EXTRAKT DISSERTATIONSEXPOSÉ– JANINE CHRISTGEN 1 - JANINEEXTRAKT CHRISTGEN DES DISSERTATIONSEXPOSÉS ZUM PROMOTIONSTHEMA: „MUSIK ÜBER MUSIK REZEPTION UND SPRACHFÄHIGKEIT MUSIKALISCHERTEXTE IN DER MODERNE“ Zusammenfassung der wesentlichen Forschungsziele Ziel der Arbeit ist es, zu ergründen, inwiefern Musik als Text eine bestimmte Botschaft zu einem Rezipienten kommunizieren kann und wovon diese Sprachfähigkeit des Textes abhängig ist. Anhand ausgewählter Kompositionen der Moderne, welche musikalische Texte der Vergangenheit rezipieren, sollen divergente Modelle des Vergangenheitsbezugs dargestellt werden. Die Art der Aufnahme von musikalischen Texten der Vergangenheit in das jeweilig eigene Werk spiegelt dabei die Einstellung des Komponisten zur Thematik der Sprachfähigkeit und der Aussagekonstanz von historischen Werken. Da die Beschäftigung mit und die Aufnahme von alten Texten die Komponisten immer wieder mit der Frage konfrontiert, wie sich auch das Verständnis des eigenen Werks darstellen mag, beziehungsweise, ob die Kommunikation zwischen Autor (Komponist) und Rezipient überhaupt gelingen kann, mündet diese Untersuchung auch in der Betrachtung der in der Moderne allgegenwärtigen Sprachkrise und der Suche nach Wegen, wie dieser begegnet wird und werden kann. Die explizite Auswertung der Partiturtexte soll die spezifische Herangehensweise des einzelnen Komponisten verdeutlichen, so dass das einzelne Profil geschärft und von den anderen zu erstellenden Profilen abgegrenzt werden kann. Die kompositorischen Ausdrucksmittel und die Art der Einbettung des rezipierten Materials (Collage, Zitat, Interpretation, etc.) werden dabei von besonderer Relevanz sein. Aufgrund der Analyse der ästhetischen Schriften der zu untersuchenden Komponisten soll ein philosophischlinguistischer Hintergrund erarbeitet werden, der mit den sprachphilosophischen Erwägungen und der wissenschaftlichen Diskussion über die Möglichkeiten, Musik als Sprache zu deuten, vernetzt werden soll. Dabei ist in der Untersuchung auch immer wieder das Kommunikationsverhältnis zwischen Komponist, Musiker und Rezipient zu betrachten und zu ergründen, wie auch die Veränderung von Hörgewohnheiten zu einer Einschränkung der Sprachfähigkeit von Texten führen kann. Auf diese Weise tritt das Subjekt als eminente EXTRAKT DISSERTATIONSEXPOSÉ– JANINE CHRISTGEN 2 - JANINE CHRISTGEN Kategorie hervor, welches als schöpferisches in Kunst, Musik, Philosophie und Literatur gerade auch jene Sprachlosigkeit im Zuge der Moderne thematisiert, die für die moderne Gesellschaft und die solipsistische Vereinzelung in ihr bezeichnend ist. Explizite Darstellung des Forschungsvorhabens Problemaufriss Der Titel des Dissertationsvorhabens beinhaltet einen Ausdruck mit dem man ein Verfahren zu Kennzeichnen suchte, welches in der Musik Schönbergs erstmalig maßgeblich bestimmend wurde: „Musik über Musik“. Er bezeichnet ein Phänomen, welches sich, ausgehend von Schönberg, in der Neuen Musik schnell verbreitete. „Musik über Musik“ ist das Gewinnen neuer Musik aus alter Substanz. „Musik über Musik“ bedeutet überschreiben, neu schreiben, nachschreiben, einen Metatext hinzuschreiben, Vorlagen zerschneiden und mit Neuem vereinigen. „Musik über Musik“ heißt nachdenken über das, was Musik vergangener Zeit noch sagen kann, überlegen ob ihre Sprache noch sprachfähig ist, heißt Auseinandersetzung mit dem eigenen zeitimmanenten Standpunkt, heißt Standortgewinnung und Orientierung in einer Gegenwart, die gerade mit diesen Problem kämpft. Um über Musik und deren Sprachfähigkeit verhandeln zu können, ist zunächst darzustellen, in