Hantaviren als zoonotische Krankheitserreger in Deutschland

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MEDIZIN
ÜBERSICHTSARBEIT
Hantaviren als zoonotische
Krankheitserreger in Deutschland
Detlev H. Krüger, Rainer G. Ulrich, Jörg Hofmann
ZUSAMMENFASSUNG
Hintergrund: Die Hantavirus-Erkrankung ist eine Zoonose, die zunehmend klinische Bedeutung besitzt. Im Jahr 2012 wurde in Deutschland mit mehr als
2 800 gemeldeten Erkrankungsfällen ein neuer Höchststand erreicht. Die Viren
werden von kleinen Säugetieren auf den Menschen übertragen. Die Erkrankung
beginnt mit hohem Fieber und einer nichtpathognomischen Symptomatik, an
deren Ende Schock und Organversagen stehen können.
Methoden: Es erfolgte eine selektive Literaturrecherche unter Berücksichtigung
eigener Erfahrungen als Verantwortliche des Nationalen Konsiliarlaboratoriums
für Hantaviren sowie internationaler und nationaler Empfehlungen.
Ergebnisse: In Deutschland sind Infektionen durch zwei Hantavirus-Spezies klinisch relevant. Im Südwesten und Westen Deutschlands sowie im Bayerischen
Wald kommt es in 2- bis 3-jährigen Abständen zu großen Ausbrüchen von Erkrankungen durch das Puumalavirus, das von der Rötelmaus übertragen wird.
Außerdem führen im Norden und Osten des Landes Infektionen des von der
Brandmaus stammenden Dobrava-Belgrad-Virus zu Erkrankungen. Neben der
Nutzung von serodiagnostischen Primär- und Bestätigungstests ist es möglich,
virale Nukleinsäure während der frühen Krankheitsphase zu amplifizieren und
diese mit der Virusnukleinsäure aus den Reservoirwirten der entsprechenden
Infektionsorte zu vergleichen. Während Infektionen mit amerikanischen Hantavirus-Typen zu Erkrankungen mit Letalitäten von etwa 35 % führen und auch in
Südosteuropa und Asien beheimatete Erreger hoch pathogen sind, verlaufen
die fieberhaften Erkrankungen durch die in Deutschland heimischen Viren in
der Regel vergleichsweise mild.
Schlussfolgerungen: Bei unklarem Fieber bei Patienten, die in Risikogebieten
leben, sowie bei Patienten mit unklarer Nierenfunktionsstörung sollte der behandelnde Arzt eine Infektion mit Hantaviren bedenken und die entsprechende
Virusdiagnostik veranlassen.
►Zitierweise
Krüger DH, Ulrich RG, Hofmann J:
Hantaviruses as zoonotic pathogens in Germany. Dtsch Arztebl Int 2013;
110(27−28): 461−7. DOI: 10.3238/arztebl.2013.0461
Nationales Konsiliarlaboratorium für Hantaviren, Institut für Medizinische Virologie,
Helmut-Ruska-Haus, Charité – Universitätsmedizin Berlin und Fachbereich Virologie, Labor Berlin Charité
Vivantes GmbH: Prof. Dr. med. Krüger, PD Dr. rer. nat. Hofmann
Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Institut für neue und neuartige
Tierseuchenerreger, Greifswald-Insel Riems: PD Dr. rer. nat. Ulrich
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 110 | Heft 27–28 | 8. Juli 2013
ie Bedrohung der menschlichen Gesundheit
durch die Übertragung zoonotischer Viren ist
ein hoch aktuelles Thema. So wird neben den immer
wieder vorkommenden Übertragungen von Influenzaviren vom Tier auf den Menschen gegenwärtig
auch die Gefährdung durch neue Coronaviren intensiv diskutiert. Nach dem SARS-Ausbruch im Jahr
2003 kam es erst jüngst wieder zu Einschleppungen
eines neuen Coronavirus HCoV-EMC – das Lungenerkrankungen mit hoher Letalität auslöst – auch nach
Deutschland (1). Das Virus wird vermutlich von bestimmten Fledermäusen auf den Menschen übertragen (2). Eine andere zoonotische Erkrankung, die
weitaus mehr Patienten betrifft, ist die HantavirusErkrankung (3, 4). Humanpathogene Hantaviren
werden von infizierten Nagetieren auf den Menschen
übertragen, wobei solche Viren in jüngster Zeit auch
in Spitzmäusen, Maulwürfen und nun sogar Fledermäusen (5) nachgewiesen wurden.
