Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 2001 Das Bakterium das die Pest verursachte Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini. -2- 2001 Das Bakterium das die Pest verursachte in: NZZ vom 24. Oktober 2001. Seite 70. Neue Zürcher Zeitung svr. Die vier apokalyptischen Reiter in der Offenbarung des Johannes brachten Krieg, Pest, Hunger und schliesslich den Tod. Vor allem für die Menschen im Mittelalter waren diese Prophezeiungen der Bibel grausame Wirklichkeit: Zwischen 1347 und 1352 starb bald ein Drittel der Bevölkerung Europas am «schwarzen Tod», insgesamt verloren 25 Millionen Menschen ihr Leben, ganze Landstriche wurden entvölkert. Die Auswirkungen auf Wirtschaft und Politik sowie das kulturelle Leben und die Weltwahrnehmung waren tiefgreifend, viele, die die Seuche überlebt hatten, starben an Hunger, eine Endzeitstimmung griff um sich, von der die Literatur und die darstellende Kunst in vielfältigen Beispielen erzählt. Bis ins 18. Jahrhundert flackerte die Pest in Europa immer wieder auf. Die letzte grosse Pandemie nahm von China ihren Ausgang, von Kanton und Hongkong kommend, brachten Handelsschiffe mit den Ratten die Seuche in die grossen Häfen aller Kontinente. Ende des 19. Jahrhunderts wurde schliesslich ein gramnegatives, stäbchenförmiges Bakterium aus der Gruppe der Enterobakterien als Erreger der Pesterkrankung identifiziert und erhielt nach einem der Entdecker, dem Schweizer Alexander Yersin, den wissenschaftlichen Namen Yersinia pestis. Auch heutzutage stellt das Pestbakterium noch immer eine Bedrohung dar. Zwar wurden in den letzten Jahren der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit unter 5000 Infektionen jährlich nur noch vergleichsweise wenige Fälle gemeldet. Doch fanden sich darunter immer wieder Stämme, die gegen die herkömmlichen Antibiotika resistent waren. Bedrohlich ist vor allem auch, dass nicht erst seit dem 11. September das Pestbakterium als eine sehr potente biologische Waffe eingeschätzt wird. -3- Ein neuer Lebensstil … Um besser auf zukünftige Infektionen vorbereitet zu sein, hat ein 35-köpfiges Forscherteam um Julian Parkhill vom Wellcome Trust's Sanger Centre im englischen Cambridge in mehrjähriger Arbeit das Genom des Pestbakteriums vollständig sequenziert und die Ergebnisse vor wenigen Wochen publiziert. Das Genom besteht aus einem Chromosom und drei ringförmigen DNASequenzen, den Plasmiden. Die analysierte Bakterienprobe stammte von einem amerikanischen Tierarzt, der 1992 an Lungenpest starb, nachdem er sich die Infektion bei der Behandlung einer infizierten Katze zugezogen hatte. -4- Die Analyse des Bakteriengenoms unterstützt die Hypothese, dass sich das Pestbakterium innerhalb von nur 1500 bis etwa 20'000 Jahren aus dem vergleichsweise harmlosen Bakterium Yersinia pseudotuberculosis entwickelt hat, das Magen-Darm-Entzündungen verursacht. In dieser für evolutionäre Massstäbe relativ kurzen Zeitspanne erlangte das Pestbakterium eine Reihe von Fähigkeiten, die ihm einen neuen Lebensstil ermöglichten. Im Unterschied zu Yersinia pseudotuberculosis lebt das Pestbakterium im Blut. Ausserdem kann es ausser Säugetiere auch Flöhe parasitieren und sogar ausserhalb eines Wirtsorganismus für eine gewisse Zeit überleben. … durch ein flexibles Genom Eigenarten das Genoms, wie etwa ein ungewöhnlich hoher Anteil an Guaninund Cytosinbasen in manchen Teilen der DNA-Sequenz, geben Hinweise auf eine hohe genetische Flexibilität. Einerseits führten Inversionen die Umkehrung eines bestimmten Chromosomenabschnitts