Der Alltag von Kindern mit einem psychisch

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Der Alltag von Kindern mit
einem psychisch erkrankten
Elternteil
Mag.a Vera Baubin
Mag.a Sandra Anders
HPE-Tagung 2017
Wie viele Kinder haben einen psychisch
erkrankten Elternteil?
• Deutschland
• ca. 3 Millionen Kinder erleben innerhalb eines Jahres
einen Elternteil mit einer psychischen Störung
• Österreich
• ca. 50.000 Kinder (etwa 3% aller Kinder) leben mit
einem psychisch erkrankten Elternteil
• Niederösterreich
• etwa 8.000 Kinder unter 14 Jahren sind mit
der psychischen Erkrankung eines Elternteils konfrontiert
Quellen: Mattejat/ Lisofsky 2008, PSZ Stockerau 2009, Gesundheitsbericht NÖ 2002
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Erkrankungsrisiko der Kinder
 Deutlich erhöhtes Risiko bei Kindern mit
psychisch kranken Eltern selbst zu erkranken
• Allgemeines Erkrankungsrisiko
• Bis zu 60% entwickeln im Verlauf ihres Lebens
irgendeine psychische Auffälligkeit bzw. Störung
• Spezifisches Krankheitsrisiko
• Das Risiko, dieselbe psychische Krankheit zu bekommen, ist ebenfalls erhöht
• Aber die überwiegende Mehrheit von Kindern mit schizophrenen oder
depressiven Eltern (90%) entwickeln im Laufe ihres Lebens nicht dieselbe
Krankheit!
Quellen: Mattejat/ Lisofsky 2008
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Vererbung und Umwelt
• Bei der Entstehung von psychischen Krankheiten
spielen Erbfaktoren und Umweltfaktoren
eine Rolle
• Wenn man von Vererbung spricht, meint man eine
sogenannte Vulnerabilität (Verletzlichkeit) für eine Erkrankung
• Bei vulnerablen Personen ist der Einfluss der schützenden
Umweltbedingungen besonders bedeutsam
• Genetische Faktoren haben demnach keine determinierende Wirkung,
sie moderieren eher die Umwelteffekte.
Quellen: Mattejat/ Lisofsky 2008
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Indirekte Belastungsfaktoren
• Gesellschaftlicher Aspekt
• Tabuisierung/ Stigmatisierung
• Sozioökonomischer Aspekt
• Armut, Beengte Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit etc.
• Gesundheit/ Betroffenheit der Eltern
• Körperliche Erkrankungen, Komorbidität
• Psychisch kranke Mutter/ beide Elternteile
• Fehlende Krankheitseinsicht
• Art und Weise der Erkrankung
• Schwerer, chronischer Verlauf der Erkrankung
• Alter des Kindes
• Je jünger das Kind, desto tiefgreifender die Folgen
Quellen: Lenz, Deneke, Lisofsky, Paulinz
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Direkte Belastungsfaktoren
• Beeinträchtigung der frühen Eltern-Kind-Interaktion
• Einschränkung der elterlichen Empathie, Feinfühligkeit
und Emotionalität
 Auswirkung auf die körperliche und psychische Integrität
des Säuglings
• Beeinträchtigte Interaktionsstile
• Unter- und Überstimulation des Kindes
• Unberechenbarkeit durch stark wechselndes,
widersprüchliches Verhalten, teils aggressiv getönt
• Einbeziehen des Kindes in Wahn-, Angst- oder Zwangssysteme
Quellen: Lenz, Deneke, Paulinz
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Direkte Belastungsfaktoren
• Konflikt- und Verlusterfahrung im familiären Kontext
– Streit, Trennung der Eltern
– Trennung von den Eltern
– Einschränkung anderer sozialer Kontakte
• Gewalterfahrung
– Emotionale und körperliche Vernachlässigung
– Emotionale und Körperliche Misshandlung
Quellen: Lenz, Deneke, Paulinz
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Direkte Belastungsfaktoren
• Unsicheres Erziehungsverhalten der Eltern
– Schwierigkeit, Klarheit und Orientierung zu vermitteln
– Reaktionen teilweise überängstlich
– Fehlende positive Stärkung
– Kinder nicht als eigenständige Person wahrnehmen können
• Tabuisierung innerhalb der Familie
– Angst vor Bloßstellung
– Angst vor Sorgerechtsentzug
– Angst vor Stigmatisierung
– Angst davor, sich der Belastung der Kinder zu stellen
Quellen: Lenz, Deneke, Paulinz
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Gefühle und Reaktionen der Kinder 1
• Scham und Unsicherheit
• Ärger und Wut
• Trauer und Hoffnungslosigkeit
• Angst
• und Verwirrung: Befremdliches Denken, Fühlen und Verhalten
der Eltern löst bei den Kindern Zweifel an der eigenen Wahrnehmung aus.
• vor Verlust: Tod, Suizid, Krankenhausaufenthalt, Fremdunterbringung,
Trennung/Eltern
• vor Vererbung: Insbesondere ab dem 12./13 Lebensjahr
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Gefühle und Reaktionen der Kinder 2
• Schuldgefühle
– Die Kinder beziehen das durch die Krankheit
geprägte Verhalten des Elternteils oft auf sich selbst.
