Steckbriefe seltener und importierter Infektionskrankheiten

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Seltene und importierte Infektionskrankheiten Pest
2.19 Pest
Erreger
Yersinia pestis (Gattung Yersinia, Familie Enterobacteriaceae).
Vorkommen
Die Zoonose kommt in Abhängigkeit von Naturherden, die die Erreger im Tierreservoir beherbergen, heute noch in begrenzten Endemiegebieten in Asien (z. B. Russland, Kasachstan, Iran,
China, Indien, Vietnam, Myanmar), Afrika (z. B.
Demokratische Republik Kongo, Madagaskar,
Tansania), im tropischen Mittel- und Südamerika
sowie in Nordamerika (z. B. Südwesten der USA)
vor. In Europa spielt die Pest seit Längerem keine
Rolle mehr. In Deutschland werden importierte
Fälle extrem selten beobachtet.
Infektionsweg
Wildlebende Nagetiere und deren Flöhe bilden
das primäre Erregerreservoir der Pest, praktisch
wichtig sind vor allem Ratten im Wohnumfeld.
Die Übertragung erfolgt durch den Stich eines
infizierten Rattenflohs. Auch bei direktem Kontakt mit infizierten Nagern oder durch Verzehr
des Fleisches infizierter Tiere kann eine Übertragung stattfinden. Lungenpest wird durch Tröpfcheninfektion direkt von Mensch zu Mensch
übertragen.
Prophylaxe
In Endemiegebieten sind die Bekämpfung von
Wohnungs- und Körperungeziefer und Rattentilgung sowie Surveillance wichtig. Während
eines Ausbruchs sind die aktive Suche und Behandlung von Fällen sowie klinisches Monitoring und ggf. Behandlung von Kontaktpersonen notwendig. Bei anzunehmender Exposition
kommt eine postexpositionelle Chemoprophylaxe
in Frage (Tetrazykline bzw. Doxycyclin, Chloramphenicol oder Ciprofloxacin).
Bei Lungenpest sind strenge Isolierung und
besondere Schutzmaßnahmen für das Personal
erforderlich. Eine präexpositionelle Chemoprophylaxe kann bei bekannter aktueller Gefährdung sinnvoll sein (Ciprofloxacin oder Doxycyclin), z. B. für Pflegepersonen von an Lungenpest
Erkrankten. Beim Auftreten von Pest gelten spe-
zielle, in den Internationalen Gesundheitsvorschriften festgelegte Maßnahmen.
Inkubationszeit
1–7 Tage.
Symptomatik/Verlauf
Die Pest kann sich in verschiedenen Formen manifestieren:
Beulenpest (Bubonenpest) wird durch den Stich
eines infizierten Flohs verursacht. Das Krankheitsbild beginnt akut mit hohem Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen, schwerem
Krankheitsgefühl. Innerhalb von 1–2 Tagen entsteht eine stark schmerzhafte Schwellung einer
Lymphknotengruppe (Bubo) proximal der Stichstelle. Da die Stichstelle meist am Bein lokalisiert
ist, sind die inguinalen Lymphknoten primär
betroffen. An zweiter Stelle rangieren axilläre
und zervikale Lymphknoten. Die Bubonen sind
schmerzhaft induriert, in der Regel nicht fluktuierend. In seltenen Fällen kommt es zu einer
spontanen Eröffnung der Beule nach außen. Bei
Fortschreiten der Erkrankung werden u. U. nach
einer Woche weitere Lymphknotengruppen und
durch eine nachfolgende Generalisierung sekundär auch verschiedene Organe, insbesondere die
Lunge (sekundäre Lungenpest) befallen.
Primäre Lungenpest beginnt plötzlich mit hohem Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit. Am zweiten Tag der Erkrankung
treten typischerweise pulmonale Symptome wie
Husten, blutig-seröser Auswurf, Thoraxschmerzen, Tachypnoe und Dyspnoe auf. Auch gastrointestinale Symptome wie Leibschmerzen, Erbrechen und Durchfall sind charakteristisch.
Pestsepsis kann als primäre Septikämie oder im
Gefolge einer anderen Pestmanifestation auftreten. Charakterisiert ist die Pestsepsis durch
Fieber, Lethargie, Verwirrtheit, Tachykardien,
gastrointestinale Symptome, Milz- und Lebervergrößerungen, Petechien und Blutungen. Präterminal treten Nierenversagen, Ileus und andere
Schockzeichen auf. Weiterhin kann sich im Verlauf einer Pestsepsis eine Pestmeningitis entwickeln.
Pestpharyngitis ist eine seltene Primärmanifestation, die wahrscheinlich aus der oralen Aufnahme des Erregers resultiert. Es treten Fieber, Halsund Kopfschmerzen, Tonsillitis und zervikale
Lymphadenitis auf.
Die verschiedenen Manifestationen der Pest
gehen unbehandelt fast immer in eine allgemeine Septikämie über, oft begleitet von massiven
Blutungen in die Haut. 50 % der unbehandelten
Beulenpestfälle enden tödlich und fast alle Fälle
einer Pestsepsis oder Lungenpest.
