Rapper erhebt sich aus 120 Chorstimmen

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Montag, 18. Januar 2016 / Nr. 13
Kultur
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21
Rapper erhebt sich aus 120 Chorstimmen
KKL Der Rapper Greis und
der Händel-Chor haben sich
am Samstag in ein Kriegsdrama gestürzt. Stilgrenzen
wurden gekonnt überwunden.
SIMON BORDIER
[email protected]
Auf die heilige Cäcilia, die Schutzpatronin der Musik, schwören auch
Rapper. Bereits vor drei Jahren fand in
ihrem Namen ein Treffen des Berner
Rappers Greis alias Grégoire Vuilleumier
und des Händel-Chors Luzern statt.
Gemeinsam besangen sie in dem modernen Oratorium «The Power Of Musick» des Schweizer Komponisten Stephan Hodel die Kraft und Schönheit der
Musik. Die Uraufführung erhielt viel
Beifall, hatte aber einen Schönheitsfehler: Chor und Orchester wirkten teils
wie eine pompöse Klangkulisse statt wie
gleichberechtigte Partner des Rappers.
Würden die Rollen beim zweiten Treffen,
das am Samstag im KKL über die Bühne ging, nun besser verteilt?
Songs mit einer Handlung
Die Chance dazu bot das neue Stück
«No Pasarán!» von Greis und Stephan
Hodel, das im KKL seine Uraufführung
erlebte. Anders als in «The Power Of
Musick», wo Händels «Cäcilienode» als
musikalische Vorlage diente, bildeten
diesmal Songs von Greis den Ausgangspunkt der Gemeinschaftsproduktion. Es
handelt sich um die 2007 erschienene,
vierteilige Songreihe «Ferdinand».
Die Songs haben im Unterschied zur
Händel-Vorlage einen Plot. Er spielt im
Jahr 1937. Ferdinand, ein Schweizer
Bauernjunge, will nach Spanien ziehen,
um mit den Internationalen Brigaden
gegen die Franco-Putschisten zu kämpfen. Sein Bruder ist in dem Bürgerkrieg
bereits erschossen worden. Nun will er
den Kampf fortsetzen. Seite an Seite ruft
er mit den spanischen Brigaden «No
Pasarán!», «Sie werden nicht durchkommen!». Im Verlauf des Kriegs verliebt
sich Ferdinand in eine junge Frau, zieht
Künstler Gottfried
Honegger ist tot
KUNST sda. Der Schweizer Bildhauer und Maler Gottfried Honegger ist
tot. Er starb gestern Nachmittag in
seinem Zuhause in Zürich mit 98 Jahren. Honegger zählte international zu
den wichtigsten Vertretern der konkret-konstruktiven Kunst. «On doit
construire le monde», lautete eine
seiner Prämissen. «Kunst will nicht
länger von ihrer Umgebung getrennt
sein, sie will Teil der Wand, des Raums,
des Alltags werden», schrieb er 1993.
Architektur und Kunst seien dazu da,
«eine neue Gesellschaft zu bauen».
In vielen Ländern – vor allem in
Deutschland, Frankreich und der
Schweiz – ist Honeggers Werk präsent:
im öffentlichen Raum ebenso wie in
Privat- und Museumssammlungen. Ein
Highlight ist die im Sommer 2004 im
südfranzösischen Mouans-Sartoux eröffnete Fondation Albers-Honegger.
Sie beherbergt die Sammlung Gottfried
Honeggers und eröffnet am 24. Januar unter dem Titel «Alpha oméga» eine
Ausstellung mit seinen Werken.
In Frankreich und der Schweiz erfuhr er grosse Ehrungen: 1985 wurde
er französischer «Chevalier de l’Ordre
des Arts et des Letters». 1987 erhielt
er den Kunstpreis der Stadt Zürich.
Im gleichen Jahr wurde in Zürich auf
seine Mitinitiative hin das Haus für
konstruktive und konkrete Kunst, das
heutige Haus Konstruktiv, eröffnet.
Zeitlebens blieb Honegger auch der
Volkskunst verbunden, etwa der Holzschnitzerei, der Stickerei, dem Scherenschnitt oder den Graffiti.
