Der Zug steht Die Wende kommt

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Wochenzeitung für Politik Wirtschaft Wissen und Kultur
Irre erfolgreich
Begnadete Manager,
Spitzenpolitiker oder
Firmenchefs haben oft
eine psychische Störung.
Wir leiden an ihnen –
und profitieren dabei
Wirtschaft SEite 19
Preis Deutschland 4,50 €
DIE ZEIT
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DIE ZEIT
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14. August 2013 No 34
Plötzlich groß!
Ein Jugendheft
Foto [M]: Fredrik Brodén; www.reneerhyner.com
Irre erfolgreich
Begnadete Manager,
Spitzenpolitiker oder
Firmenchefs haben oft
eine psychische Störung.
Wir leiden unter ihnen –
und profitieren dabei
Aufschwung in Europa
ZEITmagazin
Wirtschaft SEite 19
Deutsche bahn
Die Wende kommt Der Zug steht
Kurz vor der Wahl ebbt die EU-Krise ab. Für die Kanzlerin ist das
ein Geschenk. Aber ist es auch ihr Verdienst? Von mark schieritz
M
an könnte meinen, Angela
Merkel habe die Zahlen bestellt. Pünktlich zu Beginn der
heißen Phase des Wahlkampfs
geht in Europa die längste
Rezession der Nachkriegszeit
zu Ende. In Deutschland wächst die Wirtschaft
bereits jetzt rasant, bald schon dürfte sie auch in
den Südstaaten wieder zulegen.
Dieser Sommer könnte damit als Wendepunkt in der bislang schwersten Krise der Europäischen Union in die Geschichte eingehen. Um
die Bedeutung dieser Entwicklung zu erfassen,
muss man sich nur einmal vor Augen führen,
welche Horrorszenarien in den vergangenen Monaten die Runde machten: Zerfall der Währungsunion, Ende des europäischen Projekts, Aufstände, Massenarmut, Demokratie in Gefahr.
Nicht Spinner, sondern seriöse Ökonomen
und Journalisten haben sich das ausgedacht.
Falsch war es trotzdem. Es gibt den Euro noch,
und statt an der Spaltung Europas zu arbeiten,
wird die nächste Stufe der Integration, werden
gemeinsame Regeln für die Banken der EuroZone vorbereitet.
Gewiss, noch bleibt die Lage fragil. Das
Wachstum ist bei Weitem nicht stark genug, um
die dringend benötigten Arbeitsplätze entstehen
zu lassen. Und die Schulden sind nach wie vor zu
hoch. Diese Krise wird die Deutschen also noch
einmal Geld kosten, schon kurz nach der Wahl
ist ein neues Hilfspaket für die Griechen fällig.
Aber das wird Deutschland nicht ruinieren –
und die Erholung der europäischen Konjunktur
lässt nun hoffen, dass auch künftig das Schlimmste verhindert werden kann.
Die Sache mit der Krise und der
Kanzlerin ist ein wenig vertrackt
Die Krise galt in diesem Wahlkampf immer als
offene Flanke der Kanzlerin. Bei der Bundestagswahl im September wird eine Partei antreten, die
eigens gegründet wurde, weil die Belastungen für
die Deutschen durch die Euro-Rettung angeblich ins Unermessliche steigen und die Wirtschaft in den Südländern trotzdem hoffnungslos
verloren sein soll. Insofern ist die Wende für
Angela Merkel das größtmögliche Geschenk.
Aber ist sie auch ihr Verdienst?
Die Sache mit der Krise und der Kanzlerin ist
ein wenig vertrackt, was einerseits an der Krise
liegt und anderseits an der Kanzlerin. Angela
Merkels Unnachgiebigkeit in den ersten Monaten des Dramas hat dazu beigetragen, dass in
Südeuropa überfällige Reformen begonnen wurden. Das zahlt sich jetzt aus. Von Lissabon bis
Athen wurden Arbeitsmärkte flexibilisiert und
Kosten gesenkt. Spanien hat seine Ausfuhren zuletzt so stark gesteigert wie kein anderes großes
Euro-Land. All das wäre vielleicht nicht geschehen, wenn die Bundesregierung einfach nur
Geld an klamme Staaten verteilt hätte.
Doch die Kanzlerin trägt auch eine Mitverantwortung dafür, dass aus der griechischen Misere ein Flächenbrand werden konnte, der die
gesamte Währungsunion bedroht. Merkel hat in
Griechenland Sparauflagen durchgesetzt, die so
hart waren, dass sie die Wirtschaft erdrückten.
Und die Drohung, Schuldenstaaten zur Not aus
der Euro-Zone auszuschließen, führte dazu, dass
die internationalen Geldgeber ihr Kapital aus
den betroffenen Ländern abzogen. Damit ging es
erst richtig bergab, weil plötzlich die Kredite
knapp und teuer wurden.
Es ist kein Zufall, dass sich die Lage ausgerechnet jetzt verbessert. In den vergangenen Monaten haben alle Krisenstaaten erheblich mehr
Zeit für das Erreichen ihrer Defizitziele bekommen. Die Regierungen mussten also weniger rabiat kürzen, was die Wirtschaft schont. Vor allem
aber hat Notenbankpräsident Mario Draghi mit
seinem Versprechen, die Währungsunion um jeden Preis zusammenzuhalten, die Panik an den
Finanzmärkten beendet. Seither fließt wieder
Geld nach Südeuropa. Die Konjunkturwende ist
die Folge einer Politikwende, von der bisher
kaum jemand etwas mitbekommen hat – das ist
die erste Wahrheit dieses Sommers.
Angela Merkel hat – die zweite Wahrheit –
diese Politikwende mitgetragen. Sie hat sie nicht
verhindert, obwohl die kompromisslose Haltung
aus den Anfangstagen der Krise in der Bevölkerung immer noch populär ist. Vielleicht weil das
von Anfang an ihr Plan war, sehr wahrscheinlich
aber, weil sie irgendwann erkannt hat, dass sich
die alte Strategie nicht durchhalten lässt. Für
Letzteres spricht, dass sich an der Rhetorik der
Kanzlerin wenig verändert hat. Nach wie vor
prägen Sparappelle die Reden von Angela Merkel – und sie stehen in einem zunehmend merkwürdigen Gegensatz zu ihrem Handeln.
Das führt zu der etwas bizarren Situation,
dass die Wende zwar auch Angela Merkels Verdienst ist – aber aus Gründen, über die sie selbst
im Wahlkampf nicht so gerne spricht. Es ist die
Frage, wie lange sich dieser Spagat durchhalten
lässt. Denn die Krise wird den Deutschen in den
kommenden Monaten noch eine Menge ab­
verlangen. Banken müssen saniert, neue Hilfspakete beschlossen werden. Die Deutschen werden wissen wollen, wofür ihre Regierung steht.
Es gab in dieser Krise eine Phase, in der nur
ein radikaler Souveränitätsverzicht der Nationalstaaten und die Zentralisierung der Finanzpolitik in Brüssel einen Ausweg zu bieten schienen.
Wenn das so wäre, hätte der Euro keine Chance,
weil ein solcher Superstaat nicht durchsetzbar ist.
Es ist aber nicht so. Europa hat sich – der Rettungsfonds ESM ist dafür nur ein Beispiel – Institutionen und Instrumente gegeben, um Krisen
wirkungsvoll zu bekämpfen und vielleicht sogar
zu verhindern. Viel mehr ist vorerst zumindest
unter funktionalen Gesichtspunkten nicht nötig.
www.zeit.de/audio
Sandra, Marius und
Janina erzählen vom
Erwachsenwerden
Immer neue Pannen erzürnen die Fahrgäste. Der Bund als
Eigentümer schimpft mit. Aber das ist verlogen Von kerstin bund
E
s ist ein deutsches Ritual: Die Bahn
baut Mist, die Fahrgäste beschweren
sich. Die Medien berichten über
Fahrgäste, die sich beschweren, dass
die Bahn schon wieder Mist gebaut
hat. Dann schalten sich die Politiker
ein und fordern, die Bahn müsse endlich aufhören,
Mist zu bauen.