Nach Überstehen der Erkrankung besteht in
der Regel eine lange anhaltende Immunität.
Diagnostik
Der Erregernachweis kann mittels (Fluoreszenz-)
Mikroskopie, Kultur, Antigennachweis oder PCR
aus Blut, Sputum, Lymphknotenaspirat oder anderen klinischen Materialien geführt werden.
Serologische Methoden sind im Akutfall ohne
Bedeutung. Die Inanspruchnahme eines Speziallabors ist ratsam, z. B. des Konsiliarlaboratoriums für Yersinia pestis am Max von PettenkoferInstitut für Med. Mikrobiologie in München.
Differenzialdiagnose
Beulenpest: Bakterielle Lymphadenitiden, Tularämie, Katzenkratzkrankheit, Lymphogranuloma
venereum.
Lungenpest: Schwere bakterielle Pneumonien.
Pestsepsis: Meningokokkeninfektionen, Malaria,
Arbovirosen, Typhus abdominalis.
Therapie
Behandlung in einem auf Infektionen spezialisierten Krankenhaus. Mittel der ersten Wahl sind
Streptomycin, Tetracyclin oder Doxycyclin, Gentamicin, bei ZNS-Beteiligung Chloramphenicol.
Meldevorschriften
Meldepflicht bei Verdacht, Erkrankung und Tod
gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 IfSG und bei direktem
oder indirektem Erregernachweis in Verbindung
mit einer akuten Infektion gemäß § 7 Abs. 1 Nr.
46 IfSG.
Pest Seltene und importierte Infektionskrankheiten
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Titelfotos: Dr. Hans R. Gelderblom/Kazimierz Madela(oben)/Robert Koch-Institut
Oben: Clostridium difficile NCTC 13307
Mitte: Corynebacterium diphtheriae mitis, Darstellung mit Polkörnchen
Unten: SARS-CoV, Severe acute respiratory syndrome coronavirus, Virusreplikation
Steckbriefe seltener und importierter Infektionskrankheiten
Robert-Koch-Institut, Berlin 2011
ISBN
978-3-89606-240-6
Herausgeber
Robert Koch-Institut
www.rki.de
Redakteur
Dr. sc. med. Wolfgang Kiehl
An der vorliegenden Neuauflage haben aus dem RKI mitgewirkt:
Dr. Anton Aebischer, Dr. Katharina Alpers, Dr. Mona Askar, Susanne Behnke,
Dr. Justus Benzler, Dr. Helen Bernard, Dr. Udo Buchholz, Dr. Silke Buda, Dr. Mirko
Faber, Dr. Lena Fiebig, Dr. Christina Frank, Dr. Manuel Dehnert, Dr. Yvonne Deleré,
Dr. Brigitte Dorner, Sandra Dudareva, Dr. Tim Eckmanns, Susanne Glasmacher,
PD Dr. Walter Haas, Dr. Osamah Hamouda, Dr. Wiebke Hellenbrand, Dr. Michael
Höhle, Bettina Keller, Dr. Albrecht Kiderlen, Christian Klotz, Dr. Judith Koch,
Dr. Gabriele Laude, Dr. Astrid Lewin, Dr. Ulrich Marcus, Dr. Astrid Milde-Busch,
Prof. Dr. Matthias Niedrig, Dr. Wolfgang Rabsch, Dr. Sabine Reiter, Dr. Bettina
Rosner, Dr. Julia Sasse, Dr. Irene Schöneberg, Mario Schummert, Prof. Dr. Frank
Seeber, Prof. Dr. Klaus Stark, Dr. Kathrin Tintelnot, Dr. Maria Wadl, Dr. Dirk Werber,
Dr. Ole Wichmann.
Die Kapitel zu den Bartonella-Infektionen wurden von Prof. Dr. Volkhard Kempf,
Frankfurt/Main bearbeitet.
Die vorige Auflage war erarbeitet worden von:
Dr. Katharina Alpers, Dr. Gabriele Laude, Jens Mehlhose, Prof. Dr. Matthias Niedrig (verantwortlich), Prof. Klaus Stark, Dr. Kathrin Tintelnot (alle RKI);
Prof. Dr. Gert-Dieter Burchardt, Prof. Dr. Herbert Schmitz, Prof. Dr. Egbert Tannich (alle
Bernhard-Nocht-Institut);
Dr. Barbara Reinhardt (Universität Ulm).
Mitgearbeitet hatten: Dr. Justus Benzler, Dr. Christina Frank, Dr. Andreas Jansen, Dr. Wolfgang
Kiehl, Dr. Judith Koch, Dr. Katrin Leitmeyer, Prof. Dr. Georg Pauli, Dr. Doris Radun, Dr. Irene
Schöneberg, Dr. habil. Eckart Schreier, Dr. Brunhilde Schweiger (alle RKI) sowie Dr. Martin
Pfeffer (München).
Satz & Druck
Westkreuz-Druckerei Ahrens KG Berlin/Bonn
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