Kultur in NRW Der Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für junge Künstlerinnen und Künstler 2010 Bruck am Boden singt so leise wie Monk spielt. Kultur in NRW Der Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für junge Künstlerinnen und Künstler 2010 www.nrw.de 1 Kultur in NRW Der Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für junge Künstlerinnen und Künstler 2010 Anne Pöhlmann Florian Meisenberg Sandra Trojan Thomas Pletzinger Amaryllis Quartett Michael Langemann Eva-Maria Höckmayr Katja Stockhausen Anna Wahle Mischa Leinkauf Franziska Windisch Jan Hoeft bk2a architektur Sascha Glasl 2 3 5 Vorwort Ute Schäfer Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen 7 Die Jury Bildende Kunst 8 Anne Pöhlmann 14 Florian Meisenberg Literatur 20 Sandra Trojan 26 Thomas Pletzinger Musik 32 Amaryllis Quartett 38 Michael Langemann Theater 42 Eva-Maria Höckmayr 48 Katja Stockhausen 90 Film 54 Anna Wahle 60 Mischa Leinkauf Medienkunst 66 Franziska Windisch 72 Jan Hoeft Architektur 78 bk2a architektur 84 Sascha Glasl Impressum 5 4 Als der Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für junge Künstlerinnen und Künstler im Jahr 1957 zum ersten Mal vergeben wurde, stand Deutschland am Beginn eines künstlerischen und kulturellen Aufbruchs. Besonders in Nordrhein-Westfalen trafen die Kunst der Moderne und die Gegenwartskunst auf waches Interesse bei Bürgerinnen und Bürgern, Land und Kommunen. So entstand eine vielfältige und lebendige Kulturlandschaft, die offen für Neues und Ungewöhnliches geblieben ist. Treibende Kräfte dieser Entwicklung waren und sind engagierte Künstlerinnen und Künstler. Sie geben sich nicht zufrieden mit dem Vorgefundenen, gehen Risiken ein, wagen sich auf unerforschtes Terrain. Der Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen soll Ermutigung sein, diesen Weg einzuschlagen, und er ist zugleich Auszeichnung für herausragende künstlerische Leistungen. Viele Trägerinnen und Träger des Förderpreises haben die internationale Kunstwelt nachhaltig verändert und NordrheinWestfalen als Kulturregion bereichert. Den Preisträgerinnen und Preisträgern des Jahres 2010, deren künstlerische Biografien dieser Katalog aufzeigt, gratuliere ich herzlich und wünsche ihnen viel Erfolg für ihr künstlerisches Schaffen. Den Mitgliedern der Jury danke ich für ihr Engagement. Ute Schäfer Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen Jury 6 7 Bildende Kunst Dr. Stefanie Kreuzer, Leverkusen Dr. Annelie Pohlen, Bonn Prof. Christopher Williams, Düsseldorf Literatur Prof. Dr. Friedmar Apel, Bielefeld Anne Linsel, Wuppertal Dr. Lothar Schröder, Duisburg Musik Film Dr. Eva Küllmer, Dortmund Prof. Dr. Werner Lohmann, Düsseldorf Prof. Raimund Wippermann, Düsseldorf Dr. Robert von Zahn, Düsseldorf Oliver Baumgarten, Köln Ronald Herzog, Bielefeld Joachim Kühn, Köln Theater Stefan Keim, Wetter Regine Müller, Düsseldorf Melanie Suchy, Frankfurt Medienkunst Georg Elben, Bonn Dr. Doris Krystof, Düsseldorf Dr. Sabine Maria Schmidt, Essen Architektur Prof. Dörte Gatermann, Köln Prof. Ulrich Königs, Köln Prof. Annette Paul, Köln Bildende Kunst Anne Pöhlmann Laudatio In ihren fotografischen Arbeiten und Videoprojekten hinterfragt die 1978 geborene Künstlerin Anne Pöhlmann Architekturen, die sich in ihrer Planungsund Entstehungszeit der 1960er und 1970er Jahre eng mit urbanen und sozialen Utopievorstellungen verbunden haben. Die durchaus in unterschiedlichen ideologischen Systemen real gebauten und an der Wirklichkeit mehr oder weniger erfolgreich „erprobten“ utopischen Visionen oder die „nur“ als Modell oder Bild entworfenen Darstellungen ebensolcher Projekte werden zu zentralen Motiven ihres Bildrepertoires. Ihre fotografischen Untersuchungen utopischer architektonischer Systeme analysieren die historischen Entwürfe aus der Perspektive der Jetztzeit, ohne sie gänzlich als gescheitert, aber auch ohne sie als vollkommen gelungen zu erachten. Als „Utopia Recycling“ hat die Künstlerin dieses Vorgehen bezeichnet, das nicht in der ungebrochenen Fortführungen utopischer Ideen, sondern über das Reflektieren der Kriterien des Geglücktseins oder auch des Scheiterns dieser Projekte im Hier und Jetzt neue Herausforderungen – auch visueller Art – an uns stellt. In diesem Zusammenhang wird Sprache in ihrer visuellen Dimension und metaphorischen Qualität als bildschaffende Kraft Teil des künstlerischen Interesses. Zunächst auf die Schwierigkeit der Beschreibung architektonischer Bilder beschränkt, löst sie sich bald aus diesem Rahmen, um darüber hinaus auf ein weiteres Thema Bezug zu nehmen, das immer mehr die neueren Arbeiten der Künstlerin bestimmt: die Beziehung „Frauen und Fotografie“. 8 Indem Anne Pöhlmann die Fotografie oftmals abseits gewöhnlicher, im Kunstkontext erprobter Bildträger denkt, erweitert sie nicht nur die Möglichkeiten des Mediums sowie des Bildträgers als solchen, sondern schafft dergestalt eine fotografische Präsentations- Revues Installation, 2009 Videoprojektion mit 10 Videostills und schwarzer Satinvorhang Courtesy Galerie Clages form, die notwendigerweise den Raum oder auch das Objekt – wie beispielsweise eine Zeitschrift – als Display der Arbeiten versteht. Auf eine Fensterscheibe aufgebrachte, gewöhnliche Schwarzweißfotokopien, die je nach natürlicher Tageslichtsituation beziehungsweise künstlicher Beleuchtung aus dem Inneren des Raumes die Präsentation in der Fensterscheibe einmal undurchsichtig und dann wieder durchsichtig erscheinen lassen, spielen nicht nur in der Überlagerung zweiter Motive mit dem Sujet des Dargestellten, sondern eindeutig auch mit der Art und Weise des Darstellens, das heißt mit der Spannbreite des Mediums selbst. Direkt auf die Wand geklebte und so mit dem Raum interagierende „Sprachposter“ erweitern den Präsentationsspielraum um die durch Werbemedien erprobte Praxis. Techniken der Recherche von Daten, ihrer visuellen Analyse, Archivierung und fotografischen Aufbereitung bilden wesentliche Strukturen des künstlerischen Schaffens von Anne Pöhlmann, das sich in neueren Arbeiten immer mehr auch um das „Bild der Frau“ dreht. Ob sie in ihren Werken die von Zeitschriftencovers heraus gelösten und von Schrift befreiten Konterfeis der Covergirls auf die Qualitäten des Fotografischen hin untersucht – wobei die Coverfotos für gewöhnlich eine Halbwertszeit nur bis zum Erscheinen der nächsten Ausgabe besitzen – oder ob sie allein die Wirkmacht der Sprache der Werbung nutzt, um das Bildnis einer Person entstehen zu lassen – in beiden Fällen geht es neben dem Thema „Frau“ immer auch um komplexe Sachverhalte der Bildgenerierung und der Interpretation. Und gerade über diese mediale „Verstrickung“ ihrer Thematiken erreichen die Arbeiten von Anne Pöhlmann die enorme Qualität, die sie für den Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen auszeichnet. Die Jury Dr. Stefanie Kreuzer Dr. Annelie Pohlen Prof. Christopher Williams 9 11 10 Revues, 2009 Videostills Courtesy Galerie Clages Building Beyond Success Installation, 2009 Anne Pöhlmann und Diango Hernández Diaprojektion mit 80 Originaldias, Schallplattenspieler und Ton von Single, Equalizer, Lampe, zweifarbige Teppichkacheln und Print auf Banner Courtesy Galerie Clages Building Beyond Success Poster 50 x 70 cm, Pigment Prints, 2009 Anne Pöhlmann und Diango Hernández Courtesy Galerie Clages Anne Pöhlmann [email protected] Ich habe ihn Poster 20 x 59 cm, Pigment Print, 2009 Courtesy Galerie Clages Vita 1978 geboren in Dresden /// 1996 - 1999 Studium der Romanistik, Kunstgeschichte und Philosophie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und an der Université de Bourgogne in Dijon, Frankreich /// 1999 - 2001 Studium an der Akademie für Bildende Künste der Johannes Gutenberg-Universität Mainz bei Prof. Vladimir Spacek /// 2001 - 2005 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Thomas Ruff und Prof. Rita McBride. /// Anne Pöhlmann lebt und arbeitet in Düsseldorf. 12 Einzelausstellungen 2005 „...ten minutes from here“, stadtraum.org, Düsseldorf „Screen“, Büro DC, Köln „LOVE, CABLES and VOICES“, nüans, Düsseldorf „Meeting – Treffen, Part 1: Reality“, Fotografie aus Düsseldorf und London. Walzwerk Düsseldorf „Urban Appearances“, kuratiert von Susanne Prinz, Video Parcours am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin „Mobilehome II“, curso experimental de arte contemporânea. Kuratiert von Nuno Faria, Loulé, Portugal „Anspach Center“, Gruppenausstellung und Zeitschrift, Brüssel, Belgien „Extra Luggage“, Ausstellungsprojekt von Anna Heidenhain, Villa Romana, Florenz „Stadt/Fotografie“, Kunstpreis, Stadtmuseum Düsseldorf „düsseldorf“, Projekt von Shila Khatami, the forgotten bar, Berlin 2007 „Retromorphosis – Dresden’s New Town“, Fermynwoods Contemporary Arts and Hertfordshire University Galleries, UK „Die Botschaft“, Ausstellungsprojekt von open, Botschaft am Worringer Platz, Düsseldorf 2007 „Sequels“, Galerie Clages, Köln „Walkthrough“, Hardware Media Kunstverein, Dortmund 2009 „Revues“, Galerie Clages, Köln „Building Beyond Success“, mit Diango Hernandez, Galerie Clages, Köln Gruppenausstellungen und Projekte (Auswahl) 2003 „Urbane Räume“, Europäischer Architekturfotografie-Preis 2003, Bundeskunsthalle, Bonn 2004 „Klasse – Atelier“, Haus der Kunst der Stadt Brünn, Tschechien „Zugzwang“, PLAYSTATION, Galerie Fons Welters, Amsterdam When your own initials Poster 64 x 50 cm, Pigment Print, 2009 Courtesy Galerie Clages 2010 „Neues Rheinland. Die postironische Generation“, Museum Morsbroich, Leverkusen 2006 „Statik in Bewegung – Architektur in Film, Fernsehen und Video“, Filmfestival des Bundes Deutscher Architekten BDA und der Videonale 11, Kunstmuseum Bonn „Nachstellungen“, Halle 6 – Galerie Christine Hölz, Düsseldorf 2005 „Surfshop“, Projekt von Glen Rubsamen in „Contemporary Import“, Art Forum, Berlin „Noise Cabin“, Projekt mit Rosa Barba, Diango Hernandez und Jan St. Werner im Rahmen des „5 Days off“-Festivals, Amsterdam „Urban Spheres“, Filmscreening ‚Städtische Bühne’, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf Auszeichnungen 2008 „Retromorphosis“, kuratiert von Cordula Zeidler, CUBE, Manchester, UK 2003 Auszeichnung „Urbane Räume“, Europäischer Architekturfotografie-Preis 2003, Bundeskunsthalle, Bonn „Somewhere, sometime“, kuratiert von Anna Heidenhain und Volkan Aslan, Daire Sanat Gallery, Istanbul, Türkei „new talents 2008“ – junge biennale köln, Köln 2009 „Berlin: Twelve Arguments Part I“, Ausstellungsprojekt Galerie Clages, Berlin „Berlin: Twelve Arguments Part II“, Ausstellungsprojekt Galerie Clages, Köln „Mobilehome“, curso experimental de arte contemporânea. kuratiert von Nuno Faria, Loulé, Portugal 2006 [HMKV]-Stipendium des Landes NRW für Medienkünstlerinnen, Hardware Media Kunstverein, Dortmund Auszeichnung Kunstpreis „Stadt/Fotografie“, Stadtmuseum Düsseldorf 2009 Arbeitsstipendium der Kunststiftung NRW für „The Women“ Soundinstallation 2010 13 Bildende Kunst Florian Meisenberg Laudatio Eine Antwort auf die Frage, ob der 1980 geborene Florian Meisenberg nun Maler ist oder Zeichner, ist so ergiebig wie der Versuch sein ebenso lustvolles wie subversives Spiel mit den reichlich vorhandenen Kulturgütern auf ihren je vorgefertigten normativen Bedeutungsgehalt hin zu untersuchen. Die auf Ordnung gepolte Ratio ist mit Florian Meisenbergs Konsequenz einigermaßen überfordert, was umso perfekter funktioniert, als der Künstler mit augenzwinkernder Ungeniertheit alle über Jahrhunderte praktizierten und in der heutigen Mediengesellschaft geläufigen Strategien der Verführung auslotet und im Gegenzug auf brillante Weise unterminiert. 