Gesprächstraining in der Onkologie Erfahrungen mit zwei unterschiedlichen Gruppen Autor: Dr. med. Wolfgang Loesch, Potsdam Belastung bei Krebskranken Eine Krebserkrankung ist für die meisten Menschen ein äußerst belastendes Lebensereignis. Belastungsquellen: -Todesdrohung -Verlust der körperlichen Integrität -Verlust von Selbstbestimmung und Unabhängigkeit -Aufgabe von Alltagsaktivitäten -Infragestellung von Rollen in Beruf und Familie -soziale Isolierung Phasen der Auseinandersetzung mit dem Sterben nach Elisabeth Kübler-Ross Angst vor dem Tod Die erste Phase: Nichtwahrhabenwollen, Isolierung Die zweite Phase: Zorn Die dritte Phase: Verhandeln Die vierte Phase: Depression Die fünfte Phase: Zustimmung, Annahme des Schicksals Hoffnung Die vier Dimensionen des Leids Phasen des Krankheitsprozesses bei malignen Erkrankungen (BRODA u. MUTHNY) Initialphase (vor und während der Diagnostik und bei beginnender Therapie; Angst vor der existenziellen Bedrohung, Ohnmacht, Schock) Konsolidierungsphase – nach Beendigung der Primärtherapie und Wiedergewinnung des psychischen Gleichgewichtes Phase des Progresses – ausgeprägte Todesangst, zwischen Kampf, Wut, Auflehnung, Resignation, antizipatorisches Trauern Terminales Stadium – zunehmende Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit, Resignation, Trauer, Abschied, Schweigen 1 Bewältigungsstile- Auswahl nach Muthny 1990 1.Aktive Informationssuche über die Erkrankung und Therapie 2.Anordnung der Ärzte folgen, den Ärzten vertrauen 3.Sich aussprechen 4.Hilfe in Anspruch nehmen 5.Die Krankheit als Schicksal akzeptieren 6.Für andere etwas tun 7.Sich von anderen Menschen zurückziehen 8. Probleme relativieren 9 . In der Religion nach dem Sinn des Lebens suchen 10. Die Krankheit herunterspielen 11. Durch Alkohol oder Medikamente die Stimmung aufhellen 12. Sich ablenken 13. Sich auflehnen 14. Sich emotional entlasten 15. Gefühle unterdrücken 16. Resignieren Meine Krankheit und ich sind zu vergleichen mit dem Leben an einem Vulkan - fruchtbar - den Körper (Vulkan) beachten - mit der Existenz der Gefahr leben - die Gefahr eines Ausbruchs akzeptieren Grundlagen der therapeutischen Beziehung Erste Grundsituation in therapeutischen Beziehungen ist das Autoritätsgefälle zwischen Patient / Klient und Hilfsperson. Nur wenn es gelingt, dieses Gefälle zu reduzieren, kann eine hilfreiche Beziehung entstehen. Die Fähigkeit dazu sollte die der Hilfsperson sein. Sich mit dem eigenen „Helfersyndrom“ (s. W. SCHMIDBAUER) auseinander zu setzen, hat sich als günstig erwiesen. 2 •Auf der einen Seite ist der Patient / Klient, der mit einem Anliegen wie Beschwerdelinderung, Unterstützung, auf der anderen Seite der professionelle Helfer, dessen Wissen und Fähigkeiten dazu dienen sollen, den Anliegen und Hoffnungen der Patienten / Klienten zu nützen. Diese klar definierte Rollenaufteilung gibt in der Beziehung den Rahmen und damit Halt, beinhaltet aber auch Einschränkungen. Mitarbeiter medizinischer und sozialer Pflege- und Fachberufe haben mehrere Auftraggeber: – den Patienten - den Arzt ( u. U. Arzt als „Störenfried“ einer harmonischen Beziehung) - ggf. eigenen Arbeitgeber/Leiter (noch ein „Störenfried“?) Eine so von Erwartungen geprägte Begegnung und dann erst recht Beziehung ist sehr störanfällig. Aufgaben des Therapeuten: - Störungen erkennen - Hintergründe der Störung verstehen - Lösungen für die Beziehungsproblematik finden 3 Besonderheit der medizinischen und sozialen Berufe: „Arbeitsgegenstand“ ist kein Werkstoff und keine Akte, sondern ein Mensch, der mit meist berechtigten Ansprüchen auf die Helferperson zukommt. Wichtig ist es deshalb, sich ein klares eigenes Rollenbild erarbeitet zu haben. Das Erlernen neuer Techniken, Anwendugen, die Erarbeitung von mehr Fachwissen hat meist wenig Einfluss darauf, ob die Beziehung zum Patienten / Klienten gelingt. Für die Beziehungsgestaltung geht es im einen Pol immer auch darum, gut mit sich selbst umgehen