Stade: Am 28. Februar des vorigen Monats um Mittag, entstand hier in der Stadt Otterndorf plötzlich eine aufrührerische Erregung, woran insbesondere die Dienst-Knechte vom Lande theil nahmen, die, weil gerade Sonntag war, sich hier zahlreich versammelt hatten.Er berichtet weiter, dass die »Tumultanten« das Büro des Otterndorfer Steuerbeamten zerstörten, die Papiere zerrissen und verstreuten. Die Meute zog weiter in die Domstraße (heute Johann-Heinrich-Voß-Straße), wo sich im Haus Nr. 2 des Kaufmanns Johann Christian Campen die Tabak-Regie befand. Sie schlugen die Fensterscheiben ein und entwendeten den Tabak. Anschließend wurde das im Westertor befindliche Zolllager aufgesucht und die darin lagernde Zollware – hauptsächlich Kaffee und Gewürze – gestohlen. Dabei kam es zu handfesten Schlägereien unter den Dieben, die einander die Beute streitig machten. Sie schlitzten die Säcke auf, so dass sich der Inhalt auf den Platz ergoss. Bei diesen Handlungen taten sich besonders der Fischer Alfred Richerts und der Zimmermann Peter Brüning hervor. Brüning wurde später beschuldigt, eine Tür zum Westertor aufgebrochen zu haben. Es waren ca. 30 Personen an der Plünderung beteiligt. Vergeblich versuchten sie, an die Kasse des Einnehmers der direkten Steuern zu gelangen. Der Steuereinnehmer Huber hatte wohl schon geahnt, dass die Hamburger Unruhen auf das Landgebiet übergreifen könnten und hatte die (Steuer-)Gelder Maire Goetze übergeben, der sie in der eisenbeschlagenen Stadtkasse im Rathaus sicher verwahrte. Auch die Douaniers haben von den bevorstehenden Unruhen gewusst, denn bereits am 26. Februar kam der Befehl der in Heiko Völker Ritzebüttel stationierten Restkräfte des Militärs, dass sich die Zöllner aus Otterndorf zurückziehen sollten. Goetze hatte noch den Vorschlag unterbreitet, die Zollwaren an die Bevölkerung zu verkaufen. Bei der Ware handelte es sich um bei Schmugglern konfiszierte Ware. Der Vorschlag wurde von dem französischen Unterinspektor gerne angenommen; allerdings verlangte er für die Ware so unverschämt viel, dass die Otterndorfer Bürger diese nicht kaufen wollten. Nach eigenen Angaben standen an diesem Tag Goetze und der Friedensrichter von Goeben allein der aufgebrachten Menge gegenüber. Am nächsten Tag wurde eine Bürgerwehr organisiert, die, als sich am Abend des 1. März wieder Randalierer zusammenfanden, diese aus der Stadt jagten und die Stadttore verschlossen. Auch in Altenbruch hatten die Unruhen am 28. Februar begonnen. Ebenso wie in Otterndorf wurde die Tabak-Regie geplündert und der Steuereinnehmer Flor, der im Pastorenhaus wohnte, bedrängt. Die Fenster wurden eingeschlagen und die Herausgabe der Kasse verlangt. Flor entging dem nur, weil er einige Handvoll Münzen in die Menge warf. Am folgenden Abend kam es erneut zu tumultartigen Ausschreitungen. Wieder waren es Knechte und Jungen aus der Umgebung, hinzu kamen die aus Otterndorf Weggejagten. Diese hatten auf dem Weg nach Altenbruch dem Alkohol zugesprochen und kamen nun mit »Geschrei, Brüllen und Lärmen« (Scherder) nach Altenbruch. Wieder war die Kasse des Steuereinnehmers Flor ihr Ziel. Sie ließen sich nicht mit einer Handvoll Münzen abspeisen, sondern wollten die Kasse an sich nehmen. Die Meute zerschlug Fenster und Türen, drang in das Haus ein, zerstörte das Mobiliar und raubte die Kasse. Mit Geschrei, so berichtet der Chronist Scherder, ging es zur Braake, einem