D
Aktuelle Entwicklungen
Im Jahr 2012 wurden dem Robert Koch-Institut
2 824 Fälle von Hantavirus-Erkrankungen in
Deutschland gemeldet. Dies ist eine Rekordzahl seit
Einführung der Meldepflicht für diese Erkrankungen
im Jahr 2001 (Robert Koch-Institut, SurvStat,
www3.rki.de/SurvStat). In Deutschland imponieren
Hantavirus-Erkrankungen vor allem durch initial hohes Fieber und Nierenfunktionsstörungen. Während
diese Infektion in Deutschland noch vor wenigen
Jahren in der Ärzteschaft und Öffentlichkeit fast unbekannt war, gehört die Hantavirus-Erkrankung (zusammen mit Noro- und Rotavirus-Erkrankungen, Influenza und Hepatitis C) jetzt zu den fünf häufigsten
namentlich meldepflichtigen Viruserkrankungen.
Dies erfordert neue Anstrengungen in der Erforschung der Erkrankung einschließlich ihrer Epidemiologie, Prophylaxe und Therapie.
Anfang September 2012 machte zudem die Meldung Schlagzeilen, dass im kalifornischen YosemiteNationalpark ein Ausbruch von Hantavirus-Erkrankungen stattgefunden hat, die vor allem durch kardiopulmonale Komplikationen imponierten. Von zehn
Erkrankten starben drei Patienten (6). HantavirusErkrankungen sind in Amerika zwar seltener als in
Europa und Asien, dafür verlaufen sie aber klinisch
deutlich schwerer (7).
461
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KASTEN 1
KASTEN 2
Charakteristische Symptome
und Befunde in den akuten Phasen
der Hantavirus-Erkrankung
● Phase 1
Kriterien für die Verdachtsdiagnose
Hantavirus-Erkrankung
● akuter Krankheitsbeginn mit Fieber > 38,5 ºC
● Rücken- und/oder Kopf- und/oder Abdominalschmerz
● Proteinurie und/oder Hämaturie
● Serumkreatinin-Erhöhung
● Thromobozytopenie
● Oligurie beziehungsweise nachfolgend Polyurie
hohes Fieber (3–4 d); unspezifische „grippeähnliche“
Symptome wie Kopfschmerz, Myalgien, Schüttelfrost und
Konjunktivitis; starke, oft kolikartige Flankenschmerzen,
abdominale Schmerzen, Nausea und Erbrechen
● Phase 2
Hypotension; weitere hämostatische Störungen; konjunktivale Einblutungen und Hautpetechien
Zutreffen von mindestens 4 der genannten Kriterien beim Patienten führt
zur Verdachtsdiagnose Hantavirus-Erkrankung (hämorrhagisches Fieber
mit renalem Syndrom) (nach 33)
● Phase 3
Niereninsuffizienz; ausgeprägte Proteinurie und
Mikrohämaturie; Kreatinämie; Thrombozytopenie, Leukozytose, Urämie und Oligo-/Anurie; extrarenale Manifestationen (zum Beispiel Beteiligung des ZNS oder schwere
pulmonale Symptome) sind möglich
● weitere Phasen
Polyurie
Rekonvaleszenz
● Verlauf bei Erkrankungen durch in Amerika
vorkommende Hantaviren:
hohes Fieber, Husten, Hypoxie, Schock, pulmonales
Ödem mit Tachypnoe, Dyspnoe und nichtproduktivem
Husten, interstitielle Pneumonien mit mononukleären Infiltraten, ARDS („adult respiratory distress syndrome“)
(nach 3, 4, 7, 9, 10, 11)
Klinische Manifestation
Die Inkubationszeit beträgt in der Regel 2–3 Wochen,
jedoch wurden auch kürzere und längere Fristen (bis zu
6 Wochen) beobachtet (8). Die Krankheit verläuft in
mehreren direkt aufeinander folgenden Phasen (3, 4,
9–11), wobei insbesondere zum Beginn die Symptomatik nicht pathognomonisch ist. Am Beginn der Erkrankung stehen
● abrupter Fieberanstieg
● Kopf-, Bauch-, Flanken- und/oder Rückenschmerzen
● oft Übelkeit/Erbrechen
● Schüttelfrost
● Konjunktivitis
● häufig auch passagere Sehstörungen.
