ESSEN Das Kapuzinerkloster liegt im sonnigen Walliser Städtchen Brig-Glis. Oben: Bruder Georg Jocher deckt den Tisch für seine Mitbrüder und Besucher des Klosters. Links: Kapuzinerli im Klostergarten. SEELENHEIL und Bodenhaftung Menschlichkeit ist im KAPUZINERKLOSTER IN BRIG-GLIS kein leeres Wort. Die gelebte Gastfreundschaft offenbart sich täglich beim gemeinsamen Essen. Zubereitet von Bruder Josef mit frischen Zutaten aus dem Garten. Text Leandra Graf Fotos Maurice K. Grünig S ind wir hier wirklich in einem Kloster? Bruder Josef Dähler trägt keine braune Kutte. «Unpraktisch», sagt der 55-Jährige aus Meistersrüte, Appenzell Innerrhoden, «vor allem bei der Küchenarbeit.» Geschwind saust er durch seine geräumige, helle Küche im Kapuzinerkloster Brig-Glis im Wallis. Er weiss: In zwei Stunden, um Punkt 12 Uhr, werden seine Brüder aus der Gemeinschaft des Kapuzinerordens und ein paar Besucher hungrig am Mittagstisch sitzen. Und Bruder Josef wird sie einmal mehr beglücken mit seiner feinen Küche und einem reichen Menü: Gemüsesuppe, drei Salate, Selleriepiccata, Ratatouille und Safranrisotto für 17 Personen stehen auf dem Programm. Zuvor hat sich Bruder Josef im Klostergarten mit frischen Zutaten eingedeckt: Blattsalat, Tomaten, Zucchetti, Aubergi- 46 Schweizer Familie 37/2014 nen aus dem kleinen Gewächshaus, Lauch, Sellerie, Meerrettich und Randen, frisch aus dem Boden gegraben. Gurken stammen aus dem Beet von Marcel Hugo, einem Nachbarn. «Unser Sortiment ergänzt sich, wir helfen uns gegenseitig aus», sagt Bruder Josef. Im Garten gedeihen auch Blumen für den Kirchenschmuck, Kräuter, Beeren und Obst. «Um arbeitsintensive Pflanzen könnte ich mich zu wenig kümmern, da fehlt mir einfach die Zeit.» Dabei ist Bruder Josef hervorragend organisiert und arbeitet effizient. Doch bei aller Bodenhaftung seines Ordens: Stress ist etwas, was in dessen Leitbild nicht vorgesehen ist. Deshalb hat er die Rüebli für die Suppe zugekauft, ihre Anpflanzung ist offenbar auch für den hilfreichen Nachbarn zu aufwendig. Sie sind im Nu fein geschnitten, ebenso der Lauch und der Sellerie. Mit wenig Fett – darauf achtet er – dünstet er das Gemüse an, und bald köchelt die Suppe still vor sich hin. Friedliche Stimmung Bruder Josef hat es gerne ruhig. Zwar steht ein Digitalradio auf dem Fensterbrett, doch er schalte es höchstens mal am Sonntagmorgen zum klassischen Konzert ein. «Ich mag nicht immer hören, wie es drunter und drüber geht in der Weltgeschichte», sagt er. Auch den Mitbrüdern gefällt die friedliche Stimmung in der Klosterküche, immer wieder schaut einer herein. Für Bruder Damian Keller, 49, gehört es zum täglichen Ritual, vormittags seinen Kaffee am Küchentisch zu trinken. Als Vikar ist er Stellvertreter des «Guardian», wie der Klosterleiter Beat Pfammatter, 48, genannt wird. Dieser weile in den Ferien ➳ Bruder Josef Dähler holt sich die Zutaten fürs Essen aus dem Klostergarten. ESSEN Bruder Damian und seine Mutter Frieda Keller pflücken Ringelblumen für eine Heilsalbe. SELLER IEPICCATA Für 4 Portionen • und fahre mit dem Velo der Mosel entlang, erzählt Bruder Damian. Er trägt ebenfalls keine schwere braune Kutte, sondern sommerlich helle Dreiviertelhosen und ein rot-blau-weiss kariertes Hemd. «Die Kutte ist unpraktisch», sagt auch er. «Im Winter zu kalt und im Sommer zu heiss.» Beim Gebet und zu offiziellen Anlässen käme das traditionelle BettelGewand mit der Kapuze, der dieser katholische Orden seinen Namen verdankt, jedoch zum Tragen. Doch im arbeitsreichen Alltag, in