14 Florian Meisenberg treibt mit offensichtlicher Lust sein Spiel mit allen für sein künstlerisches Bekenntnis zur Leinwand relevanten ‚Mitteln’. Das gilt nicht nur für den schnellen Wechsel zwischen zeichnungsund malereitypischen Vorgehensweisen, sondern auch für den Einsatz von Video, um den heroischen Versuch der immer noch verehrten Künstlergenies, eine auf der Wäscheleine flatternde ‚Leinwand’ mittels eines absurd langen Pinselersatzes in ein taugliches Bild – oder Kunstwerk – zu verwandeln. Feinsinniger und subversiver kann sich der dem hehren Künstlertum ‚verpflichtete’ Zeitgenosse der Antwort auf die Frage, ob Malerei oder Zeichnung heute noch aktuell genannt werden können, kaum entziehen. Wer im Gegebenen wie in allen anderen von Meisenberg aufgewirbelten Fragen an die (seine) aktuelle Kunst keine Antwort erhält, muss sich eben selbst auf den Weg machen. So wie Meisenberg seine konzeptuellen Experimente hier hinter naiver Unverdrossenheit kaschiert, jongliert er eben auch auf dem traditionsreichen Feld der klassischen Medien, ob man sie nun Malerei oder Zeichnung nennen will. what art? what mushroom? a club for dehydrated people Installationsansicht, The Shelter Köln, 2010 Courtesy Tanja Pol Galerie Seine Stoffe können von wo auch immer her kommen: aus Märchen, Bildergeschichten, Comics, Musterbüchern für Tapeten oder Zeichenschulen, Lexika für Naturkundler, Hobbybotaniker oder Kunstsachverständige mit und ohne Bilderstrecken. Was sie für den Künstler tauglich macht, ist die ihnen durch allerhand normativen Verschleiß gewachsene Flexibilität in Sachen Grenzüberschreitung zwischen kultureller Größe und alltäglicher Banalisierung, Verführung und Enttäuschung, Wirklichkeit und Fiktion. In Meisenbergs ‚meltingpot’ befindet sich hinsichtlich der vorgeführten Details kaum eine unbekannte Größe. Und da der Wiedererkennungseffekt auch in der Kunst zu den beliebten Größen zählt und die Frage der Innovation seit den 1970er Jahren allenfalls von Kunstmarkt-tauglicher Relevanz ist, lassen sich die unproblematischen Bekannten umso hintergründiger in einem Spiel auf der Leinwand einsetzen, dessen Regeln der Spielleiter von Fall zu Fall – wenn er sie nicht gleich über den Haufen wirft – umdeuten kann. Konnten frühere Generationen noch klar definierbare Schlachten über Abstraktion und Figu15 ration, Expression und Konstruktion, Emotion und Ratio austragen, schlüpfen Meisenbergs Ingredienzien wie Zauberstücke oder Simulanten ungeniert unter den Radarschild der Frontwächter, tauchen dort auf wo sie keiner erwartet, und zünden dort ein Feuerwerk, das nach allen Regeln der Kunst verführt und – die eingefahrenen Seh- und Denkweisen nicht nur in Sachen Kunst pulverisiert. Welches „System” sich 2010 hinter dem labilen Raumgefüge aus aufgehängten Leinwänden für die oben genannten Videoarbeiten verbirgt, ob Farbfeldabstraktion oder das allseits umstrittene Erfassen digitaler Fingerprints, ist ebenso subversiv unentschieden wie die Antwort auf die Frage, ob es dem Künstlerfinger gelingen kann, das in der von ihm entworfenen Sprechblase platzierte ‚Konzept’ des „universe” von 2008 in eine „Cosmic experience”, 2008, zu überführen. Sicher ist jedenfalls, dass Meisenbergs künstlerische Strategien spielerischer Subversion des Vertrauten in sinnliche wie gedankliche Turbulenzen von erheblichem Mehrwert stürzen, erst recht dann, wenn er das ‚Risiko’ eingeht, in seinem wunderbaren ‚Bilderbuch’ mit dem gemein schönen Titel „if you stare on this painting for 72 hours you will loose 4.5 pounds”, 2009, zu blättern. Die Jury Dr. Stefanie Kreuzer Dr. Annelie Pohlen Prof. Christopher Williams Aus der Serie sunday evening carnival 212 x 230cm, Öl auf Leinwand ohne Keilrahmen, 2010 Courtesy Tanja Pol Galerie 17 16 the artist as a model of change the artist as a young clown Installationsansichten der Ausstellung Tanja Pol Galerie, München, 2009 Courtesy Tanja Pol Galerie Florian Meisenberg Himmelgeisterstr.107e 40225 Düsseldorf [email protected] http://howtobecomefriendwithafly.blogspot.com Vita 1980 geboren in Berlin /// 2002 Diplom Mediendesign /// 2004 - 2010 Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Peter Doig /// seit 2010 Weltmeisterschüler von Peter Doig 18 links: to sacrify the total labour for a mouthful absurd Dokumentation loop 48 min, 2009 Courtesy Tanja Pol Galerie rechts: rejected application for a professorship at the academy of professional impressionism Dokumentation loop 12 min, 2009 Courtesy Tanja Pol Galerie Einzelausstellungen 2006 „Disadvantage Agassi”, Villa de Bank, Enschede (Kat.) 2008 „turn your bedroom life into a vulcano of pleasure”, Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen (Kat.) 2009 „the artist as a model of change” „the artist as a young clown”, Tanja Pol Galerie, München 2010 „what art? what mushroom? a club for dehydrated people” mit Christoph Lohmann, The Shelter, Köln „frustration everywhere! scientists found out that art is just another hobby!“, Tanzschule Projects, mit C. Lohmann, München 2011 Kate MacGarry, London Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen (Kat.) Gruppenausstellungen 2005 „Copy your Idol”, Kunsthalle Berlin Pankow (Kat.) „Kleines Affektchen 3”, Performance/Video-Event, Museum Kunst Palast, Düsseldorf Rundgang Kunstakademie Düsseldorf, 2010 Installationsansicht 2-Kanal-Monitorinstallation Courtesy Tanja Pol Galerie 2006 „Special Effects”, American Apparel, Frankfurt „The Courtesy of Thorsten Eyer”, Ballhaus Ost, Berlin „Aus der Mitte entspringt ein Fluss”, Sistig & Ostrowski Offene Ateliers, Köln 2007 „Regarding Düsseldorf 2”, Kunstverein 701, Düsseldorf (Kat.) 2010 „think german//new german art“, Deutsche Botschaft, London „Being Spielberg” presented by Gallery Hasen, mit Anna K.E., Schaufenster des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf „SELF CONSCIOUSNESS”, VW Veneklasen & Werner Gallery, Berlin „The birth of Gallery Hasen” beim Sommer M.O.G.G., Düsseldorf „Anna K.E. und Florian Meisenberg”, citta di bologna, Köln „Museum for....”, Die Vitrine mit Anna K.E., Düsseldorf „22x4, amor parvi oder die Liebe zum Kleinen”, Kunstverein Langenhagen „Enovos Förderpreis Junge Kunst”, Wilhelm Hack Museum, Ludwigshafen „Healthy children for a wealthy future”, Kunstcodex mit Anna K.E., Codex Partners, München Auszeichnungen 2008 „life is a funny old dog”, Galerie Tanja Pol, München 2006 Reisestipendium des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen „Untertag/11 min.”, Gloriahalle, Düsseldorf „Wahrheit ist, was uns verbindet”, Jaspersjahr, Universität Oldenburg (Kat.) „Pilot Projekt_1”, Pilotprojekt für Kunst, Düsseldorf „Mischanlage von Dr.Urlaub”, Alte Kokerei, Zeche Zollverein Essen (Kat.) „Wenn nicht für Gott, dann für wen?”, Daniel Richters Villa, Hamburg „Permanent Vacation”, mit Anna K.E., EY Artforum, Düsseldorf 2009 „paintings in the sky”, Kate MacGarry, London „me, myself and I” (Vol II), Weltraum, München 2008 „young artists on the road”, Preis des Ludwig Forums für Internationale Kunst in Aachen „Audi Art Award” für progressive Performance, für das Projekt der Gallery Hasen zusammen mit Anna K.E. 2009 Fellowship Skowhegan School of Painting & Sculpture, Maine Förderprogramm Studienstiftung des Deutschen Volkes, Bonn 2010 DAAD Jahresstipendium für Nordamerika 19 Literatur Sandra Trojan Laudatio 21 20 Sandra Trojan, 1980 in Winterberg geboren, hat seit 2004 Lyrik, Erzählungen und Essays in Zeitschriften und Jahrbüchern publiziert. In ihrem ersten Gedichtband „Um uns arm zu machen“ (2009) zeigt sie sich als eine sehr reflektierte Poetin, die ein breites Spektrum von Formen beherrscht. Ihr vordringliches Thema ist das Verhältnis des Subjekts zur Natur, auf welche nicht selten ein kühl analytischer Blick fällt. Die Dinge und Wesen erscheinen in ihrer sinnlichen Qualität und zugleich in der Distanz naturwissenschaftlicher Terminologie. Spiegelbildlich wird das Subjekt als beseeltes wie als Objekt nüchtern anthropoloigscher Betrachtung erfahrbar. Die Texte sind durchweht von der unerfüllbaren Senhsucht, die Dinge sprechen zu machen, umso sicherer verwandelt sich das Sichtbare in der Verfahrensweise Sandra Trojans in oft eigentümlich opake Sinnbilder der Naturentfremdung. Ohne Sentimentalität, manchmal sogar komisch sprechen die Texte vom Menschen als einem der Natur schmerzhaft entwachsenen Mängelwesen, das sich nur ungern an seine Begrenzungen erinnern lässt. Vielfach verweisen die Texte auf die Mythologie, nicht selten in vergnüglichem Gegensinn. So wird Eurydike Glück zugeschrieben: „Ihr Gatte dreht sich / nach ihr und sie ist frei.“ Feingesponnene Anspielungen auf die Geschichte der Naturlyrik von T.S. Eliot über William Butler Yeats und Goethe bis zurück zu Ovid signieren Sandra Trojans Gedichte als Entzifferungen eines hellwachen Bewusstseins und einer Subjektivität, die ihre bestimmte Form selbst einem Traditionszusammenhang verdankt. So sind diese Gedichte nicht nur Ausdruck persönlicher Befindlichkeit, sondern auch Medium bedingten Wissens, Probe auf die Wahrnehmungsmöglichkeiten des Menschen. Umso schärfer ermessen die Texte im Blick auf die (heimische) Landschaft die Momente des Flüchtigen und Unwiederbringlichen: „fern / bergab liegt mir die Kindheit. Bloß vermissen / kann ich die Pfade noch“. Bei aller Belesenheit gelingen der Autorin immer wieder Verse, die in ihrer beinahe volksliedhaften Schlichtheit das Transitorische der menschlichen Existenz umso eindringlicher vor Augen führen: „Zieh weiter / braune Schwalbe / komm zur Ruh“. Mit Sandra Trojan wird eine für ihr Alter erstaunlich vielfältige und stilsichere Lyrikerin ausgezeichnet, die zweifellos in Zukunft verstärkt wahrgenommen werden wird. Die Jury Prof. Dr. Friedmar Apel Anne Linsel Dr. Lothar Schröder 22 23 Sandra Trojan Endersstraße 75 04177 Leipzig [email protected] www.poetenladen.de/sandra-trojan.htm Vita Geboren 1980 in Winterberg. /// Studium der Amerikanistik, Journalistik und Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft in Leipzig, anschließend am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. /// Sandra Trojan lebt in Leipzig, arbeitet als Autorin und Übersetzerin und unterrichtet kreatives Schreiben an Schulen. /// 2009 erschien ihr Lyrik-Debüt „Um uns arm zu machen“. 24 Veröffentlichungen 2004 „Linoleum“, Erzählung. In: Tippgemeinschaft, Jahresanthologie der Studenten des Deutschen Literaturinstituts „Lazarus und Eurydike“, Gedicht. In: Tippgemeinschaft, Jahresanthologie der Studenten des Deutschen Literaturinstituts „Deine Hose“, Gedicht. In: Tippgemeinschaft, Jahresanthologie der Studenten des Deutschen Literaturinstituts 2008 „Hausszene III“, Gedicht. In: Lyrikkalender des Deutschlandradios 2008, Verlag Das Wunderhorn 2009 „Um uns arm zu machen“, Gedichte. Poetenladen Verlag (Einzeltitel) „Um uns arm zu machen“, Gedicht. In: BELLA triste Nr. 20 „Wenn ich in Bienen spreche“, Gedicht. In: So hält mich die Sehnsucht – 100 Gedichte von Frauen, Aufbau Verlag „Wachposten“, Gedicht. In: . In: BELLA triste Nr. 20 „Bergfreiheit III“, Gedicht. In: BELLA triste Nr. 20 „Contortio“, Gedicht. In: BELLA triste Nr. 20 „Prinzessinnentanz“, Gedicht. In: BELLA triste Nr. 20 „Ich hab dich“, Gedicht. In: BELLA triste Nr. 20 „Wurzeln“, Gedicht. In: BELLA triste Nr. 20 2007 Ohne Titel, Gedicht. In: Jahrbuch der Lyrik 2007, S. Fischer Verlag „Hausszene III“, Gedicht. In: Jahrbuch der Lyrik 2007, S. Fischer Verlag „Zeitungsjunge“, Erzählung. In: Eisfischen – Das Beste aus dem MDR-Literaturwettbewerb, Mitteldeutscher Verlag „Zeitungsjunge“, Erzählung. In: DUM – das ultimative Magazin „Hausszene I-III“, Gedicht. In: Poet Nr. 4 „Juliana“, Gedicht. In: Poet Nr. 4 „Genesis“, Gedicht. In: Poet Nr. 4 „Wenn ich in Bienen spreche“, Gedicht. In: Poet Nr. 4 „Bergfreiheit III“, Gedicht. In: Die ZEIT „Da fängt die metrische Praxis an, sich selbst zu fressen“, Essay. In: BELLA triste Nr. 21 „Wachposten“, Gedicht. In: Geruch von Feuer – 17 deutsche Dichterinnen und Dichter, Verlag im Wald „Bergfreiheit III“, Gedicht. In: Geruch von Feuer – 17 deutsche Dichterinnen und Dichter, Verlag im Wald „Genesis“, Gedicht. In: Geruch von Feuer – 17 deutsche Dichterinnen und Dichter, Verlag im Wald „Wurzeln“, Gedicht. In: Geruch von Feuer – 17 deutsche Dichterinnen und Dichter, Verlag im Wald „Hausszene III“, Gedicht. In: Lyrik von JETZT zwei, Berlin Verlag „Ich hab dich“, Gedicht. In: Lyrik von JETZT zwei, Berlin Verlag „Wenn ich in Bienen spreche“, Gedicht. In: Lyrik von JETZT zwei, Berlin Verlag Ohne Titel, Gedicht. In: Lyrik von JETZT zwei, Berlin Verlag „Camerons Enzyklopädie“, Erzählung. In: Club der jungen Götter – Geschichten über die Gesellschaft von morgen, Verlag Zweitausendundeins 2010 „Wenn ich in Bienen spreche“, Gedicht. In: Lyrikkalender des Deutschlandradios 2010, Verlag Das Wunderhorn „Und wo wohl mein Regenschirm ist“, Erzählung. In: MDR-Literaturwettbewerb 2010 – Die besten Geschichten, Rotbuch Verlag 25 Literatur Thomas Pletzinger Laudatio 27 26 Am Anfang steht ein Auftrag, und den Auftrag erteilt die Chefredakteurin. Und der, der ihn entgegennimmt, ist ihr Ehemann: Daniel Mandelkern, studierter Ethnologe, freier Kulturjournalist, einer, der schreibt, „wenn die Dinge kompliziert werden“. Diesmal aber scheint alles recht einfach zu sein: 16.000 Zeichen sind – sehr behutsam gesprochen – erwünscht für das Porträt des erfolgreichen Kinderbuchautors Dirk Svensson; der lebt zurückgezogen am Luganer See. Also wieder eine Schreiber- und Schriftstellergeschichte! Typisch für ein Debüt, könnte man rufen, bis man nach wenigen Seiten schnell verstummt. Denn Thomas Pletzingers Roman „Bestattung eines Hundes“ hat die halbe Welt geschluckt und mit ihr Geschichten über die Liebe und das Sterben, das Schreiben und das Verstummen, über das Leben und die Lust. Im alten Haus am Luganer See treffen all die Geschichten geheimnisvoll zusammen, über Svensson, der nicht einmal im Tischtennis verlieren kann, über die schöne Tuuli, über den alten und bald sterbenden Schäferhund, der einmal dem gefürchteten brasilianischen Polizisten Santos gehörte und dem Tuuli wegen einer Schussverletzung ein Bein amputieren musste. Mit dem verlustig gegangenen Gliedmaß schrumpfte auch der Name des Hundes: aus Lula wurde Lua. Und wer ist Felix Blaumeister, und warum ist der vor drei Jahren gestorben? Wir ahnen, dass das bestellte Porträt unmöglich wird und der Ich-Erzähler schnell selbst in die Geschichten verstrickt wird. Mandelkern findet Svenssons autobiografisches „Astroland“-Manuskript über eine Dreieckbeziehung; er bemerkt, dass der Lebenslauf des Autors wie sein eigener klingt; er registriert, dass er selbst in das Manuskript hineingeraten ist und dass alles, was er schreibt, über kurz oder lang mit ihm zu tun hat. Eine vielfach gebrochene Spiegelgeschichte? Man muss sich auf dieses Spiel, das der 1975 in Münster geborene Pletzinger so kunstvoll und souverän und mit einer immer authentisch wirkenden Sprache treibt, nicht einlassen. Aber man versäumt als Leser dann natürlich einiges. Nehmen wir lieber Svensson sehr ernst, und auch Mandelkern, und auch Pletzinger – so dass am Ende auch wir als Leser Teil der Geschichte werden und sind. Die Jury Prof. Dr. Friedmar Apel Anne Linsel Dr. Lothar Schröder Bruck am Boden singt so leise wie Monk spielt. 