Maismutter und Erdfrau

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SCHWERPUNKT Spiritualität
Maismutter und Erdfrau
Mythologische Streifzüge im Grenzgebiet USA/Mexiko
Evelyne Puchegger-Ebner
In Fadenbildern verwoben, auf Opfergaben
gemalt, in Stein geritzt oder mit Glasperlen
nachempfunden, scheint die göttliche Maismutter
in vielen meso- und nordamerikanischen Zivilisationen omnipräsent. Als weibliche Personifikation der
Kulturpflanze Mais war und ist sie eines der verbindenden Elemente dieser beiden Kulturräume.
So spielte Mais bereits im Méxica-Schöpfungsmythos eine bedeutende Rolle, wurde der blaue
Ritualmais für die Zeremonien der AztekInnen
vermahlen und seit damals Chicomecóatl – die
Göttin des reifen Maises – zur Erntezeit verehrt.
Wie ein blauer (Leit-)Faden ziehen sich die göttlichen Kornmütter durch die Mythen des SW der USA und (NW)-Mexikos. Als
Corn Maidens der Zuni, Maismutter Irriaku (Keres) oder als Salako-mana (Hopi) werden sie mit Fruchtbarkeit, weiblicher Schaffensmacht bzw. dem (Da-)Sein schlechthin assoziiert. So bilden
bei den Huichol Tatei Niwetsika (Mutter Mais), die Regenmütter,
Mutter Erde (Yurianaka) und Urgroßmutter Wachstum (Takutsi)
eine machtvolle Allianz. Sie sind zwar wie z.B. Hard Beings Woman (Hopi) von dieser Welt, leben aber in den übergeordneten
Welten. Die weibliche Mythengestalt Blue Corn Woman der
Tewa Pueblos erinnert wiederum an die blauhäutige Tarahumara-Maismutter (Chíchí) in den fruchtbarkeitsspendenden yumari-Riten. Das Wort Chíchí bedeutet 'Brüste' und wird in der
Verwandtschaftsterminologie zur Bezeichnung von Mutter verwendet. Ähnlich füttert in einer Kiva-Zeremonie Hahai-wuhti, die
Verkörperung von 'Erdmutter', die mythischen Wasserschlangen
mit Maismehl, das als ihre Milch gilt, oder säugt sie an ihrer
Brust. Sie ist die Ernährerin sowohl der Lebenden als auch der
Toten. Die starke Präsenz weiblicher Fruchtbarkeit(smotive) in Ritual und Mythologie festigt die Stellung der Frau auch im Alltag,
denn das sozio-ökonomische Unterstützungssystem für die Zeremonien kommt von ihnen. In den jeweiligen Gesellschaften
und Epochen scheint also die Mutter(gottheit) als Allegorie, als
Symbolfigur und Metapher auf – als mythische und religiöse Gestalt ebenso wie als politische und meta/physische (Mutter-)Materie: Wie eine Kultur diese Imaginäre des Weiblichen anlegt und
welche Wert-Vorstellungen und Einschätzungen des Femininen
darüber transportiert werden, ändert sich in Raum und Zeit. In
Abhängigkeit davon werden Einblicke in das soziale Frau-Sein
möglich.
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Weiblicher Schöpfergeist als Ursprung
Schwangerschaft und Geburt waren in den präkolumbischen
Vorstellungen ein mächtiger, ritueller Prozess der Vitalisierung.
Der kreative Aspekt des Geburtsvorganges ging im westlichen
Denken durch die Gleichsetzung von Frau mit Natur und die Reduzierung von Natur auf Materie verloren. Gemäß dieser Auffassung können Frauen weder schöpferisch handeln noch kreativ tätig sein. Im Gegensatz zu biblischen Fertilitätsvorstellungen
beschreibt die Keres-Theologie die weibliche Schöpfergottheit
als Sus'sistinako oder 'Denkende Frau' (und nicht als 'Gebärerin'). Weiblicher Schöpfergeist und weibliches Denken sind hier
der Ursprung aller materiellen und nicht-materiellen Wirklichkeiten. In dieser Epistemologie wäre die Definition von weiblicher Macht als reine Fähigkeit zu gebären eine Reduktion und Limitierung weiblichen Vermögens und femininer Stärke.
