Teil I : Einleitung

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Berlin 2008
Musik und Politik in Zeiten politischer Transition
Der Beitrag von Musik zur politischen Bewusstseinsbildung: eine Analyse am
Beispiel Westafrikas
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1
INHALTSVERZEICHNIS
Teil I : Einleitung ................................................................................................3
Teil II: Erfassung des Verhältnisses von Musik und Politik.................................7
II.1: Eine Desozialisierung von Musik ?.................................................................8
II.2: Forschungsstand............................................................................................10
II.2.a: Die Musikwissenschaften und die populäre Musik...........................12
II.2.b: Das Paradigma der Musiksoziologie.................................................17
II.2.c: Die kulturwissenschaftliche Sicht......................................................20
II.3: Entwurf eines Forschungsansatzes .............................................................23
II.3.a: Methodologie der Wirkungsforschung kultureller Praxis .................25
II.3.b: Das Beispiel der Reggae-Musik auf Jamaika ...................................27
II.3.b: Zwischenfazit ....................................................................................33
Teil III: Die politische und kulturelle Dekolonisierung Westafrikas..................34
III.1 Dekolonisierung und kulturelle Identität.....................................................36
III.1.a: Staats- und Identitätsbildung............................................................37
III.1.b: kulturelle Assimilation und kulturelle Selbstbefreiung ...................39
III.1.c: Der Künstler als Agent der kulturellen Befreiung ? ........................40
III.2: Sonderbeispiel Westafrika ? ......................................................................42
III.2.a: Traditionelle Funktion und Funktion von Tradition.........................44
III.2.b: Von Griots und Musikbeamten .......................................................46
III.2.c: Musik und Kulturpolitik im postkolonialen Westafrika...................48
III.3: Entstehung und Entwicklung der populären Musik ................................52
III.3.a: Dekolonisierung und fünfziger Jahre ...............................................52
III.3.b: Verwestlichung des Afrikanischen oder Afrikanisierung des
Westlichen ?.................................................................................................55
III.3.c: Zwischenfazit : ein neues afrikanisches Bewusstsein ? ..................61
Teil IV: Musik und politischer Prozess im gegenwärtigen Westafrika ..............64
IV.1 : Interaktionen zwischen Musik und politischem Prozess .........................65
IV.1.a: Konkrete Beispiele der sozialen Reflexion und Mobilisierung durch
Musik............................................................................................................68
IV.1.b: Die Verbreitung von kritischer Musik in autoritären Staaten..........73
IV.2: Rezeption von populärer Musik .................................................................74
IV.2.a: Populäre Musik als Bestandteil der afrikanischen
Medienlandschaft ? ......................................................................................75
IV.3: Sozialpolitische Wenden durch Musik ? Das Beispiel Senegals................79
TEIL V: FAZIT...................................................................................................82
Quellenverzeichnis..............................................................................................84
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2
Musik und Politik in Zeiten politischer Transition: Der Beitrag von Musik zur
politischen Bewusstseinsbildung : eine Analyse am Beispiel Westafrikas
Teil I : Einleitung
Dass Musik eine soziale Wirkung haben kann, ist in Gesellschaft und Wissenschaft alles
andere als unumstritten. Als ich mit den Forschungsarbeiten für diese Analyse anfing, ist mir
bei Einsicht in die Sekundarliteratur aus Musik- und Kulturwissenschaften klar geworden,
dass dieser Aspekt von Musik und musikalischer Praxis, nämlich ihre Verbindung zu
gesellschaftlichen Prozessen, gerade seit der Verbreitung der so genannten „populären“ Musik
in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts heftig debattiert wird. Was für mich als
aktiver Musiker eine Selbstverständlichkeit war -Musik könne in bestimmter Weise auf
gesellschaftspolitische Prozesse einwirken- hat sich als ein Postulat herausgestellt, dessen
Erläuterung aus sozialwissenschaftlicher Sicht eine beträchtliche Herausforderung darstellt.
Vor dem Hintergrund der Frage nach dem Beitrag von Musik zur politischen
Bewusstseinsbildung in Afrika steht die Erkundung des Verhältnisses von Musik als Kunstund Ausdrucksform und von Politik als ein Komplex gesellschaftlicher Prozesse, der sich
über Interessenbildung, Einflussnahme und Entscheidungen gestaltet. Bevor man sich dem
afrikanischen Kontinent und seinen vielen Besonderheiten widmen kann, ist daher der
Versuch unumgänglich, diese Verbindung von Musik und musikalischer Praxis zu
gesellschaftspolitischen Prozessen zu erfassen, sowie die Debatte darzustellen, welche über
dieser Frage schwebt; Eine Debatte, die, obwohl sie im Laufe der Jahre zwischen Musik-,
Sozial- und Kulturwissenschaften zum Selbstläufer wurde, die Vielfältigkeit und Komplexität
der Modalitäten von musikalischer und politischer Praxis sowie ihre zahlreichen
Berührungspunkte zu Tage gebracht hat.
Warum Musik ?
Der erwähnte wissenschaftliche Streit fängt schon bei dem Versuch an, Musik zu definieren.
Das, was Klang zu Musik macht, ist jener Prozess der
Komposition, Produktion und
Rezeption, der je nach fachlichem Analyseschwerpunkt sehr unterschiedlich gedeutet werden
kann. So gibt es keine übergreifende Definition von Musik: Vielmehr ist die Wahrnehmung
von Musik aus wissenschaftlicher Sicht stark fach- und diskursabhängig. Daher soll im ersten
Teil dieses Aufsatzes anhand einer Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Diskursen zum
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Thema Musik und Gesellschaft das Verständnis von Musik skizziert werden, welches meine
Analyse begleiten wird. Erst einmal gilt, dass der Fokus der Analyse nicht so sehr auf Musik
als auf musikalische Praxis liegt, jene Aktivität, die ihr Wesen sowohl aus dem eigenen
Streben nach künstlerischem Ausdruck als auch aus einem zwischenmenschlichen sozial- und
gesellschaftsstrukturierten Prozess zieht.
Allein die Aussage, dass Musik sozial strukturiert ist, stellt einen anscheinend gewagten
wissenschaftlichen Schritt dar. Dennoch wird hier nicht untersucht, ob Musik in Verbindung
zu
gesellschaftspolitischen
Prozessen
gebracht
werden
darf
-das
haben
die
Musikwissenschaften- und Soziologie bereits seit fünf Jahrzehnten gemacht- sondern wie
musikalische Praxis und gesellschaftspolitische Prozesse aufeinander einwirken.
Letzteres wirft die ebenso umstrittene Frage nach der sozialen Wirkung einer kulturellen
Praxis auf, eine Frage, die in Bezug auf populäre Musik ebenfalls stark diskutiert worden ist.
Der Begriff von „populärer“ Musik, der in Europa und Nordamerika in Abgrenzung zu
klassischer, ernster oder „Art Music“ definiert wird und primär Unterhaltungszwecken dient,
lässt sich nicht ohne weiteres auf Afrika übertragen. Ich werde auf die Highlife und jenen
Musikrichtungen eingehen, die sich seit der Dekolonisierung anhand vieler Einflüsse in
Westafrika entwickelt haben. Sie lässt sich insofern als populär bezeichnen, als dass sie sich
an ein möglichst breites Publikum richtet und über (massen)mediale Kommunikationskanäle
verbreitet wird (Rundfunk, Fernsehen, Musikindustrie). Gerade das Verhältnis von populärer
Musik (etymologisch als „Musik des Volkes“ zu deuten) zur Gesellschaft, in der sie
stattfindet und verbreitet wird und die Funktion und Bedeutung dieser Musik wurden bereits
von Musik- und Kulturwissenschaften thematisiert. Bevor dies ausführlicher dargestellt wird,
gilt erst einmal, dass die Deutung der sozialen Wirkung von populärer Musik zunehmend von
gesellschaftspolitischen Kontexten abhängig gemacht wird. So scheint zur Erfassung der
sozialen Wirkung einer kulturellen Praxis die Thematisierung des gesellschaftspolitischen
Kontextes von grundlegender Bedeutung zu sein.
Dieser Rückblick auf die erwähnten wissenschaftlichen Diskussionen ist nicht ohne Vorteil
für die vorliegende Analyse: Er bietet sowohl die Möglichkeit einer präzisen Eingrenzung des
Verhältnisses von musikalischer und politischer Praxis an, als auch eine Vielfalt an
methodischen und theoretischen Ansätzen und Analysemustern, die möglicherweise auf
afrikanische Gegebenheiten übertragen werden können. Die Tatsache, dass es sich hier um
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einen politikwissenschaftlichen Beitrag handelt, macht des weiteren eine Überwindung der
Diskurse möglich, die diese Debatte prägen, und stellt einen für die Politikwissenschaften
hoffentlich
innovativen
und
fruchtbaren
Forschungsgegenstand
dar:
Die
Auseinandersetzung mit der Bedeutung, Funktion und Wirkung von musikalischer Praxis
(die sowohl Musik als auch Künstler und Zuhörerschaft einbindet) in sich
konstituierenden politischen Systemen.
Warum Westafrika ?
Das Beispiel Westafrika bietet sich aus vielen Gründen an: Ausgehend von der Tatsache, dass
im Zuge der Kolonialisierung Afrikas und der einhergehenden kulturellen Assimilation die
Identität und das gesellschaftspolitische Bewusstsein afrikanischer Gesellschaften tiefgehend
verstört wurden, bietet gerade Westafrika und insbesondere die Mandingo- Region ein
fruchtbares Analysefeld zur Untersuchung der Berührungsflächen zwischen Musik und dem
gesellschaftspolitischen Prozess. Einer der Ausgangspunkte meiner Gedanken ist, dass in
westafrikanischen Gesellschaften der Kunst und insbesondere der Musik eine besondere
gesellschaftliche Funktion zugeschrieben wird, die sich in vielerlei Hinsicht von den
„westlichen“ Wahrnehmungsweisen und wissenschaftlichen Abhandlungen über populäre
Musik unterscheiden lässt. Dabei wird sowohl auf die Bedeutung von traditioneller
musikalischer
Praxis als auch auf die oft hervorgehobene Widerstands-
Aufklärungsfunktion der Musik
und
in der Auseinandersetzung mit der Kolonialherrschaft
hingewiesen.
Eine weitere Hypothese bezieht sich auf die kulturelle Identität afrikanischer Gesellschaften.
Dabei wird angenommen, dass sich afrikanische Gesellschaften in einem Konflikt zwischen
eurochristlichen und traditionellen afrikanischen Kulturmodellen und Wertesystemen
befinden und dass für diese Gesellschaften der Bedarf besteht, diesen Konflikt zu überwinden
und ein eigenständiges afrikanisches Bewusstsein zu bilden. Anhand der Darstellung
unterschiedlicher musikalischer Produktionen wird im Teil III des Beitrages hinterfragt,
inwiefern dieser Wertekonflikt und das daraus folgende Streben nach eigenständiger
Wertenbildung sich in gegenwärtigen afrikanischen künstlerischen Produktionen, sei es in
Form oder Inhalt, erkennen lässt.
Anhand
der Thematisierung
gegenwärtiger
westafrikanischer
gesellschaftspolitischer
Prozesse und der Analyse von künstlerischen Produktionen wird schließlich untersucht,
inwiefern gegenwärtige westafrikanische Musik ein neues afrikanisches Bewusstsein in sich
birgt.
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Warum die politische Bewusstseinsbildung ?
Der Begriff „politisches Bewusstsein“ hat meines Erachtens eine besondere Bedeutung im
Hinblick auf die gegenwärtigen Gesellschaften Westafrikas. Durch unterschiedliche Faktoren
wie die Dekolonisierung und die wachsende Distanzierung zu ehemaligen Kolonialmächten,
durch die Auflösung der bipolaren Weltordnung
und die Entwicklung der globalen
Wirtschaftsordnung stehen afrikanische Länder vor neuen Herausforderungen, insbesondere
hinsichtlich ihrer Positionierung in dieser neuen Weltordnung. Diese Herausforderungen und
das
Streben
vieler
afrikanischer
Länder
nach
eigenständiger
Entwicklung
und
Identitätsbildung lassen sich anhand von Großprojekten wie der Aufbau der Afrikanischen
Union (AU) oder die New Economic Partnership for African Development (NEPAD), anhand
der Stellungnahmen zur Reform der Vereinten Nationen (UN) oder der wachsenden
Kooperation mit emergierenden Wirtschaftsmächten sehr gut beobachten. Wenn sich die
Hypothese in der Analyse bestätigen lässt, dass musikalische Praxis eine gestaltende Rolle in
der politischen Bewusstseinsbildung in Westafrika verliehen wird, stellt sich demnach die
Frage, ob diese Aussage ebenfalls in Hinsicht auf die neueren politischen Entwicklungen
zutrifft.
Ich habe eben bewusst jene Brücke zwischen musikalischer Praxis und politischem Prozess
geschlagen, die in der Wissenschaft so strittig ist: Selbst wenn sich ein neues
gesellschaftspolitisches Bewusstsein in der musikalischen Praxis erkennen lässt, sagt dieses
nicht sogleich etwas über ihre konkrete Wirkung auf gesellschaftspolitische Prozesse aus.
Zweifellos erfordert die Durchleuchtung dieses Paradigmas eine empirische Untersuchung,
die hoffentlich andere nach mir ausführlicher durchführen werden. So wird schließlich neben
der methodischen Auseinandersetzung mit dieser Problematik, neben der Analyse von
Musikproduktionen und biographischen Recherchen über einflussreiche Künstler anhand von
Auszügen aus Interviews mit Künstlern und Persönlichkeiten versucht, bestimmte Aspekte
der Wirkung von musikalischer Praxis in Westafrika ausfindig zu machen, die, wenn nicht in
Anspruch genommen werden soll, dass sie allgemeine Aussagen über die Wirkung von Musik
auf politische Prozesse enthalten, bestimmte Aspekte des Beitrags von Musik zur politischen
Bewusstseinbildung in Westafrika zu Tage bringen können.
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Teil II: Erfassung des Verhältnisses von Musik und Politik
In wissenschaftlichen Kreisen herrscht Einigkeit darüber, dass das Verhältnis von Musik und
Politik, sei es in Musik- oder Sozialwissenschaften, unausreichend erforscht ist. Ein Grund
dafür ist die progressive Verbreitung der Vorstellung, Musik und Politik entstammten
zweierlei Welten und könnten daher nur schwer miteinander in Verbindung gebracht werden.
Diese Vorstellung ist das Ergebnis eines Prozesses der Desozialisierung von Musik, der in
Wissenschaft und Gesellschaft im Europa der Moderne stattgefunden hat.
So wurde mit einer Tradition der Sozialwissenschaften gebrochen, die bis auf Plato
zurückgeführt werden kann. In der „Republik“ räumte dieser der Musik und den Künsten eine
wichtige Rolle zur Gestaltung und zur Wahrnehmung der sozialen Ordnung ein. In der
Ethnologie wird Musik als fester Bestandteil des sozialen, religiösen und politischen Lebens
der meisten Weltkulturen beobachtet. Es ist unumstritten, dass Musik bestimmte soziale
Funktionen erfüllen kann, die je nach Zeit und Kultur variieren können. Aus dieser Erkenntnis
kann eine Brücke zur politikwissenschaftlichen Analyse der Wirkungen von Musik auf
politische Handlung und Akteure geschlagen werden. Doch dieses Thema bleibt weitgehend
unerforscht. Einer der Ansprüche dieser Analyse besteht darin, einen bescheidenen aber
entschlossenen Beitrag zur Rehabilitierung der Musik in den Politikwissenschaften zu leisten.
Heutzutage gerät die soziale Gestaltungskraft der Musik zunehmend in den Mittelpunkt vieler
wissenschaftlicher Beiträge. Zum besseren Verständnis gegenwärtiger Jugendkulturen, der
Identitätsbildung ethnischer Minderheiten in Zuwanderungsgesellschaften oder in der
Auseinandersetzung mit dem Widererstarken von Rechtsradikalismus wird die Rolle der
Musik seit kurzem wieder hervorgehoben. Auch der „Populärmusikforschung“, ein durchaus
marginaler Forschungsbereich, entnimmt man heute Aussagen zur Entschlüsselung der
medialen Inszenierung von Politik, der allgemeinen Mediatisierung unserer Gesellschaft. Aus
der Vielfalt der sozial- und kulturwissenschaftlichen Bereiche, die versuchen, Musik als
Indikator für gesellschaftliche Wandlungen zu berücksichtigen, müssen also Ansätze über die
sozialwissenschaftliche Aussagekraft von Musik herausgeleitet werden.
II.1: Eine Desozialisierung von Musik ?
Musik hat eine unstreitbare soziale Wirkung. Es gehört zu den Zielen dieser Analyse, dies
deutlicher zu belegen. Bevor nach Ansätzen gesucht wird, welche die soziale Wirkung von
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7
Musik thematisieren, lässt sich diese erste Feststellung erst einmal anhand einzelner Beispiele
skizzieren: Die Geschichte der Musik ist geprägt von Versuchen, ihre soziale Wirkung
willkürlich zu begrenzen oder unter Kontrolle zu bringen: die katholische Kirche, später auch
die evangelische, unternahmen etliche Versuche, Formen nicht-kirchlicher Musik zu
unterbinden. Ein etwas aktuelleres und doch ähnliches Beispiel ist das Verbot beinahe jeder
Form von Musik unter dem Taliban-Regime, das von 1996 bis 1999 in Afghanistan herrschte.
In der Bundesrepublik Deutschland unterliegen Musikinhalte einer strengen Kontrolle und
können zensiert werden; bestimmte Musikrichtungen wie Heavy Metal oder Hardcore
erwecken die Besorgnis vieler Pädagogen, die Verbreitung von Tonträgern in der
rechtsradikalen Szene dagegen die der Polizei. So unterschiedlich diese Beweise auch seien,
sie haben eines gemeinsam: sie zeigen, dass Musik durch die Emotionen und Wirkungen, die
sie bei Hörern und Produzenten hervorruft - und die hat jeder schon gespürt - eine gewisse
Macht hat1 (De Nora; 2003: 2). Ferner deuten diese Beispiele ebenfalls darauf, dass Musik ein
Bestandteil etablierter sozialer Ordnung ist, der diese Ordnung mitgestalten oder gefährden
kann. In dieser Hinsicht sind sich Musik und Politik sogar ziemlich ähnlich…
Der Fehler, den es ist hier zu beheben gilt, besteht darin, Musik und Politik als zwei strikt
getrennte Bereiche zu betrachten, die vereinzelt in Berührung kommen oder zu bestimmten
Zwecken miteinander in Verbindung gebracht werden. Wichtig ist hier, die manichäische
Vorstellung zu überwinden (Hans Lietzmann spricht von einem „romantischen Traum“),
welche die Musik strikt als Gegenstand der Kunst in Abgrenzung zur Politik als Gegenstand
der Herrschaftsausübung darstellt (Lietzmann, in Canaris; 2005: 48).
Angesichts des raschen technischen Fortschrittes im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts, der
mechanischen Reproduktion von Tonträgern, der weltweiten Verbreitung des Rundfunks oder
des Internets und der Entwicklung einer massiven Musikindustrie, die wiederum auf eine
wachsende Zuhörerschaft deutet, hätte man annehmen können, dass der Bedarf nach
wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit den sozialen und politischen Wirkungen von
Musik ebenfalls steigen würde. Musik ist ein Gegenstand vieler wissenschaftlicher
Auseinandersetzungen, jedoch stellen die wenigsten von ihnen den Einfluss (power) in Frage,
den Musik auf eine Gesellschaft haben kann (siehe Teil II.2). Um dies zu begründen,
behauptet Tia De Nora in einem Band, der zu den wichtigsten Quellen dieser Analyse zählt,
1
De Nora spricht ferner in ihrem Aufsatz von „music’s social power“. Der englische Begriff von „Power“ lässt
sich nur begrenzt im Deutschen durch Macht übersetzen. In Bezug auf Musik mag diese Übersetzung strittig
sein.
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8
das
Medium
Musik
sei
in
der
Sozialwissenschaft
zunehmend
als
passives
erklärungsbedürftiges Objekt denn als aktiv gestaltende Kraft betrachtet worden (De Nora;
2003: 3).
Ähnlich argumentiert Ute Cannaris in dem Vorwort zu ihrem Sammelband „Musik und
Politik“ und schreibt, dass die „europäische Musik ihre bis dahin selbstverständlichen
politischen und sozialen Kontexte verlassen“ hat und mit der Entstehung einer bürgerlichen
Hochkultur zunehmend dem Kunstbegriff des Idealismus untergeordnet wurde, der besagt,
Musik solle an erster Stelle dem Guten und Schönen dienen. So übernahm Musik laut
Cannaris ab der Renaissance eine „gegenaufklärerische Funktion“, indem sie kontext- und
bedeutungsfrei eine Ablösung vom niederem mittelmäßigen Leben ermöglichen sollte
(Cannaris 2005: 23f).
Dieses Verständnis der Musik als autonome Produktion und Selbstzweck hat sich in
Wissenschaft und Gesellschaft durchgesetzt und hält zum Teil bis heute an (ebd: 26). Im
Gegensatz zu diesem idealistischen Musikverständnis entstand eine extrem kontextuelle
Musik, bestehend aus Freiheitsliedern und Hymnen der Arbeiterbewegungen, die anfangs die
negativ geprägte Bezeichnung „politische Musik“ erhielt.2 Dieser Begriff, politische Musik,
deutet genau auf jenes Verständnis, in dem Musik als etwas unpolitisches betrachtet wird, was
von sozialen Strukturen und Ereignissen möglichst getrennt bleiben sollte. Dies mag dazu
beigetragen haben, dass sich Musik weitgehend aus ihren sozialen Funktionskontexten
herausgelöst hat und nur noch punktuell in Verbindung mit Politik gebracht wird.
Auch für die Mehrheit der Menschen kommen Politik und Musik selten in Berührung. Musik
wird heute gängig als Konsumgut oder als Freizeitbeschäftigung wahrgenommen. In der
klassischen Musik oder im Jazz wird sie als absolute Kunst konsumiert oder produziert. Für
die Anhänger der so genannten „populären“ Musik dient sie eher der Unterhaltung, der
Entspannung oder der Möglichkeit der körperlichen Ausgelassenheit im Tanz (Dollase, in
Frevel; 1997: 121). Das Politische wird vielen Menschen nur dann punktuell deutlich, wenn
Idolen und Berühmtheiten sich politisch äußern oder gezielt politisch agieren, wie etwa bei
Benefizkonzerten, Anti-Kriegsveranstaltungen oder Protesten aller Art. Selbst dann kann
argumentiert werden, der Künstler agiere aus außermusikalischen Motiven, wobei eine
Grenze zwischen dem Musikalischen und dem Politischen implizit gezogen wird.
2
Der Begriff von politischer Musik ist heute allerdings strittig: Jede Musik hat eine latente politische Dimension,
die, je nachdem in welchem Kontext sie abgespielt wird, hervorgehoben werden kann (dazu mehr in Teil II.2)
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9
In der Wissenschaft hat im Laufe des zwanzigsten Jahrhundertes ein ähnlicher Prozess
stattgefunden: Musik als „abstrakte“ Kunst wurde vom sozialen Geschehen und somit von der
sozialwissenschaftlichen Analyse getrennt (De Nora; 2003: 152). Indem Musik zunehmend
als Kunstwerk oder als Produkt betrachtet wird, hat sie aus sozialwissenschaftlicher Sicht an
Schärfe und Bedeutung verloren. Dagegen wird hier argumentiert, dass Musik aufgrund des
verbreiteten Zuganges zu ihr (sei es durch Kommunikationswege wie Rundfunk, Fernsehen
oder Internet) und des wachsenden Angebotes an Live-Musik und Musikproduktionsmitteln
heute als Ausdrucksform und als gesellschaftliches Medium an Bedeutung und damit an
sozialwissenschaftlicher Relevanz gewinnt und somit gesteigerter politikwissenschaftlicher
Achtung bedarf.
Doch die Politikwissenschaften scheinen ebenfalls von der Trennung zwischen Musik und
Politik geprägt zu sein und viele der politikwissenschaftlichen Beiträge, die sich mit dem
Verhältnis von Musik und Politik beschäftigen, stellen das Politische überwiegend als
Musikmissbrauch im Kontext autoritärer Ideologien oder Machtausübung dar. In der
Politikwissenschaft lassen sich zum Themenkomplex Musik und Politik kaum theoretische
Ansätze
finden,
die
an
Stelle
dieser
restriktiven
Bereichstrennung
gerade
die
Berührungsflächen oder die möglichen Interaktivitäten der Gesellschaftsbereiche Musik und
Politik erkunden, wie sie im Titel dieser Analyse suggeriert werden.
Zu diesem Zweck sind Ansätze erforderlich, die zum einen die Musik eher als
gesellschaftliches Medium denn als Selbstzweck und absolute Kunst betrachten und die zum
zweiten die Musik systematischer mit gesellschaftlichen Wandlungen in Verbindung bringen.
II.2: Forschungsstand
Für die vorliegende Analyse stellt sich die Frage, auf welchen vorhandenen theoretischen
Grundlage eine Analyse der Wirkung von Musik auf politische Bewusstseinsbildung in
Westafrika basieren soll.
Als erstes muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Themenkomplex Musik und
Politik
überwiegend
von
europäischen
oder
nordamerikanischen
Musik-
und
Sozialwissenschaften und in Bezug auf heimische Phänomene thematisiert worden ist. So
gehe ich auf die Gefahr ein, mich von dem eigentlichen Forschungsgegenstand ein wenig zu
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1
distanzieren, um schließlich jene Versuche und Ansätze darzustellen, die heute das Theorieund Gedankengebilde zum Verhältnis von Musik und Gesellschaft bilden. Es ist fraglich, ob
sich aus den dargestellten Ansätze Befunde herausleiten lassen, die unabhängig von den
kulturellen Unterschieden der Bezugsregionen auf jede Form von Musik in jeder Form von
Gesellschaft zutreffen könnten und aus politikwissenschaftlicher Sicht in Bezug auf Afrika
geltend gemacht werden können.
Das Verständnis von Musik und musikalischer Praxis und die Erfassung derer Wirkung auf
gesellschaftspolitische Prozesse unterlegen dennoch einer erheblichen Komplexität, die in
Abwesenheit von übergreifenden Definitionen erst einmal thematisiert werden soll, um eine
analytische und begriffliche Betrachtungsweise überhaupt formulieren zu können.
Zu diesem Zweck ist die Darstellung von Standpunkten aus den Musikwissenschaften,
darunter der Popularmusikforschung, der Musiksoziologie, und bestimmten Sparten der
Kulturwissenschaften durchaus nützlich. Diese Liste ist nicht ausführlich und, wenn
bestimmte Methoden und Ansätze der einen oder anderen Fachschaft zugeordnet werden
können, es darf nicht angenommen werden, dass diese Fachwissenschaften einheitliche
Meinungen vertreten. Ebenso unausführlich ist die Abarbeitung der behandelten Themen. Es
wird halt versucht, aus Beispielhaften wissenschaftlichen Beiträgen, die den verschiedenen
Fachschaften untergeordnet werden, Ansätze, Erkenntnisse und Forschungsmethoden findig
zu machen, die für die anschließende Untersuchung von Nutzen sein können.
Aus diesen Bereichen lassen sich verschiedene Diskurse herausleiten, die sich unterschiedlich
gut mit den Aufgaben dieser Analyse verbinden lassen. In den Musikwissenschaften zum
Beispiel dominieren weiterhin die Strukturen der Musikgeschichtsschreibung, die vor allem
den Schwerpunkt auf Werk und Musikerinnen legen (siehe dazu Wike, in Heuger 1997: 43 ).
In der vorliegenden Analyse werden zwar Musik und Musikerinnen eingebunden, aber der
Schwerpunkt darf nicht allein auf sie gesetzt werden, sondern muss auf ein Gesamtkomplex
der Produktion, Rezeption und Wirkung von Musik erweitert werden, der auch die
Gesellschaft, in der diese stattfinden, direkt einbindet.
Wie es der Berliner Popularmusikforscher Peter Wike (HU) schreibt, hat „wohl kaum eine
andere Frage vor allem akademisch gestimmte Gemüter in Sachen Musik ähnlich heftig
bewegt wie diejenige nach den gesellschaftlichen Wirkungen gegenwärtiger „populärer“
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1
Musik, nach ihrem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen und sozialen
Normen“. An der Stelle wird versucht, diese Diskussion anhand einzelner Positionen und
Abhandlungsbeispielen wieder zu geben.