welcher Weise Kompositionen als Texte aufgefasst werden können und wie diese Texte Sprachfähigkeit erlangen. Dabei werden sprach- und literaturwissenschaftliche Aspekte ebenso von Bedeutung sein, wie philosophische Betrachtungen. Es ist darzustellen, inwiefern ein Text eine Autorintention weiterzugeben vermag, beziehungsweise aus welchen Gründen ihm dies verwehrt sein könnte. Dabei soll gezeigt werden, wie eng die literaturwissenschaftliche, linguistische und philosophische Debatte der Moderne mit den kompositorischen Problemen dieser Zeit in Verbindung steht. Damit zeichnet sich ein nicht nur allgemein geisteswissenschaftlicher Horizont des Themas ab, sondern zugleich ein gesellschaftspolitischer Zusammenhang. Die Sprachkrise der Texte, die Unfähigkeit der Artikulation der Komponisten und die Unfähigkeit zur Sprachfindung des einzelnen Individuums scheinen zu korrelieren. Um die Problematik der Sprachkrise verstehen und fassen zu können, ist es nötig, sich mit ihren Anfängen und den Gründen ihres Entstehens zu beschäftigen. Hofmannsthals „Brief des Lord Chandos an Francis Bacon“ wird hier als Ausgangspunkt der Erörterung dienen. Platons Schriftkritik im Phaidros wird dabei ebenso EXTRAKT DISSERTATIONSEXPOSÉ– JANINE CHRISTGEN 3 - JANINEeinzubeziehen CHRISTGEN sein, wie die Erwägungen Wittgensteins im „Tractatus logico-philosophicus“. Es wird darzustellen sein, wie sich diese Sprachkritik im linguistischen Zeichenmodell, im problematischen Verhältnis zwischen Signifikat und Signifikant darstellet. Dazu sind die Theorien Saussures, Freges und Pierces zu untersuchen und in ihren für das Thema relevanten Erkenntnissen herauszuarbeiten. Einen Versuch trotz dieser problematischen Sachlage dennoch einen Zugang zum Text zu finden, unternehmen besonders die rezeptionsästhetischen Positionen der Hermeneutik und der Dialektik. Um die Sprach- und die Kommunikationsfähigkeit von Texten, auch von jenen musikalischer Natur, erschließen zu können, wird es daher von Relevanz sein, die Entwicklungen der rezeptionsästhetischen Forschung nachzuvollziehen und ihre eminenten Positionen und deren Vertreter zu beleuchten. Dabei sind drei bedeutende Fragestellungen zu beachten: 1. In welchem Verhältnis stehen Komponist/Autor und Rezipient? 2. Welche Möglichkeiten des Textzugangs eröffnen sich? 3. Wo liegen Potentiale und Grenzen der Rezeptionsästhetischen Positionen? Es ist somit zunächst zu untersuchen, inwiefern es eine für den Leser erkennbare Autorintention gibt oder geben kann. Dabei ist das Problem der Autorschaft und der Lesbarkeit von Zeichenstrukturen, ins Besondere der klanglichen Chiffren, der musikalischen Zeichen, zu beleuchten. Ansätze dazu finden sich in Foucaults Aufsatz „Was ist ein Autor?“. Das von Gebauer und Wulf herausgegebene Kompendium zum Thema Mimesis als einen möglichen Zugang zur Welt, der durch Subjekt-Objekt- Trennung erschwert, wenn nicht letztendlich sogar unterbunden wird und daher überwunden werden muss (vgl.: Adorno: Lebendige Interpretation) deutet auf einen weiteren Untersuchungspunkt hin. An diesen Gedankengang schließt auch Aleida Assmann mit ihrem Aufsatz „Im Dickicht der Zeichen an“, der sich mit der Problematik der Sprachlosigkeit von Texten auseinandersetzt, wenn diese nicht mehr mit Hilfe von Hermeneutik und Hodegetik betrachtet werden (können). Aus diesen ersten Erwägungen und der sich daraus ergebenden Problematik der Dechiffrierung von Texten, soll in einem weiteren Schritt nach Zugangsweisen gesucht werden, um das, was kryptisch verborgen zu sein scheint, hervortreten zu lassen. Dazu werden einige