Putz + Trockenbau Erhalten statt neu bauen Kein Fachwerkhaus ist wie das andere, jedes hat seinen individuellen Charme und seine eigene, oft jahrhundertealte Geschichte. Wer ein solch historisches Gebäude saniert, arbeitet immer an einem Unikat und entwickelt Einzel- und Sonderlösungen – so geschehen auch bei der Sanierung eines 200 Jahre alten Bauernhauses im Harz. Das konstruktive Grundprinzip von Fachwerkhäusern ist so einfach wie genial: senkrechte Holzpfosten tragen die vertikalen Lasten des Hauses ab, horizontal angeordnete Hölzer verbinden die Pfosten und leiten die Horizontalkräfte weiter, schräg eingefügte Hölzer steifen gegen die Horizontalkräfte aus. Die Zwischenräume, sogenannte Gefache, werden meist mit einem Gemisch aus Holz und Lehm oder mit Ziegelwerk gefüllt. Sämtliche Spielarten des Fachwerks basieren auf diesem Prinzip. Gute Ratschläge Der Harzer Bauernhof in vierter Generation wurde nach Verlegung der Land- 34 wirtschaft jahrelang als Wohnraum vermietet. In dieser Zeit ruhte die Pflege zum Erhalt der historischen Bausubstanz, lediglich kleinere Reparaturen wurden durch die Mieter ausgeführt. Nachdem alle Versuche, das Anwesen zu verkaufen, ohne Erfolg geblieben waren, entschloss sich der Eigentümer im Februar 2013 zu einer Sanierung des Gebäudes und stellte entsprechende Anfragen an verschiedene Handwerksbetriebe. Die Rückmeldungen reichten von Vorschlägen zur Verkleidung mit Holz und Fassadenplatten oder Wärmedämmsystemen bis hin zur Abrissempfehlung. Nur Thomas Huwald, seines Zeichens Maler- und Lackierermeister aus Goslar 1 Bei den Vorarbeiten wurden »Fünfer- 2 Schäden an der Fachwerkfassade: Abblät- kreuz-Gefache« freigelegt, die vorher über- ternde Farbschichten, unsachgemäß ausge- putzt waren. füllte Holzrisse und verschiedenste Mörtel. 3 Freilegung der gesamten Fachwerk- 4 Das Holzfachwerk weist bis auf kleine Flä- fassade. chen mit Graubefall kaum Holzschäden auf. a u s b a u + fa s s a d e 12 | 2014 und selbst Besitzer eines schmucken, über 400 Jahre alten Fachwerkhauses, erkannte das Potenzial und empfahl eine umfassende Sanierung des Gebäudes. Huwald ist seit 1992 auf die Fachwerksanierung und -restaurierung spezialisiert und gehört zu den Fachleuten, die ihr Wissen um die alten Techniken und Traditionen mit heutigen Erkenntnissen und Systemen kombinieren. Er scheut weder die Anforderungen, die ein historisches Gebäude an das Handwerk stellt, noch die kreative Entwicklung individueller Lösungen, die eine Sanierung für den Liebhaber ebenso reizvoll wie komplex machen. Eine echte Herausforderung Beim ersten Besichtigungstermin und nach eingehender Untersuchung insbesondere des Fachwerkgefüges sowie der Gefache zeigte sich folgendes Bild: Eine völlig desolate Fassade mit zerstörtem Anstrich, abblätternden Anstrichteilen, unsachgemäß ausgefüllten Holzrissen, verschiedensten Mörteln bis hin zu Haftputzgips auf den Gefachen, Fliesenkleber mit Gewebeeinlage sowie Unmengen Silikondichtstoffe, PUR-Schäume verschiedenster Sorten und 2K-Polyesterspachtelmassen. Die Gefache waren bis auf teilweise noch vorhandene Ziegelfüllungen komplett marode und auch der Sandsteinsockel war durch unsachgemäßes Sandstrahlen zu 60 Prozent zerstört. Glücklicherweise wies das Fachwerkgefüge, insbesondere die Fachwerkpfosten und Schwellen, bis auf kleine Flächen mit Graubefall keine massiven Holzschäden auf. Eine echte Herausforderung – aber nicht hoffnungslos, entschied Thomas Huwald. Fachwerksanierung »Es gelang mir, den Eigentümer davon zu überzeugen, dass sein Gebäude trotz aller Bauschäden und Mängel mit Sicherheit nicht abrissreif ist«, erinnert sich der Fachmann. »Glücklicherweise hatte dieser mittlerweile begonnen, sich mit dem bis dato eher ungeliebten Objekt auseinanderzusetzen, Dokumente und Fotos zur Geschichte des Hofes gesammelt und war einer Sanierung nicht mehr ganz abgeneigt.