Media & Kommunikation → Medien 2011 Facebook, Twitter oder Youtube? Autorin: Sandra Fösken Nahezu jedes Unternehmen denkt über die Einbindung von Social Media in die Unternehmensstrategie nach und sucht nach Erfolgsrezepten. Doch die gibt es nicht. Der kommunikative Gau ist unvermeidlich, wenn ein Lebensmittelhersteller wie Nestlé von Konsumenten im Internet heftigst kritisiert wird. Den Anlass dafür gab das Web-Video von Greenpeace, das auf die Zerstörung des indonesischen Urwalds zugunsten von Ölpalm-Plantagen hinwies. In dem Video zeigt Greenpeace einen Mann, der statt in einen Kitkat-Schokoriegel in einen Affen-Finger beißt. Der Vorwurf: Die Süßigkeit enthalte das Pf lanzenfett, für das der Lebensraum der Orang-Utans abgeholzt werde. Im Netzwerk Facebook wurde die NestléSeite Angriffspunkt für Kritiker und Sammelstelle von Boykottaufrufen. Auch der Ölkonzern BP spürte die Kraft der freien Meinungsäußerung im Netz, als dieser es wochenlang nicht schaffte, das lecke Bohrloch, aus dem täglich mehrere Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko strömten, zu schließen. In zig Blogs, auf Facebook und Twitter wurde dem Ärger über den 52 absatzwirtschaft 9/2010 Mineralölkonzern Luft gemacht. Die Liste der ramponierten Unternehmen ließe sich endlos verlängern, so schnell und so gnadenlos direkt sind die Reaktionen der User im Netz, wenn Missstände in den Unternehmen öffentlich werden. Und es lehrt die Entscheider in den Kommunikationsabteilungen, dass Fehler im Umgang mit Social Communitys fast unvermeidlich sind. Diese Unkontrollierbarkeit der Masse schreckt Unternehmen aber nicht ab. Im Gegenteil: Im Trend liegt, wer dabei ist. Immerhin 80 Prozent der Dax-30Unternehmen sind einer Umfrage des Magazins „Wirtschaftswoche“ zufolge in Social Networks aktiv. Vorbildhaft agieren reine Online-Unternehmen wie der Mobilfunkdiscounter Simyo oder die Scout24-Gruppe, für die das Internet das Herzstück aller Marketingaktivitäten ist. Simyo nutzt das Social Web seit gut zwei Jahren und setzt es für Branding, Service- und Krisenmanagement ein. Social Media ist bei dem Düsseldorfer Unternehmen in der Kommunikationsabteilung angesiedelt und wird von zwei Mitarbeitern mit Unterstützung von drei Agenturen (Wunderknaben, Mavens, Ahead of time) betreut. Für das reine Onlineunternehmen, das Mobilfunkprodukte ausschließlich im Netz verkauft, sind Online-Netzwerke, in denen sich User austauschen, neben den eigenen Community-Plattformen wesentlicher Teil der Unternehmensstrategie. Dabei hat das Mitmach-Web gleich mehrere Funktionen zu erfül- len: Es trägt zur Kundenbindung und Gewinnung von wertvollen „Consumer Insights“ bei und dient als ServicePlattform, um Kunden und Interessierte bei technischen Hürden oder Produkt-Fragen zu beraten. Wertvolle Rückmeldungen erhält das Unternehmen über den Facebook-Account und das Simyo-Blog, in denen sich Kunden und Interessierte mit den Produkten auseinandersetzen. „Wir suchen vor allem im Blog den Dialog mit kritischen Fans, um herauszufinden, ob und wie wir Produkte, Services und Leistungen verändern können“, sagt Simyo-Pressesprecherin Nadine Motter. Seit Frühjahr enthält das Blog die Kategorie „Customer Voice“, die auf Anregung von Kunden über technische Anpassungen und Produktentwicklungen informiert. „Damit wollen wir demonstrieren, wie wichtig uns die Kundenbedürfnisse sind“, berichtet Motter. Facebook nutzt der Mobilfunk-Discounter als Feedback-Instrument. Simyo-Fans werden dabei aktiv aufgefordert, die Produkte und Leistungen zu beurteilen. Selbstverständlich setzt das Unternehmen auch auf die Multiplikatorwirkung, die ein soziales Netzwerk wie Facebook auslöst. Auch Promotions und andere WerbeAktionen, die den Facebook-Nutzer an die Marke heranführen und Fans binden, finden dort statt. „Aktuell testen wir anhand einer Kampagne, inwiefern Media & Kommunikation → Medien 2011 Bald werden Kreativagenturen arbeitslos: Der Schokoladenfabrikant Alfred Ritter motivierte Fans, ihre Ideen für Slogans und TV-Spots für die Wiedereinführung der Sorte Olympia einzureichen. Mit