SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 WISSEN - Manuskriptdienst „Unser

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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 WISSEN - Manuskriptdienst
„Unser kosmisches Zuhause Das neue Bild der Milchstraße“
Autor und Sprecher: Dirk Lorenzen
Rezitator: Christoph Haß
SprecherInnen: Isabelle Demey, Frauke Vetter, Martin Ruthenberg
Technik: Monika Banaszeck
Redaktion: Sonja Striegl
Sendung: Mittwoch, 18. März 2009, 08.30 Uhr, SWR2
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Rezitator 1:
Zeus wollte seinem Lieblingssohn Herkules Unsterblichkeit verleihen und legte ihn daher
heimlich an die Brust der schlafenden Hera. Als diese erwachte, schleuderte sie im Zorn
den ihr verhassten Säugling fort, dass sich die Milch im Bogen über den Himmel ergoss
und auf diese Weise die Milchstraße bildete.
Autor:
So schrieb es der Gelehrte Fritz Kahn in einem Buch vor fast einhundert Jahren. Ob es
nun Hera war oder nicht: In dunkler mondloser Nacht zeigt sich außer den funkelnden
Sternen noch dieses silberne Leuchten am Himmel: Ein breites matt schimmerndes
Band zieht sich einmal quer über das Firmament - die Milchstraße.
Ansage:
„Unser kosmisches Zuhause - Das neue Bild der Milchstraße“. Eine Sendung von
Dirk Lorenzen.
Autor:
„Galaxis“ haben die Griechen dieses Lichtband genannt, nach dem Wort „Gala“ für
Milch. Dass da am Himmel nicht die Milch Heras leuchtet, ist den Astronomen natürlich
schon lange klar. Mehr als 200 Milliarden Sterne bilden diese große flache Scheibe im
Universum - einer dieser Sterne ist unsere Sonne. Wir leben irgendwo am Rand der
Milchstraße. Blicken wir des nachts in Richtung dieser Scheibe, sehen wir das matte
Band der Milchstraße. Sehen wir aus der Scheibe hinaus, fällt der Blick in den dunklen
Weltraum. Zwar sind die Forscher nicht mehr auf schillernde Sagen angewiesen, um
sich die Entstehung und Entwicklung der Galaxis zu erklären. Aber unsere kosmische
Heimat birgt noch immer große Rätsel.
O-Ton 1 - Robert Benjamin:
„If you ever see a picture of the Milky Way, don't trust it!“
Autor:
Bildern, die angeblich das Aussehen der Milchstraße zeigen, solle man nicht trauen,
meint Professor Robert Benjamin, ein junger Astronom an der Universität von Wisconsin
in Whitewater in den USA. Er erforscht den Aufbau der Milchstraße - und warnt
gewissermaßen vor seinem eigenen Fachgebiet...
O-Ton 2 - Robert Benjamin:
„It is a constantly evolving process, just like getting maps of the Earth. We are advancing
one thing. It may be ripped to shreds and completely different in five years time.“
Autor:
Das Kartieren der Milchstraße sei ein sich ständig entwickelnder Prozess, ähnlich dem
Herstellen von Landkarten auf der Erde früher. Was heute als Fortschritt erscheine,
könne sich schon in fünf Jahren wieder völlig erledigt haben.
Zwar gibt es großartige Trickdarstellungen, die eine flammende Spiralgalaxie zeigen, die
durch das Universum wirbelt. Aber wie die Galaxie, in der wir leben, genau aussieht,
wissen die Astronomen bis heute nicht.
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O-Ton 3 - Robert Benjamin:
„If you look on the Milky Way from above, you have two dominant arms...
Voice over 1, männlich:
Wenn man von oben auf die Milchstraße blicken könnte, sähe man wohl zwei auffällige
Spiralarme, in denen es jede Menge helle Sterne und viele Gaswolken gibt. Dazu gibt es
zwei schwächer ausgeprägte Arme mit weniger Sternen. Im Zentrum der Milchstraße
sind die Sterne in einem langen hellen Balken angeordnet, von dem die Arme
ausgehen. Unsere Sonne liegt ein gutes Stück vom Balken entfernt zwischen den
beiden großen Spiralarmen. Weiter draußen als die Sonne ist nur noch einer der
Hauptarme.
