Aus: Opernwelt, November 2008 Von Strauss zu Bartók über Mozart Rückblick auf zwanzig Salzburger Symposien Albert Gier (Bamberg) Im August 1989, wenige Wochen nach Karajans Tod, fand das erste von der Internationalen Salzburg Association (ISA) und der Universität Salzburg in Zusammenarbeit mit den Festspielen organisierte Symposion statt, das Thema waren die „Antike[n] Mythen im Musiktheater des 20. Jahrhunderts“, Anlass war die Elektra-Produktion jenes Jahres. Das Konzept – eine Inszenierung oder die Programmschwerpunkte der Festspiele als Anknüpfungspunkt für ein weiter gefasstes Thema – blieb in der Folgezeit wesentlich gleich, insgesamt zwanzigmal fand das Symposion statt. Jetzt ist Schluss: Die Organisatoren, die 1989 gemeinsam anfingen, sind inzwischen alle im Ruhestand, können und wollen nicht weitermachen. Unter den Gründervätern war bezeichnenderweise nur ein Musikwissenschaftler (Gernot Gruber), neben zwei Altgermanisten und einem allgemeinen Sprachwissenschaftler, die aber alle Theater-Erfahrung in Dramaturgie (die beiden Salzburger Ulrich Müller und Oswald Panagl) oder Regie (Jürgen Kühnel) mitbrachten, der Fünfte im Bunde war Peter Csobádi, vormals Pressechef der Osterfestspiele. Die Salzburger Symposien waren immer Veranstaltungen für Grenzgänger. Deshalb funktionierte auch der Austausch mit den Theaterpraktikern, Rundfunkredakteuren und anderen Nichtwissenschaftlern. Joachim Herz, das streitbare Urgestein der deutschen Opernregie, und einige andere kamen regelmäßig. Außerdem war Salzburg einer der (nicht mehr allzu zahlreichen) Orte, wo die Wissenschaft und das interessierte Festspielpublikum miteinander ins Gespräch kommen konnten. Die Symposionsthemen luden dazu ein, einzelne Werke oder Werkgruppen unter einer bestimmten Fragestellung zu analysieren. Die Hälfte der Tagungen war Stoffen oder thematischen Konstanten gewidmet: Auf die antiken Mythen folgte noch der ‚Trojanische Krieg‘ im (Musik-)Theater (2002), als Herbert Wernicke Les Troyens inszenierte, eine weitere Tagung widmete sich den neuzeitlichen Mythen Don Juan und Faust. Mahagonny von Brecht/Weill bot die Gelegenheit, sich mit Darstellungen der Stadt auf der Bühne zu beschäftigen, zum Thema ‚Traum‘ führte Korngolds Tote Stadt (2004); Herzog Blaubarts Burg war schuld daran, dass der ‚Tod‘ passenderweise am Ende stand (2008). Bemerkenswert, dass drei Tagungen der politischen Dimension des Theaters gewidmet waren: Ausgehend von Boris Godunow beschäftigte man sich 1994 mit dem „verfolgten und betrogenen Volk“, 2001 ging es um „politische Mythen und nationale Identitäten“, 2003 um „Musiktheater in Exil und Diktatur“. Teilnehmer aus Osteuropa machten nicht nur bei diesen drei Tagungen auf im Westen kaum bekannte Werke und Komponisten aufmerksam. Wiederholt reflektiert die Institution Theater sich selbst. 1995 (75 Jahre nach dem ersten Jedermann) ging es um die Geschichte der Festspielidee, 1999 um „Musiktheater in den audiovisuellen Medien“; das zweite Mozart-Jubiläum (2006) wurde zum Anlass, im Vorjahr (!) am Beispiel von Mozart-Inszenierungen über Regietheater zu sprechen und zu streiten (beim ersten Jubiläum hatte es, ebenfalls im Vorjahr, 1990, eine Tagung zur Mozart-Rezeption im 20. Jahrhundert gegeben). Das Symposion 2006 war Ur- und Erstaufführungen der letzten fünfzig Jahre (in Salzburg und