28 Ihr Weiß wühlt ihn um. Auf dem Namensschild steht ihr Name, Marta, sie bringt ein Tablett, darauf ein Teller mit zwei Scheiben Graubrot samt abgepackter Butter. Sagen sie, Marta, sagt Bruck, ob man an so einem Tag nicht nüchtern bleiben sollte, und blickt ihr aus den Augenwinkeln auf den Arsch, wer hat sich denn so einen Arsch ausgedacht, denkt Bruck, in meinen kühnsten Träumen würde ich mir so einen gewagten Arsch nicht ausmalen können, denkt Bruck, und Marta geht am Bett vorbei und zieht die Vorhänge zu, obwohl es erst sieben Uhr abends ist. So, Herr Bruck, sagt Marta und greift an seine Hüfte, dann machen wir mal den Zucker. Im siebenundzwanzigsten Stock der Charité mit Fenster nach Westen denkt Bruck, warum macht die Dame die Vorhänge zu, wenn die Sonne noch über den Dächern lauert? Und ist das Graubrot ein logistischer Fehler, geht es hier nicht um Nüchternheit? Marta misst den Blutzucker, Bruck langweilt das, er merkt das kurze Stechen gar nicht mehr. Bei dem Wort „nüchtern“ denkt Bruck an die Lobby des Soho Grand Hotel nach Helens letzter Ausstellung in New York 1996, Schwarzweißbilder und Mineralwasser, bei nüchtern denkt Bruck an den Treptower Park im Januar 1992, das angefrorene Spreewasser und sein Atem stoßweise in Wolken, wie er durch den Osten rannte, als hier noch niemand laufen ging, nur die verrückten Amerikaner, bei nüchtern denkt Bruck auch an jedes zweite Bier nach dem ersten, dann ist nüchtern nämlich vorbei, dann fängt die Seligkeit an. Dieser Arsch, denkt Bruck, ist barock und bei dem Wort „barock“ denkt Bruck sicherlich nicht an zwei Scheiben Graubrot auf einem hellgrauen Tablett samt abgepackter Butter. Marta hantiert mit den Gerätschaften, greift Bruck wieder an die Hüfte, er drückt den Rücken durch. Marta duftet entfernt nach Helens Parfüm, denkt Bruck und spannt die Bauchmuskeln an. Das, was davon übrig ist, denkt Bruck. Immer denkt Bruck an Helen, sieht Marta nicht ein wenig aus wie Helen? Dieser Arsch? Machen wir uns keine Sorgen, Herr Bruck, sagt Marta, und ihr Weiß und ihr Arsch wühlen Bruck um, machen wir uns keine Sorgen, sagt sie, am Vorabend solcher Eingriffe gibt es hier nur leichte Kost. Als die Tür hinter Marta ins Schloss fällt, denkt Bruck, solche Eingriffe! und sieht an sich herab. Seinen Fuß kann er unter der Bettdecke erkennen, er kann ihn sogar bewegen. Tamm tamm tamm, summt Bruck und der Fuß und das Bein wippen im Takt dazu. Kann man bei einer Amputation von Eingriff sprechen, Schwester Marta, fragt sich Bruck, darf man das? Muss man da nicht eher von einem Lebensabschnitt sprechen, fragt sich Bruck und lacht laut in sein Einzelzimmer. Im Fernsehen läuft ein Film, der wahrscheinlich in Rom spielt. Bruck hört sein Lachen im Zimmer verebben. Bruck greift zum Nachttisch, holt eine kleine Flasche Sliwowitz heraus und trinkt. Zucker ist Zucker, denkt Bruck, und Schnaps ist Schnaps. Seit wann ist denn Rom eine Kulisse? Wie heißt denn dieser Film? Muss man eine Stadt verlassen, wenn sie zur Kulisse verkommt? Bruck hat Prag 1968 zu Fuß verlassen, als die Stadt zur Kulisse verkam. Die zweitausend Worte hat Bruck unterschrieben, Helen und die Kinder waren schon in Berlin, Bruck warf noch zwei, vielleicht fünf Steine, nahm dann heldenhaft zehn, vielleicht vierzig Knüppelhiebe und rannte im Dunkel der Augustnacht aus der Stadt hinaus. Dubček Dubček Dubček! Das Blut trug er im Gesicht spazieren. Bruck wartet eine Sekunde und denkt, die Vorhänge schlucken ja sämtliches Lachen und dahinter geht die Sonne unter. Aber was wäre passender für das Ende eines Lebensabschnitts, denkt Bruck und sieht wieder an sich herab. Er bewegt sein rechtes Bein und sieht zu, wie die Bettdecke sich bewegt. Schmerzen hat er keine. Bruck fragt sich, woran das liegen mag, liegt das vielleicht an den Tabletten? Ein Lebensabschnitt geht zu Ende, denkt Bruck und schlägt die Bettdecke mit einer schnellen Bewegung zur Seite, da muss noch mal die Sonne drauf. Den Sliwowitz legt er zurück in die Schublade. Bei dem Wort „Sonne“ denkt Bruck an seinen Prager Schreibtisch an der Široká, 1954, an das Klappern der Hufe über die Pflastersteine des Judenviertels und das Knattern der Mopeds. Pferdehufe! Wie die Sonne in Scheiben ins Zimmer kam, wie der Winkel stimmte! Wie Helen morgens aus dem Dachfenster sah! Wie sie mit Blick auf den Friedhof die zwei Kinder zeugten, Thelonious Monk auf dem Plattenspieler! Helens geöffneter Mund über ihm, wie er sie kommen sehen wollte! Wie das Herz in seinem Hals schlug, wie er sie liebte! Bruck lacht schweigend, diesmal nur mit dem Gesicht, mit seinen stechenden Augen, mit seiner jüdischen Nase, mit seinen slawischen Lippen. Bruck sitzt mit dem Gesicht zum Charité-Vorhang auf der Bettkante, der Vorhang leuchtet orange im Berliner Sonnenuntergang und Bruck steht auf und geht los. Welch ein Chuzpenik! denkt Bruck, lacht und hangelt sich am Charité-Sitzensemble entlang zum Fenster. Keinerlei Schmerzen, denkt Bruck, wie wundersam. Multi-Morbidität, denkt Bruck, nicht mit Franz Bruck! Nicht mit mir! Wie biegsam und federnd Bruck am Seine-Ufer lief, am East River rannte, am Moldauufer, an der Spree! Nicht mit dem elastischen Bruck, der Faustgefahr der Lower East Side 1942! Als er am Vorhang ankommt, greift Bruck in den groben Stoff und lässt das Sitzensemble links liegen. Er hält an und atmet durch. Zu hoher Blutdruck, denkt Bruck, zum Teufel mit zu hohem Blutdruck! Nicht mit Bruck, dem schnellsten Läufer der Bowery, nicht mit dem Gewichtheber Bruck, nicht mit 300-LiegestützBruck! Er zieht den Vorhang zur Seite und merkt dann, wie sein rechtes Bein leise nachgibt, wie seine Faustgefahrenfaust sich nachdrücklich festgreift, wie er dann samt Bein und Vorhang leise zwischen Charité-Sitzgruppe und Fensterscheibe zu Boden gleitet, dazu das Geräusch der abspringenden Gardinenhaken. Dann liegt Bruck auf dem Boden und lacht laut, denn der Vorhang, der sein Lachen schlucken könnte, liegt jetzt unter ihm. Dass ihn niemand gesehen hat, ist gut, denkt Bruck, denn Eleganz ist etwas völlig anderes. Als die Sonne über Berlin untergeht und das einzige Licht im Zimmer der Fernseher ist, fällt Bruck der Name des Films ein, vielleicht war es Roman Holiday mit Audrey Hepburn, worauf er denkt, dass auch Audrey Hepburn ein nüchternes Gesicht hatte, Roman Holiday allerdings ein typischer Sonntagnachmittagfilm ist, öffnet sich die Tür und Marta kommt, um das Tablett zu holen. Bruck sieht ihre Beine auf der anderen Seite des Betts, ist sie barfuß, ist sie wirklich barfuß, fragt sich Bruck. Sind ihre Beine wirklich so glatt rasiert? Marta ist wirklich barfuß, was an diesem Ort sicherlich ein Dienstvergehen ist, in der legendären Charité! Aber darüber will Bruck hinwegsehen, denn schöne Füße hat sie, die Dame, diese Zehen, dieser Lack! Marta, Schwester Marta, bemerkt Bruck, steht neben seinem Bett in seinem Einzelzimmer und Bruck sieht ihre Zehen! Marta steht dort, schaltet den Fernseher aus und bemerkt, das Bruck und der Vorhang verschwunden sind. Marta knipst die Nachttischlampe an und fragt, Herr Bruck? Aber Bruck liegt äußerst zufrieden auf dem Rücken zwischen Bett, Sitzensemble und Fenster, auf den Vorhang gebettet singt er leise vor sich hin. Er singt In My Solitude, so leise wie Thelonious Monk es spielt. In My Solitude! Monk! Dadidadadi! Ellington! Hypercholesterinämie? Nicht mit Franz Bruck, dem eindrucksvollen Gentleman vor Minton’s Playhouse 1946! Nicht mit dem einzigen weißen Türsteher in Harlem! Bruck klopft den Takt, sein Bein klopft den Takt, als Marta das Summen hört und Bruck entdeckt. Nicht mit Franz Bruck, red suited Mr. Brook mit der Feder am Hut! Aber Herr Bruck, was machen wir denn da, fragt Marta, drückt einen Knopf, eilt um das Fußende herum und legt Bruck den Zeigefinger an das Handgelenk. Bruck zieht die Luft durch die Nase, als Marta seinen Kopf in ihre Hände nimmt, er riecht ihr Parfüm und ihren leichten, ganz leichten Schweiß. Haben wir Angst, Herr Bruck, fragt sie, brauchen wir nicht haben, brauchen wir nicht, flüstert sie, ein rotes Licht über dem Eingang leuchtet in Brucks dunkles Einzelzimmer, In My Solitude, summt Bruck, In My Solitude. Marta kniet neben Bruck, legt den Zeigefinger an sein Handgelenk, Herr Bruck, Herr Bruck, sagt sie, was machen wir denn mit Ihnen? Ist da Tadel in ihrer Stimme? Ihr Weiß, ihr Schweiß und ihr Arsch wühlen Bruck um. Diese Nägel, dieser zarte Lack! Bruck spürt sein Herz schneller schlagen und auch Marta, jetzt mit dem Zeigefinger an Brucks Hals gleich unter dem Kinn, wird nervös. Zu Bruck sagt sie, ruhig, ruhig und dann lauter und Richtung Tür, schnell, schnell. Das rote Licht erlischt, die Neonröhren in Brucks Einzelzimmer gehen an und blenden Bruck, zwei Männer beugen sich über ihn, ihre Schuhe quietschen auf dem Linoleum, einer in grün, der andere in einem Weiß, das Bruck beruhigt. KHKPatient, fragt der Weiße und das kennt Bruck aus seiner Akte: koronare Herzkrankheit. Vielleicht nickt Marta mit Brucks Kopf in den Händen während die beiden ihm ein kaltes Stethoskop aufdrücken und eine Manschette um den Arm pumpen. KHK, denkt Bruck und merkt, wie sich sein Herz beruhigt, nicht mit mir! Nicht mit Pferdelunge Bruck, der noch im Winter 1972 um die Pferderennbahn Karlshorst lief, 29 Thomas Pletzinger adler & söhne literatur Senefelderstr. 31 10437 Berlin www.thomaspletzinger.de 30 um den Kopf durchzupusten! Niemand sonst lief zu dieser Zeit wie Bruck! Bruck schließt die Augen. Ein klarer Kopf für die Bücher über Monk und Sonny Rollins, für die eigenen Bücher, für die Kinder. Wie Helen mit dem Fahrrad neben Bruck fuhr und sang! Wie die Beine schmerzten! Wie Helen in die Pedale trat, wie Bruck keuchte, wie Bruck in Helens Atelier dampfte! How we made love on the living room floor! Nix, sagt der Weiße und packt das Stethoskop ein. Dann wieder hoch damit, sagt der Grüne. Die beiden Männer heben Bruck vom Boden auf und verfrachten ihn auf das Bett. Sie verstauen mich, denkt Bruck plötzlich, aber nicht mit mir, nicht mit dem blauäugigen Taschendieb Franz Bruck am Montmartre 1936, mich kriegt keiner, ich renne schneller als jeder Bestohlene, ich renne schneller als jeder Polizist, ich renne schneller als jeder Deutsche! Marta hebt den Vorhang auf, faltet ihn und legt ihn auf den Stuhl. Wie er eine Woche lang Brieftaschen klaute und sich dann eine Mütze und Orangen kaufte. Wie diese Orangen schmeckten! Wie sein Vater das Geld nahm, ihn schimpfte und schalt und gleichzeitig lachte! Bruck sieht den Männern zu, während sie seine Beine unter der Decke verstauen und rechts und links von ihm lackierte Metallgitter ans Bett stecken. Bruck schließt die Augen. Ganz schön dünn, sagt der eine, ganz schön leicht für die Größe. Diabetes ist ja auch kein Zuckerschlecken, sagt der andere, worauf der erste sagt, so einen Bart hat der Witz. Nicht mit mir, denkt Bruck, nicht mit dem Schiffsjungen Bruck im Hafen von Lissabon 1939, die Pässe eingenäht, die Schwester auf dem Koffer am Kai, die Eltern weiß der Himmel wo. Der Vater war ein feiner Mann! Wie Bruck der Schwester eine Zuckerstange kaufte, damit sie still war. Wie er am zweiten Abend an Bord die Geige spielen musste, spiel Junge spiel! Tagsüber half er dem Koch, welch eine Bullenhitze! Das Fett auslassen, die Kartoffeln schälen, immer mit dem gleichen stumpfen Messer! Polka! Walzer! Diabetes, denkt Bruck, das habe ich nicht verdient, das hat der Vater mir angehängt. Die Männer verstauen immer noch Brucks Beine, rechts oder links, fragt der eine und der andere sagt, früher oder später müssen sowieso beide. Bruck denkt, reden die über mich? Lachen die über mich? Über den Geigenschüler Bruck sonntags im Hotel Imperial? Wenn der Vater zum Tanz aufspielte? Polka! Walzer! Wie Geigenschüler Bruck den Takt der Musik mit den Beinen tippte und die vorbeifahrende Straßenbahn in den Beinen fühlte, wie er zur Zugabe auf die Bühne sprang! Das Duett von Vater und Sohn, beide im Gleichtakt tippend, fiedelnd, pfeifend! Der Geigenschüler Bruck, das