dem sich die Brüder nach ihren Fähigkeiten einbringen, kann jeder das halten, wie es ihm beliebt. Vom Bäcker zum Bruder Als Einziger trägt Georg Jocher, 64, das Erkennungszeichen der Gemeinschaft zu jeder Zeit und bei allem, was er tut. Und sei es beim Putzen und Staubsaugen. Der Bruder aus Südtirol amtet seit elf Monaten als Pförtner und hält das Kloster und die Kirche in Ordnung, und er sagt: «Ich fühle mich einfach wohler in der Kutte.» Eine gute Stunde vor dem Mittagessen beginnt er bereits den Tisch zu decken. Bruder Josef hat inzwischen sämtliches Gemüse gerüstet. Er nimmt die Dinge ger48 Schweizer Familie 37/2014 Bruder Josef bei der Zubereitung der Sellerie-­ Leben in Einfachheit und die Sorge um die Mitmenschen beinhalten. «Seine Gedanpiccata. Als Einziger trägt Bruder Georg auch bei der alltäglichen Arbeit die braune Franziskanerkutte. ne in die Hand und braucht selbst für die rot färbenden Randen keine Handschuhe. «Lieber wasche ich mir die Hände einmal mehr.» Die Selleriescheiben liegen im Dämpfgeschirr bereit. Sie werden zu gegebener Zeit zusammen mit den Zucchettiund den Auberginenstückchen für die Ratatouille ins Profi-Dampfgerät gescho- ben. Wendig tänzelt Bruder Josef zwischen seinen Kochtöpfen umher, probiert hier, ob die Würze stimmt, und holt dort rasch frische Kräuter aus dem Garten, die er mit dem Wiegemesser fein schneidet. Das Kochen hat er «durch das Machen gelernt, wie alles im Leben». Ausgebildet ist er als Bäcker-Konditor, doch das sei ihm unter an- derem deswegen verleidet, weil das Brotbacken – eine schöne, jedoch harte Arbeit – heutzutage meist fabrikmässig ablaufe. Irgendwann hat Josef Dähler dann versucht herauszufinden, was ihn zufrieden macht. Dabei ist er auf die Lehren des heiligen Franz von Assisi gestossen, die im Wesentlichen ein gemeinsames, religiöses ken und die Meditationen im Kloster haben meinen Horizont erweitert.» Seine eigenen Ideen übers klösterliche Leben und nicht zuletzt seine Kochrezepte – geerbt von einem seiner Vorgänger, überarbeitet und niedergeschrieben – gibt Bruder Josef inzwischen als Lehrer an werdende Brüder weiter. Denn in Brig werden unter der Leitung von Bruder Damian die Postulanten aus allen deutschsprachigen Kapuzinerprovinzen in einer ersten Phase ausgebildet. Als Postulat wird das Einführungsjahr in den Orden bezeichnet. Die «ewige Profess», die endgültige Aufnahme in eine der acht Deutschschweizer Kapuziner-Bruderschaften, ist nach einer mindestens drei Jahre dauernden Zeit der Vertiefung des Klosterentscheides zu erreichen. Das Kapuzinerkloster in Brig-Glis besteht seit 1948 und ist verankert in der Bevölkerung. «Zum Morgengebet in der Kirche finden sich regelmässig 50 bis 100 Personen ein», erzählt Bruder Damian. Anfang der 1960er-Jahre zählte man gesamtschweizerisch noch über 800 Brüder, Anfang August 2014 sind es noch 165, wie ZUTATEN 1 grosse Sellerieknolle (300 g), 2 EL Mehl (gewürzt mit Salz, Pfeffer, Paprika, Streuwürze), 1–2 Eier (80 g), 1 EL Mehl, 2–3 EL geriebener Parmesan, 1–2 EL Milch, 1 EL Bratbutter ZUBEREITUNG 1. Sellerie schälen, längs halbieren und in etwa 6 mm dicke Scheiben schneiden. Während etwa 10 Minuten im Dampf vorgaren oder in gesalzenem heissem Wasser blanchieren. Abkühlen lassen. 