HINWEIS
Gottfried Honegger ist auch zentrales Thema
im neuen Film des Luzerner Filmemachers Erich
Langjahr, «Für eine schöne Welt», der
letzte Woche in unseren Kinos angelaufen ist
(vergleiche Kinoseite vom letzten Mittwoch).
Am Samstag im
KKL: Rapper Greis
in einer besonderen musikalischen
Umgebung.
Bild Dominik Wunderlit
in die Stadt Guernica und gerät dort
unter den Bombenhagel der deutschen
Luftwaffe. Er muss seinen Kampf
schliesslich aufgeben und in die Schweiz
zurückkehren, wo er nunmehr als Landesverräter gilt.
Schwyzerörgeli und Schiessbefehle
Am Samstag wurde daraus ein farbiges Musikdrama. Zunächst kamen verstreute Geräusche und Klänge von der
Bühne, ein Basston breitete sich aus,
von Fern erklangen Melodiebruchstücke
eines Schwyzerörgelis. Sie wurden vom
Orchester Camerata Luzern aufgegriffen
und zu einem neuen Klang verwoben.
Aus der Klangmasse erhob sich immer
wieder die Stimme des Rappers Greis,
der in dem Stück die Rolle des Sprechers
übernahm. Die Sopranistin Amelia Scicolone intonierte in Begleitung des
Akkordeons sehnsuchtsvolle Liebestöne,
während der Tenor Erlend Tvinnereim
im schneidigen Ton Schiessbefehle gab.
Die über 120 Sängerinnen und Sänger
des Händel-Chors Luzern und des Chors
Pro Musica Vocale Aargau sorgten für
eindrückliche Massenszenen. Dass der
Faschismus «das Volk in zwei teilt»,
wurde ebenso plastisch dargestellt wie
die Solidarität mit den Freiheitskämpfern, ausgedrückt im weit aufgefächerten
Klang. Ein dramatischer Höhepunkt
waren die Tumulte nach der Exekutionsszene, aus denen sich die Stimme des
Rappers mit «No Pasarán!» herauswand.
Das Stück überzeugte als Gesamtkunstwerk mit unterschiedlichsten Stilelementen: Einmal glaubte man sich in
die Klangwelt der «Queen»-Rockballade
«Bohemian Rhapsody» versetzt, dann
plötzlich in das Melodram «Ein Überlebender aus Warschau» von Schönberg.
Die Stilelemente prallten nicht aufeinander, sondern erhielten im theatralischen Setting Platz. So entstanden unter
der Leitung von Dirigent Pirmin Lang
immer wieder neue, spannende Rollenkombinationen von Rapper, Orchester,
Solisten und Chören. Einzig der Handlungsfaden drohte darin unterzugehen.
Starke Akzente für den Frieden
Seinen Ruf als polyglotter Rapper be-
wies Greis einmal mehr in «The Power
Of Musick», das drei Jahre nach der
Uraufführung erneut dargeboten wurde.
Über die Reime in Deutsch, Französisch
und Englisch dürften sich nicht zuletzt
die vielen jungen Zuhörer im vollen
Konzertsaal gefreut haben. Auch der
Händel-Chor und Pro Musica Vocale
durften ihre Kunst eindrücklich zeigen.
Die Sänger setzten in Händels «Te
Deum» starke Akzente im Zeichen des
Friedens. Dabei fiel nicht nur das grosse Klangvolumen auf, sondern auch die
gute Balance unter den Stimmen.
HINWEIS
«No Pasarán!» wird am 24. 1., 17 Uhr, im Kurtheater
Baden nochmals aufgeführt: www.haendel-chor.ch
Politischer Stoff komödiantisch dargebracht
THEATER Premiere in Stans:
«Tschingge» unterhält das
Publikum mit einer Lektion in
aktueller Schweizer Geschichte.
Zum zweiten Mal in Folge bringt die
Theatergesellschaft Stans ein aktuelles
gesellschaftspolitisch brisantes Thema
auf die Bühne. Nach der Produktion
«King Kongs Töchter» im vergangenen
Jahr, welche kriminelle aktive Sterbehilfe von Pflegerinnen im Altersheim
thematisierte, dreht sich das diesjährige
Stück «Tschingge» um Einwanderung,
Überfremdung und Assimilation. Doch
war «King Kongs Töchter» eine bitterböse bissige Satire, ist «Tschingge» trotz
akuter Problematik viel versöhnlicher.