Wunderkind Bruck, der Kaffee mit Milch und Zucker zur Belohung für Franz Bruck, sieben Jahre alt, sonntags in Prag 1932! Vom Vater den Zucker und die Geige, von der Mutter die jüdische Nase – was für ein Erbe! Die Männer haben die Beine fertig verstaut, zack und ab, sagt der eine. Leise, leise, sagt Marta. Herr Bruck? Schlafen sie? Bruck macht die Augen auf, wie redet ihr eigentlich mit mir, verdammt noch mal, fragt er, verdammt noch mal! Die Männer verlassen Brucks Zimmer. Ihre Schuhe quietschen auf dem Linoleum. Marta legt den Vorhang vom Stuhl auf den Tisch. Bruck sieht aus den Augenwinkeln zu Marta und denkt an Helen, Bruck denkt so oft an Helen und an Helens Arsch, denn der wühlte ihn noch ganz anders um, der pflügte ihn um, will Bruck sagen, aber Marta beugt sich zu ihm, Herr Bruck, sind sie panisch? Wollen Sie schlafen? Oder nicht? Helen in New York, Helen in Prag, Helen in Berlin. Wie sie spazierten, wie sie liefen, wie sie rannten! Und Bruck macht den Mund auf und nimmt die Tabletten, die Marta ihm hinhält. In seinem Mund spielt Bruck mit den Tabletten, sie schmecken süß, sie schmecken lackiert! Bruck sieht an sich herunter und bewegt sein Bein. Sein Bein, sein Fuß, der Sand zwischen den Zehen an den Flüssen, die Splitter in den Füßen auf den Bohlen, die Blasen in den Schuhen in den Städten, die gelaufenen Meilen, die getippten Takte, die gestiegenen Stufen, die löchrigen Socken, die ledernen Schuhe! Bruck bewegt sein Bein, der Fuß bewegt sich mit, der brandige Zeh, das brandige Bein, der brandige Schenkel, denkt Bruck, zack und ab! Bruck ist erleichtert. Liegt das an seiner Chuzpe? Liegt das an den Tabletten? Keine Angst, Herr Bruck, sagt Marta und reicht ihm ein Glas mit Wasser, so ein Eingriff ist der schnellste Eingriff überhaupt, sagt Marta, berührt seine Schulter und verlässt Brucks Einzelzimmer über den Dächern von Berlin. Und Bruck nimmt noch einen Schluck Sliwowitz, schließt die Schublade und summt In My Solitude, wie Monk, wie Ellington, wie Helen, wie damals, wie immer, wie Bruck. Vita Thomas Pletzinger wurde 1975 in Münster geboren, wuchs in Hagen auf und absolvierte ein Studium der Amerikanistik in Hamburg. /// Dort und in New York arbeitete er für Buchverlage und Literaturagenturen. /// Nach einem zweiten Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig lebt er nun in Berlin, wo er gemeinsam mit Saša Stanišić und Tilman Rammstedt das Literaturatelier adler & söhne betreibt. /// Pletzinger arbeitet als Roman-, Drehbuchautor und Übersetzer. /// Sein viel beachtetes Romandebüt „Bestattung eines Hundes“ wurde mit renommierten Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschien seine Übersetzung der Texte des amerikanischen Dichters Gerald Stern „Alles brennt“. Veröffentlichungen (Auswahl) 2005 „Capoeira mit Heckler & Koch und sind nicht Heringe Kaltwasserfische?“. In: BELLA triste Nr. 12, Hildesheim 2006 „Bruck“. In: Eisfischen, Leipzig: mdv „Die ersten Toten“. In: sprachgebunden, Köln/Berlin 2007 „Wer genau ist Daniel Mandelkern?“. In: EDIT, Berlin/Leipzig „Unbekannter Künstler, Shitty Paradise City, 2001 (75 x 45, Öl auf Leinwand)“. In: LICHTUNGEN, Graz „The Bull in the China Shop“ und „Justus Jonas schleicht voran“. In: sprachgebunden, Köln/Berlin „Fiedler fröhlicher Wandersmann, Fiedler Schweineschlächter“. In: Zornesrot, Leipzig: mdv 2008 „Bestattung eines Hundes“, Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln „The King of No“. In: Signale aus der Bleecker Street 3, Göttingen: Wallstein „Körper und Papier – vom Ringen mit einem unfertigen Buch“. In: BELLA triste Nr. 18, Hildesheim „Die katholischen Freunde“. In: Macondo, Bochum „Granaten bei Vejle“. In: Gute Vorsätze, schlechtes Karma, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2009 „Paris Syndrom“ und „82nd Street Jackson Heights“. In: licht schreiben, Köln: Literaturhaus Köln „Die langsame Entfernung“. In: Rebecca Wilton. Häuser & Paläste, Leipzig: Dogenhaus Galerie 2010 „Alles brennt“ – Gerald Sterns Gedichte (Herausgeberschaft, Übersetzung und Nachwort). Berlin: Matthes & Seitz „Death Valley. Disneyland. Death Valley“. In: Deutschland 2089, München: Random House/Bayrischer Rundfunk Auszeichnungen 2005 Gewinner Prosanova-Literaturwettbewerb 2006 MDR-Literaturpreis Stipendiat beim International Writing Program der University of Iowa Stipendium im Edith-Stein-Haus in Wroclaw/Polen Werkstattstipendium der Jürgen-Ponto-Stiftung 2007 Förderpreis zum Rheinischen Kulturpreis Writer-in-Residence an der Privatuniversität Witten/Herdecke 2008 Debütpreis des Literaturladens Wist („Kleiner Hei“) „Quality for Life“. In: Dänen lügen nicht, München: Piper 2009 Uwe-Johnson-Förderpreis „Die Coladose erzählt von dem der sie austrank“ und „Weizen, Gerste, Hafer“. In: treffen – BELLA triste, Hildesheim Writer-in-Residence, Deutsches Haus New York University 2010 Writer-in-Residence am Grinnell College, Iowa 31 Musik Amaryllis Quartett Laudatio 32 Foto: Tobias Wirth Junge Kammermusik-Ensembles stehen regelmäßig vor dem Problem, dass ihre Mitglieder zumeist parallel eine Solokarriere anstreben – ein Konflikt, der im Ergebnis leider früher oder später zur Auflösung der Formation führt. In der Tat sind die ersten Schritte zu einem nationalen oder internationalen Erfolg gerade für Kammermusikgruppen besonders schwierig – nicht nur aus dem genannten Grund. Deshalb ist die Förderung von Kammermusik ein Anliegen, das eines besonders nachhaltigen Engagements bedarf. Umso mehr darf man sich freuen, wenn es doch immer wieder einzelnen Trios oder Quartetten gelingt, die anfänglichen Hürden zu überwinden und sich eine künstlerische und auch wirtschaftliche Existenz durch das gemeinsame Spiel zu erarbeiten. Das Amaryllis Quartett spielt regelmäßig in Konzertreihen und auf Festivals in Deutschland und dem europäischen Ausland. Exemplarisch seien Auftritte in der Stuttgarter Liederhalle und beim Lucerne Festival, Konzerte beim NDR, beim Festival „MecklenburgVorpommern“ und bei der Società del Quartetto di Milano genannt. Beim Südwestdeutschen Rundfunk trat das Amaryllis Quartett in der Sendereihe „50 Meisterwerke“ auf, wo es zusammen mit Walter Levin Weberns „Fünf Stücke für Streichquartett op. 5“ vorstellte. Insbesondere seit der Aufnahme des Studiums in Köln ist das Amaryllis-Quartett regelmäßig in Nordrhein-Westfalen zu hören, im letzten Jahr unter 33 anderem in Detmold, Coesfeld, Köln, Bielefeld, Münster, Bad Oeynhausen und Monheim. Zu diesen jungen Formationen zählt zweifellos das Amaryllis Quartett. Es wurde von Walter Levin, dem Primarius des LaSalle Quartetts, in Basel und vom Alban Berg Quartett in Köln ausgebildet. Seine Mitglieder sind: Gustav Frielinghaus (Jg. 1978), 1. Violine, Lena Wirth (Jg. 1983), 2. Violine, Lena Eckels (Jg. 1982), Viola, Yves Sandoz (Jg. 1980), Violoncello. Im April 2005 gewann das Amaryllis Quartett den 1. Preis beim Internationalen „Charles Hennen Concours“ in den Niederlanden. 2009 war das Quartett Preisträger beim Internationalen Schubert-Wettbewerb in Graz. Im gleichen Jahr gewann es ein Stipendium des Deutschen Musikrates, aufgrund dessen es in der Saison 2010/11 in ganz Deutschland in der Reihe „Konzerte junger Künstler“ zu hören sein wird. Das Amaryllis Quartett sucht eine besondere Herausforderung in der Gestaltung von Programmen, die im Spannungsfeld zwischen den klassischen Streichquartett-Kompositionen und den Werken der Neuen Wiener Schule um Arnold Schönberg stehen. Programme mit dieser Leitidee gestaltete das Quartett u.a. bei der Biennale Bern und beim Internationalen Beethovenfest in Bonn. Die Wiederentdeckung heute vergessener Meisterwerke ist ein weiteres wichtiges Anliegen des jungen Quartetts, so etwa jene des ungarischen Komponisten und BartókSchülers Géza Frid, dessen Streichquartette es 2008 als Weltersteinspielung veröffentlicht hat. Aber auch für die Zeitgenössische Musik setzt sich das Quartett ein und brachte u.a. Werke des Berliner Jazzcellisten und Komponisten Mathis Brun und des Esten Eino Tamberg zur Uraufführung. In den Rezensionen der Konzerte, CD- und Rundfunkaufnahmen ist zu lesen: „Das Amaryllis-Quartett begeistert mit Spielwitz, Dialogkultur und Klangintensität.“ Die Kritiker loben „Ausdrucksvermögen und sublime gestalterische Dosierungskunst“, „technische Raffinesse und perfektes Zusammenspiel“. Und so lautet die Prognose: „Sie sind nun bereit für eine große Karriere.“ Die Jury Dr. Eva Küllmer Prof. Dr. Werner Lohmann Prof. Raimund Wippermann Dr. Robert von Zahn 35 34 Foto: Bram Saeys Amaryllis Quartett Brahmsallee 37 20144 Hamburg www.amaryllis-quartett.com [email protected] Profil Das deutsch-schweizerische Amaryllis Quartett wurde von Walter Levin, dem Primarius des LaSalle Quartetts, in Basel ausgebildet und studierte von 2007 - 2009 beim Alban Berg Quartett in Köln. Derzeit vollendet das Amaryllis Quartett sein Studium bei Günter Pichler an der Escuela Superior de Musica Reina Sofia in Madrid. /// Seine Mitglieder sind Gustav Frielinghaus (geboren 1978 in Hamburg), 1. Violine, Lena Wirth (geboren 1983 in Schwetzingen), 2. Violine, Lena Eckels (geboren 1982 in Detmold), Viola, und Yves Sandoz (geboren 1980 in Solothurn, Schweiz), Violoncello. /// Das Amaryllis Quartett sucht eine besondere Herausforderung in der Gestaltung von Programmen, die im Spannungsfeld zwischen den klassischen Streichquartett-Kompositionen und den Werken der Neuen Wiener Schule um Arnold Schönberg stehen. Die Wiederentdeckung heute vergessener Meisterwerke ist ein weiteres wichtiges Anliegen des jungen Quartetts. /// Das Amaryllis Quartett spielt regelmäßig in Konzertreihen und auf Festivals in Deutschland, der Schweiz und dem europäischen Ausland. /// Künstlerische Anregung erhielt das Amaryllis Quartett in gemeinsamen Konzerten u.a. mit Barbara Westphal, Albrecht Breuninger, Francois Benda, Dimitri Ashkenazy, Jens Peter Maintz, Patrick Demenga, Gérard Wyss und dem Schauspieler Christoph Bantzer. /// Das Amaryllis Quartett gestaltet eigene Konzertreihen in Lübeck, der Hamburger Musikhalle (Laeiszhalle) und im Konzertsaal Solothurn. 36 Foto: Bram Saeys Konzerte und Auftritte KulturGut Holzhausen Internationales Beethovenfest Bonn Bodensee-Festival WDR Musikfest Münster Festival „Mecklenburg-Vorpommern“ Lucerne Festival Società del Quartetto di Milano Schubertiade Barcelona Stuttgarter Liederhalle Tonhalle Zürich Muziekgebouw Amsterdam Südwestdeutscher Rundfunk Sendereihe „50 Meisterwerke“, Vorstellung der Fünf Stücke für Streichquartett op. 5 von Webern, zusammen mit Walter Levin Das Amaryllis Quartett mit Géza Frids Sohn Arthur und dessen Frau Irah in der Laeiszhalle – Musikhalle Hamburg, anlässlich der CD Präsentation, Juni 2008 Das Amaryllis Quartett mit seinem langjährigen Lehrer Walter Levin nach einem Konzert in Lübeck, April 2007 Für Radio Berlin Brandenburg Lecture Recitals über das zweite Streichquartett von Johannes Brahms im Wissenschaftskolleg Berlin und in der Tonhalle Zürich, mit Walter Levin 2010 Deutsche Erstaufführung des dritten Streichquartetts von Gilbert Amy Einspielungen 2008 Erste CD des Amaryllis Quartetts bei Coviello Classics: Weltersteinspielung der Streichquartette des ungarischen Komponisten und Bartók-Schülers Géza Frid 2010 Aufnahme von acht der 16 Streichquartette des SchubertZeitgenossen und Violinvirtuosen Friedrich Ernst Fesca bei cpo in Vorbereitung Auszeichnungen 2005 1. Preis „Charles Hennen Concours“ Heerlen/Niederlanden Uraufführungen 2008 Sonderpreis „Premio Paolo Borciani“ Reggio Emilia/Italien 2005 Uraufführung des Berliner Jazzcellisten und Komponisten Mathis Brun 3. Preis und Presse-Preis „TROMP“ Eindhoven/Niederlande: „Aufgrund ihres kultivierten Klangs und ihres tiefen Verständnisses dafür, was es bedeutet ein Quartett zu sein, sind sie nun bereit für eine Karriere.“ 2007 Uraufführung des Esten Eino Tamberg 2009 Uraufführung der Basler Komponistin Heidi Baader-Nobss Uraufführung des Hamburger Komponisten WolfgangAndreas Schultz 2009 3. Preis „Schubert Wettbewerb“ Graz/Österreich Stipendium des Deutschen Musikrates 37 Musik Michael Langemann Laudatio 38 Michael Langemann, in Moskau geboren, seit seinem siebten Lebensjahr in Deutschland aufgewachsen und hier bereits während seiner Schulzeit umfassend musikalisch ausgebildet, studierte von 2003 bis 2010 an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf in der Klasse von Prof. Manfred Trojahn Komposition und sammelte während dieses Studiums – durch Stipendien gefördert – bereits internationale Erfahrungen am King’s College, London, und an der Columbia University, New York. Die der Jury vorgelegten Kompositionen dokumentieren nachhaltig die Entwicklung einer eigenen musikalischen Sprache in vielfältigen Œuvres: In seinen Kompositionen für Orchester, „Lichtwende“, 2006 uraufgeführt vom Rundfunk-SinfonieOrchester Saarbrücken, und „Three Studies“, 2009 uraufgeführt vom BBC-Symphony-Orchestra, zeigt Langemann eine bemerkenswerte Souveränität im Umgang mit dem „Instrument Orchester“ – sphärische, primär klanglich orientierte Passagen stehen gleichberechtigt neben rhythmischen und motorisch geprägten, die verschiedenen Instrumentengruppen eines großen Sinfonieorchesters werden zu farbenreichen Werken „komponiert“, die über ihre klare kompositorische Struktur hinaus emotional berühren. In seiner Komposition „daad...ad...ad...ad...