Wasserlauf in Altenbruch, wo die Beute schließlich geteilt wurde. Doch damit nicht genug: Die Meute begab sich nun von Altenbruch nach Neuenkirchen, drang in das Haus des Steuereinnehmers Wehber ein, kam in den Besitz der Kasse und beraubte Wehber auch noch einiger persönlicher Wertsachen. Am 2. März bereitete ein Cuxhavener PolizeiCommissair dem Treiben ein Ende,indem er Militär nach Altenbruch entsandte und in Otterndorf eine ständige Bürgerwache einrichtete. Damit trat vorübergehend Ruhe ein, doch hatte man in Wanna und Nordleda anscheinend zu spät von den tumultartigen Unruhen erfahren. Einige Knechte und Dienstboten machten sich mit Knüppel bewaffnet auf den Weg nach Altenbruch, um sich dem »Raubgesindel« (Scherder) anzuschließen. Sie wurden jedoch von dem inzwischen eingetroffenen Militär ergriffen und festgenommen. Da sie noch nichts angestellt hatten, wurden sie von den Soldaten tüchtig durchgeprügelt und wieder entlassen. Anders erging es den vier vermeintlichen Rädelsführern – Andreas Gerdel aus Bremen, Johann Hinrich Stüben aus Altenbruch, Johann Diederich Brümmer aus der Commune Ihlienworth und Tönnies Hinrich Oehlert aus dem Lippischen, Dienstknecht in Westerende Otterndorf. Sie wurden festgenommen und unter schwerer Bewachung nach Stade gebracht. Nur wenige Tage später, am 12. März, hatten sich die französischen Besatzer vor den anrückenden Kosaken ganz aus unserer Gegend zurückgezogen. Damit war auch die Arrestzeit für drei der »Hadelnschen Tumultanten«vorüber. Sie traten in die neu gegründete Bremen-Verdensche Legion ein und entzogen sich so einer Bestrafung. Andreas Gerdel blieb im Gefängnis. Die Franzosen verbrennen ihre Kanonenboote Ein Ereignis aus der Zeit, dass die im Hamburger Hafen liegende französische Elbflottille betrifft, darf nicht unerwähnt bleiben. Am 12. März verließ General St. Cyr mit einem großen Teil der Soldaten die Stadt. Den Soldaten schlossen sich auch die französischen Beamten, die die höheren Stellen der Verwaltung in Hamburg innehatten, an. Es sah so aus, als wollten die Franzosen Hamburg aufgeben, denn die französische Elbflottille, die in Hamburg stationiert war und aus 20 Kanonenbooten bestand, segelte unter dem Kommando des Generals L’Hermite schnellstmöglich elbabwärts. Die französische Flottille wollte über See entkommen. Die Engländer, die die Insel Helgoland nicht nur als Schmuggellager, sondern auch als militärischen Stützpunkt ausgebaut hatten, wurden bereits vor der Elbmündung erwartet. Schmuggler und Spione hatten rechtzeitig über das Auslaufen der kleinen Flotte berichtet. General L’Hermite saß mit seinen Schiffen in der Falle. Auf ein offenes Gefecht zur See mit den Engländern konnte er es nicht ankommen lassen, denn diese waren ihm zahlenmäßig und auch ausrüstungsmäßig weit überlegen. Sein Versuch, die Schiffe über die Priele des Watts zur Wesermündung zu bringen, war zum Scheitern verurteilt. Die Franzosen kannten den einzigen Wasserweg durch die Watten nicht und ein ortskundiger Führer war nicht auffindbar, so dass die kleine Flotte vor Cuxhaven vor Anker gehen musste. General L’Hermite gab den Soldaten den Befehl zum Verlassen der Schiffe. Alle brauchbaren Gegenstände und Waffen wurden mitgenommen und zum Teil in den beiden Forts gelagert. Auf den Kanonenbooten wurde Feuer gelegt; die Schiffe gingen in Flammen auf. Die Cuxhavener und die nahe am Deich wohnende Hadler