Journal Club Referat Tapentadol: Konditionierte Schmerzmodulation und Offset-Analgesie bei diabetischer Neuropathie Niesters M, Proto PL, Aarts L, Sarton EY, Drewes AM, Dahan A. Tapentadol potentiates descending pain inhibition in chronic pain patients with diabetic poly­ das Opioid die Schmerzweiterleitung und Fazit Die Autoren kamen zu dem Schluss, ropathischen Schmerzen insbesondere nor- inhibiert gleichzeitig über den präsynapti- dass die Schmerzreduzierung durch Tapen- adrenerge vielverspre- schen α2-Rezeptor die Wiederaufnahme von tadol mit seiner Potenzierung absteigender chend sind, während bei akuten Schmerzen Noradrenalin (NRI) aus dem synaptischen inhibitorischer Schmerzbahnen in Zusam- opioide Wirkmechanismen mehr im Vorder- Spalt. menhang steht. Ihre Ergebnisse unterstützen grund stehen. Wie sieht die Situation beim 24 Patienten mit diabetischer Polyneuro­ einen möglicherweise synergistischen Effekt Menschen aus? pathie (DPN) erhielten randomisiert über von MOP und noradrenerger Wirkung, wo- Tierstudien zeigen, dass bei chronischen neuWirkmechanismen 4 Wochen 2× täglich entweder Tapentadol bei der noradrenerge Wirkmechanismus retard (durchschnittlich 433 ±31 mg/d) oder wie bei vorherigen Ergebnissen im Tierver- auch diabetischer Neuropathie, liegt vermut- Plazebo. Die Tapentadoldosierung titrierten such im Vordergrund zu stehen scheint. Die lich ein gestörtes Gleichgewicht zwischen die Untersucher von 200 mg/d bei 2× täg­ OA scheint weder durch Opiode noch durch hemmenden und fazilitierenden deszendie- licher Gabe in der ersten Woche auf 400 mg noradrenerge Wirkmechanismen verbessert renden Bahnen zugrunde. Diese modulieren in der 2. Woche und 500 mg in der 3. und­ zu werden. Möglicherweise ist die Nerven- die Aktivität nozizeptiver Neurone auf der 4. Woche auf. Bei Behandlungsbeginn und schädigung bereits zu ausgeprägt, um Unter- Ebene des Rückenmarks und die Signalwei- am letzten Tag der Behandlung maßen die schiede nachzuweisen. terleitung in das Gehirn. M. Niesters und Unter­sucher: Mitarbeiter von den Universitäten in Leiden ▶▶ Schmerzschwelle und Schmerztoleranz (Niederlande) und Aalborg (Dänemark) un- ▶▶ Schmerzstärke bei Hitzereizen anhand tersuchten jetzt bei Patienten mit neuropathischer Neuropathie mittels Tapentadol ▶▶ die konditionierte Schmerzmodulation einer visuellen Analogskala (VAS) ▶▶ CPM mit erstem Schmerzreiz (Hitze) am Unterarm und konditionierendem (conditioned pain modulation, CPM), ein Schmerzreiz (Kälte) an Fuß und Wade experimentelles Maß, um die Hemmung anhand einer VAS absteigender Bahnen beim Menschen zu quantifizieren, und ▶▶ Offset-Analgesie (OA), d. h. die zeitliche Veränderung der Schmerzverarbeitung ▶▶ die Offset-Analgesie (OA), ein erst kürz- Während die Untersucher in der Plazebo- lich entdecktes Modell für eine endoge- gruppe innerhalb der 4-wöchigen Behand- ne Analgesie, die zeitliche Veränderun- lung nur eine geringe Abnahme der Schmerz- gen der Schmerzverarbeitung produziert. symptomatik beobachteten, war der Das Phänomen der OA tritt auf, wenn eine Unterschied im Vergleich zu den Ausgangs- geringe Temperaturerniedrigung (um 1 °C) werten in der Tapentadolgruppe signifikant während eines Schmerzreizes eine überpro- (Abnahme von 6,5 Punkten auf 3,9; p = 0,03). portional starke Abnahme der