Oft werden in dieser ersten Phase Analgetika und
Antipyretika verabreicht, die dann fälschlicherweise
für die später auftretende infektionsbedingte Niereninsuffizienz verantwortlich gemacht werden. Je nach
Schwere der Erkrankung kann man die einzelnen klinischen Phasen mehr oder weniger deutlich unterschei-
462
den: Auf die 3- bis 4-tägige febrile Phase folgt die Phase der Hypotension, in der auch schon weitere hämostatische Störungen auftreten, die sich durch Einblutungen
ins Gewebe (auch Hautpetechien und konjunktivale
Einblutungen) manifestieren können. Daran schließt
sich das Stadium der Oligurie an (Kasten 1). Nach dieser kritischen Phase folgen Polyurie und Rekonvaleszenz. Klinische Symptome und Parameter, anhand derer die Verdachtsdiagnose Hantavirus-Erkrankung in
Deutschland gestellt werden kann, sind in Kasten 2 zusammengefasst.
Lebensbedrohlich sind die Entwicklung eines
Schocks im hypotensiven Stadium sowie das Auftreten
des Nieren- und/oder Herz- und Lungenversagens. Die
Häufigkeit der Entwicklung dieser lebensbedrohlichen
Prozesse korreliert mit dem Grad der Virulenz der verschiedenen Hantaviren und der durch sie ausgelösten
Letalität. In schweren Fällen wird der Patient also dialysepflichtig beziehungsweise muss extrakorporal oxygeniert werden. Äußerlich sichtbare Blutungen sind typisch für Infektionen durch in Asien vorkommende
Hantaviren; deshalb hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Krankheitsbezeichnung „hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom“ (HFRS) vorgeschlagen. Beim Hantavirus-induzierten kardiopulmonalen Syndrom (HCPS), das durch in Amerika zirkulierende Hantaviren ausgelöst wird, imponieren Hypoxie
und beidseitig interstitielle pulmonale Infiltrate, beginnend zwei Tage nach Krankheitsbeginn (3, 7). Da es
aber fließende Übergänge zwischen den Organbeteiligungen gibt und auch in Europa das HFRS mit deutlich
weniger äußerlichen Hämorrhagien als in Asien einhergeht, setzt sich immer mehr der übergreifende Begriff
„Hantavirus-Erkrankung“ durch (12). Dieser Terminus
wird vom Robert Koch-Institut übrigens schon seit Jahren verwendet.
Bereits in der febrilen Phase beginnt der Anstieg der
Nierenretentionswerte, die im Stadium der Oligurie ihr
Maximum erreichen. Der oft eindrucksvolle Anstieg
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TABELLE
Wichtige humanpathogene Hantaviren
Erkrankung
Virusspezies
►Genotyp
Reservoirwirt
Verbreitung des Virus
und der Erkrankung
Letalität (circa)
(4, 7, 30–32)
Puumalavirus (PUUV)*1
Rötelmaus
(Myodes glareolus)
Europa
<1%
► Kurkino (DOBV-Aa)*1
Brandmaus
(Apodemus agrarius)
Mittel- und Osteuropa
0,3–0,9 %
► Dobrava (DOBV-Af)
Gelbhalsmaus
(Apodemus flavicollis)
Balkan
10–12 %
► Sochi (DOBV-Ap)
Schwarzmeerwaldmaus
(Apodemus ponticus)
Russland (Krim)
>6%
Tulavirus (TULV)*1
Feldmaus
(Microtus arvalis)
Europa*3
?
Hantaanvirus (HTNV)
Brandmaus
(Apodemus agrarius)
Asien
10–12 %
Seoulvirus (SEOV)
Ratten
(Rattus rattus,
Rattus norvegicus)
Asien und möglicherweise
weltweit
1–2 %
Sin-Nombre-Virus (SNV)
Hirschmaus
(Peromyscus maniculatus)
Nordamerika
35 %
Andes-Virus (ANDV)
„Reisratte“
(Oligoryzomys longicaudatus)
Südamerika
35 %
Dobrava-Belgrad-Virus
(DOBV)*2
HFRS
HCPS
*1In Deutschland zirkulierende Hantaviren. Die überwiegende Mehrheit der klinischen Fälle beruht auf PUUV-Infektionen, im Nordosten treten Erkrankungen
nach DOBV-Infektionen auf.