Das Ritual setzt sich reflexartig in Gang, nur
der Auslöser kann variieren. Mal sind es vereiste
Oberleitungen, mal ausgefallene Klimaanlagen.
Mal verspätete Züge, mal überfüllte Waggons.
Oder es ist die S-Bahn-Krise in Berlin, die sich
zum größten Verkehrschaos nach dem Krieg auswuchs. Im jüngsten Fall sind es fehlende Fahrdienstleiter, die so etwas wie Fluglotsen des deutschen Schienennetzes sind. Ohne sie bewegt sich
in Deutschland kaum ein Zug.
Weil sieben der 15 Fahrdienstleiter am Stellwerk in Mainz krank oder im Urlaub sind, läuft
der Hauptbahnhof nur noch im Notbetrieb.
Jede zweite Regionalbahn fällt aus, die meisten
Fernzüge rauschen an der Landeshauptstadt vorbei, am Abend fahren nur Busse. Tausende Pendler sind betroffen. Und es könnten noch viel
mehr werden. Die Situation sei überall im Land
angespannt, räumt die Bahn ein.
Was läuft da eigentlich schief? Die erste
Dampflokomotive fuhr 1835 von Nürnberg
nach Fürth. Die Deutschen fahren schon viel
länger Zug, als sie Auto fahren. Warum also häufen sich gerade in letzter Zeit die Vorfälle? Warum scheint die Zeit nach einem Bahn-Chaos
nur die Vorbereitung auf das nächste zu sein?
Auf einen Schuldigen können sich am Ende
eigentlich alle einigen: Hartmut Mehdorn. Der
ehemalige Bahn-Chef habe die Bahn auf dem
Weg an die Börse kaputtgespart. Ein jahrelanger
Sparwahn sei verantwortlich dafür, dass es heute
von allem zu wenig gebe: zu wenig Reservezüge,
zu wenig Weichenheizungen, zu wenig Fahrdienstleiter. Und der heutige Bahn-Vorstand tue
nicht genug, um die Not zu lindern. Der Konzern fahre auf Kante.
All das stimmt, trifft aber nicht den Kern.
Das Chaos gründet auf dem Dilemma
zwischen Gewinn und Gemeinwohl
Das Problem der Bahn ist auch das Problem des
Bundes. Der Bund ist der Eigentümer, doch er
vernachlässigt seinen letzten großen Staatskonzern.
Die Politiker im Aufsichtsrat interessieren sich nur
dann für das Unternehmen, wenn das Volk zürnt
(zugegeben: Es zürnt häufig). Sie wollen von der
Bahn eigentlich nichts wissen. Sie wollen nur, dass
die Bahn keinen Ärger macht. Doch Ärger ist im
System, das der Bund der Bahn auferlegt hat, programmiert. Dieses System gründet auf dem Dilemma, auf das der Kölner ICE-Achsenbruch, die
Berliner S-Bahn-Krise und jetzt das Mainzer Stellwerk-Desaster zurückzuführen sind: das Dilemma
zwischen Gewinn und Gemeinwohl.
Dieses Dilemma ist nun knapp 20 Jahre alt.
Davor war die Bahn eine Behörde, schwerfällig,
marode und heruntergewirtschaftet. Anfang der
neunziger Jahre schrieb sie Milliardenverluste,
die Personalkosten lagen höher als der Gesamtumsatz, die Schulden waren gewaltig. Die Bundesbahn war ein Sanierungsfall.
Das musste sich ändern, darüber waren sich
alle einig. Die Bahn-Reform von 1994 machte
aus der Deutschen Bundesbahn die Deutsche
Bahn AG. Aus einer Riesenbehörde wurde ein
Zwitterwesen: eine Bahn, die handelt wie ein
normales Wirtschaftsunternehmen, aber gleichzeitig für alle da ist. Die Reform sollte noch mehr
bringen: mehr Markt, mehr Wettbewerb, mehr
Qualität, mehr Verkehr auf der Schiene. Zugleich sollte die Bahn dem Bund nicht länger auf
der Tasche liegen, ja, endlich Gewinne machen
und später dann an die Börse gehen. Gewinne
machte sie aber nur, indem sie eisern sparte.
Die Politiker haben all das im Aufsichtsrat
abgesegnet. Sie haben es mitgetragen, dass sich
die Bahn in einen internationalen Logistikriesen
verwandelte. Sie haben dem Börsengang und
dem Sparkurs zugestimmt, und wäre die Finanzkrise nicht dazwischengekommen, würde die
Bahn heute privaten Aktionären gehören.
Der Bund hat der Bahn freie Hand gelassen
und war froh, dass das Unternehmen sich gut
entwickelt hat. Gewinnmaximierung wurde zum
Leitziel der Bahn-Manager – und die Volks­
vertreter nahmen die 500-Millionen-Euro-Dividende gern an, die der Konzern zuletzt Jahr um
Jahr ablieferte. Endlich warf die Bahn etwas ab!
Der Bund behandelt sie wie ein normales
Unternehmen, nur ist sie keines. Die Bahn betreibt nicht nur Güter- und Personenzüge, ihr
gehört auch das Schienennetz, auf dem diese
fahren. Darin offenbart sich das ganze Dilemma.
Die Infrastruktur muss zum »Wohl der All­
gemeinheit« ausgebaut und erhalten werden. So
steht es im Grundgesetz. Deshalb bezuschusst
der Staat Gleise und Bahnhöfe mit jährlich rund
vier Milliarden Euro.
Doch solange Netz und Betrieb unter einem
Dach angesiedelt sind, kann die Bahn-Holding
mit Monopolgewinnen aus der Netzsparte Verluste aus anderen Bereichen ausgleichen. Hier
widersprechen sich unternehmerische Gewinnorientierung und die Verpflichtung zur Versorgung. Deshalb sollte man der Bahn das Netz
wegnehmen und es einer strengen staatlichen
Aufsicht unterstellen.
Die Bahn gehört den Bürgern. Ihr Geld ist
unser Geld. Keiner kann die Behördenbahn zurückwollen, als Kunden noch Beförderungsfälle
hießen. Die Bahn darf Gewinne machen, aber
nicht um jeden Preis und nicht zulasten der
Fahrgäste. Es wird Zeit, zu entscheiden, welche
Bahn wir wollen: eine Bahn für die Bürger oder
eine Bahn für die Börse. Beides geht nicht.
www.zeit.de/audio
Liebe und Tod
in Bayreuth
Die Festspiele –
rezensiert von
Helene Hegemann
Feuilleton, Seite 45
Wer hat Angst vor
Frau Weber-Wulff,
Deutschlands
berühmtester
Plagiatsjägerin?
Chancen, Seite 65
Prominent Ignoriert
WC
Lichtblick
Das Verwaltungsgericht München
hat die Klage eines Polizisten, der
sich auf dem WC den Finger in
der Tür eingeklemmt hatte und die
Arztkosten erstattet haben wollte,
mit der Begründung abgewiesen,
der Gang auf die Toilette sei dienstlicher, ihre Benutzung aber »privatwirtschaftlicher Natur«. Dass dem
Staat, dem nichts Privates mehr
heilig ist, der Zugriff auf ein letztes
Refugium gerichtlich entzogen
wurde, ist ein Lichtblick.
