PDF (87 KB, Datei ist nicht barrierefrei) - ABiG

Werbung
18
Seltene und importierte Infektionskrankheiten Hantavirus-Erkrankungen
1.6 Hantavirus-Erkrankungen
Erreger
Verschiedene Spezies des Genus Hantavirus:
Hantaan-, Puumala-, Seoul-, Sin Nombre-, Dobrava-Virus u. a. innerhalb der Familie der Bunyaviridae
Vorkommen
Hantaviren sind weltweit verbreitet. Verschiedene Hantaviren sind mit jeweils bestimmten
Nagetieren als Reservoire und mit besonderen
Symptomen beim Menschen assoziiert. Die verschiedenen Hantaviren sind geographisch entsprechend dem Vorkommen der Reservoirwirte
verbreitet:
Das Puumala-Virus (Reservoir: Rötelmaus,
Myodes glareolus) ist endemisch in Skandinavien, Mitteleuropa und Russland. Das DobravaVirus findet sich in Mittel- und Nordosteuropa
(Reservoir: Brandmaus, Apodemus agrarius) sowie im Balkangebiet (Reservoir: Gelbhalsmaus,
Apodemus flavicollis). Das Hantaan-Virus kommt
in Asien vor (Reservoir: Brandmaus, Apodemus
agrarius), ebenfalls in Asien – aber auch in anderen Teilen der Welt – tritt das Seoul-Virus auf
(Reservoir: verschiedene Rattenarten, u. a. Rattus
norvegicus, Rattus rattus).
In den USA sowie weiteren Gebieten des amerikanischen Kontinents kommen Infektionen durch
das Sin-Nombre-Virus (Reservoir: Hirschmaus, Peromyscus maniculatus) und weiteren Viren (AndesVirus, Laguna-Negra-Virus u. a.) vor.
In Deutschland wurden in den letzten Jahren rd. 100 bis 1.700 jährliche Erkrankungsfälle
durch Meldung erfasst; die erheblichen Schwankungen ergeben sich u. a. aus der wechselnden
Populationsdichte der Reservoirtiere. Der Anteil
der Puumala-Virus-Infektionen in den letzten
Jahren liegt bei über 97 %, etwa 2 % entfallen auf
Dobrava-Virus-Infektionen im Norden Deutschlands. Das Gebiet der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg ist ein wichtiges Endemiegebiet für Hantavirus-Infektionen in Deutschland.
Infektionsweg
Hantaviren werden von persistent infizierten,
aber selbst symptomfreien, Nagetieren über Urin,
Speichel und Fäzes ausgeschieden. Die Übertragung auf den Menschen erfolgt über die Inhalation von virushaltigen Aerosolen, durch den Kontakt mit kontaminiertem Staub und durch Bisse.
Personen mit Kontakt zu Nagetieren oder deren
Ausscheidungen, z. B. Land- und Forstarbeiter,
Soldaten und Camper, sind besonders infektionsgefährdet.
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe: Vermeiden des direkten
Kontakts mit wildlebenden Nagetieren und deren
Ausscheidungen, Nahrungsmittel unzugänglich
für Nagetiere auf bewahren, Reinigung und Desinfektion der von Nagern verschmutzten Flächen.
Staubentwicklung beim Reinigen von Kellern,
Scheunen, Schuppen, Ställen vermeiden, beim
Reinigen kontaminierter Areale ggf. Augen- und
Atemschutz, Schutzhandschuhe. Bekämpfung
von Schadnagern.
Bei der Bekämpfung von Nagern in Verbindung mit Ausbrüchen durch hochvirulente Hantaviren Schutzanzüge und Atemschutzmasken.
Inkubationszeit
5–60 Tage, gewöhnlich 2–4 Wochen.
Symptomatik/Verlauf
Hantaviren weisen eine Affinität zur Niere bzw.
Lunge auf. Symptomatik und Schweregrad der
Erkrankung hängen von der Art oder Variante
des verursachenden Virus ab. Viele Infektionen
durch die einheimischen Virusarten bleiben
asymptomatisch.
Hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom
(HFRS) wird durch das Hantaan-, Seoul-, Puumala- oder Dobrava-Virus verursacht. Mild verlaufende Infektionen (meist durch das PuumalaVirus) werden auch als Nephropathia epidemica
bezeichnet. Die klinische Symptomatik ist häufig
unspezifisch, es treten plötzlich Symptome wie
Fieber, Sehstörungen, Muskel-, Kopf-, Bauch-,
Rückenschmerzen und Übelkeit auf. Die Erkrankung läuft in mehreren Phasen ab, die jedoch nicht immer klinisch sichtbar werden. Im
Verlauf der Erkrankung können Anzeichen ei-
Hantavirus-Erkrankungen Seltene und importierte Infektionskrankheiten
ner erhöhten Blutungsneigung wie Hämaturie,
Melaena, Petechien oder anderer Hämorrhagien
auftreten. Typisch ist eine renale Symptomatik
bis hin zur dialysepflichtigen Niereninsuffizienz,
deren Schwere die Prognose bestimmt. Das anschließende Auftreten einer diuretischen Phase
mit Blutdruckanstieg ist ein prognostisch gutes
Zeichen. Die Letalität bei HFRS ist abhängig vom
jeweiligen Virustyp (Hantaan: 5–15 %, Puumala:
<1 %). Hämorrhagische Verläufe sind bei Infektionen mit den in Mitteleuropa vorkommenden
Virusvarianten sehr selten.
Das Hantavirus-Kardiopulmonale-Syndrom
(HCPS,HPS) wird durch das Sin-Nombre-Virus
(o. a. in Amerika vorkommende Hantaviren)
ausgelöst und beginnt mit Fieber, Schüttelfrost,
Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen. Die
kardiopulmonale Phase ist charakterisiert durch
Schock, Hypotonie und Oligurie. Das charakteristische Lungenödem manifestiert sich mit unproduktivem Husten, Tachypnoe und Dyspnoe.
