Architectura Parlante Seite 1 von 2 "ARCHITECTURA PARLANTE" - SPRECHENDE ARCHITEKTUR Die belehrende Rolle der Kunst: Künstler tragen eine schwere Bürde. Dürer: „Der Mensch von guter, frummer Natur würd gebessert durch viel Künst. Denn Sie geben zu erkennen das Gut und den Bösen.“ Der Künstler also muß wissen, was gut und böse ist und erzieht zum Wahren, Guten und Schönen. Nun eine architektonische stilrichtung, die sich mit derselben Thematik beschäftigt. Wir untersuchen es genau, um herauszufinden , für welchen Zweck es gebaut wurde. Das Frauenzuchthaus in Würzburg, 1811 - 1814 Die quadratische Front mit kubisch- wuchtiger Architektursprache wirkt wie ein monumentales Denkmal. Die Sprache ist klar, einfach und reduziert. Die äußere Form läßt das Innere erahnen. Ein wenige Meter tiefer Mauerblock zeigt eine annähernd quadratische Front. Das Gebäude ist klar in 3 horizontal geschichtete Geschoßzonen gegliedert durch Gesimse und Rustica, keine axiale, vertikale Bindung: 1. Das Erdgeschoß wirkt als Sockel, schwer und festungsartig abweisend durch die wulstigen Polsterquaderrustica, das niedrige, breite halbkreisförmige Tor gleicht einem tiefen Schlund, von blinden halbrunden Seitenfenstern flankiert. ----- Hinweis auf das Eingeschlossenein im Gefängnis 2. Das Mittelgeschoß wirkt geschlossen, kahl mit fensterloser glatter Mauerfläche und wird belebt durch einen Scheinportikus ( Vorbau in der Art griechischer Tempel- mit Dreiecksgiebel) mit 10 gedrungenen Säulen der an eine Vergitterung erinnert. Die Säulengalerie mit den 10 stämmigen, kurzen Säulen verweist auf die 10 Gebote. Die Löwenmaske, in der Regel ein Türklopfermotiv, erscheint hier als Gerichts- und Machtsymbol. -----Hinweis auf das Geordnetsein im Gefängnis 3. Das Obergeschoß besteht aus sechs Rundbogenfenstern und fünf darüber liegenden Rundfenstern und wirkt dadurch reichhaltiger und optisch leichter. Hier fällt, nicht wie in den beiden anderen Geschoßen, wenig Licht ins Innere, die Fenster sind relativ groß. ----- Hinweis auf die Rückkehr der Gefangenen in die soziale Ordnung Die Fassade veranschaulicht die belehrende und erzieherische Aufgabe des Gebäudes und wird zum Träger emotionalen Ausdrucks. Der Häftling wird unten von einem abschreckenden Eingang in Empfang genommen und durch die strenge Zucht und Ordnung wieder zu einem sozialen Wesen geläutert – oben ist es licht und hell. Der Mensch ist besserungsfähig. Während eine Kirche zum Himmel blicken muß, muß ein Gefängnis düster und abweisend wirken Boullee: „Öffentliche Gebäude sind Gedichte“ Architectura Parlante Seite 2 von 2 belehrend und erziehend, Festigkeit und Rohheit, Größe und Stärke, vergitterte kleine Fenster, schwarz anmalen "Der schauerliche Charakter entsteht durch Verbindung von Größe und Stärke..." - SPRECHENDE ARCHITEKTUR