Vermännlichung des Göttlichen durch die Mission
Göttinnen-Symbolik und Imaginäre des Weiblichen stellen keine
fixe Konstante dar, sondern wandeln sich wie alle anderen Konstrukten auch in den Kulturen: Aggressive Missionierungstätigkeiten, permanente Einflussnahme der mestizischen NachbarInnen sowie nationalstaatlicher Assimilationsdruck veränderten die
Lebensbedingungen indigener Gruppen gravierend. Dies führte
zu Aufstieg, Fall oder Transformation von Gottheiten. Im Verhältnis zu den präkolumbischen Göttinnen-Gestaltungen ist das
katholische Normbild der Jungfrau Maria als Frauenrepräsentantin einschränkend und unilinear. Durch die Missionierung wurde
dieser christlich-patriarchale Frauen-Entwurf in den indigenen Gesellschaften implementiert und gleichzeitig die präkolumbische
Götterwelt vermännlicht (u.a. im SW der USA, wo bis in die jüngere geschichtliche Zeit Muttergottheiten prominent waren). Bei
den Tarahumara und Tepehuan waren/sind katholische Kirche
und evangelikale Sekten ebenfalls bestrebt, das präkolumbische
Glaubensmodell einer androgynen Komplementarität zu eliminieren und den monotheistischen Gottesbegriff männlicher Prägung durchzusetzen. Weibliche Lebenswelten werden nun auf
symbolischer Ebene unsichtbar gemacht und letztendlich die Stellung der Frauen in der sozialen Realität vermindert.
Tepehuan als männerdominierte Kultur
Ähnlich den Keres, Huichol oder Tarahumara praktizieren die Tepehuan zwar (noch) etliche der alten Riten, gleichzeitig werden
aber die christlichen Formalitäten strikt befolgt, Kirchenfeste und
Frauensolidarität 4/2006
Spiritualität
katholische Zeremonien genau eingehalten. Trotzdem sind Geheimhaltung und Abschirmung der präkolumbischen Zeremonien gegenüber Außenstehenden oberste Priorität. Allerdings
gelten als Außenstehende nicht nur Angehörige anderer indigener Gruppen, Weiße und MestizInnen, sondern auch die Frauen der eigenen Gesellschaft. Damit outen/präsentieren sich die
Tepehuan primär als ein 'Volk von Männern'. In logischer Konsequenz illustriert auch ihr Schöpfungsmythos die eindeutig unterlegene Position der Frauen gegenüber den Männern: Die
Oraltradition leitet die Abstammung der Frau vom Hund her. Der
Gedanke der Gleichwertigkeit der Geschlechter ist dieser
SCHWERPUNKT
ren hier die Positionen der Geschlechter so ausbalanciert, dass
trotz Missionierung, Kolonialisierung, sowie nationalstaatlicher
Repressalien das Geschlechterverhältnis beständig blieb und sich
nicht zu einer Dominanz der Männer entwickelte. Zwar leisteten
auch Hopi und Tarahumara den weißen Eindringlingen gegenüber bewaffneten Widerstand und veränderte sich im Laufe ihrer Geschichte die Beziehung zwischen den Geschlechtern,
aber in diesen Gesellschaften etablierte sich als stabilisierender
Faktor das Ideal der Gewaltlosigkeit bzw. der innerethnischen
Harmonie als Teil der Glaubensvorstellungen und sozialen Norm.
D.h. Religion fungiert hier als Basis für eine Ideologie weiblicher
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Präkolumbische
Göttinnenvorstellungen sind – trotz Christianisierung –im Grenzgebiet noch immer präsent
männerdominierten Kultur fremd, umso vertrauter sind hierarchische Ideen und ein internalisiertes Schuld-/Sühnesystem. Eine
vage Erinnerungen an die Maismutter lebt noch in Gestalt der
Jungfrau Maria Loreto weiter, wenn ihr Maisbier für eine gute
Ernte geopfert wird.
