Kurz zum Klima: Das Ozonloch – ein vergessenes Problem? 40 Jana Lippelt Im September 2009 ratifizierte Timor-Leste (Osttimor) als letztes von 196 Ländern das »Montreal-Protokoll über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen«. Das Protokoll von 1987 stellt damit das bedeutendste multilaterale Umweltabkommen und die erste internationale Vereinbarung dar, die eine weltweite Ratifizierung erlangte. Die Problematik des Ozonlochs ist inzwischen weitgehend aus der öffentlichen Debatte verschwunden. Mehr als 20 Jahre nach dem Montrealer Abkommen ist die Wissenschaft jedoch zu neuen Erkenntnissen über die Zusammenhänge zwischen Ozonloch und Klimawandel gelangt. Dieser Artikel der Reihe »Kurz zum Klima« gibt einen Überblick über die Bedeutung des Ozonlochs für Umwelt und Klima und diskutiert Politikmaßnahmen zur Abschaffung ozonschichtschädigender Substanzen. Die Existenz eines Ozonlochs über der Antarktis wurde 1985 durch Farman, Gardiner und Shanklin nachgewiesen, nachdem Molina und Rowland bereits 1974 den Prozess des Ozonabbaus durch Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) beschrieben hatten. Auch über der Arktis bildete sich ein Ozonloch, allerdings mit einer weitaus geringeren Ausdehnung und geringeren Abbauraten. Ozon (O3) wird in der Stratosphäre (15 bis 35 km Höhe) der Tropen durch den Einfluss der UV-Strahlung gebildet und bis zu den Polen transportiert. Die Strahlung spaltet die Sauerstoffmoleküle (O2) in atomaren Sauerstoff (O) auf, der sich wiederum mit anderen Sauerstoffmolekülen zu Ozon verbindet (vgl. UNDP 2007). FCKWs umfassen eine Gruppe künstlich hergestellter organischer Verbindungen, bei denen der Wasserstoff in natürlich vorkommenden Kohlenwasserstoffen vollständig durch Fluor und Chlor ersetzt wird. Diese Stoffe sind ungiftig und unbrennbar und stellen aufgrund einer geringen Wärmeleitfähigkeit gute Kältemittel dar (vgl. Bayerisches Landesamt für Umwelt 2008). Verwendet wurden sie neben der Funktion als Kältemittel unter anderem als Treib- und Lösemittel, Feuerlöschmittel sowie für industrielle Reinigungsprozesse (vgl. UNDP 2007). Aufgrund ihrer chemischen Stabilität gelangen FCKWs unverändert in die Stratosphäre, in der sie bis zu mehreren Jahrhunderten verbleiben. Der starke Ozonabbau über der Antarktis kommt durch die besonderen Klimabedingungen zustande und umfasst eine Reihe komplexer Vorgänge. Im Winter der südlichen Hemisphäre bildet sich rund um die Antarktis ein Kaltluftwirbel, der verhindert, dass weitere milde Luft ins Landesinnere strömt (vgl. AWI 2006). Die Wolken, die sich bei Temperaturen unter – 80°C bilden, stellen die Grundlage für den Ozonabbau dar. Es bilden sich dort Eiskristalle aus FCKW-Abbauprodukten, welche sich wiederum zu reaktiven Chlorverbindungen umwandeln (vgl. AWI 2006). Die im Laufe des antarktischen Frühlings (September/Oktober) wieder verstärkt einwirkenden UV-Strahlen liefern dann die Energie für die Aufifo Schnelldienst 15/2010 – 63. Jahrgang spaltung der Verbindungen, aus denen freie Chlorradikale hervorgehen. Diese haben das Potential, Ozonmoleküle zu Sauerstoffmolekülen umzuwandeln und die Ozonschicht nach und nach abzubauen (vgl. UNDP 2007). Ein einziges Chlorradikal kann dabei bis zu 100 000 Ozonmoleküle spalten (vgl. Bayerisches Landesamt für Umwelt 2008). Des Weiteren können auch Brom und Jod Ozon aufspalten. Im Sommer löst sich der polare Kaltluftwirbel auf, so dass wieder wärmere, ozonhaltigere Luftmassen zur Antarktis strömen und sich das Ozonloch schließt. Als Ozonloch wird dabei der Bereich der Atmosphäre bezeichnet, in dem die Ozonkonzentration unter den Wert von 220 Dobson-Einheiten sinkt.1 Die Folgen, die