*2Der vierte in Europa nachgewiesene Genotyp des Dobrava-Belgrad-Virus ist der Genotyp Saaremaa, der teilweise auch als getrennte Virusspezies
betrachtet wird. Da bislang nie eine Infektion beim Menschen durch den Genotyp Saaremaa verifiziert werden konnte, gilt er nicht als humanpathogen (19).
*3Durch TULV-Infektion erst ein klinischer Fall beschrieben.
HFRS, hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom; HCPS, Hantavirus-induziertes kardiopulmonales Syndrom
.
(> 620 µmol/L) des Serumkreatinins (13) ist kombiniert mit Proteinurie und Mikrohämaturie in der reduzierten Harnmenge. Paraklinisch fallen außerdem die
Thrombozytopenie und oft eine Leukozytose auf. Neben der renalen beziehungsweise pulmonalen Manifestation lassen sich in einigen Fällen klinisch auch weitere Organbeteiligungen ausmachen, zum Beispiel Begleithepatitis, Myokarditis, Thyreoiditis, Panhypopituitarismus oder zerebrale Manifestationen. Die überlebte
Hantavirus-Erkrankung heilt in der Regel folgenlos
aus, jedoch ist eine renale Hypertension als Spätfolge
in der Diskussion (14). Der Schweregrad der Hantavirus-Erkrankung hängt stark vom jeweiligen Virustyp
ab, der für die Infektion des Patienten verantwortlich
ist (Tabelle).
Die Pathogenese der Hantavirus-Erkrankung ist gekennzeichnet durch Vasodilatation und Barrierestörungen des Endothelzellverbandes der Kapillaren, die zum
Austritt von Blut und zu Entzündungsprozessen in den
inneren Organen, zum Beispiel den Nieren, führen.
Gleichzeitig treten Veränderungen der Koagulationsfähigkeit des Blutes auf. Die Stärke der spezifischen
CD8-T-Zell-Antwort und der Synthese inflammatorischer Zytokine scheint mit dem Schweregrad der Erkrankung zu korrelieren (4). Außerdem gibt es erste
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Befunde, die eine Wechselwirkung pathogener Hantaviren mit Vorläuferzellen der Thrombozyten-Differenzierung und den Thrombozyten selbst zeigen (15). Bisher ist es noch nicht gelungen, diese ersten Erkenntnisse zur Immunpathogenese in therapeutische Strategien
umzusetzen.
Erreger und ihre natürlichen Wirte
Hantaviren sind Negativstrang-RNA-Viren mit drei
Genomsegmenten und einer Virushülle. Sie bilden eine
eigene Gattung in der Familie der Bunyaviren. Im Gegensatz zu Vertretern anderer Genera der Bunyaviren
(zum Beispiel Erreger des Krim-Kongo-Hämorrhagischen Fiebers und des Sandmückenfiebers im Mittelmeerraum) werden sie aber nicht durch ArthropodenStiche, sondern in der Regel in Aerosolen übertragen.
In Abhängigkeit von den genetischen und serologischen Unterschieden der Viren und den von ihnen besiedelten tierischen Reservoiren können die Hantaviren in verschiedene Virusspezies unterteilt werden, zu
denen auch die in Deutschland vorkommenden Spezies
Puumalavirus und Dobrava-Belgrad-Virus gehören
(Tabelle).
Der Mensch ist „Fehlwirt“ für Hantaviren und wird
über die virushaltigen Ausscheidungen (Kot, Urin,
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GRAFIK 1
gemeldete Fälle (n)
2 800
2 600
2 400
2 200
2 000
1 800
1 600
1 400
1 200
1 000
800
600
400
200
0
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Jahr
Zahl der gemeldeten Fälle von Hantavirus-Erkrankungen in Deutschland seit 2001.
(Datenquelle: Robert Koch-Institut, SurvStat, www3de.rki./SurvStat).
Speichel) der Wirtstiere infiziert. Der Erhalt der Infektiosität des Virus außerhalb des Wirtsorganismus hängt
von verschiedenen Faktoren ab wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Schutzprotein, und dürfte unter optimalen
Bedingungen mehrere Wochen betragen (16). Eine horizontale Weitergabe des Erregers von Mensch zu
Mensch ist in Europa nicht beschrieben.
