Wenn ein Elternteil an Krebs erkrankt… Besonderheiten der Tumorerkrankung A. Hubmann, Dipl.-Psych., Psychoonkologin am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Regensburg • Schleichender Beginn • Ungewisser Verlauf • Lebensbedrohung bei Diagnosestellung bei ungewiss bleibender oder gar infauster Prognose • Erschütterung des eigenen Bildes von Unversehrtheit und Vitalität • Körperliche Schwäche • Körperlich teils stark verändertes Erscheinungsbild (nach Chemotherapie oder Strahlentherapie, z.B. Haarausfall, Gewichtsverlust) Krebserkrankung allgemein • Initiale Reaktionen: – Warum-Ich-Frage – Krankheitsbezogene Ängste – „Muss ich sterben?“ betrifft Eltern und Kinder gleichermaßen – Sprachlosigkeit innerhalb der Familie • Elterliche Krankheitsverarbeitung als Modell für das Kind: Studien belegen, dass nicht Dauer und Stadium der elterlichen Erkrankung Einfluss auf die psychische Anpassung der Kinder hatten, wohl aber die subjektive Krankheitsverarbeitung der Eltern, insbesondere die empfundene Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität. • Kinder können die elterliche Erkrankung besser verarbeiten, wenn sie wissen, wie die Eltern mit der Angst besser zurecht kommen (Gespräch m. Vertrauten, Infosuche, Ablenkung, normaler Alltag.) Behandlungsverfahren in der Onkologie: – – – – Operation Radiotherapie (Strahlentherapie) Hyperthermie (Wärmetherapieverfahren) Medikamentöse Therapie (Hormontherapie, Immuntherapie, Antikörpertherapie) – Chemotherapie Chemotherapie • Der Name kommt daher, dass viele dieser Medikamente chemisch hergestellt werden. • Wachstumshemmende Stoffe, sog. Zytostatika, wirken direkt auf das Wachstumsverhalten bösartiger Geschwülste und hemmen die Teilung bösartiger Zellen. • Oftmals werden mehrere Zytostatika mit unterschiedl. Wirkprinzipien kombiniert, da dies oft einen besseren Erfolg verspricht als ein einzelnes Medikament. • Ziel: Verkleinerung, im besten Fall vollständige Rückbildung des Tumors. • Zytostatika werden meist per Infusion über die Blutbahn injiziert und gelangen über den Blutstrom in alle Körperregionen. Chemotherapie • Chemotherapie als Heilbehandlung: kurative Chemotherapie (v. a. bei Hodentumoren, Leukämien, Lymphknotengeschwülsten) • Chemotherapie als begleitende Behandlung: adjuvante Chemotherapie (bei Brustkrebs, Darmkrebs, um die Entstehung von Tochtergeschwülsten zu verhindern, oft in Kombi mit Strahlentherapie) • Chemotherapie als symptomlindernde Behandlung (bei Schmerzen, Bruchgefahr, Blutungen, um die Lebensqualität zu verbessern): palliative Chemotherapie Ablauf der Chemotherapie: Vorbereitung • Ein Team von Fachärzten (Onkologen, Fachärzten wie Gynäkologe, Pulmologe) entscheidet anhand der Untersuchungsergebnisse, welche Behandlungsform im jeweiligen Krankheitsfall die angemessene ist (interdisziplinäre Tumorkonferenz) • Bei Chemotherapie: Vorstellung beim Onkologen, körperliche Untersuchung: • Aufklärung über Behandlungsziel, Dauer und Ablauf der Chemotherapie, Nebenwirkungen und Behandlungserfolgen, Verhaltenstipps für die Dauer der Chemotherapie, ggf. Hinweis Psychoonkologie Ablauf der Chemo: Die Therapie selbst • Die Chemotherapie gliedert sich in mehrere Zyklen. • Die Dauer einer Behandlung reicht dabei von einem bis zu mehreren Tagen. • Danach folgen zwei bis vier Wochen, in denen sich die gesunden Körperzellen von der Zytostatikagabe erholen müssen. • Dann wiederholt sich die Chemogabe, danach erfolgt wieder eine Pause. • Die Behandlungsdauer ist meist von vornherein festgelegt. • Die meisten Behandlungen können ambulant durchgeführt werden (Dauer: mehrere Stunden). • Einige Therapien erfordern einen stationären Aufenthalt von Tagen bis Wochen. Ablauf der Chemo: Die Therapie selbst • In der Regel erfolgen nach zwei bis drei Zyklen erste Auswertungen des gewünschten Behandlungserfolges („Ansprechen“ der Therapie) • Hiervon hängt es ab, ob die Therapie so fortgeführt wird oder ob andere Medikamente eingesetzt werden müssen. • Keine Auswertung bei adjuvanter Chemotherapie, da hier kein messbarer Tumor vorhanden ist. • Gelegentlich: Tablettenchemotherapie (bei bestimmten Krebsarten) Nebenwirkungen der Chemotherapie Häufig: – Haarausfall – Übelkeit, Erbrechen, Appetitverlust – Schleimhautveränderungen, -reizung – Durchfall vs. Verstopfung – Blutbildveränderungen – Fatigue Seltener: Nervenstörungen, Herz- und Lungenschädigungen, Allergien, Hautveränderungen, Muskel- und Gliederschmerzen, Libidoverlust, Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit, Verlust der Menstruation, künstl. Wechsel Strahlentherapie • Strahlung= Wachstumsbremse für lebendes Gewebe, sprich, es hemmt die Zellteilung • Auch das