GRN
Kleine Bilder (v.o.n.u.): Kathrin Spirk für DZ;
Leonie Hahn; DZ
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o
N 34
6 8. J a h rg a n g
C 7 45 1 C
4 190745 104500
34
Wirtschaft
1 4 . Au g u s t 2 0 1 3
D I E Z E I T No 3 4
20 000 neue Mängel
Ein Gutachten dokumentiert
das Desaster beim
Berliner Großflughafen S. 27
19
Titelgeschichte: Irre erfolgreich
Foto: Stéphane Gautronneau
Man hat den Aufstieg großer Persönlichkeiten stets als Erfolgsgeschichte erzählt. Womöglich
verbergen sich dahinter aber auch Krankengeschichten. Sind Genie und Wahnsinn ein und dasselbe?
Eine Seelenschau unserer Mächtigen – und ein Test: Wer ist ein Psychopath? (Seite 20)
Wahnsinns-Typen
Multimilliardär Richard
Branson: Nur eitel
– oder narzisstisch?
Wie gestört muss man sein, um Besonderes zu leisten? Erstaunlich viele Chefs sind psychisch auffällig Von Kerstin Bund und Marcus Rohwetter
E
ine Frage der Weltgeschichte:
Muss man außergewöhnlich sein,
um Außergewöhnliches zu leisten? Und was heißt außergewöhnlich? Bloß wunderlich, ganz
speziell intellektuell, mental auffällig oder sogar psychisch gestört? Da ist die Studie der Cass Business School in
London, in der mehr als jeder dritte Firmengründer bekennt, Legastheniker zu sein. Die Lese- und
Rechtschreibstörung tritt bei Unternehmenslenkern demnach achtmal häufiger auf als im Durchschnitt der Bevölkerung.
Oder ADHS. Studenten mit dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom, so haben Forscher der Erasmus-Universität Rotterdam beobachtet,
werden später mit überdurchschnittlich großer Wahrscheinlichkeit ein Unternehmen gründen.
Es kann sogar ganz schlimm kommen: Konzernkarrieristen sind übermäßig häufig gefährliche Irre.
In den Führungsetagen von Unternehmen finden sich
dreieinhalbmal so viele Psychopathen wie im Durchschnitt der Bevölkerung, wie Robert Hare, Psychologe und Forensiker aus Vancouver, und der New
Yorker Unternehmensberater Paul Babiak durch
Hunderte von Interviews herausgefunden haben.
Zwischen Legasthenie und Psychopathie liegt
eine gewaltige Spanne von mentalen Defiziten –
sie reicht von der Rechenschwäche bis zum Narzissmus, von der Depression über die bipolare
Störung bis hin zum Autismus. Mal sind die Leiden relativ harmlos, mal schwerwiegend. Und alle
diese Verrücktheiten stehen in einer seltsamen Verbindung zum beruflichen Erfolg.
Selbst ins Fernsehen hat das Phänomen schon
gefunden: Die CIA-Agentin Carrie Mathison jagt in
der gefeierten US-Serie Homeland wie besessen Terroristen. Ihre Erkrankung, die manisch-depressive
Störung, ist das Geheimnis ihres Erfolgs. Oder der
von Phobien geplagte Superdetektiv Adrian Monk,
der mit seiner absurden Logik jeden Fall löst. Auch
im realen Leben sind Sonderlinge mit sozialen Defiziten oder mentalen Störungen auf einmal gefragt;
Softwarefirmen umgarnen eigenbrötlerische Computerfreaks; Hedgefonds reißen sich um verschrobene Zahlen-Nerds; Politiker preisen exzentrische
­Firmengründer: Die Arbeitswelt hat sich zu einem
Eldorado für Sonderlinge entwickelt.
Psychisch Auffällige sitzen tatsächlich bemerkenswert häufig in den Topetagen von Unternehmen,
Kultureinrichtungen und Parteibüros. Dort, wo es
auf besondere Fähigkeiten und Führungsqualitäten
ankommt, trifft man Menschen mit Außenseiter­
hirnen. Zum Beispiel Mark Zuckerberg, Anfang 30:
Der Chef des Milliardenunternehmens Facebook
kann bis heute seinem Gegenüber kaum in die Augen
schauen. Welche Rolle würde so jemand als junger
Mensch heute auf dem Schulhof spielen? Wohl die
des sozialen Sonderlings. Und dann definiert aus­
gerechnet so einer das Verständnis von Freundschaft
und sozialer Beziehung neu. Und macht damit ein
Vermögen. »Züge von Asperger-Autismus« attestiert
ihm ein ehemaliger Facebook-Manager. Zuckerberg
gebe »kaum aktives Feedback oder eine Rückmeldung, dass er dir zuhört«, schrieb der einstige Mitarbeiter auf dem Internetportal Quora.
Oder Richard Branson. Der Flugliniengründer
und Weltraumreise-Pionier pflegt als in die Jahre gekommener Milliardär noch pubertäre Gockeleien.
Im Frührentenalter ließ er sich fotografieren, wie er
beim Kitesurfen die Elemente bezwingt – umklammert von einem nackten Model. Wo verläuft hier die
Grenze zwischen »normaler« Eitelkeit und einer ernsthaften narzisstischen Störung?
Oder Steve Jobs. Zu seinen Lebzeiten galt der
Chef von Apple als Charismatiker und Choleriker.
Vor allem aber galt er als jemand, der in die Zukunft
sah. Er verlieh Dingen Gestalt, die andere noch nicht
einmal erkennen konnten. Er war schwerer Legastheniker, erfolgloser Student – aber ein Visionär.
Man hat die Geschichten vieler großer Persönlichkeiten immer als Erfolgsgeschichten herausragender
Talente erzählt. Aber womöglich sind es zugleich
Krankengeschichten. Dann müsste man sich zwei
Fragen stellen: Ist Genie und Wahnsinn doch ein und
dasselbe? Muss man ein Abweichler sein, um Besonderes zu leisten?
Aus einem psychisch Kranken wird
womöglich der Manager des Jahres
Durchaus möglich, meint Nassir Ghaemi, Psychiatrieprofessor in Boston, der erstaunliche »Zusammenhänge zwischen psychischen Störungen und Führungsfähigkeiten« entdeckt hat. Der Wissenschaftler
glaubt, dass die Karrieren etlicher großer Männer aus
Politik, Militär und Wirtschaft ohne ihre Krankheitsschübe anders verlaufen wären. »Wenn Frieden
herrscht, und das Staatsschiff nur auf Kurs bleiben
muss, eignen sich geistig gesunde Führer. Wenn
unsere Welt aber in Aufruhr gerät, eignen sich geistig
kranke Führer am besten«, behauptet Ghaemi in
seinem Buch A first-rate madness (»Erstklassiger
Wahnsinn«). Er nennt seine Theorie the inverse law
of sanity, das umgekehrte Gesetz der Vernunft, was
zur alten Psychiater-Weisheit passt: »In guten Zeiten
behandeln wir sie, in schlechten regieren sie uns.«
Das Problem, vor dem Forscher wie Ghaemi
stehen: Geistige Leiden sind schwer zu beweisen, die
Grenzen zwischen Normalsein und Wahnsinn oft
fließend. Präzise Diagnosen sind aus der Ferne kaum
möglich. Die Betroffenen müssten schon bereit sein,
sich untersuchen zu lassen. Doch wer erfolgreich und
gesellschaftlich anerkannt ist, legt sich freiwillig kaum
auf die Couch oder in die Röhre. Seine Krankheit
geht als Spleen durch. Und aus einem Fall für den
Therapeuten wird jemand, der Grenzen überwindet
und Wunder vollbringt. Aus einem psychisch Kranken wird womöglich der Manager des Jahres.