In Deutschland kursieren verschiedene HantavirusSpezies (Tabelle). Am häufigsten führen Infektionen
mit dem Puumalavirus zu Erkrankungen beim Menschen. Nach allen bisherigen Erkenntnissen sind die
großen Krankheitsausbrüche in den Jahren 2007, 2010
und 2012 durch das Puumalavirus ausgelöst worden
(17, 18). Der natürliche Wirt des Virus ist die Rötelmaus (Myodes glareolus), die zu den Wühlern zählt und
in Deutschland ubiquitär verbreitet ist. Ein zweites
humanpathogenes Hantavirus in Deutschland ist eine
Variante (Genotyp Kurkino) des Dobrava-Belgrad-Virus, die von der Brandmaus (Apodemus agrarius) übertragen wird. Das Dobrava-Belgrad-Virus kommt in verschiedenen Genotypen vor, die von unterschiedlichen
Apodemus-Spezies beherbergt werden und Erkrankungen sehr unterschiedlichen Schweregrades auslösen
(19). In Deutschland sind Infektionen beim Menschen
mit diesem Virus bisher nur im Norden und Nordosten
des Landes beschrieben worden. Ursache dafür ist die
auf den östlichen Teil Deutschlands beschränkte Verbreitung der Brandmaus. Außerdem kommt als drittes
Hantavirus das Tulavirus in der Feldmaus (Microtus arvalis) und verwandten Wühler-Spezies vor. Die Relevanz des Tulavirus als Krankheitserreger beim Menschen ist noch unklar, bisher ist erst ein Krankheitsfall
durch Infektion mit diesem Erreger beschrieben (20).
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Schließlich wurden in Deutschland in Spitzmäusen
zwei Hantaviren (Seewis- und Asikkalavirus) nachgewiesen, deren Pathogenität für den Menschen aber noch
ungeklärt ist (21, 22).
Eine Betrachtung der Zahl der seit 2001 jährlich gemeldeten Hantavirus-Erkrankungen zeigt deutliche
Schwankungen (Grafik 1). So beträgt die durchschnittliche jährlich gemeldete Zahl an Fällen circa 230, wohingegen in den Jahren 2007, 2010 und 2012 deutlich
erhöhte Zahlen gemeldet wurden (www3.rki.de/Surv
Stat). Von diesen Hantavirus-Ausbrüchen waren vor allem bekannte Endemiegebiete in Baden-Württemberg,
Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen betroffen. Während des Ausbruchs im Jahr 2010 fiel erstmals auch eine Häufung von Erkrankungsfällen bei
Menschen in Hessen und Thüringen auf (23). Auch in
Städten sind Infektionen beim Menschen registriert
worden, zum Beispiel in Köln aufgrund vermuteter Exposition im Stadtwald (24).
Mögliche Ursachen für die jährlich
unterschiedlichen Fallzahlen
Es wird angenommen, dass Massenvermehrungen der
Rötelmaus für das gehäufte Auftreten (Ausbrüche) von
Erkrankungen durch Puumalavirus-Infektion verantwortlich sind. Diese Erhöhung der Nagetierdichte wird
auf klimatische Faktoren und eine Buchenmast, das
heißt eine massive Fruktifikation der Buche, im Vorjahr
zurückgeführt. Milde und schneereiche Winter begünstigen vermutlich das Überleben der Tiere, die dann im
Ausbruchsjahr eine hohe Populationsdichte erreichen.
Je größer die Populationsdichte und Durchseuchung
der Mäuse, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit der
Übertragung der Viren auf den Fehlwirt Mensch. Es
liegt also ein Zusammenhang zwischen Massenvermehrungen der Rötelmaus und Hantavirus-Ausbrüchen
beim Menschen nahe. Interessanterweise fiel sowohl
im Winter 2009/Frühjahr 2010 als auch im Winter
2011/ Frühjahr 2012 ein saisonal sehr zeitiger Anstieg
der Zahl der gemeldeten Fälle auf (25, 26).
Die Klärung der Frage, inwieweit solche Beobachtungen für ein künftiges Frühwarnsystem von Hantavirus-Ausbrüchen genutzt werden können, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten.