Typisch sind hämatologische Veränderungen
(Leukozytose, blastenähnliche Lymphozyten,
Thrombozytopenie). Klinische Zeichen von Blutungsneigung sind seltener als beim HFRS. Die
Letalität kann 40 % übersteigen. Nach Ablauf der
Erkrankung besteht eine längere artspezifische
Immunität.
Diagnostik
Virusnachweis aus dem Urin oder Blut mittels
PCR oder Virusanzucht während der akuten
Krankheitsphase (die relativ kurze Virämie begrenzt die Erfolgsaussicht). Nachweis von spezifischen Antikörpern (IgM, IgG) in der Serologie:
IF, ELISA, Immunoblot, NT, Schnelltest. Ein alleiniger IgM-Nachweis ist wenig aussagekräftig,
daher ist ein Nachweis von IgG-Antikörpern anzustreben (hoher Einzeltiter oder Anstieg in zwei
Proben).
Spezialdiagnostik wird z. B. im Konsiliarlaboratorium für Hantaviren am Institut für Medizinische Virologie in der Charité Berlin angeboten.
Differenzialdiagnose
Aufgrund der vielfältigen und unspezifischen
Symptomatik sind andere bakterielle oder virale
Erkrankungen mit Nierenbeteiligung sowie akute Nierenerkrankungen abzugrenzen. Bei Hämorrhagien kommen auch andere virale hämorrhagische Fieber in Betracht.
Therapie
Symptomatische Behandlung (Flüssigkeitssubstitution, Schmerztherapie, ggf. Dialyse). In der
frühen Krankheitsphase ist Ribavirin möglicherweise hilfreich. Bei Krankenhausbehandlung von
Erkrankungen durch europäische Hantaviren ist
keine Isolierung notwendig.
Meldevorschriften
Meldepflicht bei Krankheitsverdacht, Erkrankung und Tod bei hämorrhagischem Verlauf
gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1g IfSG (virusbedingtes
hämorrhagisches Fieber) und bei direktem oder
indirektem Erregernachweis in Verbindung mit
einer akuten Infektion unabhängig vom klinischen Bild gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 18 IfSG.
19
Titelfotos: Dr. Hans R. Gelderblom/Kazimierz Madela(oben)/Robert Koch-Institut
Oben: Clostridium difficile NCTC 13307
Mitte: Corynebacterium diphtheriae mitis, Darstellung mit Polkörnchen
Unten: SARS-CoV, Severe acute respiratory syndrome coronavirus, Virusreplikation
Steckbriefe seltener und importierter Infektionskrankheiten
Robert-Koch-Institut, Berlin 2011
ISBN
978-3-89606-240-6
Herausgeber
Robert Koch-Institut
www.rki.de
Redakteur
Dr. sc. med. Wolfgang Kiehl
An der vorliegenden Neuauflage haben aus dem RKI mitgewirkt:
Dr. Anton Aebischer, Dr. Katharina Alpers, Dr. Mona Askar, Susanne Behnke,
Dr. Justus Benzler, Dr. Helen Bernard, Dr. Udo Buchholz, Dr. Silke Buda, Dr. Mirko
Faber, Dr. Lena Fiebig, Dr. Christina Frank, Dr. Manuel Dehnert, Dr. Yvonne Deleré,
Dr. Brigitte Dorner, Sandra Dudareva, Dr. Tim Eckmanns, Susanne Glasmacher,
PD Dr. Walter Haas, Dr. Osamah Hamouda, Dr. Wiebke Hellenbrand, Dr. Michael
Höhle, Bettina Keller, Dr. Albrecht Kiderlen, Christian Klotz, Dr. Judith Koch,
Dr. Gabriele Laude, Dr. Astrid Lewin, Dr. Ulrich Marcus, Dr. Astrid Milde-Busch,
Prof. Dr. Matthias Niedrig, Dr. Wolfgang Rabsch, Dr. Sabine Reiter, Dr. Bettina
Rosner, Dr. Julia Sasse, Dr. Irene Schöneberg, Mario Schummert, Prof. Dr. Frank
Seeber, Prof. Dr. Klaus Stark, Dr. Kathrin Tintelnot, Dr. Maria Wadl, Dr. Dirk Werber,
Dr. Ole Wichmann.
Die Kapitel zu den Bartonella-Infektionen wurden von Prof. Dr. Volkhard Kempf,
Frankfurt/Main bearbeitet.
Die vorige Auflage war erarbeitet worden von:
Dr. Katharina Alpers, Dr. Gabriele Laude, Jens Mehlhose, Prof. Dr. Matthias Niedrig (verantwortlich), Prof. Klaus Stark, Dr. Kathrin Tintelnot (alle RKI);
Prof. Dr. Gert-Dieter Burchardt, Prof. Dr. Herbert Schmitz, Prof. Dr. Egbert Tannich (alle
Bernhard-Nocht-Institut);
Dr. Barbara Reinhardt (Universität Ulm).
Mitgearbeitet hatten: Dr. Justus Benzler, Dr. Christina Frank, Dr. Andreas Jansen, Dr. Wolfgang
Kiehl, Dr. Judith Koch, Dr. Katrin Leitmeyer, Prof. Dr. Georg Pauli, Dr. Doris Radun, Dr. Irene
Schöneberg, Dr. habil. Eckart Schreier, Dr. Brunhilde Schweiger (alle RKI) sowie Dr. Martin
Pfeffer (München).
Satz & Druck
Westkreuz-Druckerei Ahrens KG Berlin/Bonn
Herunterladen