...there is only one significant arm that is beyond the solar orbit.“
Autor:
Ein großer Balken in der Mitte, von dem zwei helle Spiralarme ausgehen: Die
Milchstraße erinnert ein wenig an eine Knetmaschine. Dass sich die Astronomen
ausgerechnet bei unserer Heimatgalaxie so schwer tun, hat seinen Grund: Es ist eben
äußerst schwierig, aus dem Inneren der Milchstraße heraus ihr Aussehen bestimmen zu
wollen. Auch beim Blick aus dem Fenster eines Hauses lassen sich nur die
Nachbarhäuser bestens beobachten. Aber festzustellen, wie das Haus aussieht, in dem
man sich befindet, ist kaum möglich.
Erschwerend kommt hinzu, dass in unserem kosmischen Haus wenig Fenster sind.
Stattdessen gibt es geradezu undurchdringliche Wände aus dicken Staubmassen, die
den Blick blockieren. Unsere Milchstraße hat vermutlich einen Durchmesser von gut
100.000 Lichtjahren. Aber mit „normalen“ Teleskopen kommen die Astronomen meist
nur ein paar tausend Lichtjahre weit - und stochern damit buchstäblich im Nebel. Robert
Benjamin nutzt daher das Spitzer-Weltraumteleskop:
O-Ton 4 - Robert Benjamin:
„I use the Spitzer Space Telescope. A view of the inner part of the Milky Way that is
completely free of the effects of dust extinction.“
Autor:
Das neue Wissen um Aussehen und Form der Spiralarme unserer Milchstraße ist dem
Spitzer-Weltraumteleskop zu verdanken. Erst dieses NASA-Instrument lichtet die
Nebelschwaden. Spitzer arbeitet im Infrarotbereich, also im Bereich der
Wärmestrahlung. Anders als „normales“ sichtbares Licht dringt die Infrarotstrahlung
durch die Staubmassen hindurch. Erstmals haben die Astronomen nun einen völlig
staubfreien Blick auf das Innere der Milchstraße.
O-Ton 5 - Robert Benjamin:
„Infrared data rules. That's what made this study possible...
Voice over 2, männlich:
Im Infrarotbereich sehen wir praktisch alle Sterne in der Milchstraße. Wir bestimmen
jetzt ihre Häufigkeit und Verteilung im All viel genauer, als das bisher möglich war.
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Spitzer hat mehr als 100.000 Infrarotbilder der Milchstraße gemacht. Mir ist dann eine
genial einfache Idee gekommen: Ich habe einfach mal die Sterne auf den Bildern
gezählt.
...I have been involved in counting the stars in that survey.“
Autor:
Die Spitzer-Daten zeigen Sterne und Gaswolken am Himmel in bisher unerreichter
Detailfülle - und so fielen die Spiralarme beim Auszählen der Bilder sofort ins Auge: Wo
viele Sterne sind, sind sie in den Spiralarmen zusammengeballt. Dazwischen gibt es
große Leerräume mit wenig Sternen und nur ein paar Gaswolken. Zwar bewegen sich
manche Objekte in der Milchstraße mit bis zu 500 Kilometern pro Sekunde. Dennoch
läuft der riesige kosmische Mixer wie in Superzeitlupe. Für eine Umdrehung brauchen
die Spiralarme der Milchstraße etwa 250 Millionen Jahre. Mit diesem Tempo ist auch die
Sonne unterwegs mit der Erde im Schlepptau.
Rezitator 2:
Phaeton, ein Sohn des Sonnengottes, beschwor seinen Vater, ihn einmal den
Sonnenwagen über den Himmel lenken zu lassen. Der Führung unkundig und in der
ungewohnten Höhe schwindelig geworden, verlor er die Herrschaft über das Gefährt
und stürzte ab. Als Spur dieses Feuerweges ist die Milchstraße geblieben.
