Spectrum Wo der Strom mit Freuden fließt

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Umspannwerk ´Salzburg
Mitte´
Elisabethkai 56
5020 Salzburg, Österreich
Wo der Strom mit Freuden fließt
von Liesbeth Waechter-Böhm
Ein Raum – eigentlich mehr ein Saal, eine Halle – ohne Außenbezug, ganz künstlich
belichtet: An Wänden, Boden und Decke die Farben Ultramarin und Kobaltblau, nur die
gelb gestrichene Kranbahn zeichnet quasi über die volle Länge eine Art Leuchtspur hinein,
in der Mitte die eindrucksvollen Maschinen einer 110-Kilovolt-Schaltanlage. Architektur, so
die Architekten Marie-Claude Bétrix und Eraldo Consolascio, die unabhängig von Wetter
und Tageszeit existiert, mit dem Einschalten des Kunstlichts erscheint und mit dem
Ausschalten verschwindet.
Das neue Umspannwerk der Salzburger Elektrizitätswerke liegt auf einer großen
Industrieparzelle inmitten der Stadt, an der Salzach. Seinerzeit, im Jahr 1956, als dort ein
Heizkraftwerk errichtet wurde, hagelte es Proteste. Denn längst hatte das städtische
Wachstum der Stadt den früher einmal peripheren Standort überwuchert. In
innerstädtischer Lage sieht man derartiges aber nicht gern: Heizkraftwerk, Umspannwerk,
Entschwefelungsanlage – und was da sonst noch alles zusammenkommt.
SAMMLUNG
Spectrum
ARCHITEKTIN
Bétrix & Consolascio
Eric Maier
BAUHERRIN
Salzburger Stadtwerke AG
STATIK
Werner Westhausser
Harald Rosenkranz
FUNKTION
Industrie und Gewerbe
PLANUNG
1989 - 1992
AUSFÜHRUNG
1992 - 1995
MITARBEIT PLANUNG
1987 wurden die Schweizer Architekten Bétrix und Consolascio hier ein erstes Mal aktiv,
als sie die neue Entschwefelungsanlage planten. Jetzt folgte das Umspannwerk Mitte. Das
dringend erneuerungsbedürftige Heizkraftwerk müßte und sollte eigentlich der nächste
Bauabschnitt sein. Hier an der Salzach ist also die "fortschreitende ästhetische Reparatur
eines Unortes" (Friedrich Achleitner) angesagt.
Und ästhetisch hat das neue Umspannwerk allerhand zu bieten. Man glaubt es kaum, ist
doch ein Umspannwerk ein Gebäude, das nicht in erster Linie für Menschen, sondern für
Maschinen gemacht ist. Aber das hat die Architekten anscheinend nicht tangiert, wenn
man davon absieht, daß sie die Schaltanlagenräume – wohl auch aus Sicherheitsgründen
– im Kern des Hauses plaziert haben, also ohne Außenzugänge und Tageslicht.
Neben den Technikräumen enthält das Haus zur Straße hin ein Geschäftslokal, das
einstweilen noch ungenutzt ist und von dem man sich wünschen würde, daß es keiner
kommerziellen, sondern einer kulturellen Nutzung zugute kommt (geradezu ideale Räume
für eine Galerie!); es enthält Werkstätten; es enthält Büroflächen; es enthält eine kleine
Wohnung für den jeweils am Wochenende diensttuenden Ingenieur; und es hat zwei
Dachgärten.
Fangen wir oben, bei den Dachgärten an: Des Esseintes, der Held von Joris-Karl
Huysmans' Roman "A Rebours", hätte seine Freude daran, denn so künstlich wie hier ist
Natur selten. Kleine Pflänzchen in zwei verschiedenen Farbtönen – silbrig und grün –
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Wolfgang Pessl (BL)
WEITERE KONSULENTiNNEN
Haustechnik-Planung: Axel Burggraf,
Salzburg
Elektro-Planung: Salzburger
Stadtwerke AG
Fassaden-Planung: Mebatech, J. Zaba,
Baden (CH)
Akustik, Schallschutz: Bächli AG, B.
Gandet, Baden (CH)
Bauphysik: H. Leuthe, Biel (CH)
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Umspannwerk ´Salzburg Mitte´
formieren sich zu einer Art aufgerollter Streifentapete, ganz systematisch in Reih und
Glied, mehr einem abstrakten Bild verwandt als einem Dachgarten.
Oder fangen wir unten an, bei der Treppe: Sie bildet das Herzstück des Gebäudes und ist
als eine Art begehbare Skulptur, als ein räumliches Kunstwerk formuliert, in den Farben
des Rohbetons und in einem schrillen Safrangelb. Der Verlauf dieser Treppe kennt keine
Geometrie, und nach oben zu wird sie nicht perspektivisch schmäler, sondern breiter.
Wenn es in diesem Haus ein unübertreffliches architektonisches Spektakel gibt, dann ist es
diese Treppe. Ein Haus – gedacht als ein Körper mit Schichten: So teilt sich das
architektonische Konzept nach außen mit. In diesem Fall wurde der Körper dabei relativ
kompakt und geschlossen formuliert, wobei sich an der Hauptfassade eine dunkle Schicht
vor eine helle schiebt und diese Fassade in schmalen Streifen wie aufgeschnitten wirkt.
