14 Politik der niedergelassene arzt 8/2012 Kein Ende im Organspende-Skandal Politik und Bundesärztekammer für schnelles Handeln Für die großen Religionen weltweit gilt Organspende als Akt der Nächstenliebe. Doch die Ethik und das Vertrauen, die für die Spendebereitschaft so wichtig sind, haben nach dem Organspende Skandal in Göttingen und Regensburg schwer gelitten. Und noch immer kommen neue Erkenntnisse ans Tageslicht. ie Vorschriften für die Vergabe der ohnehin viel zu seltenen Spende-Organe sind strikt geregelt. Bei der Stiftung Eurotransplant im niederländischen Leiden werden alle Daten aus sieben europäischen Ländern (Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich und Slowenien) erfasst und bewertet. Bei dieser Koordinationsstelle der Organspende-Organisationen, Transplantationszentren, Laboratorien und Krankenhäuser gibt es ein gemeinsames Spender-Melderegister sowie eine zentrale Warteliste. Stehen Organe zur Verfügung, werden sie Eurotransplant gemeldet. „Die Zuteilung von Organen (Allokation) basiert dabei ausschließlich auf medizinischen und ethischen Gesichtspunkten“, heißt es dazu auf der Website der Stiftung. Dieses Verfahren sowie die notwendige Feststellung des Hirntodes durch zwei Ärzte haben erheblich zur Vertrauensbildung und damit zur Spende-Bereitschaft beigetragen. Doch die so mühselig zusammengestellte Vertrauensgrundlage hat in Deutschland tiefe Risse bekommen. Ethisches Dilemma Grund hierfür ist sicher auch das ethische Dilemma, vor dem alle Ärzte stehen, die Patienten betreuen, die dringend auf ein neues Organ warten. Obwohl sie die quälende Leidensgeschichte ihrer Patienten, deren Not, vielleicht auch die drohende Lebensgefahr kennen, müssen sie Organe abgeben, weil ein anonymer Patienten irgendwo in den sieben Ländern sie noch © horizont21 / Fotolia D dringender braucht. Sollte in Göttingen und Regensburg kein Geld geflossen sein, macht dies das Handeln der Ärzte nachvollziehbar, vielleicht sogar verständlich. Richtig ist es dennoch sicher nicht. Ob es zu den von mittlerweile vielen Politikern – auch vom Patientenbeauftragten Wolfgang Zöller – geforderten harten Strafen kommt, müssen Gerichte entscheiden. Das Problem bleibt bestehen. ren Krankheiten wie Krebs, können die Ärzte dieses anwenden und müssen die Organe nicht nach Leiden „abgeben“. Bemerkenswert ist die Zunahme dieses Verfahrens. Noch 2002 wurde es nur bei zehn Prozent der Organspenden angewendet. Zentrale Vergabe wird zunehmend unterlaufen Sowohl Bundesärztekammer (BÄK) als auch die Stiftung Eurotransplant verteidigen das Schnellverfahren vom Grundsatz her. Es sei bewusst eingeführt worden, um die Nutzung der Organe zu verbessern. Bei alten oder kranken Spendern gebe es nur wenige infrage kommende Empfänger. Oft reiche auch die Zeit nicht aus, um längere Transporte durchzuführen. So seien vor Einführung dieses beschleunigten Weges viele Organe schlicht und ergreifend verloren gegangen. Allerdings bietet dieser natürlich auch zahlreiche Möglichkeiten der Manipulation, indem der Spender bewusst älter oder kränker „geschrieben“ wird. Darüber will die Politik jetzt mit den zuständigen Organisationen diskutieren. Und es ist offenkundig noch weitaus größer als die derzeitigen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen vermuten lassen. Anfang August berichtete die Frankfurter Rundschau, dass immer mehr Spenderorgane an der offiziellen Warteliste vorbei vergeben würden. Das Blatt beruft sich dabei auf offizielle Zahlen aus dem Bundesgesundheitsministerium. Danach wird aktuell jedes vierte Herz, jede dritte Leber und jede zweite Bauchspeicheldrüse von den Kliniken direkt an eigene Patienten verteilt. Möglich wird das durch ein sogenanntes „beschleunigtes Verfahren“. Waren die Spender bereits älter oder litten an schwe- Beschleunigtes Verfahren kann manipuliert werden Politik der niedergelassene arzt 8/2012 Öffentliches Interesse überschlägt sich Das Thema ist jedenfalls in den Medien. Dies ist zum einen der relativ nachrichtenarmen Sommerzeit geschuldet, zum anderen aber sicher auch der Tatsache, dass es sich bei der Organspende um ein ohnehin schon seit längerem intensiv diskutiertes Feld der medizinischen Tätigkeit handelt, das mit dem gerade erst in Kraft getretenen neuen Transplantationsgesetz eigentlich Bahr unter Handlungsdruck abschließend hätte geregelt werden sollen. Die Skandale in Göttingen und Regensburg haben den Gesetzgeber überholt - mit den in Berlin