„Die Stimme war so ähnlich wie die der KZ-Aufseherin“

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D8 Feuilleton
SAMSTAG/SONNTAG, 17./18. JULI 2010 VORARLBERGER NACHRICHTEN
VORARLBERGER
NACHRICHTEN
VN INTERVIEW. Schriftstellerin Zofia Posmysz
„Die Stimme war
so ähnlich wie die
der KZ-Aufseherin“
Sie hatte als 18-Jährige Flugblätter gegen
die Nazis verteilt. Die
Strafe war Auschwitz.
Ihre KZ-Aufseherin kam
davon.
In Bregenz findet die erste
szenische Aufführung der Oper
„Die Passagierin“ statt. Sie
haben ein Hörspiel und einen
Roman geschrieben. Wie kam
es zur Opernfassung?
POSMYSZ: Die Geschichte ist
etwas kompliziert und lang.
Es wäre schön, wenn Sie sie
erzählen.
POSMYSZ: 1959 habe ich
ein Hörspiel geschrieben,
ich habe beim Polnischen
Rundfunk gearbeitet, in der
literarischen Abteilung. Das
Hörspiel wurde gesendet
und hatte gute Rezensionen.
Ein Jahr später hat das
Polnische Fernsehen mir den
Vorschlag gemacht, es zu
einem Fernsehspiel umzuschreiben. Andrzej Munk
hat Regie geführt. Kurze Zeit
später hat er mich gefragt,
ob ich einverstanden wäre,
wenn man einen Film daraus
macht. Ich hatte keine Ahnung, wie man ein Drehbuch
schreibt. Munk meinte, Sie
brauchen kein Drehbuch
zu schreiben, schreiben Sie
eine Novelle. Auf Grundlage
dieser Novelle haben wir zu
zweit das Drehbuch geschrieben. Der Film wurde dann in
Angriff genommen. Leider ist
Munk während der Dreharbeiten bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.
Etwa ein Jahr später hat
Witold Lesiewicz, ein Freund
von Andrzej Munk, sich
bereit erklärt, den Film zu
Ende zu bringen, und zwar
auf die Weise, dass zu den
schon gedrehten Szenen im
Lager die Szenen auf dem
Schiff mittels Fotos dazu
montiert werden sollten. Ich
habe nicht daran geglaubt,
dass irgendein Regisseur den
Film noch zu Ende bringen
wird und habe deshalb die
Filmnovelle einem Verlag
vorgelegt.
Weinberg hat dieses Buch dann
sicher gelesen.
POSMYSZ: Jedenfalls hat sich
Weinberg für das Thema
sehr interessiert. Weinberg hat dann Medwedew
vorgeschlagen, ein Libretto
zu schreiben. 1968 war das
Werk bereits vollendet und
dann gab es keine Erlaubnis,
es aufzuführen. Die offizielle
STICHWORT
„Die Passagierin“
Als 18-Jährige wurde Zofia
Posmysz in Krakau beim Verteilen
von Flugblättern von der Gestapo verhaftet. Sie kam ins KZ
Auschwitz-Birkenau. Nach dem
Krieg arbeitete sie beim Polnischen Rundfunk und schrieb „Die
Passagierin“. Mieczyslaw Weinberg
hat diese Auseinandersetzung
mit der einstigen KZ-Aufseherin
vertont. Die Aufführung wurde in
der Sowjetunion untersagt. Die
Bregenzer Festspiele präsentieren
nun das Werk. Zahlreiche Bühnen
übernehmen die Produktion.
Erklärung der Funktionäre
war, wozu jetzt noch eine
Oper, es gibt ja ein Buch und
einen Film. Die damalige
Kulturministerin hat das
Werk als „abstrakten Humanismus“ bezeichnet und
damit war es gebrandmarkt.
Ich weiß nicht, was „abstrakter
Humanismus“ bedeuten sollte.
POSMYSZ: Ich auch nicht.
Damals ist Stille eingetreten
für viele Jahre. In Prag gab es
schon Proben, auch in Tallinn. Aber wenn Moskau nein
sagte, war das weder in Prag
noch in Tallinn möglich.
Das Libretto hat eine etwas
einfachere Figurenbehandlung
als der Roman. Das ist nicht
ungewöhnlich. Sind Sie damit
einverstanden bzw. einverstanden gewesen, wie es Medwedew gemacht hat?
POSMYSZ: Ich habe es immer
so verstanden, dass die Oper
anderen Regeln unterliegt als
Prosa. Die letzte Version, die
ich zusammen mit Medwedew in diesem Zimmer hier
abgesprochen habe, war
dann doch nicht die letzte.
Ich habe das Libretto neulich
noch einmal durchgeschaut.
Der Unterschied ist tatsächlich sehr groß, aber die Idee
und die Hauptpersonen sind
erhalten geblieben und auch
die psychologischen Vorgänge zwischen der SS-Aufseherin und Martha.