“ für Posaune und Instrumentalensemble zeigt Langemann, dass er auch die ganz andere „Klangsprache“ der mit experimentellen Klängen und neuen Spieltechniken arbeitenden Avantgarde souverän beherrscht. Die im Oktober 2008 in Köln uraufgeführten „Canti e Frammenti“ für Vokalsolisten a cappella präsentieren eine dem Text abgelauschte Musik, die – im Wissen um die Vorbilder der Musikgeschichte – in einer an der Textdeklamation orientierten Kompositionsweise 39 eine ganz eigene Sprache findet. Ebenso wie die Stücke für Sinfonieorchester vermag sie unmittelbar emotional zu berühren. Beispielhaft zeigen diese Werke, dass Langemann über eine eigene musikalische Sprache für die verschiedensten Ensembles und Besetzungen verfügt. Seine Werke zeichnen sich aus durch eine außergewöhnliche kompositorische Begabung, intellektuelle Schärfe und ein hohes Maß an Offenheit, welches ihn befähigt, die Grenzen seines Metiers zu durchbrechen. Diese Werke, die Internationalität seines Wirkens sowie die hohe Qualität der Ensembles, mit denen er bislang zusammengearbeitet und für die er komponiert hat, wecken hohe Erwartung auf das weitere Schaffen dieses noch jungen Komponisten. Zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien, u.a. eine Förderung durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes in den Jahren 2005 - 2010 und der Composition Prize der Royal Philharmonic Society, London, zeugen von der außerordentlich hohen Qualität seiner Arbeit ebenso wie die vielen Aufführungen mit professionellen Ensembles im In- und Ausland. Die Jury Dr. Eva Küllmer Prof. Dr. Werner Lohmann Prof. Raimund Wippermann Dr. Robert von Zahn Michael Langemann Herler Straße 63 51067 Köln [email protected] Vita Michael Langemann wurde 1983 in Moskau geboren. /// Er studierte Komposition an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf, der Columbia University in New York und am King’s College in London. Zu seinen Lehrern gehören Manfred Trojahn, Tristan Murail und George Benjamin. /// Als Komponist und Dirigent trat Michael Langemann in der Carnegie Hall (Weill Hall), New York, in Erscheinung. Seine Werke wurden im Lincoln Center New York, in der Philharmonie Luxembourg sowie bei zahlreichen Festivals im In- und Ausland aufgeführt. /// Jüngste Kompositionen entstanden für das BBC Symphony Orchestra, die Deutsche Radiophilharmonie sowie das Orchestre Philharmonique du Luxembourg. Im Jahr 2010 sind Auftragswerke des Cheltenham Festivals und des NDR hervorzuheben. 40 Mephisto in „Faust“ Flottmannhallen Herne, 2007 Regie: Martin Fendrich Foto: Bernd Felder s. o. Auszeichnungen 2005 Stipendium der Bayerischen Musikakademie 2006 Stipendium der Saarbrücker Komponistenwerkstatt 2006 - 2007 New-York-Stipendium des DAAD 2006 - 2010 Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes 2008 Stipendium der Forberg-Schneider-Stiftung München 2009 Royal Philharmonic Society Composition Prize 2010 Stipendium der „Akademie Musiktheater heute“ der Deutschen Bank Stiftung 41 Theater Eva-Maria Höckmayr Laudatio 43 42 Eva-Maria Höckmayr, geboren 1979 in Würzburg, steht noch ganz am Anfang ihrer Karriere als Opernregisseurin. Sie studierte in München Theaterwissenschaft, Neuere Deutsche Literatur und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität und Sprech- und Musiktheaterregie an der „Bayerischen Theaterakademie August Everding“. Schon während ihres Studiums hospitierte und assistierte sie bei bedeutenden Schauspiel-Regisseuren wie Thirza Bruncken oder Roberto Ciulli, seit 2003 arbeitete sie kontinuierlich als Assistentin von Claus Guth, von 2006 bis 2008 war sie als Regieassistentin für Schauspiel und Musiktheater am Theater Freiburg engagiert. Seit 2008 ist Eva-Maria Höckmayr als freischaffende Regisseurin für Musiktheater und Schauspiel tätig und sucht bevorzugt in eigenen Text-/Musikfassungen spartenübergreifend nach neuen Wegen der Verbindung von Sprache und Gesang. Kreutzersonate Tolstoi, Janácek, Beethoven. Ein Musik-Theater, Uraufführung. Theater Freiburg 2007. Foto: Matthias Kolodziej Mit Debussys „Pelléas et Mélisande“ am Aachener Theater hat Höckmayr ihre erste eigene große Opernregiearbeit vorgelegt und eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie sehr die Forschungsarbeit an den Rändern und Übergängen der Sparten den Zugriff auf das klassische Musiktheater beleben und befeuern kann. Ohne die Regieaxt zertrümmernd einzusetzen. „Pelléas et Mélisande“ gilt gemeinhin als Kassengift, denn der symbolistische Stoff birgt viele Rätsel, bietet dafür aber wenig dramatische Handlung auf der Bühne. Höckmayr fixiert das albtraumartige Familiendrama in ihrer penibel choreographierten Regie auf einer unermüdlich kreisenden Drehbühne, die klaustrophobische Räume öffnet und die fatale Familienkonstellation immer wieder als erstickendes Tableau um einen frugalen Esstisch versammelt. Die scheue, somnambule Melisande, die stets von einem Geheimnis umgeben ist, wird in ihrer Deutung zum Objekt der Übertragungen der Männer der gespenstischen Familie Arkel. Höckmayr gelingt es in Aachen, Magie auf kleinstem Raum zu entwickeln und mit überreich sprudelnden Ideen Debussys sogartige Musik bis in ihre düstersten Winkel mit überraschenden, ja irritierenden Details auszuleuchten. Am Ende schließt sich der Kreis, und das Drama scheint von vorne zu beginnen: Mélisande ist tot und hat ihrer kleinen Tochter ihren Koffer vererbt, neben dem sie vorne am Bühnenportal sitzt und auf den nächsten düsteren Prinzen aus dem Hause Arkel wartet. Die Jury Stefan Keim Regine Müller Melanie Suchy Pelléas et Mélisande Claude Debussy Theater Aachen 2009. Fotos: Ric Schachtebeck Der Sonne und dem Tod kann man nicht ins Auge sehen Wajdi Mouawad. Theater Luzern 2010. Foto: Ingo Höhn 45 44 Schwanengesänge Variationen zu Leben und Tod nach Schubert, Uraufführung. Stadttheater Fürth 2010. Foto: Thomas Langer Kreutzersonate Tolstoi, Janácek, Beethoven. Ein Musik-Theater, Uraufführung. Theater Freiburg 2007. Fotos: Matthias Kolodziej Eva-Maria Höckmayr Hauptstraße 42 97286 Sommerhausen [email protected] www.evamariahoeckmayr.com Vita Eva-Maria Höckmayr, geboren 1979 in Würzburg, studierte Theaterwissenschaft, Neuere Deutsche Literatur und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Schauspiel- und Musiktheaterregie an der Bayerischen Theaterakademie August Everding München. Diplom 2006. /// Sie war Regie-Stipendiatin der „Akademie Musiktheater heute“ der Deutsche Bank Stiftung und des Richard-Wagner-Verbands. /// Als Assistentin von Claus Guth, Calixto Bieito u.a. arbeitete sie u.a. am Theater Basel, Theater Freiburg, bei den Wiener Festwochen, der Münchener Biennale und den Salzburger Festspielen. /// Seit 2008 ist Eva-Maria Höckmayr als freie Regisseurin für Musiktheater und Schauspiel tätig. /// Ihre Arbeit am Theater Aachen wird sie in der aktuellen Spielzeit mit der Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ (2011) fortsetzen. In dieser Spielzeit inszeniert sie zudem Verdis „Otello“ am Theater Freiburg und „Der Soliman“ von Ludwig Fels am Mainfrankentheater Würzburg. 46 Inszenierungen 2002 „Da kommt noch wer“, Jon Fosse, Akademietheater des Prinzregententheater München 2003 „Il trionfo del tempo e del disinganno”, Georg Friedrich Händel, Akademietheater des Prinzregententheater München 2004 „Leonce und Lena”, Georg Büchner, Akademietheater des Prinzregententheater München 2006 „Orfeo ed Euridice ossia L‘anima del filosofo”, Joseph Haydn, Akademietheater des Prinzregententheaters München 2007 Uraufführung „Kreutzersonate. Tolstoi, Janácek, Beethoven“, Theater Freiburg, die 2008/2009 zu Gastspielen am Theater Baden (Schweiz) und im Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt eingeladen war Uraufführung „FEST.AKT. Dreidimensionales Musiktheater“, Künstlerhaus Mousonturm, Frankfurt Festakt Dreidimensionales Musiktheater Uraufführung. Mousonturm Frankfurt 2007. Foto: Katrin Schander 2009 „Pelléas et Mélisande“, Claude Debussy, Theater Aachen 2010 Uraufführung „Schwanengesänge. Variationen zu Leben und Tod nach Schubert“, Theater Fürth „Der Sonne und dem Tod kann man nicht ins Auge sehen“, Wajdi Mouawad, Luzerner Theater Auszeichnungen 2007 Förderpreis der „Akademie Musiktheater heute“ der Deutsche Bank Stiftung 47 Theater Katja Stockhausen Laudatio Die „Odyssee Europa“, sechs Uraufführungen an zwei Tagen, ein Marathon der Schauspielhäuser des Ruhrgebietes, eine lustvolle Überforderung des Publikums. Nach solchen Projekten verschwimmen oft die Bilder in der Erinnerung, man muss die Gedanken sortieren. Gab’s die brüllenden Männer in Unterhosen, die Freier, die Penelope belagern, schon in Oberhausen oder noch in Bochum? Aber ein Gesicht hat man sich gemerkt, attraktiv und ein bisschen kantig, eine junge Frau mit trotzigem Blick. Auch die Stimme geht einem nicht mehr aus dem Ohr, warm und rau, fast heiser, eher leise, aber sie hat einen großen Raum mühelos gefüllt. Die Theaterhalle des Schlosstheaters Moers. 48 Katja Stockhausen ist „Perikizi“ (gesprochen Perikeze mit Betonung auf ri), ein weiblicher Odysseus, eine junge Türkin, die ihre Heimat verlässt und nach Europa geht. Europa ist in diesem Stück der türkisch-deutschen Autorin Emine Sevgi Özdamar ein Ort der Sirenen und Zyklopen. Verführungen und Erniedrigungen warten auf Perikizi, und auch die Geister ihrer Familie und vieler Toten verfolgen sie, lassen sie in der Fremde nicht in Ruhe. Unbeirrbar geht sie ihren Weg, eine Alice im bösen Wunderland, lässt sich schlagen, schubsen und beschimpfen. Ihr Ziel verliert sie niemals aus dem Blick, stolz, selbstbewusst, unabhängig. Gute Schauspieler können eine Menge verkörpern, das wenig mit ihnen selbst zu tun hat. Aber so eine Würde, wie sie Katja Stockhausen hier entwickelt, lässt sich nicht einfach so vormachen. Sie muss in der eigenen Persönlichkeit verankert, ein Teil des Ichs sein. Schließlich liegt Perikizi nackt auf dem kalten Hallenboden, mitten zwischen den Zuschauern. Bevor sie im Hades Hochzeit feiert. Produktion ROEMS! Ein Traum wird wahr Katja Stockhausen, Frank Wickermann Schlosstheater Moers Foto: Christian Nielinger Das Schlosstheater Moers ist das erste feste Engagement von Katja Stockhausen. Sie stammt aus Solingen, wurde bei ihrer ersten Bewerbung an einer Schauspielschule nicht genommen und hat dann erst mal Pädagogik studiert. Aber nicht lange, der Drang zur Bühne war stark. Eine kleine Rolle am Düsseldorfer Schauspielhaus und eine Tournee mit dem Kölner Kinder- und Jugendtheater „Comic On“ waren die nächsten Schritte. Dann klappte es mit dem Vorsprechen an der Essener Folkwanghochschule. Am Schlosstheater Moers war ihre erste Rolle wieder eine Produktion für Kinder. In „Vom Fischer und seiner Frau“ – in einer neuen Fassung des Chefdra49 maturgen Erpho Bell – spielte Katja Stockhausen Sybille, die geldgierige Frau, die nicht genug kriegen kann und am Schluss Kanzlerkönigin wird. Es gab eine Vorstellung, an deren Ende die Kinder die Bühne stürmten und die Fischersfrau entmachteten. Von so einer Reaktion träumten die Theatermacher. Dass sie in den Kindern Mut zur Revolte gegen eine Diktatur geweckt haben, war ein riesiges Kompliment für die Schauspieler. Auch mit Klassikern hat Katja Stockhausen in Moers schon zu tun bekommen, sie war das Gretchen in Ulrich Grebs „Urfaust“. Das Schöne an kleinen Bühnen ist ja, dass auch die Anfänger viel zu tun bekommen und sich weiter entwickeln können. Und das ist in der kurzen Zeit, die Katja Stockhausen nun am Schlosstheater ist, bereits in mehr als viel versprechender Weise geschehen. Wer mit ihr über die Rollen spricht, die sie gerade verkörpert, erlebt eine junge Frau, die scharf reflektiert und sich ganz in den Dienst der Sache stellt. Und die mit ihrer Kraft, ihrem Mut und ihrer ganz besonderen Ausstrahlung eine der prägenden Persönlichkeiten der nahen Theaterzukunft werden könnte. Wir verleihen den Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen an Katja Stockhausen. Die Jury Stefan Keim Regine Müller Melanie Suchy Foto: Matthias Horn 51 50 Perikizi. Ein Traumspiel Odyssee Europa/Schlosstheater Moers/RUHR.2010 Fotos oben /unten: Karl-Bernd Karwasz Vom Fischer und seiner Frau Patrick Dollas, Katja Stockhausen Schlosstheater Moers Foto: Christian Nielinger Katja Stockhausen Filder Str. 106 47447 Moers [email protected] www.katja-stockhausen.de Perikizi. Ein Traumspiel Odyssee Europa/Schlosstheater Moers/RUHR.2010 Foto: Karl-Bernd Karwasz Vita 52 Katja Stockhausen wurde 1981 in Solingen geboren. /// Nach Ihrem Abitur spielte sie am Düsseldorfer Schauspielhaus zwei kleine Rollen im