Schmerz- Die analgetische Wirksamkeit von Tapenta- wahrnehmung evoziert. Funktionelle Bild­ dol korrelierte dabei mit der CPM (Zunahme gebungsstudien weisen darauf hin, dass von 9,1 bei Studienbeginn auf 24,2). Die OA, gleichzeitig mit der Aktivierung von OA die bei den Patienten um rund 40 % im Ver- Hirnregionen stimuliert werden, die an der gleich zu gesunden Probanden reduziert war, zentralen Schmerzmodulation beteiligt sind. blieb in der Studie unverändert. Weder Pla- Tapentadol zebo noch Tapentadol führten zu relevanten ist ein zentral wirksamer µ-Rezeptor-Agonist (MOR). Damit hemmt 124 Veränderungen der OA. Dr. sc. hum. Katrin Wolf, Eitorf Bildnachweis: Anna Hecker / Thieme Verlagsgruppe Vielen chronischen Schmerzsyndromen, wie Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. neuropathy. Br J Anaesth 2014; 113: 148–156 Journal Club Schmerzmedizin 3 · 2014 Kommentar Der Effekt von Opioiden auf zentrale geeignete Kontrolle? Aus zahlreichen Unter- fisch für Patienten mit schlechten CPM-Aus- Schmerzhemmung und -sensibilisierung suchungen ist bekannt, dass Plazeboeffekte gangswerten (wie bei dem noradrenergen wird seit Jahren intensiv und teilweise bei Schmerz (ebenso wie CPM) zumindest Duloxetin), oder existiert der Effekt auch bei ­leidenschaftlich diskutiert. Ein ebenso span- teilweise über endogene Opioide vermittelt Menschen mit guter CPM? Wie sieht es bei nendes Thema ist der Einfluss der CPM auf werden. Somit ist es durchaus plausibel, dass schmerzfreien Probanden aus? Baut sich die Chronifizierungsprozesse: Einige Ergebnisse Plazebo ein CPM-Aktivator ist, was die nega- Wirkung über Wochen auf, oder wäre sie weisen darauf hin, dass es sich möglicher- tiven Ergebnisse anderer Studien erklären auch schon akut nachweisbar? Beruht sie auf weise um einen wichtigen protektiven Fak- würde. Zudem weist die Untersuchung ein der opioidergen oder der noradrenergen tor handelt. Was also liegt näher, als den deutliches Manko auf, das die Autoren auch Wirkkomponente? Hier wären Ergebnisse Einfluss von Analgetika auf dieses – nach wie selbst aufzeigen: Zwei der 12 Verum-Patien- aus dem ursprünglich geplanten Studien- vor nicht vollständig verstandene – Phäno- ten hatten eine Begleitmedikation mit Dulo- design interessant, das auch einen Vergleich men zu untersuchen? xetin, jedoch keiner in der Plazebogruppe. mit Morphin und gesunde Probanden um- Der von den Autoren gefundene Anstieg des Eine Beeinflussung der CPM durch Duloxetin fasste. CPM-Effekts ist bemerkenswert, da dies für ist aufgrund anderer Daten jedoch wahr- Insgesamt bleibt also viel Raum für weitere andere Opioide (Morphin, Oxycodon) bisher scheinlich, sodass eine Verzerrung der Forschung – das Verdienst mancher Studien in plazebokontrollierten Studien nicht ge- Ergebnisse zumindest möglich ist. besteht eben nicht darin, klare Antworten zu zeigt werden konnte. Dies könnte auf dem Die von den Autoren gesehene Verbesserung liefern, sondern spannende Fragen zu gene- dualen Wirkmechanismus des Tapentadols der CPM durch Tapentadol wirft natürlich rieren. beruhen. Aber ist hier Plazebo wirklich die eine Reihe neuer Fragen auf: Ist dies spezi- 125 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Dr. med. Dirk Boujong Interdisziplinäres Schmerzzentrum am Bezirksklinikum Obermain, Ebensfeld