Tumorwachstum wird über die Zellteilung geregelt. Eine der Hauptwirkungen der Strahlentherapie liegt darin, die Zellteilung zu stören oder zu verhindern. • Ziele: – Kurative Strahlentherapie zielt auf Heilung ab – Adjuvante Strahlentherapie dann, wenn man zwar keine Geschwulst mehr sieht, aber befürchtet, dass im Operationsgebiet noch vereinzelte Tumorzellen zurückgeblieben sind. Sie sollen durch Bestrahlung vernichtet werden. – Palliative Strahlentherapie: zur Linderung von Schmerzen, bei Bruchgefahr/drohender Querschnitt, Harnstau, Lymphstau… Arten von Strahlentherapie • Externe Strahlentherapie: – Eindringtiefe von der Energie abhängig, die das Gerät der Strahlung mitgibt – Telekobaltgeräte: Gammastrahlen/halbtief – Linearbeschleuniger: Röntgenstrahlen für die Behandlung tieferliegender Tumoren und Elektronen für Krankheitsherde in Oberflächennähe Wichtig: genaue Markierung des Bestrahlungsfeldes Oft nötig: mehrere Bestrahlungen (Brustkrebs: 28-35 an fünf Tagen die Woche) • Nachladetherapie (Afterloading):“Bestrahlung von innen“ mit spezieller Hülse in Körper eingebracht (z.B: Speiseröhre, Luftröhre, Scheidee, Enddarm) – sehr genaue Bestrahlung bei max. Schonung des umliegenden Gewebes • Stereotaktische Strahlentherapie: „Operation ohne Messer“ bei best. Hirntumoren (unter Zuhilfenahme von CT) mittels Röntgenstrahl Nebenwirkungen der Strahlentherapie Akutreaktionen: – Schleimhautreaktionen in Mund oder Speiseröhre bei Kopf-Hals-Radiatio – Übelkeit, Durchfälle bei Bauchradiatio – Hautrötungen bei Brustradiatio Spätreaktionen: - Hautverfärbungen - Verhärtungen des Unterhautfettgewebes - Entzündl. Veränderungen der Lunge (bei Brustbestrahlung) u. Vernarbungen… Brustkrebs • Häufigste Krebserkrankung für Eltern minderj. Kinder • Mit weiblicher Identität verbunden, daher v.a. Mütter und für jugendliche Töchter schwierig • Erbfaktor als Belastung für die Töchter • Möglichkeit einer Ablatio (Brustabnahme) • Oft: OP, Chemo, Strahlentherapie, evt. Antihormontherapie, teils mehr als ein halbes Jahr an reiner Therapie • In dieser Zeit: Nebenwirkungen, Schwäche, mangelnde Leistungsfähigkeit, psychische Bergund Talfahrt Leukämien • Spannung zwischen Hoffnung auf Heilung und risikoreicher Behandlung • Stammzelltransplantation (autolog und allogen) • Hochrisikobehandlung: möglicher Tod durch Behandlungsnebenwirkungen wie Spender-vs.Wirt-Reaktionen: Die immunolog. Kompetenten Spenderzellen greifen die Organe des Wirts an und führen zu nicht beherrschbaren Entzündungen • Gesamtmortalität nach Transplantation: 30 % • Vielfältige NW: Schmerzen, Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Erschöpfung, Schlaflosigkeit, Unruhe bei unsicherem Ausgang der Behandlung, also extremem psychischen Stress • Isolation für sechs bis acht Wochen (oder länger) Hirntumore • Begleitende Verhaltens- und Persönlichkeitsveränderungen als große Belastung für die Familie (Aggressionen, Gedächtniseinschränkungen, Einschränkung der Fähigkeit zu planerischem Handeln, teils der Bewegung) • Psychischer Rückzug • Unberechenbarkeit des Patienten in Handlung und Stimmung • Neuropsychol. und psychiatr. Diagnostik und Therapie • Symptomkontrolle in der palliativen Situation gelingt oft nicht Die Bedeutung einer lebensbedroholichen Erkrankung für eine Familie • Trauma • „Alles verändert sich, nichts ist mehr so, wie es gestern war.“ • Verlust des Alltags, der Sicherheit, der Existenz • Verlust einer Zukunftsperspektive • Spaltung und Verleugnung als Abwehrmechanismen für Patient und Angehörige • Antizipatorische Trauerreaktion,wenn unheilbar krank • Aktivierung des Bindungssystems, Schutzfaktoren, inneres Arbeitsmodell aktiviert, basierend auf früheren Erfahrungen im Umgang mit Stress und Verlust Veränderungen der familiären Situation • • • • • • • Rollenwechsel der Eltern Finanzielle Unsicherheiten, Veränderungen Schuld, Scham Kinder übernehmen Aufgaben, helfen mit „nicht mehr Kind sein können“ Verantwortung übernehmen müssen Ein Elternteil ist nur zum Teil verfügbar, wer füllt die Lücke aus • Externe Helfer kommen ins familiäre System (Verwandte, Pflegedienst, Haushaltshilfe, Familienhilfe,…) • Abläufe und Strukturen verändern sich (Kind isst mittags bei der Nachbarin, abends von Oma ins Bett gebracht, evt. z.T. bei anderen untergebracht) Trauer in der Familie • Untersch. Trauerreaktionen • Mit dem Tod eines Elternteils stirbt ein wesentlicher Teil der Kindheit • Kinder brauchen Hilfe bei der Trauerarbeit • Entwicklung von Ritualen • Reaktivierung vorangegangener Verlusterlebnisse: Wie wurden sie verarbeitet? coping vs. emot. Blockierung durch Trauerabwehr • Unterschied: Trauer Erwachsener – Trauer von Kindern Fallbeispiele