Antikenprojekt Mania Thebaia und war mit einem Kinder- und Jugendtourneetheater in Deutschland unterwegs, bevor sie 2004 ihr Schauspielstudium an der Folkwang-Hochschule Essen begann. /// Nach Ihrem Abschluss 2008 hatte sie Gastengagements unter anderem am Grillo Theater Essen und am Düsseldorfer Schauspielhaus. Seit der Spielzeit 2009/10 ist sie im Ensemble des Schlosstheaters Moers. /// Katja Stockhausen arbeitet außerdem als Sprecherin und lebt als freie Schauspielerin in Essen. Engagements und Produktionen 2001 „Bakchen“ von Euripides, Düsseldorfer Schauspielhaus, Regie: Theodorus Therzopoulos 2002 „König Ödipus“ von Sophokles, Düsseldorfer Schauspielhaus, Regie: Tadashi Suzuki 2003/2004 „Lisa, Tom und Anna“, Comic-On! Theater Köln, eigene Stückentwicklung, Regie: Franz Zöhren 2005 „Maß für Maß“ von William Shakespeare, Folkwang-Hochschule, Regie: Franziska Marie Gramss 2006 „Komödie der Irrungen“ von William Shakespeare, Schauspiel Essen, Regie: Brian Michaels 2007 „Frauen an unter für sich“, ein Abend in der Heldenbar, Schauspiel Essen, Regie: Franziska Marie Gramss „Dich schlafen sehen“ von Anne-Sophie Brasme, Folkwang-Hochschule, Regie: Yvonne Racine „Nach dem Regen“ von Sergi Belbel, Folkwang-Hochschule, Regie: Franziska Marie Gramss 2008 „Orestie“ von Aischylos, Düsseldorfer Schauspielhaus, Regie: Lars-Ole Walburg 2008/2009 „An der Arche um Acht“ von Ulrich Hub, Schauspiel Essen, Regie: Katja Lillih Leinenweber 2009/2010 „Perikizi Odyssee Europa“ als Perikizi, Schlosstheater Moers, Regie: Ulrich Greb, eingeladen zum NRW Theatertreffen 2010, vorgeschlagen für den Deutschen Theaterpreis „Vom Fischer und seiner Frau“ als Sybille, Schlosstheater Moers, Regie: Julius Jensen, vorgeschlagen für den Deutschen Kinder- und Jugendtheaterpreis „Urfaust“ als Gretchen, Schlosstheater Moers, Regie: Ulrich Greb/ Bastian Tebarth „Roems“ als Kanditatin, Schlosstheater Moers, Regie und Stückentwicklung: Ensemble und Jensen Auszeichnungen 2006 - 2008 Stipendium während des Studiums vom Cusanuswerk 2010 Beste Nachwuchsdarstellerin beim NRW-Theatertreffen 2010 53 Film Anna Wahle Laudatio 55 54 Herr Rücker Dokumentarfilm für Kinder Die kurzen Dokumentarfilme der gebürtigen Kölnerin Anna Wahle gewähren tiefe Einblicke in die Befindlichkeit einer jungen Generation. Ihre heranwachsenden Protagonisten versuchen sich zurecht zu finden in jener Welt, in die sie das Alter Stück für Stück entlässt. Es ist eine Welt, die voller Aufgaben steckt, voller verborgener Ängste und Herausforderungen, eine Welt, in der es Eigeninitiative und klarer Zielsetzungen bedarf, um bestehen zu können. Anna Wahle begleitet ihre unterschiedlichen Protagonisten in diese Welt und lässt sie Standorte bestimmen auf der individuellen Suche nach ihrem Selbstverständnis. Die filmische Form ihres konzentrierten Blicks auf die noch in Probe befindlichen Lebenskonzepte der jungen Leute entwickelt Anna Wahle dabei in äußerst spannendem Maße immer weiter. Im 2007 produzierten Kurzfilm „Mit Pferden kann man nicht ins Kino gehen“ nähert sie sich den Jugendlichen noch eher klassisch mit Interviews über Zukunftswünsche und -ängste. Der ein Jahr später gedrehte halbstündige Film „Playgirl“ hingegen entstand aus einem intuitiv geprägten Blickwinkel. Ganz nah ist Anna Wahle hier mit ihrer Kamera an einer jungen Frau und begleitet sie in ihrem haltlosen und kaum hinterfragten Leben zwischen affektbestimmten Oberflächen und vagen Träumen bürgerlichen Glücks. Anna Wahles „dok you“-Beitrag „Herr Rücker“ aus dem Jahr 2009 schließlich porträtiert einen jugendlichen Einzelgänger mit starkem sozialen Verantwortungsbewusstsein. Der Film erzählt die Welt vom sehr erwachsen wirkenden 14-jährigen Nico Rücker ohne Scheu vor der Verwendung klarer Spielfilmelemente. Mit großer Lust, auch unterhaltsam statt nur belehrend zu wirken, werden Szenen nachgestellt, Nicos Zukunftsträume inszeniert und seine Gedanken von Nico selbst im Off eingesprochen: ein sehr frischer dokumentarischer Ansatz, der trotz seiner fiktiven Elemente nichts an Glaubwürdigkeit einbüßt. Ängste, Träume und Lebenskonzepte Heranwachsender spiegeln immer auch den Zustand der gegenwärtigen Welt. Anna Wahles Filme durchleuchten mit immer neuen Ansätzen genau diesen Dualismus erfolgreich und machen sichtbar, was es heute bedeutet, erwachsen zu werden. Die Jury Oliver Baumgarten Ronald Herzog Joachim Kühn Playgirl Dokumentation, CH 2008, 26 min./DV/farbe 57 56 Mit Pferden kann man nicht ins Kino gehen Kurzdokumentation D 2006/10 min./DV/farbe Anna Wahle Genter Straße 12 50672 Köln [email protected] www.ediefilm.de Vita Anna Wahle wurde 1981 in Köln geboren. /// Ihre ersten Filme realisierte sie in Koproduktion mit dem Kölner Filmhaus. Von 2003 - 2005 studierte sie Regie an der „internationalen filmschule“ Köln. /// Dann realisierte sie „Alexander“, den sie auf dem Berlinale Talent Campus vorstellte, und „Mit Pferden kann man nicht ins Kino gehen“ und verschrieb sich dem Dokumentarfilm. /// Von 2006 - 2008 studierte sie mithilfe eines Stipendiums der Hartmut und Lohre Schuler-Stiftung an der HGK Zürich und der ecal Lausanne mit dem Schwerpunkt Dokumentarfilm und schloss mit „Playgirl“ ihren Master ab, der auf der Duisburger Filmwoche seine Premiere feierte. /// 2009 realisierte sie eine dokumentarische Episode für das kleine Fernsehspiel („Zeche is nich“) und für „dok you!“ das Filmportrait „Herr Rücker“. /// Anfang 2010 gründete sie mit Alexandra Schröder Edie Film, für die sie das Stipendium des AV-Gründerzentrums erhielt. /// Sie lebt und arbeitet als selbständige Filmemacherin in Köln. 58 Filmografie (Auswahl, dokumentarische Arbeiten) 2005 „Alexander“ (Regie,Buch,Produzentin) P: ifs; Andrej Wajda school Berlinale Talent Campus, Warschau Filmfestival Kurzdokumentation D 2005, 8,5 min, BetaSP/farbe Herr Rücker Dokumentarfilm für Kinder 2006 „Mit Pferden kann man nicht ins Kino gehen“, (B,R,P) Episode von „Mach doch was du willst – zum Wandel der Arbeit“ P: Kulturstiftung d. Bundes/KFA Hamburg; arte Kurzfilmredaktion Duisburger Filmwoche, Interfilm Berlin, Kurzfilmfest Münster, Kurzfilmfest Hamburg, Filmfest Kassel, Steirischer Herbst, im Kino Kurzdokumentation D 2006/10 min./DV/farbe 2008 „Playgirl“ (K,B,R,P) P: écal Lausanne Duisburger Filmwoche, Solothurner Filmtage, Sehsüchte Potsdam, Filmfest Kassel Dokumentation, CH 2008, 26 min. DV/farbe 2009 „Herr Rücker“, dok you!, Pilotprojekt zur Förderung der Rezeption und Produktion von Dokumentarfilmen für Kinder, in Koproduktion mit dem WDR 2010 „Die Anden des Ruhrgebiets“, „Zeche is nich – Sieben Blicke auf das Ruhrgebiet 2010“, Das kleine Fernsehspiel, ZDF „Frauenwunder oder Monica Vitti ist im Dienstleistungsgewerbe angekommen“, (R, B, P) in Koproduktion mit der Filmstiftung NRW; Dokumentarfilm, in Produktion, geplante Länge 80 Minuten Auszeichnungen 2003 Jurypreis Filmfest Düsseldorf 2004 Publikumspreis Short Cuts Cologne 2006 - 2008 Stipendium der Hartmut und Lohre Schuler-Stiftung, Wuppertal 2010 Stipendium des AV-Gründerzentrums 59 Film Mischa Leinkauf Laudatio 61 60 Ein nackter Mann durchschwimmt mitten im Regierungsviertel die Spree, eine einsame Draisine läuft in einen U-Bahnhof ein, ein Typ schwingt auf seiner Schaukel unter einer Brücke: Die Jury freut sich, mit Mischa Leinkauf einen Filmemacher auszeichnen zu dürfen, der, mit einem dezidiert filmischen Ansatz ausgestattet, immer wieder auch die Grenzen zur Aktionskunst überschreitet. Insbesondere Arbeiten wie „Die Neonorangene Kuh“, „Grenzgänger“ oder „Zwischenzeit“, die er gemeinsam mit Matthias Wermke gedreht hat, dokumentieren Aktionen im öffentlichen Raum, die die Funktionalität unserer modernen Gesellschaft gegen den Strich bürsten. Nur geringe Sinn- und Perspektivverschiebungen genügen Leinkauf und Wermke, um gewohnte Umgebungen und zur Konvention gereifte Bilder mit einer meist ins Absurd-Lapidare gehenden Verfremdung zu versehen. Fast scheint es, als verzauberten sie in ihren meist sehr einfach gehaltenen Filmen die Wirklichkeit, als hätten sie die Fähigkeit, in der Realität immer auch etwas Irreales zu finden. Die Neonorangene Kuh Matthias Wermke/Mischa Leinkauf, 2006 Auf faszinierende Weise überträgt Mischa Leinkauf diesen Eindruck auf seine Soloarbeiten, die nun nicht mehr nur Aktion, sondern auch komplexe Erzählung sind. Sein Film „Zwischen den Stühlen“ etwa beginnt dokumentarisch, es scheint real zu sein, was wir da sehen: Wir erleben ein modernes Coaching junger Unternehmer als zunehmend eskalierende Gruppendynamik im Haifischbecken. Emotionen und Menschlichkeit werden geopfert auf dem Altar der Konkurrenz, der Wettbewerb ist gnadenlos. Doch was real sein könnte, entpuppt sich zunehmend als irreal: „Zwischen den Stühlen“ ist inszenierter Fake, eingebettet zwar in die Potenziale unserer Welt, aber doch durch und durch erfunden. Mischa Leinkaufs Spiel mit der Wirklichkeit findet immer wieder zu visionärer Kraft – und das auch ohne den Einsatz von großen Kamerabühnen und digitalen Effekten. Sein Blick auf die Welt, den er als Kameramann wie beim Dokumentarfilm „Anne Perry – Interiors“ auch schon mal anderen Regisseuren leiht, lebt vielmehr von der Distanz – eine Distanz, ohne die sein lapidarer Witz nicht auskäme. Möge ihm der Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen Ansporn sein, seine filmischen Möglichkeiten weiterhin derart beherzt auszuloten. Die Jury Oliver Baumgarten Ronald Herzog Joachim Kühn Mendiregin Üstünde Matthias Wermke/Mischa Leinkauf, 2010 Zwischenzeit Matthias Wermke/Mischa Leinkauf, 2008, Installation view at MU Art Foundation Eindhoven, 2007 63 62 Anne Perry – Interiors Regie: Dana Linkiewicz, 2009 Trotzdem Danke Matthias Wermke/Mischa Leinkauf, 2007 Zwischenzeit Matthias Wermke/Mischa Leinkauf, 2008 Mischa Leinkauf [email protected] www.stopmakingsense.de Graffito Regie: Rami Hamze, 2009 Vita Mischa Leinkauf wurde 1977 in Ost-Berlin geboren. /// Nach Abitur und Zivildienst arbeitete er seit 1998 für Filmproduktionen als Regieassistent, Aufnahmeleiter, Produktionsleiter und Cutter. Er sammelte Erfahrungen bei vielen Spielfilmen, Werbefilmen und Musikvideos. /// Seit 2003 arbeitet er als Regisseur und Kameramann. Seine Filme behandeln skurrile Situationen, die auf poetische Weise Irritationen im Alltag erzeugen. Viele seiner mit Preisen ausgezeichneten Filme liefen auf nationalen und internationalen Filmfestivals und hielten Einzug in Ausstellungen und Museen von New York bis Japan. /// In seinem Schaffen setzt er die Schwerpunkte auf performative Regiearbeiten, fiktionale Regiearbeiten und Kameraarbeiten. /// 2005 begann er sein Studium der Filmregie an der Kunsthochschule für Medien in Köln (KHM). Seitdem lebt und arbeitet Mischa Leinkauf in Köln und Berlin. /// Sein Film „Trotzdem Danke“ wurde für den Deutschen Kurzfilmpreis 2008 nominiert. 64 Filmografie (Auswahl) Auszeichnungen Filmfestivalteilnahmen (Auswahl) 2003 - 2009 Diverse Auftragsarbeiten. Musikvideo, Imagefilm, Dokumentation, Kinotrailer 2007 Internationales Kurzfilmfestival Hamburg, Publikumspreis für „Trotzdem Danke“ 2006 Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest 2005 „Die Neonorangene Kuh“, Kurzfilm, 6 min, Regie, Kamera, Schnitt gemeinsam mit Matthias Wermke 2006 „Trotzdem Danke“, Dokumentarfilmfilm, 6 min, Regie, Kamera, Schnitt gemeinsam mit Matthias Wermke 2008 „Zwischenzeit“, Kurzfilm, 8 min / 3-Kanal-Installation, 17 min, Regie, Kamera, Schnitt gemeinsam mit Matthias Wermke „Anne Perry – Interiors“, Dokumentarfilm, 70 min, Kamera/Regie: Dana Linkiewicz 2009 „Graffito“, inszenierter Dokumentarfilm, 11 min, Kamera/Regie: Rami Hamze 2010 „Mendiregin Üstünde“, Kurzfilm/2-Kanal-Installation, 8 min / 13 min, Regie, Kamera und Schnitt gemeinsam mit Matthias Wermke „Power”, Inszenierte Dokumentation, 29 min, Regie und Schnitt gemeinsam mit Christina Ebelt Internationales Kurzfilmfestival Interfilm Berlin, Publikumspreis für „Trotzdem Danke“ Internationales Filmfestival „Ohne Kohle” Wien, Österreich, Bester Experimentalfilm „Trotzdem Danke“ International Shortfilmfestival interfilm, Berlin 2007 Berlinale Talent-Campus Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest Ausstellungen (Auswahl) 2006 „I want that innocence back“, The Arm, New York City, USA 2007 „we came from beyond” Starter Galerie, Poznan, Polen „Parallel Moments” Galerie Tarahane Azad, Tehran, Iran „Open City“ Eyebeam, New York City, USA Internationales Filmfest La.MeKo Landau, Beste Performance für „Trotzdem Danke“ Kurzfilmfestival Hamburg Filmfestival Hannover „up-and-coming”, Bester Nachwuchsfilm, Nominierung für „Trotzdem Danke“ FilmZ Filmfestival, Mainz 2009 „Backjumps Volume#4“, Kunsthaus Kreuzberg Bethanien, Berlin exground Filmfest, Wiesbaden „TAKE A BREATH – ATEM HOLEN”, MKgalerie, Berlin International Student Media Art Award „Media Art Friesland” Netherlands, Nominierung für „Die Neonorangene Kuh“ International Shortfilmfestival interfilm, Berlin Montréal World Film Festival „Zwischenzeit”, Pixel/ Fast Video, Kopenhagen, Dänemark 2008 Deutscher Kurzfilmpreis, Kategorie Dokumentarfilm, Nominierung für „Trotzdem Danke“ 2008 European Media Art Festival Osnabrück, EMAF 2008 „Dwelling Place”, Hong-Gah Museum, Taipei, Taiwan Kurzfilmfestival Hamburg „CAMP Hiroshima”, Bank of Japan, Hiroshima, Japan Internationales Tabor Film Festival, Kroatien, Lobende Erwähnung für „Trotzdem Danke“ shortcuts cologne „Apocalyptic Colors”, Galerie Senn, Wien, Österreich Asolo ArtFilmFestival, Italy „Fundamentals”, MU Art Foundation, Eindhoven, Niederlande 2009 backUp Award, Internationales Filmfestival „backUp”, Weimar, für „Zwischenzeit“ FBW-Prädikat „Wertvoll” für „Zwischenzeit“ The London Consortium „Betting On Shorts”, London, Publikumspreis für „Trotzdem Danke“ Festival du Cinema Allemand, Paris, France „Nachbarn”, Starter Galerie, Poznan, Polen 2009 Internationale Kurzfilmtage Oberhausen „Die Neonorangene Kuh”, Pixel/ Fast Video, Kopenhagen, Dänemark Kurzfilmfestival Hamburg „Contemporary Art Migration Project“, CAMP Berlin, Berlin KunstFilmBiennale Köln 25fps International Short Experimental Film and Video Festival, Zagreb, Kroatien Images Contemporary Filmfestival Toronto, Canada Kinofest Lünen DOK Leipzig Film Festival Cork Film Festival Ireland 2010 „Reflections“, Mito Art Foundation, Mito, Japan „The Nomadic As A Condition“, Stedelijk Museum, ’s-Hertogenbosch, Niederlande 65 Medienkunst Franziska Windisch Laudatio 67 66 Franziska Windisch, die als eine der Jüngsten in der Kandidatenliste einhellig von der Jury zur Preisträgerin einer der beiden Förderpreise des Landes Nordrhein-Westfalen im Bereich Medienkunst bestimmt wurde, überzeugt durch einen konsequent eigenständigen und medial vielfältigen, offenen künstlerischen Ansatz. Die Absolventin der Kölner KHM, die Musik, Performance, Aktionskunst, Spurensuche und diverse Formen der Aufzeichnung zu prozessualen Arbeiten verbindet, ist von einem starken Interesse an Umwelt, Stadt und Gesellschaft geprägt. Als Ausgangspunkt der Recherche dienen ihr zumeist bestimmte prekäre, das heißt randständige und gefährdete Orte – etwa der Böschungsstreifen neben einer Autobahn oder der Platz vor dem ehemaligen Kölner Stadtarchiv. Die Untersuchung unterschiedlicher Räume, Plätze und Orte rückt historische Fakten ebenso in den Blickpunkt wie geopolitische, architektonische und soziale. Dabei interessiert Franziska Windisch der Ort nicht als fest stehende Ordnung, sondern als wandelbare Situation. Noch während des Studiums entwickelte Franziska Windisch in Zusammenarbeit mit dem Künstlerprojekt „Büro für Unwägbarkeiten“ die sogenannte unknown places Video 2009, Videostill research performance, eine Folge von über einen längeren Zeitraum durchgeführten Recherchen im öffentlichen Raum. Neben visuellen und akustischen Aufnahmegeräten wie Kamera und Rekorder kommen Verortungs- und Navigationspraktiken – etwa Karten, Satellitenbilder oder Ultraschallsensoren – zum Einsatz. Franziska Windischs ausgebildetes Bewusstsein für mediale Kriterien belegt auch die sorgfältig in Wort und Bild festgehaltene Dokumentation der Arbeiten, was deren Charakter als Intervention, Aktion und Prozess verdeutlicht. Franziska Windisch bezieht sich gezielt auf künstlerische Praktiken der 1960er und frühen 1970er Jahre, integriert die aus der Musikszene geläufige Koope-ration mit anderen Künstlern in ihre Arbeit und nimmt gleichermaßen auf aktuelle wissenschaftlich-technische Erkenntnisse Bezug. Nach Ansicht der Jury führt diese eigenständige Kombination zu einem fesselnden und vielversprechenden künstlerischen Ansatz, zu dessen Anerkennung und fruchtbarer Weiterentwicklung der Preis anregen und beitragen will. Die Jury Georg Elben Dr. Doris Krystof Dr. Sabine Maria Schmidt walls and lines Klanginstallation 2009, Installationsansicht going in a circle I Performance und Video 2010, Dokumentationsfoto 69 68 boden Performance und Installation 2009, Dokumentationsfoto boden Performance und Installation 2009, Installationsansicht going in a circle II Klangperformance und Partitur 2010, gelochtes Papier going in a circle I Performance und Video 2010, Anweisung auf Papier Franziska Windisch Friedrichstraße 7 50676 Köln [email protected] Vita Franziska Windisch wurde 1983 geboren. /// 2007 Austauschsemester Bezalel Academy for Arts and Design, Jerusalem, Israel /// 2009 Gastsemester an der Städelschule Frankfurt a.M (Simon Starling) /// In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich mit der Aufzeichnung von Klang, der Bewegung im Raum und Zeit im Sinne von Formalisierung und Übertragung. Die unterschiedlichen Aspekte dieser Übersetzungspraktiken werden in Klanginstallationen, Konzerten und „research performances“ erforscht. /// Franziska Windisch lebt und arbeitet in Köln. 70 Ausstellungen 2006 Intro Gallery, Vilnius Lange Nacht der Museen, KHM, Köln 2007 make art festival, Poitiers Feldstärke, Zeche Zollverein, Essen 2008 Ars Electronica, Linz 100 steps Druckserie 2008, Radierung und Schwarz-weiß-Druck, Buntstift Plan08, Köln Kunstwerk, Köln 2009 Deutschlandfunk, Kunstmeile Süd, Köln no title (draw a line with water and wait until it disappears) Video 2008, Videostill Landschaft 2.0, Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, Oldenburg Vogelsang Intervention 2009 (CfPP), Vogelsang 2010 glasmoog KHM, Köln (Einzelausstellung) Ballroom KHM, Art Cologne, Köln 5minutes Videoperformance 2008, Dokumentationsfoto 71 Medienkunst Jan Hoeft Laudatio 72 Streifen 2009 s/w-Fotografie auf Barythpapier 40 x 60 cm Die künstlerische Position von Jan Hoeft wird durch drei Werkansätze gekennzeichnet, die sich gegenseitig ergänzen: kurze, ideenreiche Videos, erzählerische Fotografien, in denen leicht zu übersehende räumliche und situative Besonderheiten festgehalten werden, und die bildhauerische Konstruktion genau solcher Situationen. Die Jury hat sich deshalb einhellig für Jan Hoeft als Preisträger einer der beiden Förderpreise des Landes Nordrhein-Westfalen im Bereich Medienkunst entschieden, weil sie in seiner Nutzung der unterschiedlichen künstlerischen Medien Video, Fotografie und Installation eine Vielfalt erkennt, die eine interessante Weiterentwicklung erwarten lässt. Anders liegt der Fall beim Video „Ohne Titel (Auto)“, weil der Sinn des Dargestellten dort nicht sofort erkennbar ist. Ein goldbraun-metallicfarbener Golf steht vor einem Baum – war es ein Unfall? Es passiert zunächst eine Weile gar nichts, bis nach einiger Zeit schwarze Plastikfolien wie Rauch hinter der Motorhaube des Wagens hervorquellen – immer und immer mehr. Schließlich kommt der Künstler selbst hinter dem Auto hervor, sammelt die Folien ein, stopft sie ins Auto und fährt weg. Diese Videoperformance als sinnfreier und gleichwohl poetischer Vorgang ruft nicht unmittelbar inhaltliche oder formale Vorbilder der Kunstgeschichte hervor – und das hört sich leichter an, als es ist. Jan Hoeft beobachtet oder konstruiert seine Werke ohne Umwege, deshalb bestechen sie durch ironischen Witz und analytischen Blick. Das Video „Field Strip“ zeigt einen Mann, der aus BaumarktMaterialien ein Gerät zusammensetzt, das wie ein Spielzeuggewehr aussieht. Er führt diese Handlung in maximaler Geschwindigkeit aus, und da das Video als Loop gezeigt wird, entsteht ein unendlicher, sinnloser Kreislauf, der zwar an eine präzise soldatische Leistungsschau erinnert, die Tätigkeit selbst aber wegen der Heimwerkeratmosphäre ins Lächerliche zieht. Eine andere Arbeit verdient es ebenfalls, hervorgehoben zu werden: die Installation „Passage“ aus dem Jahr 2008, die Hoeft am Kölner Friesenplatz in einem temporär leerstehenden Haus realisieren konnte. Hier offenbart sich eine vergleichbare Mischung aus poetisch-hintergründiger Sinnsetzung und prosaischem Realitätsbezug: Ein aufwendig aus Holz gezimmerter Verbindungsgang ermöglichte eine Abkürzung für Vögel, so dass sie nicht mehr um die Ecke des Gebäudes fliegen mussten, sondern direkt hindurch gelangen konnten. Es ist nicht dokumetiert, ob ein Vogel diese Konstruktion genutzt hat, aber mit seinem skulpturalen Eingriff erreichte Jan Hoeft die Fantasie der Betrachter, und mehr kann Kunst fast nicht wollen. Die Jury Georg Elben Dr. Doris Krystof Dr. Sabine Maria Schmidt 73 Passage 2008 Installation, OSB-Platten Field Strip 2009 Video 0:26 min Ein Mann zerlegt ein Gerät, um es danach sofort wieder zusammenzubauen – Form, Klappmechanismus und die typischen Geräusche erinnern sofort an ein Gewehr, die hastigen, aber kontrollierten Bewegungen an die Leistungsschau des Soldaten beim Zerlegen. Das zerlegte Gerät besteht aus einer letztlich sinnlosen Mechanik, die Bestandteile kennt man aus dem Baumarkt. 75 74 Skulptur im Innenhof der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe 2010 Stahlbeton Sechseck und zwei Dreiecke 2010 Holz, Spannverschlüsse, PCV-Banner, Expanderseile Jan Hoeft Rathenauplatz 35 50674 Köln [email protected] www.janhoeft.de Vita Schnee 2008 Farbfotografie 30 x 40 cm geboren 1981 /// 2000 - 2006 Universität Karlsruhe (TH) /// 2004 Universitiy of Cambridge /// 2004 - 2005 Università degli Studi Roma Tre /// 2005 - 2006 Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe /// seit 2006 Kunsthochschule für Medien Köln bei Johannes Wohnseifer und Mischa Kuball /// 2009 Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei John Bock 76 Ausstellungen 2008 plan08, Köln oltre i murales, San Spreate (Italien) Kompressor, Halle 15, Köln HaueHaueAuaAua, Raumkalk, Köln WCM OPEN 08, WCM, Heidenheim Sonderschau der KHM, Art Cologne, Köln Große Kunstausstellung NRW, Kunstforum, Düsseldorf MinusEins, Experimentallabor der KHM, Köln 2009 Das Augenblickliche Paradies, Kulturstation 9, Bernsdorf/Zeißholz Along the Rhine, Salon des Amateurs, Düsseldorf OFF, Oblò Film Festival, Lausanne (Schweiz) Bocks bei Brenners im Graben, Kunstakademie, Stuttgart Bilderschlachten, Dominikanerkirche, Osnabrück Videonale Rahmenprogramm, Kunstmuseum, Bonn 2010 Köln <—> München, Projektraum Vorschau, München Köln <—> München, Studiogalerie der KHM, Köln BLEK #2, Leipzig/Köln Close to Home, Karlsruhe Art Campus , Art Cologne, Köln Offensive und Defensive 2010 Holz, Stahl, Video Neueröffnung, Echoraum der Bundeskunsthalle, Bonn Dinge gegen Dinge, ENORM, Köln Ideenbilder, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf 77 Architektur bk2a architektur Laudatio 79 78 Das 2006 von Sonja Becker und Rüdiger Karzel gegründete Büro bk2a architektur zeigt ein beeindruckendes, breit gefächertes Oeuvre. Das Büro zeichnet sich durch einen interdisziplinären Ansatz und vielfältige Tätigkeitsschwerpunkte aus. Ihr Werk beinhaltet sowohl kleinere Baumaßnahmen wie Einfamilienhäuser als auch interdisziplinäre Forschungsprojekte und zahlreiche Preise bei internationalen Wettbewerben. Die Arbeiten von Sonja Becker und Rüdiger Karzel überzeugen durch ihren sensiblen Umgang mit Raum und Material wie zum Beispiel bei der Revitalisierung einer historischen Scheune in der Eifel. Durch präzise gesetzte, minimale Ergänzungen wird das vorhandene räumliche Gefüge zu einem neuen Raum komplettiert, der durch seine Ruhe und Klarheit eine eigene sakrale Stimmung erzeugt. Auch das umgebaute Haus H wird durch gezielte subtile Eingriffe in ein neues räumliches Gefüge mit hohen Raumqualitäten transformiert. Neben klassischen Architekturprojekten ist ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt des Büros der Bereich Technologie und Forschung. Zahlreiche Forschungsprojekte zu unterschiedlichen Themen erarbeitet das Büro zum Teil in interdisziplinären Kooperationen. Das Projekt openOffice stellt einen interessanten zeitgemäßen Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit in der Architektur dar. Das vielschichtige kreative Werk von Sonja Becker und Rüdiger Karzel beinhaltet ein hohes Maß an Innovation und lässt noch vieles erwarten. Die Jury Prof. Dörte Gatermann Prof. Ulrich Königs Prof. Annette Paul Atelier HB, Revitalisierung eines historischen Kleinbaus, Weibern Realisierung: 2008 -2009 Das Objekt liegt in der historischen Ortsmitte des Eifeldorfes Weibern. Der Tuffsteinbau trägt entscheidend zur Atmosphäre des Privatgartens und des zukünftigen Gemeindeplatzes bei. Drei bestehende Außenwände aus massivem Tuffsteinmauerwerk werden durch eine 6 Meter hohe Wand in BetonTuffstein-Verbundbauweise ergänzt. Die Wand ist von 150 massiven Glaskernen durchsetzt, die eine sakrale Lichtstimmung im Innenraum erzeugen. Der öffentliche Platzraum erhält eine neue Raumkante und wird in den Abendstunden durch die schimmernden Glaskerne belebt. Durch eine minimale Ergänzung wird ein nachhaltiger Beitrag für den Eigentümer und die Dorfgemeinde erzielt. 