Virologische Diagnostik
Die Infektionsdiagnostik beim Patienten erfolgt in der
Regel durch serologische Verfahren, wie Enzymimmunoassay, Immunblot und Immunfluoreszenz-Test (4,
27). Beleg für eine frische Hantavirus-Infektion ist der
parallele Nachweis von IgM- und IgG-Antikörpern, die
mit Hantavirus-Antigen reagieren. In der Routinediagnostik kann oft nur schwer zwischen Infektionen mit
dem Puumala- versus Dobrava-Belgrad-Virus unterschieden werden, entweder weil der Antikörpernachweis nur mit dem Antigen eines der beiden Viren
durchgeführt wird oder weil serologische Kreuzreaktionen auftreten. So könnte auch der bisher unzureichende Kenntnisstand zum Vorkommen von TulavirusInfektionen auf die antigenische Verwandtschaft von
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Molekularepidemiologisches Kataster der Hantavirus-Stämme
in Deutschland
a) Puumalavirus-Ausbruchsgebiete 2010 (blau). In diesen Gebieten
wurde Virus-Nukleinsäure sowohl aus Rötelmäusen als auch Patienten vergleichend analysiert. Außerdem sind Orte des Nachweises von
Patienten mit Dobrava-Belgrad-Virusinfektion im Norden und Osten
Deutschlands dargestellt. (Nach [18]: Ettinger J, Hofmann J, Enders
M, et al.: Multiple synchronous outbreaks of Puumala virus, Germany,
2010. Emerg Infect Dis 2012; 18: 1461–4; unter Einschluss neuer,
unpublizierter Daten der Autoren).
b) Schematische Darstellung der phylogenetischen Verwandtschaft
der Virusstämme aus 6 Puumalavirus-Ausbruchsgebieten, von denen
Virussequenzen aus Patienten und lokalen Rötelmäusen analysiert
wurden. Die Virusstämme eines jeden Ausbruchsgebietes bilden ein
eigenes „molekulares Cluster“, das sich von den benachbarten Ausbruchsgebieten unterscheidet (aus [34]: Epidemiologisches Bulletin
des Robert Koch-Institutes: Molekulare Unterscheidbarkeit der zirkulierenden Hantavirus-Stämme in den verschiedenen Ausbruchsregionen Deutschlands. Epidem Bull 2012, Nr. 25, 228–31; Abdruck mit
freundlicher Erlaubnis des Robert Koch-Instituts)
GRAFIK 2
a
Rostock
Hamburg
Polen
Bremen
Niederlande
Berlin
6
Belgien
5
4
Köln
Frankfurt
Tschechische
Republik
3
2
Frankreich
1
München
Tulavirus und Puumalavirus zurückzuführen sein. Daher sind auch die angegebenen Virustypisierungen, die
aus den Landkreisen mit der jeweiligen Fallmeldung
dem Robert Koch-Institut übermittelt werden, nicht
sehr aussagekräftig.
Eine verlässlichere Hantavirus-Typisierung im Vergleich zu den oben genannten serologischen Methoden erlaubt der Fokusreduktions-Neutralisationstest
(FRNT), bei dem neutralisierende Antikörper gegen die
viralen Hüllproteine bestimmt werden. Diese Methode
ist sehr zeitaufwendig und an Laborbedingungen der
Sicherheitsstufe 3 gebunden. Wenig hilfreich ist der
FRNT jedoch für das Auffinden bislang unbekannter
Hantavirus-Typen oder für die Differenzierung von Infektionen durch die unterschiedlichen Genotypen des
Dobrava-Belgrad-Virus.
Um eine Feindifferenzierung der Virusstämme und
beispielsweise deren Zuordnung zu verschiedenen Ausbruchsregionen in Deutschland zu ermöglichen, bedarf
es der Amplifikation der Virus-Nukleinsäure und deren
Sequenzanalyse. Diese molekulare Diagnostik aus dem
Vollblut beziehungsweise Serum ist jedoch nur in den
ersten Krankheitstagen möglich, da das Virus danach
wieder aus dem Blut eliminiert wird.