Autor:
Was diesen in der griechischen Sage beschriebenen Feuerweg ausmacht, was sich wie
am Himmel bewegt, wo welche Sterne entlang laufen, das wollen die Astronomen nun
mit dem internationalen Projekt „Rave“ herausfinden. Rave ist das englische Wort für
„rasen“.
O-Ton 6 - Matthias Steinmetz:
„Bei uns rasen die Sterne. Die Sterne in unserer Milchstraße.“
Autor:
Professor Matthias Steinmetz ist Direktor des Astrophysikalischen Instituts in Potsdam.
Weil auch in der Milchstraße alles in Bewegung ist, wollen Steinmetz und seine Kollegen
von etwa einer Million Sternen die genaue Position, die Geschwindigkeit und die
chemische Zusammensetzung bestimmen. Die Rave-Astronomen unternehmen gerade
eine Art kosmische Volkszählung.
O-Ton 7 - Matthias Steinmetz:
„Wir versuchen Gruppen von Sternen zu finden, die über den ganzen Himmel verteilt
sind, die aber immer noch die gemeinsame Bewegung haben. Ich vergleiche das immer
damit, wenn man versucht, einen Leichenzug festzustellen, wenn er den Place de la
Concorde in Paris durchkreuzt zur Rushhour. Man hat Autos in alle Richtungen und man
versucht dann halt den Zug anhand der gemeinsamen Bewegung aller Autos
festzustellen.“
Autor:
Gibt es im Gewimmel der Milchstraße wirklich Gruppen von Sternen, die sich mit
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gleicher Geschwindigkeit in dieselbe Richtung bewegen? Das Rave-Projekt ist erst zu
einem guten Drittel abgeschlossen, aber schon haben die Forscher die ersten
auffälligen Gruppen von Sternen entdeckt, die im Gleichschritt durch die Milchstraße
laufen.
O-Ton 8 - Matthias Steinmetz:
„Wir wissen, dass das dann eine Gruppe war, die zusammen in die Milchstraße
eingefallen ist und dann durch das Gezeitenfeld der Milchstraße zerrissen wurde. Es
sollten Objekte sein, die auch chemisch die gleiche Signatur haben. Letztendlich geht es
darauf hinaus, dass unsere Modellvorstellung von Computersimulationen zur Zeit ist,
dass sich die Milchstraße über eine ganze Reihe von galaktischen Zusammenstößen
gebildet hat...“
Autor:
...und so ist unsere Milchstraße auf eine beachtliche Größe angewachsen. Diese
Ausmaße und die große Menge an Sternen sind offenbar die Folge vieler
Zusammenstöße. Prallen Galaxien im Kosmos zusammen, werden sie nicht zerstört.
Die Kollision erfolgt extrem langsam, sie dauert zig-Millionen Jahre - am Ende
verschmelzen die Galaxien zu einer größeren Einheit. Das scheint der Milchstraße sehr
oft passiert zu sein...
O-Ton 9 - Matthias Steinmetz:
„Wir haben im jetzigen Sample etwa ein Dutzend Strömungen gefunden. Wenn das
Modell stimmt, sollte es Hunderte davon geben.“
Autor:
Matthias Steinmetz und seine Kollegen betreiben galaktische Archäologie. Sie suchen
nach den Sternen der verschluckten Galaxien. Jede Galaxie hat ihre chemische
Eigenschaft, jede bewegt sich etwas anders. Auch Milliarden Jahre nach der „Kollision“
sollten viele der verschluckten Sterne noch ihre Herkunft verraten - wenn man sie denn
findet und die Zeichen richtig zu deuten weiß. Die verschlungene Galaxie mag sich
aufgelöst haben. Ihre Sterne aber sind gleichsam unsterblich.
Rezitator 3:
In der römischen Mythologie beschreibt Ovid die Milchstraße als den Weg, auf dem die
Götter vom Olymp zum Palast des Zeus hinschreiten, und zu dessen Seiten die
Behausungen der Unsterblichen liegen.