II.2.a: Die Musikwissenschaften und die populäre Musik
In seinem Aufsatz Rock gegen Rechts - Rock von Rechts beschäftigt sich der deutsche
Musikwissenschaftler Rainer Dollase mit der Frage, wie und ob Rockmusik eine politische
Bedeutung und Funktion haben kann (Dollase in Frevel 1997: 107-126). Dollases Aufsatz
bezieht sich auf eine Reihe von Studien zur Rockmusik in Deutschland und Nordamerika, die
zwischen
den
siebziger
und
neunziger
Jahren
verfasst
wurden.
Obwohl
der
Forschungsgegenstand von der hier relevanten Fragestellung ein wenig abweicht, ist dieser
Aufsatz sowohl von methodischer als auch von inhaltlicher Relevanz und mag einzelne
Anhaltspunkte bieten.
Dollase bezeichnet populäre Musik als „Zeichensystem zur symbolischen Kommunikation“,
So könne anhand eines vorbestimmten Zeichensystems die erwartete Wirkung bei Hörern
generiert werden. Musik als „Folge von Schallwellen“ sei von Natur aus aussagenfrei und
erhalte „im Laufe ihrer individuellen Rezeption gesellschaftlich und mutwillig eine politische
Bedeutung“. So sei die Wahrnehmung von Musik als etwas Politisches aus psychologischlerntheoretischer Perspektive das Ergebnis eines Konditionierungsvorgangs, der sich in einer
von Massenmedien geprägten Gesellschaft zunehmend beobachten lasse (ebd:109f). In dieser
Hinsicht warnt Dollase davor, die (Rock-)Musik voreilig als politisch wirksam oder
einflussreich zu betrachten, nur weil Liedertexte, Plattenhüllen oder Aussagen der Künstler
oft politische Botschaften enthalten. Dabei argumentiert Dollase, dass die Bedeutung solcher
Zeichensysteme überwiegend im personalen und sozialen Kontext der Rezeption entsteht und
nicht der Musik zu entnehmen sind; so Dollase: „Generell ist es der Kontext von Produktion
und Rezeption mehr als die Musik selbst, der Ansatzpunkte einer politischen
Bedeutungsbildung offeriert“ (ebd: 111). So wird der Musik oft eine politische Wirksamkeit
unterstellt, die sich kaum verifizieren lässt: „Die Etablierung eines rockmusikalischen
Zeichensystem als politisch sagt über dessen Funktion, Bedeutung und Wirkung überhaupt
nichts aus“ (ebd:116).
Damit wirft Dollase eine für die vorliegende Analyse grundsätzlich relevante Frage auf:
Bedeutet
die
politische
Kommunikations-
oder
Vermittlungsfähigkeit
mancher
Musikrichtungen sogleich ihre politische Wirksamkeit? Sollte dies der Fall sein, muss diese
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1
Wirksamkeit präzise erläutert werden. Dollase macht es nur insofern, als dass er sagt,
politische Wirkung müsse auch konkrete politische Konsequenzen hervorrufen. Bevor eigene
Stellungnahmen dazu formuliert werden, erscheint es mir erst einmal fraglich, ob das
Verhältnis von Musik und Politik als kausal postuliert werden kann und soll. Fraglich ist
zudem auch, ob politische Konsequenzen, was auch immer damit gemeint ist, überhaupt
greifbar sind. Es ist in der Tat unwahrscheinlich, dass der öffentliche Erfolg eines Liedes, das
sich zum Beispiel inhaltlich mit Rassentrennung auseinandersetzt, direkt zu einem
Gesetzentwurf zur Aufhebung von Rassentrennung führt. Dennoch kann ein derartiger Erfolg
eine gesellschaftliche Wandlung verkörpern, die sich wiederum als Druck oder zumindest als
Handlungsaufforderung an politische Entscheidungsträger richtet und gegebenenfalls
konkrete politische Folgen haben kann.
Die Aussage, eine unterstellte politische Wirkung von Musik solle durch konkrete politische
Konsequenzen bestätigt werden können, ist meines Erachtens unzureichend und trägt der
Komplexität des politischen Prozesses und des Verhältnisses zwischen Musik und Politik
nicht genügend Rechnung. Als Folge dessen stellt sich heraus, dass eine Untersuchung der
politischen
Wirkung
von
Musik
die
Thematisierung
sowohl
des
politischen
Entscheidungsprozesses als auch der betroffenen Gesellschaft erfordert.
Die Musikwissenschaften, darunter auch die Popularmusikforschung, haben sich in den
letzten Jahrzehnten zunehmend mit der gesellschaftlichen
Rezeption von Musik
auseinandergesetzt und sich dabei überwiegend auf so genannte kontexttheoretische Ansätze
gestützt, die der Psychologie oder der Soziologie entnommen werden. Dass musikalische
Semantik weitgehend kontextabhängig ist, sollte hier nicht bestritten werden. Problematisch
ist vielmehr, dass dieser Kontext oder die gesellschaftlichen Strukturen, die als Hintergrund
zur Wahrnehmung von Musik dienen, als bloße, unverrückbare Gegebenheit dargestellt
werden.
Max Fuchs stellt in einem Aufsatz zur Popularmusikforschung fest, dass weniger die
politischen Inhalte von Musik als Botschaft wahrzunehmen sind als die Formen, in denen sie
verbreitet und wahrgenommen werden. So kann der Künstler, egal ob er politische Motive in
seiner Handlung sieht oder nicht, kaum politischen Anspruch haben, solange er
(kommerzielle) Medienkanäle nutzt und das politische oder altruistische Motiv stets mit
kommerziellem und persönlichem Nutzen paart. Dies, so Fuchs, unterminiere die manchmal
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1
erhoffte politische Wirkung von Musik von vornherein (Fuchs, in Rösing 1998: 15). Dabei
stützt sich Fuchs analytisch auf Bourdieus Theorie der sozial-ästhetischen Segmentierung der
Gesellschaft, nach der eine emanzipatorische Wirkung populärer Kunst beinahe
ausgeschlossen sei, weil diese nur bereits existierende Strukturen reproduziert.
An dieser Stelle lassen sich zwei typische Aspekte greifen, welche die Debatte um die
Wirkung populärer Musik seit den sechziger Jahren geprägt haben. Erstens die für die
Musikwissenschaften typische Verdinglichung der Musik: Musik wird als ein Selbstzweck
dargestellt, von dem die Gesellschaft nach Bedarf Gebrauch machen kann. Aus diesem
Paradigma hat sich eine Sicht der populären Musik entwickelt, in der Musik als Instrument
der kapitalistischen und massenmedialen Gesellschaft dargestellt wird, das der Reproduktion
von sozialen Strukturen und bestehender Machtverhältnisse dient. Hier lässt sich die
marxistisch geprägte Sicht des Verhältnisses zwischen Kultur und Gesellschaft eindeutig
erkennen, welche die Popularmusikforschung anfangs stark geprägt hat (Sheperd; 1991: 79ff/
Wike, in Heuger 1995). So wurden zahlreiche Parallelitäten zwischen der oft denunzierten
Vereinfachung der musikalischen Praxis, der ständigen Reproduktion von pentatonischen
Akkordfolgen, der Durchsetzung von viertaktigen Schemen und nicht zuletzt zwischen der
Massenproduktion von Musik und dem Durchbruch der ebenfalls durch Massen- und
Reproduktion geprägten kapitalistischen Gesellschaft festgestellt.
Die Soziologie und die britischen Culture Studies haben dieses marxistisch geprägte
Paradigma aufgefasst und zum Teil modernisiert. Wie es Fuchs selbst einräumt, nachdem er
sich mit Bourdieus Position auseinandersetzt, „steht dieses Zwischenergebnis [populäre
Musik diene nur der Reproduktion von bereits bestehenden Machtstrukturen] durchaus im
Gegensatz sowohl zu persönlichen Erfahrungen als auch zu nachweisbaren pädagogischen
Wirkungen einer kulturellen Praxis (Fuchs; 2005: 16).“ Die Verdinglichung der Musik macht
eben die industrietypische Begrifflichkeit von Musik als Produkt oder Ware gerade möglich.
Sie muss dennoch nicht ohne weiteres akzeptiert werden. Im Gegenteil, diese Sicht der Musik
ist äußerst vereinfacht und ermöglicht keineswegs die Erfassung ihrer Wirkung. Dagegen
wird Musik hier als Ergebnis der musikalischen Praxis betrachtet, als eine gesellschaftliche
Aktivität. Selbst der Kauf und das Abspielen von Tonträgern sind Aktivitäten, der Tonträger,
das „Ding“ Musik, ist nur das Medium, durch das diese Aktivitäten stattfinden.
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1
Somit kommt man zu einer wesentlichen Erkenntnis: Um die sozialpolitische Wirkung der
musikalischen Praxis zu begreifen, sind Produktion und Rezeption als aktiver Prozess zu
verstehen. Außerdem muss nach den möglichen Kriterien und dem gesellschaftlichen Rahmen
gesucht werden, um die Erfassung dieser Wirksamkeit zu ermöglichen.
Auch hier bietet Dollases Untersuchung zur Rockmusik gewisse Anhaltspunkte. Nachdem er
darstellt, wie politische Bedeutung von Rockmusik entsteht, untersucht er anhand mehrerer
seit den siebziger Jahren durchgeführten Studien (deren Herstellungsort und Datum leider nur
teilweise angegeben werden), ob sich eine politische Wirkung der Musik beobachten lässt.
Dabei kommt er zu sehr gemäßigten methodischen und inhaltlichen Ergebnissen, die
folgendermaßen wiedergegeben werden können:
-
Eine Studie zur Rezeption von politischen Botschaften durch Liedertexte zeigt, dass
die Textkenntnis von Rockliedern im Allgemeinen bei (amerikanischen) Jugendlichen
und Studenten „bedürftig“ sei und dass die Fokussierung auf Textinhalte ein
unpassendes Kriterium zur Erfassung der politischen Wirkung von Rockmusik sei
(ebd:119).
-
Laut einer Studie aus den siebziger Jahren lässt sich aus direkten Befragungen von
Besuchern von Rockkonzerten kein Zusammenhang zwischen Rockmusik und
politischem Engagement feststellen. Es lassen sich zwar Zusammenhänge zwischen
Parteipräferenz und Musikvorliebe feststellen, doch nur 17% der Befragten stimmten
der Aussage zu, diese Musik führe bei ihnen zu einer gesellschaftskritischen Haltung,
wenn auch 50% von ihnen der Meinung waren, die Musik rege sie zum Nachdenken
an (ebd:120f).
-
75 % der Befragten sahen die „Musik als willkommene Ablenkung von
Alltagsproblemen“ (ebd:121).
-
In einer Umfrage von neunzig deutschen Rockmusikern in den siebziger Jahren
meinten rund die Hälfte von ihnen, dass sie an eine „gesellschaftskritische Wirkung“
ihrer Arbeit glaubten (ebd:122).
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1
Dollase schließt daraus, dass die Frage nach einer politischen Wirkung von Musik „zu einer
durch gesellschaftliche Zustände bestimmten Form des Umgangs mit politisch konditionierten
Zeichensystemen“ gerät. Ferner räumt Dollase der „politisch konditionierten Musik“ keine
konkrete politische Wirkung ein. Eher bezeichnet er die Rockmusik als „Ersatz für echte
politische Aktivität“. So sein Fazit zu dieser Studiensichtung:
„Veränderungen
sollte
man
von
einem
primär
Unterhaltungszwecken
dienenden
Kulturbereich nicht erwarten. Politische Musik machen ist Dampf ablassen, Drohgebärde,
Demonstration, Imponiergehabe (...) kurz, eine Ersatzbefriedigung.“ (ebd: 122)
Anhand von Dollases Aufsatz wird erneut die vereinfachte Trennung zwischen Musik (als
Unterhaltung) und Politik (hier als Veränderungsfaktor oder „echte politische Aktivität“)
deutlich. Die Verbreitung dieser Trennung lässt sich auch anhand der zitierten Umfrage von
Besuchern eines Rockkonzertes bestätigen, wobei dazu noch ein Widerspruch zwischen der
intentionalen Konditionierung (der Anspruch der Musiker, politische Arbeit zu leisten) und
der funktionalen Konditionierung (die Musik als Unterhaltung zu genießen und dabei die
Musikindustrie zu unterstützen) festgestellt wird.
Dollases Beitrag stellt einen ernsthaften Versuch dar, die gesellschaftspolitische Wirkung von
Musik wissenschaftlich zu erfassen. Dennoch spiegelt er strittige Begriffs- und
Ansatzbedingte Aspekte wider, die zum Teil typisch für die Musikwissenschaften sind und
diese Ergebnisse relativieren.
Die Darstellung von Musik als Selbstzweck, dem durch gesellschaftliche Konditionierung
illusorische Eigenschaften unterstellt werden, stellt nicht das Verhältnis von Musik und
Politik dar, sondern den Einfluss der Gesellschaft auf die Rezeption der Musik. Dabei wird
der Aspekt der Musik als Bestandteil einer nationalen, lokalen oder Sub-Kultur und damit ihre
identitätsstiftende oder identitätserhaltende Rolle, kurz ihr dynamisches Wesen, weitgehend
ignoriert. Gerade für eine Untersuchung der Rockmusik in Bezug auf das Erstarken
rechtsradikaler Bewegungen kommt dieser Aspekt der Identitätsstiftung durch Musik zu kurz
(dazu werden im Anschluss kulturwissenschaftliche Beiträge dargestellt, die diese Funktion
der populären Musik verdeutlichen).
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1
Auch die Gesellschaft, welche die „Schuld“ für die Konditionierung trägt, wird jenseits dieser
psychologischen Ansätze unausreichend thematisiert; dabei handelt es sich um die BRD und
die USA zwischen den siebziger und den neunziger Jahren. Ähnliche Umfragen zur
Rockmusik zur gleichen Zeit in der DDR hätten vielleicht andere Ergebnisse gehabt…
Zusammenfassend kann man Dollases kontexttheoretische Sicht der Bedeutung von Musik
zustimmen. Dieser Aspekt des Verhältnisses von Musik und Politik lässt sich analytisch
verallgemeinern, wobei es sich hier eher um das Verhältnis von Musik und Gesellschaft
handelt.
An dieser Stelle ist die begriffliche Trennung von Gesellschaft und Politik von großer
Bedeutung. Gesellschaft deutet auf jenes Gebilde von Akteuren, Strukturen und
Kräfteverhältnissen, in dem sich das soziale Leben gestaltet. Politik dagegen wird hier
begriffstechnisch als ein aktiver Prozess verstanden, denn Politik wirkt eben an der Gestaltung
der benannten Strukturen durch bestimmte Akteure mit. So ist Politik nicht mit Gesellschaft
gleichzustellen, sie ist lediglich an ihrer dynamischen Gestaltung beteiligt. So sind Dollases
Aussagen zur politischen Wirkung von Rockmusik nur zum Teil überzeugend: Die Ergebnisse
aus den zitierten Studien sind zwar eindeutig, aber sie können nicht für die Gesamtheit der
Praxis
von
(Rock-)Musik
geltend
gemacht
werden.
Dazu
ist die
Vielfalt
der
Berührungspunkte von Musik und dem politischen Prozess unzureichend thematisiert worden.
Wenn postuliert wird, dass die Funktion der musikalischen Praxis von bestimmten politischgesellschaftlichen Kontexten abhängig ist (und dem stimme ich an dieser Stelle zu), muss
auch die Vielfalt dieser Kontexte mit der Annahme berücksichtigt werden, dass auch die
Funktion und damit die Wirkung der Musik je nach politisch-gesellschaftlichem Kontext
variieren kann. Dollase - und das trifft auch auf die Musikwissenschaft zu - stellt dagegen
vereinfachte Muster der musikalischen Praxis und des politischen Prozesses dar, die dem
Facettenreichtum des Verhältnisses zwischen Musik und Politik nicht ausreichend Rechnung
tragen (siehe dazu Cannaris 2005: S.14f).
II.2.b: Das Paradigma der Musiksoziologie
Ein weiterer Ansatz, der das Verhältnis von Musik und Politik thematisiert, findet sich in der
von Max Weber und später Theodor W. Adorno geprägten Musiksoziologie. Im Vergleich zu
den Musikwissenschaften liegt der Fokus der Musiksoziologie auf Aussagen, die Musik über
die Gesellschaft
enthalten kann, in der sie produziert wird. Aus der Artikulierung von
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1
vorhandenen
Kenntnissen
über
diese
Gesellschaft
und
den
Befunden
über
die
Musikproduktionen wird ein besseres Verständnis gesellschaftlicher Wandlungen erhofft. Die
Musiksoziologie wurde am stärksten von Adorno geprägt, wobei seine Arbeiten bis heute für
wissenschaftlichen Tumult sorgen.
Die Musiksoziologie und die Arbeit Adornos sollten hier insofern berücksichtigt werden, als
dass sie sich als ein methodisches Erforschen der Berührungsfläche zwischen der Musik und
dem
gesellschaftlichen
Aktionsfeld
verstehen
und
somit
einen
Bruch
in
der
musikwissenschaftlichen Tradition darstellen. Musik ist für Adorno „nicht nur Kunst eigenen
Wesens, sondern auch gesellschaftliches Faktum“, das zur kritischen Ordnungsgestaltung
beitragen soll. Musik wird als ein Medium dargestellt, das die Gesellschaft und bestimmte
soziale Strukturen und Kräfteverhältnisse widerspiegeln kann. Der Anspruch der
Musiksoziologie ist ferner, vom mikrosoziologischen Objekt der Musik ausgehend, das
makrosoziologische Objekt um sie und in ihr zu finden (Adorno 1968: 236ff).
So zieht Adorno eine Analogie zwischen der Komposition von Musik und der sozialen Praxis,
wobei die bewusste Wahl bestimmter Tonarten, Instrumente und Musikformen zur kritischen
politischen Handlung wird. Das Verhältnis von Musik und Gesellschaft, was sich daraus
ergibt, ist demnach eher isomorph als interaktiv: beide entwickeln sich gemäß eigener interner
Logik, die wiederum einer gemeinsamen Dynamik (Konventionen) unterliegen (De Nora
2003: 13). Der musiksoziologische Anspruch, mikromusikalische und makrosoziologische
Analyse zu artikulieren, stellt jedoch eine sinnvolle Herangehensweise zur Erforschung der
Interaktivität zwischen Musik und Gesellschaft dar.
Adorno selbst hat sich dennoch auf eine sehr abstrakte Ansatzformulierung beschränkt und
selbst keine empirische Forschung unternommen, was die Anwendungspunkte seiner Arbeit
zum Teil schwer verständlich macht. Des weiteren spiegelt die musiksoziologische Arbeit
Adornos meines Erachtens einige Probleme der Musiksoziologie wider: Gerade aufgrund des
Anspruches, makrosoziologische Wandlungen in den „Strukturen“ der Musik ausfindig zu
machen, wird überwiegend auf die Musik als Objekt fokussiert, was wiederum die Fragen
nach der dynamischen Wirkung der Musik auf das soziale Leben weiterhin offen lässt. Es
wird nach in der Musik enthaltenen Eigenschaften gesucht, die Gesellschaftliches
widerspiegeln sollen. Dieser Ansatz bietet sich daher eher für Musikanalyse an als für eine
sozialwissenschaftlich orientierte Wirkungsforschung bestimmter Musikformen. Diese Art
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1
der Musiksoziologie wird zu einer Soziologie der Musik, wobei diese leichte Nuance eine
Schwerpunktverlagerung darstellt, die gerade in dieser Fachschaft seit den achtziger Jahren
zunehmend thematisiert wird. Die Arbeit Adornos hat dennoch sämtliche Fragestellungen
aufgeworfen, die heute von der Musikwissenschaft und von der Soziologie aufgearbeitet
werden, zum Beispiel in Bezug auf kognitive Funktionen der Musik oder auf die Verbindung
von Musik und Ideologie und Macht3.
Anlehnend an Cannaris Argumente zur Desozialiserung der Musik stellt Tia De Nora fest,
dass die neuen Musikwissenschaften (New Musicology) - und das sei Adorno zu verdanken die Teilung von musikalischer Form und sozial-historischem Geschehen zum Teil aufgehoben
haben und zunehmend (mikro-) musikalische und makro-soziale Elemente artikulieren (De
Nora; 2003: 35ff). Insbesondere mit dem Durchbruch des Hip Hops in Nordamerika, seit der
steigenden Fokussierung auf die Rolle der Musik in der Identitätsbildung von Minderheiten in
westlichen Metropolen haben einige musikwissenschaftliche Beiträge die Korrelation
zwischen musikalischen Produktionen und den Kategorien sozialer Strukturen wie Macht,
Identität oder Hierarchie hinterfragt. Diese Beiträge basieren zum großen Teil auf der
Interpretation von Texten, dem Kern mancher gegenwärtiger Musikrichtungen, insbesondere
des Hip Hops, und beschäftigen sich mit dem Einsatz traditioneller Harmonien und
Instrumente in modernen Musikproduktionen. Die Ergebnisse dieser Studien sind erheblich
und zeigen sehr wohl, wie sehr sich bestimmte gesellschaftliche Wandlungen in der Musik
wieder finden lassen, hier zum Beispiel die transkulturelle Identitätsbildung in
Einwanderungsgesellschaften. Diese analytische Herangehensweise ist insofern neu für die
Musikwissenschaften, als dass sie vorhandene soziale Strukturen und Prozesse als
Hintergrund zur Musikanalyse stellt und die sozialstiftende Kraft von Musik als
ausschlaggebend für ihre Entstehung und Praxis postuliert. Dabei ist wichtig, dass Musik
weder strikt als künstlerischer Selbstzweck noch als kommerzielles Unterhaltungsprodukt
bezeichnet wird, sondern allgemeiner als gesellschaftliche Handlung, die erst einmal genau
kontextualisiert werden muss (Rappe; in Cannaris 2005: 133).
II.2.c: Die kulturwissenschaftliche Sicht
Eine systematische Kontextualisierung erscheint in der Tat notwendig, um die Vielfalt der
möglichen Zwecke, Funktionen und Bedeutungen von Musik überhaupt wahrnehmen und
3
Insbesondere in Bezug auf die populäre Musik, die er verabscheute, betont Adorno, dass die Reproduktion von
vereinfachten Schemen und absehbaren emotialen Effekte die Musik dazu verdammt, ideologisch zu sein ( hier
im gegensatz zu ihrer kritischen Funktion ).
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1
erfassen zu können. Ist einmal dieses Paradigma akzeptiert, so lassen sich viele Anlässe
erkennen, Musik zu praktizieren oder zu hören, die sich gegenseitig nicht ausschließen, sei es
aus Unterhaltungsbedarf, aus reinem künstlerischen Interesse, oder aus sozial-politisch
bedingten Gründen. Gekoppelt an eine akteursbezogene Sicht der musikalischen Praxis
schafft die Kontextualisierung nicht nur eine Reflektion von gesellschaftlichen Phämonenen
durch Musik, sondern sie erläutert die Motive und bringt mögliche Eingriffspunkte der
musikalischen Praxis in das gesellschaftliche Leben zum Tage.
Diese Methodik lässt sich besonders gut in den Kulturwissenschaften wieder finden.
Kulturwissenschaften lassen sich insofern von den bisher erwähnten Fachschaften
unterscheiden, als dass sie theoretische Fragestellungen exemplarisch am Beispiel ihrer
Erscheinungsformen reflektieren, und kulturelle Praxis als Denk- und Handlungsmodelle
einer Gesellschaft erklären. Somit definieren Kulturwissenschaften die Besonderheit des
Ausdrucksmediums und fokussieren auf analytische Reflexionen über die Veränderungen der
gesellschaftlichen Praxis. So bildet Musik einen zunehmend wichtigen Forschungsgegenstand
der Kulturwissenschaften: neben der Popularmusikforschung, die sowohl den Musik- als auch
den Kulturwissenschaften zugeordnet wird, hat zum Beispiel der weltweite Durchbruch von
Hip Hop das Interesse vieler Kulturwissenschaftler geweckt. Hip Hop drückt die
transkulturelle Erfahrung des diasporischen Erlebens und Handelns in gegenwärtigen
Einwanderungsgesellschaften aus. Die Ästhetik von Hip Hop und seine kulturelle
Kodifizierung in Sprache (Rap), Kunst (Graffiti), Kleidung, körperliche Ausdrucksform (u. a.
Street Dance) hat ihre Wurzeln im großstädtischen Alltag und hat diesen Alltag zum Teil
transformiert. Hiermit sei nur auf die Verbreitung von Graffitis und Tags in Großstädten
hingewiesen oder auf die zunehmende Zahl der auf Tanz und Musik beruhenden
pädagogischen Projekte - „Rythm is it“ oder das „Projekt Hip Hop“, um nur die bekanntesten
zu nennen - die in Schulen oder benachteiligten Stadtteilen durchgeführt werden und deren
pädagogischen Wirkung und Erfolg weitgehend unbestritten sind.
Am Beispiel des Hip Hops lässt sich das von Dollase oder Fuchs aufgebrachte Argument
deutlich widerlegen, die gesellschaftspolitische Wirkung von Musik sei durch die Tatsache
unterminiert, dass die Musik sich durch kommerzielle profitorientierte Kanäle verbreitet: So
stellt der Kulturwissenschaftler Michael Struck-Schoelen fest, dass Hip Hop, das seinen
Ursprung in der afroamerikanischen Kultur hat, sich zwar imperialistisch verbreitet hat, aber
stets und überall eine Lücke in der nicht mehr vorhandenen Kultur oder im Bedürfnis nach
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2
einer adäquaten kulturellen Ausdrucksweise gefüllt hat (Struck-Schloen, in Cannaris; 2005:
134). Ferner argumentiert Struck-Schoelen aus seinen Erfahrungen als Kulturmanager in
Köln, dass Jugendliche mit Migrationshintergund oder aus ethnischen Minderheiten sich die
Merkmale der afrodiasporischen Kultur aneignen, um sich eine eigene hybride Identität zu
kreieren. Er beobachtet, dass diejenigen, die sich Hip Hop zueigen machen, meistens jene
Leute sind, die sich in einem Zustand des identitätsstiftenden Suchens befinden. So bietet
offenbar Hip Hop als musikalische Praxis das Angebot, sich aktiv Identität zu konstruieren.
Darüber hinaus hat Hip Hop zusätzliche Kommunikationskanäle geschaffen oder zumindest
als Ausdrucksform jener gedient, die jenseits dieser musikalischen Praxis einen nur
marginalen Anteil am inhaltlichen gesellschaftlichen Austausch haben. Am Beispiel des Hip
Hops, das durchaus auf der verbalen Vermittlung durch Texte beruht, müssten schließlich
auch die Aussagen von Dollase über die Rezeption von Liedertexten neu überprüft werden.
Ferner genießt die von den britischen Culture Studies in den achtziger Jahren entwickelte
Auffassung eine zunehmende Zustimmung in Medien, Gesellschaft und Wissenschaft,
wonach diese Musik als Bestandteil jugend- und subkultureller Zusammenhänge ein soziales
Widerstandspotential besitzt, das im aktiven Umgang mit ihr mobilisiert werden kann (Rike,
in Heuger 1997: 25). Der Aufruf des berühmten französischen Hip Hops Sängers Joey Starr in
Dezember
2005
an
Präsidentschaftswahlen
französische
im
Mai
Jugendliche,
2007
sich
auf
Wählerlisten
einzutragen,
ist
ein
Beispiel
für
die
dieses
Mobilisierungspotentials, das sowohl der Musik, der massiven Identifikation mit dieser Figur,
als auch den kommerziellen Medienkanälen zu verdanken ist. Laut Medienberichten ist
diesem Aufruf eine bedeutende Steigerung der Einträge auf Wählerlisten gefolgt,
insbesondere in benachteiligten Vorstädten der Pariser Metropole.4
Anhand solcher Beispiele wird erneut klar, dass die Überbrückung der herrschenden Kluft
zwischen Musikprodukt, musikalischer Praxis, medialen Kommunikationskanälen und
gesellschaftspolitischen Prozessen zu einer annähernd effizienten Erfassung des Verhältnisses
zwischen Musik und Politik erforderlich ist.
4
Aus der Wochenzeitschrifft Le Nouvel Observateur vom 21/12/2005:
http://archquo.nouvelobs.com/cgi/articles?
ad=societe/20051220.OBS9433.html&host=http://permanent.nouvelobs.com/
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2
Die Kulturwissenschaften haben gezeigt, dass der Umgang mit populärer Musik durchaus als
Mittel der Selbstbehauptung und des Kampfes um kulturelle Anerkennung in einer
Gesellschaft dienen kann, die keineswegs statisch ist, sondern stets durch sozialpolitische
Kämpfe um Einfluss, Anerkennung und Macht geprägt ist. So lässt sich der politische Gehalt
musikalischer Praxis insbesondere im Rahmen dieser sozialpolitischen Kämpfe anhand
zahlreicher Beispiele erfassen, die, obwohl sie selten kausale Wirkungsvorstellungen von
Musik in Form von klar zu beobachtenden politischen Konsequenzen nach sich ziehen,
trotzdem als Teilhabe am gesamten politischen Prozess betrachtet werden können. Dazu
liefern die afroamerikanische, die westafrikanische Musik sowie ihre Aneignung durch andere
kulturelle Gruppen viele Bespiele für die sozialpolitische Relevanz von Musik, die erst einmal
näher durchleuchtet werden sollten.