Oberflächlich gesehen scheinen Missionierung und Kolonialisierung die Stratifizierungsprozesse in der Gemeinschaft der Tepehuan initiiert zu haben. Im Vergleich mit anderen Ethnien der Region, welchen ein ähnliches (historisches) Schicksal widerfuhr,
zeigt sich aber, dass diese Hierarchisierungstendenzen bereits in
der präkolumbischen Ära auftraten. Analog zur aztekischen Gesellschaft und weit stärker als beispielsweise bei den Tarahumara oder Hopi etablierte sich bei den Tepehuan schon relativ früh
ein starkes Kriegertum mit entsprechender Ideologisierung: Anstelle weiblicher Lebensmacht brachte nun die Tötung eines
feindlichen Kriegers den ersehnten Regen oder machte die Felder fruchtbar. Der Erwerb von Prestige im Kampf förderte die
männliche Vorrangstellung und leitete die Abwertung von Frauen ein. Aufgrund dieser soziale Differenz etabliert sich ein Ungleichgewicht in den gesellschaftlichen Interaktionen: Es manifestierte sich strukturell während der Kolonialperiode durch den
Import des abendländischen Patriarchats.
Ideologie weiblicher Wertschätzung
Für Tarahumara, Huichol, Keres und Hopi stellte die conquista
ebenfalls einen Bruch mit ihrer alten Lebenswelt dar, jedoch waFrauensolidarität 4/2006
Wertschätzung, welche wiederum auf Status und Ansehen (der
Frauen) in der konkreten Wirklichkeit rückwirkt: In diesem Sinn
verkörpern die göttlichen Maismütter – dort, wo sie als fixer Bestandteil des Weltbildes gelten – ein normatives Ideal weiblichen
Seins und betonen die hohe Bewertung der (pro)kreativen Fähigkeit der Frau. Ihre ungebrochene Präsenz verweist auf jene weibliche Erschaffensmacht, welche als 'allmächtige Mutter' Vorbildfunktion für weibliche Macht in der sozialen Praxis hat.
Anmerkung:
Der ethnomedizinische Arbeitskreis EMLAAK wurde 2006 in Wien gegründet. Seine inhaltliche Schwerpunktsetzung sind u.a. die Thematisierung
geschlechtsspezifischer Situationen im medizinischen Bereich (z.B. bei
Diagnosemethoden, Therapiemöglichkeiten etc.) sowie die feministische
Auseinandersetzung mit dem medizinischen Mainstream-Diskurs.
Literaturtipps:
Günter, Andrea: Der Sternenhimmel in uns (Königstein/Taunus 2003).
Dunn, Carolyn/Allen, Paula G. (Eds.) 2002: Outfoxing Coyote. The Paula
Gunn Allen American Indian Poets Ser. 1 (Georgetown 2002).
Göttner-Abendroth, Heide,: Inanna – Gilgamesch – Isis – Rhea. Die großen
Göttinnenmythen Sumers, Ägyptens und Griechenlands (Königstein/
Taunus 2004).
Zuckerhut, Patricia/Grubner, Bärbel/Kalny, Eva (Eds.): Pop-Korn und BlutManiok. Lokale und wissenschaftliche Imaginationen der Geschlechterbeziehungen in Lateinamerika (Frankfurt am Main 2003).
Zur Autorin:
Evelyne Puchegger-Ebner arbeitet als Lektorin der Kultur- und
Sozialanthropologie an der Universität Wien, Filmschaffende im
Dokumentarbereich und Autorin in freier Praxis. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. feministische Anthropologie, Konzepte zu Kosmovision
und Weltsicht sowie Ritualforschung. Sie ist Mitbegründerin von EMLAAK.
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