• Fehlende Orientierung
– Durch die Unberechenbarkeit des elterlichen Verhaltens
• Schweigen
– Krankheit wird innerhalb der Familie umschrieben,
umgedeutet, verschleiert
– Krankheit wird nach außen wie ein Familiengeheimnis gehütet
• Situationen aushalten müssen
– Besonderes Abhängigkeitsverhältnis
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Gefühle und Reaktionen der Kinder 3
• Einsamkeit auf mehreren Ebenen
• Fühlen sich von Eltern nicht erkannt und verstanden
• Rückzug aus dem Freundeskreis aus Angst und Scham
• Zurückhaltung vor familienexternen Personen
• Zerrissenheit/ Ambivalenz
• Loyalitätskonflikte innerhalb und außerhalb der Familie
• Rollenverschiebung
• Übernahme elterlicher/ häuslicher Verantwortung
• Ersatzpartnerschaften mit beiden Elternteilen

Trennungsschuld und Ablösungskonflikt
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Bewältigung
„Ob Belastungen zu Störungen führen, hängt
entscheidend von der Art und Weise des
Umgangs mit den Belastungen (Coping)
und der Verfügbarkeit und Mobilisierung von
Bewältigungsressourcen (Schutzfaktoren)
des Kindes ab“
Seiffge-Krenke & Lohaus, 2007
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Allgemeine Bewältigungsressourcen
• Ergebnisse der Resilienzforschung
unterscheiden:
• Kindzentrierte Schutzfaktoren
• Familienzentrierte Schutzfaktoren
• Soziale Schutzfaktoren
Quelle: Lenz 2009
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Bewältigung 1
Schutzfaktoren
• Tragfähige Beziehungen
– zum gesunden Elternteil und in weiterer Familie
– zu anderen Erwachsenen
– zu Gleichaltrigen/ Freundeskreis
• Kommunikation
– Gesprächsfreundliches Klima schaffen „Reden ist möglich“
– Zuhören „ein offenes Ohr haben“
– Kindliche Wahrnehmung mit Bezug zur Realität stärken
• Aufklärung
– Verständnis für Zusammenhänge entwickeln
– Eltern stärken in Wissen und Umgang
– Kinder: Alters-, Entwicklungs- und Bedürfnisgerecht
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Bewältigung 2
Schutzfaktoren
• Sichere häusliche Umgebung und geregelter Alltag
• Das Gefühl bekommen, auch vom erkrankten
Elternteil geliebt zu werden
• Individuelle Ressourcen und Eigenschaften stärken
• Unbeschwerte Zeiten erleben
• Interessen, Hobbies und ein positives Schulerleben
• Versuche zur Krankheitsbewältigung
• Krisenplan und Netzwerk
• Fachliche Unterstützung als kontinuierlicher Rückhalt
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Ressource oder innere Not?
Jedes Kind ist anders
• Kinder sind oft angepasst und zeigen ein hohes
Verantwortungsbewusstsein:
•
•
•
•
•
Große Fürsorglichkeit
Gute schulische Leistungen
Hohe Sensibilität
Gute Organisation
Schnelles Einfügen
 Achtsam bleiben, inwieweit diese Kinder sich
überfordert fühlen und Entlastung brauchen.
 Jedes Kind und seine Situation persönlich betrachten
und einschätzen.
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Was hätte mir geholfen?
Rückblick junger erwachsener Kinder
• mehr Verantwortung beider Elternteile
• Helfende Bezugspersonen
• Unterstützung in Krisenzeiten
• Entlastung im familiären Alltag
• Mehr Zeit für mich (Hobbies, Gefühle)
• eine Vertrauensperson , die meine schwierige
Lage erkennt und Ausgleich schaffen kann
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Was hätte mir geholfen?
Rückblick junger erwachsener Kinder
• (Stiller) Rückhalt in der Schule
• Mehr finanzielle Ressourcen
• Aufklärung – aber behutsam
• Vernetzung der Psychiatrie mit uns Angehörigen
• Zu erfahren, dass andere Kinder Ähnliches erleben
• dass die Menschen mehr über das Thema PE Bescheid wissen
• dauerhafter Rückhalt (professionelle Richtung)
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Bewältigung
Zentrale Botschaften
•
Anerkennung - Du verstehst mich
 Wunsch nach Achtung und Angenommen-Werden
•
Schutz – Du spürst mich
 Grenzen wahren
•
Vertrauen - Ich darf glauben, was ich sehe
 Vertrauen in die eigene Wahrnehmung
•
Handlungsfähigkeit - Ich kann etwas bewegen
 Vertrauen in die Selbstwirksamkeit; „Entgegentreten“
•
Hoffnung - Alles wird gut
– Zuversicht, dass Elternteil gesund werden kann
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Schutz und Prävention
Alltags- und Familienorientiert
• Familie als System unterstützen – Wissen und Umgang
•
•
•
•
Angebote für die ganze Familie: vs. Psychiatrie und JA
Angebote für Eltern: Gruppe, Beratung, Behandlung
Angebote für die Kinder: Gruppe und Einzelbegleitung
Stärkung des familiären Netzwerkes (Paten, Teilzeiterziehung)
• Alltagsnormalisierung und Verlässlichkeit herstellen
• Externe Bezugspersonen ins Vertrauen ziehen:
Schule, Kiga, Hort, Pfarre, Kinderarztpraxis, „gute“ Nachbarn
• Freundeskreis auf Eltern- und Kinderebene fördern
• Kinder in ihrem Umfeld stärken: Hobbies, Unternehmungen, Einladungen
• Öffentlichkeitsarbeit und Fortbildung
• Presse, Lesungen, Hörfunk, Unterrichtsprojekte und Fortbildung
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Danke für
Ihre Aufmerksamkeit
www.hpe.at
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