Nassir Ghaemi hat sich deshalb einen Kniff einfallen lassen: Er erforscht die psychischen Leiden von
Verstorbenen. Dafür wälzt er Biografien, studiert
Krankenakten, spricht mit Zeitzeugen. Dem britischen Staatsmann Winston Churchill zum Beispiel
bescheinigt Ghaemi schwere Depressionen. Er, der
sein Land durch den Zweiten Weltkrieg navigierte
und darüber hinaus den Literaturnobelpreis gewann,
bezeichnete seine Krankheit als seinen »schwarzen
Hund«, der ihn treu begleite, bis ins hohe Alter. Weil
Churchill Angst hatte, sich während eines Krankheitsschubs das Leben zu nehmen, mied er zeitlebens
Felsvorsprünge und Bahnsteigkanten. Er fürchtete:
»Eine spontane Aktion würde alles beenden.«
Gerade depressive Phasen, argumentiert Ghaemi,
hätten Churchill geholfen, herausragende Führungsqualitäten zu entwickeln. Die bewies er in der
schwersten Krise des vergangenen Jahrhunderts.
1930, weit vor allen anderen, warnte er vor den
Nazis und drang auf eine militärische Aufrüstung.
Als Arthur Neville Chamberlain das Münchner Abkommen mit Hitler unterzeichnet hatte, verweigerten nur Churchill und eine Handvoll Abgeordnete
dem Premier den Applaus und blieben demonstrativ
auf den Parlamentsbänken sitzen. Sie wurden ausgebuht – und hatten doch recht. »Depressive sehen
die Welt tendenziell klarer, mehr so, wie sie ist«,
schreibt Ghaemi. Wer kein Vertrauen ins Leben und
in die Zukunft hat, lässt sich nicht täuschen. Auch
bei Willy Brandt gingen finstere Tage mit einer
klarsichtigen Politik einher.
Fortsetzung auf S. 20
Krankheitsbilder
Psychopathie
Wer unter Psychopathie leidet, fällt zunächst
­positiv auf. Betroffene gelten als äußerst
­charmant, authentisch, selbstsicher und wort­
gewandt. Sie haben eine durchschnittliche bis
leicht überdurchschnittliche Intelligenz. Ihnen
fehlt jedoch jegliche Empathie, und sie scheuen
soziale Verantwortung. Dabei neigen sie sehr stark
zu impulsiven Reaktionen. Sie verspüren Genugtuung, wenn sie andere Menschen manipulieren
Autismus
und kontrollieren können. Unter Psychopathie
versteht man eine schwere Form der dissozialen
Persönlichkeitsstörung. Die Krankheit wurde
erstmals vom US-amerikanischen Psychiater
Hervey M. Cleckley im Jahre 1941 be­
schrieben, ist jedoch bis heute nicht als
­Diagnose anerkannt. Erkrankte haben einen
erhöhten Dopamin- und Serotoninspiegel.
Eine Therapie ist nur sehr schwer möglich. SIH
Menschen mit Autismus haben Probleme, soziale
Situationen richtig einzuschätzen und mit anderen
Menschen angemessen zu kommunizieren. Es
handelt sich dabei um eine tief greifende Ent­
wicklungsstörung. Unterschieden wird zwischen
frühkindlichem Autismus, atypischem Autismus
und dem Asperger-Syndrom. Weil die Abgrenzung
zunehmend schwerfällt, wird heute oft der Oberbegriff Autismus-Spektrum-Störung verwendet.
Woher Autismus kommt, ist unklar. Wahrscheinlich wirkt mehreres zusammen: Schädigungen am
Gehirn, biochemische Störungen und die Gene.
Menschen mit Asperger, benannt nach einem Wiener Kinderarzt, der diese milde Form des ­Autismus
1944 erstmals beschrieb, besitzen eine normale bis
überdurchschnittliche Intelligenz. Etwa 6 von
1000 Menschen sind Autisten, die Hälfte von
­ihnen leidet am Asperger-Syndrom. keb
Kleine Arbeit,
schlechte Arbeit
Wer Altersarmut vermeiden will,
muss die Minijobs beschränken
Wie konnte es passieren, dass ausgerechnet
die fleißigen Deutschen die Lust an den
Überstunden verloren haben? Innerhalb
von fünf Jahren sank die Zahl der durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden um
20 Prozent – trotz anziehender Konjunktur. Wie erklärt sich, dass ausgerechnet die
Deutschen eine Nation der Teilzeitarbeiter
wurden? Jeder dritte Beschäftigte in
Deutschland hat keine volle Stelle, wir liegen damit in internationalen Vergleichen
ganz weit vorn.
Aus einer gerade veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine
Anfrage der Linken lassen sich klare Antworten auf diese Fragen herauslesen. Wirklich hören will sie in den letzten Wochen
des Wahlkampfs freilich fast niemand. Das
Fazit aus diesen Antworten lautet: Die
nächste Regierung muss die Regeln für Minijobber ändern. Sie sollten zwar nicht abgeschafft werden, wie es die Linke fordert.
Aber diese Jobs dürfen nicht so billig bleiben wie bisher, weil das zu Tricksereien einlädt und Altersarmut produziert wird.
Die Statistik zeigt, dass mittlerweile
2,66 Millionen Menschen zusätzlich zu ihrem Hauptberuf einen Minijob erledigen.
Für Überstunden müssen Beiträge an die
Kranken- oder Rentenversicherung gezahlt
werden, für die Zweitjobs dagegen in der
Regel nicht. Das ist ungerecht und wird sich
für viele Betroffene im Alter rächen. Denn
was er im Erstjob verdient, reicht längst
nicht bei jedem, um eine Altersversorgung
aufzubauen. Und den Sozialversicherungen
wird Geld entzogen, das sie mittelfristig
dringend brauchen.
Minijobs sind beliebt bei Arbeitnehmern
und Arbeitgebern, deshalb traute sich bisher
keine Regierung wirklich an Begrenzungen
heran. Die schwarz-gelbe Koalition hat die
Regeln sogar gelockert, so gibt es inzwischen
fast sieben Millionen Minijobber. Das erklärt auch die hohe Zahl der Teilzeitkräfte.
Wer bei Teilzeit nur an Mütter kleiner Kinder denkt, die halbtags ins Büro gehen und
damit glücklich sind, hat ein falsches Bild.
Gerade Frauen in Minijobs wollen Umfragen zufolge oft mehr Stunden pro Woche
arbeiten. Für ihre Arbeitgeber ist das wegen
der geltenden Minijob-Gesetze meist nicht
attraktiv.
Das zu ändern wäre eine wirksame Maßnahme gegen Altersarmut, die zu verhindern ja angeblich allen wahlkämpfenden
Parteien ein großes Anliegen ist. Und es
wäre viel billiger als die milliardenschweren
Rentengesetze, die gerade gegen Altersarmut
versprochen werden, von denen aber wenig
finanzierbar ist.
ELISABETH NIEJAHR
60
S ekunden für
Flexibilität
Fleischverächter sollte man nicht über einen
Kamm scheren. Es gibt Vegetarier, Veganer
oder Frutarier, die nur Fallobst essen. Wissenschaftler der Universitäten Göttingen und
Hohenheim haben überdies herausgefunden,
dass knapp zwölf Prozent der Deutschen sogenannte Flexitarier sind. Flexitarier darf sich
nennen, wer nur gelegentlich ein Steak vertilgt;
er muss sich nicht mehr mit dem gemeinen
Fleischesser in einen Topf werfen lassen.
»Flexi« also. Das trifft den Nerv der Zeit,
in der viele nach dem Motto leben: Alles kann,
nichts muss. Auf diesen Trend springen Telekom-Firmen auf, wenn sie Flexi-Tarife anbieten, Fluggesellschaften, wenn sie Flexi-­
Tickets verkaufen, und Versicherungen, wenn
sie für Leistungen, die früher zur Grundsicherung gehörten, nun »CCS flexi ZB«-Policen
verkaufen. Dass es keiner versteht, versteht sich
von selbst. Aber es klingt gut. Das dachte
sich wohl auch die Bundesfamilienministerin.
Mit ihrer »Flexi-Quote« will Kristina Schröder
nun Unternehmen verpflichten, eine flexible
Frauen­quote für Führungsjobs einzuführen.
