SWR2 OPER Moderationsmanuskript von Ulla Zierau Eugen d‘Albert: „Tiefland“ Sonntag, 05.07.2015, 20.03 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. 1 Opernabend in SWR2, heute mit „Tiefland“ von Eugen d’Albert – Musikdrama in einem Vorspiel und zwei Akten, uraufgeführt im Jahr 1903. „Tiefland“ ist die deutsche Antwort auf den italienischen Verismo, den Naturalismus auf der Opernbühne, ein Pedant zum Geschwisterpaar „CavPag“, das sind „Cavalleria rusticana“ von Pietro Mascagni und „I Pagliacci“ von Ruggero Leoncavallo. Dieses veristische Duo um Liebe, Eifersucht und Mord hatte in Italien und bald weltweit eine ungeahnte Erfolgswelle ausgelöst. Zeitgenössische Literatur als Libretto-Vorlage, wahre Emotionen und heftige Gefühlsausbrüche auf der Bühne, bis hin zu Mord und Todschlag, weg vom lange Zeit zelebrierten Belcanto hin zum ungekünstelten Gesang, zum lautem Schreien und Weinen. Mit ungeheurer Wucht brach diese neue Strömung in der Opernwelt ein. Viele wollten auf diesen veristischen Zug mit aufspringen, allein Eugen d’Albert ist es in Deutschland sehr erfolgreich gelungen, ein naturalistisches Bühnenwerk zu schaffen. „Tiefland“ basiert auf dem zeitgenössischen Schauspiel „Terra beixa“ des spanischen Schriftstellers Angel Guimera, ein Erfolgsstück, das in Paris, London und sogar in New York gespielt wurde. Rudolf Lothar übersetzte den Text ins Deutsche und fertigte für d’Albert ein Libretto an. In der Geschichte geht es um einen ehrlichen, gutgläubigen Hirten, der im Hochgebirge lebt und aus Liebe ins „Tiefland“ zieht, um dort eine Mühle zu übernehmen und – für ihn viel wichtiger – um zu heiraten. Zu spät bemerkt er, dass er zum Spielball des mächtigen Sebastianos, dass er Opfer einer Intrige geworden ist. Er wehrt sich und übt Rache. D’Albert, ein musikalischer Tausendsassa, ein hervorragender Pianist und erfahrener Theatermann hatte bereits ein Handvoll Opern geschrieben, bevor er sich mit „Tiefland“ befasste. Die ersten Ideen entstanden in enger Zusammenarbeit mit dem Librettisten Rudolf Lothar: Kürzungen, Änderungen und das frei erfundene Vorspiel. D’Albert drängte es an den Schreibtisch und ans Klavier, ungeduldig wartete er auf die fertige Handschrift und versprach Lothar fünfzig Mark für jeden Tag, den er vor dem vereinbarten Termin fertig werden würde. D‘Albert und Lothar setzten ganz bewusst auf inhaltliche Gegensätze: Hochland gegen „Tiefland“, also die luftige Höhe der Berge gegen die finstere Enge des tiefen Tals, oben herrschen Freiheit, Ehrlichkeit und Naturverbundenheit, unten in der Ebene herrschen dunkle Machenschaften, Verlogenheit und Intrigen – aufrichtige Liebe steht gegen sexuelle Gewalt, jung gegen alt, arm gegen reich. „Tiefland“ spielt in der Gegenwart auf einer Hochalpe in den spanischen Pyrenäen und in der katalanischen Ebene. Der Hirte Pedro steht im Dienste des reichen Gutsbesitzers Sebastiano. Hoch oben in den Bergen, fernab der Zivilisation hütet er dessen Rinder und Schafe. Gesellschaft, menschliche Nähe fehlen ihm nicht, allein er träumt von der großen Liebe, von einer Frau. Er wünscht sich eine Partnerin, die die Einsamkeit mit ihm teilt. Seinem Freund Nando, der auch einer von Sebastianos Hirten ist, vertraut er seine heimlichen Wünsche an. Nando kommt die Idee, doch einen Stein in die Luft zu werfen und aus der Richtung, die der Kiesel einschlage, möge dann die schöne Unbekannte erscheinen. Der Wunsch geht tatsächlich in Erfüllung. Aus dem Tal nähert sich Sebastiano, begleitet vom Dorfältesten Tommaso und einer gut 2 aussehenden jungen Frau. Es ist Marta, die in Sebastianos Mühle arbeitet. Als sie noch fast ein Kind war, nahm sich Sebastiano ihrer an, inzwischen hat