rezeptionsästhetische und philosophische Positionen zu untersuchen sein. Eine zentrale Stellung werden dabei Gadamer, Iser, Hegel, Jauß, Eco und Jäger einnehmen. Gadamers Hermeneutik, begreift Verstehen nur dort als mögliche Dimension, wo ein Traditionszusammenhang besteht, wo die Horizonte der Zeiten verschmelzen. Nach Gadamer EXTRAKT DISSERTATIONSEXPOSÉ– JANINE CHRISTGEN 4 - JANINEstehen CHRISTGEN alle denkenden Wesen in diesem Zusammenhang, wodurch die Einsicht in Texte früherer Zeiten überhaupt erst erwachsen kann. Die Hermeneutik, die Gadamer entwickelt steht in Verbindung mit den Überlegungen der hegelschen Dialektik, so dass diese in Teilen in die Darlegung einfließen sollte. Für Jauß zeigt sich anstelle der Horizontverschmelzung ein Horizontwandel, der ihn eine Abweichungsästhetik begründen lässt. Der historische Text kann nur begriffen werden, wenn man sich mit seinem Entstehungshorizont assimiliert. Somit ist nicht jeder Text zu jeder Zeit für alle Menschen unmittelbar verständlich. Eine weitere Differenzierung und Verschärfung des Problems bringt Wolfgang Iser, der seine „Leerstellentheorie“ an die Ideen Roman Ingardens anbindet. Iser sieht die Problematik der Verständlichkeit von Texten in der Natur des Textes und der Zeichen begründet. Dem Autor ist es schlicht unmöglich, seinen Text so zu gestalten, dass er nur eine einzige mögliche Aussage enthält. Die Aussagemöglichkeiten eines Textes sind somit polyvalent, der Text jedoch vermag außerhalb jeder zeitlichen und räumlichen Begrenzung seine Sprachfähigkeit zu erhalten. Dafür büßt er die Dimension einer Autorintention ein. Mit dieser Problematik beschäftigt sich auch Umberto Eco, der dies vor allem in seinem Buch „Die Grenzen der Interpretation“ thematisiert. Jäger zentriert das Gebiet des Bedeutungswandels und der Bedeutungskonstanz, so dass seine Betrachtungen neben jenen von Habermas, Saussure und Luhmann ebenfalls einbezogen werden müssen. Abschließend sind die Grenzen der Rezeptionsästhetik abzustecken und zu eruieren, was sich an diese anschließt. Ausgehend von Derridas Schrift zur „Differance“ soll das Erwachsen der Dekonstruktionsbewegung begründet dargestellt werden. Die grundlegende Erkenntnis der Dekonstruktion, dass es letztendlich unmöglich ist, einen konsitenten, intersubjektiven Textsinn zu erschließen, führt zu weiteren Fragen, welchen im Laufe der Forschungsarbeit nachgegangen werden soll: Was kann folgen, wenn Texte aufgrund ihrer Polyvalenz jegliche intersubjektive Vergleichbarkeit verlieren? Was geschieht, wenn Sprache nicht mehr ist, was sie verspricht, wenn sie eben nicht mehr kommuniziert? Kommt es zur Kreation neuer Sprachen oder endet die Entwicklung im Schweigen? Die Sprachlosigkeit als existentielles Schweigen, wird sich dabei tatsächlich als eine entscheidende Dimension in der Moderne herauskristallisieren, welche aus der Rezeption und der damit einhergehende Beschäftigung mit der Sprachfähigkeit jener musikalischen Texte der Vergangenheit erwächst. Diese drei angesprochenen Ebenen der Rezeptionsästhetik sollen sich nun in einem zweiten Teil der Arbeit in musikalischen Texten wiederfinden. Zum einen scheint die Entwicklung tatsächlich im Schweigen zu enden. Im auskomponierten Schweigen, der Pause EXTRAKT DISSERTATIONSEXPOSÉ– JANINE CHRISTGEN 5 - JANINE(beispielsweise: CHRISTGENFeldman, Rihm, Schnebel), oder in der Ablösung des Gesangs (der Sprache) durch Sprechen (dem gesanglichen Schweigen). Dies korreliert mit dem dekonstruktivistischen Ansatz Derridas, der aus jeder Position eine neue Negation entspringen lässt und auf diese Weise eine eindeutige