Flexi-Quote klingt nicht so nach Regulierung.
Früher hätte man Selbstverpflichtung gesagt,
aber das klingt ja nicht mehr modern.
Die Deutsche Bank sollte sich daran ein
Beispiel nehmen. Statt ihre Manager auf
einen sperrigen Begriff wie Kulturwandel
einzuschwören, könnten sie den Flexi-­
Banker einführen – einen, der nur halbtags
spekuliert. Caspar Tobias Schlenk
20 wirtschaft
Testen Sie sich selbst!
Weisen Sie sich (oder Ihrem Chef )
einen Wert zu:
Trifft völlig zu: 2 Punkte
Trifft teilweise zu: 1 Punkt
Trifft gar nicht zu: 0 Punkte
Dann zählen Sie alle Punkte zusam­
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14. Au g u s t 2013
D I E Z E I T No 3 4
Fotos: Zuma Press/action press, Werner Schuering/imagetrust, Newspix/action press (v. l.)
Sind Sie ein
Psychopath?
Titelgeschichte: Irre erfolgreich
Dimension 1:
Aggressiver Narzissmus
sprachgewandter Blender mit
oberflächlichem Charme
erheblich übersteigertes
Selbstwertgefühl
krankhaftes Lügen
betrügerisch-manipulatives
Verhalten
Mangel an Schuldbewusstsein
oberflächliche Gefühle
Gefühlskälte, Mangel an
Empathie
übernimmt keine Verantwortung
für sein Handeln
Dimension 2:
Antisoziales Verhalten
Erlebnishunger
schmarotzerhafter Lebensstil
Verhalten nicht unter Kontrolle
frühe Verhaltensauffälligkeiten
Fehlen von realistischen
langfristigen Zielen
Impulsivität
Verantwortungslosigkeit
Jugendkriminalität
Verstoß gegen
Bewährungsauflagen
weitere Punkte:
Promiskuität
viele kurzzeitige eheähnliche
Beziehungen
vielgestaltige Kriminalität
Die Auswertung
Maximal können 40 Punkte erzielt
werden, ab 25 Punkten
diagnostizieren forensische
Psychiater eine Psychopathie
(Kriterien nach Robert Hare)
Präsident John F. Kennedy war manisch rastlos
Ferdinand Piëch kämpft mit den Buchstaben
zählen neben Steve Jobs auch die Gründer von Kon­
zernen wie Ford, General Electric, IBM und Ikea.
Auch Charles Schwab (der Gründer des gleichnami­
gen Finanzmaklerunternehmens), John Chambers
(der Chef von Cisco) und Ferdinand Piëch (VW)
John F. Kennedy steht für ein anderes Extrem. kämpften mit dem Gewimmel der Buchstaben.
Beim »Zappelphilipp-Syndrom« ADHS, das
Ghaemi attestiert dem jungen amerikanischen Prä­
sidenten manische Züge, die sich oft in völlig über­ ebenfalls bei zahlreichen Firmengründern zu finden
steigertem Tatendrang äußerten. Obwohl Kennedy ist, geht die Vermutung in eine andere Richtung:
körperlich sehr angeschlagen war, arbeitete er wie ein Jemand, der sich nicht lange auf eine Sache konzen­
Besessener. Er las Manuskripte im Gehen, diktierte trieren kann und sich schnell langweilt, ist vielleicht
ohne Unterlass Briefe und Memos, konnte Hände ein Chaot, aber eben auch ein Quell immer neuer
und Füße kaum still halten. Was andere Präsidenten Ideen. Er ist kreativer und risikofreudiger als andere.
in einem Jahr an Regierungserklärungen und Ge­
Eines sollte dabei aber nicht vergessen werden:
setzesanträgen bewältigten, erledigte Kennedy in Psychische Leiden und mentale Störungen jeder Art
gerade mal zwei Monaten. Zwei Stühle verschliss der sind kein Glück für den Betroffenen. Im Normalfall
umtriebige Präsident im Weißen Haus durch per­ ist eine Krankheit auch kein Karrierebeschleuniger.
manentes Wippen und Aufspringen. Seine Besessen­ Oft zerstört die Diagnose nicht nur das Leben der
heit und, damit verbunden, die Begeisterungs­ Betroffenen, sondern auch das ihrer Familie und
ausbrüche eines Manikers trugen viel zum glänzenden Freunde. Das wohl prominenteste Beispiel ist die
Geschichte des genialen Mathematikers und Spiel­
Image bei, das Kennedy bis heute anhaftet.
Je nach Umgebung gelangen sehr unterschiedliche theoretikers John Forbes Nash, die unter dem Titel
Abnormitäten und psychische Auffälligkeiten zu A Beautiful Mind ein Massenpublikum im Kino be­
ihrer Blüte. Andy Grove, einer der Gründer des Chip­ geisterte. Nash litt unter Schizophrenie und gewann
konzerns Intel, hat in den neunziger Jahren ein Buch den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.
mit einem prophetischen Titel geschrieben: Nur die
Vor einiger Zeit verblüffte der ebenso kauzige wie
Paranoiden überleben. Man hat Grove damals ironisch geniale Mathematiker Grigori Perelman die Öffent­
verstanden, aber der Mann dürfte es todernst gemeint lichkeit, als er für die Lösung eines mathematischen
haben. Paranoia äußert sich oft als Verfolgungswahn Jahrhunderträtsels die Fields-Medaille, eine Art Ma­
und ist eigentlich eine behandlungsbedürftige Krank­ thematik-Nobelpreis, sowie eine Million Dollar Preis­
heit – kann aber in einer wettbewerbsintensiven geld ablehnte. Er hätte zur Verleihung nach Madrid
Branche zum entscheidenden Plus werden.
reisen müssen. Nach Medienberichten verlässt der
Denn wer überall Verfolger und Verräter wittert, akademische Eremit äußerst ungern seine Dreizim­
tut alles, um Wettbewerber früh aus dem Weg zu merwohnung, in der er mit seiner Mutter am Rande
räumen. So wie Gina Rinehart, die mächtige austra­ von St. Petersburg lebt.
lische Bergbauunternehmerin, eine der reichsten
Schon vor 2500 Jahren brachte Aristoteles Genie
Frauen der Welt. Rineharts
und Wahnsinn in einen Zu­
Kosmos besteht aus zwei Lagern:
sammenhang. Doch erst im 19.
aus Verbündeten und aus Fein­ »Es gab diverse
Jahrhundert entwickelte der ita­
den, die sie ums Erbe bringen
lienische Psychiater Cesare Lom­
wollen. Über Jahre zerrte die Phasen, in denen wir
broso daraus eine bekannte
eisenharte Lady ihre Stiefmutter psychiatrischen
Theorie. Diese wurde wiederum
vor Gericht und bezichtigte sie
Anfang des 20. Jahrhunderts
des Mordes an ihrem Vater. Sie Erkrankungen mal
stark angezweifelt, etwa von dem
setzte Privatdetektive auf sie an, mehr und mal weniger britischen Naturforscher Francis
bestach Zeugen, die ihre Wider­
Galton. Dieser war überzeugt,
sacherin mit Falschaussagen aufgeschlossen
dass Genialität nur einem gesun­
belasten sollten, und bewirkte
den Geist entspringen könne.
schließlich eine Autopsie ihres gegenüberstanden«
»Seither gab es diverse Phasen,
Vaters. Diese ergab, dass der Niels Birbaumer, Neuropsychologe
in denen wir psychiatrischen Er­
82-Jährige eines natürlichen
krankungen mal mehr und mal
Todes gestorben war. Ihre eige­
weniger aufgeschlossen gegen­
nen Kinder zwang Rinehart, Schweigeabkommen überstanden. Derzeit befinden wir uns in einer tole­
zu unterzeichnen, die es ihnen verbieten, schlecht ranten Phase«, sagt der Neuropsychologe Niels Bir­
über die Mutter zu reden.
baumer von der Universität Tübingen.