sich aus dem Ozonloch ergeben, sind weithin bekannt. Durch eine erhöhte UV-Strahlung steigt das Risiko, an Hautkrebs zu erkranken, sie gefährdet zudem das Sehvermögen sowie das Pflanzenwachstum (vgl. UNEP 2007). Das Protokoll von Montreal wurde 1987, nach dem ersten Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht in Wien 1985, zunächst von 46 Staaten unterzeichnet. Darin wurden Maßnahmen und Zeitpläne zur Reduzierung verschiedener FCKWs vereinbart. Das Montreal-Protokoll ist seit 1989 bindend für die Industriestaaten. Die obere Karte zeigt den Verbrauch (d.h. die Produktion und Importe abzüglich der Exporte und bereits vernichteter Bestände) von FCKWs im Jahr 1986 in ODP Tonnen (Gewicht * ODP2), bevor das Protokoll in Kraft trat. Bis auf einige afrikanische und asiatische Länder war hierbei ein weltweit hoher Verbrauch dieser Substanzen zu verzeichnen. Für die EU wurde ein einheitlicher Wert von rund 300 000 ODP t angegeben (vgl. UNEP 2007). Das komplette Verbot für die Produktion und den Verbrauch in Industrieländern gilt seit 1996, in der EU-12 bereits seit 1995. Dies beinhaltete auch die Vernichtung alter Bestände. Ausnahmen gelten für die Produktion und den Handel geringer Mengen für den Eigenbedarf und medizinische Zwecke (vgl. European Commission 2007). Die untere Karte zeigt den FCKW-Verbrauch im Jahr 2008, der im Vergleich zu 1986 ein komplett anderes Bild darstellt. Demnach werden in Industrieländern bereits keine Schadstoffe mehr verwendet, während in den Entwicklungsländern zum Teil noch größere Mengen verbraucht werden. Für diese Länder wurden zur Ermöglichung des wirtschaftlichen Fortschritts im Artikel 5 des Protokolls andere Ziele und Fristen gesetzt. So sind das Abkommen und das Verbot für diese Länder erst seit Anfang 2010 bindend. Zur Umsetzung der Vertragspflichten in den Entwicklungsländern wurde 1991 ein multilateraler Fond, ver- 1 2 Eine Dobson-Einheit entspricht einer Schichtdicke von 0,01 mm unter normalem Atmosphärendruck bzw. 2,7*1016 O3/cm2 (vgl. NASA 2008). ODP = Ozone Depletion Potential. Dieses gibt das Ozonabbaupotential relativ zum Abbaupotential des FCKWs Trichlorfluormethan (R11) mit ODP = 1 an (vgl. UNDP 2007). Im Blickpunkt Abb. 1 FCKW-Verbrauch Quelle: UNEP (2010). 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 15/2010 41 42 Im Blickpunkt waltet durch verschiedene Organisationen, eingerichtet (vgl. UNEP 2009). Im Anschluss an die Verhandlungen in Montreal wurden eine Reihe zusätzlicher Vereinbarungen verabschiedet, da abzusehen war, dass die ursprünglichen Regelungen nicht ausreichen, um die Zerstörung der Ozonschicht aufzuhalten. So wurde der Zeitplan bis zum vollständigen Verbot der FCKWs während der Konferenzen von London, Kopenhagen, Wien, Montreal und Peking schrittweise verschärft. Infolge des Verbots wurde zudem verstärkt nach FCKW-Ersatzstoffen gesucht. Hier kamen in den neunziger Jahren zunächst halogenierte Fluorchlorkohlenwasserstoffe (H-FCKWs) zum Einsatz. In diesen wurden die Fluor- und Chloranteile teilweise durch Wasserstoff ersetzt. Dadurch werden diese Stoffe bereits in der Troposphäre abgebaut und besitzen daher nur ein geringes Ozonabbaupotential (vgl. Bayerisches Landesamt für Umwelt 2008). Allerdings stellen diese Stoffe (wie auch FCKWs) Treibhausgase mit einem Erwärmungspotential von bis zu 2 400 CO2-Äquivalenten dar (vgl. EPA 2010). FCKWs spielen hierbei aufgrund der vereinbarten Reduktionen seit 1987 eine immer geringere Rolle, die verschiedenen Ersatzstoffe jedoch tragen zum Teil maßgeblich zur globalen Erwärmung bei. 1995 wurde in Wien daher der Abbau der H-FCKWs in das Montreal-Protokoll mit aufgenommen. Der Stufenplan sieht