Autor:
Um nicht auf die Fertigstellung des ambitionierten Rave-Katalogs mit den Daten von
einer Million Sternen zu warten, hat Dr. Katherina Vivas aus der Not eine Tugend
gemacht. Die junge Astronomin vom CIDA-Observatorium in den Anden Venezuelas
macht Untersuchungen, wie sie mit Rave-Daten erfolgen sollen, einfach an einer kleinen
Gruppe ganz besonderer Sterne. Von RR Lyrae-Sternen - benannt nach ihrem
Prototypen im Sternbild Leier - sind in der Milchstraße nicht einmal 1.000 Exemplare
bekannt. Wegen ihrer großen Helligkeit und ihres periodischen heller und schwächer
Werdens sind diese Sterne sehr auffallend und auch in großer Entfernung noch gut zu
sehen.
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O-Ton 10 - Katherina Vivas:
„You can study the spatial distribution of RR Lyrae stars in the halo. We are finding that
the RR Lyrae stars are clumped, they are in groups...
Voice over 3, weiblich:
Wir untersuchen die räumliche Verteilung dieser Sterne im Halo der Milchstraße. Der
Halo ist eine lose Ansammlung von Sternen, die die Milchstraßenscheibe wie eine große
Kugel umgibt. Wir sehen jetzt, dass die RR Lyrae-Sterne nicht etwa gleichmäßig verteilt
sind, sondern dass sie Gruppen bilden - vier Gruppen haben wir bisher entdeckt.
Stammten alle diese Sterne aus unserer Milchstraße, müssten sie sich da draußen
gleichmäßig verteilen. Diese Sternengruppen sind also die Überreste von kleinen
Galaxien, die die Milchstraße wie ein Kannibale geschluckt hat.
...dwarf galaxies, that have been disrupted by tidal forces of Milky Way, a cannibal
galaxy.“
Autor:
Die Milchstraße verschlingt noch heute kleine Galaxien, die ihr zu nahe kommen. Die
Galaxien stürzen in den kosmischen Mixer und werden buchstäblich zerrieben. Viele
Sterne geraten direkt in die Milchstraßenscheibe, wo Matthias Steinmetz mit seinem
Rave-Team sie identifizieren will. Andere Sterne schleudern auf riesigen
Schleifenbahnen um die Milchstraße herum. Diese auffallenden Sternbögen überdauern
Milliarden Jahre - und zeugen noch heute vom längst vergangenen kosmischen
Fressgelage, freut sich Katherina Vivas:
O-Ton 11 - Katherina Vivas:
„The Milky Way is the place where we can do very detailed observations of galaxy
formation. It is the best place to do, because we are here.
Voice over 4, weiblich:
Die Milchstraße ist der beste Ort, um sehr detailliert die Entstehung von Galaxien zu
beobachten - einfach weil wir hier sind und alle Einzelheiten erkennen können. Bei
fernen Galaxien ist das schwieriger - da braucht man allerbeste Teleskope. Wir wollen
möglichst viele Sternengruppen finden, ihre Eigenschaften bestimmen und so
feststellen, wie sie mit der Milchstraße verschmolzen sind. Langfristig decken wir so die
ganze Entstehungsgeschichte unserer Milchstraße auf!
...long ago there were merged into halo, eventually you can reconstruct the whole
accretion history and formation of the milky way.“
Autor:
Somit dient die Milchstraße als ideales Beispiel, um die Entstehung und Entwicklung
großer Galaxien nachzuvollziehen.
Rezitator 4:
Demokrit von Abdera, der geistvolle Begründer der Atomlehre, war der erste, der die
Milchstraße als das erkannte, was sie nach den unzweifelhaften Ergebnissen der
modernen Wissenschaft in Wahrheit ist: als eine Anhäufung unendlich ferner dicht
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gedrängter Sterne.
Autor:
Wie der Gelehrte Fritz Kahn vor fast einhundert Jahren schrieb, hatte der griechische
Naturphilosoph Demokrit vor 2400 Jahren als erster die Idee, dass das milchige Band
am Himmel der Schimmer zahlloser schwacher Sterne ist. Demokrit hatte recht - konnte
es aber nicht beweisen. Erst Galileo Galilei hat 2000 Jahre später, im Jahr 1609, mit
seinem Teleskop gezeigt, dass die Milchstraße wirklich ein einziges Sternenmeer ist - in
dem unsere Sonne nur ein Stern unter Myriaden ist. Weil sich die Entdeckung Galileis
zum 400. Mal jährt, wurde 2009 zum Internationalen Jahr der Astronomie erklärt.