81 80 Haus H, Raum mit Domsicht, Bonn Realisierung: 2006 -2007 Wunsch der Bauherrschaft ist ein energetisch optimierter Gebäudestandard und eine Reorganisation der Wohnflächen mit Ausbau des Dachgeschosses. Ziel ist, den von der Ebene +2 möglichen Blick Richtung Rheinebene und Kölner Dom zu inszenieren. Das Konzept arbeitet mit subtilen Eingriffen in die Substanz und deutlichem Ausdruck des hinzugefügten Volumens. In der Dachebene wird ein neues Raumgefühl erlebbar. Ausgezeichnet mit: Landespreis für Architektur, Wohnungsund Städtebau Nordrhein-Westfalen 2008 – „Energieeffizientes Bauen für die Zukunft“ bk2a architektur Düppelstrasse 23 50679 Köln [email protected] www.bk2a.de Profil Sonja Becker und Rüdiger Karzel absolvierten das Architekturstudium an der RWTH Aachen mit Studienaufenthalten in den USA und Frankreich. 2001 folgte ein Masterstudiengang in computergestützter Planungs- und Produktionstechnologie an der ETH Zürich. Praktische Erfahrung sammelten Sonja Becker und Rüdiger Karzel in renommierten Büros in Bonn, Düsseldorf, Köln und Zürich. /// Nach vierjährigem Aufenthalt in der Schweiz und einem Studium der Unternehmensführung an der Universität Zürich wurde 2006 das Architekturbüro bk2a gegründet. /// Die Arbeitsschwerpunkte sind Hochbauplanung, Altbaurevitalisierung, energetische Optimierung und strategische Projektentwicklung. bk2a arbeiten in interdisziplinären Teams und integrieren neue bautechnologische Erkenntnisse zu gestalterisch und energetisch nachhaltigen Gebäuden. /// Seit 2006 lehrt und forscht Rüdiger Karzel begleitend zu seiner freiberuflichen Tätigkeit an der Technischen Universität Darmstadt. 82 Auszeichnungen Projekte 2006 AIV KölnBonn Preis, Projekt „Köln – der Rhein als Mitte“ mit einem 1. Preis ausgezeichnet 2006 - 2007 Haus H, Raum mit Domsicht, Bonn 2007 Deutscher Bauforschungspreis 2. Preis im Wettbewerb „Auf IT gebaut“ mit dem strategischen Konzept „Makler 2.0“ Wettbewerbsgewinn „openOffice“: Der Siegerentwurf, ein energieautarkes, mobiles Bürogebäude, wird zurzeit auf dem Zollvereinareal in Essen realisiert. 2008 Landespreis für Architektur – „Energieeffizientes Bauen für die Zukunft“ für Haus H openOffice, Energieautarker Experimentalbau auf dem Zollvereinareal, Essen Wettbewerb: 2008, Realisierung: 2010 Das Projekt entwickelt ein energieautarkes, mobiles Bürogebäude für junge Gründerfirmen. Die Konstruktionseffizienz modularer Bauten, eine nachhaltige Gebäudehülle sowie eine energetisch sinnvolle Gebäudetechnik bestimmen den Entwurf. „openOffice“ ist ein Projekt der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 und kann auf dem Zollvereinareal bis Ende 2011 besichtigt werden. Ausgezeichnet mit: 1. Preis im zweistufigen internationalen Wettbewerb (mobile working spaces) der Stiftung Zollverein aus dem Jahr 2008 – mit Alexander Dasic und Tim Waidelich 2007 - 2008 Haus TL, Neubau eines Einfamilienhauses, Bonn, 2008 - 2009 Atelier HB, Revitalisierung eines historischen Kleinbaus, Weibern 2008 - 2010 „openOffice“, Energieautarker Experimentalbau auf dem Zollvereinareal, Essen, Wettbewerb: 2008, Realisierung: 2010, ein Projekt der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 2009 Haus S2, Neubau eines Einfamilienhauses, Bonn 2010 - 2011 Landmarke Angerpark, „Tiger & Turtle – Magic Mountain“, begehbare Großskulptur, Stadt Duisburg in Zusammenarbeit mit Sonja Becker + Rüdiger Karzel Landmarke Angerpark ist ein Projekt der Kulturhauptstadt Europas Ruhr.2010 2011 Neues Bootshaus, Wohnen mit Rheinblick, Neuss 83 Architektur Sascha Glasl Laudatio 85 84 ökologischer und ökonomischer Zyklus Water voor wonen in Zusammenarbeit mit Tjeerd J. Haccou Ideenwettbewerb der Provinz Nordholland: Bis 2040 sollen 200.000 neue Häuser geschaffen werden, gleichzeitig waren 2000 ha sichtbare Wasserfläche als Puffer bei Hochwasser gefordert. Das Konzept der Architekten war, diese beiden unabhängigen Aufgaben miteinander zu verbinden, um aus beiden Problemen einen Mehrwert zu schaffen. Das Prinzip, welches dem Projekt zu Grunde liegt, gibt den heutigen Landwirten, die in kommender Zukunft ihr Land an größere Betriebe verkaufen werden, das Recht, bei selbständiger Errichtung eines Wasserkanals hinter ihrem bebaubaren Land schwimmende Wohnungen zu entwickeln. Dies führt zu neuen Nebeneinnahmen und ermöglicht eine vitale Gemeinschaft. Durch den Bau neuer autarker Wohnungen kann sowohl ein wirtschaftlicher als auch ökologischer Kreislauf ins Leben gerufen werden. Durch ein vorsichtiges Einbetten dieser Wohnungen in die authentische Landschaft Nordhollands können die Kernqualitäten (weite Sicht) bewahrt werden. Bereits während des Studiums hat Sascha Glasl seine Architektur über die Grenzen zu deren Nachbardisziplinen hinaus definiert. Animationen, Filme, Designstudien und Installationen begleiten wie selbstverständlich den ursprünglich als Bauzeichner ausgebildeten Architekturstudenten. Eine Reihe von Preisen, Nominierungen und ein Stipendium im Verlauf seines Studiums zeigen frühzeitig, dass Sascha Glasl über ein außerordentliches Talent verfügt. Seine Bürogründung mit zwei weiteren Architekten in den Niederlanden führt zu einer Professionalisierung seiner Arbeitsweise, es gelingt ihm dennoch die für ihn typische Unkonventionalität beizubehalten. Die jüngeren Projekte als freiberuflicher Architekt weisen in eine spannende und förderungswürdige Richtung. Erste Realisationen schaffen einen selbstsicheren Spagat zwischen pragmatischem Realismus und künstlerisch-kultureller Relevanz. Gerade die neueren Projekte zeigen, dass sich soziale und kulturelle Verantwortung im Handeln und künstlerische Ausdruckstärke nicht widersprechen müssen. Der schwierige Weg von Sascha Glasl, nämlich in kleinen Schritten Selbständigkeit zu wagen ohne das große Ganze aus dem Blick zu verlieren, verdient Respekt und Anerkennung. Die Jury Prof. Dörte Gatermann Prof. Ulrich Königs Prof. Annette Paul Water voor wonen Entwicklungsstrategie vorgegebener Baukörper öffentlicher Raum verbindet sich als abgetreppte Spirale mit dem Gebäude angepasster Baukörper gespendete Erinnerungen Installation Amsterdam Biennale 2009 87 86 In-SPIRE in Zusammenarbeit mit Tjeerd J. Haccou Institute for Sustainable Product Innovations and Research Exchange. Der Stadtteil Buiksloterham am Ij-Ufer in Amsterdam wird in den kommenden 25 Jahren durch eine Bottom-up-Planung von einem Industriegebiet zu einem Wohn- und Büroquartier entwickelt. Die Gemeinde möchte hier ein Quartier für nachhaltiges Bauen schaffen. Um diese Entwicklung zu stimulieren, wurde ein Inkubator entworfen, der am Anfang dieser Stadtentwicklung zum Inspirationszentrum zukünftiger Bauherren und als Kooperationscluster für Firmen nachhaltiger Produkte dient. So können Startups und größere Firmen auf zu bebauenden Bauflächen ihre gemeinsam entwickelten Pilotprojekte realisieren. Diese bilden wiederum eine Art Bauausstellung und ziehen potenzielle Bauherren an. Besucher können sich im In-SPIRE-Gebäude inspirieren und beraten lassen. Durch einen gesunden Wechsel an neuen Start- up Firmen werden die hohen Ambitionen der Gemeinde stetig gewährleistet. Neben dem Firmencluster finden auch ein TIY (Try It Yourself) Hotel, ein Ausstellungsraum im Erdgeschoss, ein Restaurant und ein Konferenzraum im Gebäude Platz. Durch das In-SPIRE wird Buiksloterham ein auf Gemeinschaftsinitiative basiertes Nachhaltigkeitsquartier. Ein deutscher Pavillon Wie kann man durch eine räumliche Installation ein wahres Bild Deutschlands vermitteln? Zu dieser Fragestellung will das Projekt „Ein deutscher Pavillon“ einen konstruktiven Vorschlag machen. Diese, der Weltausstellung 2010 vorgeschaltete Installation soll dazu dienen, das architektonische Potenzial der Identitätsbildung auszuschöpfen, um in China ein „echtes“ Bild Deutschlands wieder zu spiegeln. Deutschlands Bild und Deutschlands Selbstbild wandeln sich stetig. Durch das allmähliche Ableben der letzten Kriegsgeneration und die Wiedervereinigung hat sich das Nationalbewusstsein der Deutschen stark verändert. Die Fußballweltmeisterschaft 2006 hat gezeigt, dass ein unverkrampftes Selbstbild in Deutschland möglich ist. Wie stellt man demnach die deutsche Nation durch das Medium Architektur dar und wie können ihre Identität und das neue Wir-Gefühl verkörpert werden? Sascha Glasl Kraanspoor 36 1033 SE Amsterdam, Niederlande [email protected] www.spaceandmatter.nl gewöhnliche Verteilung Schränke Vita 1977 geboren in Frechen /// 1998 - 2000 Ausbildung zum Bauzeichner /// 2001 - 2007 Architekturstudium RWTH Aachen, Diplom mit Auszeichnung /// 2002 - 2003 Praktikum Architekturbüro BeL, Anne Julchen Bernhardt & Jörg Leeser, Köln /// 2003 Praktikum Architekturbüro LCM/Fernando Romero, Mexiko Stadt /// 2005 - 2006 Auslandssemester an der Film & Animationsschule 9 Zeros in Barcelona /// 2006 Freiberufler bei Kada Wittfeld Architektur, Aachen /// 2007 Mitgründung der research platform WISE an der RWTH Aachen (in Zusammenarbeit mit Marc Frohn) /// 2007 - 2009 Projektleiter bei One Architecture in Amsterdam /// 2009 Kunstprojekt innerhalb eines sechsmonatigen Aufenthalts in Los Angeles (in Zusammenarbeit mit Marc Frohn), gefördert durch die Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen /// 2009 Gründung space&matter (Office for architecture, urban strategies and concept development) in Amsterdam (zusammen mit Tjeerd Haccou und Marthijn Pool) Gesamtmöbelstück im Treppenauge 88 Löcher zur Blickverbindung Materialisierung Postjeskade in Zusammenarbeit mit Tjeerd Haccou Die Bauherren dieses Projektes haben eine dreigeschossige Wohnung in einem Haus im Stil der „Amsterdamer Schule“ erworben. Für diese Wohnung wurden Abstellfläche und Schränke entworfen. Da die gewöhnliche Anordnung von Schränken viel Platz in Anspruch nimmt, war der Vorschlag, alle Möbel zu einem Gesamtmöbelstück zusammenzufassen und im Treppenauge zu positionieren. Somit wird dieses Objekt vom Eingang in die Wohnung bis zum Schlafzimmer räumlich erfahrbar. Durch die vertikal angeordneten Funktionen wie Schlüsselfach, Schuhfach, Kamin, Weinregal, Bücherschrank und Kleiderschrank wird die Treppe von der Verkehrsfläche zur nutzbaren Fläche umfunktioniert. Ausstellungen 2007 Kunsthaus Graz: Knowledge Building, mind(21)factory Veröffentlichungen 2004 Design Report 2008 Avecom Arnhem: It´s all in the game, Collaboration I (in Zusammenarbeit mit Marc Frohn) 2009 Nominierung, Archiprix International 1. Preis, Städtebau/Architekturwettbewerb in Nordholland: Droom.NH (in Zusammenarbeit mit Tjeerd Haccou) 2009 Architekturzentrum Hoorn & Den Helder, NL: Water voor wonen (in Zusammenarbeit mit Tjeerd Haccou) 2010 Engere Wahl, Europan 2010: Voor(t)zet, Bloemenkoolwijk Den Haag (in Zusammenarbeit mit Tjeerd Haccou und Marthijn Pool) Amsterdam Biennale: Ein Deutscher Pavillon Universität Montevideo: Archiprix International, German Expo pavilion 2010 Jahresstipendium für Architekten, Fonds BKVB in Holland (Fonds voor Beeldende kunst vormgeving en bouwkunst) 2010 NAI, Rotterdam: Europan 10, Voor(t)zet Westarch Ausstellung im Ludwig Forum in Aachen Roots- Ausstellung, Schunck, Glaspaleis in Heerlen, NL Projekte Wettbewerbe aktuell 2006 DBZ Deutsche Bauzeitschrift Bauwelt 14/06 2007 Volume#13, Ambition: 2008 Abitare 01 2009 Mark Magazine Scape 2010 Publicatie Europan 10 De Architect Landes Nordrhein-Westfalen zum Bearbeiten eines Kunstprojektes in Los Angeles, CA, USA (in Zusammenarbeit mit Marc Frohn) Auszeichnungen 2004 1. Preis, Renault Traffic Design Award (in Zusammenarbeit mit Jochen Specht) 2005 1. Preis, Architektur Internet Preis 2007 Nominierung, Euregionaler Architektur Preis 2008 Auszeichnung des Diploms mit der Springorum Denkmünze (RWTH Aachen) Individuelles Auslandsstipendium der Staatskanzlei des 2009 „Water voor wonen“, in Zusammenarbeit mit Tjeerd J. Haccou, Ideenwettbewerb der Provinz Nordholland „In-SPIRE“, in Zusammenarbeit mit Tjeerd J. Haccou, Institute for Sustainable Product Innovations and Research Exchange „Ein deutscher Pavillon“, Installation zur Weltausstellung EXPO 2010 in Shanghai 2009 - 2010 „Postjeskade“, in Zusammenarbeit mit Tjeerd Haccou, Entwurf von Abstellflächen und Schränken für eine dreigeschossige Wohnung in Amsterdam 89 90 Herausgeber Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen 40190 Düsseldorf © 2010 Gestaltung und Redaktion serres, design. www.serres-design.de Produktion und Druck Buersche Druckerei Neufang KG, Gelsenkirchen Diese Broschüre kann kostenfrei bestellt werden: Gemeinnützige Werkstätten Neuss GmbH unter der Mail-Adresse [email protected] Bitte geben Sie die Publikationsnummer K026 an. Telefonisch beim Bürger- und ServiceCenter des Landes Nordrhein-Westfalen Telefon 01803 100 110 9 Cent/Minute aus dem deutschen Festnetz, abweichende Preise für Mobilfunkteilnehmer Titelmotive: Vorderseite: S. 66, 28, 34 Rückseite: S. 84, 14, 42 Das Copyright für alle Abbildungen liegt, sofern nicht anders angegeben, bei den Künstlern. Kultur in NRW Der Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für junge Künstlerinnen und Künstler 2010 Bruck am Boden singt so leise wie Monk spielt. Kultur in NRW Der Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für junge Künstlerinnen und Künstler 2010 www.nrw.de