Restlos geklärt ist sie nicht, die Frage, wie psy­
Zwischen Genie und Wahnsinn liegt ein schmaler
chische Leiden und beruflicher Erfolg zusammen­ Grad, der mitunter in den Abgrund führen kann. Vor
hängen, aber es gibt Erklärungsversuche. Zum Bei­ allem dann, wenn Kontext, Krankheit und Karriere
spiel bei der Lese- und Rechtschreibstörung. So auf unheilvolle Weise zusammenwirken. Dann hat
­lernen Legastheniker schon in der Schule, Arbeit ab­ auch das Böse seinen Platz auf der Karriereleiter.
»Schlangen in Anzügen«, so nennen der Psy­
zugeben, indem sie Mitschüler oder Mütter dazu
bringen, die Hausaufgaben für sie zu machen. Die chologe Robert Hare und der Unternehmensbera­
Fähigkeit, Aufgaben zu delegieren, die anderen die ter Paul Babiak die psychisch gestörten Aufsteiger,
Kleinarbeit machen zu lassen und sich derweil ums die auf ihrem Weg an die Spitze erst die anderen,
Große und Ganze zu kümmern, zeichnet Führungs­ dann dem ganzen Unternehmen und letztlich
kräfte aus. Die Erklärung mag sich simpel anhören, auch sich selbst schaden. Der Tübinger Psychologe
aber fest steht, dass viele prominente Legastheniker Birbaumer würde ihnen gerne eine echte klinische
ökonomische Weltreiche erschaffen haben. Dazu Diagnose stellen, kommt aber nicht nah genug an
Fortsetzung von S. 19
Wahnsinns-Typen
Milliardärin Gina Rinehart wittert vielerorts Feinde
sie heran: »Ich bin sicher, dass ein erheblicher Teil verfügen über Eigenschaften, die im Beruf sehr nütz­
der Topmanager erfolgreiche Psychopathen sind, lich sein können: Sie halten sich für grandios, können
aber ich kann es nicht beweisen. Dafür müsste ich extrem charmant sein, kennen weder Skrupel noch
sie in den Kernspintomografen stecken«, sagt er. Reue oder Angst, scheuen kein Risiko und wissen,
So könnte er die aktiven und die abgeschalteten wie man andere geschickt für seine Zwecke einsetzt.
Hirnregionen erkennen und beobachten.
Sie sind Meister der Manipulation.
Wohl niemand beherrschte das besser als Adolf
Kevin Dutton hat eine andere Methode gewählt,
um sich Psychopathen anzunähern: Er ist selbst einer Hitler, der vielleicht schlimmste Irre der Welt­
geworden. Der britische Psychologe unterzog sich geschichte, der die Psychopathie gewissermaßen
einem »psychopathischen Umstyling«. Dafür ließ er zur Staatsform erhob.
Dutton wollte nicht nur wissen, was Psycho­
sich auf einem speziell präparierten Zahnarztstuhl
festschnallen, seinen Kopf mit einem Geschirr fixie­ pathen erfolgreich macht, sondern auch, in welchen
ren und setzte diesen einem elek­
Berufen sie häufig anzutreffen
sind. In einer groß angelegten
tromagnetischen Feld aus. Dabei
Studie setzte er britischen Be­
wurde – vereinfacht ausgedrückt »Ich fühlte mich
rufstätigen einen Persönlich­
– jener erdnussgroße Bereich
keitstest vor, mit dem er psy­
seines Gehirns, der dafür verant­ großartig! Es war ein
chopathische Merkmale ab­
wortlich ist, wie wir Dinge emp­ bisschen, wie
fragte. Die Berufe mit dem
finden, deaktiviert. Für eine
höchsten Anteil an Psychopa­
halbe Stunde fühlte Dutton wie betrunken zu sein,
then waren – in dieser Reihen­
ein Psychopath. Und erschrak aber ohne die
folge – Vorstandsvorsitzende,
über sich selbst: Beim Anblick
Anwälte, Rundfunkjournalis­
von Fotos von Verstümmelten, Trägheit. Ich platzte
ten, Verkäufer, Chirurgen.
Gefolterten und Hingerichteten,
auf die er zuvor im Gehirnscan vor Selbstbewusstsein« Auch Geistliche und Beamte
noch heftig reagiert hatte, zeigte Kevin Dutton, Psychopathenexperte waren unter den Top Ten.
er nun keinerlei Regung. Sein
»Psychopathen lieben Macht­
Puls blieb ruhig, die Gehirn­
strukturen, die sie manipulieren
ströme glitten in sanften Wellen dahin. Hätte er sich und kontrollieren können. Manche Berufe bieten
vorher beim Anblick der Bilder noch fast übergeben, dafür ein ideales Umfeld«, sagt Dutton. Ein Manager,
sagte er jetzt: »Um ehrlich zu sein, fällt es mir schwer, der unter großem Druck harte Entscheidungen
ein Lächeln zu unterdrücken.«
treffen und andere ausstechen kann, ist erfolgreicher
Zum ersten Mal spürte Dutton am eigenen als einer, der sich in Selbstzweifeln ergeht. Ein Straf­
Leib, was allen Psychopathen fehlt: die Fähigkeit verteidiger, der seinen Mandanten rücksichtslos ver­
zur Empathie. Mit Entsetzen stellte der Gelehrte tritt, bringt es weiter als einer, der Mitleid mit dem
fest, dass es sich in dieser Gefühlskälte wunderbar Opfer hat. Ein Chirurg, der sich von seinem Patien­
leben lässt. »Ich fühlte mich großartig! Es war ein ten emotional ganz und gar distanziert, operiert wo­
bisschen, wie betrunken zu sein, aber ohne die möglich präziser. So argumentiert Dutton.
Trägheit und Müdigkeit von Alkohol. Ich war
Erfolgreiche Business-Psychopathen sind dabei
enorm fokussiert und platzte vor Selbstvertrauen.« nicht unbedingt weniger gestört als inhaftierte Ge­
Dutton trägt eine auffällige Hornbrille, das nach waltverbrecher. Das zeigt eine Studie der beiden
hinten gekämmte Haar fällt auf ein rosafarbenes Psychologinnen Belinda Board und Katarina Fritzon
Hemd mit Blümchenmuster. Er empfängt im altehr­ aus dem Jahr 2005, die die Wesenszüge von 39 bri­
würdigen Magdalen College der Oxford-Universität, tischen Firmenchefs mit denen von über tausend
das sich rühmt, sieben Nobelpreisträger hervor­ Insassen der englischen Hochsicherheitsklinik Broad­
gebracht zu haben. Dutton führt durch den von Efeu moor verglichen. Das Ergebnis: Die Wirtschafts­
umrankten Innenhof mit den spitzen Türmchen und führer übertrafen die verhaltensgestörten Kriminellen
den hohen Fenstern, umrundet den perfekt getrimm­ sogar in manchen Eigenschaften, die Psychopathen
ten Rasen, der so aussieht, als hätte ihn noch nie je­ zugeschrieben werden. Sie traten noch herrischer auf,
mand betreten. Sein Büro liegt im neueren Teil des zeigten noch weniger Mitgefühl und waren noch
Colleges, wobei in Oxford als neu gilt, was nicht älter besser darin, andere zu manipulieren.
als 300 Jahre ist. Wo einst der Literaturwissenschaft­
Das bedeutet: Die Kombination aus mangelnder
ler C. S. Lewis, der Verfasser der Chroniken von Empathie und fehlender Angst vor den Folgen des
Narnia, sein Arbeitszimmer hatte, serviert Dutton eigenen Handelns kann einen Menschen je nach
Tee mit Zitrone, entschuldigt sich für die fehlenden Umstand zu einem blutrünstigen Ted Bundy machen
Biskuits und versinkt in einem Polstersessel.
oder zu einem smarten James Bond.
