Prävention als Steuerungsinstrument

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Titelthema
Gabriele Bartsch
Prävention als Steuerungsinstrument
Prävention zielt darauf ab, Schäden vorzubeugen oder zu reduzieren.
Mit Blick auf die Verhältnisprävention bedeutet dies die Einflussnahme auf
gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die sich z. B. auf das Alkoholkonsumverhalten
Jugendlicher auswirken. Zu nennen sind hier u.a. die Verfügbarkeit von Alkohol,
die Preis- und Steuerpolitik sowie die Regulierung der Werbung für Alkohol.
Gesetzgeberische Maßnahmen sind damit das Mittel der Verhältnisprävention.
Trotz innovativer Ansätze der Verhaltensprävention und vieler Erfolge bei der Reduzierung des
jugendlichen Alkoholkonsums in den vergangenen Jahren ist der jugendliche Alkoholkonsum in
Deutschland immer noch einer der höchsten in
Europa. Die Anzahl der jungen Menschen, die mit
Alkoholintoxikationen in Krankenhäusern aufgenommen werden, ist zwischen 2000 und 2008 um
170 Prozent gestiegen. Warum ist das so?
Ein Teil der Problematik liegt sicherlich
Einflußfaktoren in der Substanz selbst. Psychoaktive
im Jugendalter Substanzen wirken auf unser Gehirn
und lassen uns die kurzfristigen »Vorteile« des Konsums höher bewerten als die mittelund langfristigen nachteiligen Folgen. Dies gilt
besonders im Jugendalter, wenn andere Einflussfaktoren dies begünstigen, wie Peers, Gruppendruck, Vorbilder im Elternhaus und aus der Glimmerwelt der Film-, Mode- und Musikstars, oder
schulische und andere Probleme.
Auch frühere Generationen haben im Jugendalter Alkohol getrunken, auch exzessiv, jedoch
nicht in dem Ausmaß, wie wir es heute erleben.
Was hat sich geändert und dadurch das «BingeDrinking« und bewusste Betrinken gefördert?
Auf der Ebene der Rahmenbedingungen – der
Verhältnisse – ist Entscheidendes geschehen:
1. Die Ladenöffnungszeiten wurden erweitert,
ohne die Auswirkungen auf den Verkauf und
Konsum von Alkoholika zu berücksichtigen.
Ist solch eine Liberalisierung einmal beschlossen, werden Rück-Veränderungen als Einschränkungen erlebt, auch wenn früher niemand die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten mit der Begründung verlangt hat, dass
man noch nach 20.00 Uhr oder 22.00 Uhr Alkohol kaufen können muss.
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2. Ähnliches gilt für den Einkauf an Tankstellen.
Ursprünglich gedacht als Versorgungsmöglichkeit für Reisende mit Proviant auf einer langen
Fahrt, ist die Tankstelle zu einem 24-Std.-Supermarkt geworden, in dem auch Alkohol rund um
die Uhr verkauft wird. Auch hier stoßen Versuche, die Schraube wieder zurückzudrehen auf
heftigsten Widerstand.
3. Die Preise für alkoholische Getränke sind im
Vergleich zu anderen Produkten weniger gestiegen, bei gleichzeitig höheren Einkommen. Das bedeutet, Alkohol ist gesellschaftliche
erschwinglicher geworden. Beson- Rahmenders Jugendlichen steht heute mehr bedingungen
Geld zur Verfügung als früher.
4. Für Alkoholwerbung wird heute mehr ausgegeben. Zwischen 1990 und 2007 sind die Ausgaben für Alkoholwerbung um 60% gestiegen.
Zusätzliche Werbeträger, wie Leuchtreklamen,
Sonnenschirme, Bierdeckel etc. der verschiedenen Herstellerfirmen und Marken und das
Sport- und Eventsponsoring, sind im Alltag so
präsent, dass wir sie bewusst gar nicht mehr
wahrnehmen.
5. Alkoholwerbung hat sich grundlegend geändert. Von der Produktinformation hin zur Imagewerbung.
6. Die konsequente Kontrolle der Einhaltung des
ohnehin sehr komplizierten Jugendschutzgesetzes (es differenziert nach Alter der Konsumenten, verschiedenen Alkoholarten, Konsumorten und ob in Begleitung von Erziehungsberechtigten konsumiert wird oder nicht) ist sehr
personalintensiv und kann in den Kommunen
nicht oder nur unzureichend umgesetzt werden.