zu können (z. B. wie gehe ich mit meinem eigenen „Helfersyndrom“ um?) Die anderen am therapeutischen Prozess Beteiligten - Besteht eine Übereinstimmung zwischen dem Behandler und anderen am therapeutischen Prozess Beteiligten (Stationsteam, Hausarzt,Physiotherapeut /in, soziale Dienste...) dem Patienten gegenüber? - Wer gehört zum Problemsystem? - Bestehen konkurrierende Aufträge und Behandlungsstrategien? - Wie weit werden neben Erkrankung und Problemsystem auch positive Ressourcen des Patienten aktiviert? Übertragungsphänomene sind ubiquitär. Unbewusst übertragen die Beteiligten alte Beziehungserfahrungen in die aktuelle Beziehung. Auch wenn in den hierarchischen Beziehungen zwischen verschiedenen am therapeutischen Prozess Beteiligten Übertragungsphänomene zu beachten sind, die Hauptbühne dafür ist die Helfer-Patient / Klient-Beziehung. Der / die verordnende / anordnende Arzt / Ärztin/OA, ChA Unbewusst übertragen wir in die Beziehung zu Autoritätspersonen die eigene Erfahrung mit unseren primären Erziehungspersonen, meist Mutter und Vater. Wir fürchten: Kritik, Strafe, Missachtung, Verletzung. Wir wünschen: Anerkennung, Achtung, Halt, „Liebe“ Das sind, besonders auch dadurch, dass Übertragungen auch Gegenübertragungen auslösen, komplizierte Prozesse, die schwer durchschaubar gemacht werden können. Mit der Übertragung des Patienten auf die Hilfsperson löst dieser in der Hilfsperson eine Gegenübertragung aus (Beispiel: ein „Hilfsbedürftiger“ überträgt eine positive Mutterübertragung auf die weibliche Helferperson, so wird diese den „Hilfsbedürftigen“ vermutlich als „nett“, „lieb“, „kuschelig“ empfinden). 4 Selbstwahrnehmung in diesen Übertragungsprozessen ist notwendig, aber auch schwierig Die Wahrnehmung dessen, was in professionellen Begegnungen in uns passiert, muss geschult werden. In aktiven Anteilen der hier vorgestellten Curricula stehen Wahrnehmung und Training der eigenen Kompetenz in der Beziehungsgestaltung eine große Rolle. Neben dem Training verbaler Interventionsstrategien (Gesprächstraining) sind es besonders die Balintgruppenarbeit und die „Reflektierte Kasuistik“, die diese Arbeit in den Mittelpunkt stellt. Professionelle Fähigkeit sollte es sein, das Erleben beider Seiten wahrzunehmen. Dazu müssen wir dem Erleben der Beziehung Raum schaffen. Das heißt vor allem, Drucksituationen zu vermeiden und wenn sie vom Patienten herbeigeführt werden, diese zu neutralisieren. Der Schweizer Psychiater Jürg Willi hat in der Arbeit mit Paaren ein Beziehungsprinzip entdeckt, dass auch für die therapeutische Beziehung bedeutsam ist – das Kollusionsprinzip. Dieses beinhaltet, dass die charakterlichen Besonderheiten zweier Partner in einem Prozess wie Schlüssel und Schloss in einander greifen und zu einander passen. Schutzmaßnahmen (Abwehrmaßnahmen)- HEIM 1980 # Krankheit, Symptome, Folgen etc. nicht wahrhaben wollen (Verleugnung) # Die Gefühle verdrängen, die Probleme nur rational betrachten (Verdrängung, Rationalisierung) # Eigene Gefühle und Wünsche bei anderen sehen ,z. B. nur Sorgen der Angehörigen betrachten (Projektion) # Gefühle und Wünsche verschieben, z. B. Ärger gegen andere richten (Verschiebung) # Sich forciert in angstauslösende Situationen begeben (Kontraphobisches Vorgehen) # Vermeidung dessen, was Angst macht 5 # Die Wut gegen sich selber richten, sich selber Vorwürfe machen (Selbstbeschuldigung) # Das Leben entwerten, damit kein Neid gegenüber Gesunden entsteht (Entwertung) # Andere Menschen als allmächtige Beschützer sehen und zu diesen in enger Abhängigkeit leben (idealisiertes Selbstobjekt) # Ganz für andere da sein (altruistische Abtretung) •Abwehr- und Bewältigungsprozesse gehen Hand in Hand Grade der Verleugnung Leugnung der Tatsache einer Erkrankung Die Krankheit selbst wird akzeptiert, aber nicht die Auswirkungen der Krankheit wie Leistungseinbußen, Einschränkungen, Schmerz, Die Lebensbedrohung wird verleugnet Die Abwehr schmerzlicher Gefühle stellt eine Schutzreaktion dar, die helfen soll, die eigentlich nicht zu ertragende Lage zu meistern. 