Die Astronomen sehen all die Sterne im All - doch sie haben ein großes Problem: Sie
verstehen bis heute nicht, wie die Sterne entstehen. Wie schon beim Enträtseln der
Struktur der Milchstraße müssen Beobachtungen im Infrarotbereich den
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf die Sprünge helfen. Eine von ihnen ist
Dr. Lori Allen, Astronomin am renommierten Harvard-Smithsonian Zentrum für
Astrophysik in Cambridge in den USA:
O-Ton 12 - Lori Allen:
„I use the Spitzer Space Observatory to study stars that are just in the process of
forming, stars in our own galaxy...
Voice over 5, weiblich:
Mit dem Spitzer-Weltraumteleskop untersuche ich Sterne, die gerade entstehen. Mit
Spitzer sehen wir tief hinein in die Sternfabriken in der Milchstraße. Im normalen
sichtbaren Licht geht das nicht, denn Sterne entstehen im Innern dicker Wolken aus
Staub und Gas.
...are enshrouded by dust and molecular gas.“
Autor:
Das Lieblingsobjekt von Lori Allen ist Rho Ophiuchi im Sternbild Schlangenträger. Aus
dicken Gas- und Staubwolken entstehen dort gerade Hunderte Sterne. In normalen
Teleskopen ist es ein dunkles undurchdringliches Nebelgebilde - im Infrarotbereich
voller hell leuchtender Objekte. Rho Ophiuchi ist nur 500 Lichtjahre entfernt,
astronomisch gesehen liegt es unmittelbar vor der Haustür: Es ist die uns nächste
Ansammlung junger Sterne.
O-Ton 13 - Lori Allen:
„They are actually in all stages of young stars...
Voice over 6, weiblich:
Wir sehen dort gut 300 Sterne, die in allen Stadien der Entstehung sind. Wenn in einer
Gas- und Staubscheibe sich die Materie im Zentrum ansammelt, dann beginnt
irgendwann das nukleare Feuer im Innern des Sterns. Der junge Stern ist zunächst von
den Resten dieser Scheibe umgeben, aus denen sich Planeten bilden können. Die
Strahlung des Sterns lässt diese Scheibe aber ziemlich schnell verdampfen. Das dauert
nur etwa fünf Millionen Jahre. Wir sehen im Rho-Ophiuchi-Haufen Sterne, die nur einige
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hunderttausend Jahre alt sind und noch mitten in der Staubscheibe stecken. Andere
sind einige Millionen Jahre alt, verlieren gerade ihre Scheibe und sind damit am Ende
ihrer Jugend.
...beginning to lose their disk, they are at the end of their youth.“
Autor:
Nirgendwo sonst am Himmel können die Astronomen die verschiedenen Phasen der
Sternentstehung so gut beobachten wie in diesem Haufen. Verglichen mit der fast fünf
Milliarden Jahre alten Sonne, sind die Sterne dort noch feucht hinter den Ohren.
Doch so sehr sich die Forscher über die spektakulären Blicke in diesen gigantischen
kosmischen Kreißsaal freuen: Es ergeht ihnen wie Eintagsfliegen, die auf der Erde die
Entstehung und Entwicklung von Menschen verstehen sollen. Das Altern ist in so kurzer
Zeit nicht zu beobachten. Man muss versuchen, die Stadien Embryo, Säugling,
Kleinkind und Teenager allein aus der Beobachtung verschiedener Objekte richtig zu
deuten und die Entwicklung korrekt zu erschließen.
Rezitator 5:
Aber die Milchstraßenforschung hatte von der Erfindung des Fernrohrs zunächst keinen
Gewinn. Im Gegenteil, man war grenzenlos enttäuscht. Die Milchstraße blieb ein
undurchdringlicher Nebel, der im schmalen Gesichtsfeld des Fernrohrs noch
geisterhafter, überirdischer und unerforschlicher aussah.