in den Industrieländern in Bezug auf den Verbrauch einen Ausstieg bis zum Jahr 2030 vor. Seit 2010 dürfen hier nur noch 35% der ursprünglichen Mengen verbraucht werden, ab 2015 nur noch 10% (vgl. ARAP 2007). In der EU sind die Regulierungen strikter festgelegt. Hier dürfen H-FCKWs bereits seit 2010 nicht mehr verbraucht werden, die Produktion soll bis 2014 um 80% gesenkt werden (vgl. ARAP 2007). Für die Entwicklungsländer ist hierbei wie auch bei den FCKWs ein längerfristiger Ausstieg vorgesehen. Ein vollständiges Verbot gilt hier erst ab 2040. Andere Ersatzstoffe wie z.B. chlorfreie FKWs (Fluorkohlenwasserstoffe) sind als besonders klimaschädliche Gase im Kyoto-Protokoll erfasst worden, über eine Aufnahme in das Montreal-Protokoll wird derzeit verhandelt (vgl. EIA 2009). Ein unlängst erkanntes Problem stellt das Distickstoffoxid (Lachgas) dar, welches vorwiegend in der Landwirtschaft entsteht. Es ist im Kyoto-Protokoll als Treibhausgas festgelegt und wurde als eine weitere Substanz identifiziert, die Ozonmoleküle zerstören kann (vgl. Ravishankara et al. 2009). Obwohl Lachgas nur ein sehr geringes Ozonabbaupotential (ODP = 0,017) besitzt, kann es aufgrund der großen emittierten Mengen dennoch zum Abbau der Ozonschicht beitragen. Dieses Gas stellt damit seit dem Verbot der FCKWs das stärkste ozonschädliche Gas dar. Es wurde jedoch bisher noch nicht in das Montreal-Protokoll aufgenommen. Eine Reduzierung der Emissionen kann daher sowohl zum Klimaschutz als auch zum Erhalt der Ozonschicht beitragen (vgl. Ravishankara et al. 2009). ifo Schnelldienst 15/2010 – 63. Jahrgang Obwohl der Prozess zum Abbau der FCKWs und ihrer Ersatzstoffe insgesamt als Erfolg gewertet werden kann, zeigen sich auch verschiedene Probleme. Zum einen sind die Schadstoffe trotz des Verbots vor allem in Entwicklungsländern noch in vielen alten Gebäuden und Geräten vorhanden und stellen somit ein Risiko dar (vgl. UNEP 2007). Zum anderen hat sich infolge des Verbots und verschiedener Gesetzeslücken im Abkommen ein Schwarzmarkt für FCKWs und deren Ersatzstoffe entwickelt, der nur schwer zu kontrollieren ist (vgl. European Commission 2007). Durch falsche Kennzeichnung der FCKWs als recycelte oder essentielle Produkte wurden in der Vergangenheit aus Ländern wie Indien oder China zum Teil große Mengen im Wert von 25 bis 60 Mill. US-Dollar (2006) in Industrieländer geschmuggelt (vgl. UNEP 2007). Nach dem Verbot der H-FCKWs in den Industrieländern wird sich der illegale Handel aus Entwicklungsländern auf diesem Gebiet noch verschärfen. Die Auswirkungen des Ozonlochs werden in der Wissenschaft nicht ausschließlich als negativ angesehen. Inzwischen wurde nachgewiesen, dass das entstandene Ozonloch die Antarktis vor den Folgen des Klimawandels weitgehend bewahrt hat. Durch den Ozonverlust und die damit verbundene Abkühlung wurde das polare Windsystem verstärkt, welches die Antarktis klimatisch zusätzlich isolierte und zur Zunahme der Meereisbedeckung führte (vgl. AWI 2009). Im Gegensatz dazu haben die Temperaturen auf der antarktischen Halbinsel im Westen, die außerhalb des polaren Luftwirbels liegt, in den letzten Jahren aufgrund veränderter Wind- und Meeresströmungen deutlich zugenommen. Dies führte zu einem Rückzug fast aller Gletscher in diesem Gebiet. Den neuesten Berechnungen zufolge nimmt die FCKW-Konzentration in der Stratosphäre langsam ab, so dass sich das Ozonloch voraussichtlich bis zum späten 21. Jahrhundert schließen wird (vgl. AWI 2009). Die Zunahme des Ozongehalts über der Antarktis könnte damit paradoxerweise die weitere Erwärmung dieses Gebietes begünstigen. Der weltweit hohe Ausstoß von Lachgas kann die Regeneration der