er sie zu seiner gefügigen Geliebten gemacht. Um dieses Verhältnis zu vertuschen, soll Marta nun zum Schein den naiven Hirten Pedro heiraten. Als Mitgift soll er die Mühle erhalten. Gleichzeitig kann Sebastiano dann die Tochter eines reichen Bauern ehelichen und so seine aufgelaufenen Schulden begleichen. Marta ist alles andere als erfreut, doch wehren kann sie sich nicht, sie ist Sebastiano hörig. Wütend macht sie sich auf den Weg zurück ins „Tiefland“. Pedro hingegen kann sein Glück kaum fassen. Er glaubt, Gott habe ihm eine Lebensgefährtin zugeführt. Rasch läuft er ihr nach. Soweit die Handlung des Vorspiels aus der Oper „Tiefland“, In SWR2 nun die Industrie live-Aufnahme aus dem Wiener Konzerthaus vom 22. Januar 2003. Nach der instrumentalen Einleitung - mit dem immer wiederkehrenden Leitmotiv der Berge - unterhalten sich die beiden Hirten Pedro, Johan Botha und Nando, Raimond Very miteinander und Pedro beginnt mit seiner Traumerzählung. In den weiteren Rollen: Marta: Lisa Gasteen Sebastiano: Falk Struckmann Tommaso: Kwangchul Youn Bertrand de Billy leitet die Wiener Singakademie und das Radio-Symphonieorchester Wien „Tiefland“, Vorspiel = 28‘07“ Voller Hoffnung glaubt Pedro nach der Begegnung mit Marta an seine große Liebe, doch die Musik lässt vermuten, dass es finster wird im „Tiefland“. Das war das Vorspiel aus Eugen d’Alberts „Tiefland“, in einer live Aufnahme aus dem Wiener Konzerthaus 2003, Die Mitwirkenden sind: Pedro: Johan Botha Marta: Lisa Gasteen Sebastiano: Falk Struckmann Tommaso: Kwangchul Youn Nuri: Adriane Queiroz Nando: Raimond Very Moruccio: Jochen Schmeckenbecher Pepa: Anna Maria Pammer Antonia: Béatrice Petitet-Kircher Rosalia: Ulrike Pichler-Steffen Wiener Singakademie Radio-Symphonieorchester Wien Leitung: Bertrand de Billy 3 „Tiefland“ wurde nicht nur d‘Alberts erfolgreichste Oper, sondern überhaupt die populärste Oper auf deutschen Bühnen in der nach-wagnerianischen Ära. Man muss sich erinnern, wie leer und ideenarm das deutsche Musiktheater nach dem Tod Richard Wagners geworden war. Ein paar durchschnittliche Epigonen, ein paar einfallslose Eklektiker säumten die Spielpläne, aber weit und breit kein frischer Wind in deutschen Opernhäusern. Und dass nun ausgerechnet wieder die Italiener mit ihren veristischen Opern deutsche Bühnen und Herzen erobern sollten, das durfte nicht wahr sein. Da kam d‘Alberts „Tiefland“ wie gerufen. Ein veristisches, sprich naturalistisches Drama mit Menschen aus Fleisch und Blut. Ein mutiger Naturbursche, der gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung kämpft und am Ende gewinnt. Doch erst einmal musste d’Albert um seine Oper kämpfen. Bereits während der Proben an der Prager Oper gab es Probleme. Die Partie des Pedro galt als zu anspruchsvoll, zu dramatisch. Der vorgesehene Heldentenor Wilhelm Friedrich Josef Elsner war kurz vor der Uraufführung gestorben. Schnell musste ein Ersatz gefunden werden, der erkrankte und die Premiere wurde verschoben. D’Albert stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch und dann kam doch noch die gute Nachricht aus Prag: An Engelbert Humperdinck schrieb der Komponist: „Lieber Freund, gestern Abend denkbar größter Erfolg. Über vierzig Hervorrufe!