6 Im Curriculum der LAGO Brandenburg werden 8 Stunden dem Onkologie-spezifischen Gespräch gewidmet Auf die Erwartungen der Therapeuten, verschiedene Ebenen von Nachrichten, die zwischen Patienten und Helfern ausgetauscht werden und auf beziehungsförderliche Gesprächstechniken wird eingegangen. Bei den Beratungstechniken wird auf aktives Zuhören, die Basisvariablen Selbstkongruenz / Echtheit, Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte, auf positive Wertschätzung und emotionale Wärme ebenso orientiert wie auf das SPIKES-Modell nach zum Überbringen schlechter Nachrichten nach BUCKMAN und BAILE und Training zur Selbstwahrnehmung in Anlehnung an Focousing nach GENDLIN. Die Schwellensituationen für psychische Dekompensation im Behandlungsverlauf von Tumorerkrankungen werden intensiv behandelt, ebenso wie Familiengespräche und Begleitung in der Terminalphase und Sterbebegleitung 7 Botschaften einer Nachricht Sender, Empfänger, Nachricht Sachinhalt (worüber informiere ich?) Beziehung (was ich von Dir halte und wie wir zueinander stehen) Selbstoffenbarung (was ich von mir selbst zeige/offenbare) Appell (Wozu ich Dich veranlassen möchte) (nach Schulz von Thun „Miteinander reden“) Im Curriculum „psychosomatische Grundversorgung“ für Pflege- und Sozialberufe sind 30 Std. Gesprächstraining Pflichtprogramm Nach einer Einführung (ähnlich wie hier) werden Schnittstellen in Gesprächen erarbeitet Die Eröffnung Die Botschaften Die Situation von „Sender“ und „Empfänger“ Beziehungsaspekte „Selbstoffenbarung“ Die „Abschiedsklage“ Einführung in den „kontrollierten Dialog“ und Üben Einführung in Skalentraining und Üben Rollenspiel anhand von Beispielen eigener Patienten im Austausch mit der Gruppe Beobachtungsschwerpunkte des Trainingsprogramms „Gesprächsverhalten“ 1.Eröffnung der Helferperson 2.Eröffnung des Patienten / Klienten Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte Positive Wertschätzung und emotionale Wärme Einfluss einer medizinischen Maßnahme auf die therapeutische Beziehung Beeinflussung der Lebensbedingungen des Patienten Stufe 1 „Belehrung / Ermahnung“ Stufe 1 Negative Wertschätzung Stufe 1 Direkte Herbeiführung einer Störung der therapeutischen Beziehung Stufe 1 Dauerhafte Beeinträchtigung Stufe 2 Verbalisierung externaler Inhalte Stufe 2 „professionelles“ Verhalten Stufe 2 Keine bewusste Gestaltung, z. B. „Abwehr über die med. Maßnahme“ Stufe 2 Erhebliche vorübergehende Beeinträchtigung Stufe 3 Verbalisierung nebensächlicher internaler Inhalte Stufe 3 „Helferhaltung“ Stufe 3 Bewusste Gestaltung durch medizinische Maßnahme Stufe 3 Keine Beeinträchtigung Stufe 4 Verbalisierung wesentlicher internaler Inhalte Stufe 4 Nicht an Bedingungen gebundenes Akzeptieren Stufe 4 Direkte Kommunikation Stufe 4 Aktive Rolle des Klienten Patienten / 8 Rollenspiel Unter Aufzeichnung des Rollenspiels mit einer Videokamera spielt ein Gruppenmitglied ein eigenes Patientenbeispiel mit einem anderen Gruppenmitglied, das in der Helferposition spielt. Die Gruppe und der Trainer beobachten die Szene Dann wird das Rollenspiel nach Skalen und nach dem Gefühl aller Beteiligten bearbeitet Danach wird das erarbeitete Gesprächsergebnis mit dem Video überprüft und nachbearbeitet Im Gegensatz zu den Erwartungen, die Video-Arbeit würde Angst machen, haben wir im Gegenteil erlebt, dass die Teilnehmer die Arbeit als interessant, angenehm und hilfreich erlebt haben. Nicht die manchmal befürchtete „Blamage“ stand im Vordergrund des Erlebens, sondern die eigene Wahrnehmung im Video war meist besser als von den Teilnehmern erwartet. Auch in den durch die LAGO ausgewerteten Evaluationsbögen zeigte es sich sehr deutlich, dass die Bausteine des Programms mit Bezug auf Vermittlung und Üben von Gesprächssituationen sehr beliebt waren und als bereichernd, anregend und informativ eingeschätzt wurden. 9