Bevor das hier am Beispiel Westafrikas erläutert wird, ist anzumerken, dass musikalische
Praxis wie andere Formen des Versuchs einer Teilnahme am gesellschaftlichen Prozess
bestimmten vorgegebenen Kommunikations- und Rezeptionskanälen und
Formen der
Inhaltsvermittlung unterliegen, die widersprüchlich sein können, sich dennoch nicht
zwangsläufig ausschließen.
In diesem Sinne argumentieren britische Culture Studies, dass die Wertschätzung von Musik
immer auch Teil des politischen Kampfes um kulturelle Hegemonie ist. Der politische Gehalt
kultureller Präferenzen macht dann auch unterschiedliche Interpretationen desselben
Sachverhaltes möglich. So kann der Durchbruch von Rockmusik in der BRD der
Nachkriegszeit, um bei Dollases Beispiel zu bleiben, zum einen als Sieg des amerikanischen
kulturellen Modells, zum anderen als Siegeszug einer unterdrückten sozialen Gruppe in der
„verkrusteten Adenauergesellsschaft“ über die gesellschaftliche Akzeptanz ihrer kulturellen
Praxis interpretiert werden ( Kaspar Maase, zitiert in Fuchs 1995: 19). In beiden Fällen lässt
sich eine beträchtliche gesellschaftspolitische Wandlung analytisch in Verbindung mit
musikalischer Praxis bringen. Die politikwissenschaftliche Herausforderung besteht
anschließend darin, über die Feststellung einer Parallelität hinaus den Eingriff der
musikalischen Praxis in den politischen Prozess und deren Bedeutung sowie die möglichen
Folgen zu hinterfragen.
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2
II.3: Entwurf eines Forschungsansatzes
Hoffentlich hat dieser Überblick gezeigt, dass alle Versuche, populäre Musik in
widerspruchsfreie und stimmige Definitionen einzufangen, die Zeichen der Vergeblichkeit
tragen. Musik lässt sich weder verdinglichen noch kann man ihre Wirkung ordentlich und
eindeutig messen. Vielmehr ist Musik das Resultat komplexer, widerspruchsvoller, in jedem
Fall sozial strukturierter musikalischer, kultureller und kommerzieller Aktivitäten, die an das
Medium Klang gebunden sind, sich durch und über dieses Medium verwirklichen und sich in
ihm dennoch nicht einfach ablesen lassen.
Aus der Arbeit Adornos und bestimmten Beiträgen der Musikwissenschaften lassen sich
einige Lektionen zum Zweck der vorliegenden Analyse herausleiten. Wenn ein dynamisches
und gegenseitiges Verhältnis von Musik und Politik postuliert wird, reicht es nicht aus, nach
makrosoziologischen Aspekten in der Musik oder nach strukturellen Analogien in Musik und
Gesellschaft zu suchen. Vielmehr muss nach Artikulationsmechanismen zwischen Akteur
(Musiker/ Hörer) und Aktionsfeld gesucht werden. Um Musik als dynamisches Medium des
sozialen Geschehens zu betrachten, muss untersucht werden, wie musikalische Handlung und
nicht musikbezogene Handlung im sozialen Geschehen interagieren. Dazu müssen mögliche
Eingriffe der Bereiche in den jeweilig anderen erst einmal thematisiert und, falls vorhanden,
analysiert werden. Somit kann man über Adorno hinaus die aktiven Eigenschaften von Musik
erfassen, das heißt, nicht nur untersuchen, inwiefern Komposition und Rezeption von Musik
sozial bestimmt sind, sondern auch inwiefern Musik an der permanenten Neugestaltung von
sozialen Strukturen – also auch an Politik – mitwirkt.
Wie dies in der Umsetzung auszusehen hat, ist nicht eindeutig. Die Wissenschaft hat sich
weitgehend mit Eingriffen von politisch-gesellschaftlichen Faktoren in die musikalische
Praxis auseinander gesetzt. Folgt man De Noras Aussagen, gibt es dagegen keine
Methodologie zur Beschreibung möglicher Eingriffe von Musik in soziale Strukturen (De
Nora; 2003: 39). Diese ist jedoch meines Erachtens für die Erforschung des Verhältnisses von
Musik und Politik unumgänglich.
Es darf jedoch nicht angenommen werden, der Anspruch der vorliegenden Analyse liege
ausschließlich darin, eine Theorie zur Erforschung der sozialen Kraft von Musik zu
entwerfen: das Ziel der Analyse, den Beitrag von Musik zur politischen Bewusstseinsbildung
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2
in einem bestimmten Raum (Westafrika) zu einer bestimmten Zeit (die Gegenwart seit der
Dekolonisierung) zu hinterfragen, stellt eher eine deduktive Herangehensweise dar und
verhindert es schlicht, eine Theorie zu formulieren, die jene Mechanismen und Kriterien der
Interaktion von Musik und Politik jenseits von Zeit und Raum festlegen würde. Die starke
kontextabhängige Vermittlungsfähigkeit von Musik lässt des Weiteren keine solche
Verallgemeinerung zu.
Die Sichtung der zitierten Beiträge aus Musikwissenschaften und Soziologie macht deutlich,
dass der Themenkomplex Musik und Politik sich kaum theoretisieren lässt. Der französische
Kunstwissenschaftlicher Antoine Hennion stellt diesbezüglich fest, dass keine Verbindungen
oder Interaktionen zwischen Musik und Gesellschaft erfasst oder überhaupt postuliert werden
können, ohne dass es dazu klar zu identifizierende Akteure gibt (Hennion; 1995: 248).
Im Sinne Hennions wird hier nicht das Verhältnis zwischen Musik und Politik in den
Vordergrund der Untersuchung gestellt, sondern bestimmte Akteure, die durch ihre
kontextbezogene Handlung gewisse Interaktionen bewirken. Aus einer wissenschaftlichen
Perspektive macht die induktive Herangehensweise eine Identifikation von gegenseitigen
Eingriffsmechanismen von Musik und Politik möglich, die wiederum greifbare Aussagen
über das Verhältnis von Musik und Politik enthalten können. So sehr kontextabhängig sie
auch seien, haben sie eine politische Aussagekraft und sollten aus politikwissenschaftlicher
Sicht nicht ignoriert werden.
Für die vorliegende Untersuchung lassen sich aus den bisherigen Überlegungen erst einmal
zwei methodische Bedingungen für die Formulierung eines Forschungsansatzes herausleiten:
Um den Beitrag der Musik auf politische Bewusstseinbildung in Westafrika zu evaluieren,
muss:
1.
das soziale, kulturelle und politische Umfeld thematisiert und analysiert werden,
2. auf die Handlung bestimmter Akteure in diesem Umfeld fokussiert werden, die
wiederum in Verbindung mit den Erkenntnissen aus Punkt 1 zu bringen ist.
In Teil III der Analyse werden demnach die Entwicklung von populärer Musik und deren
Funktion
in
gegenwärtigen
westafrikanischen
Gesellschaften
analysiert.
Aus
kontexttheoretischer Sicht scheint ein Rückblick auf die Etappen und kulturellen Folgen der
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(De-)Kolonisierung erforderlich. Dieser Rückblick wirft die Frage nach der kulturellen
Identität afrikanischer Gesellschaften im kolonialen und postkolonialen Kontext auf – eine
Frage, die anhand von Beispielen aus Musikproduktionen problematisiert werden kann.
Nachdem der Kontext präzis erfasst und erläutert wird, in dem nach der Wirkung
musikalischer Praxis gesucht werden soll, kann auf die Handlung und Aussagen bestimmter
Akteure fokussiert werden, um Befunde herauszuleiten.
II.3.a: Methodologie der Wirkungsforschung kultureller Praxis
Die Frage nach der sozialen Wirkung von Musik wirft ein sozialwissenschaftliches
Methodenproblem auf, das bereits anhand der erwähnten musikwissenschaftlichen Beiträge
sichtbar wurde: Ist die politische Wirkung überhaupt messbar – und wenn ja, wie soll sie
gemessen werden? Die dargestellte fachliche Auseinandersetzung mit dieser Frage hat auch
eine methodologische Seite und so herrscht auch kein Konsens über die geeigneten Methoden
der Wirkungsforschung kultureller Praktiken: gestritten wird zwischen quantitativer und
qualitativer Zugangsweise, über die Relevanz von biographischen und interpretativen
Verfahren und nicht zuletzt über den Umgang mit der Kontextabhängigkeit der Deutung von
Musik.
Max Fuchs stellt dazu fest,
dass „die Herstellung von politischem Bewusstsein, von
Bereitschaft sich zu engagieren (...) mit einem traditionellen quantitativen Paradigma kaum
erfasst werden können“ (Fuchs 1998: 13). Fuchs übt dabei Kritik an der im politischöffentlichen Feld verbreiteten Annahme, dass das, was größere Geldmengen umsetzt, auch
kulturell wirksamer ist (ebd:12). Diese Kritik ist insofern gerechtfertigt, als dass das Denken
in ökonomischen Kategorien sämtliche nicht wirtschaftlich-orientierten oder nicht effizienten
kulturellen Praktiken sowie ihre Legitimität von der kulturellen Realität ausschließt.
Problematisch ist, dass gerade die „unabhängige“ kulturelle Praxis, gerade weil sie in Medien
und kommerziellen Kanälen nur punktuell vertreten ist, besonders schwer erfassbar ist.
Es mag dennoch möglich sein, bestimmte Aspekte der sozialen Wirkung kultureller Praxis
quantitativ zu erfassen. In Bezug auf Musik könnten die Verkaufszahlen von ausgewählten
Tonträgern ermittelt oder die Besucherzahlen bestimmter Veranstaltungen und deren
Entwicklung auf einen bestimmten Zeitraum erfasst werden. Dazu ist es jedoch nötig, eine
vorgewählte Testgruppe auszuwählen und gezielt die politische Einstellung zu „messen“, was
schon im Vorfeld problematisch erscheint, denn zur jeweiligen politischen Einstellung oder
Bereitschaft müssten bei jeder Testperson weitere persönliche, sozial und familienbedingte
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Kriterien mit einbezogen werden. Demnach können quantitative Forschungsmethoden zum
Teil angewandt werden, doch der Anspruch, aus den Ergebnissen kausale und lineare
Wirkungsvorstellungen herauszuleiten, scheint unrealistisch.
Überhaupt ist fraglich, ob eine derartige „Wirkungsstudie“ nach direkter Kausalität streben
soll. Dollase kommt in dem oben ausführlich zitierten Aufsatz zum Schluss, dass politische
Wirkung von Musik ohne konkrete Untersuchungen kaum nachweisbar ist. Mit konkreten
Untersuchungen sind zum Beispiel jene Studien gemeint, auf die Dollase sich anschließend
bezieht. In Bezug auf die politische Einstellung stellt Dollase fest, dass grundsätzlich
Parallelen zwischen dem Hören populärer Musik und der politischen Haltung erkennbar sind.
Die Kausalitätsrichtung dagegen (ob das Hören der Musik diese Haltung bewirkt oder
umgekehrt) bleibt prinzipiell unbestimmbar. Dennoch zieht Dollase ein eindeutiges Fazit aus
den erzielten Ergebnissen: Wenn 75% der Befragten der Rockmusik einen primären
Unterhaltungszweck verleihen, lässt sich in Verbindung mit den anderen Ergebnissen, etwa
zur Rezeption von Liedertexten, behaupten, dass kaum politische Wirkung von Rockmusik zu
erwarten sei. (Dollase, in Frevel; 1997: 119 ). So ist die Frage nach der politischen Wirkung
von Musik in Aktion auf den sozialen Agenten meines Erachtens, wenn auch nur zum Teil,
beantwortet. Die Antwort fällt in diesem Fall negativ aus, wobei die Ursachen für diese
negativen Ergebnisse in gesellschaftlichen Rezeptionsmustern lokalisiert werden.
Dollases Erkenntnisse lassen sich nur dadurch relativieren, dass die Praxis von Rockmusik
stark verallgemeinert wird: in dem Aufsatz ist Rockmusik durch national und international
berühmte Akteure vertreten und die Befragungen erfolgten bei Konzerten von Deep Purple,
Santana, Ekseption und Nektar. Die benannten Musikergruppen bilden in den späten siebziger
Jahren eher eine Kommerz- und Unterhaltungssparte dieser Musikrichtung. Mit anderen
Worten: wenn eine Sparte der Rockmusik eine politische Wirkung haben soll, dann nicht
diese. Anhand dieser Beispiele wird ebenfalls deutlich, dass der Erfolg jenes musikalischen
Ereignisses, gemessen am Umsatz der Veranstaltung oder Zahl der Besucher, nicht sogleich
sozialpolitische Wirksamkeit bedeutet.
So sind quantitative empirische Methoden zur Erfassung der politischen Wirkung von Musik
denkbar, aber im Allgemeinen nicht vorteilhaft: sie erfordern eine sehr genaue Eingrenzung
der Zielgruppen und eine ebenso genaue Kontextualisierung der Rezeption und Aneignung
der untersuchten musikalischen Praxis. So können solche Untersuchungen auch nur auf einem
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stark begrenzten geographischen und zeitlichen Raum stattfinden, was im Fall der
vorliegenden Analyse nicht angebracht wäre.
Es gibt dennoch unterhalb dieser strengen empirischen Messlatte weitere Möglichkeiten der
Erfassung der Wirkung von kultureller Praxis. Hier bietet sich zum Beispiel eine Annäherung
an die Medienwirkungsforschung an, die der Suche nach kausalen Wirkungsvorstellungen
eine Absage erteilt und darauf aufmerksam macht, dass Wirkungen zahlreiche Ursachen
haben können und über einen langen Zeitraum entstehen. Die Medienwirkungsforschung hat
gezeigt, dass Wirkung meistens nicht direkt und kausal messbar ist und dennoch entweder auf
langer Sicht oder punktuell anhand von konkreten Beispielen erkennbar ist (Fuchs1998: 13).
In dieser Hinsicht wird hier die von Hennion und De Nora formulierte akteursbezogene
Untersuchungsmethode vorgezogen. Diese enthält keine etablierte Methodologie und sieht
nur die systematische Interpretation einer Handlung sowie die Thematisierung des
gesellschaftspolitischen Rahmens vor, in dem diese Handlung stattfindet. So mögen die
Darstellung besonderer politischer und musikalischer Entwicklungen sowie die Wiedergabe
von Interviews und biographischen Angaben über spezifische Akteure Aussagen enthalten,
die wiederum in Verbindung mit gesellschaftspolitischen Entwicklungen gebracht und somit
als Beispiele einer sozialen Wirkung musikalischer Praxis gedeutet werden können.
II.3.b: Das Beispiel der Reggae-Musik auf Jamaika
An dieser Stelle wird versucht, die eben skizzierte Untersuchungsmethodik am Beispiel der
Reggae-Musik und deren Entwicklung und Wirkung auf der westkaribischen Insel Jamaika
anzuwenden. Das Beispiel von Jamaika dient vorerst der methodischen Überzeugung. Es ist
aber auch insofern für den weiteren Verlauf der Analyse relevant, als dass die Insel aus
geschichtlicher Sicht vieles mit Westafrika gemeinsam hat: es ist eine ehemalige britische
Kolonie, die zum großen Teil von Nachfahren afrikanischer Sklaven bewohnt ist. Reggae
entstand unmittelbar nach der Unabhängigkeit der Insel 1961 und verbreitete sich im Tumult
eines Bürgerkrieges und scharfen innen- und sozialpolitischen Auseinandersetzungen sowie
im internationalen Kontext der bipolaren Weltordnung, in der sämtliche neu entstandene
Nationen ihren Platz finden mussten.
Reggae gilt seit seiner Entstehung und im ganzen Verlauf seiner globalen Verbreitung als eine
Protestmusik. Aus den „Ghettos“ der jamaikanischen Hauptstadt Kingston stammend wurden
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der Reggae und seine Vertreter im schwierigen postkolonialen Kontext zu Stimmen der
Dritten Welt (King; 2002: xi). Von der Denunzierung der miserablen Lebensverhältnisse auf
Jamaika hin zur offenen Denunzierung der Sklaverei, der Kolonisation und zur Vereinigung
aller Afrikaner hat Reggae stets politische Inhalte vermittelt, die unterschiedlichen Einklang
fanden
und
deren
Wirkung
auf
gesellschaftspolitische
Prozesse
durchaus
thematisierungswürdig ist.
Die leitende Figur des Reggaes ist zweifellos Bob Marley. Mit 260 Millionen verkauften
Alben weltweit galt Bob Marley zu seinem Tod 1981 als der erste und größte „Popstar der
Dritten Welt“ (Lee 1988: 190). Im Dezember 1976 wird Bob Marley in seinem Haus in
Kingston von unbekannten Männern überfallen und angeschossen. Dabei werden er, seine
Frau und sein Manager von mehreren Gewehrkugeln getroffen. Zu jener Zeit hieß es, dieser
Überfall sei auf die Auseinandersetzung von Gangs und Banditen zurückzuführen, die in den
Ghettos der Hauptstadt mafiöse Aktivitäten trieben, an denen der reich gewordene Bob
Marley teil haben sollte (White; 1991:288f). Doch schnell wird der Anschlag auf Bob Marley
auf den Bürgerkrieg auf Jamaika zurückgeführt, bei dem sich Anhänger der marxistischen
People’s National Party (PNP) und Anhänger der von den USA unterstützten Jamaica
Labour Party (JLP) bekämpften. Bob Marley, der der PNP und ihrem demokratischen
„Unabhängigkeitsprogramm“ näher stand, obwohl er beide Seiten und vor allem die Zunahme
der Gewalt und die miserablen Lebensverhältnisse der Mehrheit der Bevölkerung der Inseln
kritisierte, genoss einen zunehmenden Rückhalt in der jamaikanischen Jugend und der
jamaikanischen Unterschicht. Man fürchtete sogar, dass Marleys Aussagen bei dem am
folgenden Tag geplanten Friedenskonzert in Kingston den anstehenden Wahlsieg der JLP zum
Kippen bringen würden, was die amerikanischen Interessen im Karibischen Becken hätte
gefährden können. Mittlerweile ist es unumstritten, dass der unaufgeklärte Anschlag auf Bob
Marley politisch motiviert war. 1983 gab sogar ein ehemaliger CIA Agent bekannt, dass die
amerikanischen Geheimdienste in das Attentat verwickelt waren (ebd:304).
Die Wahl gewann Michale Manley von der marxistischen PNP und 1980, als der Bürgerkrieg
noch anhielt, gelang es Bob Marley bei einem öffentlichen Konzert, das kurz vor der nächsten
Wahl stattfand, beide Anführer der angefeindeten Parteien auf die Bühne zu holen, damit
diese sich die Hand geben, was sie auch zum ersten und letzten Mal in der Geschichte des
Bürgerkrieges taten.
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Durch den Einfluss, den Marley mit seiner Musik ausübte, wurde er sowohl zu einer Ikone der
Jugend- und Protestkultur, zuerst auf Jamaika, dann in England und später weltweit, als auch
zu einem unumgänglichen politischen Faktor des Inselgeschehens.
Zwischen den sechziger und siebziger Jahren erhielt die mit dem Reggae eng verbundene
Rastafari-Bewegung, eine ursprünglich an das Alte Testament gebundene religiöse
Bewegung, die im äthiopischen Kaiser Ras Tafar I (Haile Selassie) ihren Propheten sieht, eine
zunehmende politische Orientierung, die sich in der Musik wieder finden lässt. Diese
Politisierung geht auf verschiedene Faktoren zurück: Aufgrund ihrer religiösen Dissidenz und
ihrer stetigen Denunzierung der sozialen Ungleichheiten auf Jamaikas waren die Rastafaris
Opfer einer systematischen polizeilichen Verfolgung auf der Insel. Die „Reggaevorfahren“
„Ska“ und „Rock Steady“ waren bereits in den sechziger Jahren jene Musikrichtungen, die
soziale Verhältnisse denunzieren und angehen wollten. Im Reggae der siebziger Jahre
vereinten sich die Jugend der Ghettos von Kingston mit der Rastafari Bewegung, so dass der
Reggae eine sowohl spirituelle als auch sozialkritische Funktion erhielt. Im Reggae, der trotz
der chronischen Zensur zur wichtigsten Musik des jamaikanischen Rundfunks wurde, fanden
beide Gruppen ein Mittel zum Ausdruck und zur Identitätsstiftung (King 2002: 109).
Außerhalb der Insel erhielten ferner die Aussagen sämtlicher panafrikanischer Denker und
Staatsmänner - darunter Lumumba, Sekou Touré, aber auch Bob Marley und nicht zuletzt
Haile Selassie- im Hinblick auf die Rückkehr aller Afrikaner auf den afrikanischen Kontinent
(„Repatriation Plan“) und die wiederholten pazifistischen und panafrikanischen Appelle eine
starke Resonanz innerhalb der Rastafaris und ferner der internationalen Reggae Zuhörerschaft
(ebd: 28,96f). Mit der Internationalisierung des Reggaes in den siebziger Jahren, der
zeitgleich in England, Nordamerika und Westafrika dank Künstlern wie Jimmy Cliff oder Bob
Marley einen Durchbruch erlebte, mit der zunehmenden Desillusion über die postkolonialen
Verhältnisse in afrikanischen Ländern und schließlich mit der Verbreitung der Black Power
und der panafrikanischen Bewegungen an britischen und nordamerikanischen Universitäten
findet eine „Universalisierung“ des Reggaes statt, der zu einer panafrikanischen Musik wird,
welche in Armut, Korruption und Gewalt – sei es auf Jamaika oder in afrikanischen Ländern
– die gleichen Ursachen sieht.
Aufgrund seiner panafrikanischen Positionen, seiner Aussagen über die notwendige
Selbstständigkeit und die Vereinigung aller afrikanischer und afroamerikanischer Völker,
seiner stetigen Denunzierung der „physischen und mentalen Sklaverei“ gilt Bob Marley an
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der Seite von Patrice Lumumba oder Rodney King als eine der wichtigsten
Aufklärungsfiguren für Afrika. So waren 1980 Bob Marley and the Wailers Ehrengäste der
offiziellen Unabhängigkeitszeremonie von Simbabwe. Als die Band ihr Lied „Zimbabwe“
anspielte, das die Hymne der panafrikanischen Freiheitskämpfer im rhodesischen Bürgerkrieg
war, brachen Unruhen aus. Tausende Leute brachen die Polizeisperren durch und überrannten
das Stadiongelände, auf dem Prince Charles und sämtliche afrikanischen Staatschefs
versammelt waren. Die Armee musste intervenieren und
setzte damit der offiziellen
Staatszeremonie ein Ende (White 1991: 1-4).
David Chen und Wayne Chang beobachten, dass Reggae nicht nur von panafrikanischen
sondern auch von Befreiungsbewegungen in Nicaragua, auf dem Tienanmen Platz und vor der
Berliner Mauer als Protestmusik eingesetzt wurde. Dazu schreibt der Reggae-Spezialist Jay S.
Kaufmann: „the world- wide acceptance of Reggae provides evidence that the power of music
to influence political and social change is not limited to Jamaican Society” (Kaufmann, zitiert
in King; 2002: xii). Der britische, aus Jamaika stammende Reggaesänger Linton Kwesi
Johnson (LKJ) bezeichnet Reggae in folgender Weise: „the sounds of a society in the process
of transformation, a society undergoing profound political and historical change“(ebd: 45).
Diese Aussage lässt sich dem aus den Kulturwissenschaften entstammenden Ansatz
anschliessen, wonach die soziale Wirkung von musikalischer Praxis dort am deutlichsten zu
beobachten ist, wo sich eine (Re-)Konstruktion von sozialen, kulturellen und identitären
Wertesystemen vollzieht (Struck-Schoelen; 2005:129).
An dieser Stelle bieten sich zwei Annäherungen an, die breitere Aussagen über die Funktion
und Bedeutung musikalischer Praxis in bestimmten sozialpolitischen Kontexten zu Tage
bringen und somit für die vorliegende Analyse von großer Relevanz sind: Auf einer eher
theoretischen Ebene lässt sich feststellen, dass Probleme des Alltags, soziale Themen und
Frustrationen in Musik behandelt und mit Rhythmus, aussagekräftigen Tönen und Harmonien
so verbunden werden, dass sie von Hörern, wenn nicht stärker, zumindest intensiver
identifiziert und wahrgenommen werden und zugleich soziales Interesse und persönliche
Emotionen bündeln können. Diese Aussage trifft beinahe auf jede Musik zu, die auf kulturelle
und sozialpolitische Wandlung gerichtet ist: Obwohl Musik nicht immer kohärent und von
den Inhalten her auch durchaus widersprüchlich sein kann, schafft sie zusätzliche
Kommunikations- und Informationskanäle für sonst unerreichte Hörer und ungehörte Redner
(Lock 2005: 142). Letzteres wird verstärkt, wenn Musik die Funktionen anderer Medien
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erfüllt, zum Beispiel bei Gruppen, die Meinungsbildung, Informationen und Wertebildung aus
der Musik entnehmen, wie es oft bei Hip Hop Hörern Fall ist (Struck-Schoelen 2005:131/
Locke
2005:
142)
oder
in
Gesellschaften,
in
denen
Rundfunk
als
wichtigste
Informationsquelle dient und Musik als Teil des Sozialisierungsprozesses hervorgehoben
wird. Diese letzten Aspekte sind insbesondere in Bezug auf Westafrika von besonderer
Bedeutung und werden anschließend ausführlicher erläutert.
Dabei ist es wichtig zu beachten, dass längst nicht nur Texte, die man als politisch betrachten
würde, Emotionen und Interessen bündeln können. Vielmehr ist das Politische im gesamten
Prozess musikalischer Praxis zu suchen. Hier ist die Annäherung an die Musiksoziologie von
Bedeutung, wonach auch Komposition und musiktechnische Vorgehensweise ebenfalls als
sozial relevant betrachtet werden können. Dazu dient die indisch-englische Band Asian Dub
Foundation (ADF) als Beispiel, die durch ihre moderne Mischung aus elektronischen
Techniken, traditionellen indischen Instrumenten und Reggae-Einflüssen in den neunziger
Jahren weltweit für Aufmerksamkeit und Erfolg sorgte: „Whatever anyone says about Asian
Dub Foundation’s so called „political“ lyrics, no one would have taken any notice if it
wasn’t for ADF’ s sound and its inherent energy (…) For us, programming wasn’t just a
technical issue, but carried emotional and social weight- certain sounds suggesting certain
themes and lyrics...“ (ADF Collective in Franklin 2005: 8).
An dieser Aussage wird deutlich, dass die sozialpolitische Vermittlungskraft von Musik
weder strikt im sozialpolitischen Entstehungskontext noch strikt anhand von Liedertexten,
sondern im gesamten Prozess der musikalischen Praxis zu suchen ist, wobei dies alles sich
nicht ohne weiteres trennen lässt. So wird hier der Prozess musikalischer Praxis nicht als
„Ersatz für echte politische Aktivität“ betrachtet, sondern als eine künstlerische Aktivität,
deren politische Seite für manche Agenten inhärent sein kann. Dies ist zum Beispiel der Fall
von Reggae und vom afrikanischen Hip Hop, die durchaus als Protestmusik betrachtet werden
können, doch auch einem ästhetisch-musikalischen Wertesystem unterliegen, in dem Künstler
genau so wie im sozialpolitischen System gezielt handeln und sich bewegen.
Der Durchbruch und der Einfluss von Reggae lässt sich demnach zum einen aus
musikanalytischer Sicht erläutern, als Musik, welche die Marginalisierung zur Zeit ihrer
Entstehung überwinden konnte, weil sie nicht nur inhaltlich, sondern auch rhythmisch und
harmonisch überzeugen und die Identifikation eines Großteils der Inselbevölkerung mit dieser
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Musik bewirken konnte. Zum anderen muss der Durchbruch des Reggaes auf Jamaika in
einem besonderen kulturellen und sozialpolitischen Kontext lokalisiert werden, in dem auch
der Bedarf nach solcher Identifizierung und nach dem Ausdruck einer kulturellen und
sozialen Not zu erkennen ist.