Bevölkerung lief zum Deich, um sich das grandiose Schauspiel der brennenden Kanonenboote nicht entgehen zu lassen. Die Besatzung der Schiffe und der beiden Cuxhavener Forts zogen sich in Richtung Bremen zurück. Als die Engländer am 16. März mit ihren Schiffen vor Cuxhaven eintrafen, fanden sie nur noch die brennenden Kanonenboote und nach der Landung die verlassenen Forts vor. Die beiden Batterien wurden nun von den Engländern besetzt. Hadeln kehrt zur alten Ständeordnung zurück Für Hadeln, wie in der gesamten Küstenregion, trat nun eine wechselvolle Zeit ein. Oberst Tettenborn als Befehlshaber der Kosaken erließ am 20. März von Hamburg aus den Aufruf zur Wiedereinsetzung der alten Behörden und zur Rüstung für den heiligen Krieg. Hadeln sollte 20 berittene Husaren für die neu aufgestellte Bremen-Verdensche Legion stellen, worauf sich 30 meldeten. Für diesen Patriotismus wurden die Hadler ausdrücklich von Major von der Bussche-Ippenburg, dem Führer der Legion, gelobt und als Muster hingestellt. Am 23. März erschienen unter Eskorte ein russischer und ein englischer Offizier im Otterndorfer Rathaus, um dem Aufruf Tettenborns noch einmal Nachdruck zu verleihen. Marschalk berief die Stände nach Stade ein, wo er inzwischen als Ritterschaftspräsident fungierte. Er erklärte, dass er nicht mehr die vorgesetzte Dienststelle der Hadler Behörden sei, weil es zur hannoverschen Zeit mit Sonderrechten wie eigener Regierung und Justiz ausgestattet war. Deshalb wurde am 29. März von den drei Hadler Ständen eine provisorische RegierungsCommission gewählt, die aus dem Otterndorfer Bürgermeister Dr. Goetze, dem vormaligen Friedensrichter von Goeben und dem präsidierenden Schultheißen Oest aus Osterende Otterndorf bestand. Die Franzosen kehren zurück Doch viel zu früh freuten sich die Hadler über die Niederlage Napoleons in Russland. Etwas voreilig war man im Februar/März feindlich gegen die französischen Besatzer aufgetreten und hatte die ersten Abteilungen der von Oberst Tettenborn geführten Kosaken als Befreier gefeiert. Politisch kehrte man zur alten Ständeordnung zurück. Doch die Freude sollte nicht lange dauern, denn die Franzosen kamen am 7. Mai 1813 nach Hadeln zurück. Oberst Tettenborns Kosaken waren nicht stark genug, um das Gebiet des Departements l’Elbe zu halten und eine erhoffte Verstärkung der russischen Truppen war nicht erfolgt. Am 8. Mai 1813 marschierten die Franzosen mit 2.400 Mann unter Befehl des Generals Montesquion in Ritzebüttel ein. Sie besetzten die beiden Forts, die von den Engländern geräumt worden waren mit 300 Mann und bestückten die Bastionen mit Kanonen. Der Rest zog am 11. Mai über Hadeln und Stade in Richtung Harburg. Dort kam es zum Zusammenschluss mit der Armee des Generals Davout, der bereits von 1811 bis Napoleons Russlandfeldzug Generalgouverneur des Départements des Bouches de l’Elbe mit Sitz in Hamburg gewesen war. Im Russlandfeldzug hat er der Überlieferung nach erfolgreich gekämpft. Auf dem Rückzug zog er am 30. Mai 1813 in die bis dahin von General Tettenborn besetzte Stadt Hamburg ein und legte ihr zur Strafe für ihren Abfall von Frankreich eine Geldbuße von 48 Millionen Franc auf, die er auch zum großen Teil mit erbarmungsloser Strenge eintrieb. Am 5. November ließ er die Bank mit einem Kassenbestand von 7.489.343 Mark Bko. in Beschlag nehmen, gegen Ende des Jahres mehr als 20.000 Menschen aus der Stadt treiben und