Brückenkurs Mathematik Beweise und Beweisstrategien Andreas Kucher [email protected] Institute for Mathematics and Scientific Computing Karl-Franzens-Universität Graz Graz, September 5, 2015 Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Hinweis zu den Folien Diese Folien sind derart konzipiert, dass sie ohne weitere Erklärungen eher schwer nachzuvollziehen sind. Sie sollen uns als roter Faden für die VU dienen. Weiters ist zu beachten, dass Genauigkeit und Wissenschaftlichkeit unter dem propädeutischen Charakter des Brückenkurses leiden müssen. An einigen Stellen sollen vordringlich Ideen und Denkweisen vermittelt werden! Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Ein einfaches Beispiel aus der Anwendung Voraussetzung: Ein roter Zug fährt um 11.45 von Graz nach Wien mit 100 km/h und hat nur 22 Passagiere. 10 Minuten später fährt ein blauer Zug von Wien nach Graz mit 100 Passagieren und 80 km/h. Die Wegstrecke beträgt 220 km. Frage: Wann treffen sie auf der Strecke aufeinander? I Der Mathematiker fängt an zu arbeiten.... 1. Welche Informationen braucht er? (Zeit, Geschwindigkeit, Strecke) 2. Welchen Zusammenhang zwischen Zeit und Geschwindigkeit gibt es (...)? 3. Er übersetzt die Informationen in mathematische Gleichungen. 4. Er untersucht die Gleichungen. 5. Er löst die Gleichungen. 6. Der Mathematiker antwortet. Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Warum beweisen? Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Beweistheorie und Metamathematik I Die Beweistheorie ist ein Teilgebiet der mathematischen Logik. I Beweise sind dort mathematische Objekte. I Erste Arbeiten: Frege, Russel, ... I Moderne Beweistheorie: David Hilbert (“Wir müssen wissen, wir werden wissen”). I MP3 Rede. Arten von Beweise: I i) Formale Beweise. ii) Informale Beweise. Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Formale Beweise I “Richtige” Beweise im Sinne einer Beweistheorie. I I Endliche Anzahl von Sätzen → Logische Formeln in einer formalen Sprache. Jeder Satz ist entweder 1. Ein Axiom. 2. Folgt aus vorhergehenden Sätzen durch Schlussregeln. I Problem: Aufwendig und kompliziert! I Überprüfung: z.B. Computer √ Beispiel 2 ist irrational. I Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Informale Beweise I In der Mathematik üblich. I “Skizzen“, die es erlauben, formale Beweise zu konstruieren. I Problem: Welche ”Skizzen” sind erlaubt? I Überprüfung: Peer–Review. Große Hürde beim Studieneinstieg! Daher: I I I I Jeder Satz wird bewiesen. Lernen am Beispiel. Den eigenen Beweis von Kollegen überprüfen lassen. Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Wir lernen zu beweisen... Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Beweistypen I – Direkter Beweis I Der Satz S wird direkt bewiesen. Abbildung : Form eines direkten Beweises I Voraussetzung: p. I Zu zeigende Aussage: q. I p wird als wahr angenommen und durch logische Schlussfolgerungen wird q gezeigt. I Also zeige: p ⇒ q. Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Beweistypen I – Direkter Beweis Beispiel I Definition Sei n ∈ N. Wir nennen n ungerade genau dann, wenn (∃m ∈ N) : n = 2m + 1. Theorem Das Quadrat einer ungeraden natürlichen Zahl ist eine ungerade natürliche Zahl. Beweis. Übersetzen in den “Formalismus” Zu zeigen: (∀n ∈ N) : n ungerade ⇒ n2 ∈ N mit n2 ungerade. | {z } | {z } p q Sei n ∈ N ungerade. Dann existiert ein m ∈ N, sodass n = 2m + 1. Dann ist n2 = (2m + 1)2 = (2m + 1)(2m + 1) (Definition der Quadratzahl) und n2 = 4m2 + 4m + 1 = 2(2m2 + 2m) + 1. Wir setzen l := (2m2 + 2m). Dann ist n2 = 2l + 1. Also ist n2 eine ungerade Zahl. n2 ∈ N, weil n2 das Produkt zweier natürlicher Zahlen ist. Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Beweistypen I – Direkter Beweis Beispiel II Theorem Die Summe dreier aufeinander folgender natürlicher Zahlen ist ein Vielfaches der Zahl 3. Beweis. Übersetzen in den “Formalismus” Zu zeigen: n ∈ N ⇒ (∃m ∈ N) : n + (n + 1) + (n + 2) = 3m. | {z } | {z } p q Sein n ∈ N. Dann ist n + (n + 1) + (n + 2) = 3n + 3 = 3(n + 1). m ∈ N, weil es ein Produkt von natürlichen Zahlen geschrieben werden kann. Wir setzen m := (n + 1). Also ist n + (n + 1) + (n + 2) = 3m. Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Beweistypen I – Direkter Beweis Beispiel Theorem Sei n ∈ N ungerade. Dann existieren k, l ∈ N, sodass n = k 2 − l 2 . Beweis. Übung für den geneigten Hörer. 