Vom UN-Gipfel zu einem Nationalen Aktionsplan gegen NCDs Dietrich Garlichs Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 Der erste UN-Gipfel zu den Nichtübertragbaren Krankheiten • 19./20. September 2011 in New York „UN High-Level Meeting on the Prevention and Control of Non-Communicable Diseases“ (NCDs) • Zweiter Gipfel in der Geschichte der UN zu einem Gesundheitsthema nach dem Aids-Gipfel von 2001 • Die vier wichtigsten NCDs: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes und chronische Atemwegserkrankungen Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 2 Ein mühsamer Weg zum NCD-Gipfel 2000 2003 Global Strategy for the Prevention and Control of Noncommunicable Diseases Global Strategy on Diet, Physical Activity and Health 2004 2008 Action Plan on the Global Strategy for the Prevention and Control of NCDs Global Strategy to Reduce the Harmful Use of Alcohol 2009 WHO Global Status Report on NCDs 2010 2011 Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 Political Declaration on NCDs 3 UN-Gipfel – ohne deutsches Engagement • Mehr als 120 Staaten nahmen teil, davon 34 Staats- und Regierungschefs (Aids-Gipfel „nur“ 21) • NCDs inzwischen weltweit Hauptursache von Tod, Krankheit und Behinderung • Europa: 86% der Todesfälle und 77% der Krankheitslast • Finanzierbarkeit der Gesundheitssysteme und wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaften gefährdet • Problem: Deutsche Beteiligung In der UN-Generalversammlung Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 4 Ursachen der NCDs außerhalb des Gesundheitssystems • Gemeinsame Risikofaktoren: Rauchen, erhöhter Alkoholkonsum, mangelnde Bewegung und ungesunde Ernährung • Ursachen der Epidemie weitgehend außerhalb der Kontrolle des Gesundheitssystems • Damit die Gesundheitsversorgung auch in Zukunft finanziert werden kann, müssen diese Risikofaktoren massiv zurückgedrängt werden Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 5 Strategie: Stärkung der Verhältnisprävention erforderlich • Paradigmenwechsel: Bevölkerungsbezogene Präventionsstrategien wirkungsvoller als Individualstrategien • Besteuerung von Tabak, Alkohol und verarbeiteten Lebensmitteln mit hohem Gehalt an Fett, Zucker und Salz • Gestaltung des sozialen Umfelds: „To make the healthy choice the easier choice.“ Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 6 Wie geht es weiter? • • • • • • UN-Gipfel und „Politische Erklärung“ sind nur der Auftakt Bis 2012 Entwicklung quantitativer Ziele/Zeitrahmen/Indikatoren Bis 2013 Erstellung Nationaler Aktionspläne 2014: Review-Konferenz Internationale NCD Alliance unterstützt den Prozess weiter Stärkung unserer deutschen Allianz Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 7 Deutsche Politik: Individualstrategien statt Verhältnisprävention 1. Ärzte sollten verstärkt Patienten auf gesundheitliche Risiken und Belastungen untersuchen, sie beraten und ihnen entsprechende Präventionskurse empfehlen. 2. Die betriebliche Gesundheitsförderung sollte gestärkt werden. Krankenkassen sollten dafür insgesamt 2 € pro Versicherten zur Verfügung stellen. Die Bundesregierung wollte mit dem neuen Gesetz „das Wissen, die Befähigung und die Motivation in der Bevölkerung zum gesundheitsbewussten Verhalten in allen Lebensphasen stärken. Insbesondere sollen die Menschen zu gesundheitsbewusstem Verhalten in die Lage versetzt werden, die – wie Jugendliche mit Migrationshintergrund und Menschen mit niedrigem Bildungsstand oft schwer zu erreichen sind“ (Präventionsgesetzentwurf 2013) Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 8 Der Lebensstil wird in jungen Jahren geprägt • von der Familie • von der Peer Group • von dem nahen sozialen Umfeld Es ist weitgehend erfolglos, den Lebensstil im Erwachsenenalter verändern zu wollen (z.B. Rauchen, Adipositastherapien…) Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 9 Lebensstilprägung ist ein sozialer Prozess − kein Medizinthema • Ursachen der modernen Krankheiten liegen außerhalb der Kontrolle des Gesundheitssektors • Daher kann die Gesundheitspolitik hier nur wenig ausrichten Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 10 Gegen die Werbung der Lebensmittelindustrie haben Gesundheitsinformationen keine Chance • Lebensmittelindustrie gibt 100-mal mehr für Werbung aus als die BZgA (3,2 Mrd € zu 30 Mio €*) • Die Lebensmittelindustrie gibt 100-mal mehr für Süßwarenwerbung aus als für Obst-/Gemüsewerbung (696 Mio € zu 7,3 Mio €**) • Viele Lebensmittel werden mit irreführender Werbung verkauft *Quelle: persönliche Auskunft BZgA **Quelle: Nielsen: Handel. Verbraucher. Werbung. Deutschland 2011 Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 11 Wir müssen Regelstrukturen nutzen und das Umfeld günstiger gestalten • Jeden Tag eine Stunde Bewegung in Kita und Schule • Eine Verhältnisprävention, die den Menschen hilft, gesunden Lebensstil auf einfache Weise zu praktizieren: - Preissignale (Zucker-/Fettsteuer) - Mehr Information und Transparenz: klare Lebensmittelkennzeichnungen und keine irreführende Werbung Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 12 In einer Marktwirtschaft wirken Preissignale am besten • Abgaben auf adipogene und schädliche Lebensmittel - Beispiele: Tabaksteuer, Alkopopsteuer - Im Ausland: Zuckersteuer, Fettsteuer • Steuersenkung für gesunde Lebensmittel • Das hilft bei der Verbraucherentscheidung • …aber auch der Lebensmittelindustrie bei der Entwicklung gesunder Produkte Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 13 Andere Länder gehen mit der Besteuerung ungesunder Lebensmittel voran • • • • • Dänemark: gesättigte Fette (gekippt) Frankreich: Softdrinks Finnland: Softdrinks, Süßigkeiten Ungarn: Zucker, Salz Mexiko: kalorienhaltige Nahrungsmittel, Softdrinks • Diskutiert wird in Belgien, GB, Irland, Italien, Rumänien und USA Deutschland? Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 14 Kaloriensteuer in den Koalitionsvertrag? Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 15 Nur die Politikfelder sind stark, die eine dauerhafte Finanzierung haben • Sekundärprävention: • Tertiärprävention: • Primärprävention: Krankenkassen Krankenkassen Pflegeversicherung Rentenversicherung ?? (Kommunen, Länder) Wir brauchen eine dauerhafte Finanzierung auch für die nicht medizinische Prävention Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 16 Wer könnte einen wirkungsvollen Aktionsplan durchsetzen? • Druck von außen mit Katastrophengefühl („FukushimaEffekt“) • Die Finanzpolitik, wenn sie die Kosten im Gesundheitssystem explodieren sieht • Die Wirtschaft, weil sonst nicht mehr ausreichend „fitte“, auch ältere Mitarbeiter zur Verfügung stehen (bereits 2025 sechs Mio. weniger Arbeitnehmer) Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 17 Bessere Prävention in der neuen Legislaturperiode? • Koalitionsvertrag: ein „mehr“ der Strategie, die bisher schon nicht funktioniert hat: Appell an die Vernunft des Einzelnen • Ist der finanzielle Druck groß genug, um die Finanzpolitik zum Einschreiten zu veranlassen? • Die Wirtschaft? z. B.: - Recht auf Kindergartenplatz - Ausbau Ganztagsschulen Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 18 Eine Gesundheitspolitik ist erst dann erfolgreich, wenn Sie alle Menschen erreicht … und nicht nur die gesundheitsbewusste Mittelschicht Das wird sie nur erreichen, wenn sie Regelstrukturen für bevölkerungsweite Strategien nutzt und wegkommt von der Projektitis und den Insellösungen! Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 19 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Dr. Dietrich Garlichs, 11. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 5.12.2013 20