die Wohnungen von mehr als 8.000 niederbrennen, nachdem er schon vorher mehrere Unruhestifter mit dem Tod bestraft hatte. Hadeln wieder fest in französischer Hand Die Hadler Region war wieder fest in französischer Hand. Viele junge Hadler Männer flüchteten, um der französischen Aushebung zu entgehen. Viele gingen in die Legion, so auch der Otterndorfer Friedensrichter von Goeben, der sich als Leutnant und Quartiermacher einem bremischen Regiment anschloss. Es lag auf der Hand, dass die Franzosen Rachegelüste gegenüber den vermeintlichen Verrätern üben wollten. So wurde von Marschalk aus dem französischen Staatsverband verstoßen und – sollte man ihn fassen – hart bestrafen. Auch gegenüber nachgeordneten Beamten wollte man hart vorgehen, was jedoch von General Tettenborn verhindert wurde. In einer Erklärung an die Franzosen bekundete er, dass er jeden gefangenen Franzosen so behandeln würde, wie die französische Administration ihre Untertanen in den Elbdepartements behandele. Diese habe aber nur ihre vaterländische Pflicht gegenüber ihrem hannoversch-britischen Landesherrn erfüllt. Für die Hadler Bevölkerung folgte ein bedrückender Sommer 1813. Zunächst wurde die französische Ordnung wieder in Kraft gesetzt. Zahlreiche Offizielle, die in den Monaten zuvor zu offen gegen Frankreich opponiert hatten, wurden im günstigsten Falle abgesetzt, andere festgenommen und fortgeführt. Für das hiesige Gebiet waren das die Hannoversche, die Bremen-Verdische sowie die Hanseatische Legion. Vollendung der Forts »Napoleon« und »Fort du Phare« in Ritzbüttel An der Fertigstellung der beiden Forts in Ritzebüttel wurde nun mit aller Kraft gearbeitet. Aus Hadeln, Wursten und sogar aus Kehdingen wurden Arbeiter herangezogen, um dieses Werk zu vollenden. Die Bauern mussten Hand- und Spanndienste leisten. Am 28. Juni erging der Befehl, dass alle Zimmerleute, die nicht zur Arbeit an den Ritzebütteler Forts herangezogen waren, sich sofort nach Hamburg begeben sollen, um dort an den Befestigungsarbeiten mitzuwirken. Im Falle der Weigerung würden zehn der bemittelsten Einwohner des Landes festgenommen und nach Hamburg gebracht. Der Lamstedter Heimatforscher Klenck schreibt in seiner Heimatkunde des ehemaligen Kreises Neuhaus a. d. O., dass aus der Börde Lamstedt Männer zu Schanzarbeiten in Rotenburg gezwungen wurden. Am 8. Juni erklärten darauf alle Vollmachten (heute würde man Bürgermeister sagen) der Börde, dass sie keine Leute mehr für diese Arbeiten abstellen würden. Trotzdem verlangten die Besatzer am 24. Juni 1813, dass 81 Einwohner der Börde für Schanzarbeiten nach Wilhelmsburg entsendet werden sollen. Als diesem Beschluss offensichtlich nicht Folge geleistet wurde, erschien das Militär in Lamstedt, um Geiseln in Gefangenschaft zu nehmen. Neuwerk wird geräumt Besonders schwer traf es die Bewohner der vor Cuxhaven liegenden Insel Neuwerk. Während der gesamten Besatzungszeit war die Insel ein Dorn im Auge der Franzosen. Sie galt als eine der Hauptumschlagsplätze für das von den Engländern herbeigeschaffte Schmuggelgut, von hier aus wurden die Spione in die Küstengebiete und Hansestädte entsandt. Daraufhin erließ am 20. Juni Marschall Davoust den Tagesbefehl: Heute, am 20. Juni des Jahres 1813, befehlen wir, dass die Bewohner von Neuwerk die Insel binnen 4 Tagen zu verlassen haben. Alles bewegliche Eigentum kann mitgenommen werden. Die Gebäude sollen nach