Auch in Richard Fuld, einstiger Chef der Plei­
Auf dem Tisch liegt Duttons neuestes Werk, das
vor wenigen Monaten auf Deutsch erschienen ist: te-Bank Lehman Brothers, deren Zusammenbruch
Psychopathen: Was man von Heiligen, Anwälten und den Ausbruch der globalen Finanzkrise markiert,
Serienmördern lernen kann. Man fragt sich natürlich, erkennen manche einen Paradepsychopathen.
ob man überhaupt etwas von ihnen lernen will. Sind Fuld, auch bekannt unter dem Spitz­namen Goril­
Psychopathen nicht diese blutrünstigen Serienkiller, la, drohte in einem internen Firmenvideo Wider­
die Frauen verstümmeln und Kinder verscharren? sachern an, ihnen das Herz bei lebendigem Leibe
»Das sind nur die extremsten Vertreter, die früher herauszureißen und es zu verschlingen. Das USoder später im Gefängnis landen.« Für Dutton sind Magazin Time wählte Fuld unter die »25 Men­
das die erfolglosen Psychopathen – die weitaus grö­ schen, die die Finanzkrise verschuldet haben«.
ßere Zahl, glaubt Dutton, laufe frei herum und sei
Darüber, ob die Finanzkrise das Werk von Psycho­
im Job sogar überaus erfolgreich. Denn Psychopathen pathen ist, lässt sich nur spekulieren. Aber es ist
Krankheitsbilder
Narzissmus
Wer unter einer narzisstischen Persönlichkeits­
störung leidet, hat ein geringes Selbstwertgefühl
und lehnt sich selbst ab, versucht dies jedoch
durch übertriebenes Selbstbewusstsein nach außen
zu kaschieren. Narzissten überschätzen dabei deut­
lich ihre Fähigkeiten, sind aber der Meinung, dass
ihre Mitmenschen sie genau so sehen, wie sie sich
selbst sehen. Um ihr Ansehen zu steigern, bauen
sie nicht selten Lügenkonstrukte auf. Bei Miss­
Manie
erfolgen fühlen sie sich erniedrigt und wertlos
und können mit Kritik schwer umgehen. Die
Klassifikation ICD-10 der Weltgesundheits­
organisation kennt die narzisstische Persönlich­
keitsstörung nicht als Diagnose. Unter einer
narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden
mehr Männer als Frauen, insgesamt aber weniger
als ein Prozent der Bevölkerung. Nur sehr
­wenige Betroffene lassen sich behandeln. sih
Die Manie wird teilweise als das Gegenteil einer
Depression angesehen und ist die einzige
psychische Störung, die von vielen Kranken als
angenehm empfunden wird (weshalb sich wenige
Betroffene auf eine Therapie einlassen. Ver­
schriebene Medikamente werden häufig nicht ein­
genommen). Manisch Kranke haben meist eine
heitere Stimmung und eine persönlich erhöhte
Leistungsfähigkeit, die allerdings mit dem Verlust
von Hemmungen und nicht selten mit Selbst­
überschätzung bis hin zum Größenwahn ein­
hergeht. Bei einigen ist eine extrem erhöhte Reiz­
barkeit festzustellen. Die Betroffenen haben oft
verschiedene Gedanken gleichzeitig und können
diese nicht richtig ordnen und verarbeiten. Im
Größenwahn werden häufig finanzielle Ver­
pflichtungen eingegangen, die im Normalzustand
­niemals in Erwägung gezogen würden. sih
Titelgeschichte: Irre erfolgreich wirtschaft 21
D I E Z E I T No 3 4
Fotos: Topham Picturepoint/United Archives, Sören Andersson/Scanpix/danapress, Elena Dorfman/Redux/laif (v. l.)
1 4 . Au g u s t 2 0 1 3
Der britische Premier Winston Churchill war depressiv
Ikea-Gründer Ingvar Kamprad hat Rechtschreibprobleme
Autismus ist eine unheilbare Entwicklungsstöplausibel, dass in einer kompetitiven und auf kurzfristige Gewinne ausgerichteten Geschäftswelt rung, bei der Wahrnehmung und Verarbeitung von
Psychopathen leichter nach oben gelangen.
Informationen beeinträchtigt sind. Viele Autisten
Dutton glaubt sogar, dass unsere Gesellschaft sind arbeitsunfähig und können ihren Alltag ohne
insgesamt psychopathischer wird. Eine Meta- Hilfe nicht meistern. Aber gerade diejenigen mit
Analyse der US-Psychologin Sara Konrath mit Asperger-Syndrom, einer milden Ausprägung von
mehr als 13 000 amerikanischen Collegestuden- Autismus, unterscheiden sich in Intelligenz und
ten zeigt, dass die Empathiewerte zwischen 1979 Sprachvermögen nicht von anderen Menschen. Nur
und 2009 kontinuierlich abnahmen, am deut- tun sie sich mit den einfachen Dingen im Leben
lichsten war der Abfall nach dem Jahr 2000. Die enorm schwer. Der Kinofilm Rain Man, in dem
Studenten zeigten immer weniger Anteilnahme Dustin Hoffman einen genialen Autisten spielt, der
für Menschen, denen es nicht so gut ging wie mit seinem Bruder (Tom Cruise) durch Amerika
ihnen. »Gleichzeitig hat der Narzissmus in dieser tourt, hat das Leiden Millionen Menschen zum
Zeit zugenommen mit dem stärksten Anstieg in ersten Mal nähergebracht. Autisten haben Probleden vergangenen zehn Jahren«, sagt Dutton.
me, soziale Situationen richtig einzuschätzen und
Die Folgen können gewaltig sein, wenn einfluss- mit anderen Menschen zu kommunizieren. Jede
reiche Narzissten zerstörerisch wirken. »Wir muss- Mimik, jede Geste ist für sie ein Code, den sie mühten den Mann schließlich rausnehmen, weil die sam knacken müssen. Sie lernen Gesichter zu lesen
ganze Organisation nach und nach in Schockstarre wie andere chinesische Schriftzeichen. Menschliche
verfiel«, erzählt der ehemalige Personalchef einer Begegnungen bedeuten für sie Stress. Sie vermeiden
international operierenden Großbank über den Ex- Blickkontakt, Smalltalk empfinden sie als Qual, was
Vorstandsvorsitzenden einer nationalen Tochter. ihre Routine stört, bringt sie aus der Fassung. Schon
»Der CEO hatte alle Anzeichen einer narzisstischen ein Blumentopf, der nicht an seinem gewohnten
Störung und glaubte, besser zu sein als alle anderen. Platz steht, kann eine Krise auslösen.
Dann begann er, ausschließlich Menschen um sich
Etwa ein Prozent der Bevölkerung lebt mit einer
zu versammeln, die ihm bedingungslos zustimmten. Form von autistischer Störung. Der Softwaregigant
Wer ihn kritisierte, flog raus.«
SAP hat sich nun verpflichtet, diese Quote auch bei
Lange sei die Entwicklung unbemerkt geblieben, seinen Angestellten zu erreichen. SAP hat weltweit
erinnert sich der Personaler. Und selbst als das Ver- 66 000 Mitarbeiter, Hunderten von Autisten winkt
halten auffiel, habe sich die Bank nur schwer von nun also ein Arbeitsplatz. Diese Aktion ist keine
dem Chef trennen können. Denn auf dem Papier Wohltätigkeitsveranstaltung, denn SAP glaubt, dass
waren die Ergebnisse des Topmanagers prächtig, an Autisten in der Welt der Computerprogramme
den Umsätzen und Gewinnen der von ihm gelenk- Spitzenleistungen vollbringen können.