Als Sie die Oper zum ersten
Mal gehört hatten, waren Sie
überrascht, waren Sie einverstanden, was hatten Sie für ein
Gefühl?
POSMYSZ: Ich habe nur
Fragmente gehört, ich habe
eine viel modernere Musik
erwartet. Ich habe auch ein
bisschen Angst davor gehabt,
weil ich mit sehr moderner
Musik nicht vertraut bin.
Doch die Ausschnitte, die
ich gehört habe, die haben
auf mich einen sehr großen
Eindruck gemacht.
Entsteht für Sie keine Diskrepanz zwischen einer schmerzhaften Geschichte und einer so
schönen Musik?
POSMYSZ: Wenn es darum
geht, ob diese Musik dem
Inhalt angemessen ist,
dann kann man sagen,
dass generell eine Oper der
Schwere dieses Themas nicht
angemessen ist. Auch keine
Worte. Ich habe ja auch jahrelang nichts über das Lager
schreiben können. Ich habe
Bücher gelesen zu diesem
Thema und Filme gesehen
und ich habe verstanden,
dass es keine Worte gibt, um
das auszudrücken, was im
Lager vorgegangen ist.
Das war somit der Grund, dass
Sie eine Kunstform gewählt
haben?
POSMYSZ: Warum habe ich
dieses Thema aufgegriffen?
Ich war im Lager als Schreiberin im Verpflegungsmagazin tätig. Die SS-Aufseherin,
meine Chefin, war anders als
die anderen Aufseherinnen,
die Häftlinge beaufsichtigt
haben, die auf den Feldern
gearbeitet haben. Das ist in
gewisser Weise auch verständlich, denn die, die Hunderte Häftlinge zu beaufsichtigen hatten, die haben dafür
gesorgt, dass die arbeiten,
irgendwelche Gräben ausheben und sie sind mit dem
Stock daneben gestanden.
Meine Aufseherin musste
das nicht. Die Häftlinge, die
in besseren Kommandos waren, die haben sehr sorgfältig
ihre Arbeit ausgeführt, weil
sie dachten, dass sie ihre Position verlieren könnten. Das
erste, was sie tat, war, dass
sie mich zu der sogenannten Sauna schickte, damit
ich mich gründlich wasche,
dann hat sie dafür gesorgt,
dass ich ein sauberes Kleid
bekam. Ich durfte dann alle
zwei Wochen meine Wäsche
wechseln. Das hat sie nicht
aus Sympathie gemacht,
sondern aus hygienischen
Gründen. Es gab Läuse und
die haben Fleckfieber übertragen. Ich habe später Prozesse gegen SS-Aufseher und
-Aufseherinnen verfolgt. Ich
wollte wissen, ob Leute dort
waren, die ich aus Auschwitz
kannte. Ich habe auch die
Aussagen gelesen, auch die
der Häftlinge, die waren dort
ja als Zeugen geladen. Das
Hörspiel ist, wenn auch unbewusst, die Antwort auf die
Frage, was ich gemacht hätte, wenn Aufseherin Franz
angeklagt gewesen wäre.
Sie ändern die Perspektive,
schreiben aus der Sicht von
Lisa. Sie treten als Autorin der
einstigen SS-Aufseherin, sehr
nahe. Sie schreiben, was sie
denkt, was sie später ihrem
Ehemann erzählt. Wieso hat
Sie das interessiert?
POSMYSZ: Ich wollte verstehen, was in dieser Frau vorgegangen ist. Ich wollte mich
in ihre Situation einfühlen,
denn sie war kein Monster.
Oder vielleicht auch, es gab
in der Zeit, in der ich das
schrieb, eine sehr starke
kommunistische Zensur,
alles über die Aufseherin
Franz, das hätte ich aus der
Perspektive des Häftlings
vielleicht nicht schreiben
können, das wäre nicht
erschienen. Auch vor dem
Erscheinen des Films wurde
in einer Kommission darüber
diskutiert, wie man so eine
gute Aufseherin darstellen
kann.
Für diese Operninszenierung
wurden Zugwaggons nachgebaut. Solche Waggons werden
auch als Symbol verwendet.
Sie verweisen darauf, dass
Menschen auf sehr grausame
Weise ermordet oder grausam
behandelt worden sind. Nun sehen wir sie auf einer Bühne und
sitzen im bequemen Polstersessel davor. Ich frage mich, ob
das verletzend sein könnte.
POSMYSZ: Es gibt keine Möglichkeit, adäquat darzustellen, was dort passiert ist. Viel
hängt auch von der Phantasie
des Zuschauers ab. Für mich
verbindet sich so ein Waggon
mit einem bestimmten Ton,
einem Klang. Denn immer,
wenn solche Waggons auf die
Schriftstellerin und Auschwitz-Überlebende Zofia Posmysz mit dem Festspiel-Intendanten David Pountney
beim Besuch in der KZ-Gedenkstätte.