Autor:
Bisher scheint bei den Sternen nur klar zu sein, dass es mit einer riesigen Wolke aus
Gas und Staub anfängt, die unter der eigenen Masse zusammenstürzt. Die Grundidee
mag stimmen. Aber die Details sind völlig rätselhaft, erklärt Dr. Hans Zinnecker vom
Astrophysikalischen Institut Potsdam.
O-Ton 14 - Hans Zinnecker:
Die Wolke rotiert und diese Rotation führt im Endeffekt dazu, dass sich der Protostern,
wie wir den nennen, abflacht, wie so eine Pizza. Und die Materie, die dann sozusagen
auf die äußere Pizza fällt, die muss dann noch radial nach innen kommen, weil der
Stern, der ist so winzig klein verglichen mit der Wolke, also der ist 20.000 mal kleiner.
Das sind unglaubliche Skalen, die man da überwinden muss...
Autor:
...und die Astronomen verstehen nicht, wie so viel Materie aus der Wolke durch die
„Pizza“ in den Stern gelangt. Manche Sterne müssen aber irgendwie zu Unmengen von
Materie kommen, denn es gibt Exemplare, die haben sage und schreibe 100- bis 150mal soviel Masse wie unsere Sonne! Doch die einströmende Materie heizt den Stern
immer mehr auf und lässt ihn zudem immer schneller rotieren. Der Stern sendet dann
extrem heiße, so genannte ionisierende Strahlung aus. Das hat für den Stern fatale
Folgen...
O-Ton 15 - Hans Zinnecker:
Diese ionisierende Strahlung kann jetzt zwei Dinge tun: Sie kann entweder die ganze
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Hülle wegblasen, so dass kein Nachschub mehr nachkommt. Aber selbst wenn er das
geschafft hat, dann könnte ja immer noch sozusagen das, was in der Scheibe ist, die ich
Pizza genannt habe, einströmen. Aber auch das passiert vermutlich nicht, weil der Stern
durch seine ionisierende Strahlung zur Verdampfung dieser Scheibe beiträgt. Dann ist
keine Scheibe mehr übrig. Der gräbt sich selbst das Wasser ab.
Autor:
Der junge Stern stoppt also selbst sein Wachstum. Doch Sterne müssen irgendwie
entstehen und wachsen, schließlich leuchten sie milliardenfach in der Milchstraße.
Schlüssel zum Verständnis dieses so grundlegenden Phänomens im Weltall sind
Sternhaufen, dichte Gruppen von Sternen, die gemeinsam entstanden sind. Die
Astronomin Dr. Sabine Mengel blickt mit dem Very Large Telescope, Europas großer
Sternwarte in der chilenischen Atacama-Wüste, meist auf einen ganz besonderen
Haufen:
O-Ton 16 - Sabine Mengel:
Westerlund 1 heißt er. In der Milchstraße der massereichste junge Sternhaufen, den
man entdeckt hat. Er ist sehr jung, fünf Millionen Jahre alt und hat 100.000
Sonnenmassen und in etwa so viele Sterne.
Autor:
100.000 junge Sterne ballen sich auf einem Raum von der Größe, wie ihn die Sonne für
ihre paar Dutzend Nachbarsterne braucht. Offenbar ist dieser Haufen eine besonders
produktive Sternfabrik.
So massereiche Sternhaufen kennen die Astronomen sonst nur in anderen Galaxien. In
unserer Milchstraße sind sie wegen der dicken Staubwolken sehr viel schwieriger zu
entdecken. Mit Hilfe von Westerlund 1 und den anderen Haufen untersuchen Sabine
Mengel und ihre Kollegen, ob Sterne Einzelgänger oder Herdentiere sind...