Molekularepidemiologische
Feindifferenzierung der Puumalavirus-Stämme
Während der Puumalavirus-Ausbrüche in Deutschland
in den Jahren 2007 und 2010 gelang es erstmalig, aus
einer größeren Zahl von Patienten Virus-Nukleinsäure
zu amplifizieren und zu analysieren (17, 18). Parallel
erfolgte in den Gebieten, aus denen Patienten mit nachgewiesener Hantavirus-Nukleinsäure stammten, der
Nachweis von viralem Erbmaterial in dort gefangenen
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Österreich
Schweiz
Puumalavirus-Ausbruchsregionen
akute Dobrava-Belgrad-Virus-Infektionen
b
Schwäbische Alb (1)
Bayerischer Wald (2)
Spessart (3)
Nord-Ost-Hessen (4)
Teutoburger Wald (5)
Münsterland (6)
PUUV-Stämme
außerhalb Deutschlands
Rötelmäusen. Es wurden verschiedene Ausbruchsgebiete charakterisiert, aus denen Puumalavirus-Nukleotidsequenzen aus Patienten und aus Rötelmäusen untersucht werden konnten: Schwäbische Alb, Bayerischer
Wald, Spessart, Nordost-Hessen, Teutoburger Wald und
Münsterland (Grafik 2a). Die Virusstämme aus diesen
Gebieten bilden in der molekularphylogenetischen
Analyse jeweils ein eigenes Sequenz-Cluster, wobei in
jedem der Cluster die Nukleotidsequenzen aus Patienten und Wirtstieren jeweils sehr nahe miteinander verwandt sind (Grafik 2b). Es ist zudem durchaus möglich,
465
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die Herkunft der einzelnen Virusstämme immer weiter
zu spezifizieren, also nochmals molekulare Subtypisierungen innerhalb eines Ausbruchsgebietes (beziehungsweise Sequenz-Clusters) durchzuführen.
Vertikale Transmission
Mit zunehmender Zahl von Hantavirus-Infektionen
steigt auch das Risiko, dass sich schwangere Frauen
mit diesem Virus infizieren. Trotzdem sind bisher nur
sehr wenige Fallberichte publiziert worden, in denen
mit sensitiven Methoden eine mögliche Infektion des
Kindes überwacht wurde. In der bisher größten europäischen Studie wird über zwei schwangere Frauen mit
akuter Puumalavirus- und zwei weiteren mit akuter Dobrava-Belgrad-Virus-Infektion berichtet (28). Obwohl
alle vier Frauen erkrankten, hat die maternale Infektion
in keinem Fall zu einer intrauterinen Schädigung oder
Infektion des Kindes geführt (Beobachtungszeitraum
bis zu 12 Monaten nach Geburt).
Therapie und Infektionsschutz
Für Hantavirus-Erkrankungen besteht in Deutschland
nach § 7 des Infektionsschutzgesetzes eine namentliche
Meldepflicht des Labors gegenüber dem Gesundheitsamt bei Nachweis einer Infektion, die mit einer akuten
Erkrankung im Zusammenhang steht.
Die Therapie der Erkrankung ist symptomatisch,
wobei der Erhalt der kardiovaskulären Stabilität sowie
der Ausgleich von temporärem Organversagen (Dialyse, Oxygenierung) im Mittelpunkt stehen. Eine kausale
antivirale Therapieoption existiert nicht, Studienergebnisse bei Einsatz des Virostatikums Ribavirin sind nicht
eindeutig. Dies trifft auch auf erste begrenzte Versuche
zum Einsatz antiviraler Zytokine (Typ-I-Interferon)
oder immunmodulatorischer Substanzen zu (4, 9).
Eine zugelassene Vakzine zur aktiven Immunisierung gegen die in Europa zirkulierenden humanpathogenen Hantaviren existiert nicht (4). Im Laborstadium
existierende gentechnische Impfstoffe wurden bisher
von der Pharmaindustrie nicht in die Entwicklungsprogramme aufgenommen. Deshalb besteht der Schwerpunkt der Bemühungen zum Infektionsschutz in der
Expositionsprophylaxe, also der Vermeidung der Übertragung des Erregers vom Tier auf den Menschen. Hantavirus-Infektionen könnten weitestgehend verhindert
werden, wenn der Kontakt mit Mäusen und deren Ausscheidungen vermieden wird (29). Dazu gehört die Bekämpfung von Mäusen innerhalb und in der Umgebung
menschlicher Wohnstätten. Bei Tätigkeiten in Räumen,
in denen Mäuse gehaust haben könnten (zum Beispiel
Reinigung von Stallungen, Schuppen, und insbesondere Sommerhäusern nach der Winterpause), sollten insbesondere in Endemiegebieten Einweghandschuhe und
dicht schließender Mund-Nasen-Schutz (idealerweise
zum Beispiel im Baumarkt erhältliche FFP3-Atemschutzmasken) getragen werden. Beim Aufenthalt im
Freien sollten ebenfalls Kontakte mit Mäusenestern
und Mäuseausscheidungen vermieden werden. Weitere
Maßnahmen sind die sichere Aufbewahrung von Nahrungsmitteln innerhalb und außerhalb der Wohnung so-
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wie die Desinfektion und entsprechende Entsorgung
von gefangenen beziehungsweise toten Mäusen. Da die
Infektion auch durch im Labor gehaltene Nagetiere,
wie Wanderratten, Feld- und Rötelmäuse, übertragen
werden kann, sollten diese – auch wenn bisher gemäß
der Richtlinie der Federation of European Laboratory
Animal Science Associations (FELASA) nur für Wanderratten vorgeschrieben – in regelmäßigen Abständen
auf eine mögliche persistierende Hantavirus-Infektion
untersucht werden.