geschehener Taxierung sofort abgebrochen werden. Was an Mobilien und dergleichen liegen bleibt, wird verbrannt. – Seine Excelenz, der General Barbenegre, hat den Befehl seiner Majestät Napoleons binnen 4 Tagen auszuführen, sodass am 24. Juni die Insel der Erde gleichgemacht werden kann. Denn die Engländer bedienen sich der Insel, den Schleichhandel zu fördern und zu spionieren; den Umgang, den sie mit den Insulanern pflegen, haben sie dazu benutzt, in der 32. Militärdivision den Geist des Aufruhrs und des Ungehorsams gegen die Gesetze anzufachen. Da überdies die Insel in militärischer Hinsicht keine Wichtigkeit besitzt, vielmehr ein Hindernis ist, soll die Räumung und Zerstörung sofort geschehen. – Im Namen seiner Majestät Napoleon, Davoust, Prinz von Eckmühl Die 33 Bewohner mussten die Insel verlassen und kamen bei Bekannten und Verwandten auf dem Festland unter. Das alles geschah in solch großer Eile, dass nicht einmal das Getreide und Gras gemäht werden durfte. Als der große Turm sprengt werden sollte, schritt der damalige Inselvogt ein. Daraufhin begnügte man sich damit, das Dach abzunehmen und alle Böden zu entfernen. Erhebung von Sonderaufwendungen Mitte Juli wurden die Bauern gezwungen, große Mengen Weizen abzugeben. In einer unendlich langen Wagenschlange transportierten Bauern das Getreide nach Magdeburg; viele Pferde überstanden die Fahrt nicht. Die meisten Wagen waren für so eine Fahrt überhaupt nicht geeignet, nahezu alle kamen beschädigt zurück. Hadeln musste 182 Artillerie-Pferde nach Hamburg liefern; diese hohen Abgaben betrafen nicht nur die Hadler, sondern auch die Einwohner der Börde und die Einwohner des späteren Amtes Neuhaus. Hier wurden hauptsächlich Lebensmittel wie Speck, Kartoffeln, Eier, Ochsen gefordert, aber auch Viehfutter wie Heu und Stroh, Roggen und Hafer. Im Falle der Nichterfüllung bzw. Weigerung wurden Geiseln genommen, die häufig von den wohlhabenderen Bauern ausgelöst wurden. Die Steuern und sonstigen Abgaben stiegen ins Unermessliche; viele Bauern konnten oder wollten nicht mehr zahlen, vor allem weil sie das Ende der napoleonischen Aera spürten. Doch bis dahin sollten noch einige Wochen vergehen, wie noch berichtet wird. Das endgültige Ende der napoleonischen Fremdherrschaft Ein ereignisreiches Jahr 1813 lag hinter den Bewohnern an der Niederelbe, das mit den Unruhen im Februar und März begonnen hatte, so unter anderem der Abzug und die Wiederkehr der französischen Truppen und deren Rache an der Bevölkerung in Form rücksichtsloser Aushebung der wehrfähigen Männer sowie die Eintreibung von hohen Kontributionen. Doch im Verlaufe des Jahres zeichnete sich ab, dass Napoleons Zeit abgelaufen war. Zu verlustreich an Soldaten und Material war der Russland-Feldzug, die bisherigen Bündnispartner fielen von ihm ab. Neue Allianzen entstanden und rüsteten gegen ihn. Napoleons Generäle mussten ihre verbleibenden militärischen Kräfte konzentrieren. Für Hadeln und das Amt Neuhaus bedeutete das, dass die bei der einheimischen Bevölkerung im Quartier liegenden Soldaten abgezogen werden mussten. Die überwiegende Anzahl marschierte in die Festung Hamburg-Harburg. Ungefähr 300 Soldaten nahmen Quartier in den beiden Ritzebütteler Forts, vor allem in Neuhaus und Otterndorf blieben die bewaffneten Zöllner, die Douanen, zurück. Auf jeden Fall wollte Napoleon die Kontinentalsperre gegen England aufrechterhalten, d.h. Hamburg