FOTO: ANJA KÖHLER
Rampe fuhren, dann ertönten sofort Schreie, Hundegebell und Schüsse.
Ein optisches Zeichen für
Auschwitz wird in einen fiktiven
Kontext übernommen. Haben
Sie da Bedenken?
POSMYSZ: Nein, das ist gut,
ein Waggon ist ein optisches
Synonym. Nicht nur für
Auschwitz.
Es gibt Bildungsprogramme,
es kommen Besucher in die
Gedenkstätten, dennoch stellt
man in Europa fest, dass es ein
Erstarken der extrem Rechten
gibt. Wird zu wenig getan, hat
das möglicherweise nichts
miteinander zu tun?
POSMYSZ: Ich weiß nicht so
recht, wie ich die Frage beantworten soll. Früher hatte
das mit einem Schuldgefühl
zu tun. Aber die starke verbrecherische Ideologie hat
vielleicht noch irgendwo ihre
Überreste. Ich kann darauf
nicht antworten, ich verstehe
es nicht. Was ich verstehe,
ist eine Unlust einer Gesellschaft sich diesem Thema
zu stellen, weil sie schuldig
ist. Wenn es in Polen so
einen Fall gibt, dass jemand
behauptet, Auschwitz habe
es nicht gegeben – wie kann
man das erklären?
Sie hatten einmal erzählt, dass
die Idee zum Hörspiel im Zuge
einer Reise nach Paris kam, die
Sie als Journalistin unternommen hatten.
POSMYSZ: Als Journalistin
wurde ich 1959 auf einen
Flug von Warschau nach
Paris geschickt. Ich bin ins
Stadtzentrum gefahren zur
Place de la Concorde, da gab
es Massen von Touristen, Autobusse, Lärm und plötzlich
hörte ich eine Stimme: „Erika
komm her!“ Die Stimme war
so ähnlich wie die Stimme
meiner damaligen KZ-Aufseherin, scharf, schrill und
hoch. Und ich hatte plötzlich
den Eindruck, dass sie es ist,
die da schreit. Ich habe mir
gedacht, was wäre gewesen,
wenn sie das gewesen wäre.
Sie ist nach dem Krieg nie
verhaftet worden, ihr wurde
nie der Prozess gemacht.
Was hätte ich gemacht, hätte
ich sie der Polizei ausgeliefert, wäre ich zu ihr hingegangen, wäre ich wie Martha
in der „Passagierin“ einfach
vorbeigegangen?
Sie waren mit David Pountney
und Johan Engels in Auschwitz.
Wie ist das für Sie, wenn Sie da
hinkommen?
POSMYSZ: Ich habe mich daran gewöhnt. Das schlimmste Mal war, als ich meiner
Mutter 1945 das Lager
gezeigt habe. Sie hat mich gebeten, zu zeigen, wie ich dort
existiert und gelebt habe.
Bei der Befreiung waren Sie in
einem anderen Lager.
POSMYSZ: Im Jänner 1945
wurden wir nach Ravensbrück evakuiert, das war der
Todesmarsch, drei Tage zu
Fuß, weil es keine Transportmittel gab. Das letzte Stück
sind wir dann in offenen
Waggons gefahren. Es war
Jänner, minus 18 Grad. In
Ravensbrück war ich nur drei
Wochen. Von Ravensbrück
sind wir in das Außenlager
Neustadt-Glewe gebracht
worden, dort haben uns die
Amerikaner befreit.
Wie rasch konnten Sie zurück
nach Polen?
POSMYSZ: Am 2. Mai hat man
uns befreit, am 8. Mai sind
wir zu Fuß nach Polen aufgebrochen.
Wie haben Sie Krakau vorgefunden?
POSMYSZ: Meine Mutter und
mein Bruder haben in großer
Armut gelebt, weil mein
Vater nicht mehr lebte. Er
war 1943 erschossen worden.
Es gab absolut keine Arbeit
in Krakau. Meine Schwester
lebte in Warschau, sie hat
mich eingeladen. Ich habe
eine Arbeit als Korrektorin
bei einer Zeitung bekommen.
Das war ein großes Glück
für mich. Ich musste das
nachts machen. Und ich habe
mich an einem Gymnasium
eingeschrieben und habe das
Abitur gemacht. Nach dem
Abitur habe ich Polonistik
studiert und gleichzeitig
habe ich gearbeitet. Das war
nicht leicht. Ich hatte, ehrlich
gesagt, gar keine richtige
Jugend. Aber es war ein großes Glück, dass ich meiner
Mutter und meinem Bruder
helfen konnte.
##Christa Dietrich-Rudas##
CHRISTA DIETRICH
[email protected], 05572/501-225
Die szenische Uraufführung der
Oper „Die Passagierin“ findet am 21.
Juli im Rahmen der Bregenzer
Festspiele statt.
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