Erfolg: Das Unternehmen erhielt rund 100 Videobeiträge und 1 000 Vermarktungsvorschläge. wir Facebook als Vertriebskanal einsetzen können“, ergänzt die Managerin. Twitter setzt der Mobilfunkanbieter als News- und Servicekanal für die Verbreitung von Nachrichten rund um Mobilfunk und das mobile Internet ein. Der junge Nachrichtendienst hat viel mit einer Feuerwehrsirene gemeinsam: Wenn es brennt, hallt es lautstark über Twitter durchs Netz. Die Mail, die über Twitter eingeht, wird direkt an den „Customer Care Service“ weitergeleitet, der sich mit dem Kunden in Verbindung setzt. „Der Kunde hat ein positives Serviceerlebnis und wir hoffen, dass er seine positive Erfahrung auch über Twitter verbreitet“, betont die Managerin. Wenn Kunden verärgert sind, was auch bei Simyo vorkommt, dann dringt die Kritik zuerst über den Twitter-Kanal zum Unternehmen durch. So passierte es, dass einige Kunden ihrem Ärger im Social Web Luft machten, als die Guthabenanzeige auf dem Mobiltelefon nicht richtig funktionierte. Kunden konnten daher für kurze Zeit kein Guthaben auf laden und auch nicht telefonieren. Diese Situation löste natürlich Bestürzung und Unmut bei den Handy-Nutzern aus, die sich sehr schnell durchs Web verbreiteten. Das Unternehmen brauchte einige Zeit, um die Lösung zu finden. In solchen Situationen rät Motter, sofort zu reagieren: „Wichtig ist es, die Leute zu beruhigen und sie darüber zu informieren, dass das Problem erkannt ist und an einer Lösung gearbeitet wird.“ 54 absatzwirtschaft 9/2010 Natürlich gibt es auch Nörgler, die ständig ein Haar in der Suppe suchen, aber auch die muss das Unternehmen für sich gewinnen. „Das sind Kritiker, die wir kontinuierlich beobachten und mit denen wir bewusst in den Dialog treten.“ Die Managerin ist überzeugt: Solange die unzufriedenen Kunden über das Unternehmen sprechen – auch wenn es negative Äußerungen sind, sind sie noch Fan der Marke. Eine Besonderheit bei dem Düsseldorfer Unternehmen sind die „Simyo-Paten“: Das ist eine eigene kleine Community auf der Website, die als „Kunden helfen Kunden“-Plattform für die schnelle Beantwortung von Fragen rund um das Unternehmen zur Verfügung steht. Die aktuell 200 Paten hat Simyo im Nachgang einer Werbeaktion rekrutiert. Diese Kunden haben sich bereiterklärt, anderen Kunden und Interessenten in kurzer Zeit zu helfen. Dies geschieht in der Regel in Reaktionszeiten von drei Minuten bis drei Stunden. Als Belohnung gibt es Bonusguthaben, die nach Angaben der Social MediaManagerin aber so gering sind, dass sie kaum zur Motivation ausreichen. Stattdessen seien die Paten von Marke, Produkt und Leistung derart überzeugt, dass sie daran Freude hätten, anderen zu helfen und als Botschafter für das Unternehmen zu agieren. Diese Kunden sind mit Abstand auch die wählerischsten Kunden. Werden neue Angebote entwickelt, sind die Paten die Ersten, die sie sehen und Empfehlungen aussprechen, wenn bestimmte Textbausteine in der Leistungsbeschreibung falsch interpretiert werden könnten. Die Messung der Kundenzufriedenheit und die Abfrage von konkreten Wünschen im Hinblick auf Tarif konstellationen beispielsweise recherchiert und analysiert Simyo über das Blog, Facebook und auch Twitter. Mit LiveMonitoring werden Meinungen und Kommentare nach bestimmten Kriterien gesammelt, um Meinungsführer zu ermitteln, Trends zu erkennen und Issue-Management zu betreiben. Simyo arbeitet seit Kurzem mit dem Nielsen-Buzz-Metrics-Tool, das über das „Gezwitscher“ im World Wide Web nach Relevanz geordnet informiert. „Damit können wir feststellen, welche Themen in den Foren am meisten diskutiert werden, und diese Themen im Blog aufgreifen.