« Huwald schlug vor, zunächst einen Maßnahmenkatalog samt Kostenplan aufzustellen und bekam schließlich den Auftrag, den Bauernhof historisch und fachlich korrekt instand zu setzen. Instandsetzung von Holz und Gefachen Zunächst machte sich das Malerteam daran, sämtliche Anstrich- und Putzschichten sowie alle Dichtstoffe und Spachtelmassen an den Gefachen, Fachwerkpfosten und am Sandsteinsockel zu entfernen. »Das Schuttaufkommen betrug 4,5 Tonnen«, berichtet Huwald. »Aber der komplette Rückbau war hier die unabdingbare Voraussetzung für eine sinnvolle Sanierung im Hinblick auf die spezielle Bauphysik eines Fachwerkhauses.« Denn das hölzerne Fachwerk und die ausgemauerten Gefache vertragen keinerlei diffusionsdichte Baustoffe. Die Maler arbeiteten beim Aufbau daher ausschließlich mit mineralischen Produkten aus dem Hause Keim, weil diese diffusionsoffen und daher »atmungsaktiv« sind. Die hohe Wasserdampfdurchlässigkeit der Silikatfarben gewährleistet, dass im Baukörper enthaltene Feuchtigkeit ungehindert und schnell nach außen abgegeben werden kann. Dies ist bauphysikalisch von Vorteil: Zwischen Anstrich und Untergrund entstehen keine Feuchteansammlungen, die zu Schäden führen. In Kombination mit einer geringen Wasseraufnahme – bei den einkomponentigen Keimfarben längst Standard - bietet dies Schutz vor Wasser- und Frostschäden sowie Algenund Pilzbewuchs. Für den Neuverputz der Gefache kamen »NHL Kalkputz grob« als Unterputz und 5 Gefache mit Lehmfüllung. darauf »NHL Kalkputz« zum Einsatz. Nach dem Ansteifen wurde der Putz durch einen dünnen Kellenschnitt vom Holz getrennt. Anschließend erhielten die Flächen einen Grundanstrich mit »Soldalit grob«, für das Finish wurde Soldalit als Zwischen- und Schlussbeschichtung gewählt. Soldalit ist eine silikatische Fassadenfarbe von Keim auf Basis von Kieselsol und Wasserglas. Diese Bindemittelkombination ermöglicht silikatische Anstriche auf mineralischen sowie einer Vielzahl organischer Untergründe – direkt und ohne zusätzliche Haftbrücken. Silikatfarbe auch für Holz Auch das Holzfachwerk wurde mineralisch beschichtet – mit »Lignosil«, der ersten Mineralfarbe für Holzoberflächen. Lignosil bietet sämtliche Vorteile einer mineralischen Beschichtung: Diffusionsfähigkeit, Feuchteschutz, Witterungsbeständigkeit und UV-Stabilität. Hinzu kommt ein geringer Material- und Arbeitsaufwand bei einer Renovierung. Die alte, verwitterte Lignosil-Oberfläche muss in der Regel nicht abgeschliffen werden – eine gründliche Reinigung ist als Vorbereitung ausreichend. Den ersten Anstrich der Holzbalken mit »Lignosil-Base« hatte das Malerteam vor dem Auftrag des Putzes vorgenommen, damit die später vom Putz verdeckten Holzflanken gegen eindringenden Schlagregen geschützt sind. Querfugen und Risse wurden mit »Lignosil HRP Pulver« und »HRP Flüssig« ausgefüllt und angearbeitet. Anschließend erhielten die Holzoberflächen einen zweifachen Auftrag mit »Lignosil Color«. Wermutstropfen Fenster prägen das Erscheinungsbild eines Gebäudes in ganz entscheidendem Maße mit. Dennoch wird bei diesem Bauteil das Hauptaugenmerk häufig auf Pflegeleichtigkeit und Kosten gelegt – mit der Folge, dass die Entscheidung zugunsten einflügeliger Fenster mit Kunststoffrahmen fällt. Auch beim Bauernhaus in Harlingerode waren die fachwerktypischen Sprossenfenster in den 1980er-Jahren durch pflegeleichte Kunststofffenster ohne Teilung ausgetauscht worden. Aus Budgetgründen wurde – vorerst – auf einen Austausch der Befensterung verzichtet. Leider stören diese Fenster den Gesamteindruck und sind der einzige Wermutstropfen in der ansonsten vorbildlichen Sanierung. Doch der Eigentümer hat vor, im Zuge der anstehenden Renovierung des angrenzenden Stallgebäudes neue, originalgetreue Sprossenfenster einzubauen. 6 Der Aufwand wurde belohnt – das Fachwerkhaus strahlt in neuem Glanz. (Fotos: Keim) a u s b a u + fa s s a d e 12 | 2014 35