Ausblick
Künftig müssen neue Anstrengungen unternommen
werden, um zulassungsfähige Virostatika und eine in
Europa einsetzbare Vakzine zu entwickeln. Kurzfristig
werden aber Präventionsmaßnahmen, die auf die Verminderung der Erregerexposition von Personen in den
jeweiligen Endemiegebieten zielen, die größte Bedeutung haben. Dazu muss die öffentliche Wahrnehmung
für diese Infektionskrankheit gestärkt werden. Hinzu
sollten gezielte Weiterbildungen für niedergelassene
und klinisch tätige Ärzte – insbesondere in Endemiegebieten – über dieses Krankheitsbild kommen, denn sie
stellen die Weichen für die Behandlung der Patienten,
die zunächst unspezifische Symptome aufweisen. Das
bessere Verständnis der (Immun-)Pathogenese, die der
Hantavirus-Erkrankung zugrunde liegt, könnte zu neuartigen Wegen der Therapie führen. Eine der Aufgaben
ist die möglichst engmaschige molekularepidemiologische Kartierung von Ausbruchsregionen und – damit
im Zusammenhang – die exakte Bestimmung des Infektionsortes durch molekulare Analysen der Virusproben der Patienten. Die weitere Erforschung der ökologischen Ursachen für das Auftreten von Virusausbrüchen könnte künftig zur Entwicklung eines „Frühwarnsystems“ genutzt werden.
KERNAUSSAGEN
● Hantavirus-Erkrankungen sind Zoonosen; die Erreger
werden von kleinen Säugetieren (Nagetieren) auf den
Menschen übertragen.
● Die Erkrankung beginnt mit hohem Fieber;
je nach Schweregrad können Schock, Nieren- und
Lungenversagen auftreten.
● Die spezielle Virusdiagnostik beruht auf serologischen,
virologischen und molekularbiologischen Verfahren,
wobei die letzteren eine genaue Kartierung der HantavirusAusbruchsgebiete ermöglichen.
● In Ermangelung eines zugelassenen Impfstoffes
besteht die Infektionsprophylaxe in der Vermeidung des
Kontaktes mit Nagetieren und ihren Ausscheidungen.
● Im Jahr 2012 erreichte die Zahl der HantavirusErkrankungen in Deutschland einen neuen Rekordwert
von mehr als 2 800 registrierten Fällen.
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Interessenkonflikt
Prof. Krüger bekam Vortragshonorare von der Firma Synlab.
PD Dr. Hofmann bekam Vortragshonorare von den Firmen Abbott und Siemens.
PD Dr. Ulrich erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 19. 12. 2012, revidierte Fassung angenommen: 18. 4. 2013
LITERATUR
1. Gesellschaft für Virologie e.V.: Stellungnahme zu Infektionen mit
dem neuen Coronavirus, Stand: 27.03.2013. www.g-f-v.org.
2. Annan A, Baldwin HJ, Corman VM, et al.: Human betacoronavirus
2c EMC/2012–related viruses in bats, Ghana and Europe: Emerg
Inf Dis 2013; 19: 456–9.
3. Peters CJ, Simpson GL, Levy H: Spectrum of hantavirus infection:
hemorrhagic fever with renal syndrome and hantavirus pulmonary
syndrome. Annu Rev Med 1999; 50: 531–45.
4. Krüger DH, Schönrich G, Klempa B: Human pathogenic hantaviruses and prevention of infection. Hum Vacc 2011; 7: 685–93.
5. Weiss S, Witkowski PT, Auste B, et al.: Hantavirus in bat, Sierra
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Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Detlev H. Krüger
Institut für Medizinische Virologie
Helmut-Ruska-Haus
Charité Campus Mitte
Charitéplatz 1, 10117 Berlin
[email protected]
Zitierweise
Krüger DH, Ulrich RG, Hofmann J: Hantaviruses as zoonotic
pathogens in Germany. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(27−28): 461−7.
DOI: 10.3238/arztebl.2013.0461
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The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
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