2. Ei verquirlen, Mehl und Parmesan darunterziehen. So viel Milch beifügen, dass die Konsistenz dickflüssig ist. 3. Selleriescheiben im gewürzten Mehl wenden, in die Eimasse tunken, etwas abtropfen lassen und in der Bratpfanne mit Bratbutter beidseitig schön braun braten. Bis zum Servieren im Backofen warm halten. Zubereitung: ca. 20 Minuten Braten: ca. 10 Minuten Bruder Josef nach einem Blick in den Franziskaner-Kalender errechnet. «Diesen Kalender hatten meine Eltern im Appenzell abonniert, das war meine erste Verbindung zu diesem Orden.» Doch genug geredet, immer wieder stecken hungrige Brüder den Kopf in die Küche. Etwa Bruder Franz Xaver Brantschen, ➳ Schweizer Familie 37/2014 49 ESSEN GEMÜSE SUPPE Für 4 Portionen Gemeinsam sitzen Brüder und Besucher bei Tisch und geniessen das feine Mahl. • ZUTATEN 1 EL Bratbutter, 1 fein gehackte Zwiebel, 1 mittelgrosses, fein geschnittenes Rüebli, 1 fein geschnittener Lauch (heller Teil), 1 fein geschnittene Sellerieknolle, 1,5 l Wasser, Salz, Pfeffer, Muskat, fein geschnittene Saisonkräuter 84, der ein exotisch gemustertes Hemd trägt, was auf seine 54-jährige Missionszeit in Indonesien verweist. Auf seine alten Tage ist er zurückgekommen, obwohl er hier niemanden mehr kennt und die Menschen von dort vermisst. Doch in der Bruderschaft fühlt er sich aufgenommen. Offen für Besucher Bruder Walter Annen, 70 Jahre alt, bringt Blattsalat, Gurkensalat und rohen Randensalat, angereichert mit frisch geriebenem Meerrettich an den Tisch. Da sitzen acht der insgesamt zwölf Brüder, die freiwillige Helferin Olga Kurmann aus ­Naters, die den ganzen Morgen Wäsche geglättet hat, Feriengäste aus andern Klöstern und als Überraschung auch ein ehemaliger Asylbewerber aus Sri Lanka. In den späten 1990er-Jahren hielten die Brüder den Flüchtling während vier Jahren versteckt. Inzwischen ist er britischer Staatsbürger und erfolgreicher Betreiber von Bekleidungsläden in England. Er sei hier familiär aufgenommen worden, erzählt er in bestem Deutsch. Zu Besuch ist auch Frieda Keller, die Mutter von Bruder Damian. Die muntere 78-Jährige ist aus dem Weiler Dietenwil im Kanton St. Gallen angereist, um ihrem Sohn zu zeigen, wie er aus den Blüten der Ringelblumen eine Heilsalbe herstellen kann. «Die soll dann auf dem alljährlichen Weihnachtsmarkt auf dem Luzerner 50 Schweizer Familie 37/2014 ZUBEREITUNG 1. Zwiebeln in der Butter andünsten, restliches Gemüse dazugeben und kurz dünsten. 2. Wasser dazugiessen und aufkochen lassen. Würzen. 3. Während 20 Minuten bei niedriger Temperatur kochen lassen. 4. Vor dem Servieren abschmecken und Kräuter dazugeben. Bruder Urs Flury, 92, ist «der Senior» im Kloster. Franziskanerplatz verkauft werden.» Nebst anderen selbst gemachten Erzeugnissen des Klosters, wie etwa Kerzen, Weihnachtskarten, Schnaps aus Holunder, Tannenspitzen, Safran oder Baumnüssen. Und natürlich diversen Konfitüren und feinem Gebäck aus Bruder Josefs Küche. Dieser hat zum Abschluss des heutigen Menüs eine wunderbare Linzertorte aus dem Vorrat gezaubert. Das feine Mahl wird mit einem einfachen, kurzen Gebet verdankt. Beim Abräumen helfen alle mit und widmen sich danach ihrem Tagwerk. Nachdem Bruder Josef die Küche blitz- Zubereitung: ca. 20 Minuten Kochzeit: 20 Minuten blank geputzt hat, vertauscht er die Sandalen mit schwerem Schuhwerk, zieht sich ein frisches T-Shirt und ein Baseball-­ Käppi über, um im Garten zu arbeiten. Nach dem Abendgebet wird er die Reste des Mittagessens auftischen, «mit etwas Wurst, für jene, die ein bisschen Fleisch brauchen». Für diese Brüder wirft Bruder Josef an warmen Sonntagabenden oder an Feiertagen wie dem 1. August auch mal den grossen Grill an, der im Garten steht. Ja, wir sind hier in einem Kloster. ● Einem weltoffenen Männerkloster. www.klosterbrig.ch