Letzteres führt uns zur zweiten Annäherung, die sich an dem Beispiel des Reggaes auf
Jamaika anbietet: Diese erfolgt auf empirischer Ebene. So liegt die Analogie zwischen dem
jamaikanischen Beispiel und den kulturellen und sozialpolitischen Prozessen nahe, die
westafrikanische Länder seit ihrer Unabhängigkeit prägen. In diesem präzisen Kontext von
Transformation, sozialpolitischer Gestaltung und kultureller Identitätsbildung muss nach der
sozialpolitischen Wirkung musikalischer Praxis gesucht werden. Auf dieser Grundlage lässt
sich am besten ein Beitrag von Musik zur politischen Bewusstseinsbildung erfassen.
Im Fall Jamaikas ist die soziale Wirkung des Reggaes zum Beispiel an dem Einfluss von
Künstlern auf das Wahlverhalten sichtbar. Stephen A. King stellt fest, dass die Ergebnisse
einer Wahl auf Jamaika bis in den achtziger Jahren von der Unterstützung bestimmter
Künstler abhängig waren (King; 2002: 107f). Dies lässt sich an der erwähnten Wahl von 1976
erahnen, wobei hier eine Koinzidenz und keine Kausalität festgestellt werden kann. Dudley
Thomson, Jamaikas Außenminister von 1976 bis 1978, betont das Interesse sämtlicher
Politiker an einer Kooperation mit Reggae-Künstlern wie Bob Marley:
„ Reggae expressed the wishes and sentiments of the people (…) That protest came through
music and through their songs. And they said what they agreed and disagreed with. And you
could find out really what the people where thinking by what song they sang. It was one way
by which you could gage the people.” (Thomson in King 2005: 109)
Reggae hat sich im Laufe der Jahre auf Jamaika von einer Bedrohung für die nationale
Sicherheit zu einem wichtigen friedensstiftenden gesellschaftspolitischen Faktor entwickelt,
welcher mit der Zeit von allen Gesellschaftsschichten und Akteuren respektiert wurde. Heute
zählt Reggae zum offiziellen Kulturgut der Insel und die Tatsache, dass Jamaika der
Entstehungsort des Reggae ist, gilt als wichtigstes Werbe-Argument der Tourismusindustrie
der Insel (ebd:112f/ 122ff).
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So hat Reggae die Entwicklung Jamaikas seit ihrer Unabhängigkeit 1961 auf kultureller,
politischer und wirtschaftlicher Weise geprägt. Diese Prägung im Hinblick auf
Meinungsbildung oder Entstehung einer neuen wirtschaftlichen Branche, die bis heute von
Bedeutung ist, würde ich als sozialpolitische Wirkung der musikalischen Praxis bezeichnen.
Trotz der Abwesenheit strikter kausaler Verbindungen und Begründungen ist die
Gestaltungskraft des Reggaes in der jamaikanischen Gesellschaft kaum zu bestreiten.
II.3.b: Zwischenfazit
Es ist nach Sichtung der wissenschaftlichen Beiträge zum Komplex von Musik und Politik
schwierig
klarzustellen,
inwiefern
Auswirkungen
von
musikalischer
Praxis
auf
gesellschaftspolitische Prozesse erfasst oder gar theoretisiert werden können. Dass die
Vermittlungsfähigkeit von Musik nichts Konkretes über ihre effektive soziale Wirkung
aussagt, heißt jedoch nicht, dass diese Wirkung nicht vorhanden ist, und die Tatsache, dass
die soziale Wirkung musikalischer Praxis sich weder anhand von klassischen empirischen
Kriterien noch kausal erfassen lässt,
sollte nicht der Grund sein diese Wirkung ganz
abzustreiten. Die Wirkung von Musik muss immer in einem bestimmten Kontext gedeutet
werden; daher lässt sie sich weder theoretisieren noch verallgemeinern. Das heißt nicht, dass
der Kontext die Musik macht, sondern nur, dass die Funktion und Wirkung von Musik je nach
Kontext unterschiedlich gedeutet werden kann und soll. So lassen sich Parallelen zwischen
der Musik und dem Entstehungskontext feststellen, welche viel über die Interaktivität von
Musik und Gesellschaft aussagen.
Es ist des Weiteren von grundlegender Bedeutung, musikalische Praxis als gesellschaftliche
Aktivität wahrzunehmen. Auch sie findet in einem bestimmten Kontext statt und wirkt auf
diesen Kontext ein, indem sie Emotionen, Identifizierungsmuster, Mobilisierung von
Menschen und Identitätsstiftung schafft und auf den Ebenen der Produktion, Vermittlung und
Rezeption zur sozialen Gestaltungskraft beisteuert. Dieser elementare Aspekt von
musikalischer Praxis scheint von den Musikwissenschaften und der Soziologie manchmal
übersehen zu werden. Musik darf jedoch nicht auf diese soziale Gestaltungskraft reduziert
werden: Letztere ist vielmehr ein fester Bestandteil musikalischer Praxis, der an bestimmten
„Stellen“ oder Momenten der gesellschaftspolitischen Gestaltung deutlicher beobachtet
werden kann.
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Schließlich macht dieser etwas breiter gefächerte Ansatz viele Darstellungsweisen des
Verhältnisses von Musik und Politik möglich. So kann die politische Instrumentalisierung von
Musik in autoritär geprägten Gesellschaften als Missbrauch von Musik zu ideologischen oder
machtpolitischen Zwecken dargestellt werden. Ebenso kann Musik als wirtschaftliches
Instrument
von
profitorientierten
Unterhaltungsindustrien
in
einer
etablierten,
marktorientierten kapitalistischen Gesellschaft gedeutet werden. Wichtig ist nur, dass Musik
und musikalische Praxis auf keine dieser Darstellungen reduziert wird. So kann ebenfalls
argumentiert werden, dass musikalische Praxis eine gestaltende Rolle und eine soziale
Wirkung in jenen Stadien und Nischen des gesellschaftspolitischen Prozesses haben kann, in
denen sich eine (Re-)Konstruktion von kulturellen und identitären Wertesystemen vollzieht.
Gerade in der afroamerikanischen Musik lassen sich zahlreiche Beispiele musikalischer
Praxis nennen, die in einem solchen gesellschaftlichen Prozess politische Einflussnahme nach
sich ziehen. Wenn dieser Einfluss nicht kausal zu belegen und konkret greifbar ist, sollten die
Berührungspunkte berücksichtigt werden, an denen diese gestaltende soziale Wirkung von
Musik sichtbar wird. Reggae ist nur eins dieser Beispiele, welches hier wegen der auf der
Hand liegenden Verbindung mit dem afrikanischen Kontinent und dessen Geschichte gewählt
wurde. So wird in den kommenden Teilen der Analyse mit dem gleichen analytischen
Vorgang versucht, anhand bestimmter Beispiele der musikalischen Praxis und einer
Kontextualisierung gesellschaftspolitischer Prozesse in Westafrika Aspekte des Beitrags von
Musik zur politischen Bewusstseinsbildung zu durchleuchten.
Teil III: Die politische und kulturelle Dekolonisierung
Westafrikas
Die Analyse der gesellschaftspolitischen Prozesse, die sich im gegenwärtigen Westafrika
vollziehen, macht eine Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit des Kontinentes
unumgänglich. Der Kontakt zu den Kolonialmächten und den Werten, Religionen, Sprachen,
die sie mitbrachten und aufzwangen, ist hier von zentraler Bedeutung. Afrika südlich der
Sahara ist heutzutage der Schauplatz einer Fusion zwischen traditionell afrikanischen und
europäischen Werten und Normen.
Manda Tchebwa schreibt in einem Band über afrikanische Musik, dass Künste in Afrika die
ganze Vitalität eines Kontinents widerspiegeln, in dem künstlerische Praxis und Alltag
besonders eng ineinander verstrickt seien (Tchebwa; 2005: 15). Im letzten Teil der Analyse
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wurde gezeigt, dass die enge Verbindung zu gesellschaftlichen Verhältnissen oder ihre
Reflexion und Mitgestaltung zu den Eigenschaften der musikalischen Praxis zählen kann.
In dieser Hinsicht scheint die musikalische Praxis in Afrika tatsächlich aufgrund der
Traditionen, der kolonialen Vergangenheit und der aktuellen herrschenden Verhältnisse auf
dem Kontinent ein besonderes Beispiel darzustellen: Aus ethnologischer Sicht ist eines der
zentralen traditionellen Merkmale afrikanischer Gesellschaften der Glaube, dass das morale
und gemeinschaftliche Leben von Vorfahren überwacht und beobachtet wird. Musik ist dabei
das Medium zur Kommunikation mit den Vorfahren und dient der Verstärkung der irdischen
und transzendentalen gemeinschaftlichen Bindung (Sowande 1972: 64). Des Weiteren ist die
große Mehrheit der afrikanischen musikalischen Praxis mit religiöser oder sozialer Handlung
verbunden und die Musik wird eher nach ihrer sozialen Relevanz als nach ihrem
Unterhaltungspotential bewertet. Zu jeder alltäglichen Handlung, zu jedem sozialen Ereignis
gibt es das passende Lied (Fletcher; 2001: 147f).
Heute lässt sich dieses traditionell geprägte Merkmal von Musik ein wenig relativieren: durch
die Urbanisierung und den großen Einfluss des europäischen Kulturmodells lässt sich eine
große Kluft zwischen ländlichen und städtischen Räumen beobachten, wobei vorkoloniale
gesellschaftliche Gebräuche, die sehr auf kleinere dörfliche Strukturen zugeschnitten sind, in
Städten tendenziell an Bedeutung verlieren. Dennoch bleibt das gemeinschaftliche
Bewusstsein, das auf Jahrhunderte langen Traditionen beruht, tief in afrikanischen
Gesellschaften verankert. Um dies näher durchzuleuchten, wird die Entwicklung des
Umgangs mit diesem traditionellen Erbe im Laufe der Kolonisierung und im postkolonialen
Kontext im kommenden Teil dargestellt.
Dabei wird im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit
weniger auf die koloniale Zeit selbst als auf die Folgen der Kolonisation eingegangen. So
wird auf jene Phase fokussiert, die in der afrikanischen und französischen Literatur als
„Indépendances“ bezeichnet wird, als die Zeit der afrikanischen Unabhängigkeiten. Diese
Zeitspanne ist etwas breiter angelegt und erstreckt sich auf die Zeit vor und nach den
nominalen politischen Unabhängigkeiten. Dieser Begriff deutet auf den Anfang eines
Prozesses kultureller und politischer Verselbstständigung, ein Prozess, der die Identitätssuche
zerrissener Gesellschaften in sich birgt und mit der (Neu)Bildung eines gesellschaftlichen und
politischen Bewusstseins verbunden ist.
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Afrikanische Gesellschaften befinden sich im Zuge der Dekolonisierung in einem
Identitätskonflikt zwischen vorkolonialen und europäischen kulturellen Modellen, dessen
Überwindung zu den wichtigsten Aufgaben und Herausforderungen der postkolonialen Zeit
gehört. An dieser Stelle befindet sich die Berührungsstelle zwischen künstlerischer Praxis
und politischem Prozess, die im Laufe des kommenden Teils thematisiert wird: Auf
politischer Ebene ist die Identitätsfrage von großer Relevanz für die Entwicklung eines
politischen
Systems,
Bevölkerungsgruppen
sowohl hinsichtlich der nationalen Integration
verschiedener
in
Prozess
multi-ethnischen
Staaten
als
auch
im
der
Verselbstständigung auf internationaler Ebene. Diese Suche nach Eigenständigkeit vollzieht
sich auch auf kultureller Ebene: so wird die Zwiespalt zwischen europäischen kulturellen und
politischen Einflüssen und dem Drang zur Schaffung eines afrikanischen Bewusstseins, das
dem traditionellen Erbe des Kontinents einen angemessenen Platz wieder gewähren würde,
ebenfalls durch Musik und musikalische Praxis verkörpert.
Anschließend wird über die Feststellung dieser Parallele hinaus untersucht, welche Funktion
Musik, Künstler und musikalische Praxis im Rahmen dieser Identitätssuche haben können
und ferner inwiefern Musik und politischer Prozess im Zuge der Unabhängigkeiten
afrikanischer Staaten interagiert haben. Zu diesem Zweck werden zunächst die
Auseinandersetzung und der Umgang afrikanischer Gesellschaften mit den politischen und
kulturellen Folgen der Kolonisation thematisiert und anschließend mit bestimmten
Merkmalen der Entwicklung populärer Musik in Verbindung gebracht.
III.1 Dekolonisierung und kulturelle Identität
Die Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe Afrikas wirft zwangsläufig die Frage nach
den Auswirkungen der aufgezwungenen Etablierung von fremden Strukturen und
Normensystemen durch die Kolonialmächte auf. Zweifellos hat die Kolonisierung die
afrikanischen Gesellschaften weitgehend transformiert und geprägt und schwerwiegende
wirtschaftliche und kulturelle Folgen gehabt. Die geschichtliche Analyse der Kolonisierung
und deren Umstände und die politikwissenschaftliche Analyse heutiger gesellschaftlicher
Verhältnisse sollten dennoch unter unterschiedlichen kritischen Blickwinkeln erfolgen. Dies
bedeutet nicht, dass das Übel der Kolonisation in irgendeiner Weise relativiert werden soll,
sondern nur dass im Laufe von mehreren Jahrzehnten gesellschaftlicher Autonomie
Entwicklungen stattfanden, die neue Prozesse zu Tage gebracht haben, für deren Erläuterung
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der strikte Hinweis auf die koloniale Vergangenheit nicht länger ausreichend ist. Genauso
bietet die ideelle afrozentrische Sicht eines afrikanischen Kontinents, der vor der kolonialen
Zeit friedlich und wohlhabend gewesen sei und strikt zu seinen traditionellen Wurzeln
zurückkehren sollte, keinerlei Ansatzmöglichkeiten im heutigen Kontext. Vielmehr sollte die
Betrachtung des gegenwärtigen Afrikas dessen soziale, wirtschaftliche und kulturelle
Verhältnisse zum Zeitpunkt der Dekolonisierung als Gegebenheit und Ausgangspunkt für
künftige Entwicklungen betrachtet werden.
III.1.a: Staats- und Identitätsbildung
In dieser Hinsicht ist die postkoloniale Phase als ein Kontext zu betrachten, in dem sich
afrikanische Gesellschaften als unabhängige Nationalstaaten bilden müssen. Dieser Prozess
richtet sich zum einen nach außen auf die internationale Staatengemeinschaft, zum anderen
nach innen auf die eigene Bevölkerung, die damit veranlasst wird, sich als Nation zu
verstehen.
In Afrika wie auch sonst wo auf der Welt sind die heutigen Nationalstaaten jedoch das
Ergebnis zahlreicher politischer und kriegerischer Auseinandersetzungen und Aufteilungen
zwischen imperialistischen Mächten, die den einheimischen Bevölkerungen meist fremd
waren. Der Nationalstaat stimmt selten mit einem homogenen kulturellen Raum überein.
Vielmehr bezieht der Nationalstaat seine Existenz aus einer Verwaltung, einem Rechts- und
Versorgungssystem, territorialen Staatsgrenzen und meistens einer Amtsprache.
Daraus
ergibt sich auf lange Sicht eine gewisse Kohärenz, die als Grundlage zur Entstehung eines
nationalen oder patriotischen Bewusstseins dienen kann. Das soziale Zusammenleben,
staatliche Institutionen und Einrichtungen, der Verkehr von Personen innerhalb der
Staatsgrenzen, die Information und die Teilnahme am politischen Geschehen dieses
Nationalstaates tragen dazu bei, dass das staatliche Territorium progressiv von allen Bürgern
als gemeinsames Territorium wahrgenommen und anerkannt wird. Dieser Prozess der
nationalen Integration vollzieht sich in Europa seit mehreren Jahrhunderten und ist immer
noch im Gange. Mit der Auflösung des Ostblocks und Jugoslawiens sind neue Nationalstaaten
entstanden, die derzeit genau diese Entwicklung durchmachen. Auch in Deutschland ist die
Frage, ob das nationale Territorium (das seit gerade 16 Jahren besteht) einer homogenen
kulturellen Einheit entspricht, weiterhin aktuell und umstritten. So auch in Afrika: Die
endgültige Grenzziehung in Afrika geht auf die Berliner Konferenz von 1884/85, in der
ausschließlich europäische Länder die Aufteilung des Kontinentes in staatliche Einheiten und
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kolonialen Gebieten festlegten, sowie auf weitere bilaterale Abkommen zwischen den
Kolonialmächten zurück (Messailloux 1997: 11). Als auf der Berliner Kongo-Konferenz die
europäischen Großmächte Afrika-Fragen verhandelten, war die koloniale Besetzung Afrikas
dennoch längst im Gange: seit der portugiesischen Präsenz in Mozambique und Angola ab
dem 16. Jahrhundert; seit der französischen Besetzung Ägyptens unter Napoleon ab 1800;
oder seit Großbritanniens Annexion von Lagos in Nigeria im Jahr 1861.
Der schwierigste Aspekt der Staatsbildung in Afrika besteht meines Erachtens darin, dass
durch die koloniale Besetzung und diese Aufteilung verschiedene Bevölkerungsgruppen sich
zu einer territorialen Einheit oder Grenzen bekennen mussten, die durchaus künstlich und vor
allem nicht im Interesse der ansässigen Bevölkerungen, sondern im strikten wirtschaftlichen
und machtpolitischen Interesse europäischer Mächte konstruiert wurden.
Man sollte jedoch nicht annehmen, dass die vorkoloniale Aufteilung Afrikas viel homogener
war: Wie die Reiche der vormodernen Welt waren auch sämtliche vorkolonialen Staaten
Vielvölker-Gebilde, auch meist mit hegemonialer Struktur. Die politischen Identitäten im
vorkolonialen Afrika bildeten sich eher vor dem Hintergrund bestimmter „vager kultureller
Gemeinsamkeiten“ aus als aufgrund ethnischer Homogenität (Bley 2005: 280ff). Zudem
konnten und können sich diese Zuordnungen und Identitäten schnell wandeln. So sind
- entgegen der Annahme, die koloniale Herrschaft habe allein die Wurzeln der politischen
Instabilität gelegt, die Afrika seit der Dekolonisierung prägt - die nationalen und
sprachbezogenen Unterschiede und Zugehörigkeiten, die aus der kolonialen Herrschaft
hervorgegangen sind, heute wesentlich prononcierter als die „ethnischen“, und die kolonialen
Grenzen haben die Einheiten afrikanischer Gesellschaften selten zerrissen, sondern diese
schlicht manipuliert (Messailloux 1997: 12). Die Aufteilung Afrikas ist im Zuge der
Dekolonisierung nicht gründlich in Frage gestellt worden und es wurde von der Organisation
für Afrikanische Einheit (OAU) beschlossen, diese unberührt zu lassen (Nohlen 1991: 506).
So sind meines Erachtens nicht nur die willkürliche Grenzziehung oder die unterstellte
mangelnde ethnische Homogenität in afrikanischen Staaten der Grund für Identitätskonflikte,
sondern eher die Tatsache, dass afrikanische Gesellschaften durch die Erlangung der
Unabhängigkeit innerhalb kürzester Zeit von dem Status untergeordneter Kolonien, in denen
einheimische Identität unterbunden wurde, zum Status von eigenständigen Nationalstaaten, in
denen die Identitätsfrage geradezu entscheidend ist, übergegangen sind.
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So standen die politischen Eliten Afrikas unmittelbar nach der Unabhängigkeit vor der
Aufgabe, nationale Identitäten zu schaffen, die sowohl die Eigenständigkeit des eigenen
Landes als auch die Zugehörigkeit zum afrikanischen Kontinent widerspiegeln sollten.
Insbesondere in ehemaligen französischen Kolonien, in denen die politische Bildung und das
politische System stark vom französischen Nationsverständnis geprägt wurden, wurde diese
Aufgabe von den Führungseliten sehr ernst genommen. So ist der Prozess der Staatsbildung in
Afrika ist durchaus von der schwierigen Auseinandersetzung mit den kulturellen Werten und
Modellen geprägt, aus denen gemeinschaftliche oder nationale Identitäten herausgeleitet
werden sollte.
III.1.b: kulturelle Assimilation und kulturelle Selbstbefreiung
Die Kolonisierung hat nicht bewirkt, dass alle traditionellen Gebräuche sowie das gesamte
kulturelle Erbe des vorkolonialen Afrikas verschwunden sind, sondern dass diese heute nur
stückweise wiedergegeben werden können (Komani; 1984; S.80). Dies habe zur Folge, so
Komani, dass sich afrikanische Gesellschaften in einem „ideologischen Leerraum“ befinden,
der einerseits von einem traditionellen Erbe geprägt ist, der durch kulturelle Assimilation
verzerrt wurde und heute zum Teil überidealisiert wird, und andererseits von westlichen
Werten, die im kolonialen und im postkolonialen Kontext ebenfalls verzerrt wiedergegeben
werden (ebd, S.235). Aus diesem Leerraum, den ich nicht länger als ideologisch sondern eher
als identitär betrachten würde, ergibt sich auch ein Streben nach einer eigenständigen
Formulierung von Identität.
Identität wird nicht nur konstruiert, sie erfolgt durch (persönliche) Bekennung
und
Anerkennung (von Dritten). An dieser Stelle lässt sich das Bemühen um die Bewahrung der
eigenen Identität von dem Streben nach der Bildung und der Behauptung einer Identität
unterscheiden. Es handelt sich dabei jedoch um zwei verschiedene Formen der
Identitätsbehauptung. In Bezug auf afrikanische Gesellschaften findet die erste Form in einem
kolonialen Kräfteverhältnis statt und deutet auf den „Kampf“ um die Bewahrung und
Anerkennung eines Erbes, wobei die Behauptung der Identität und ihre Ausdrucksformen als
Mittel des Widerstandes interpretiert werden können. Die zweite Form deutet wiederum auf
die Herausforderung, sich eigenständig und frei von Zwang zu entwickeln und dabei die
erforderliche Auseinandersetzung mit den bestehenden Erben progressiv und produktiv
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durchzumachen. Beide Aspekte haben einen gemeinsamen Leitfaden, nämlich eine gewisse
Entbindung vom kolonialen Modell, sei es politisch oder kulturell gemeint. Dieser Prozess,
der als kulturelle Selbstbefreiung bezeichnet werden kann, ist zweideutig und beinhaltet
sowohl die militante Entbindung von einem fremden Modell, das unter Zwang durchgesetzt
wurde, als auch den Prozess, sich dieses Modell eigen zu machen, um daraus eine eigene
Identität und einen eigenen Weg abzuleiten entlang dessen sich die Gesellschaft frei und neu
entfalten kann.
Die kulturelle Dekolonisierung ist daher ein wichtiger Prozess innerhalb der Dekolonisierung
selbst, der sich in der Zeit vor und nach der politischen Unabhängigkeit vollzieht. Es wird im
Folgenden versucht zu zeigen, inwiefern Kunst und Künstler in Westafrika an diesem Prozess
beteiligt werden.
III.1.c: Der Künstler als Agent der kulturellen Befreiung ?
Heute herrscht weitgehend Konsens darüber, dass das traditionelle Erbe afrikanischer
Gesellschaften, wenn es durch die Kolonisierung und die Urbanisierung an Gewicht und
alltäglicher Anwendung verloren haben mag, zumindest im Bewusstsein afrikanischer
Gesellschaften tief verankert bleibt und weiterhin identitätsstiftend ist. Die Gebräuche und
kulturellen Praktiken der vorkolonialen Zeit und das Wissen, das durch die orale Tradition
trotz der Kolonisation weiter vermittelt werden konnte, stellten unmittelbar nach Erlangung
der Unabhängigkeit wenige Elemente einer Identität dar, die man als eigen oder einheimisch
betrachten könnte. Gerade dieses Erbe und seine künstlerischen Manifestationsformen haben
während der Kolonisierung und im Zuge der kulturellen Assimilation für erhebliche Teile der
kolonisierten Bevölkerung als besonderer Anhaltspunkt gedient, was ihre Bedeutung als
Bestandteil eines afrikanischen Bewusstseins zusätzlich gesteigert hat.
Im Zuge der Dekolonisierung hat sich diese Konstellation verändert; Kunst und Gesellschaft
stehen vor neuen Herausforderungen. Eine von ihnen besteht darin, sich im Zuge der
politischen Unabhängigkeit eigenständig zu etablieren und anerkannt zu werden. Diese
Herausforderung ist ein wiederkehrendes Thema, das von afrikanischen Philosophen und
Intellektuellen vor und nach der Phase der Unabhängigkeit unterschiedlich behandelt wurde.
Dennoch haben sowohl Senghors Konzept der „Négritude“, N’Krumahs Theorie des
„Consciencism“ als auch der Panafrikanismus und sein Nachfolger, der Afrozentrismus, eins
gemeinsam, nämlich den Ausgangspunkt, dass afrikanische Gesellschaften sich in einem
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Konflikt zwischen eurochristlichen Werten und Einflüssen einerseits und traditionellen
afrikanischen Werten und Normen andererseits befinden, und dass die Notwendigkeit besteht,
diesen Konflikt zu überwinden und ein eigenständiges afrikanisches Bewusstsein zu bilden,
das den Weg für Fortschritt öffnen und dem afrikanischen Trauma ein Ende bereiten soll
(Bebbé- Njoh; 2002: 94).
Diese Idee der Bildung eines afrikanischen Bewusstseins nährte den Boden für die große
Mehrheit der afrikanischen politischen Bewegungen, vielleicht sogar für die Erkämpfung der
Unabhängigkeit, und fand ab den sechziger Jahren - verknüpft mit einer neuer
Interpretationsweise von marxistischen Ansätzen - Anwendung in den sozialistischen
Systemen Ghanas, Senegals, Guineas oder der Elfenbeinküste, deren Erfolg jedoch durchaus
strittig ist. Dennoch blieben Kunst und Künstler in dieser Zeit und auch noch später in den
achtziger Jahren, als eher von großer Desillusion und „Afro-Pessimismus“ die Rede war,
wichtige Akteure dieses Prozesses der Bewusstseinsbildung.
Noch 1985 schrieb der kongolesische Philosoph Kimoni, dass es zum Auftrag afrikanischer
Künstler gehöre, Afrikas kulturelles Erwachen zu initiieren (Kimoni; 2005: 231). Fünfzehn
Jahre später schreibt Makili Gassama, Literaturkritiker, dass „in diesen drei Jahrzehnten der
Unabhängigkeit, geprägt von Sorglosigkeit und Unverantwortlichkeit, niemand außer den
Künstlern und Schriftstellern seinen Auftrag anständig erfüllt hat“ (Mwaria/ Mc Laren (Hrsg)
2000:11).5
Ferner lässt sich im Allgemeinen beobachten, dass die sich große Mehrheit der afrikanischen
künstlerischen Produktionen inhaltlich mit Afrika und den dort herrschenden Verhältnissen
beschäftigt und aus dem Bedarf hervorgeht, die Geschehnisse des Kontinents zu verstehen
und wiederzugeben. Der afrikanischen Literatur wird ständig und in allen Phasen ihrer
Geschichte diese moralische Funktion verliehen (Kesteloot; 2001: 15). In der Musik lässt sich
das anhand sämtlicher Musikrichtungen wie „Afro-Reggae“, „Afro-Calypso“ oder „AfroBeat“ wieder finden (siehe dazu Teil III.3). In Abgrenzung zum jamaikanischen Reggae oder
zum karibischen Calypso definieren sich diese Musikrichtungen zum großen Teil durch diese
soziale Reflexion und die direkte Verbindung und Identifikation mit dem afrikanischen
Kontinent und dessen gesellschaftlichen Herausforderungen, wobei das Präfix Afro auf eine
5
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sowohl ästhetische als auch inhaltliche Besonderheit hinweist (Darré 1996: 164/ Bender in
Erlmann 1991: 31).
In einer Abhandlung zum Afro-Calypso in Sierra Leone schreibt Wolfgang Bender, dass der
Unterschied zum karibischen Calypso mehr auf der inhaltlichen und kontextuellen Ebene als
auf der musikalischen Ebene zu finden ist. Afrikanische Musik, so Bender, ist „ein Spiegel
der Veränderung des Bewusstseins und der Verlaufsformen der Entkolonialisierung, weil sie
sich nicht zuletzt auch immer wieder mit gesellschaftlichen und auch explizit politischen
Ereignissen befasst“ (Bender in Erlmann 1991: 33).
Die Bildung eines Selbstbewusstseins soll in Afrika quasi programmatisch durch die Kunst
erfolgen. Sie gehört zu den primären Aufgaben des Künstlers und könnte ferner als eine
Funktion der Kunst in westafrikanischen Gesellschaften verstanden werden.
III.2: Sonderbeispiel Westafrika ?