anderswo) gewidmet. Mit Fidelio und Wozzeck standen 1996/97 epochemachende Werke des Musiktheaters im Mittelpunkt, die Einengung wurde dann wieder aufgegeben, aber zu weniger bekannten Opern wie der Liebe der Danae von Richard Strauss (2002), Schrekers Die Gezeichneten (2005), im letzten Jahr (2008) zu Herzog Blaubarts Burg wurden jeweils eintägige Workshops mit grundlegenden Vorträgen organisiert. Falk Richters Freischütz-Inszenierung bot 2007 den Anlass, Oper und Schauspiel der Romantik zum Thema zu machen. 1991 ging es um „Welttheater“, 1993 (Luca Ronconi inszenierte Falstaff) um „die lustige Person auf der Bühne“; 2002 (im Jahr der Uraufführung von Luciano Berios neuem Turandot-Schluss) wurde über Fragmente im (Musik-)Theater diskutiert. Wie alle anderen ist auch das Fragment-Symposion in einem umfangreichen Sammelband (639 Seiten; der Rekord liegt bei 905) dokumentiert, der gewisse Besonderheiten der Reihe exemplarisch verdeutlichte: Die meisten Beiträge behandeln jeweils ein Opern- oder Dramenfragment, von den bekannten Klassikern (Les Contes d’Hoffmann, Lulu) bis zu Raritäten wie Bizets Ivan oder Kurt Weills Musical-Fragment River Chanty, es gibt aber auch vier Grundsatzbeiträge, die sich mit Theorie und Typologie des Fragments in den Künsten auseinandersetzen. Die Verbindung zum Festspielprogramm stellt (neben dem Liebe der Danae-Workshop) ein ‚Arbeitsbericht‘ des Herausgebers Anthony Beaumont über Zemlinskys im gleichen Jahr aufgeführten König Kandaules her. Achtzehn gewichtige Sammelbände – die letzten beiden stehen noch aus – sind eine beeindruckende Ausbeute. Der glückliche Leser, der über eine vollständige Sammlung verfügt – die ersten Bände sind längst vergriffen –, kann auf Entdeckungsreisen gehen: Hier und da ist von Raritäten aus der frühen Neuzeit wie lateinischen Schuldramen die Rede, aber der Schwerpunkt liegt natürlich beim 19. und 20. Jahrhundert; neben dem gängigen Repertoire kommt dabei immer wieder Neuestes und (relativ) Unbekanntes zur Sprache (auch was Operetten und – dank Ulrich Müller – Musicals angeht). Natürlich sind die Salzburger Symposien auch ein Stück Wissenschaftsgeschichte (wobei der jeweils letzte Schrei geisteswissenschaftlicher Theoriedebatten glücklicherweise nur verhaltenen Widerhall ausgelöst hat, wenn überhaupt. Von ungefähr sechzig Referenten, die im August 2008 erwartet wurden, waren immerhin zehn (darunter vier der Organisatoren) schon 1989 bei der ersten großen Tagung (über vierzig Referate) dabei. Nicht zuletzt diese Kontinuität macht deutlich, dass in Salzburg viel mehr entstanden war als eine Tagungsreihe: Die Räume der internationalen Salzburg Association in der Sigmund-Haffner-Gasse waren nicht nur, wenn Ulrich Müller und Oswald Panagl gemeinsam ein Podiumsgespräch moderierten, einer der letzten Salons, wo (über Theater) geplaudert wurde. Ein weiteres Symposion wird es nicht geben; allerdings laufen Planungen für eine neue Veranstaltungsreihe, in etwas anderer Form und unter anderer Leitung. Die redaktionell von Ursula Müller und Jürgen Kühnel betreuten Sammelbände sind eine Schatzkammer der Operngeschichte und -ästhetik, Spiegel von zwanzig Festspielzeiten und Monument eines einzigartigen wissenschaftlich-künstlerischen Unternehmens, an das sich die Teilnehmer dankbar erinnern. Albert Gier (In: Opernwelt, November 2008)