KJug, 55. Jg., S. 40 – 42 (2010)
© Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V.
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Titelthema
Bartsch • Prävention als Steuerungsinstrument
Folgen für das Verhalten
Die enge Verbindung von Verfügbarkeit und Preis
alkoholischer Getränke mit der Konsummenge ist
in zahlreichen europäischen und internationalen
Studien belegt. Je höher die Verfügbarkeit und je
niedriger der Preis für Alkoholika desto höher ist
der Konsum dieser Getränke (Babor et al. 2005,
Rabinovich 2009).
Die zeitlich und örtlich erweiterte Verfügbarkeit von Alkohol durch Verlängerung der Ladenöffnungszeiten und durch den Verkauf an Tankstellen hat zu einer Zunahme alkoholassoziierter
Straftaten im öffentlichen Raum geführt.
Hinsichtlich der Einschätzung der Wirkung
von Alkoholwerbung auf den Konsum mehren
sich die Studien, die einen positiven Zusammenhang zwischen Werbung und Konsum feststellen
(Collins et al. 2007, Snyder et al. 2006, Stacy et
al. 2004, Morgenstern et al. 2009). Besonders
die Forschungsbereiche, die sich mit der Reaktion von Kindern und Jugendlichen auf Werbung
befassen, kommen zu dem Ergebnis,
Wirkung von dass es eine Wirkung von Werbung auf
Werbung das Trinkverhalten und auf die Einschätzung der Risiken, die mit Alkoholkonsum verbunden sind, gibt. Da Jugendliche im
Vergleich zu Erwachsenen überdurchschnittlich
oft Alkoholwerbung in Radio, TV und Internet (Facebook, YouTube u.Ä.) ausgesetzt sind, sind diese Studienergebnisse besonders besorgniserregend. Diejenigen Jugendlichen, die die meiste
Werbung sehen, tendieren zu einer positiveren
Einschätzung von Alkohol, sowohl was die Einstellung zu Alkoholkonsum als auch zu Trinkmengen angeht (Babor et al. 2005).
Das Jugendschutzgesetz wird aufgrund von
Durchsetzungsschwierigkeiten nicht ernst genug
genommen. Dies führt dazu, dass alkoholische
Getränke auch an Kinder und Jugendliche unterhalb der festgelegten Altersgrenzen verkauft und
abgegeben werden.
Was muss geschehen?
Die Prävention muss auf die veränderten Bedingungen reagieren. So sinnvoll es ist, die Kompetenzen Jugendlicher zu stärken und sie als Akteure ernst zu nehmen, so sehr müssen wir uns auch
der Grenzen eines Empowerments beWirksamkeit wusst sein. Die Wirksamkeit der Verder Verhaltens- haltensprävention hängt in großem
prävention Maße davon ab, welche Programme
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eingesetzt, wie sie umgesetzt werden, mit welchen Ressourcen sie ausgestattet sind und ob
Nachhaltigkeit und Kontinuität gesichert sind.
Immer stärker müssen die bisherigen Interventionen zur Verhaltensprävention jedoch mit der
Glitzerwelt der raffinierten, zielgruppenspezifischen und häufig witzigen Werbungen der Alkoholproduzenten konkurrieren. Allseitige Verfügbarkeit der alkoholischen Produkte und Dumpingpreise leisten ein Übriges. Vor allem im
Internet, sei es bei der Informationsbeschaffung
oder bei der Kommunikation mit Freunden, sind
Kinder und Jugendliche ständig den Marketingstrategien der Alkohol- und Werbeindustrie ausgesetzt. In den jugendlichen Kommunikationsmedien ist anders als bei den Internetseiten der
Alkoholproduzenten keine Alterskontrolle mehr
möglich, die verhindern könnte, dass Kinder und
Jugendliche von Alkoholproduzenten und Anbietern entsprechender Werbeartikel umworben
werden. Schulprogramme verfügen häufig nur
über geringe Ressourcen, während die Alkoholproduzenten allein in Deutschland über eine Milliarde Euro in Werbung, Marketing und Sponsoring ihrer Produkte investieren.