Die Bedeutung der Musik im Alltag afrikanischer Gesellschaften ist oft offensichtlich,
doch ihr Einfluss, ihre Funktion und Bedeutung in dem gesellschaftspolitischen
Entstehungsprozess bleibt ein sehr marginaler Forschungsgegenstand. In diesem Kapitel wird
versucht, die gesellschaftlichen und politischen Faktoren und Prozesse darzustellen, die zur
Entstehung und Schaffung einer einheimischen populären Musik geführt haben.
Die Musik, die ich folgend als „populär“ bezeichne, ist im Laufe des zwanzigsten Jahrhundert
entstanden, zuerst während der Kolonialzeit und später im Zuge der Dekolonisierung. Der
Begriff „populär“ deutet auf die Industrialisierung der Produktions- und Diffusionsweise, also
auf eine Musik, die sich an ein möglichst breites Publikum richtet. Wenn in Bezug auf Afrika
von populärer Musik die Rede ist, sind damit sehr vielfältige Genres gemeint. Der Begriff
populäre Musik enthält dabei keine ästhetische Bedeutung, wie etwa bei der westlichen „Pop
Musik“. Man neigt dazu, afrikanische Musik in traditionelle und moderne Musik aufzuteilen.
Diese Aufteilung trägt jedoch der Komplexität der allgemeinen Entstehung und Bedeutung
von populärer Musik in Afrika nicht Rechnung (Quelle 1: Suzuki 2002). Es wird anschließend
versucht, diese Komplexität und die Vielfalt und Bedeutung der populären Musik in
Westafrika am Beispiel von musikalischen Produktionen aus Ländern wie Guinea,
Elfenbeinküste, Ghana oder Nigeria deutlich zu machen.
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4
Das Beispiel Westafrikas wurde einerseits für die starke musikalische Tradition ausgesucht,
die zu den wichtigsten kulturellen Habiti der Mandingo- und der Golfregion zählt, und
andererseits für die enorme Vielfalt an musikalischer Praxis und Produktionen, die seit der
zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts dort zu beobachten ist. Wenn sich synkretische
Musikformen im Laufe des zwanzigsten Jahrhundert auf dem ganzen Kontinent verbreiteten,
geschah es am meisten und vor allem am frühesten in Westafrika. Dies lässt sich auf
unterschiedliche Faktoren zurückführen: Viele Länder Westafrikas waren unter britischer
Verwaltung. Die britische Kolonisierungspolitik war eher wirtschaftlich orientiert und ließ
eine vergleichsweise flexible Kulturpolitik zu, so dass in britisch verwalteten Gebieten
(darunter insbesondere Nigeria, Ghana und Sierra Leone) bereits im neunzehnten Jahrhundert
synkretische Musik produziert wurde (Manuel; 1988: 89f). In den von Frankreich verwalteten
Gebieten lassen sich solche Entwicklungen erst viel später beobachten. Ein weiterer Faktor ist
die rasche Entwicklung vieler urbaner Handels- und Kommunikationszentren im Golf von
Benin in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert: in die Häfen von Accra, Cotonou,
Abidjan oder Lagos strömten musikalische Einflüsse aus aller Welt, welche die Entstehung
neuer Musikformen gefördert haben. Dank der vergleichsweise schnelleren Urbanisierung
und Modernisierung Westafrikas verbreiteten sich neue Einflüsse über Rundfunk,
Schallplatten oder über aus Europa importierte Medien, die zusätzliche Anregungen für neue
musikalische Produktionen geschaffen haben. So gilt diese Region heute als das
Entstehungsgebiet der Musik, die heute weltweit die Grundlagen der „Worldmusic“ bildet6.
Aus analytischer Sicht lässt sich anhand des Beispieles der gegenwärtigen westafrikanischen
Musik zwei wichtige Verbindungen untersuchen: die Verbindung zwischen traditionellen
Kulturgütern und populärer Kultur einerseits, die im Zuge der Kolonisierung willkürlich
getrennt wurden und andererseits die Verbindung zwischen populärer Musik und
gesellschaftspolitischem Bewusstsein. Die Analyse Westafrikas ist hier insofern besonders
fruchtbar, als dass traditionelle Kulturgüter (in Form von oraler Tradition und
sozialgerichteter musikalischer Praxis) in vielen Ländern der Region im postkolonialen
Kontext als politische Instrumente der Bewusstseinsbildung eingesetzt wurden.
Der Grund für die Wahl dieses Instrumentes der Bewusstseinsbildung liegt dabei im
westafrikanischen
Kulturgut selbst. So scheint gerade in Westafrika die Musik einen
6
Die Worldmusic (oder Musik der Welt) ist vorerst ein wirtschaftliches Konzept aus den achtziger Jahren, als
die wichtigsten Musikkonzerne dem Beispiel der Entwicklung afrikanischer Musik folgten und traditionelle
Musik aus aller Welt aufgriffen und vertrieben. Es wurde somit ein neuer Markt eröffnet, der sehr schnell an
Bedeutung gewann. (Siehe dazu Darré 1996)
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besonders hohen gesellschaftlichen Stellenwert zu haben, den es hier erst einmal zu erläutern
gilt.
III.2.a: Traditionelle Funktion und Funktion von Tradition
Zu den wichtigsten Aspekten der Besonderheit westafrikanischer Gesellschaften in Bezug auf
Musik zählt die Einbindung von Musik in nahezu allen alltäglichen Aufgaben und
gesellschaftlichen Ritualen. In dieser Hinsicht wird auf eine gesellschaftliche Funktion von
Musik hingewiesen, die hier als fester Bestandteil der gesellschaftlichen Kommunikation und
der Sozialisierung zu verstehen ist.
Der nigerianische Komponist und Musikethnologe Fela Sowande unterscheidet verschiedene
Ebenen der Einbindung von Musik in sozialen und strukturellen Mustern in vorkolonialen
westafrikanischen Gesellschaften. Er verleiht somit der traditionellen Musik rituelle, soziale,
funktionale und Unterhaltungsfunktionen: die rituelle Funktion besteht aus Musik, die
öffentliche religiöse Zeremonien und Rituale begleitet. Dabei handelt es sich zum Beispiel um
sogenannte „Praise Songs“, die in ganz Westafrika verbreitet sind, wobei Musik und Gesang
der
Bindung
sowohl
innerhalb
der
Gruppenangehörigen
als
auch
zu
geistigen
übermenschlichen Kräften (engl. „Psyche“) dient. Die soziale Ebene bezieht sich auf Musik,
welche der moralischen und sozialen Bildung, der Integration und Zugehörigkeit innerhalb
der Gruppe dienen soll. Die funktionale Ebene bezieht sich auf Musik, welche die tägliche
Arbeit und die häuslichen Aufgaben begleitet und erleichtert (Sowandé in UNESCO 1972:
64f).
Über diese alltäglichen Funktionen der musikalischen Praxis der vorkolonialen Zeit hinaus
gehört Musik als Tradition neben der oralen Tradition und dem Tanz zu jenen Mitteln der
Bewahrung von Erbe und Geschichte, der Aufrechthaltung und Weitergabe besonderer
Merkmale einer Gemeinschaft, des Dialogs zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die
einerseits in der vorkolonialen Zeit ohne Archivierung und Verschriftlichung, andererseits im
Zuge der Kolonisierung und der Unterdrückung der kulturellen Identität von grundlegender
Bedeutung sind. Trotz der strukturellen Veränderungen, die seit der Kolonialzeit und durch
diese stattgefunden haben, stellt Musik bis heute ein wichtiges Instrument der Sozialisierung
westafrikanischer Gesellschaften dar (Tchebwa; 2005:15).
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Mit Traditionen sind jene gesellschaftlichen Handlungsformen, Gebräuche und Wissen
gemeint, die weitergegeben werden und den Erfahrungsschatz bestimmter Gesellschaften
bilden. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass Traditionen bei der Weitergabe verändert
werden und sich den gesellschaftlichen Verhältnissen anpassen können. Somit lässt sich
sagen, dass der Begriff von Tradition trotz seiner Bindung an Vergangenem einen
Neuerungsprozess verbergen kann. Die Analyse der Musik und der Kunst im Allgemeinen
bietet in dieser Hinsicht interessante Ansatzmöglichkeiten an: einerseits ist die gegenwärtige
Musik weiterhin geprägt von diesem traditionellen Erbe, andererseits finden sich viele
traditionelle Gebräuche afrikanischer Gesellschaften in gegenwärtigen Kunstformen wieder.
Das beste Beispiel ist wahrscheinlich die orale Tradition. Als Grundstein vieler
westafrikanischen Kulturen und als Zeugnis ihrer Geschichte, ihres sozialen Aufbaus und
ihrer Gebräuche wird heute die orale Tradition zugleich als Vorgängerin und als wichtigste
Inspirationsquelle der gegenwärtigen afrikanischen Literatur betrachtet. Des Weiteren ist die
orale Tradition trotz der gängigen Verschriftlichung und Archivierung heute noch in vielen
Teilen Westafrikas (insbesondere in ländlichen Gebieten) sehr verbreitet (Kesteloot: 2001;
S.14ff). Als Bestandteil des sozialen Zusammenlebens und des kulturellen Erbes hat sie
ebenfalls Auswirkungen auf die künstlerischen Schaffensprozesse in Theater, Literatur und
Musik: Die Musik hat insofern Teile der Funktionen der oralen Tradition in der Gegenwart
übernommen, als dass sie sozial und gesellschaftlich relevante Inhalte auf festen Tonträgern
oder über Medien wie Rundfunk und Fernsehen übermitteln kann. Die Tatsache, dass zum
Beispiel die Griots, Träger der oralen Tradition, weiterhin stark am musikalischen Geschehen
in Westafrika beteiligt sind, zeigt letztendlich, dass die orale Tradition heute sowohl in
traditioneller Anwendung als auch in gegenwärtiger künstlerischer Praxis weiterhin die
Bindung zwischen künstlerischen Produktionen und gesellschaftlichem Geschehen prägt.
So herrscht in Westafrika weiterhin eine starke Bindung zwischen Traditionen und
Gegenwart, die weitgehend durch Musik verkörpert wird. Unter den Traditionen und
Gebräuchen, die als wichtiger Kulturgut und Identitätsmerkmal der Region gelten, werden
Musik und ihre tiefe Verankerung in der gesellschaftlichen Ordnung besonders
hervorgehoben.
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III.2.b: Von Griots und Musikbeamten
Unter den vielen Kulturen Westafrikas hat die Mandingo Kultur wahrscheinlich den größten
und stärksten Einfluss auf die heutige Region gehabt. Die Mandinka, „Mendé“ oder
„Manden“ sind ein Volk, dessen Ursprung im Mali des 11. oder 12. jahrhundert liegt. Im 13.
Jahrhundert befreit Sundjata Keita das kleine Mandinka-Volk von dem Joch der Sossos,
gründet anschließend das Königreich von Mali und proklamiert die Mandingo Charta, welche
die Sklaverei verbietet und eine menschen- und handelsrechtliche Grundlage schafft (Schulz
2001: 10ff). In den folgenden Generationen wird das Mali-Königreich erheblich wachsen. Die
daraus entstandene Einflusszone der Mandingo-Kultur umfasst die heutigen Territorien von
Burkina Fasso, Elfenbeinküste, Guinea und Mali und streckt sich von Nigeria bis hin zum
Senegambia Raum über weite Teile des Benin-Golfes. Ein besonderes Merkmal der
Mandingo-Kultur, das die vielen politischen Tumulte der Region überlebt hat, sind die
„Griots“ oder „Jeli“-Sänger.7 Die Griots sind gesellschaftliche Figuren, die in der Mandinka
Ordnung zwar der Kaste der Handwerker angehörten (die in der gesellschaftlichen
Stratifizierung über den Sklaven und unter dem Adel standen), jedoch als Musiker, öffentliche
Sprecher, Diplomaten und Erzähler dienten (Hoffman 2001: 11ff). Somit hatten sie zugleich
künstlerische und politische Funktionen: einerseits begleiteten sie gesellschaftliche Rituale
und waren ferner für Unterhaltung zuständig, andererseits waren sie als einzige Figuren dieser
Kaste mit der führenden Schicht in Verbindung. Jeder Griot hatte einen „Patron“, den er
rühmen sollte, aber auch als einziger unbestraft kritisieren durfte. Ferner waren die Griots für
die Weitergabe von Kultur und Geschichte sowie für die Information der Volksangehörigen
zuständig. Somit waren die Griots trotz ihrer „niedrigen“ gesellschaftlichen Stellung weise
und hoch geachtete Figuren dieser Gesellschaft und gelten heute als traditionelle und legitime
Väter und Vertreter der musikalischen Praxis in Westafrika (Conrad 2002: 2,4,15).
Der Status eines Griot ist erblich und jeder kann sich zum Griot machen, der einen Griot zu
seinen Vorfahren zählt. Namen wie Keita, Diabaté oder Kanté deuten auf jene GriotsDynastien, die eine 800 Jahre starke Tradition vertreten, welche alle politischen Tumulte
überstanden hat. So sind die berühmten Musiker Salif Keita und Mori Kanté oder Sékou
Diabaté, die viel zum internationalen Durchbruch der westafrikanischen Musik und ferner der
7
Die Begriffe Griot oder Jeli deuten auf dieselbe Kaste innerhalb der Mandingo Ordnung. Der Begriff Jeli
kommt aus dem Raum um Mali, Niger und Burkina Faso. Der Begriff Griots stammt aus dem Französischen und
wird eher im Golf von Benin verwendet. In dieser Analyse wird der Begriff Griot gewählt (siehe dazu: Fletcher;
2001: 149)
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Weltmusik beigetragen haben, mehr oder weniger direkte Nachfahren der Griots des heute
noch verehrten Sundjata Keita. Die Musik, die traditionellen Gesänge und Instrumente stellen
eins der wenigen verbleibenden Bindeglieder zwischen dieser Zeit und der Gegenwart dar
(Lee; 1986: 21). Ferner sahen und sehen sich sämtliche Künstler aus der Mandingo-Region
wie Alpha Blondy, Touré Kounda oder Féla Kuti oder der derzeit erfolgreichste ReggaeSänger Afrikas, Tiken Jah Fakoly, als die direkten Nachfolger der Griots berufen. (Tchebwa:
2005; S.14)
Auch die gesellschaftliche Funktion der Griots hat sich im Laufe der Generationen und trotz
der strukturellen und gesellschaftlichen Umbrüche der Kolonialzeit bewahrt, und die Griots
gehören heute noch zu den habiti der regionalen Kultur. So gab es 1985 die größte GriotsVersammlung der Gegenwart, als 3000 Jeli und Griots aus der gesamten MandingoEinflusszone nach Kita, Mali, zur Eröffnung der „Jelibolon“ („Halle der Griots“) strömten
und dort eine Woche lang tagten und ihr Oberhaupt wählten (Hoffmann; 2000: 8).
Die Relevanz der Funktion der Griots ist in ländlichen Gebieten deutlicher als in Städten und
viele der heutigen Griots könnten heute als Musiker und Unterhalter gelten, was ihre
politische Funktion nur zum Teil relativiert. Eine Aufgabe der Griots in der vorkolonialen
Zeit war es zum Beispiel, die Krieger mit ihrem Gesang und ihrer Musik zu ermutigen. So
beobachtet Barbara Hoffmann, die sich jahrelang mit den Jeli-Sängern Malis beschäftigt hat,
dass Lieder der wichtigsten Griots der Region immer dann ununterbrochen über den
nationalen
Rundfunk
ausgestrahlt
werden,
wenn
das
Land
vor
einer
schweren
Herausforderung steht, wie zum Beispiel während des Staatsstreichs von 1991 (ebd: 11).
Nicht alle Musiker Westafrikas sind sogleich Griots, und mit der Verbreitung der populären
Musik in den fünfziger und sechziger Jahren hat sich auch die musikalische Praxis, die
eigentlich traditionell als Kastensache gilt, in einem gewissen Sinne „demokratisiert“. Viele
Traditionsverfechter klagen damit gegen einen Machtverlust der Griots. Sékou Diabaté,
Gründer und Gitarrist der Highlife Kultband „Bembeya Jazz“ betonte dagegen, dass die
Griots sich ihrer Zeit anpassen müssen und dass im Grunde genommen nur ihre Kundschaft
sich dadurch ändere:
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„Wir spielen nicht länger für einzelne Familien, sondern für alle. Wir loben nicht länger
unsere Patrons, sind aber die Angestellten und Kritiker unserer Staatsmänner“8(Lee; 1986:
51).
So sind die Griots gerade aufgrund ihrer starken Bindung zu den Traditionen und ihrer
Gruppen- und Schichtübergreifenden Anerkennung in einigen Ländern Westafrikas im Zuge
der Dekolonisierung und der kulturellen Selbstbefreiung von den Führungseliten mancher
Länder zu den Agenten der Schaffung einer neuen lokalen afrikanischen Identität ernannt
worden. Als Beamte wurden sie auf Kosten von Staaten oder Staatsparteien in Guinea,
Elfenbeinküste, Ghana oder Nigeria dazu beauftragt, ihren Mitbürgern und der Welt das neue
Gesicht Afrikas zu zeigen (siehe dazu Teil III. 2.c).
Man könnte sich fragen, wo der Unterschied zwischen diesem Phänomen und einer staatlich
gesteuerten Propaganda liegt. Es muss betont werden, dass diese Musik trotz ihrer nicht zu
überhörenden nationalistischen Akzente eine sehr breite Popularität genoss. Dieses Verhältnis
zwischen autoritären politischen Merkmalen und florierender Kultur stellt tatsächlich ein
Paradoxon für gegenwärtige (westliche) Denkmuster dar, das es an dieser Stelle zum
Verständnis der afrikanischen Besonderheit zu überwinden gilt.
III.2.c: Musik und Kulturpolitik im postkolonialen Westafrika
Anfang der sechziger Jahre rufen Staatsmännern wie Sékou Touré (Guinea) oder Houphouet
Boigny (Elfenbeinküste) eine „ kulturelle Revolution“ aus. In diesen Ländern mit
vergleichsweise schlecht verbreiteten Medien und geringen Alphabetisierungsquoten werden
Musik und Tanzspektakel (die in den sechziger unter der Bezeichnung „Ballets Africains“ für
weltweites Aufsehen sorgen) zu den wichtigsten Instrumenten dieses Unternehmens gemacht.
Wenn die Tanzspektakel eher auf lokale Eliten und auf das Ausland gerichtet waren, sollte die
Musik gezielt die lokale Bevölkerung ansprechen (Lee 1988: 48). Nur staatliche Haushalte
sind zu der Zeit in der Lage, Anlagen und Instrumente zu besorgen oder Tonstudios zu
finanzieren. Armee, Polizei, Verwaltung: jede Beamtenkörperschaft erhält die nötige
Ausstattung und gründet Orchester, die jährlich bei festivalartigen Wettbewerben auftreten.
Die Gewinner erhalten den Titel „Nationalorchester“ und dürfen im Ausland auftreten.
Tournee- und Werbekosten werden ebenfalls staatlich finanziert. Zu diesen Orchestern zählen
Gruppen wie Bembaya Jazz, Les Amazones de Guinée (Guinea), Horaya Band (Mali), die
8
eigene Übersetzung aus dem Französischen
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Olympic Moro Jazz Band (Nigeria) oder die Akpata Jazz aus Sierra Leone - von Premier
Albert Margai selbst finanziert (Lee 1988: 55-61/ Erlmann 1991: 26). Mit der Zeit und dem
steigenden Erfolg werden die Mitglieder dieser Orchester zu Berufsmusikern, und die Leitung
der erfolgsreichsten Orchester wird berühmten Griots anvertraut. In der Regel erhalten die
wichtigsten Orchester in den Hauptstädten Konakry, Freetown, Lagos, Abidjan oder Cotonou
Lokale, die sie selbst bewirtschaften und in denen sie auftreten sollen, wenn sie nicht auf
Tournee sind,.
Für manche dieser Gruppen ist das Repertoire stark eingeschränkt. Die Musik soll zugleich
traditionelle und moderne Elemente integrieren und dient im Inland dem Widerstand gegen
die verführerische westliche Popmusik der sechziger Jahre und der Verbreitung der modernen
afrikanischen Kultur im Ausland (Lee 1988: 55).
In Konakry, der Hauptstadt von Guinea, widmet sich Sékou Touré ganz der „Identité
culturelle“, gründet einen staatlichen Plattenvertrieb und übernimmt die Kontrolle über den
kolonialen Radiosender „Radio Banane“, der ab 1959 - ein Jahr nach der Unabhängigkeit - in
„Voix de la Révolution“ umbenannt wird und nur noch einmische Musik senden darf (Suzuky
2002) 9. Im Gebäude des nationalen Rundfunks befindet sich das einzige Tonstudio des
Landes und bis 1977 werden alle guineischen Produktionen dort nach sorgfältiger Auswahl
aufgenommen. Justin Morel, von 1979 bis 1992 Vorsitzender des Nationalen Rundfunks
Guineas, Radio Television Guinée und anschließend Kommunikationsbeauftragter der
UNESCO in Guinea, erinnert sich an die Anfangszeiten der „kulturellen Revolution“ : „Am
ersten Tag [nach dem Beschluss von 1959] sind wir durch die Straßen von Konakry gezogen,
um die Folklore aufzuzeichnen, die vor Ort zu finden war. Später haben wir Mannschaften
gebildet, die ins Landesinnere gehen sollten und dort systematisch aufnehmen mussten, was
sie hörten. Das Ziel war, der nationalen Identität Guineas einen wirklichen Sinn zu
geben“10( Morel zitiert in Lee 1988: 59).
Achken Akba, Dirigent von Bembeya Jazz, behauptet, dass Sékou Touré, der bereits als
militanter Gewerkschaftler und Frankreichkritiker mit Houphouet Boigny, Léopold Senghor
und dem Ghanaer Nkrumah die Vision eines neu auferstehenden afrikanischen Kontinents
9
Dieser Rundfunksender RTG (Radio Télé Guinée) erhielt den Spitznamen „Radio Banane“, denn er diente
während der kolonialen Herrschaft überwiegend der Information von Plantagenbesitzer über den Verkehr von
Waren- und Containerschiffen. Unter der Aufsicht von Sékou Touré wurde er gänzlich zum Zweck einer
propagandaartigen Kulturpolitik umgebaut. Die Hälfte der Sendezeit sollte aus Musikprogrammen bestehen.
Dazu Lee 1988: 58.
10
Eigene Übersetzung aus dem Französischen.
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teilte, die Idee seiner „Révolution Culturelle“ bei einem Konzert des ghanaischen HighlifeMusikers E.T Mensah hatte: „ Wir kannten nur die französische Kultur und ihre Musik. Für
die erste große Veranstaltung nach der Unabhängigkeit hat unser Präsident [Sékou Touré] in
allen Provinzen nach einem Orchester gesucht, das seine Gala mit Musik aus unserer Heimat
begleiten könnte. Er hat keins gefunden. So musste er sich an den ghanaischen Präsidenten
Kwamé Nkrumah wenden. Dieser hat dann seine Tempo Dance Band geschickt, die für diese
Gelegenheit von E.T. Mensah geleitet wurde. Das war die erste afrikanische Band, die nach
der Unabhängigkeit in Guinea gespielt hat. Dann wurden wir beauftragt unsere eigene Band
zu gründen.“ (Akbah zitiert in Suzuki 2002).
Vor der Unabhängigkeit gab es in Guinea - und das gilt für alle ehemaligen französischen
Kolonien - keine einheimische populäre Musik. In Konakry gab es neben der Militärkapelle,
die Marschmusik spielte, ganze zwei Orchester, die jeweils „Joviale Symphonie“ (Fröhliche
Symphonie) und „Douce Parisette“ hießen, und ausschließlich europäische und karibische
Musik spielten. Alle Dirigenten der Orchester in der französischen Einflusszone kamen aus
der William Ponty Musikhochschule in Dakar, einer Schule für klassische Musik (ebd).
In Nigeria wird ebenfalls Anfang der sechziger der Import ausländischer Musik verboten. Da
auch wird in ländlichen Gebieten nach anderen Rhythmen und musikalischen Einflüssen
gesucht, die bislang nicht verzeichnet waren. So werden traditionelle Rhythmen und Melodien
wie das nigerianische Juju und das ghanaische Kokomba den Radiozwecken anhand moderner
Technik und Instrumente (Schlagzeug, Bassgitarre, elektrische Gitarre und Blasinstrumente)
angepasst (Lee 1988: 59). Die Staatsparteien Nigerias, der Elfenbeinküste, Benins oder
Guineas „leihen sich“ gegenseitig Gruppen aus Nachbarländern für ganze Spielsaisons. Der
Erfolg ist groß und mit der Unterstützung des Rundfunks entwickeln sich insbesondere
während der sechziger Jahre neue Musikrichtungen und eine bedeutende Musikindustrie, die
zum raschen Durchbruch einer populären Musik beitragen.
Die politische Förderung der einheimischen Musik ist ein Phänomen, das in vielen
westafrikanischen Ländern (insbesondere in ehemaligen französischen Kolonien) auf den
Willen der Eliten zurückzuführen ist. Das Beispiel von Sékou Touré, zugleich bekannt als
gnadenloser Diktator und als größter Förderer afrikanischer Kultur, steht für eine Politik, die
in Guinea, Benin, Elfenbeinküste und Senegal durchgeführt wurde. So wurde die Integration
verschiedener Bevölkerungsgruppen in einer neuen Nation zugleich durch den autoritären
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Zwang einer sozialistischen Bürokratie und durch die Begeisterung der Bevölkerung für neue
kulturelle Praktiken vorangetrieben.
Dank der großen Achtung, welche die Griots in der Bevölkerung genießen und der bereits
großen Popularität mancher von ihnen, dank der neuen künstlerischen Möglichkeiten, die sich
aus der Integration von einheimischen Rhythmen und Musikformen und westlichen
Techniken und Instrumenten ergaben, dauerte es nicht lange, bis sich synkretische
Musikformen an der Seite der importierten oder nachgespielten westlichen Popmusik
verbreiteten (Suzuky 2002). Dieser Durchbruch ist unter anderem den politischen
Führungskräften zu verdanken und die enorme Steigerung der Produktion von Musik bleibt
heute einer der wenigen Erfolge dieser staatlich gesteuerten Révolution Culturelle.
Orchester wie Bembeya Jazz in Guinea, Rochereau mit dem kongolesischen Sänger Tabu
Ley, der bis 1972 erhebliche fünf Millionen Platten in ganz Afrika verkaufte, und Alfa Jazz in
Benin haben zum Durchbruch einer Industrie der Musik beigetragen, deren wirtschaftliche
Relevanz nicht unbeachtet bleiben sollte. Andererseits ist damit eine Musikkultur entstanden,
welche die willkürliche Trennung zwischen traditioneller Musik, die nur heimlich gespielt
werden sollte, und westlicher Musik, die der Unterhaltung der europäischen Minderheiten
dient, endgültig aufgehoben hat.
III.3: Entstehung und Entwicklung der populären Musik
III.3.a: Dekolonisierung und fünfziger Jahre
Die Verbreitung einheimischer populärer Musik im zwanzigsten Jahrhundert verläuft
unterschiedlich in den verschiedenen Gebieten Westafrikas. Wie bereits angedeutet
unterscheiden sich dabei die ehemaligen französischen und britischen Kolonien zu den
Anfangszeiten. In den von Großbritannien kontrollierten Gebieten begannen afrikanische
Musiker vergleichsweise sehr früh, etwa um die Jahrhundertwende mit einheimischen und
westlichen Ideen zu experimentieren. In den von Frankreich verwalteten Gebieten bestand
dagegen eine deutliche Abgrenzung zwischen der einheimischen, traditionell gebundenen
Musik auf der einen Seite und der von Franzosen beherrschten städtischen Musik auf der
anderen Seite. So E.T Mensah: „Die Franzosen beherrschten die Schwarzen gesellschaftlich,
und dies hatte Auswirkungen auf die Musik. Sie ließen weiße Musiker aus Paris für sich
arbeiten, während die Afrikaner nicht auf dem neusten Stand waren. (…) In sozialer und
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musikalischer Hinsicht hat die Entwicklung in den französischen Gebieten erst mit der
Unabhängigkeit eingesetzt, und nun möchten sie aufholen.“ (E.T. Mensah zitiert in Erlmann
1991: 24).
Dieser Gegensatz spiegelt die unterschiedliche Kolonialpolitik der beiden Staaten wider:
Frankreichs Programm der kulturellen Assimilation zeichnete sich durch eine scharfe
Trennung zwischen importierter französischer Kultur und einheimischer Kultur aus, während
die Politik Großbritanniens eher wirtschaftlich denn missionarisch orientiert war und somit
toleranter gegenüber der sich abzeichnenden Afrikanisierung kultureller Praktiken. So lassen
sich auch zwei Entwicklungen unterscheiden, die sich im Laufe der Jahre nach der
Unabhängigkeit der Gebiete angenähert und den so genannten „Highlife“-Stil gebildet haben.
