SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 25.04.1926: Die Mailänder Scala zeigt Puccinis "Turandot" Von Frieder Reininghaus Sendung: 25.04.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Musik Autor: „Nessun dorma“ gehört zur Elite-Kategorie der „Weltschlager“. Hätte Giacomo Puccini nur Mimis eiskaltes Händchen mit Musik versehen, wäre ihm wohl bereits ein ehrenwerter Platz im Komponisten-Olymp gewiss. Aber er hat schließlich weit mehr geleistet: Mit „Madame Butterfly“ und „Turandot“ die wirksamsten Beiträge zum musikalischen Exotismus und zugleich zur Erkundung der Psyche. Der Komponist sprach selbst in einem Brief vom Juli 1920 von „Vivisektion ihrer Seele“. Turandot, einzige Tochter des Kaisers von China in „vergangenen Zeiten“, will sich nicht heiraten lassen. Alle Bewerber müssen ihre drei Rätsel lösen. Wer ratlos bleibt oder irrt, wird – hoppla! – öffentlich geköpft. Drei Motive prägen die Haltung der im Grunde modernen jungen Frau. Erstens: Archetypische Angst und der Hinweis auf üble Erfahrungen der Vorfahrin Lou-Ling (diese wurde einst geraubt und vergewaltigt). Zweitens: Eigensinn – sie will sich keinem Mann unterordnen und hingeben. Wenn sich aber, drittens, die Vorbereitungen zur Fortpflanzung der Dynastie partout nicht vermeiden lassen, dann muss sich der Partner durch erlesenen Adel und höchste Klugheit auszeichnen. Bis mit Calaf der schöne, schlaue und menschlich reife Bewerber auftaucht, müssen viele Prinzen ihr Leben lassen. Obwohl sein Vater, der inkognito in Peking weilende Ex-Monarch Timur und die Dienerein Liù ihn daran zu hindern suchen, beschließt Calaf, die Rätsel der bildschönen Turandot zu knacken – und damit sie. Das ist der Kern der auf mehreren älteren französischen Vorlagen beruhenden fiaba chinese von Carlo Gozzi aus dem Jahr 1762 und der vierzig Jahre später entstandenen Adaption von Friedrich Schiller. Als Puccini (im November) 1924 in Brüssel starb, lag die Komposition weitgehend vor. Die von Arturo Toscanini geleitete Uraufführung am 25. April 1926 in der Mailänder Scala endete mit Liùs Suizid und wurde keineswegs begeistert aufgenommen. Bei der 2. Vorstellung wurden Ergänzungen von Franco Alfano eingefügt – und erst ganz allmählich stellte sich der Erfolg ein. Musik: Autor: Bereits 1990 wurde in Paris mit der Annäherung an die „Verbotene Stadt“ die Aussicht auf ein Kombinat für Gerüstbau gezeigt, viel arme Leute und das graue Frauen-Bataillon um die Prinzessin im Hühnerkäfig. Zuletzt bescherte Calixto Bieito den Abschied von allem Märchen-Exotismus: Calaf kam wie ein Wanderarbeiter in die militärisch organisierte Turandot-Fabrik, in deren Hof exerziert wird und die Staatsbüttel Ping, Pang, Pong prügeln und demütigen. Die letzte Oper Puccinis hat in besonders erfolgreicher Weise den szenischen Sprung in die Gegenwart geschafft und alle Konkurrentinnen erfolgreich verdrängt – die „Turandot“ von Franz Danzi, die 1816 in Karlsruhe uraufgeführt wurde, und die von Ferruccio Busoni, die 1917 in Zürich das Licht der Opernwelt erblickte. Musik: 1