“ Und tags drauf stand im Prager Tageblatt: „Ein Opernwerk aus der Feder eines Meisters vom Schlage d’Alberts ist immer ein Ereignis für sich, selbst wenn man von dem äußeren Erfolg absieht. Das von Lothar gedichtete, überaus spannende Textbuch übt einen von Anfang bis zum Ende fesselnden Eindruck. Aus seiner freien und natürlichen Poesie wächst die Musik d’Alberts ungezwungen hervor, so dass sich beide Momente des Werks völlig gleichwertig gegenüber stehen“. Aber es gab nicht nur Lob, sondern auch kritische Stimmen. Verleger und Intendanten warfen d’Albert die Abkehr von Wagner vor und verurteilten die Annäherung an den italienischen Verismo. „Tiefland“ wurde nicht mit offenen Armen begrüßt. D’Albert reiste mit der Partitur in der Tasche von Opernhaus zu Opernhaus und leistete Überzeugungsarbeit. Aber so recht wollte sich kein Alpenglühen in „Tiefland“ einstellen. Erst vier Jahre später gelang an der Komischen Oper in Berlin der Durchbruch. „Das Publikum raste, wie ich es noch nie bei einer Opernpremiere erlebt habe“, schrieb der Kritiker der Vossischen Zeitung und in der Berliner Zeitung stand: „„Tiefland“ hat seinen Triumphzug über die deutschen Bühnen angetreten“. 70 mal in Folge ging „Tiefland“ in Berlin vor ausverkauftem Haus über die Bühne, sensationell! Ein halbes Jahr später dirigierte d’Albert dort die 100. Aufführung. Endlich hatten die Deutschen auch ein neues, packendes, zu Herzen gehendes Liebesdrama. Der Erfolg riss nicht ab, „Tiefland“ blieb ein halbes Jahrhundert lang ein Dauerbrenner. Bis heute ist sie d’Alberts meist gespielte Oper und immer wieder tun sich interessante Neuinszenierungen auf 4 Der erste Akt der Oper spielt im Innern der Mühle. Neugierig fragen die Mägde Pepa, Antonia und Rosalia den Mühlknecht Moruccio, ob es stimme, dass Marta heiraten werde. Moruccio gibt keine Auskunft, er ist wütend, weil er selbst in Marta verliebt ist. Da stürzen sich die jungen Frauen auf Marta, doch sie schickt die geschwätzigen Mägde weg. Marta hadert mit ihrem Schicksal und ist verzweifelt über die bevorstehende Hochzeit. Voller Verachtung denkt sie an Sebastiano. Moruccio durchschaut das Spiel seines Dienstherrn und klärt den Gemeindeältesten, Tommaso darüber auf. Dieser will zunächst gar nicht glauben, was er da hört und möchte Sebastiano selbst befragen. Marta unternimmt einen letzten Versuch, Sebastiano von seinem Vorhaben abzubringen. Der lässt sich nicht umstimmen und besteht sogar darauf, Marta weiterhin als seine Geliebte zu behalten; denn Pedro sei ein Einfaltspinsel und eh nicht in der Lage, eine Frau zu befriedigen. Noch in der Hochzeitsnacht werde er, Sebastiano, ihr ein Zeichen geben und in ihre Kammer kommen. Während Marta und Pedro mit den Dorfbewohnern zur Kirche ziehen, kommt es in der Mühle zu einem Eklat: Moruccio lehnt sich gegen seinen Herrn auf. Das lässt sich Sebastiano nicht gefallen. Er wirft seinen Knecht hinaus. Da bricht die ganze Wahrheit aus Moruccio heraus. Er entlarvt Sebastianos Intrige. Endlich erkennt auch der Dorfälteste, was hier gespielt wird. Zu spät, die Trauung lässt sich nicht mehr verhindern. Das frisch vermählte Paar ist in die Mühle zurückgekehrt. Pedro zeigt seiner Angetrauten seinen ersten Taler, den er sich selbst verdient hat, und schildert, wie das geschah. Ein Wolf war in die Herde eingefallen und hat eines der Schafe gerissen. Im mutigen Kampf tötete Pedro das wilde Tier. Weil er sein Leben riskiert habe, erhielt er von Sebastiano den Taler. Marta ist beeindruckt. Mit einem Mal erkennt sie die Unschuld und Ehrlichkeit Pedros. Langsam wandelt sich ihre Abneigung in Sympathie. Als sie bald darauf Licht in ihrer Kammer sieht, ignoriert sie dieses Zeichen und verbringt die Nacht mit Pedro in der Wohnstube. Soviel zum Inhalt des ersten Aktes. Die Interpreten sind: Pedro: Johan Botha Marta: Lisa Gasteen Sebastiano: Falk Struckmann Tommaso: Kwangchul Youn Nuri: Adriane Queiroz Nando: Raimond Very Moruccio: Jochen Schmeckenbecher Pepa: Anna Maria Pammer Antonia: Béatrice Petitet-Kircher Rosalia: Ulrike Pichler-Steffen Wiener Singakademie Radio-Symphonieorchester Wien Leitung: Bertrand de Billy „Tiefland“, 1. Akt = 