mit Harburg wurde zur Festung ausgebaut und mit einer starken Mannschaft versehen. Beim Ausbau der Stadt zur Festung ging Marschall Davout rücksichtslos vor: 20.000 Menschen wurden aus der Stadt vertrieben, die Wohnungen für weitere 8.000 Menschen ließ er niederbrennen. So grausam dieses Verfahren auch war, so militärisch erfolgreich war seine Verteidigung gegen die Alliierten, die ihn von allen Seiten einschlossen und belagerten. Auf Befehl des Nachfolgers von Napoleon, des aus dem Hause Bourbon stammenden französischen Königs Ludwigs XVIII., übergab er am 29. Mai 1814 die Stadt an die Alliierten, da seine Streitkräfte durch Krankheiten und Verpflegungsmangel dezimiert worden waren. In unserer Heimat wurde die Elbmündung durch die beiden Ritzebütteler Forts Napoleon und du Phare gesichert. Nach der siegreichen Völkerschlacht bei Leipzig vom 16.–19. Oktober 1813 rückten wieder russische Truppen auf Hadeln und Ritzebüttel vor. Die aus 300 Soldaten bestehende französische Besatzung des Amtes Ritzebüttel zog es vor, sich am 26. November 1813 in die zwei geschlossenen Forts »du Phare« und »Napoleon« zurückzuziehen. In beiden Forts waren Lebensmittel und Munition in ausreichender Menge vorhanden, so dass mit diesen Vorräten eine Belagerung von etwa sechs Wochen überstanden werden konnte. Am 27. November trafen russische Truppen in einer Stärke von 1.200 Mann in Ritzebüttel ein, die unter dem Kommando des deutschen Oberst Rüdiger standen. Zur gleichen Zeit legte sich eine kleine englische Flotte auf die Reede und begann am Abend des 28. November das Feuer auf das Fort »Napoleon« zu eröffnen. Da die Franzosen die erste Aufforderung zur Übergabe nicht beachtet hatten, wurden von den Russen und den Engländern alle Vorbereitungen für einen Angriff auf die Forts getroffen. Da die Deiche sich als natürliche Brustwehren der Batterien anboten, mussten 300 Arbeiter große Einschnitte in den Deich graben, in die die Geschütze der Russen in Stellung gebracht wurden. Am 29. November begann eine heftige Kanonade von der Landseite auf die Forts. Von See her schossen englische Kriegsschiffe ihre Breitseiten auf die Befestigungen. Aus dem Fort »du Phare« schossen die Franzosen mit glühenden Kugeln auf die in der Nähe des Hafens stehenden Häuser. Aus diesen Häusern hatten russische Schützen auf die französischen Kanoniere geschossen, mehrere Häuser und auch öffentliche Magazine gerieten in Brand. Von der Sinnlosigkeit des Gefechts überzeugt, schickte Oberst Rüdiger Parlamentäre zu den Forts-Kommandanten und ließ den Franzosen ausrichten, dass ihre Frauen und Kinder, die sich noch im Flecken befanden, zu leiden hätten, je länger Widerstand geleistet würde. Daraufhin kapitulierten die beiden Forts am 30. November 1813. Das zivile Gefolge kam in Gefangenschaft und wurde nach England überführt, die Zöllner kamen in russische Gefangenschaft. Die Batterien wurden abgebrochen und alles, was noch irgendwie brauchbar war, wurde zum Vorteil der Russen und der Engländer versteigert. Oberst Rüdiger stellte als erstes die alte hanseatische Verfassung wieder her und verließ am 4. Dezember 1813 das Amt Ritzebüttel. Einige englische Schiffe unter dem Kommando von Leutnant Francis Banks blieben noch im Hafen. Letzte Scharmützel Auch in Hadeln und im Amt Neuhaus überschlugen sich die Ereignisse: Nachdem sich das Militär bereits im September/Oktober 1813 kampflos aus unserem