2 n−1 2 und . Tipp: Betrachte n+1 2 2 Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Beweistypen II – Beweis durch Kontraposition I Der Satz S wird durch den Beweis der Negation der zu zeigenden Aussage bewiesen. Abbildung : Form eines indirekten Beweises I Voraussetzung: p. I Zu zeigende Aussage: q. I Wir möchten wieder zeigen: p ⇒ q. I p ⇒ q ist äquivalent zu ¬q ⇒ ¬p. I Wir zeigen also: ¬q ⇒ ¬p. Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Beweistypen II – Beweis durch Kontraposition Beispiel I Theorem Sei n ∈ N. Ist n2 gerade, so ist auch n gerade. Beweis. Übersetzen in den “Formalismus” Zu zeigen: (∀n ∈ N) : n2 gerade ⇒ n gerade. . | {z } | {z } p q Dies ist aber äquivalent zu (∀n ∈ N) : n ungerade ⇒ n2 ungerade. . {z } | {z } | ¬q ¬p Und das haben wir bereits gezeigt! Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Beweistypen II – Beweis durch Kontraposition Beispiel II Theorem Sei f ∈ P(R, R) eine reellwertige Polynomfunktion mit f (x) = x 2 − 5x + 6. Dann gilt: Für z ∈ R mit z < 0 ist f (z) 6= 0. Beweis. Übersetzen in den “Formalismus” Zu zeigen: (∀z ∈ R) : z < 0 ⇒ f (z) 6= 0 ⇔ (∀z ∈ R) : f (z) = 0 ⇒ z ≥ 0. | {z } | {z } | {z } | {z } p q ¬q ¬p Sei z ∈ R mit f (z) = 0. Wir erhalten z 2 − 5z + 6 = (z − 3)(z − 2) = 0. Also ist z = 3 oder z = 2. Insbesondere ist z ≥ 0. Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Beweistypen III – Beweis durch Widerspruch I Der Satz S wird durch Erzeugen eines Widerspruches bewiesen (reductio ad absurdum). Abbildung : Form eines indirekten Beweises I Wir nehmen an, dass S nicht stimmt und erzeugen einen Widerspruch. I Formal aufwendiger darzustellen. I Z.B. Clason, Grundbegriffe der Mathematik, S. 34 und 43. www.uni-graz.at/~clason/teaching/grundmath10/ Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Beweistypen III – Beweis durch Widerspruch Theorem Die Quadratwurzel von 2 ist irrational. Beweis. √ √ Angenommen, 2 ist rational. Dann gibt es k ∈ Z, l ∈ Z\{0}, sodass 2 = kl . O.B.d.A. ist kl ein elementar gekürzter Bruch und somit sind k und l teilerfremd. √ k k2 2 = ⇒ 2 = 2 ⇒ 2l 2 = k 2 . l l Also ist k gerade (warum?) und es existiert ein m ∈ Z mit k = 2m. Es gilt also 4m2 = 2l 2 und 2m2 = l 2 . Also ist l 2 gerade und somit l (warum?). Also ist 2 ein Teiler von k und l. Dies ist aber ein Widerspruch zu unserer Annahme und √ 2 kann nicht rational sein. Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Vollständige Induktion – Motivation “Der junge Gauss war kaum in die Rechenclasse eingetreten, als Büttner die Summation einer arithmetischen Reihe aufgab. Die Aufgabe war indess kaum ausgesprochen als Gauss die Tafel mit den im niedern Braunschweiger Dialekt gesprochenen Worten auf den Tisch wirft: ’Ligget se’.” – Wolfgang Sartorius von Waltershausen I Worum geht es? I I 1 + 2 + 3 + ... + 100 = nachdenken!) P Aber: ni=1 i =?. P Es gilt: ni=1 i = n(n+1) 2 I Problem: Wie beweisen? I Denn: Eine Überprüfung für jedes n ∈ N ist nicht möglich. I Brückenkurs Mathematik P100 i=1 i = 5050 (rechnen oder Andreas Kucher Vollständige Induktion – Das Prinzip I Wir möchten zeigen: ∀n ∈ N : p(n). I Es gilt: [p (1) ∧ ((∀n ∈ N) : p(n) ⇒ p (n + 1))] ⇒ [(∀n ∈ N) : p (n)] . I Das heißt, wir gehen wie folgt vor: i) Induktionsbeginn: Zeige: p(1). ii) Induktionsschluss: Für ein beliebiges n ∈ N nehme p(n) (Induktionsvoraussetzung) an und zeige damit, dass p(n + 1) gilt. Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Vollständige Induktion – Ein Beispiel Lemma Für alle n ∈ N0 ist 3 ein Teiler von n3 − n. Beweis. Wir beweisen das Lemma mit Induktion nach n. 1. IA n = 0: Wir zeigen: 3 ist Teiler von 03 − 0 = 0. Dies ist aber trivial (warum?). 2. IS n ≥ 0, n → n + 1: Wir zeigen: 3 ist Teiler von (n + 1)3 − (n + 1) und nutzen dabei die Annahme aus, dass 3 ein Teiler von n3 − n ist. (n + 1)3 − (n + 1) = n3 + 3n2 + 3n + 1 − n − 1 = (n3 − n) + (3n2 + 3n) = (n3 − n) + 3(n + 1) Laut (IV) gilt 3 | (n3 + 3) und offensichtlich gilt 3 | 3(n + 1). Also gilt: 3 | (n + 1)3 − (n + 1). Daraus folgt die Behauptung. Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher Vollständige Induktion – Ein Beispiel Lemma Für alle n ∈ N gilt: n X i=1 i= n(n − 1) . 2 Beweis. Übung! Brückenkurs Mathematik Andreas Kucher