Sinnaussage verunmöglicht. Andere Komponisten arbeiten an der Überwindung dieser Konstellation (z.B.: Zender, Pousseur, Berio). Für Zender scheint es so beispielsweise möglich, dass Texte ihre Sprachfähigkeit zurückerlangen, indem man sie aktualisiert, den Hörer in ein neuartiges Rezeptionsverhältnis versetzt. Diese Überlegungen lassen sich auf die rezeptionsästhetischen Ansichten von Iser, Ingarden, Eco, sowie einige antike philosophische Theorien (Heraklit, Platon) zurückbeziehen. Im Zuge der Forschung sollen hier explizite Verbindungen gezogen und das kompositorische Vorgehen somit erläutert werden. Eine dritte Position scheint die Sprachfähigkeit historischer Texte nicht anzuzweifeln, sich sogar als durch diese bedingt, als im Traditionszusammenhang stehend, zu betrachten. Diese Denkweise kann vor allem an die hermeneutischen Diskurse Gadamers und Habermas´ zurückgebunden werden. Auch hier sollen Komposition und Rezeptionstheorie im Laufe der Forschung zusammengeführt und so distinguiert werden. Alle diese Positionen eint der Wille zum Dialog mit der Geschichte, der immer unterschiedlich gestaltet ist. Es wird darzustellen sein, warum auch das Verstummen, das musikalische Schweigen, eine Konsequenz der Rezeption und der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sein kann. Es wird sich so als eine Art der Konklusion der Beschäftigung mit der Krise der Kommunikation herausstellen. Die Verweigerung der Kommunikation und absichtsvolle Ausblendung aller Assoziationen und Retrospektiven schafft einen Minimalismus, der aus der Sichtweise der scheiternden Kommunikation und der Unmöglichkeit einer intersubjektiv gültigen Dechiffrierung erwächst. Die Fragen, die alle diese Komponisten und ihr Arbeiten beeinflussen sind: Von wem und wie wird Musik verstanden? Kann man Musik „falsch“ verstehen? Kann sie eine ursprüngliche Intention haben, die sie verliert, oder sind die Wurzeln unserer Tradition noch immer so vertraut und gegenwärtig, als gäbe es weder Vergangenheit, noch Zukunft oder Gegenwart, sondern eine zeitliche Omnipräsens? Was wäre nötig, um im gegenwärtigen Bewusstsein des Rezipienten den Traditionszusammenhang ins Bewusstsein zu rufen – oder ist er dort nie verschwunden? Und selbst wenn es einen Traditionszusammenhang gibt, gewährleistet dieser, dass die Polyvalenz des Textes die Kommunikation nicht doch zerstört, dass er nicht doch letztlich unverständlich bleibt? EXTRAKT DISSERTATIONSEXPOSÉ– JANINE CHRISTGEN 6 - JANINEDies CHRISTGEN sind Fragen, die divergent zu diskutieren und vermittels der ästhetischen Texte der ausgewählten Komponisten und sprachphilosophischer Ansätze zu beleuchten sein werden. Aufgrund dieser Konzeption kann die Rezeption Alter Musik und deren Reproduktion im Neoklassizismus nicht berücksichtigt werden, da ihr die Dimension der Auseinandersetzung mit der Sprachfähigkeit fehlt. Der Neoklassizismus rezipiert den Kompositionsstil der vergangenen Epoche ohne den Hintergrund von Rezeptionsästhetik und Kommunikationsfähigkeit zu thematisieren. Im Zuge dieser Forschung kann jedoch nur solche Rezeption berücksichtigt werden, welche die Kommunikationsfähigkeit alter Texte oder musikalischer Texte überhaupt - zentrieren. Somit handelt es sich, was explizit nachzuweisen sein wird, um ein spezifisches Problem der Moderne, ihrer Kultur und ihrer Individuen, welche ihre Kommunikation gleichfalls als defizient erfahren. Auch Kompositionen, welche sich zwar mit der Sprachkrise auseinandersetzen, die Frage nach der Kommunikationsfähigkeit der älteren musikalischen Texte aber ausklammern, können ebenfalls nicht analytisch