Viele Autisten sind sehr geschickt im Umgang
ten Tochtergesellschaft war nichts auszusetzen.
Zudem konnte er gegenüber seinen eigenen Vor- mit Zahlen, Daten, Formeln. Ihr Blick für Degesetzten äußerst charmant und überzeugend auf- tails und ihre Vorliebe für Regeln sind ideale
Voraussetzungen für die Artreten. Dass ihn seine narzissbeit mit Algorithmen. Comtische Störung schließlich doch
puter funktionieren nach biden Job kostete, lag daran, dass »Sehen Sie sich die
nären Regeln, sie haben eine
es kaum ein Mitarbeiter bei
klare Struktur und eine logiihm aushielt. »Er feuerte viele Internetunternehmen
sche Sprache und müssen
Leute, die besten gingen frei- der vergangenen
nicht erst mühsam entschlüswillig, weil sie so nicht mehr
selt werden. Maschinen sind
weiterarbeiten wollten«, erzählt Jahre an. Deren
berechenbarer als Menschen.
der ehemalige Personalchef. Führungskräfte sind
»Wir bekommen unglaub­
»Die Bank verlor auf diese
lich viele Bewerbungen, seit
Weise viel wertvolles Know- alle auf irgendeine
wir unseren Plan publik gehow. Lange wäre das nicht
Art autistisch«
macht haben«, sagt Anka
mehr gut gegangen.«
Wittenberg, Chief Diversity
Mit Entwicklungsstörun- Peter Thiel, Silicon-Valley-Investor
Officer bei SAP und verantgen und psychischen Leiden ist
wortlich für das Autismuses wie mit Dr. Jekyll und Mr.
Hyde. Psychopathen oder Narzissten können ein Programm. In den Büros im indischen Bangalore
Unternehmen zum Erfolg führen oder es zugrunde habe der Konzern schon einige Erfahrung gerichten. Oder beides – in dieser Reihenfolge. Ein sammelt. Dort arbeiten Autisten seit zwei Jahren,
manischer Manager kann ungeahnte Kreativität »sie sind so weit integriert, dass sie mittlerweile
freisetzen oder seine Mitarbeiter in den Wahnsinn selbstständig zur Arbeit kommen können, ohne
treiben. Ein depressiver Chef kann Weitsicht ent- dass sie von Familienmitgliedern begleitet werwickeln oder in Tatenlosigkeit verfallen. Es kommt den müssen. Stellen Sie sich diesen Freiheits­
also sehr darauf an, in welche Richtung eine Krank- gewinn vor«, sagt Wittenberg.
heit ausschlägt. Und wie die Umgebung reagiert –
SAP profitiert von den Neuen, weil Autisten oft
ob sie die Störung auffängt oder sie noch verstärkt. »ein fotografisches Gedächtnis haben und Fehler
Es kommt aber auch darauf an, was eine Ge- sehr schnell erkennen«, sagt die Managerin. Zum
Beispiel entdecken sie kleinste Fehler in seitenlansellschaft für »normal« hält.
Der deutsche Softwarekonzern SAP hat diese gen Programmcodes besser als andere. Autisten
Definition als eines der ersten Unternehmen er- üben auch solche Tätigkeiten überdurchschnittlich
weitert. Vor wenigen Wochen kündigte die Firma gut aus, die sich sehr oft wiederholen. Außerdem
an, gezielt auch Autisten einzustellen.
habe sich das Betriebsklima gewandelt. »Menschen
Mark Zuckerberg vermeidet oft Blickkontakt
mit Autismus verstehen keine Ironie und keinen Sarkasmus, sie benötigen eine klare Kommunikation. Dies
kommt allen Mitarbeitern zugute. Seit die Teams gemischt sind, geht man höflicher und ehrlicher mitein­
ander um«, sagt Wittenberg.
Demnächst soll das Programm auch in den SAPBüros in Palo Alto im Silicon Valley starten. Die Gegend südlich von San Francisco wird von Firmen wie
Google, Facebook und Apple beherrscht, sie gilt als
Brutstätte des Nerds, jenes sozialen Sonderlings, der in
analogen Dingen zwar ein Problemfall ist, im digitalen
Kosmos aber ein Held. Mit komplizierten Programmcodes und Formeln jonglierend, wurde er zum Leitbild
einer ganzen Generation. In der Fernsehserie Big Bang
Theory wird dem Nerd ein Denkmal gesetzt.
Im Silicon Valley scheint Asperger schon fast
zum Gencode eines erfolgreichen Unternehmers zu
gehören. The Geek Syndrome nannte das Technologiemagazin Wired den Asperger-Autismus einmal,
das Computerfreak-Syndrom. Microsoft-Gründer
Bill Gates werden autistische Züge zugeschrieben.
Craig Newmark, der Gründer des erfolgreichen
Kleinanzeigenportals Craigslist, hat einmal gesagt,
die Symptome kämen ihm »auf unbehagliche Weise
vertraut« vor. Peter Thiel, einer der frühen Investoren in Facebook, erzählte vor zwei Jahren im New
Yorker von den besonderen Menschen im Tal der
digitalen Wunder: »Sehen Sie sich all die Internetunternehmen der vergangenen zehn Jahre an«, sagt
er. »Deren Führungskräfte sind alle auf irgendeine
Art und Weise autistisch.« Im Valley kursiert der
Witz, das ganze Internet sei von Autisten für Autisten erfunden worden.
Tatsächlich gibt es in der Region überdurchschnittlich viele Menschen mit autistischen Symptomen. Die
Diagnose trifft eines von 88 Kindern. Kein Zufall. Der
Autismusforscher Simon Baron-Cohen hat herausgefunden, dass Cambridge-Studenten, die Mathematik, Physik oder Ingenieurwesen studieren, mit größerer Wahrscheinlichkeit autistische Verwandte haben
als etwa Literaturstudenten.
Gerade der Umgang mit dem Asperger-Syndrom
zeigt, wie produktiv es sein kann, die Definitionen des
Normalen zu allen Zeiten infrage zu stellen. Vielleicht
brauchen neue Zeiten neue Menschen. Es könnte ja
sein, dass Erfindungen und unerwartete Entwicklungen der Arbeitswelt die Stärken der Schwachen zutage treten lassen. Dass das Anderssein sich plötzlich
als evolutionärer Vorteil entpuppt. Dass als genial entdeckt wird, was eben noch als krank galt. Und dass die
Verlierer von gestern die Gewinner von morgen sind.
Besonders
häufig arbeiten
Psychopathen als ...
1. Firmenchefs
2. Anwälte
3. TV- und
Radiojournalisten
4. Verkäufer
5. Chirurgen
6. Printjournalisten
7. Polizisten
8. Geistliche
9. Köche
10. Beamte
ZEIT-Grafik/Quelle: Kevin Dutton:
»Psychopathen ...«, dtv 2013
I Weitere Informationen im Internet:
w ww.zeit.de/management
Mit dem Strom
schwimmen.
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ADS und ADHS
Unter des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms
­versteht man eine bereits meist im Kindesalter
entstehende psychische Störung, die sich vor
­allem durch fehlende Aufmerksamkeit und impulsives Verhalten zeigt. Bei der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
kommt noch ein übermäßiger Bewegungsdrang
hinzu, der vor allem in Gruppensituationen
stark auftritt. Ungefähr 50 Prozent der Kinder,
die an ADHS leiden, haben die Symptome auch
noch im Erwachsenenalter. Rund drei Viertel
der Betroffenen sind männlich. Nach Ansicht
der meisten Wissenschaftler handelt es sich um
eine Hirnstoffwechselstörung. Die ADHS-­
Diagnose ist eine reine Aus­schluss­dia­gno­se, die
Krankheit kann daher niemals zweifelsfrei
­nachgewiesen werden. Den Kranken kann eine
Verhaltenstherapie helfen.
sih
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