In der Prävention eignen sich, wie in anderen
Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens auch, steuernde Instrumente, um
die Wirkung von Informationskampagnen und
Aufklärungsprogrammen wirksam, nachhaltig
und kostengünstig zu unterstützen. So sieht das
auch der Rat der Europäischen Union, eines der
höchsten Gremien der EU. Er ersucht
alle Regierungen der EU-Mitgliedslän- Instrumente zur
der, die Instrumente zur Alkoholprä- Alkoholprävention
vention einzusetzen, die sich als wirksam erwiesen haben. Dazu gehören seiner Einschätzung nach auch Preispolitik und kohärente
Werberegulierungen.
Da die Produktion von alkoholischen Getränken aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen
immer kostengünstiger wird – Arbeitsplatzabbau ist vor allem der technischen Entwicklung
geschuldet –, muss eine effektive Besteuerung
die Aufgabe übernehmen, Alkoholkonsum zu
verteuern und damit zu begrenzen.
Hohe Preise bei alkoholischen Getränken
schützen vor allem Jugendliche und Menschen
mit niedrigerem Einkommen. Ausgaben für Alkohol stehen dann in Konkurrenz zum Erwerb anderer begehrter oder notwendiger Produkte. Wer
wenig Geld zur Verfügung hat, für den ist es
schwieriger alkoholische Vorräte anzulegen, da
er das Geld für tägliche Gebrauchsgüter benö-
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Bartsch • Prävention als Steuerungsinstrument
tigt. Werden darüber hinaus die Verkaufszeiten
von Alkohol begrenzt, so wirkt sich dies auch auf
das Ausmaß an Gewalt im Trinkumfeld aus. Ein
Verkaufsverbot von Alkohol in den Abend- und
Nachtstunden würde den exzessiven Konsum
von Alkohol in der Öffentlichkeit deutlich einschränken und folglich auch zu einer Abnahme
der damit verbundenen Delikte führen.
Reduzierung der Die Reduzierung der Verfügbarkeit von
Verfügbarkeit von Alkohol ist daher ein weiterer Baustein
Alkohol einer wirksamen Alkoholprävention.
Wie erfolgreich verhältnispräventive Maßnahmen wirken können, hat sich in Deutschland v.a.
im Umgang mit Alkohol im Straßenverkehr und
in der Tabakprävention gezeigt:
– Die Einführung niedrigerer Promillegrenzen
für Teilnehmer/-innen am Straßenverkehr hat
zu einer deutlichen Reduzierung der alkoholbedingten Verkehrstoten geführt.
– Kontinuierliche Steuererhöhungen in Kombination mit Werbeverboten in den Printmedien
und im Fernsehen, sowie mit Nichtraucherschutzgesetzen haben verhaltenspräventive
Maßnahmen unterstützt und eine deutliche
Reduktion der Raucherquote bewirkt.
Titelthema
Literatur
Babor, Thomas et al. (2005): Alkohol – Kein gewöhnliches Konsumgut. Hogrefe. Göttingen
Collins, Rebecca L. et al (2007): Early adolescent exposure to alcohol advertising and its relationship to
underage drinking. In: Journal of Adolescent Health,
40, 527-534
Morgenstern, Matthis et a. (2009): Jugendliche und
Alkoholwerbung – Einfluss der Werbung auf Einstellung und Verhalten. IFT-Nord im Auftrag der
DAK. Reihe: DAK Forschung
Rabinovich, Lila et al. (2009): The affordability of alcoholic beverages in the European Union. Understanding the link between alcohol affordability, consumption and harms. Report for the European
Commission. RAND Corporation, European Commission
Snyder, Leslie B. et al. (2006): Effects of alcohol advertising exposure on drinking among youth. In: Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine, 160, 1824
Stacy, Alan W. et al. (2004): Exposure to televised alcohol ads and subsequent adolescent alcohol use. In:
American Journal of Health Behavior, 28(6), 498509
Fazit
Wirksame Prävention muss Verhaltens- und Verhältnisprävention miteinander verbinden. Verhaltensprävention muss die Ansätze in ihrem
Feld aufgreifen, die sich als wirksam erwiesen
haben. Verhältnisprävention setzt den Rahmenbedingungen wirkungsvolle Instrumente entgegen und führt zu messbaren Reduzierungen
alkoholbedingter Schäden. Aufklärungskampagnen können darüber hinaus breitenwirksam der
Bewusstmachung alkoholbedingter Problematiken dienen. Sie können dazu beitragen, Akzeptanz für gesetzliche Regelungen zu schaffen.
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Gabriele Bartsch
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen
Hamm
Mail: [email protected]
Autorin
Referat Grundsatzfragen
2/2010
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