und Translokationen die Übertragung eines Chromosomensegments an eine andere Stelle zu Umordnungen innerhalb des Genoms. Ausserdem ist es sehr wahrscheinlich, dass das Pestbakterium durch eine horizontale Genübertragung von anderen Bakterien und Viren die entscheidenden Gene erworben hat, die sowohl zu seiner hohen Pathogenität beitragen wie auch zu seiner für die Enterobakterien einmaligen Fähigkeit, in Flöhen zu überleben. So codieren beispielsweise einige der neuen Gene Insektizide, die den Verdauungsapparat der Flöhe angreifen. Der Zugang zum Magen wird blockiert, und die Pestbakterien können sich im Vormagen vermehren. Beisst der Floh das nächste Mal zu, dann werden die Bakterien mit dem im Vormagen gestauten Blut übertragen. Da die Flöhe Yersinia pestis als ein Transportvehikel dienen, ist die Anpassung an ein Überleben in den Blutsaugern eine entscheidende Voraussetzung für die wiederholten, zum Teil auf die ganze Welt ausgreifenden Pandemien. Im Ausgleich für die Aneignung neuer Gene sind beim Pestbakterium eine ganze Reihe anderer Gene stillgelegt, die an den früheren Lebensstil der evolutionären Ahnen im MagenDarm-Trakt von Säugetieren erinnern und nun nicht mehr nötig sind. -5- Flöhe als Vehikel der Pest Die bevorzugten Wirte von Yersinia pestis sind Nagetiere wie Hamster, Murmeltiere, Wiesel, Kaninchen oder Ratten. Vor allem die Wander- und Hausratten, die oft in der Nähe von Menschen leben, sind in der Vergangenheit häufig der Ausgangspunkt der Epidemien unter den Menschen gewesen. Im Fell der Ratten leben meist Rattenflöhe, die beim Blutsaugen das Bakterium aufnehmen. Stirbt die Ratte, dann wechseln die Flöhe auf das nächste Tier und übertragen so die Infektion. Erst wenn die Rattenpopulation weitgehend reduziert ist, nimmt der Floh notgedrungen auch mit dem Menschen vorlieb. Aus diesem Grund ging in der Vergangenheit den Pestepidemien beim Menschen meist das grosse Sterben der Ratten voraus. Überträgt ein Rattenfloh das Bakterium auf den Menschen, dann schwellen die Lymphknoten an, und die für die Beulenpest typischen, bis zu 10 cm grossen Beulen entstehen. Geht die Infektion in die Blutbahn über, dann können nach und nach alle Organe einschliesslich der Lungen infiziert werden. Erst diese Variante der Pest, die sogenannte Lungenpest, kann über Tröpfchen in der Atemluft direkt von Mensch zu Mensch übertragen werden und zu einem explosionsartigen Anstieg der Erkrankungen führen. Dieser Infektionsweg macht die Lungenpest zu einer gefährlichen biologischen Waffe, da der Erreger in einem ersten Schritt durch Aerosole künstlich unter die Menschen gebracht werden kann. Haben sich erst einige Individuen infiziert und die Symptome der Lungenpest entwickelt, dann sorgt, wenn nicht Impfungen bzw. Antibiotika Einhalt gebieten, die Tröpfcheninfektion für eine rasche Ausbreitung der innerhalb von wenigen Tagen tödlich verlaufenden Krankheit. Insgesamt erhoffen sich die Forscher von der Analyse des Pestgenoms neue Erkenntnisse darüber, welche Art von genetischen Veränderungen dazu beitragen, dass neue und hochvirulente Krankheitserreger innerhalb kurzer Zeit aus harmlosen evolutionären Vorstufen entstehen können. Mit diesem Wissen sollen genauere Vorhersagen über neue Mutanten möglich werden. Damit verbunden sind Hoffnungen, auf die Bedrohung durch eventuell neu ausbrechende Pestepidemien mit der Entwicklung neuer Impfstoffe und wirksamer Antibiotika umfassend vorbereitet zu sein. Quelle: Nature 413, 523-527 (2001). Internet-Bearbeitung: K. J. Version 04/2012