Politik und Bundesärztekammer für schnelles Handeln

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Politik
der niedergelassene arzt 8/2012
Kein Ende im Organspende-Skandal
Politik und Bundesärztekammer für schnelles Handeln
Für die großen Religionen weltweit gilt
Organspende als Akt der Nächstenliebe. Doch die Ethik und das Vertrauen,
die für die Spendebereitschaft so wichtig sind, haben nach dem Organspende
Skandal in Göttingen und Regensburg
schwer gelitten. Und noch immer kommen neue Erkenntnisse ans Tageslicht.
ie Vorschriften für die Vergabe der
ohnehin viel zu seltenen Spende-Organe sind strikt geregelt. Bei der Stiftung
Eurotransplant im niederländischen Leiden werden alle Daten aus sieben europäischen Ländern (Belgien, Deutschland,
Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich
und Slowenien) erfasst und bewertet.
Bei dieser Koordinationsstelle der Organspende-Organisationen, Transplantationszentren, Laboratorien und Krankenhäuser
gibt es ein gemeinsames Spender-Melderegister sowie eine zentrale Warteliste.
Stehen Organe zur Verfügung, werden
sie Eurotransplant gemeldet. „Die Zuteilung von Organen (Allokation) basiert
dabei ausschließlich auf medizinischen und
ethischen Gesichtspunkten“, heißt es dazu
auf der Website der Stiftung. Dieses Verfahren sowie die notwendige Feststellung des
Hirntodes durch zwei Ärzte haben erheblich zur Vertrauensbildung und damit zur
Spende-Bereitschaft beigetragen. Doch die
so mühselig zusammengestellte Vertrauensgrundlage hat in Deutschland tiefe Risse
bekommen.
Ethisches Dilemma
Grund hierfür ist sicher auch das ethische
Dilemma, vor dem alle Ärzte stehen, die
Patienten betreuen, die dringend auf ein
neues Organ warten. Obwohl sie die quälende Leidensgeschichte ihrer Patienten,
deren Not, vielleicht auch die drohende
Lebensgefahr kennen, müssen sie Organe
abgeben, weil ein anonymer Patienten
irgendwo in den sieben Ländern sie noch
© horizont21 / Fotolia
D
dringender braucht. Sollte in Göttingen
und Regensburg kein Geld geflossen sein,
macht dies das Handeln der Ärzte nachvollziehbar, vielleicht sogar verständlich. Richtig ist es dennoch sicher nicht. Ob es zu den
von mittlerweile vielen Politikern – auch
vom Patientenbeauftragten Wolfgang Zöller – geforderten harten Strafen kommt,
müssen Gerichte entscheiden. Das Problem
bleibt bestehen.
ren Krankheiten wie Krebs, können die
Ärzte dieses anwenden und müssen die
Organe nicht nach Leiden „abgeben“.
Bemerkenswert ist die Zunahme dieses
Verfahrens. Noch 2002 wurde es nur bei
zehn Prozent der Organspenden angewendet.
Zentrale Vergabe wird zunehmend unterlaufen
Sowohl Bundesärztekammer (BÄK) als
auch die Stiftung Eurotransplant verteidigen das Schnellverfahren vom Grundsatz
her. Es sei bewusst eingeführt worden, um
die Nutzung der Organe zu verbessern. Bei
alten oder kranken Spendern gebe es nur
wenige infrage kommende Empfänger. Oft
reiche auch die Zeit nicht aus, um längere
Transporte durchzuführen. So seien vor
Einführung dieses beschleunigten Weges
viele Organe schlicht und ergreifend verloren gegangen. Allerdings bietet dieser
natürlich auch zahlreiche Möglichkeiten
der Manipulation, indem der Spender
bewusst älter oder kränker „geschrieben“
wird.
Darüber will die Politik jetzt mit den
zuständigen Organisationen diskutieren.
Und es ist offenkundig noch weitaus größer
als die derzeitigen staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungen vermuten lassen. Anfang
August berichtete die Frankfurter Rundschau, dass immer mehr Spenderorgane an
der offiziellen Warteliste vorbei vergeben
würden. Das Blatt beruft sich dabei auf offizielle Zahlen aus dem Bundesgesundheitsministerium. Danach wird aktuell jedes
vierte Herz, jede dritte Leber und jede
zweite Bauchspeicheldrüse von den Kliniken direkt an eigene Patienten verteilt.
Möglich wird das durch ein sogenanntes
„beschleunigtes Verfahren“. Waren die
Spender bereits älter oder litten an schwe-
Beschleunigtes Verfahren kann
manipuliert werden
Politik
der niedergelassene arzt 8/2012
Öffentliches Interesse überschlägt sich
Das Thema ist jedenfalls in den Medien.
Dies ist zum einen der relativ nachrichtenarmen Sommerzeit geschuldet, zum anderen aber sicher auch der Tatsache, dass es
sich bei der Organspende um ein ohnehin
schon seit längerem intensiv diskutiertes
Feld der medizinischen Tätigkeit handelt,
das mit dem gerade erst in Kraft getretenen
neuen Transplantationsgesetz eigentlich
Bahr unter Handlungsdruck
abschließend hätte geregelt werden sollen.