61‘56“ 5 D‘Alberts „Tiefland“ gilt in Anlehnung an Mascagnis „Cavalleria rusticana“ und Leoncavallos „Bajazzo“ als Pendant zum italienischen Versimus, als erste und zugleich erfolgreichste naturalistische deutsche Oper. Typisch hierfür sind die einfachen Menschen aus dem Dorf als Protagonisten der Oper. Das gesamte dörfliche Ambiente, die Knechte, Mägde und der Dorfälteste prägen die Handlung, wie es auch in „Cavallaria rusticana“ der Fall ist. Hinzu kommen die Naturverbundenheit und die Gottgläubigkeit. Pedros erste Worte im Vorspiel sind: “Ohe Gelobt sei Jesus Christus“. Jeden Abend betet er zwei „Vater unser“, er legt sein Leben in Gottes Hand. Typisch veristisch ist auch die körperliche Gewalt, die Marta erfahren muss, ebenso der Kampf mit dem Wolf und später der Kampf mit Sebastiano und dessen Tod. Musikalisch bringt d‘Albert diese heftigen Emotionen im Sprechgesang zum Ausdruck, und in der „Aria d’urlo“, in der Arie „mit dem Schrei“. Die Gesangsstimme geht in Schreien und Weinen über. Im Ganzen ist „Tiefland“ ein durchkomponiertes Werk, aber d’Albert integriert auch geschlossene, melodiöse Gesangsnummern in den fließenden Ablauf, er greift auf Lokalkolorit zurück, Alpenrufe und einfache Hirtenweisen, ebenso spanisches Flair, wie in dem von Kastagnetten begleiteten Tanzlied Sebastianos, mit dem er lüstern Marta zum Tanzen auffordert. Diese zum Teil schlichten Melodien haben wesentlich zur Popularität der Oper beigetragen. Endlich hatten die Deutschen mal wieder Melodien zum Mitsingen, Themen, in denen sie schwelgen konnten. Ungewöhnlich ist das gute Ende der Oper. Die Liebenden finden zueinander, finden einen Weg aus der schlechten Welt in die Freiheit. Die Natur ist hier wegweisend. Eugen d‘Albert ist mit „Tiefland“ eine vielseitige, spannende, hoch dramatische deutsche Oper nach der Ära Wagner gelungen, die zwar unter dem Einfluss des italienischen Verismo steht, aber dennoch eigene Maßstäbe gesetzt hat. Wir schauen uns den zweiten Akt an: Am Tag nach der Hochzeit überkommt Pedro ein seltsames Gefühl. Er vemutet einen Komplott gegen sich und will unbedingt herausbekommen, welches Verhältnis zwischen Sebastiano und seiner Frau besteht. Währenddessen schüttet Marta ihr Herz dem Dorfältesten Tommaso aus. Dabei erzählt sie ihm auch aus ihrer Jugendzeit, dass sie ohne Vater aufgewachsen, ihre Mutter blind gewesen sei und wie sie das Schicksal zu Sebastiano geführt habe. In der Nacht habe sie Gewissheit erlangt, dass Pedro nicht von Sebastiano „gekauft“ worden sei, sondern dass er sie aufrichtig liebe. Auch sie fühle sich jetzt zu ihm hingezogen. Der alte Tommaso empfiehlt ihr, ihrem Mann die volle Wahrheit zu erzählen. Nur auf diese Weise könne es gelingen, dass er wieder Vertrauen zu ihr fasse. Nach einer handfesten Auseinandersetzung erkennen die beiden jung Vermählten, dass sei etwas füreinander empfinden. Sie sinken sich in die Arme und fassen den Entschluss, gemeinsam in die Berge zu gehen. Als sie aufbrechen wollen, kommt Sebastiano dazwischen und beansprucht Marta erneut für sich. Der alte Betrüger hat inzwischen erfahren, dass Tommaso den Vater seiner Braut über seine Machenschaften und sein Verhältnis zu Marta aufgeklärt hat, so dass aus der 6 geplanten Hochzeit nichts mehr wird. So will er wenigstens Marta als Gespielin behalten. Pedro stellt sich schützend vor seine Frau. Da packt Sebastiano der Zorn und er schlägt wütend auf Pedro ein. Es kommt zu einem heftigen Kampf auf Leben und Tod. Pedro ist der Stärke, wie er einst mit dem Wolf gekämpft, überwältig und erdrosselt er Sebastiano Marta und Pedro hält jetzt nichts mehr im „Tiefland“. Gemeinsam ziehen sie hinauf ins Gebirge. „Tiefland“ 2. Akt = 48‘48“ 7