“ Erstaunlicherweise geht der Mobilfunkdiscounter bei der Analyse der Meinungen und Kommentare parallel dazu auch traditionell vor, indem er die klassischen Online-Befragungen mit Unterstützung eines anerkannten Marktforschungsunternehmens durchführen lässt, um valide Daten für die Produktentwicklung zu gewinnen. Alle Aktivitäten zusammen sollen laut Motter das gesamte Marketing befruchten. Auch für die Scout24-Gruppe ist Social Media kein Selbstzweck. Das Münchner Online-Unternehmen ist seit fünf Jahren im Social Web aktiv. Als reines Online-Unternehmen hat Scout24 be- Media & Kommunikation → Medien 2011 Konsequente Strategie: Der Mobilfunkdiscounter Simyo nutzt das Social Web seit gut zwei Jahren und setzt es sehr erfolgreich für Branding, Service- und Krisenmanagement ein. reits früh begonnen, die Social MediaKanäle aktiv einzubinden. Zu den ersten Aktionen zählte ein Facebook-Account, den das Tochterunternehmen Immobilienscout24 vor gut zwei Jahren eröffnet hat. „Diese Community wird seit vier Monaten von uns aktiv moderiert, um Diskussionen anzuregen“, erläutert Ergin Iyilikci, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Scout24. Seitdem verzeichnet das Unternehmen eine wachsende Fan-Community. Innerhalb von vier Monaten stieg die Zahl der Nutzer, die den „Gefällt mir“-Button (ehemals Fan-Button) bestätigt haben, von 200 auf mehr als 2 000. Einen besonderen Service für Wohnungssuchende stellt der Twitter-Account „Wohnscouty“ dar, den Twitter-Nutzer für aktuelle Suchanfragen einsetzen. Die Abteilung Social Media Services durchsucht die Angebote und stellt für die Wohnungssuchenden passende Angebote zusammen, die mit der Plattform Immobilienscout verlinkt sind. Die Zahl der Follower, die das Unternehmen mit Wohnscouty generiert, sei unbedeutend. „Der Wohnscouty ist ausschließlich dialogorientiert angelegt – ein Folgen lohnt sich nicht“, ergänzt Iyilikci. Daneben betreibt die Scout-Gruppe eigene Communitys wie „Meine Nachbarschaft“ und „Autowissen 24“. „Sämtliche Aktivitäten dienen dazu, dem Unternehmen ein Gesicht zu geben“, betont Iyilikci. Um dem Ganzen einen professionellen Rahmen zu verpassen, hat das Unternehmen Anfang 2009 ein 56 absatzwirtschaft 9/2010 „Competence Center Social Web“ im Unternehmen installiert, das sich aus zwölf Mitarbeitern verschiedener Disziplinen zusammensetzt. Sie kümmern sich um den Wissensaustausch und den organisatorischen Ablauf aller Social Web-Aktivitäten. „Es ist aber ausdrücklich erwünscht, dass alle Mitarbeiter der Scout24-Gruppe in den Communitys aktiv sind“, betont der Unternehmenssprecher. Das Unternehmen hat Richtlinien verfasst, an denen sich die Mitarbeiter orientieren sollen, wenn sie in den OnlineNetzwerken mit den Kunden kommunizieren. „Natürlich gehört auch eine gute Portion Vertrauen in die Mitarbeiter dazu“, ergänzt der Experte. Selbst traditionelle Unternehmen wie die Alfred Ritter GmbH & Co. KG in Waldenbuch erachten den Kundenkontakt als wesentlichen Erfolgsfaktor für Marketing, Vertrieb und Marktforschung. Die Macht der Konsumenten hat der Hersteller bei der Ritter Sport-Sorte Olympia gespürt, die 2004 wegen geringer Absatzzahlen aus dem Sortiment genommen worden war. Die Herausnahme der Sorte rief bei den Schokoladen-Fans Empörung und Bedauern hervor. Das schwäbische Unternehmen erhielt darauf hin über 10 000 Verbraucherzuschriften. Sogar mit OnlineUnterschriften-Aktionen baten die Verbraucher den Hersteller um die Wiedereinführung der Sorte Olympia. Der Hersteller ließ sich nicht lange bitten, sondern nahm das Produkt im August 2009 wieder ins Sortiment auf. Um das Engagement der Unterstützer für die Marke zu nutzen, beschloss das Management, ein Co-Creation-Projekt zu starten, indem die Verbraucher aufgerufen wurden, die Marketingund Kommunikationsstrategie mit zu entwickeln. Die Herausforderung war, möglichst viele zur Teilnahme zu bewegen. „Wir wollten vor allem die echten RitterSport-Olympia-Fans aktivieren und involvieren. Sie sollten mitmachen und dafür sorgen, dass die Sorte ein Erfolg wird und lange auf dem Markt bleibt“, schildert Karin Klos, Leiterin Marktforschung bei Alfred Ritter, die Vorgehensweise. Das Unternehmen entwickelte dafür eigens das Blog www. ritter-sport-olympia.de, das über das Projekt informierte und die User aufforderte, ihre Ideen für Plakat-Slogans, TV-Spots, Anzeigen und anderes einzureichen, die per Online-Voting von Usern bewertet werden sollten. Um ausreichend Nutzer dafür zu begeistern, bewarb der Hersteller das