Die Skandale in Göttingen und Regensburg
haben den Gesetzgeber überholt - mit den
in Berlin üblichen Folgen. Kaum ein verantwortlicher Gesundheitspolitiker hat noch
keine öffentliche Stellungnahme abgegeben; die meisten fordern drakonische Strafen für die betroffenen Ärzte.
In einer solchen Stimmungslage werden
nicht selten politische Entscheidungen
getroffen, die der Sache nicht dienlich sind.
Dementsprechend erhöht auch die Bundesärztekammer den Druck auf den Zeitplan.
Noch vor dem Termin mit dem Bundesgesundheitsminister hat sie die Stiftung
Organtransplantation und weitere Experten zu einem ersten Gespräch eingeladen,
um über mögliche Konsequenzen aus
medizinischer Sicht zu beraten.
Ziel ist es dabei, den Missbrauch bei der
Vergabe weiter zu erschweren. BÄK-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery favorisiert das „Vier-Augen-Prinzip“ für die
Beurteilung des Gesundheitszustands der
wartenden Patienten. Andere wollen sogar,
dass drei Ärzte unabhängig voneinander
darüber befinden müssen, wie dringend
ein kranker Mensch das Spenderorgan
braucht.
Diese Eile ist gerechtfertigt. Denn die
Gesundheitspolitiker überschlagen sich
derzeit mit medienwirksamen Forderungen. Während die Linken eine staatliche
Aufsicht über die Vergabe von Organen in
den Raum stellen, wird von anderen darüber diskutiert, ob ein Alkoholiker überhaupt das Recht auf eine neue Leber haben
soll.
Das setzt natürlich auch den Bundesgesundheitsminister unter Druck. Daniel
Bahrs anfängliche Taktik, die Ergebnisse
der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen
abzuwarten, kann der Minister aufgrund
der erheblichen veröffentlichten Meinung
kaum beibehalten. Von ihm werden jetzt
konkrete Taten erwartet. Allerdings weist er
immer noch zu Recht darauf hin, dass die
neue Rechtslage bereits mehr Transparenz
als früher garantiere. Er will nach dem
Expertentreffen parteiübergreifend darüber diskutieren, wie man die Überwachungsmaßnahmen durch verschärfte
Kontrollen verbessern kann. Sollten Lücken
im Gesetz die Manipulationen in Göttingen
und Regensburg begünstigt haben, würde
die Politik handeln, erklärte Bahr.
Allerdings gibt es auch in der Politik
Menschen, die vor übereilten Schritten warnen. Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) will beispielsweise
vor einer möglichen Strafverschärfung die
Untersuchungsergebnisse der Staatsanwaltschaften abwarten. Erst dann solle über eine
erneute Änderung des Transplantationsgesetzes nachgedacht werden.
Es geht um die Patienten
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Am 27. August wird Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr mit Vertretern von Ärzten, Krankenkassen, Kliniken und der Stiftung Organtransplantation darüber
beraten, ob das Verfahren überhaupt noch
weitergeführt werden soll und wie gegebenenfalls die Abläufe, die Transparenz und
die Kontrollen optimiert werden können.
Ziel ist es, herauszufinden, ob die Politik,
die gerade erst das Transplantationsgesetz
verabschiedet hat, erneut handeln muss.
Ähnliches gilt natürlich auch für die
Beurteilung des Gesundheitszustandes der
potenziellen Empfänger. Denn hierbei soll
in Göttingen in Regensburg manipuliert
worden sein, um die eigenen Patienten in
der Wartelistenpriorität nach oben zu
schieben. Das ist auch Gegenstand der derzeit laufenden staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungen, die nun auch um den Tatbestand der fahrlässigen Tötung erweitert
wurden. Die Staatsanwaltschaft will dabei
herausfinden, ob durch die Manipulationen
andere Menschen sterben mussten, die die
Organe dringender benötigt hätten.
Unabhängig davon, wie die Beratungen und
Ermittlungen ablaufen werden, darf niemand die aus den Augen verlieren, um die
es eigentlich geht. Schnellschüsse eignen
sich nicht, um Vertrauen bei potenziellen
Organspendern und den Patienten die auf
eine zweite Chance warten, wieder herzustellen. Drakonische Strafen für Ärzte, die
das System unterlaufen haben, mögen eine
Chance hierzu darstellen. Vertrauen schaffen sie letztlich aber ebenso wenig wie manche jetzt populistisch geforderte Maßnahmen ohne eigentlichen Sinn.
Es ist gut, dass die Bundesärztekammer
in dieser Situation das Gesetz des Handelns
an sich zieht. Denn es geht um die Patienten, deren einzige Chance darin besteht,
dass andere Menschen sich frühzeitig dafür
entscheiden, nach ihrem Tod den höchsten
Akt der Nächstenliebe mit der Spende ihrer
eigenen Organe zu wählen. Somit kommt
auf alle Beteiligten ein harter Weg mit
erheblicher öffentlicher und natürlich auch
veröffentlichter Kommentierung zu.
Elmar Esser
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