Landstrich zurückgezogen hatte, versahen nur noch französische Zöllner – Douanen – ihren Dienst in Neuhaus und Otterndorf. Vor dem Eintreffen der von Oberst Rüdiger geführten russischen Truppen streiften bereits Kosaken durch unsere Gegend. Am 23. November 1813 kamen 40 teils russische Husaren, teils Kosaken in Otterndorf an. Sie lagerten neben der Landstraße in der Gemarkung Im dicken Hoop vor dem Ostertor der Stadt. Stadt- und Landbevölkerung kamen und begrüßten die Reiter als ihre Befreier; es wurden reichlich Nahrung und Getränke herbeigeschafft. Franzosen waren nicht mehr im Lande, schreibt der zeitgenössische Chronist Schmeelke, aber es kam die Nachricht, daß einige Wagen mit Franzosen von Neuhaus nach Otterndorf unterwegs waren. Die Russen saßen unverzüglich auf und stürmten ihnen entgegen. Sie mußten nicht weit reiten, denn nicht weit hinter dem Dicken Hoop trafen sie auf die Franzosen. Die Douanen setzten sich zwar anfangs zur Gegenwehr, wurden aber bald überrumpelt und 29 Mann stark gefangen genommen. – Als die Russen hörten, daß in Neuhaus noch Franzosen wären, sprengten sie gleich dahin und nahmen dort auch noch zehn Mann gefangen. Das Haupt unter ihnen – ein Kapitain, ein wahrer Satan – hier unter dem Namen »Ruche – Mütz« bekannt – war ihnen durch das Fenster entwischt und hatte sich über die Oste ins Kehdingsche geflüchtet. – Die Russen nahmen überhaupt 39 Franzosen mit fünf Weibern gefangen und führten selbige von hier mit sich nach Bederkesa. Einer war hier und ein anderer in Neuhaus getödtet worden. Das waren die letzten Franzosen, wovon die Russen uns befreit hatten. Für unsere Region waren mit dem Abzug der Franzosen zahlreiche Lastennichtnur von den Hadlern genommen, so beispielsweise die Häufung von hohen direkten und indirekten Steuern, unverhältnismäßig hohe Kriegssteuern, häufig wechselnde Einquartierung von Truppen (Holländer, Dänen, Franzosen). Ab 1812 erfolgte die verstärkte Aushebung von Soldaten vor allem auf dem Lande; das Leisten von Hand- und Spanndiensten für die Befestigung der Forts in Cuxhaven, Stade und Hamburg; Kriegsfuhren für die Versorgung des Militärs in den Festungen bis nach Magdeburg und Hameln; Überwachung des Handels durch Gendarmen und Douanen… Allerdings gab es auch Veränderungen, die als positive Erneuerungen zu werten waren, so z.B. die Einteilung des ganzen Landes in Verwaltungsgebiete: Departements, Arrondissements, Modernisierung der Verwaltung nach französischem Vorbild, Abbau von Privilegien, einheitliche Maße und Gewichte, Einführung des Dezimalsystem. Nummerierung der Häuser in den Ortschaften und Städten (Hausnummern). Wenn die Bevölkerung zunächst die Hoffnung gehegt hatte, dass sich ihre Lage mit dem Abzug der Franzosen verbessern würde, so irrte sie sich. Statt der Franzosen wurden Engländer, Russen und Kosaken einquartiert, die verpflegt werden wollten. Kriegssteuern und Kriegsfuhren bedrückten die Menschen auch weiterhin. Bald nach dem Abzug der Franzosen kehrte die alte Ständeordnung wieder zurück; sämtliche Schultheißen des Landes – bis auf den Schultheiß in Nordleda – wurden wieder eingesetzt. Das Friedensfest am 14. Juli 1814 in ganz Kur-Hannover setzte den Schlusspunkt der Franzosenzeit in unserer Heimat. Heiko Völker Quellen: Kreisarchiv Otterndorf, Staatsarchiv Stade, Stadtarchiv Cuxhaven Literatur: Abendroth (Hg.): Ritzebüttel und das Seebad Cuxhaven, Hamburg 1818