Projekt auf der Videoplattform Youtube, bei Facebook und informierte die Medien über die Aktion – auch über Twitter. Mit Erfolg: Am Ende der fünfwöchigen Bewerbungsfrist lagen knapp 100 Videobeiträge und 1 000 Vorschläge für weitere Vermarktungsmaßnahmen vor. Mehr als 10 000 User beteiligten sich an der Abstimmung. Das Gewinnervideo wurde als TV-Spot Ende September 2009 einmalig ausgestrahlt. Aus den anderen Beiträgen entwickelte Ein Traditionsunternehmen verjüngt sich: Die Wiener Porzellanmanufaktur Augarten rief über das Web-Video „Augarten brennt“ Street-Art-Künstler auf, ihre Ideen auf Porzellan einzureichen. ↘ Mittelstand: Social Media bei Augarten Gerade für mittelständische Unternehmen stellt das veränderte Informationsverhalten eine große Herausforderung dar. Ein erfolgreiches Beispiel liefert die Wiener Porzellanmanufaktur Augarten. Das Traditionsunternehmen ist die zweitälteste Porzellanmanufaktur Europas mit Produkten von renommierten Designern aller Epochen, die weltweit sehr geschätzt sind. Auch modernes Design hat die Traditionsmarke im Sortiment. Trotzdem hing der Manufaktur der Staub der Vergangenheit an – bis vor gut zwei Jahren, als das Unternehmen begann, verstärkt junge Designer in die Produktentwicklung mit einzubeziehen. Aber das reichte der Marketingmanagerin Claudia Uth bei Weitem nicht aus. Sie hat sich das Ziel gesetzt, die Traditionsmarke mit unkonventionellen Mitteln zu verjüngen, um jüngere Käufer für Augarten-Porzellan zu begeistern. Ihre Idee war, einen Wettbewerb und eine Plattform für junge Künstler aus allen Genres zu schaffen, die gewöhnlich nicht mit Porzellan arbeiten, und dort anzusprechen, wo sie sich aufhalten: im Internet. Uth beauftragte die Agentur 4E7 mit der Konzeption und Umsetzung. Ritter den off iziellen TV-Werbespot. „So viel Einf luss haben Verbraucher noch nie auf die Markteinführung eines Produktes genommen“, resümiert Jürgen Herrmann, Geschäftsführer Marketing beim Schokoladenfabrikanten Alfred Ritter stolz. Ohne externe Unterstützung ging es aber auch bei Ritter nicht. Das 20-köpfige Marketingteam beauftragte die Agentur Elbkind aus Hamburg mit der Entwicklung und Der Wettbewerb sollte ausschließlich über die Social MediaKanäle Twitter, die Facebook-Seite „Paint the City“ und You tube verbreitet werden. Den Auftakt bildete eine Video-Botschaft mit dem Virtuelle-Street-Art-Aktivisten Net Ragua, der ankündigte, ein bedeutendes historisches Gebäude mit Graffiti-Kunst zu besprühen. Kurze Zeit später kursierte ein weiteres Video im Netz, das drei Aktionskünstler zeigt, die in die Manufaktur einbrechen und dort sämtliches Inventar mit Graffiti besprühen. Einige Tage später erfolgte über ein weiteres Video die Auflösung der Aktion und der Hinweis auf den Wettbewerb für Street-Art-Künstler „Augarten brennt“ auf der gleichnamigen Website. Interessierte Künstler konnten sich dort Templates herunterladen und Augarten-Porzellan virtuell gestalten, über das anschließend öffentlich auf der Website abgestimmt wurde. Der Contest war für Augarten ein voller Erfolg. 120 Entwürfe wurden innerhalb von nur drei Wochen nach Bekanntgabe des Contests eingereicht. Die Facebook-Gruppe „Paint The City“ sammelte innerhalb weniger Wochen 12 000 „Fans“. In zahlreichen Blogs ist Augarten präsent und begehrt – wie noch nie. ← Strategie sowie Fork Unstable Media mit der Umsetzung der Social MediaIdee. Auch künftig will Ritter die neuen Netzwerke einsetzen und das Blog als Markendach fortführen. Natürlich hat Ritter nicht nur Fans. Bei einem Genussmittel wie Schokolade, das bei übermäßigem Konsum dick machen kann, sind kritische Äußerungen programmiert. So war das Management im Frühjahr auch auf Fragen aus dem Verbraucherkreis vorbereitet, ob Ritter Palmöl von Lieferanten beziehe, die den Orang-Utans im indonesischen Urwald die Lebensgrundlage entziehe. Doch einzig die Umweltaktivisten von Greenpeace hatten ein Interesse an der Information, die der Hersteller mit Hinweis auf die Nachhaltigkeitsstrategie mit einem deutlichen „Nein“ beantworten konnte. ← absatzwirtschaft 9/2010 57