84 Seltene und importierte Infektionskrankheiten Pest 2.19 Pest Erreger Yersinia pestis (Gattung Yersinia, Familie Enterobacteriaceae). Vorkommen Die Zoonose kommt in Abhängigkeit von Naturherden, die die Erreger im Tierreservoir beherbergen, heute noch in begrenzten Endemiegebieten in Asien (z. B. Russland, Kasachstan, Iran, China, Indien, Vietnam, Myanmar), Afrika (z. B. Demokratische Republik Kongo, Madagaskar, Tansania), im tropischen Mittel- und Südamerika sowie in Nordamerika (z. B. Südwesten der USA) vor. In Europa spielt die Pest seit Längerem keine Rolle mehr. In Deutschland werden importierte Fälle extrem selten beobachtet. Infektionsweg Wildlebende Nagetiere und deren Flöhe bilden das primäre Erregerreservoir der Pest, praktisch wichtig sind vor allem Ratten im Wohnumfeld. Die Übertragung erfolgt durch den Stich eines infizierten Rattenflohs. Auch bei direktem Kontakt mit infizierten Nagern oder durch Verzehr des Fleisches infizierter Tiere kann eine Übertragung stattfinden. Lungenpest wird durch Tröpfcheninfektion direkt von Mensch zu Mensch übertragen. Prophylaxe In Endemiegebieten sind die Bekämpfung von Wohnungs- und Körperungeziefer und Rattentilgung sowie Surveillance wichtig. Während eines Ausbruchs sind die aktive Suche und Behandlung von Fällen sowie klinisches Monitoring und ggf. Behandlung von Kontaktpersonen notwendig. Bei anzunehmender Exposition kommt eine postexpositionelle Chemoprophylaxe in Frage (Tetrazykline bzw. Doxycyclin, Chloramphenicol oder Ciprofloxacin). Bei Lungenpest sind strenge Isolierung und besondere Schutzmaßnahmen für das Personal erforderlich. Eine präexpositionelle Chemoprophylaxe kann bei bekannter aktueller Gefährdung sinnvoll sein (Ciprofloxacin oder Doxycyclin), z. B. für Pflegepersonen von an Lungenpest Erkrankten. Beim Auftreten von Pest gelten spe- zielle, in den Internationalen Gesundheitsvorschriften festgelegte Maßnahmen. Inkubationszeit 1–7 Tage. Symptomatik/Verlauf Die Pest kann sich in verschiedenen Formen manifestieren: Beulenpest (Bubonenpest) wird durch den Stich eines infizierten Flohs verursacht. Das Krankheitsbild beginnt akut mit hohem Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen, schwerem Krankheitsgefühl. Innerhalb von 1–2 Tagen entsteht eine stark schmerzhafte Schwellung einer Lymphknotengruppe (Bubo) proximal der Stichstelle. Da die Stichstelle meist am Bein lokalisiert ist, sind die inguinalen Lymphknoten primär betroffen. An zweiter Stelle rangieren axilläre und zervikale Lymphknoten. Die Bubonen sind schmerzhaft induriert, in der Regel nicht fluktuierend. In seltenen Fällen kommt es zu einer spontanen Eröffnung der Beule nach außen. Bei Fortschreiten der Erkrankung werden u. U. nach einer Woche weitere Lymphknotengruppen und durch eine nachfolgende Generalisierung sekundär auch verschiedene Organe, insbesondere die Lunge (sekundäre Lungenpest) befallen. Primäre Lungenpest beginnt plötzlich mit hohem Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit. Am zweiten Tag der Erkrankung treten typischerweise pulmonale Symptome wie Husten, blutig-seröser Auswurf, Thoraxschmerzen, Tachypnoe und Dyspnoe auf. Auch gastrointestinale Symptome wie Leibschmerzen, Erbrechen und Durchfall sind charakteristisch. Pestsepsis kann als primäre Septikämie oder im Gefolge einer anderen Pestmanifestation auftreten. Charakterisiert ist die Pestsepsis durch Fieber, Lethargie, Verwirrtheit, Tachykardien, gastrointestinale Symptome, Milz- und Lebervergrößerungen, Petechien und Blutungen. Präterminal treten Nierenversagen, Ileus und andere Schockzeichen auf. Weiterhin kann sich im Verlauf einer Pestsepsis eine Pestmeningitis entwickeln. Pestpharyngitis ist eine seltene Primärmanifestation, die wahrscheinlich aus der oralen Aufnahme des Erregers resultiert. Es treten