In Ghana, Nigeria, Sierra Leone, Liberia und Kongo entstanden mit der Verbreitung der
Gitarre ab den zwanziger Jahren eine Gitarren- und Liedermusik, die von kleinen Ensembles
gespielt wurde und narrative und sozialkritische Inhalte hatte (Manuel 1988: 90). Laut Manuel
spielten angeblich Seemänner aus den Häfen des Golfes von Benin eine wichtige Rolle in der
Entstehung dieser Musik, denn sie kamen als Erste in Verbindung mit karibischer und
afroamerikanischer Musik, von der diese Gitarrenmusik weitgehend inspiriert war. Diese
Ensembles erhielten die Bezeichnung „Palmwine Bands“, weil sie überwiegend in
Hafenkneipen spielten, in denen Palmenlikör das Hauptgetränk war (ebd: 90f). Diese Musik,
welche die erste Form der Highlife-Musik darstellt, verbreitete sich insbesondere zwischen
den dreißiger und fünfziger Jahren und wurde in Nigeria, Liberia, Ghana und Kongo
aufgegriffen, wo sie anschließend mit lokalen traditionelleren Elementen kombiniert und
jeweils zu „Juju“ und „Kokomba“ oder Highlife entwickelt wurde (Siehe unten, Abb.1).
Parallel zu den Gitarrenbands gab es Tanzkapellen, die eher auf die Unterhaltung der
Europäer in ehemaligen Kolonien gerichtet waren. Diese Kapellen, die im Vergleich zu
Highlife-Gruppen eher aus Blas- und Orchesterinstrumenten bestanden, formierten sich in der
ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert aus Militär- und Kirchenorchestern und spielten
ursprünglich Walzer, Polka, Quadrille oder Marschmusik. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als
zahlreiche Soldaten aus Europa und den Antillen nach Afrika ins zivile Leben zurückkehren,
werden Jazz, Swing, Rumba und Calypso eingeführt und in die Programme dieser
Tanzkapellen integriert. In britischen Gebieten, insbesondere Ghana und Nigeria spielten die
Tanzkapellen bereits seit den dreißiger und vierziger Jahren synkretische Abweichungen
westlicher und afroamerikanischer Musik, wobei die Instrumente, Soli und Struktur dem Jazz
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entnommen
und
mit
einheimischen
Perkussionen
(Klaven,
Trommeln)
und
Gesangsharmonien gemischt waren (Manuel 1991: 92f). Auch hier hat sich die elektrische
Gitarre durchgesetzt und gehört ab den fünfziger Jahren zur festen Besetzung der
Tanzkapellen.
In den französischsprachigen Gebieten taucht synkretische afrikanische Musik erst in den
fünfziger Jahren auf. Paradoxerweise war es eine Musik aus dem damals belgischen Kongo,
die als Erste in die ehemaligen französischen Kolonien Westafrikas gelangte. Dies liegt zum
Teil daran, dass viele Lieder der „Kongo Musik“ auf französisch gesungen wurden. Des
Weiteren waren die Musikmärkte stark von der kolonialen Verwaltung und bis zu ihrem Ende
kontrolliert, so dass Musik aus den Nachbarländern sorgfältig gefiltert wurde. So kam die
Musik aus dem Kongo früher auf den Markt, obwohl sie eigentlich später als die
Highlifeformen der britischen Gebiete entstand.
Die Kongo-Musik entstand in den vierziger Jahren in Kinshasa und war stark von
lateinamerikanischer Musik und Rhythmen geprägt. Sie ist durch eine Reihe von
Blasinstrumenten sowie elektrische Gitarren gekennzeichnet (Erlmann 1991: 25). Unmittelbar
nach der Unabhängigkeit in den späten fünfziger und Anfang der sechziger Jahre verbreitet
sich diese Musik besonders schnell im französischsprachigen Westafrika. Einige der so
genannten Orchestres Nationaux sowie die Musiker der afrikanischen Ballettensembles reisen
ins Ausland und kommen dort in Berührung mit modernen Jazz- und Rockklängen, die später
ihre Musik beeinflussen werden.
Die Zeit um die Unabhängigkeit in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahre ist eine
besonders entscheidende Phase in der Entstehung afrikanischer populärer Musik. In einer
Zeit, in der europäische Jugend- und Popkultur auch in Westafrika an Einfluss gewinnt, ist
durch die politische Entscheidung, einheimische Musik und Kultur zu fördern (und teilweise
aufzuzwängen), eine Wende zu beobachten, die der Musik und der musikalischen Praxis
tatsächlich ein neues Gesicht verleiht. Diese Wende ist insbesondere von der
„Demokratisierung“ der musikalischen Praxis geprägt, die nicht länger das Privileg
bestimmter studierter Afrikaner und europäischer Musiker war, und von der Verbreitung oder
Popularisierung traditionell gestalteter Musikformen, die dank des Rundfunks, der
entstehenden Musikindustrie und moderner Instrumentalisierung (hier im wörtlichen Sinne)
den heimlichen dörflichen Raum verlassen und einen Platz in Urbanisierung und
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Modernisierung gefunden hat (Lee 1988: 59). Somit hat diese Wende zum Teil den Boden für
die Entstehung der gegenwärtigen afrikanischen populären Musik genährt.
Abbildung 1 : Entwicklung der populären Musik in Westafrika in den 50er/ 60er Jahren
Juju (Nigeria)
Palmwine Bands
(Benin Golf)
Kokomba (Ghana)
HIGHLIFE
Merengue
„Tanzkapellen“
(Bläser, Trommeln)
„Kongo Music“
(Benin, Togo, Guinea,
Côte d’Ivoire)
Benin Golf, Kongo
Rumba (Sierra Leone)
Franz. Einflusszone
Britische Einflusszone
Anfang der 60er Jahre
III.3.b: Verwestlichung des Afrikanischen oder Afrikanisierung des Westlichen ?
Trotz der politischen Entscheidung in einzelnen Ländern, ausländische Musik aus dem Markt
und dem Rundfunk zu verbannen, verschwand nicht sogleich alle westliche Popmusik aus
Westafrika. In die Häfen strömte weiterhin Musik aus aller Welt und die aus der Kolonialzeit
importierte europäische Jugendkultur behielt weiterhin eine wichtige Rolle, die von dem
Austausch mit der europäischen Diaspora aufrechterhalten wurde. So entstanden Anfang der
sechziger Jahre, insbesondere in Gambia, Sierra Leone, Benin und Ghana viele Schüler- und
Studentenbands, die die Musik der Beatles, der Rolling Stones oder amerikanischer Stars wie
Elvis Presley und James Brown nachspielten. Diese Bands hatten im Vergleich zu den bereits
erwähnten Orchestern unterschiedliche Zuhörerschaften. Die Tanzkapellen hatten ein älteres
Tanzpublikum, die Palmwein Gitarrenbands richteten sich eher an ein ländliches oder armes
städtisches Publikum, die Popbands standen eher für die gebildete oder westlich orientierte
Jugend der Großstädte.
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Diese Popbands sind insofern von Bedeutung, als dass sie die westlichen Musikrichtungen
Pop, Rock und Soul einführten. Unter Ihnen waren junge Menschen, die Wehrdienste oder
Studien in Großbritannien absolvierten und geprägt von der neuen Rock- und Popkultur der
Insel zurückkehrten. In Liberia, das als älteres selbstständiges Land eine etwas andere
Entwicklung vorweist und in gesteigerter Verbindung mit den Vereinigten Staaten stand,
waren Ray Charles, James Brown, Otis Redding oder Jimmy Hendrix bereits
außergewöhnlich populär. Der Austausch und der Verkehr von Bands und Musikern zwischen
Liberia, Ghana, Sierra Leone und später Nigeria, das eine Zeitlang aus politischen Gründen
von dieser Entwicklung abgeschottet blieb11, und die weiter existierende Verbindung zur
Metropole führten zur regionalen Verbreitung jener Musikrichtungen aus den USA und
Großbritannien, die von „Schwarzen“ gespielt wurden und in „weißen“ Gesellschaften
besonders erfolgreich waren (Fletcher 2001: 619).
Es dauerte längere Zeit, bis es der Popmusik gelang, in die französischsprachigen Gebiete
Westafrikas einzusickern, was größtenteils daran liegt, dass sie ein Produkt der
englischsprachigen westlichen Länder ist. Die Kongo-Musik blieb die vorherrschende Musik
der französischen Einflusszone, und wenn Funk- und Soulelemente zunehmend in die KongoMusik integriert wurde, haben sich die wenigsten Highlife- und Kongokünstler der
französischsprachigen Länder Westafrikas mit der westlichen Popmusik der sechziger und
siebziger Jahre auseinandergesetzt. Viele von ihnen zogen dagegen nach Paris, wo eine
beträchtliche Musikkultur- und Produktion innerhalb der dort ansässigen Diaspora entstand.
Insofern hat sich die Kongo-Musik auch entwickelt, insbesondere unter dem Einfluss von Jazz
und dem Austausch mit karibischer Musik. Der Saxophonist Manu Dibango aus Kamerun und
sein „Soul Makossa“, das ein weltweiter Hit wurde, ist ein perfektes Beispiel für die
Modernisierung der Kongo-Musik und integriert Jazz, Soul, und Funkelemente mit
traditionellen Perkussionen und einheimischer Sprache. Die Kongo-Musik stellt bis heute eine
besondere Sparte afrikanischer populärer Musik dar. Mit der großen Diaspora in Frankreich
und der breiten Zuhörerschaft im französischsprachigen Westafrika und den Antillen besteht
ein autonomer Produktions- und Rezeptionsmarkt, der, wenn er seit den achtziger Jahren
durch den Zuwachs von Reggae und Hip Hop an Bedeutung verloren hat, sich von den
weiteren Markt- und Stilentwicklungen getrennt entwickelt hat. (Darré 1996: 72).
11
Zu diesen politischen Gründen zählen zum einen der politische Entschluss, den Import ausländischer Musik zu
verbieten und vor allem der nigerianische Bürgerkrieg um die Sezession der Provinz Biafra von 1967 bis 1970.
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5
Die Teilung der Stilrichtungen westafrikanischer populärer Musik (in Pop-, Tanz- und
Palmwine Bands) hat sich im Laufe der siebziger relativiert. Dem ist eine große Vielfalt
synkretischer Musikformen gefolgt, die sowohl durch den Einfluss afroamerikanischer
Musikformen als auch durch die zunehmende Integration einheimischer Elemente geprägt ist.
Die Popbands und ihre Zuhörerschaft haben sich insbesondere auf Anstoß ghanaischer und
nigerianischer Musiker zunehmend der Juju- und Kokomba-Gitarrenmusik zugewandt.
Erlmann spricht in dieser Hinsicht von einer „Wiederbelebung der Volksmusik“, die mit der
Distanzierung des jungen städtischen Publikums von dem so genannten „colo“-Stil
einherging12. Zu der Zeit zeichneten sich die ersten großen Erfolge von Liedern ab, die im Stil
der afroamerikanischen Musikrichtungen wie Soul, Reggae oder Funk gespielt und in
einheimischen Sprachen wie Ga, Akan oder Yoruba (und nicht länger auf Englisch) gesungen
wurden.
Zusammenfassend sind die siebziger Jahre die Zeit einer Annäherung der afrikanisierten
Popmusik
und der verwestlichten
lokalen
Volksmusik, die zur Entstehung
der
Musikrichtungen wie Afro-Jazz, Afro-Calypso oder Afro-Reggae geführt hat. Ofo und die
Black Company spielen „Afrodelic Funk“, The Funkees entwickeln den „Afro-Rock“
(Erlmann 1991: 31). Fela Ransome Kuti kehrt 1970 nach dem Bürgerkrieg in Nigeria aus
London zurück, entwickelt den Afro-Beat und nennt seine Londoner Band Kooala Lobitos in
Africa 70’s um (Coker 2001: 29). Der Afro-Beat ist das beste Beispiel der Fusion zwischen
westlichen und westafrikanischen Vorstellungen von Musik: es umfasst Juju- und FunkGitarrenelemente, Improvisation und Solotechnik aus dem Jazz sowie afrikanischen Gesang
und hat den Anspruch, inhaltlich die Formen und Funktionen traditioneller afrikanischer
Musik zu reproduzieren. Während westliche populäre Musik dazu neigt, kurze schlagfertige
Lieder zu produzieren, zeichnet sich die Musik von Fela Kuti insbesondere durch die
Repetition von Themen in fünfzehn bis dreißig Minuten langen Stücken sowie durch
ausschließlich sozialkritische Textinhalte aus, die sich mit den Problemen des modernen
urbanen Afrika auseinandersetzen. Bevor in weiteren Teilen der Analyse näher auf das Werk
Fela Kutis und dessen Auswirkungen auf sozialgesellschaftliche Prozesse eingegangen wird,
kann erst einmal betont werden, dass die Fusion afrikanischer und afroamerikanischer Musik
im Afro-Beat ein enormer Ansporn für Musiker aus ganz Westafrika gewesen ist, sich von der
bisherigen Übertönung westlicher Musik zu lösen (Bender in Erlmann: 33 / siehe Abb. 2).
12
Mit „colo“ Styl sind einerseits die Tanzkapellen der sechziger Jahren, andererseits das Nachspielen westlicher
Pop- Musik gemeint, das die Popbands damals ausmachten (Manuel 1988: 92).
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5
Ferner steht diese Entwicklung mit dem Durchbruch der panafrikanischen Idee in Afrika in
Verbindung, die paradoxerweise im Laufe des zwanzigsten Jahrhundert mehrheitlich von
Afroamerikanern propagiert wurde, bevor sie von afrikanischen Politikern wie Kwane
Nkrumah, Patrice Lumumba oder gar Haile Selassie aufgegriffen wurde (Mabe 2004: 152ff)13.
Nach der zum Teil politisch aufgezwungenen und elitären Rückkehr zur Volksmusik in den
sechziger Jahren scheint schließlich der unausweichliche Einfluss westlicher populärer Musik
die Entstehung einer populären Musik möglich gemacht zu haben, die man nicht länger als
synkretisch sondern wohl als afrikanisch im modernen Sinne bezeichnen kann.
Diese
Entwicklung ist zum großen Teil auf den steigenden Austausch unabhängiger Länder und
Gesellschaften mit dem Westen und den ehemaligen Kolonialmächten zurückzuführen.
Letzteres könnte widersprüchlich erscheinen. Dennoch ist diese Entwicklung aus heutiger
Betrachtung, in einer Zeit, wo Kulturen zunehmend ineinander fließen, nicht zuletzt in der
Musik durchaus vorstellbar. Nachdem sie unmittelbar nach der Unabhängigkeit im Zuge der
„kulturellen Revolution“ in manchen westafrikanischen Gesellschaften aufgezwungen wurde,
hat die traditionelle Musik ihren gebührenden Platz in der westafrikanischen Musiklandschaft
eingenommen. Sie ist nun einerseits eigenständig als Folklore vorhanden und andererseits in
die modernere populäre Musik eingebunden. Bei der westlichen Musik, die übernommen
wurde, handelt es sich überwiegend um afroamerikanische Musik wie Jazz, Soul und Reggae,
neuerdings auch Hip Hop; eine Musik, die sich wiederum stark nach Afrika hin orientiert, um
sich dort Inspiration und Rechtfertigung zu holen, wie es bereits am Beispiel des
jamaikanischen Reggae erläutert wurde.
Schließlich kann die Entwicklung der gegenwärtigen afrikanischen Musik nicht getrennt von
den Einflüssen der weltweiten musikalischen und politischen Bewegungen betrachtet werden,
die von den Nachfolgern afrikanischer Sklaven in Latein- und Nordamerika, der Karibik und
der afrikanischen Diaspora in Europa initiiert wurden. Diese Vernetzung ist bereits aus
ästhetischer Sicht anhand des großen Einflusses von Calypso, Blues, Rumba, Reggae, Soul
und Jazz belegt worden. Auch auf gesellschaftlicher Ebene ist diese Verbindung zu weiteren
13
Als politische Bewegung begann der Panafrikanismus nicht in Afrika sondern auf den Westindischen Inseln.
Henry Sylvester Williams aus Trinidad prägte den Begriff mit seinem 1. panafrikanischen Kongress 1900. Bis
heute hat Marcus Garvey aus Jamaika und später in New York in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts
die größte panafrikanische Bewegung geleitet. Panafrikanismus bedeutet im Wesentlichen die Einheit aller
schwarzer/afrikanischer Menschen weltweit, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder Nationalität.
Dieser Bewegung geht es ferner darum, die afrikanische Geschichte aus einer pro-afrikanischen Perspektive im
Gegensatz zu einer eurozentrischen Perspektive zu sehen, um eine Rückkehr zu traditionellen afrikanischen
Vorstellungen und zur afrikanischen Kultur zu ermöglichen. (siehe dazu Nohlen 1991: Artikel Panafrikanismus,
S. 152)
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5
schwarzafrikanischen
Gemeinschaften
allgegenwärtig:
Die
afrikanischen
Befreiungsbewegungen, die panafrikanische und später die afrozentristische Bewegung sind
ebenfalls zum großen Teil außerhalb von Afrika entstanden, bevor sie Resonanz auf dem
Kontinent fanden. Dies liegt vermutlich daran, dass eine solche Reflexion in einem
kolonisierten Afrika, das für die meisten von der Außenwelt abgeschottet war und unter
vollkommener Kontrolle der Kolonialherrschaft stand, deutlich schwerer hervorzubringen und
zu verbreiten war. Dieses Paradigma lässt sich anhand des folgenden Zitats von Fela Kuti
bestens illustrieren:
„Es kam der Zeitpunkt, an dem ich vom Jazz Gebrauch zu machen begann, und ich
gebrauchte den Jazz als eine Übergangsstufe zur afrikanischen Musik. Später, als ich dann
nach Amerika kam, wurde ich mit der afrikanischen Geschichte konfrontiert, der ich nicht
einmal hier [in Nigeria] ausgesetzt gewesen war. Damals begann ich zu erkennen, dass es
nicht afrikanische Musik war, die ich gespielt hatte. Ich hatte auf den Jazz zurückgegriffen,
während ich in Wirklichkeit auf afrikanische Musik hätte zurückgreifen sollen, um Jazz zu
spielen. So war es Amerika, das mich zu mir selbst zurückbrachte“ (Fela Kuti zitiert in
Erlmann 1991: 29).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der veränderte gesellschaftliche Kontext im Zuge der
Dekolonisierung und der erleichterte Austausch mit weiteren afrikanischen Gemeinschaften
die Rezeption sämtlicher politischer und künstlerischer Einflüsse vergünstigt hat, die während
der Kolonialzeit weitgehend unterbunden blieben. Die Behauptung einer eigenen Identität und
der Ausdruck eines eigenen Bewusstseins sind eben nur in Abgrenzung zu anderen Modellen
möglich. Im Fall Afrikas macht erst die Aneignung und anschließend die Distanzierung vom
europäischen Modell durch afrikanische Intellektuellen und Künstler die Entstehung eines
gegenwärtigen afrikanischen Modells möglich. Dies lässt sich sowohl aus politischer als auch
aus künstlerischer Sicht verifizieren: Die programmatische Schaffung einer Identität in
Abwesenheit von greifbaren geschichtlichen Grundlagen stellt ein gefährliches Unternehmen
dar. Beispiele für die Konfliktträchtigkeit einer konstruierten und aufgezwungenen Identität
lassen sich reichlich aus der Geschichte des zwanzigsten Jahrhundert herauslesen. In
künstlerischer Hinsicht fällt auf, dass der politische Erfolg der Wiederbelebung der
traditionellen Musik zum großen Teil der Unterstützung von bereits populären Figuren (den
Griots) zu verdanken ist. Ferner war die staatliche Förderung insofern von Nutzen, als dass sie
die finanziellen Mittel für die Produktion populärer Musik aufbrachte. Zudem ist dieser Erfolg
vor allem in ehemaligen französischen Kolonien zu beobachten. In den britannischen
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5
Gebieten, wo der Einfluss durch westliche Musik weniger unterbunden wurde, fand dagegen
ein automatisches Zusammenkommen von westlichen und afrikanischen Elemente, wobei
sich Musiker durch die Übertönung afroamerikanischer populärer Musik deren afrikanische
Grundlagen wieder zu eigen machen konnten.
Abbildung 2: Der Einfluss von Jazz und Pop Rock in den 60er/70er Jahren
Bembeya Jazz,
Kongo Music
orchestres nationaux
Rochereau
Makossa
Manu Dibango
Reggae
Jimmy Cliff
Rock & Pop
Soul, Rock
Bobby/ Tony Benson
Viele Bands spielen
westl. Hits nach.
Jazz / Bebop
Fela Ransome Kuti
Afro-Hili
M. Dibango
Afro Reggae
Alpha Blondy
Afro Beat
Fela Kuti
Cross Beat
Afro Rock :
Zeit der eigenen
Kompositionen
Direkter metropolischer Einfluss
Franz. Einflusszone
Britische Einflusszone
Mitte der 60er Jahre
Ende der 70er Jahre
III.3.c: Zwischenfazit : ein neues afrikanisches Bewusstsein ?
An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob populäre Musik in Westafrika ein neues Bewusstsein
in sich birgt und für westafrikanische Bevölkerungen hervorgebracht hat. Die Entwicklung
der musikalischen Praxis nach der Unabhängigkeit westafrikanischer Länder gleicht einer
zunehmenden Neueinbindung von Aspekten der vorkolonialen musikalischen Praxis. Diese ist
aus reiner ästhetischer Sicht unwiderlegbar und lässt sich durch den verbreiteten Einsatz
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5
einheimischer Sprachen, Instrumente und Gesänge belegen. Des Weiteren können der
gegenwärtigen afrikanischen populären Musik weitere Merkmale eingeräumt werden, die an
die funktionalen Aspekte der vorkolonialen musikalischen Praxis erinnern können:
insbesondere die soziale und moralische Vermittlungsfunktion der gegenwärtigen populären
Musik wird von vielen Beobachtern und Künstlern als Eigenschaft afrikanischer Musik
hervorgehoben. Ferner wurde gezeigt, dass die Bildung eines Selbstbewusstseins durch die
Kunst und insbesondere die Musik, weil sie aufgrund ihrer Verbreitung durch Rundfunk und
günstigen Vertrieb die größte Resonanz innerhalb der Bevölkerung hat, quasi programmatisch
erfolgt: einerseits durch den politischen Willen der Führungseliten, welche die Musik als
Instrument der „kulturellen Befreiung“ eingesetzt haben, andererseits durch die eigene
Zielsetzung der Künstler selbst, welche die soziale Reflexion und Vermittlung im Zuge der
Dekolonisierung zu ihren primären Aufgaben gemacht haben. So Fela Kuti :
„Der politische Teil ist notwendig. Ich kann nicht verstehen, warum sich afrikanische Musik
mit etwas beschäftigen sollte, was unser jetziges Leben nicht betrifft. Unsere Musik sollte
nicht von der Liebe handeln, sie sollte sich mit der Realität beschäftigen und damit, was uns
jetzt bevorsteht (…) Sogar die Musik, die wir davor hatten, war für Zwecke wie Religion,
Arbeit und Politik bestimmt; und so bietet der Afro-Beat einen Anlass für die Politik, denn
das ist der Anlass, in dem wir uns nun befinden: das Leiden eines Volkes“ (Fela Kuti in
Erlmann 1991: 31).
Tiken Jah Fakoly, der derzeit erfolgreichste Reggae-Sänger Afrikas aus der Elfenbeinküste,
der wegen seiner Kritik an dem Ivorschen Regime ins Exil nach Mali ziehen musste, über die
Rolle der Sänger:
„Ich glaube, dass viele Leute viel zu sagen haben, aber man gibt ihnen nicht die Gelegenheit
dazu. Ich habe sie. Ich kann lesen, reden und reisen. Es wäre eine Schande, wenn ich nichts
sagen würde“( Quelle 2).14
Und zu der Besonderheit des afrikanischen Reggae :
„Wir, diejenigen, die in Afrika geboren sind, berichten über unsere Gegenwart. Wir reden
über die Wirklichkeit. Wir leben nicht im Traum. Sie [die jamaikanischen Künstler] träumen
davon, nach Afrika zurückzukehren. Unsere Botschaft ist anders. Jamaikanische Künstler
können die heutigen Probleme der Elfenbeinküste nicht kennen. Das ist für mich gerade das
Ziel von Reggae: jeder Künstler muss über seine Region berichten. Wir haben die
14
Auszug aus einem Interview von 4/11/2004 , eigene Übersetzung aus dem Französischen.
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6
Möglichkeit Grenzen zu durchqueren: ich kann über den Irak singen, doch meine Priorität
muss die Elfenbeinküste bleiben, Afrika“ (ebd).
Hier eine Stellungnahme Alpha Blondys zum gleichen Thema:
„Afrikanischer Reggae ist in der Tat ein engagierter Reggae, weil er überwiegend von
gegenwärtigen Problemen handelt. Er handelt darüber, was wir tagtäglich erleben. Und das
hat Ergebnisse: die Analphabeten erfahren über den Zustand ihres Landes, indem sie den
Künstlern des Kontinentes zuhören: das ist eine erstmalige Errungenschaft“(Quelle 3 )15.
Diese Zeugnisse sind ein deutlicher Beweis dafür, dass zumindest die Künstler selbst ihrer
Musik eine soziale und bewusstseinsbildende Funktion verleihen. Ferner geknüpft an die
Aussagen über die traditionell geprägt und kulturell verankerte Funktion der Musik in
Westafrika stellen diese Zeugnisse zusätzliches Beweismaterial für die Aussage dar, dass die
gegenwärtige populäre Musik dieser Region ein afrikanisches Selbstbewusstsein in sich birgt.
Um
schließlich
feststellen
zu
können,
ob
Musik
tatsächlich
zur
politischen
Bewusstseinsbildung in der Region beiträgt, muss untersucht werden, ob diese Aussagen
weiterhin in Verbindung mit Entwicklungen und Merkmalen des politischen Prozesses
gebracht und artikuliert werden können.
Bevor dieser letzte analytische Schritt im nächsten Teil der Analyse erfolgt, lässt sich erst
einmal Folgendes beobachten: Ausgehend von der Vermittlung und Weitergabe eines
kulturellen Erbes, das auch die Bestände einer vorkolonialen Identität enthielt und von einem
fremden kulturellen Modell gestört wurde, hat die Musik im Zuge der Dekolonisierung zur
Neubildung einer Identität beigetragen, die erstmals nach der Kolonialzeit frei gewählt
werden sollte. Wenn anfangs die Schaffung einer afrikanischen Identität in den jungen
Nationalstaaten Westafrikas programmatisch erfolgt und staatlich gelenkt wird, scheint sich
die afrikanische Identität in der Musik auf längere Sicht selbst zu etablieren: dies geschieht
durch die progressive Einbindung und die Symbiose afrikanischer und westlicher Klänge,
durch die Distanzierung vom europäischen Kulturmodell (verkörpert durch die Popkultur)
und schließlich durch die zum Teil militante Hervorhebung einer afrikanischen Besonderheit
in der musikalischen Praxis, verkörpert durch die systematische politische Reflexion und die
Fokussierung auf das lokale sozialpolitische Geschehen.
15
Auszug aus einem Interview aus dem 16/11/2005, eigene Übersetzung aus dem Französischen
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6
Das Streben nach Selbstbewusstsein und kultureller Selbstständigkeit scheint Anfangs der
Trieb dieses Prozesses gewesen zu sein, der zum Teil die Dekolonisierung hervorrief und sich
heute noch vollzieht. Dass es sich dabei um ein neues Selbstbewusstsein handelt, hat die
Analyse ebenfalls gezeigt. Die Entwicklung der musikalischen Produktionen zeigt zuerst eine
Zwiespalt von kulturellen Einflüssen: diese Zwiespalt ist an den verschiedenen
Zuhörerschaften und Funktionen der Musikpraktiken sichtbar, die dargestellt wurden: so war
unmittelbar nach der Dekolonisierung die traditionelle musikalische Praxis weiterhin ein
Bestand der ländlichen, privaten und der religiösen Sphäre, welcher der sozialen
Stratifizierung der Gesellschaft unterlag. Populäre Musik dagegen trug die Zeichen der
Kolonialherrschaft. Progressiv haben sich diese Einflüsse vereint und die Grundlage für neue
Stilrichtungen geschaffen, und die populäre Musik Westafrikas gilt nun als afrikanisch.
Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass sich die Künstler die Aspekte beider kulturellen
Erben zu eigen machen müssen, um eine eigenständige Identität formulieren zu können, die
mittlerweile als solche hervorgehoben wird. Meines Erachtens hat diese Entwicklung der
musikalischen Praxis positiv zum Selbstbewusstsein afrikanischer Gesellschaften beitragen:
einerseits hat sie eine befreiende Wirkung in Hinsicht auf die Überwindung der kolonialen
Mentalität gehabt, andererseits stellt die afrikanische Musik mit einem Rezeptionsmarkt von
geschätzten 800 Millionen Hörern weltweit eine beträchtliche Wirtschaftsbranche dar, die
sich unter Umständen auch positiv auf die Verhältnisse mancher westafrikanischer
Gesellschaften auswirken kann (Tchebwa 2005: 74). Letzteres hängt dennoch von vielen
Faktoren ab, die wiederum mit den sozialen und politischen Entwicklungen auf dem
Kontinent zusammenhängen. Daher sollte hinterfragt werden, ob die durchaus positiven
Entwicklungen und Fortschritte, welche die musikalische Praxis in Afrika seit der
Dekolonisierung zu verzeichnen hat, sich auch positiv auf die politischen Prozesse auswirken
können.
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Teil IV: Musik und politischer Prozess im gegenwärtigen
Westafrika
Die Frage, ob die positiven Entwicklungen der musikalischen Praxis in Westafrika sich auf
politische Prozesse der Region auswirken können, ist bewusst gewagt: sie setzt eine
dynamische Verbindung zwischen musikalischer Praxis und politischem Prozess voraus und
postuliert ferner mögliche Auswirkungen von Musik auf den politischen Prozess. Im
theoretischen Teil der vorliegenden Analyse wurde in Anlehnung an die Soziologen Hennion
und De Nora festgestellt, dass eine derartige Verbindung nicht theoretisiert werden kann,
sondern dass diese Verbindung nur anhand von klar zu identifizierenden Akteuren, deren
Handlung und Folgen gezielt analysiert werden sollen (siehe Teil I.3.1). So wurden bisher in
der Analyse musikalische und gesellschaftspolitische Prozesse untersucht, die, einmal in
Verbindung miteinander gebracht, gewisse Interaktionen musikalischer Praxis und
politischem Prozess zu Tage bringen können. Des Weiteren sind Merkmale und
Entwicklungen sowohl aus dem musikalischen als auch aus dem gesellschaftlichen Bereich
dargestellt worden, welche auf ein privilegiertes Verhältnis von Musik und Politik
in
(west)afrikanischen Gesellschaften hinweisen. Es muss nun anhand von konkreten Beispielen,
Ereignissen, Zeugnissen und Angaben aus westafrikanischen Ländern untersucht werden,
inwiefern Einflüsse der Musik auf politische Prozesse festgestellt werden können.
IV.1 : Interaktionen zwischen Musik und politischem Prozess
Bisher sind im Laufe der Analyse folgende Berührungsstellen zwischen musikalischer Praxis
und dem politischen Prozess in Westafrika seit der Dekolonisierung aufgebracht worden:
Eine Instrumentalisierung der einheimischen Musik zu Zwecken der Förderung einer lokalen
oder nationalen Identität in postkolonialen Gesellschaften, wobei Musik als Medium der
nationalen Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit eingesetzt wurde. Dabei wurde die Rolle
der Künstler als wichtige Akteure in diesem Prozess der Identitätssuche hervorgehoben. Es
lässt sich insofern eine Interaktion feststellen, als dass staatliche Akteure durch die Förderung
und Finanzierung von Produktion, Vertrieb und Ausstrahlung von Musik zur erfolgreichen
Verbreitung dieser Musik beigetragen und somit die musikalische Praxis in postkolonialen
Gesellschaften beträchtlich angespornt haben. Ferner hat die Politik aus ästhetischer Sicht die
Richtung zum Teil mitbestimmt, die diese Musik haben sollte (nämlich eine Mischung aus
traditionellen Instrumenten, Melodien und Gesängen und moderner Technik und Merkmale
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6
westlicher populärer Musik). Wiederum haben die politischen Akteure, in diesem Fall
Staatsparteien und Führungseliten, von der Achtung und der Stellung profitiert, welche
Künstler und Musiker, insbesondere die Griots, innerhalb der Bevölkerung genossen und nach
Unterstützung der Bevölkerung für ihre politischen Projekte gesucht.
Schließlich haben bestimmte Akteure vermutlich wirtschaftlich von dem Vertrieb und dem
Erfolg dieser Musik profitiert. An erster Stelle kommen Staaten wie Guinea, Elfenbeinküste
oder Nigeria, in denen der Musikvertrieb einem staatlichen Monopol unterlag. In weiteren
Ländern wären ausländische Investoren aus England, Frankreich oder den USA für den
Vertrieb der Orchester zuständig, so dass in diesen Fällen nicht gesagt werden kann, wer am
meisten von den Einnahmen der Musikindustrie profitiert hat. Diese Vermutungen sind
generell schwer zu belegen, denn Zahlenangaben über Auflagen von Tonträgern aus der Zeit
vor den achtziger Jahren sind kaum erhältlich (Collins 1977: 57). So ist auch das Ausmaß des
Erfolges der „neuen“ populären Musikformen schwer einschätzbar. Der nigerianische
Vorgänger von Fela Kuti, Victor Uwaifo, verkaufte allein in Nigeria 100.000 Schallplatten
seines ersten Highlife Erfolgsliedes Joromi zwischen 1966 und 1969 (Erlmann 1991: 29).
Rochereaus zweites Album verkaufte sich fünfmillionenfach innerhalb von fünf Jahren in
ganz Afrika. Verglichen mit den Erfolgen von Elvis Presley und den Beatles, die um die
gleiche Zeit 300 Millionen Schallplatten weltweit verkauften, sind diese Zahlen gering.
Gemessen an damaligen westafrikanischen Verhältnissen sind sie dennoch beträchtlich (Lee
1988: 59/ Tchebwa 2005: 49). Um 1970 gibt es in Nigeria 22 Plattenspieler für tausend
Einwohner, 6 Rundfunkempfänger für hundert Einwohner (Collins 1977: 60). In diesem
Hinblick sind 100.000 verkaufte Schallplatten tatsächlich eine sehr hohe Verkaufsauflage, die
wiederum auf eine große Popularität innerhalb der Bevölkerung hinweist.
Schließlich deutet ein Phänomen auf den zunehmenden Erfolg der populären Musik, das bis
heute in Westafrika von großer Bedeutung ist: die Piraterie. Die Piraterie ist der Verkauf
billiger Kopien von Tonträgern, der ohne Beachtung von Lizenzen und Urheberrechten auf
dem Schwarzmarkt erfolgt. Die ersten Beschwerden über Piraterie gingen 1965 in Guinea und
1967 in Nigeria ein. Rein wirtschaftlich deutet die Piraterie auf eine gesteigerte Nachfrage
nach Tonträgern (Erlmann 1991: 39). Diese Angaben und die große Zahl an Bands, die in der
Zeit entstanden, würde ich als Beweise für den Erfolg der populären Musik im postkolonialen
Westafrika betrachten.
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Es ist schwierig einzuschätzen, inwiefern sich diese Entwicklung auf den politischen Prozess
auswirkte, und es können keine konkreten Angaben über einen Einfluss der Musik in dieser
Hinsicht gemacht werden. Es wurde bereits gezeigt, dass die Verbreitung der populären
Musik zur Identitätsbildung in postkolonialen afrikanischen Gesellschaften beigetragen hat.
Ich würde ferner behaupten, dass diese Entwicklung in Ländern wie Guinea, Ghana und
Elfenbeinküste zur Popularität und zur Unterstützung der politischen Projekte von Sekou
Touré, Kwame N’krumah oder Houphouet Boigny beigetragen hat. Erst einmal abgesehen
von der Wertung über die Umsetzung dieser Projekte, die autoritäre repressive
monoparteiliche Staatsysteme produziert haben, lässt sich sagen, dass die Interaktion von
Künstlern und Führungseliten wichtige Schritte in Richtung einer kulturellen Dekolonisierung
und einer Selbstbewusstseinsbildung afrikanischer Gesellschaften bedeutet. Die Resonanz der
„neuen“ populären Musik Westafrikas innerhalb der Bevölkerung einerseits und ihr
weltweiter Einfluss auf die Entwicklung der populären Musik andererseits spricht für ein
dynamisches und produktives Verhältnis, das nicht ausschließlich als „Missbrauch der Musik
durch Politik“ betrachtet werden darf, obwohl die Musik zum Teil zu machtpolitischen
Zwecken instrumentalisiert wurde.
Politiker und Staatsmänner haben zügig den Wert der Unterstützung von Künstlern erkannt
und sie seit der Unabhängigkeit stets für propagandaartige Zwecke an ihrer Seite gesucht:
Diese Tendenz ist in traditionellen gesellschaftlichen Muster verankert und stellt ein
Fortbestehen des Verhältnisses zwischen Griot und Patron und ferner der gesellschaftlichen
Verankerung der musikalischen Praxis im Mandingo-Kulturraum dar. Viele Künstler haben
tatsächlich die Stimme der Führungseliten in ihren Liedern getragen. Insbesondere in jenen
Ländern, in denen Produktion und Vertrieb von populärer Musik staatlich gesteuert waren, hat
die Politik weitgehend den Inhalt der Produktionen mitbestimmt, die vertrieben wurden. Dies
gilt insbesondere für Guinea, Togo und Elfenbeinsküste, wo viele Künstler ihren Durchbruch
einer gewissen Treue und Aufopferung gegenüber politischen Führern zu verdanken haben
(Lee 1988: 57, 62f). Nicht zuletzt Alpha Blondy, der heute stets Korruption und schlechte
Regierungsführung in seinem Herkunftsland Elfenbeinküste denunziert, war zum Beispiel
ganz dem ivorschen Staatsmann Houphouet Boigny ergeben. Noch 1985 widmete er Boigny
zwei Lieder aus seinem internationalen Durchbruchsalbum „Apartheid is Nazism“. Seine
widersprüchliche Ergebenheit dem ivorschen Führer gegenüber erklärt Alpha Blondy als
Ausdruck seiner Dankbarkeit für die Forderung der einheimischen Musik und Kultur in der
Elfenbeinküste. (Quelle 4: RFI Musique)
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Es wäre dennoch eine Täuschung anzunehmen, dass die populäre Musik und die Künstler in
Westafrika ganz der politischen Elite ergeben sind. Dies lässt sich höchstens in Bezug auf die
Zeit unmittelbar nach der Entlassung in die Unabhängigkeit sagen, während der die
politischen Führer auch die Hoffnungsträger einer neugeborenen Gesellschaft waren.
Houphouet Boigny und Sekou Toure waren wichtige Gewerkschaftler zu Kolonialzeiten,
Leopold Senghor und Nwame N’Krumah waren angesehene Akademiker in Europa und
wurden tatsächlich als Befreier empfangen. Ferner haben Künstler ebenfalls von dieser
Unterstützung profitiert, denn sie wurden vom Staat bezahlt, ausgestattet und gefördert.
Mit der progressiven Entwicklung einer autonomen Musikproduktion und der steigenden
Enttäuschung über postkoloniale Verhältnisse hat sich dieses Verhältnis zwischen populären
Künstlern und Führungseliten dennoch geändert. Von der Rolle der „Agenten der kulturellen
Revolution“ sind ab Ende der sechziger Jahre zahlreiche populäre Musiker und Sänger zu
wichtigen Kritikern der politischen Apparate geworden.
IV.1.a: Konkrete Beispiele der sozialen Reflexion und Mobilisierung
durch Musik
Die populäre Musik in Westafrika scheint tatsächlich stärker von ihrer allgegenwärtigen
Bindung zu gesellschaftlichen Verhältnissen und ihrer sozialen Reflexion als von ihrer
Ergebenheit zur politischen Führung geprägt zu sein. Diese Tendenz vieler Künstler, stets
schlechte Regierungsführung und Lebensverhältnisse zu denunzieren, die auch die
gegenwärtige afrikanische Musik zum Teil ausmacht, wurde bereits skizziert. Sie stellt meines
Erachtens eine weitere Interaktion zwischen musikalischer Praxis und politischem Prozess
dar, die für die Analyse von besonderer Bedeutung sein kann.
Die Auseinandersetzung mit den lokalen sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse zählt zu
den wichtigsten Merkmalen, gar zu den Aufgaben der afrikanischen Musik. Diese
Feststellung mag verallgemeinernd wirken, sie taucht dennoch in jedem Beitrag zu diesem
Thema auf (siehe dazu u. a. Tchebwa 2005/ Fletcher 2001/ Erlmann 1991/ Manuel 1988/ Lee
1988). Wenn die soziale Ausrichtung der musikalischen Praxis in westafrikanischen
Gesellschaften in den verschiedenen Ären der afrikanischen Geschichte in unterschiedlicher
Weise ausfällt, bleibt sie stets zu beobachten: als Teil der Sozialisierung und der
gesellschaftlichen Kommunikation in vorkolonialen Gesellschaften, als Ausdrucksform zum
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Widerstand und zur Bewahrung einer unterdrückten kulturellen Identität im kolonialen
Kontext, als Instrument und Katalysator der Identitätsbildung im Dekolonisierungskontext,
und schließlich - dies ist zumindest die hier aufgebrachte These - als Medium zur Information,
Kritik und Denunzierung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse auf dem
Kontinent in der Gegenwart. Dies lässt sich einerseits anhand von den Inhalten beispielhafter
musikalischer Produktionen aus dem westafrikanischen Reggae, dem Afro-Beat und
neuerdings dem Hip Hop belegen, andererseits aus den Auseinandersetzungen von Künstlern
und Führungseliten, die im Zuge der zunehmenden postkolonialen Desillusion zu beobachten
sind.
Nach der Euphorie der Unabhängigkeit trat in Westafrika ein Gefühl der Desillusion ein, das
zur Entstehung dessen geführt hat, was in der Wissenschaft als Afro-Pessimismus bezeichnet
wird (Nohlen 1991: 272). Getrieben von der Enttäuschung über das Fortbestehen der
wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit von den ehemaligen Kolonialmächten, über die
mangelnde Demokratisierung und die steigende Korruption der Eliten und über die anhaltende
Abschottung von internationaler Wirtschaft und Staatenwelt verbreitet sich ein Gefühl der
Ohnmacht gegenüber Politikern, die immer mehr den ehemaligen Kolonialmächten ergeben
zu sein scheinen. Auch das wachsende Bewusstsein über den vergleichsweise niedrigen und
langsamen Entwicklungsgrad mancher afrikanischer Staaten, der auf internationaler Ebene
und in Afrika von Medien, Zivilgesellschaft und internationalen Institutionen zunehmend
thematisiert wird, regt viele Intellektuelle und Künstler dazu an, sich mit diesen Themen
auseinander zu setzen und diese auf dem Kontinent zu verbreiten. Der Afro-Pessimismus
erreicht seinen Höhepunkt mit der wirtschaftlichen Rezession ab Mitte der siebziger Jahre, die
sich in Westafrika unter anderem in einem Sturz der Rohstoffpreise (darunter Kakao und
Kaffee, die wichtigsten Exportgüter der Region) und zu einer strukturellen Veränderung des
internationalen Gütertausches auswirkt und die Abhängigkeit Afrikas auf internationaler
Ebene steigert.
Die Auflistung der Traumata und Hemmnisse, welche die menschliche und wirtschaftliche
Entwicklung Afrikas erschweren, könnte an dieser Stelle fortgeführt werden. Dennoch wird
hier nicht auf die übliche katastrophale menschliche, politische und wirtschaftliche Bilanz der
postkolonialen Zeit eingegangen. Es ist nicht das Ziel der Analyse, Lösungsansätze für das,
was gängig als „Kontinent der Hungerleider“ oder als „Spielplatz der schwarzen Tyrannen“
betrachtet wird, zu formulieren (Der Spiegel Nr. 16: 110-130). Ebenso wenig wird hier auf
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Pläne zur „Rekolonisierung der Elendsnationen“ oder zur Überwindung des „afrikanischen
Fluchs“ eingegangen (ebd.: 128). Diese Umstände gelten als allgemeiner Analysekontext,
sondern hier geht es darum, die musikalische Praxis als einen gesellschaftlichen Aspekt
darzustellen, der erstens von grundlegender Bedeutung im Alltag afrikanischer Gesellschaften
ist, zweitens positive produktive Entwicklungsmuster aufweist und drittens so gut wie nie im
Rahmen von sozialpolitischen Analysen zu dem Kontinent erwähnt wird, obwohl er bereits
weltweite kulturelle und wirtschaftliche Folgen aufweist.
In dieser Hinsicht ist es wichtig festzuhalten, dass Musik und Musiker im Zuge der Rezession
und der Desillusion weiterhin eine gewisse Aufklärerrolle behalten haben, obwohl ihnen diese
Rolle seitens der politischen Führung nicht immer geboten blieb: Keita Fodéba, Gründer und
Leiter der guineischen „Ballets Africains“, wurde von 1969 Sekou Touré wegen seiner
steigenden Kritik an dem politischen System Guineas inhaftiert und starb im Gefängnis (Lee
1988: 54). Salif Keita, Saxofonist und Sänger des malinschen Nationalorchester Rail Band de
Bamako und eine der wichtigsten Figuren der gegenwärtigen afrikanischen Musik, wird 1970
zum Exil gezwungen, als er sich weigert, propagandaartige Lieder für den Putschisten Mussa
Traoré zu spielen (Quelle 4 : RFI Musique). Fela Kuti verbrachte aufgrund seiner politischen
Dissidenz beinahe sieben Jahre seines Lebens in nigerianischen Gefängnissen (Coker 2001:
12). Tiken Jah Fakoly und Alpha Blondy verließen jeweils 1996 und 1998 ihr Heimatland
Elfenbeinküste, nachdem sie mehrere Morddrohungen erhalten, die sich auf ihre Kritik des
Regimes von Henri Konan Bedié bezogen (Quelle 3/ 4). 2004 hat das Zensurkomitee der
Demokratischen Republik Kongo alle kongolesischen Hip Hop Bands und den Import von
Hip Hop aus dem Ausland schlicht verboten (Lock 2005: 158). Aus diesen Beispielen wird
deutlich, dass die Musik und die musikalische Praxis bei politischen Eliten als Nährboden und
Katalysator für politischen Protest gefürchtet sind, was wiederum für ihr Aufklärungs- und
Mobilisierungspotential
spricht.
Letzteres
wird hier
anhand von Anekdoten
und
biographischen Angaben über die Sänger Alpha Blondy und Fela Ransome Kuti näher
beleuchtet.
Alpha Blondy
Die folgende Anekdote mag eine Vorstellung des Mobilisierungspotentials eines Künstlers
wie Alpha Blondy in Westafrika geben: 1984 muss Alpha Blondy an einem Konzert in
Konakry, Guinea, teilnehmen. Aufgrund von schlechten klimatischen Bedingungen muss das
Konzert abgesagt werden. Sekou Touré sieht nicht ein, warum die Veranstaltung abgesagt
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werden soll und verbietet dem Sprecher des nationalen Rundfunks, die Information bekannt
zu geben, so dass sich zehntausende Menschen im Stadion von Konakry versammeln. Das
Stadion von Konakry steht nach heftigen Regenfällen unter Wasser, was die Installation von
elektrischen Geräten verhindert. Sobald die Information um zehn Uhr abends letztendlich
verbreitet wird, brechen im Stadion Unruhen aus, die die Stadt tagelang in den
Ausnahmezustand versetzen und erst durch den Putsch von Lansana Konté (der bis heute an
der Macht ist) beendet werden (siehe dazu Lee 1988: Kapitel 1). Dieser Staatsstreich ist
sicherlich nicht ausschließlich auf die Absage eines Konzertes zurückzuführen, dennoch zeugt
diese Anekdote einerseits von jener schwer greifbaren Verbindung zwischen musikalischen
und politischen Geschehnissen in Westafrika, die allgegenwärtig ist. Auch die große soziale
Mobilisierungskraft von Musik kann an solchen Ereignissen gemessen werden: Nach der
Veröffentlichung des Albums „Yitzhak Rabin“, das mit Titeln wie „Armée Francaise“,
„Guerre Civile“ und „New dawn“ die mit Abstand virulenteste Produktion Alpha Blondys
darstellt, strömen am 26.12.1998 200.000 Menschen zu seinem Konzert in Abidjan. So kann
Alpha Blondy als einziger unbestraft vor einer jubelnden Masse von 200.000 Menschen in
einer offenen Botschaft an den Präsidenten Henri Konan Bedié sein neues Lied „La Queue du
Diable“ vorführen (Quelle 4):
« Monsieur le Président, excusez- moi du dérangement
Vous voulez combattre la corruption ? Je vous propose ma solution
Justifiez d’abord votre fortune,
Justifiez la fortune de vos ministres… »
Alpha Blondy, La Queue de Diable, Elohim, 1999, EMI
Fela Ransome Anikulapo Kuti
Die gesamte musikalische und politische Laufbahn des nigerianischen Sängers und Erfinders
des Afro-Beats Fela Ransome Anikulapo Kuti ist die perfekte Illustration des stürmenden
Verhältnisses von Musik und Politik in post-kolonialen westafrikanischen Gesellschaften.
Neben der bereits erwähnten ästhetischen Besonderheit und Innovation seiner Musik bleibt
Fela Kuti bis heute die Inkarnation des politischen Kampfes von Künstlern gegen die
Militärregime der postkolonialen Phase. Getrieben von der panafrikanischen Ideologie kehrt
Fela Kuti 1970 nach Nigeria zurück, wo er sich mit täglichen Konzerten im „Shrine“, bei
denen aktive politische Arbeit von Musikern und Angestellten geleistet wird, schnell dem
Regime von Obasanjo anfeinden wird. Nach einer Inhaftierung wegen des Besitzes von
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Marihuana gründet Fela Kuti in Lagos die Kalakuta Republik, benannt nach dem Gebäude, in
das er inhaftiert wurde. Das Anwesen, in dem mehrere hundert Menschen leben und arbeiten,
wird in den folgenden Jahren das Ziel systematischer Fahndungen, die in Nigeria von
Soldaten durchgeführt werden, die gängig „Kill and Go“ benannt werden (Coker 2001: 50).
Die allmächtigen Brigaden, die in Nigeria an der Spitze des Rechtsystems stehen, erhalten den
Spitznamen „Zombie“ nach dem Erfolg des gleichnamigen Liedes Kutis über die alltägliche
Brutalität des nigerianischen Militärs. In Reaktion auf dieses Lied strömen am 26.01.1977
rund tausend bewaffnete Soldaten in das Anwesen Kutis ein. Das Haus wird niedergebrannt,
manche Frauen vergewaltigt und nackt auf offener Strasse vorgeführt. Fela Kutis 77-jährige
Mutter wird aus dem zweiten Stock des Hauses gestürzt, ein Redakteur der
Regierungstageszeitung Daily Times, der zufällig vor Ort war, wird von Polizisten mit
hunderten von Passanten willkürlich niedergeschlagen. Fela Kuti wird bewusstlos ins
Militärkrankenhaus von Lagos gebracht und anschließend wegen des Besitzes von Marihuana
inhaftiert (ebd 62-68).
Die öffentliche Reaktion auf diese Fahndung, vor allem durch die private Presse,
Studentenorganisationen und Anwalts- und Arbeitgeberverbände, wurde so heftig, dass
Staatschef Obasanjo selbst, der die Fahndung vermutlich angeordnet hatte, eine
Untersuchungskommission einberief, die jedoch als einzige Folge hatte, dass Fela Kuti und
seine verhafteten Anhänger auf Kaution entlassen wurden. Der ruinierte Kuti zieht ins Exil
nach Ghana, wo er bereits sehr populär ist (als Erster hat Fela Kuti Lieder auf Pidgin
komponiert, einem englischen Dialekt, der in der ganzen ehemaligen britannischen
Einflusssphäre verstanden wird, um möglichst viele Afrikaner durch seine Texte zu
erreichen). Dort trifft er auf Studentenorganisationen, die im Protest gegen den Militärdiktator
Ignatus Kutu seine Lieder „Zombie“ und „V.I.P - Vagabonds In Power“ als Hymnen gewählt
haben. Nach der Veranstaltung vieler Konzerte und Demonstrationen an der Seite der vier
Studentenorganisationen Accras wird Kuti als persona non grata deklariert und zur Rückkehr
nach Lagos gezwungen.
Kurz darauf kündigt er die Gründung einer Partei an, Movement Of the People (MOP), mit
der er bei der Wahl von 1979 antreten will. Die Partei wird von der Wahlkommission nicht
zugelassen und Kuti darf nicht antreten. Von diesem Zeitpunkt an erhält er in ganz Afrika den
Spitznamen „Black President“, weil er als einziger Kandidat für die kulturelle Emanzipation
und die Denunzierung einer „Neokolonisierung“ stand (ebd: 101f). Nach diesem Scheitern in
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der Politik reist Kuti mehrere Jahre lang in afrikanische Universitäten als Lektor zu Themen
wie „Afrikanische Persönlichkeit“ und „Korruption und Regierung in Afrika“. Während
seiner Laufbahn produzierten Fela Kuti and The Africa 70’s 54 Alben, die sich weltweit
millionenfach verkauften.
Diese Beispiele dienen nicht der rücksichtslosen Verehrung von Künstlern, die selbst
widerspruchsvolle Figuren sind. Vielmehr dienen diese Beispiele der Fragestellung, inwiefern
solche Künstler als Agenten der politischen Bewusstseinsbildung betrachtet werden können.
Wenn auch nicht empirisch festgestellt werden kann, ob zum Beispiel Fela Kuti mit seiner
Musik zur politischen Bewusstseinsbildung beigetragen hat, kann dennoch behauptet werden,
dass seine Auseinandersetzung mit den Militärregimen Westafrikas innerhalb seiner
Anhängerschaft als Katalysator der kritischen Haltung gegenüber diesen Regimen gewirkt
hat.
In dieser Hinsicht kann die Musik, wenn auch indirekt, als Medium dieser Kritik betrachtet
werden. Dem oft aufgebrachten Argument, die politische Handlung von Musikern sei
außermusikalisch motiviert, wird hier widersprochen: gerade der Musik verdanken Musiker
ihre Popularität, und wenn aus musikalischer und öffentlicher Haltung eine einheitliche Linie
zu erkennen ist, kann die Musik als Medium der politischen Einflussnahme und somit als
politische Arbeit betrachtet werden. Im Fall von westafrikanischen Gesellschaften, und ferner
von Gesellschaften, in denen informative Medien entweder einer starken staatlichen Kontrolle
unterliegen oder allgemeinen schwer zugänglich sind, erweist sich Musik sogar als besonders
günstiges Medium zur politischen Arbeit.
IV.1.b: Die Verbreitung von kritischer Musik in autoritären Staaten
Dass die Verbreitung einer kritischen Musik trotz starker politischer Kontrolle stattfinden
konnte, lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen. Erstens erfolgt die Produktion
eines Großteils der populären afrikanischen Musik im Ausland. Neben
attraktiveren
Geschäfts- und Arbeitsverhältnissen und einer internationalen professionellen Musikszene
bieten Länder wie Frankreich, Großbritannien oder die USA Zuflucht für verfolgte Künstler,
die von dort aus nicht nur für den afrikanischen sondern für den internationalen Musikmarkt
produzieren können. Diese Musik ist auch auf den afrikanischen Markt gerichtet und
anschließend auf diesem erhältlich, was die Verbreitung einer Musik möglich macht, die aus
politischen Gründen nicht immer auf afrikanischem Boden produziert werden kann.
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Zweitens gilt, dass selbst in jenen Ländern, in denen kulturelle Praktiken einer starken
staatlichen Zensur unterliegen, die grenzüberschreitende Piraterie weitgehend zur Verbreitung
von Tonträgern beiträgt. Die Piraterie, die heute einen geschätzten Anteil von 80% am
afrikanischen Musikmarkt hat, entwickelte sich auch aufgrund der Unerschwinglichkeit von
Tonträgern und der hohen Versteuerung von Importgütern und konnte sich aufgrund
mangelhafter Grenzkontrollen und Gesetzgebung in diesem Bereich zu einem Phänomen
entwickeln, das mittlerweile stark organisiert und aus der Kontrolle der Entscheidungsträger
geraten ist (Tchebwa 2005: 60f). Paradoxerweise ist die Piraterie zugleich für den Erfolg und
für die Flucht vieler Talente verantwortlich, die im Ausland nach besseren und sicheren
Vertriebschancen suchen.