berücksichtigt werden. Dennoch sind einige ästhetische Anschauungen und Ideen dieser Komponisten (z.B.: Henze, Busoni) als theoretische, zeitimmanente Zeugnisse zu berücksichtigen, um auf ihrem Hintergrund die Diskussion über Musik und Sprache, Sprachfähigkeit, Aktualisierungsnot und Sprachverlust fundierter führen zu können. Vermittels dieser Ausschlusskriterien ergibt sich eine Zentrierung für die Auswahl der analytisch zu untersuchenden Komponisten und deren Werke, die im Folgenden mit ihren grundlegenden Anschauungen und den zu analysierenden Werken aufgeführt werden: Zusammenführung Aufgrund der Analysen spezifischer Komponisten und ihrer Werke, wie auch ihrer ästhetischen Schriften und Äußerungen, soll sich ein Spektrum der Beschäftigung der Moderne mit der Geschichte und ihren Texten ergeben. Es ist zu untersuchen, wie mit der Sprache und der Kommunikationsfähigkeit der Musik divergent umgegangen wird und wie sich dies besonders auch aus der gesellschaftlichen und sozialen Situation der Moderne speist. EXTRAKT DISSERTATIONSEXPOSÉ– JANINE CHRISTGEN 7 - JANINE CHRISTGEN Dabei soll deutlich werden, wie Literatur, Philosophie, Linguistik, Kunst und Gesellschaft in einem offenen Dialog der Moderne zusammengeschlossen werden. Es soll betont und ausgeführt werden, wie Komponisten sich mit literarischen Werken ebenso auseinandersetzen, wie mit Theorien der Sprachphilosophie, der Kommunikationstheorie und der Bedeutung von Geschichte. Wie kann Geschichtlichkeit in die Gegenwart einfließen und welcher Faktoren bedarf es dazu? Welche speziellen Techniken müssen beispielsweise in der Komposition angewendet werden, damit „historische“ Texte auch heute wieder „sprechen“? Ins besondere soll jedoch auch betrachtet werden, wie diese kompositorische Auseinandersetzung mit und das Ringen um Sprache sich auch in der gesellschaftlichen Struktur und der Vereinzelung der Individuen der modernen Gesellschaft spiegelt. Zugleich wird hervortreten, dass die Polyvalenz der Möglichkeiten und die Überforderung des Subjekts sich durch die multiplen Wege, die dem Individuum in der modernen Gesellschaft angeboten werden, gleichsam in den Kompositionen manifestiert, indem Zitatgeflechte und musikalisch ausweglose, labyrinthische Strukturen in den Werken erscheinen, die dem Hörer akustisch zu vermitteln suchen, welchen Prozessen dieser sich täglich ausgeliefert sieht. Vermittels dieser Konfigurationen scheint dem Diskurs mit der Vergangenheit eine implizite Gesellschaftskritik zu inhärieren, die sich in Form von Sprachkritik sowie der Kritik der Polyvalenz der Welt und der damit einhergehenden Orientierungslosigkeit zeigt. Gleichzeitig resultiert aus dieser Kritik auch die Suche nach Manifestation und Rückhalt des Individuums, welche, so scheint dies zumindest in einigen Werken moderner Komponisten, vermittels der Rückwendung zur Tradition gleichsam wiedergefunden werden können. Andererseits kann diese Krisenerfahrung auch zum Bruch mit jeglicher Tradition führen, woraus sich die Möglichkeiten ergeben, ein neues, tragfähiges System zu etablieren oder ein radikalen Verstummen zu postulieren. Die Mittel und Wege zu dieser Konfigurationen können anhand einzelner Werkanalysen und der in ihnen verwendeten Mittel nachvollzogen und gestützt werden. EXTRAKT DISSERTATIONSEXPOSÉ– JANINE CHRISTGEN 8 - JANINE CHRISTGEN Eigene Vorarbeiten Mein Dissertationsvorhaben bindet sich an die Fragestellungen an, welche ich bereits im Zuge meiner Magisterarbeit betrachtet habe. Diese Arbeit beschäftigte sich mit der Rezeption der Winterreise in der Moderne am Beispiel von Hans