Fieber, Halsund Kopfschmerzen, Tonsillitis und zervikale Lymphadenitis auf. Die verschiedenen Manifestationen der Pest gehen unbehandelt fast immer in eine allgemeine Septikämie über, oft begleitet von massiven Blutungen in die Haut. 50 % der unbehandelten Beulenpestfälle enden tödlich und fast alle Fälle einer Pestsepsis oder Lungenpest. Nach Überstehen der Erkrankung besteht in der Regel eine lange anhaltende Immunität. Diagnostik Der Erregernachweis kann mittels (Fluoreszenz-) Mikroskopie, Kultur, Antigennachweis oder PCR aus Blut, Sputum, Lymphknotenaspirat oder anderen klinischen Materialien geführt werden. Serologische Methoden sind im Akutfall ohne Bedeutung. Die Inanspruchnahme eines Speziallabors ist ratsam, z. B. des Konsiliarlaboratoriums für Yersinia pestis am Max von PettenkoferInstitut für Med. Mikrobiologie in München. Differenzialdiagnose Beulenpest: Bakterielle Lymphadenitiden, Tularämie, Katzenkratzkrankheit, Lymphogranuloma venereum. Lungenpest: Schwere bakterielle Pneumonien. Pestsepsis: Meningokokkeninfektionen, Malaria, Arbovirosen, Typhus abdominalis. Therapie Behandlung in einem auf Infektionen spezialisierten Krankenhaus. Mittel der ersten Wahl sind Streptomycin, Tetracyclin oder Doxycyclin, Gentamicin, bei ZNS-Beteiligung Chloramphenicol. Meldevorschriften Meldepflicht bei Verdacht, Erkrankung und Tod gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 IfSG und bei direktem oder indirektem Erregernachweis in Verbindung mit einer akuten Infektion gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 46 IfSG. Pest Seltene und importierte Infektionskrankheiten 85 Titelfotos: Dr. Hans R. Gelderblom/Kazimierz Madela(oben)/Robert Koch-Institut Oben: Clostridium difficile NCTC 13307 Mitte: Corynebacterium diphtheriae mitis, Darstellung mit Polkörnchen Unten: SARS-CoV, Severe acute respiratory syndrome coronavirus, Virusreplikation Steckbriefe seltener und importierter Infektionskrankheiten Robert-Koch-Institut, Berlin 2011 ISBN 978-3-89606-240-6 Herausgeber Robert Koch-Institut www.rki.de Redakteur Dr. sc. med. Wolfgang Kiehl An der vorliegenden Neuauflage haben aus dem RKI mitgewirkt: Dr. Anton Aebischer, Dr. Katharina Alpers, Dr. Mona Askar, Susanne Behnke, Dr. Justus Benzler, Dr. Helen Bernard, Dr. Udo Buchholz, Dr. Silke Buda, Dr. Mirko Faber, Dr. Lena Fiebig, Dr. Christina Frank, Dr. Manuel Dehnert, Dr. Yvonne Deleré, Dr. Brigitte Dorner, Sandra Dudareva, Dr. Tim Eckmanns, Susanne Glasmacher, PD Dr. Walter Haas, Dr. Osamah Hamouda, Dr. Wiebke Hellenbrand, Dr. Michael Höhle, Bettina Keller, Dr. Albrecht Kiderlen, Christian Klotz, Dr. Judith Koch, Dr. Gabriele Laude, Dr. Astrid Lewin, Dr. Ulrich Marcus, Dr. Astrid Milde-Busch, Prof. Dr. Matthias Niedrig, Dr. Wolfgang Rabsch, Dr. Sabine Reiter, Dr. Bettina Rosner, Dr. Julia Sasse, Dr. Irene Schöneberg, Mario Schummert, Prof. Dr. Frank Seeber, Prof. Dr. Klaus Stark, Dr. Kathrin Tintelnot, Dr. Maria Wadl, Dr. Dirk Werber, Dr. Ole Wichmann. Die Kapitel zu den Bartonella-Infektionen wurden von Prof. Dr. Volkhard Kempf, Frankfurt/Main bearbeitet. Die vorige Auflage war erarbeitet worden von: Dr. Katharina Alpers, Dr. Gabriele Laude, Jens Mehlhose, Prof. Dr. Matthias Niedrig (verantwortlich), Prof. Klaus Stark, Dr. Kathrin Tintelnot (alle RKI); Prof. Dr. Gert-Dieter Burchardt, Prof. Dr. Herbert Schmitz, Prof. Dr. Egbert Tannich (alle Bernhard-Nocht-Institut); Dr. Barbara Reinhardt (Universität Ulm). Mitgearbeitet hatten: Dr. Justus Benzler, Dr. Christina Frank, Dr. Andreas Jansen, Dr. Wolfgang Kiehl, Dr. Judith Koch, Dr. Katrin Leitmeyer, Prof. Dr. Georg Pauli, Dr. Doris Radun, Dr. Irene Schöneberg, Dr. habil. Eckart Schreier, Dr. Brunhilde Schweiger (alle RKI) sowie Dr. Martin Pfeffer (München). Satz & Druck Westkreuz-Druckerei Ahrens KG Berlin/Bonn