Ozonschicht zwar einerseits verzögern, andererseits jedoch zur Klimaerwärmung beitragen, sofern hier nicht weitere Maßnahmen ergriffen werden (vgl. Ravishankara et al. 2009). Bei einer zusätzlichen Verdoppelung der derzeitigen Treibhausgaskonzentrationen wird von einer Erwärmung der Antarktis von bis zu 3°C ausgegangen. Aufgrund höherer Meerestemperaturen würde dies laut Hu und Fu (2009) zur Abschwächung des polaren Windgürtels beitragen und damit zu einer schnelleren Schließung des Ozonlochs sowie zu einer weiteren Erwärmung der Antarktis führen. Obwohl eine derartige Erwärmung nicht zum Abschmelzen der gesamten Antarktis führen wird, könnte allein die Westantarktis infolge höherer Luft- und Wassertemperaturen deutlich zum weltweiten Meeresspiegel- Im Blickpunkt anstieg beitragen (vgl. AWI 2009). Wie sich das Wechselspiel zwischen Ozonloch und Klimawandel in Zukunft tatsächlich verhalten wird, ist bisher jedoch noch unklar und wird von der Entwicklung der menschlichen Aktivitäten abhängen. Literatur Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (2006), »Bestimmung der chemischen Ozonverluste in der arktischen Stratosphäre (Match)«, aufgerufen am 22. Juli 2010, http://www.awi-potsdam.de/atmo/match/match-d.html. Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (2009), »Antarktischer Klimawandel und die Umwelt«, aufgerufen am 26. Juli 2010, http://www.awi.de/fileadmin/user_upload/News/Press_Releases/2009/4._Quartal/Zusammenfassung.pdf. ARAP, Alliance for responsible atmospheric policy (2007), »Montreal Protocol HCFC phaseout schedule«, aufgerufen am 19. Juli 2010, http://www.arap.org/regs/montreal.html. Bayerisches Landesamt für Umwelt (2008), »FCKW und FCKW-Ersatzstoffe«, aufgerufen am 20. Juli 2010, www.lfu.bayern.de/umweltwissen/doc/uw_22_fckw.pdf. EIA, Environmental Investigation Agency (2009), »A global hfc-phase-out: Essential action for the Montreal Protocol«, aufgerufen am 30. Juli 2010, http://www.eia-international.org/files/reports186-1.pdf. EPA, Environmental Protection Agency (2010), »Class II Ozone-depleting substances«, aufgerufen am 27. Juli 2010, http://www.epa.gov/ozone/science/ods/classtwo.html. European Commission (2007), »The Montreal Protocoll«, aufgerufen am 28. Juli 2010, http://ec.europa.eu/environment/ozone/pdf/montreal_prot.pdf. Farman, J.C., B.G. Gardiner und J.D. Shanklin (1985), »Large losses of total ozone in Antarctica reveal seasonal ClOx/NOx interaction«, Nature 315(6016), 207–210. Hu, Y. und Q. Fu (2009), »Antarctic stratospheric warming since 1979«, Atmospheric Chemistry and Physics 9, 1703–1726. Molina, M.J. und F.S. Rowland (1974), »Stratospheric sink for chlorofluoromethans: chlorine atomcatalysed destruction of ozone«, Nature 249, 810–812. NASA (2008), »Ozone facts: What is a Dobson Unit?«, aufgerufen am 4. August 2010, http://ozonewatch.gsfc.nasa.gov/facts/dobson.html. Ravishankara, A R., J.S. Daniel und R.W. Portmann (2009), »Nitrous Oxide (N2O): The dominant ozone-depleting substance emitted in the 21st century«, Science 326(5949), 56–57. UNDP (2007), »Protecting the Ozone Layer«, aufgerufen am 20. Juli 2010, http://www.undp.org/chemicals/documents/MontrealProtocol_WEB.pdf. UNEP (2007), »Vital Ozone Graphics«, aufgerufen am 22. Juli 2010, http://www.grida.no/_res/site/file/publications/vitalozone.pdf. UNEP (2009), »Handbook for the Montreal Protocol on Substances that deplete the Ozone layer«, aufgerufen am 20. Juli 2010, http://ozone.unep.org/Publications/MP_Handbook/MP-Handbook-2009.pdf. UNEP (2010), »Ozone Secretariat. Data access centre«, aufgerufen am 20. Juli 2010, http://ozone.unep.org/Data_Reporting/. 63. Jahrgang – ifo Schnelldienst 15/2010 43