üblichen Folgen. Kaum ein verantwortlicher Gesundheitspolitiker hat noch keine öffentliche Stellungnahme abgegeben; die meisten fordern drakonische Strafen für die betroffenen Ärzte. In einer solchen Stimmungslage werden nicht selten politische Entscheidungen getroffen, die der Sache nicht dienlich sind. Dementsprechend erhöht auch die Bundesärztekammer den Druck auf den Zeitplan. Noch vor dem Termin mit dem Bundesgesundheitsminister hat sie die Stiftung Organtransplantation und weitere Experten zu einem ersten Gespräch eingeladen, um über mögliche Konsequenzen aus medizinischer Sicht zu beraten. Ziel ist es dabei, den Missbrauch bei der Vergabe weiter zu erschweren. BÄK-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery favorisiert das „Vier-Augen-Prinzip“ für die Beurteilung des Gesundheitszustands der wartenden Patienten. Andere wollen sogar, dass drei Ärzte unabhängig voneinander darüber befinden müssen, wie dringend ein kranker Mensch das Spenderorgan braucht. Diese Eile ist gerechtfertigt. Denn die Gesundheitspolitiker überschlagen sich derzeit mit medienwirksamen Forderungen. Während die Linken eine staatliche Aufsicht über die Vergabe von Organen in den Raum stellen, wird von anderen darüber diskutiert, ob ein Alkoholiker überhaupt das Recht auf eine neue Leber haben soll. Das setzt natürlich auch den Bundesgesundheitsminister unter Druck. Daniel Bahrs anfängliche Taktik, die Ergebnisse der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abzuwarten, kann der Minister aufgrund der erheblichen veröffentlichten Meinung kaum beibehalten. Von ihm werden jetzt konkrete Taten erwartet. Allerdings weist er immer noch zu Recht darauf hin, dass die neue Rechtslage bereits mehr Transparenz als früher garantiere. Er will nach dem Expertentreffen parteiübergreifend darüber diskutieren, wie man die Überwachungsmaßnahmen durch verschärfte Kontrollen verbessern kann. Sollten Lücken im Gesetz die Manipulationen in Göttingen und Regensburg begünstigt haben, würde die Politik handeln, erklärte Bahr. Allerdings gibt es auch in der Politik Menschen, die vor übereilten Schritten warnen. Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) will beispielsweise vor einer möglichen Strafverschärfung die Untersuchungsergebnisse der Staatsanwaltschaften abwarten. Erst dann solle über eine erneute Änderung des Transplantationsgesetzes nachgedacht werden. Es geht um die Patienten © N-Media-Images / Fotolia Am 27. August wird Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr mit Vertretern von Ärzten, Krankenkassen, Kliniken und der Stiftung Organtransplantation darüber beraten, ob das Verfahren überhaupt noch weitergeführt werden soll und wie gegebenenfalls die Abläufe, die Transparenz und die Kontrollen optimiert werden können. Ziel ist es, herauszufinden, ob die Politik, die gerade erst das Transplantationsgesetz verabschiedet hat, erneut handeln muss. Ähnliches gilt natürlich auch für die Beurteilung des Gesundheitszustandes der potenziellen Empfänger. Denn hierbei soll in Göttingen in Regensburg manipuliert worden sein, um die eigenen Patienten in der Wartelistenpriorität nach oben zu schieben. Das ist auch Gegenstand der derzeit laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, die nun auch um den Tatbestand der fahrlässigen Tötung erweitert wurden. Die Staatsanwaltschaft will dabei herausfinden, ob durch die Manipulationen andere Menschen sterben mussten, die die Organe dringender benötigt hätten. Unabhängig davon, wie die Beratungen und Ermittlungen ablaufen werden, darf niemand die aus den Augen verlieren, um die es eigentlich geht. Schnellschüsse eignen sich nicht, um Vertrauen bei potenziellen Organspendern und den Patienten die auf eine zweite Chance warten, wieder herzustellen. Drakonische Strafen für Ärzte, die das System unterlaufen haben, mögen eine Chance hierzu darstellen. Vertrauen schaffen sie letztlich aber ebenso wenig wie manche jetzt populistisch geforderte Maßnahmen ohne eigentlichen Sinn. Es ist gut, dass die Bundesärztekammer in dieser Situation das Gesetz des Handelns an sich zieht. Denn es geht um die Patienten, deren einzige Chance darin besteht, dass andere Menschen sich frühzeitig dafür entscheiden, nach ihrem Tod den höchsten Akt der Nächstenliebe mit der Spende ihrer eigenen Organe zu wählen. Somit kommt auf alle Beteiligten ein harter Weg mit erheblicher öffentlicher und natürlich auch veröffentlichter Kommentierung zu. Elmar Esser 15