Zenders komponierter Interpretation. Die genaue Analyse des Werks Zenders und die Auswertung seiner ästhetischen Texte veranlassten die Beschäftigung mit der Rezeptionsästhetik und ihren philosophischen und literaturwissenschaftlichen Determinanten. Die interdisziplinäre Verbindung korrespondiert mit den während meines Studiums gewählten Nebenfächern (Deutsch und Philosophie). Das Studium der Literatur der Moderne und ihrer Ästhetik, der Erkenntnistheorie, der Hegelschen Dialektik und der philosophisch, ästhetischen Positionen der Moderne führten zu der Ermöglichung dieses interdisziplinären Forschungsvorhabens. Im Zuge meiner musikwissenschaftlichen Ausbildung bietet mir das fundierte Studium, vor allem der Alten Musik und jener der Romantik, die Basis für die nötigen komparistischen Studien, die zwischen der Neukomposition und der in ihr rezipierten Vorlage vorgenommen werden müssen, um einen fundierten Erkenntnisgewinn zu sichern. Die Auswertungen, die in meiner Magisterarbeit bezüglich Zenders Betrachtungsweise der musikalischen Texte der Vergangenheit entstanden sind, sollen in die Dissertation einfließen und eine der divergenten Möglichkeiten des Um- und Zugangs zu musikalischen Texten spiegeln. Durch meine Magisterarbeit konnte ich mich somit basal mit der Rezeptionsthematik und der Problematik der Sprach- und Kommunikationsfähigkeit in der Musik vertraut machen. Gleichzeitig führte mir die Arbeit vor Augen, daß sich gerade die Moderne verstärkt mit der Rezeption alter Texte beschäftigt. Durch die Forschung nach den Beweggründen dessen stieß ich immer wieder auf die Problematik der Sprachfähigkeit musikalischer Texte und der Sehnsucht nach dem Gelingen von Kommunikation als gesamtgesellschaftlichem Problem der Moderne, welches sich in allen Künsten und vielen geisteswissenschaftlichen Diskursen dieser Zeit spiegelt. EXTRAKT DISSERTATIONSEXPOSÉ– JANINE CHRISTGEN 9 - JANINE CHRISTGEN Forschungsstand und Relevanz des Themas Aufgrund der zuvor beschriebenen Erkenntnisse zeigt sich eine sowohl interdisziplinäre, wie gesamtgesellschaftliche Relevanz des Themas. Gleichzeitig erscheint die wissenschaftliche Betrachtung dieses Gegenstandes als nahezu unerforscht. Zwar sind Darstellungen zur Rezeption der Werke namenhafter Komponisten der Vergangenheit, besonders jener Bachs und Mahlers, ebenso wie ein Lexikon, welches als Kompendium aller Kompositionen dient, die Werke der Vergangenheit rezipieren, vorhanden, ebenso wie Betrachtungen zu Musik und Sprache und Darstellungen über rezeptionsästhetische Positionen, doch existieren keine Veröffentlichungen, die all jene Aspekte verbinden. Es fehlt an Darstellungen, welche nach den Hintergründen der Rezeptionen und ihrer Häufigkeit in der Moderne fragen. Die Thematik der Sprachfähigkeit musikalischer Texte in Verbindung mit der Rezeption wird zwar von den einzelnen Komponisten in Kommentaren zu ihren Werken oder ihren ästhetischen Äußerungen angesprochen, jedoch in der Forschung kaum betrachtet. Ein Vergleich zwischen verschiedenen Rezeptionsarten und deren ästhetischen Hintergründen liegt zur Zeit noch nicht vor. Die rezeptionsästhetischen Modelle der Philosophie und Literaturtheorie werden zwar von den Komponisten rezipiert, jedoch in der Forschung bisher nicht beleuchtet. Daher liegen auch keine vergleichenden Betrachtungen oder die Untersuchung der Rezeptionshintergründe vor. Die besondere Relevanz der Erforschung dieses Themenbereichs ergibt sich somit aus zwei Determinanten: Einerseits die wissenschaftliche Unerforschtheit dieses Gebietes und andererseits seine interdisziplinäre Bedeutung.