Fussball und Schlager
Das liegt zum einen am Stück selbst.
Autor Adrian Meyers Werk ist gespickt
mit komödiantischen Einlagen und lässt
die fremdenfeindliche Konfrontation auf
dem Fussballplatz, dem erfolgreichsten
integrativen Umfeld, stattfinden. Zum
andern liegt es an der Musik. Regisseur
Dodó Deér, der auch für das Bühnenbild
verantwortlich ist, setzt italienische
Schlager und Volkslieder aus der
Schweiz und aus Italien so grosszügig
ein, dass das Schauspiel streckenweise
zum Musical wird. Man muss allerdings
anerkennen, dass die Laienspielerinnen
und -spieler gut singen können.
Die Komödie «Tschingge» erzählt ein
Stück neuere Schweizer Geschichte. Es
spielt 1970 im Umfeld der Abstimmung
über die Schwarzenbach-Initiative. Der
Abstimmungssonntag steht bevor.
Am gleichen Sonntag findet auch der
Grümpelturnierfinal zwischen den «Beton-Ragazzi» des ausländerfreundlichen Bauunternehmers Hutter und
Ständchen für
Spitalpatienten:
Szene aus der
Inszenierung
von «Tschingge»
im Theater Stans.
Bild PD
dem einheimischen Team der Sicherheitsfirma Frick, dessen Chef Armbrustschütze, Schwarzenbach-Anhänger und
Patriot ist.
Die «Beton-Ragazzi» bangen um ihren
Goalgetter Fortunato, der mit einem
lädierten Kopf im Spital liegt – ausgerechnet als Bettnachbar des «TschinggeHassers» Oskar Scheidegger, der Mitglied
der Nationalen Aktion ist. Das Spitalzimmer wird zum Ort von Intrigen,
Liebeleien, politischen Brandreden und
handfesten Auseinandersetzungen.
Auch das Spitalpersonal bleibt von den
Turbulenzen nicht verschont. Am
Schluss wendet sich jedoch alles zum
Guten. Auch wenn die «Beton-Ragazzi»
im Penaltyschiessen verlieren, haben sie
Grund zu feiern. Die Überfremdungsinitiative, die den Anteil der Ausländer
auf 10 Prozent der Bevölkerung be-
schränken wollte, wird mit 54 zu 46
Prozent abgelehnt. Ein Happy End, wie
es sich für eine Komödie gehört.
Lebenslust gegen Griesgram
Die Inszenierung von «Tschingge» ist
mehr als eine leichtfüssig musikalische
Komödie. Mit grossen Projektionen wird
dem heutigen Publikum durch Fotodokumente die damalige Situation der
italienischen Saisonarbeiter und Immigranten vor Augen geführt. In den
Handlungsstrang eingebaut sind Erzählungen von eingewanderten Italienern,
die von ihren Erfahrungen in der
Schweiz und mit den Schweizern handeln. Als Schweizer Gegenstimmen sind
fremdenpolizeiliche Ratschläge für Immigranten und fremdenfeindliche Statements von damals zu hören, die auch
2016 noch zu vernehmen sind.
Für die Laienspieler der Theatergesellschaft Stans bietet das Stück eine breite Palette an dankbaren Rollen, die mit
grossem Enthusiasmus und solidem
Spiel interpretiert werden. Allerdings
fällt es der italienischen Fraktion leichter, ihre Vitalität und ihr südländisches
Temperament zu zeigen, als den Schweizer Patrioten, ihren spiessigen Griesgram
auf die Bühne zu bringen. Die Italianità auf der Bühne steckte auch das
Premierenpublikum an, das bei jeder
Gelegenheit begeistert Szenenapplaus
spendete und zum Schluss das gesamte Ensemble ausgiebig feierte.
KURT BECK
[email protected]
HINWEIS
Für die Vorstellungen bis 19. März gibts nur noch
Restkarten. VV: www.theaterstans.ch
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