Dort sitzen die Glasflächen, große Schiebefenster, von denen die Architekten sagen, daß
es irreführend wäre, sie als Bandfenster zu bezeichnen. Drei statische Elemente –
Quadersäule, Würfel, Pendelstütze – treten nur für den Spezialisten sichtbar in
Erscheinung, weil sie bis zur Unkenntlichkeit – fast bis zum Kunstwerk – umgedeutet sind.
Bétrix und Consolascio hatten bei diesem Haus, das sie unter Mitarbeit von Eric Maier
planten, eine Art Heimvorteil: Seit dem Bau der Entschwefelungsanlage erfreuen sie sich
ganz offensichtlich des uneingeschränkten Vertrauens ihres Bauherrn. Und das muß dazu
beigetragen haben, daß sie eben nicht einfach nur ein Haus planen durften, sondern daß
sie sehr viel mehr tun konnten, auch bis hin zum kleinsten Detail der Ausstattung. Das führt
beim Rundgang durch das Gebäude zu einer unerhörten Erlebnisdichte noch im
verstecktesten Winkel, und es schafft eine räumliche Atmosphäre der erlesensten Art.
Wer hier arbeitet, den kann man nur unverhohlen beneiden, weil es solchen ästhetischen
Luxus heute einfach ganz, ganz selten gibt. Dabei hat das Gebäude eine sehr rigorose, bis
zum Äußersten getriebene Logik. Diese hat mit seiner Lage auf dem Grundstück zu tun
sowie mit dem Raumprogramm, das sich in genau bezeichneten Schichten entwickelt; und
sie setzt sich fort bis in die verwendeten Materialien und bis hin zu den Oberflächen.
Was zum Beispiel letztere betrifft, war es das erklärte Ziel der Architekten, die
nachträgliche "dekorative" Oberflächenbehandlung so weit wie möglich zu vermeiden. Das
heißt, die Beschaffenheit der Oberflächen sollte sich dem Herstellungsprozeß selbst
verdanken.
So wurden etwa an einem Teil der Fassade vor dem endgültigen Abbinden die
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Umspannwerk ´Salzburg Mitte´
Betonfeinanteile an der Wandoberfläche entfernt. Das geschah mit Hilfe eines farblosen
Hydrophobierungsmittels, das aber durch die erhöhte Kapillarität der Wand den Beton
dunkel färbte. – Bei der Raumbehandlung gingen die Architekten von zwei Extremen aus:
Von den völlig abgekapselten Technikräumen im Gebäudeinneren, die jeweils in eine
einzige Farbe getaucht sind; und vom tageslichtdurchfluteten Bürogeschoß, in dem
Sichtbeton und Akazienholz das Bild beherrschen und Innen- und Außenraum kunstvoll
miteinander verschränkt sind.
Zwischen diesen beiden extremen Polen wickelt sich ein "geschichtetes", formal
differenziertes Raumprogramm ab. Man muß natürlich schon Fundamentalist sein, um
überhaupt eine solche Qualität – auch Ausführungsqualität – zu erzielen. Aber das ist bei
Bétrix/Consolascio ganz offenkundig der Fall. Oder hat man je von einem anderen
Architekturbüro gehört, das wie dieses den Handwerkern Eins-zu-eins-Pläne von jeder
einzelnen Tür vorlegt?
Die "ästhetische Reparatur" eines Unortes: In Angriff genommen wurde sie noch unter
Voggenhuber, als der Gestaltungsbeirat ein Gutachterverfahren für die
Entschwefelungsanlage verlangte. Die Salzburger Stadtwerke waren damals nicht gerade
begeistert. Aber wie gesagt, das hat sich seither dramatisch geändert. Bétrix/Consolascio
haben nicht nur das neue Umspannwerk gebaut. Sie arbeiten bereits an der Planung des
neuen Heizkraftwerks als nächster Stufe der baulichen Verbesserung dieser städtischen
Industrieparzelle an der Salzach. Im Norden von Salzburg wird außerdem gerade ein ganz
"besonderes" Fernheizwerk dieses Architektenehepaares fertig.
Man kann wahrscheinlich ohne Übertreibung sagen, daß mit diesen Bauten von
Bétrix/Consolascio eine neue Dimension im Industriebau Einzug gehalten hat. Sie betrifft
die formalen Qualitäten dieser Gebäude, sie betrifft aber auch die konzeptuelle
Folgerichtigkeit, die sich darin ausdrückt. Denn Industriebauten sind heute nur zu oft bloße
Hüllen für Technik, für Maschinen. Menschen halten sich darin bestenfalls temporär auf.
Und das hat üblicherweise die Auffassung zur Folge, daß man sie architektonisch
vernachlässigen darf.
Der gedankliche Ansatz von Bétrix/Consolascio verläuft umgekehrt: Die Technikräume sind
das, worum es im neuen Salzburger Umspannwerk Mitte im wesentlichen geht. Und dieser
Bedeutung trägt die Architektur Rechnung. Das tut sie zwar ohne Prahlerei und
Verschwendung, aber mit einer selbstverständlichen Ernsthaftigkeit und einer eben auch
ästhetischen Erlesenheit, die ihresgleichen suchen. Und daran werden sich andere
orientieren müssen, wenn sie im Industriebau architektonische Maßstäbe setzen wollen.
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Umspannwerk ´Salzburg Mitte´
Spectrum, 17.06.1995
WEITERE TEXTE
Umspannwerk ´Salzburg Mitte´, Az W, 14.09.2003
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