Nichts desto trotz lässt sich seit den siebziger Jahren die Entwicklung einer, wenn auch
bescheidenen, autonomen Musikindustrie feststellen, die nicht zuletzt von berühmten
Künstlern angespornt wird und die staatlichen Monopole in allen westafrikanischen Ländern
abgelöst hat. Wenn diese autonome Musikindustrie noch vor erheblichen Herausforderungen
steht und der großen Produktions- und Rezeptionsnachfrage auf dem Kontinent noch nicht
nachkommen kann und durch zunehmende Piraterie und mangelnde Investitionen gebremst
wird, weist sie stets positive Entwicklungsmuster auf und bietet ferner erste Aufstiegschancen
für junge Künstler (ebd.: 53f). Auch diese jüngere Generation von Musikern zeichnet sich
durch starkes politisches Engagement aus und findet in der musikalischen Praxis eine
Ausdrucksform und zugleich eine Möglichkeit der Einflussnahme auf den politischen Prozess
und die Hoffnung auf eine Existenzgründung.
IV.2: Rezeption von populärer Musik
Bevor Letzteres am Beispiel der florierenden Hip Hop Kultur in Westafrika verdeutlicht wird,
muss man sich dem Bereich der Rezeption gegenwärtiger populärer Musik zuwenden. Eine
Frage, die im theoretischen Teil dieser Analyse aufgeworfen wurde, ist die Frage nach der
sozialen Wirkung einer kulturellen Praxis, einerseits nach der Existenz einer solchen
Wirkung, andererseits nach den wissenschaftlichen Mitteln zur Messung dieser Wirkung.
Dabei bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die soziale Wirkung von Musik sich kaum
anhand von sozialwissenschaftlichen empirischen Mitteln messen lässt: Dazu wäre eine
Felduntersuchung in einem begrenzten geographischen und zeitlichen Raum erforderlich und
ferner wäre die Kausalitätsrichtung zwischen musikalischer Wirkung und politischer
Handlung nicht bestimmbar, was die Formulierung von unwiderlegbaren Feststellungen
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verhindert. Dagegen wurde argumentiert, dass die soziale Wirkung von Musik, wenn sie
weder theoretisch noch anhand von klassischen empirischen Mitteln deutlich zu belegen ist,
vielmehr in bestimmten gesellschaftlichen Kontexten gefunden werden kann. Dabei wurde
insbesondere auf die identitätsstiftende Rolle von Musik und musikalischer Praxis
hingewiesen, einerseits in sich konstituierenden politischen Systemen, wie es am Beispiel
Jamaikas oder Guineas erläutert wurde, andererseits in jenen Nischen und Gruppen einer
Gesellschaft, in denen ein gesteigerter Bedarf an kultureller Identifizierung besteht, wie etwa
bei Jugendlichen mit Migrationshintergund in Einwanderungsgesellschaften.
Gegenwärtige westafrikanische Gesellschaften, in denen nach Erlangung der Unabhängigkeit
einerseits neue eigenständige politische Systeme gebildet werden sollten und andererseits eine
progressive Entbindung vom eurochristlichen kulturellen Modell stattfindet, stellen genau
diesen
Kontext
von
Transformation,
sozialpolitischer
Gestaltung
und
kultureller
Identitätsbildung dar, in dem die Rezeptionsbereitschaft von Musik, die auf sozialpolitische
Wandlung gerichtet ist, als besonders hoch postuliert wird. Ferner konnten im Laufe der
Analyse weitere Faktoren identifiziert werden, die auch als kulturelle afrikanische
Besonderheiten betrachtet werden können und für eine vergleichsweise gesteigerte
gesellschaftliche Rezeptionsbereitschaft von Musik sprechen: dazu gehören die kulturell
bedingten Funktionen der musikalischen Praxis im gesellschaftlichen Alltag und die
Vermittlungsfunktion der Musik, die sich in allen Phasen der Geschichte westafrikanischer
Gesellschaften beobachten lässt. Nun wird versucht, dieses Postulat einer sozialpolitischen
Gestaltungskraft afrikanischer populärer Musik möglichst empirisch im Kontext der
Rezeption zu belegen. Die These, die bereits skizziert wurde und nun endgültig untersucht
wird, ist die, dass die Musik in gegenwärtigen afrikanischen Gesellschaften ein privilegiertes
Medium zur Vermittlung von gesellschaftspolitischen Inhalten darstellt.
IV.2.a: Populäre Musik als Bestandteil der afrikanischen
Medienlandschaft ?
Die bisherigen Angaben über die erfolgreiche Verbreitung der populären Musik in
postkolonialen Gesellschaften, die hohe Nachfrage nach Tonträgern, die an den hohen
Verkaufszahlen und der immer wachsenden Piraterie deutlich wird, deuten darauf, dass der
quantitative Konsum von Musik in westafrikanischen Gesellschaften sehr hoch liegt. Um der
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aufgestellten These näher zu kommen, müsste man den qualitativen Konsum von Musik
untersuchen, mit anderen Worten untersuchen, in welchem Kontext oder zu welchem Zweck
Musik gehört wird. In dieser Hinsicht kann an die oben zitierte Aussage von Alpha Blondy
erinnert werden, der darauf hinweist, dass Musik die Analphabeten auf dem Kontinent über
die Ereignisse im eigenen Land informiert. Solch eine Aussage ist zwar mit erhöhter Vorsicht
zu betrachten, sie mag dennoch auf eine weitere Eigenschaft afrikanischer Gesellschaften in
Bezug auf die „Funktion“ von Musik deuten: In Gesellschaften, in denen audiovisuelle
Medien zu den wichtigsten Informationsquellen für die Bevölkerung gelten, kann Musik in
der Tat eine informative Funktion erfüllen.
Ein wichtiger Aspekt, der bisher etwas außer Acht gelassen wurde und von grundlegender
Bedeutung sein kann, ist der Rundfunk, der ebenfalls stark zur Verbreitung von Musik
beiträgt. Der Rundfunk ist zweifellos das meist genutzte Medium Afrikas. Aus Studien des
British Broadcast Corporation (BBC World Service Trust) ergibt sich, dass 91% der
Bevölkerung Ghanas mindestens einmal pro Woche Radio hören, 90% in Senegal, 88% in
Nigeria. Dagegen sind es jeweils 19, 22 und 6 %, die wöchentlich eine Tageszeitung lesen
(Quelle 5: BBC 2006: 27/36). Einer der Gründe für diesen beträchtlichen Unterschied, der
auch die allgemeine Bedeutung des Rundfunks steigert, ist die vergleichsweise geringe
Alphabetisierungsrate, die in den meisten westafrikanischen Ländern unter 50% liegt (siehe
unten Abb.3). Mit 13 bis 19 Fernsehgeräten für Tausend Einwohner in den benannten
Ländern stellt das Medium Fernsehen auch keine Konkurrenz zum Rundfunk dar (Tchebwa
2005: 47). Eine Schätzung aus dem Jahr 1998 geht in der Tat von einem Durchschnitt von 20
Rundfunkempfängern für Hundert Einwohner in Afrika südlich der Sahara aus (Furniss/
Fardon 2000: 32). Schließlich ist Rundfunk auch das am meisten zugängliche Medium, und
ein weiterer Grund für den enormen Vorsprung des Rundfunks unter den Medien ist sicherlich
auch der Preis- und Mobilitätsfaktor: Rundfunkempfänger sind deutlich erschwinglicher als
Fernseher, sie funktionieren mit einfachem Funk- und Batteriebetrieb, unabhängig von Strom
und Anschluss, und sind auf lange Sicht weniger kostenaufwändig als Druckmedien.
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Abbildung 3: Alphabetisierungsrate von Erwachsenen (+15) nach Geschlecht in
ausgewählten westafrikanischen Ländern (Stand von 09/ 2006)
LAND
Gesamt
Männer
Frauen
Benin
Cote d’ Ivoire
Ghana
Guinea
Mali
Niger
Senegal
Sierra Leone
Togo
(in %)
34,7
48,7
57,9
29,5
19,0
28,7
39,3
35,1
53,2
(in %)
47,9
60,8
64,4
42,6
26,7
42,9
51,1
46,9
68,7
(in %)
24,3
38,6
49,8
18,1
11,9
15,1
29,2
24,4
38,5
Quelle 6: UNESCO Institute for Statistics
In ihrem Sammelband African Broadcast Cultures: Radio in Transition bringen Fardon &
Furniss die Diversifizierung der Rundfunklandschaft (durch Privatisierung oder autonome
Sendeweise) direkt mit dem Modernisierungs- oder Demokratisierungsprozess in Verbindung.
Dabei
deuten
sie
auf
die
rasche
Vermehrung
von
privaten
Sendern
und
„Gemeinschaftssendern“ (Community Radio) hin, die seit Ende der achtziger Jahre zu
beobachten ist. Die privaten Sender unterscheiden sich von den nationalen öffentlichen und
internationalen Sendern wie BBC, Radio France International oder Deutsche Welle und sind
mittlerweile in allen Staaten auf nationaler und regionaler Ebene vorhanden: Ghana zählt 84
unabhängige Studios, Mali 75 und Senegal 35. Der Begriff Community Radio deutet auf
lokale Sender hin, die oft entweder von Privatpersonen oder überwiegend nicht-staatlichen
Akteuren der Zivilgesellschaft zu nicht kommerziellen Zwecken betrieben werden (Myers in
Fardon/Furniss 2000: 90). In den Ländern, in denen ein Demokratisierungsprozess stattfindet,
ist der Zuwachs an Sendern am stärksten, wobei beobachtet wird, dass diese Entwicklung den
politischen Wandlungen oft voraus war. Dabei spielten auch „hausgemachte“, meist illegale
Sender, die von Privatpersonen wortwörtlich gebastelt werden und eine Reichweite von bis zu
hundert
Kilometer
haben
können,
eine
wichtige
Rolle.
So
Myers
zu
einem
Gemeinschaftssender in Mali:
“Having visited the village of Tori where an illiterate electrician had set up a radio station, I
had witnessed the enthusiasm of the villagers for their station. The local school headmaster
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as well as the village headman confirmed the usefulness of village radio for education and
communication” (ebd: 93).
So wird im Fall Malis, Burkina Fasos und Benins den Gemeinschaftssendern, die auch als
einzige die große Sprachvielfalt dieser Staaten decken können und somit als so genanntes
grassroots Instrument, sprich der Demokratisierung von unten, schlechthin gelten, ein
wichtiger Beitrag zur friedlichen Demokratisierung zugesprochen (BBC 2006: 29)16. Myers
betont ferner, dass dieser Prozess besonders in jenen Gesellschaften am effektivsten
eingeschätzt wird, die noch stark von der oralen Tradition geprägt sind, nämlich in
Westafrika, insbesondere in ländlichen Gebieten, wo die gemeinschaftliche Mitbenutzung
einzelner Rundfunkgeräte Gang und Gäbe ist (Myers 2000: 91).
Besonders erwähnenswert ist, dass die Programme dieser privaten und Gemeinschaftssender
in der Regel zu 50% aus Nachrichten und 50% aus Musik und Gesang besteht, wobei Gesang
für jene traditionelle Praxis der Griots steht, die aus sarkastischer Auseinandersetzung und
Wiedergabe der lokalen Ereignisse besteht. In städtischen Gebieten sind insbesondere die
privaten kommerziellen und die internationalen Sender beliebt, wobei private kommerzielle
Sender mehrheitlich lokale populäre Musik ausstrahlen, die internationalen Sender BBC und
RFI und deren Studios in afrikanischen Großstädten werden für ihren ausführlichen und
hochqualitativen informativen Inhalt vorgezogen (Abdulkadir in Fardon/Farniss 2000: 130).
So stellt Graham Mython, Mitarbeiter der afrikanischen Abteilung der BBC fest, dass sowohl
die BBC als auch RFI die größte Zuhörerschaft auf dem afrikanischen Kontinent jeweils
außerhalb von England und Frankreich haben (Furniss/ Fardon 2000: 22). So greifen
ironischerweise Bewohner Lagos oder Abidjans auf Überseesender zurück, um zu erfahren,
was in ihrer eigenen Stadt passiert!
Die Bedeutung des Rundfunks in afrikanischen Gesellschaften kann an dieser Stelle nur
unzureichend thematisiert werden. Aus den Angaben lassen sich dennoch folgende
Erkenntnisse herausleiten: Die hohe Nutzung des Rundfunks und die große Nachfrage nach
informativen Inhalten weist trotz der geringen Alphabetisierung und der oft beklagten
mangelnden Bildung in gegenwärtigen afrikanischen Gesellschaften auf ein erhöhtes
politisches Bewusstsein der afrikanischen Bevölkerung hin. So kann auch Musik in diesem
16
Ein gegenteiliges Beispiel stellt die oft erwähnte Bedeutung des Senders Radio Television des Mille Collines
beim Genozid im Ruanda dar, der nach seiner Übernahme durch Hutu-Rebellenführer für die systematische
Aufhetzung gegen die Tutsi-Bevölkerung eingesetzt wurde (siehe Dazu Fardon/Furniss 2001: Kapitel 14).
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Kontext der Information und gesellschaftlichen Kommunikation einbezogen werden. Es wäre
natürlich übertrieben, der Musik und den rein informativen Rundfunkprogrammen, die im
Stundentakt
aktuelle
Nachrichten
ausstrahlen,
den
gleichen
informativen
Gehalt
zuzusprechen. Dennoch kann Musik - von der oft genug behauptet wurde, sie sei stark sozial
und politisch ausgerichtet - als wichtiger Bestandteil der Rundfunklandschaft im Kontext
einer hohen Rezeptionsbereitschaft von politischen Inhalten ebenfalls als Medium zur
politischen Bewusstseinsbildung betrachtet werden.
IV.3: Sozialpolitische Wenden durch Musik ? Das Beispiel Senegals
Eins der derzeit wichtigsten Phänomene der Jugendkultur in mehreren westafrikanischen
Ländern, insbesondere im westlichen Teil des Benin Golfes und im Senegambia-Raum, ist die
rasche Verbreitung von Hip Hop. (Lock 2005: 150). Hip Hop hat Westafrika um etwa
dieselbe Zeit erreicht wie Europa. Anfang der achtziger Jahre verbreiten sich Aufnahmen aus
den USA in den englischsprachigen Ländern Liberia, Sierra Leone und Ghana. Der größte
Zuwachs wird dennoch Ende der achtziger in Senegal festgestellt, wo die Gruppe „Positive
Black Soul“, bestehend aus zwei Jugendlichen aus Dakar, eine internationale Karriere an der
Seite von bereits kultigen französischen und amerikanischen Figuren des Rap startet.
Mittlerweile wird der Senegal gängig nach den USA und Frankreich als die dritte Hip Hop
Nation der Welt bezeichnet (Marozsta 2002: 88). Hip Hop steht in Westafrika nicht unbedingt
an der ersten Stelle der musikalischen Beliebtheitsskala.
Die Highlife-Musik und ihre
Nachfolger, die man heute weltweit als afrikanische Musik bezeichnet, sowie der Reggae sind
noch die am meisten verbreitete Musikformen. Doch in Ländern wie Senegal, Sierra Leone
und Liberia, wo der Durchschnittsalter bei etwa 17 Jahren liegt und 40 bis 45 % der
Bevölkerung jünger als 14 sind, stellt Hip Hop zweifellos eine der wichtigsten musikalischen
Entwicklungen der Zukunft dar (Lock 2005: 146/ BBC 2006: 27).
Katrin Lock sieht in ihrem Beitrag zum Hip Hop in Senegal und Sierra Leone den Durchbruch
dieser Musik in direkter Verbindung mit der massiven Arbeitslosigkeit von Jugendlichen in
diesen Ländern. Die städtische Arbeitslosigkeit (48% in 2005 im Senegal) betrifft gerade den
Teil der Bevölkerung, welcher derzeit dem Arbeitsmarkt beitritt (Lock 2005: 148). Ein
Großteil der jungen Generation ist in westafrikanischen Gesellschaften insofern benachteiligt,
als dass sie weder in ländlichen Strukturen, die sich derzeit zum großen Teil auflösen, noch
im städtischen Raum, wo der Arbeitsmarkt den rasanten Zuwachs an jungen Arbeitskräften
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kaum absorbieren kann, ernsthafte Perspektiven und Zukunftschancen hat. In dieser Hinsicht
bietet Hip Hop dieser zum Teil entmutigten Generation eine willkommene Beschäftigung und
eine Möglichkeit an, sich am gesellschaftlichen Geschehen zu beteiligen und diese Umstände
zu denunzieren.
Interessant ist dabei, dass gerade dieser Teil der Bevölkerung, der im Zuge der massiven
Landflucht in die Ballungszentren der anwachsenden Vorstädte kommt, eine Gruppe darstellt,
die von der Politik unzureichend wahrgenommen wird, obwohl sie seit mehreren Jahrzehnten
rasante Wachstumsmuster aufweist. Dieses Phänomen lässt sich in nahezu allen modernen
Gesellschaften beobachten und so steht Hip Hop im Senegal, aber auch in den USA,
Frankreich und Deutschland als Symbol für den Ausdruckswillen jener jungen Menschen, die
sich am Rande einer Gesellschaft befinden, die ihnen immer weniger zu bieten hat. So titelt
die Wochenzeitschrift Der Spiegel vom 16.04.2007 einen vierseitigen Artikel über die
Berliner Hip Hop Szene „Stimmen aus den Ghettos: während die Politik über die
Unterschicht debattiert, melden sich die Betroffenen selbst zu Wort.“(Der Spiegel Nr.16,
16.04.2007, 180-185). Wenn der kommerzielle Teil des europäischen und amerikanischen
Hip Hop wegen einer provokativen Verehrung von Wohlstandssymbolen, Sexismus und
Gewaltbereitschaft zunehmend kritisiert und zum Teil als soziale Ausdrucksform diskreditiert
wird, scheint der afrikanische Hip Hop im Gegenteil von einer politischen aufklärenden
Ausrichtung geprägt zu sein (Franklin 2005: 12). So Jean Marie Messier, als er
Geschäftsführer des internationalen Unterhaltungskonzerns Vivendi Universal war:
„Der Senegal hat den Rap, nachdem er ihn importiert hat, vollkommen „senegalisiert“ und
aus ihm die aktivste Form der politischen Kritik gemacht“ (Le Monde vom 09.04.2001, zitiert
in Marozsta 2002: 90).
Offenbar setzt der Hip Hop zurzeit die Tradition der sozialen Reflexion und der politischen
Kritik in der afrikanischen populären Musik fort. Von Anfang an hat Hip Hop die Schwächen
der Transformation denunziert, in der sich afrikanische Gesellschaften befinden, und so findet
sich im afrikanischen Rap von Positive Black Soul, Yeleen (Mali) oder Gohkby Sound System
stets Kritik an den negativen Folgen der Globalisierung der Weltwirtschaft für Afrika, aber
auch - in lokalerer Hinsicht - an der schlechten Lage des Bildungswesens oder an der
Korruption der Entscheidungsträger. Zusammenfassend lässt sich einerseits sagen, dass die
politische Sphäre zum bevorzugten Objekt des Hip Hop wurde und andererseits, dass der Hip
Hop zunehmend zur politischen Sphäre gehört. Mbaye fügt hinzu, dass dabei die
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Ernsthaftigkeit, mit der der Hip Hop am Politischen rüttelt, viel zu seiner Glaubwürdigkeit
beigetragen hat. Hip Hop SängerInnen, so Mbaye, sind oft „gebildeter“ als der Großteil ihrer
Zuhörerschaft und gehören zu den wenigen, die es wagen, aus der Masse der Stimmlosen
heraustreten, um ihren Unmut kundzutun. Mbaye zitiert einen Sprecher des größten privaten
Rundfunks Dakars „FM de Dakar“:
„Die senegalesischen Rapper sind wie Lehrer. Sie geben der Bevölkerung viele Ratschläge
und verstehen es, unsere Kultur auf originelle Weise aufzuwerten“ (Mbaye in Rythmes
06/1999: 46)
Ein entscheidendes politisches Ereignis, das die Rolle des Hip Hop im Senegal deutlich
macht, stellt die Präsidentschaftswahl aus dem Jahr 2000 dar. Nach 26 Jahren sozialistischer
monoparteiischer Führung wurde die Opposition erstmals gewählt. Scheinbar wurde die
Jugend zu einem großen Teil durch Hip Hop Sänger zum Urnengang mobilisiert: Über die
vielen Radiosender, die der lokalen Musik verpflichtet sind, hatten sich die Sänger von
Positive Black Soul, Gohkby Sound System und BMG 44 in Liedern und Interviews für den
Machtwechsel stark gemacht. Die Partei des Staatschefs Abu Diouf hatte wiederum versucht,
Sänger zu bezahlen, damit sie Abdoulaye Wade (der die Wahl schließlich gewann) in ihren
Liedern diskreditieren (Lock 2005: 152). Dabei wurde einer der Sänger von BMG 44, der ein
Angebot von Diouf abwies, anschließend von Parteianhängern fast totgeschlagen, worauf
sonst zahme Zeitungen und Radiosender in die Debatte eingriffen und erstmals kritisch
Stellung zur politischen Lage des Landes bezogen (Marouzsta 2002: 93). So sind sich
Beobachter darüber einig, dass Hip Hop die Stimme des Machtwechsels in die Reihen der
Jugend getragen hat. Somit hat die Politik auch die Macht dieser wachsenden jungen
Unterschicht, die in großer Mehrheit für Wade gewählt hat, erstmals gespürt. Lock beobachtet
ferner, dass Wade seit seiner Wahl in seinen Reden zahlreiche Begriffe und Ausdrucksweisen
aus dem Hip Hop Jargon der Hauptstadt verwendet und sich somit direkt an diese
Bevölkerungsgruppe richtet (Lock 2005: 153).
Dieses Beispiel von Hip Hop im Senegal ist für die Analyse von zweifacher Relevanz:
Erstens bringt es die politische Agenda einer jungen Generation zu Tage, die bisher von den
politischen Arenen afrikanischer Gesellschaften ausgeschlossen blieb, heute den größten Teil
der Bevölkerung des Kontinentes ausmacht und sich offenbar ihrer Geschichte,
sozialwirtschaftlichen Lage und ihres gesellschaftlichen Gestaltungspotentials bewusst ist. In
jenen Ländern wie Senegal, Liberia oder Ghana, die sich in einer demokratischen
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Transitionsphase befinden, scheint der Hip Hop neben oftmals marodem Bildungswesen und
bescheidener Presselandschaft als Instrumentarium der vertikalen Austragung von
gesellschaftlichen Anliegen zu dienen. Ferner gilt die musikalische Praxis, auch wenn dies
eine idealistische Feststellung ist, als Beschäftigung und gesellschaftliche Beteiligung in jenen
Gesellschaften, die besonders schwer von Arbeits- und Perspektivlosigkeit getroffen sind.
Zweitens kann am Beispiel von Senegals erster demokratischer Wahl, bei der Beobachter den
Künstlern und privaten Radiosendern eine wichtige Aufklärerrolle gegenüber der
Bevölkerung verleihen, eine Form der Einflussnahme von Musik auf den politischen Prozess
festgestellt werden, wobei der ganze musikalische Prozess von der Produktion hin zur
Verbreitung der Tonträger von dem Willen nach gesellschaftlicher Wandlung geprägt ist. So
kommen sowohl Marazsto als auch Lock beim Beispiel der Wahl in Senegal zum Schluss,
dass Abdoulaye Wade den Großteil der Stimmen von Jugendlichen dem gemeinsamen
Auftreten von Radiosendern und Hip Hop Sängern für einen Machtwechsel zu verdanken hat
(Marazsto 2002: 93/ Lock 2005: 152). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses Phänomen,
das bereits im Fall Jamaikas beobachtet wurde, sich in weiteren Ländern mit ähnlichen
demographischen, sozialpolitischen und kulturellen Entwicklungsmustern wiederholen
könnte.
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TEIL V: FAZIT
„They could not understand that African Art is essentially utilitarian and social, they separate
culture from the people, art from real life (…) No author has ever been able to interpret the
inner meaning of music, which in Africa is part of the social and intellectual life” (Sekou
Touré in Enzewor 2001: 371).
Dieses Zitat aus einer Rede von Sékou Touré illustriert bestens die Komplexität und die
Vielfalt der Fragestellungen, die zur Untersuchung des Beitrages von Musik zur politischen
Bewusstseinsbildung in afrikanischen Gesellschaften aufgeworfen werden: Zum einen die
Hinterfragung der Verbindung zwischen Musik und gesellschaftspolitischem Geschehen. Im
Gegensatz zur musik- und sozialwissenschaftlichen Tradition- werden hier Musik und Politik
nicht als getrennte Gesellschaftsbereiche betrachtet. Wer diese Trennung aufhebt, deutet
implizit auf eine soziale Funktion von Musik, die parallel zum künstlerischen Wesen bestehen
kann, und postuliert die Möglichkeit der gegenseitigen Einflussnahme. Die Erfassung der
Funktionalität und des Einflusses von Musik innerhalb einer Gesellschaft stellt dennoch eine
Reihe von wissenschaftlichen Problemen dar, welche die Formulierung von empirisch
verifizierbaren Feststellungen erschwert. Aus diesem Grund wurde im Laufe der Analyse
überwiegend nach Interaktionen und Berührungsstellen zwischen musikalischer Praxis und
politischem Prozess gesucht. Dabei wurde ein dynamisches Verhältnis zwischen Musik und
Politik in jenen Gesellschaften (oder Nischen einer Gesellschaft) festgestellt, in denen einen
gesteigerten Bedarf nach sozialer und kultureller Selbstbehauptung zu beobachten ist. Dieser
Bedarf weist wiederum auf eine erhöhte Rezeptionsbereitschaft für künstlerische
Produktionen hin, die auf soziale und kulturelle Wandlung gerichtet sind. So hat sich an den
aufgebrachten Beispielen westafrikanischer Ländern folgendes bestätigt: In politischen
Systemen, die sich in einem Prozess der Identitätssuche befinden, wie zum Beispiel im
postkolonialen Afrika, das zwischen eurochristlichen und vorkolonialen kulturellen
Wertesysteme gespalten ist, kann Musik durchaus als politisches Instrument der
Identitätsbildung dienen.
Letzteres wirft die Frage nach der Rezeption von Musik auf. Diesbezüglich macht Tourés
Zitat die Besonderheit westafrikanischer Gesellschaften deutlich: Musik hat in Westafrika ein
hohes gesellschaftliches Stellenwert und nicht so sehr die Unterhaltungsfunktion von Musik
als ihre soziale Vermittlungskraft steht im Vordergrund der musikalischen Praxis. Gekoppelt
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an die Aussagen über die soziale Reflexion, welche die afrikanische Musik prägt, über hohe
Nachfrage und Konsum von Musik und über die traditionelle Einbindung von Musik im
gesellschaftlichen Geschehen lässt sich in der Tat sagen, dass Musik in westafrikanischen
Gesellschaften eine vergleichsweise starke Vermittlungskraft hat. Wenn es übertrieben wäre,
der Musik eine rein informative Funktion zu verleihen, lässt sich sagen, dass Musik als
gesellschaftliches Kommunikationsmedium, insbesondere in Gesellschaften mit geringer
Alphabetisierung und schwerem Zugang zu Medien, eine informierende und oder gar eine
aufklärende Rolle haben kann.
Auch wenn der Beitrag von Musik zur politischen Bewusstseinsbildung im gegenwärtigen
Westafrika weder übergreifend definiert noch empirisch gemessen werden kann, erscheint mir
die Aussage, dass Musik zur politischen Bewusstseinbildung beitragen kann, als eine für die
Politikwissenschaften wichtige Erkenntnis. Letzteres wurde anhand der Beispiele erläutert,
bei denen ein gegenseitiges Einwirken von musikalischer Praxis und politischem Prozess und
eine gesellschaftliche Gestaltungskraft von Musik identifiziert wurden, die gegebenenfalls
politische Konsequenzen nach sich ziehen können, wie etwa am Beispiel Senegals.
Man sollte dennoch die „Macht“ der Musik nicht überschätzen und es ist fraglich, ob Musik
als Form der politischen Partizipation geeignet ist, um eben politische Wandlung zu bewirken.
Die Gestaltungskraft von populärer Musik kann je nach gesellschaftlichem Kontext variieren
und nicht alle Musik dient der sozialen Reflexion. In dieser Hinsicht scheint die Analyse der
populären Musik in gegenwärtigen westafrikanischen Gesellschaften eine besondere
Konstellation darzustellen, die sozusagen alle Voraussetzungen erfüllt, um von einer
politischen Bedeutung der Musik reden zu können. Dazu gehört ein gesellschaftlicher
Kontext, ein Bedarf nach kultureller Identifizierung, eine hohe musikalische Produktivität und
nicht zuletzt eine hohe Rezeptionsbereitschaft, die auch durch ausreichenden Vertrieb
befriedigt werden muss. Nichts desto trotz sind im Laufe der Analyse Berührungsflächen
zwischen Musik und Politik identifiziert worden, die meines Erachtens Hinweise für eine
gesteigerte Achtung der musikalischen Praxis zur Deutung von sozialer, gesellschaftlicher
und politischer Wandlungen auch außerhalb von Afrika sprechen.
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