O-Ton 17 - Sabine Mengel:
Das wird momentan heftig diskutiert, ob Sterne tatsächlich in der Mehrzahl sich in
Haufen bilden, ob also auch die Sterne, die wir sehen, wie die Sonne und andere
Einzelsterne, ob die vielleicht in einem Sternhaufen entstanden sind. Denn viele
Sternhaufen, die man sieht, von denen denkt man jetzt, dass sie nur eine kurze
Lebensdauer haben, also so wenige zehn Millionen Jahre. Dann lösen sie sich auf und
geben die Sterne an die Galaxie ab und verteilen sie, was man dann hinterher als
Einzelsterne sehen würde.
Autor:
Die große Frage ist, warum Sterne nicht in den Haufen zusammenbleiben. Eine
entscheidende Rolle könnte die Art der Sterne im Haufen spielen. Denn wenn eine
riesige Gas- und Staubwolke zusammenstürzt, sich verdichtet und schließlich im Innern
Sterne bildet, dann entstehen dort viele „normale“ kleine Sterne wie die Sonne, aber
eben auch manche Sternriesen. Und die haben es in sich...
O-Ton 18 - Sabine Mengel:
Sterne mit über 100 Sonnenmassen, zum Beispiel, sind die, die die kürzeste
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Lebensdauer haben, und die als erste in einem Sternhaufen explodieren und zur
Supernova werden. Wenn dann diese Energie eingebracht wird in den Sternhaufen,
dann kann so etwas ausreichend sein, um den Sternhaufen zerbersten zu lassen oder
sich auflösen zu lassen.
Autor:
Die massereichsten Sterne leuchten nur ein oder zwei Millionen Jahre lang. Zum
Vergleich: Unsere Sonne wird gut zehn Milliarden Jahre lang leben und erst fünf davon
sind schon vorüber. Entstehen in einem Sternhaufen ein paar extrem massereiche
Sterne, so ist das das Todesurteil für den Haufen. Denn die Schwergewichte
explodieren schnell, kochen das restliche Gas auf, fegen es aus dem Haufen und
stoppen so die Entstehung weiterer Sterne und Planeten.
O-Ton 19 - Sabine Mengel:
Es kann auch passieren, dass dann von dem Sternhaufen nichts mehr als Haufen übrig
ist, sondern durch die mangelnde Gravitation, weil die Sterne allein nicht mehr
ausreichen, wird der Sternhaufen größer und größer und hört dann einfach mit dieser
Expansion nicht mehr auf.
Autor:
Ohne das anziehende Gas im Haufen verlieren die Sterne ihren Halt und laufen davon.
Sterne, die astronomisch gesehen „eben gerade“ mit Zigtausenden anderen Sternen auf
engstem Raum entstanden sind, laufen plötzlich verwaist durch das All. Vielleicht hat
auch die Sonne so ein Schicksal hinter sich. Für das Leben auf der Erde ist die isolierte
Sonne sicher ein Glücksfall: Denn Planeten haben bei Einzelsternen viel stabilere
Bahnen als bei Sternen in dichten Haufen. Unter Sternen sind Einzelgänger
lebensfreundlicher als Herdentiere...
Rezitator 6:
Bei den Arabern ist die Milchstraße die Mutter des Himmels, die mit ihrer Milch die
Sternkinder nährt, oder der große Himmelsfluss, an dem die Sternbilder der Tiere zur
Tränke ziehen.
Autor:
Der große Himmelsfluss hat auch die Erde an die Tränke geführt. Die chemischen
Stoffe, denen wir unser Leben verdanken, wie Sauerstoff, Kohlenstoff oder Eisen, haben
sich in früheren Generationen von Sternen in der Milchstraße gebildet. Diese Sterne
sind verloschen und haben ihr Material im All verteilt. Es muss dann Bestandteil der
Urwolke gewesen sein, aus der unsere Sonne mit der Erde entstanden ist. Professor
Don York, Astronom an der Universität von Chicago, versucht seit Jahrzehnten, das
Rätsel des für uns so lebenswichtigen kosmischen Staubes zu lösen.
O-Ton 20 - Don York:
„The two big questions about interstellar dust: How is it formed and how does it get from
where it has been formed into interstellar space.“
Autor:
Wie der Staub entsteht und wie er von den Orten, an denen er gebildet wird, in die
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Weiten des interstellaren Raumes gelangt, wüsste nicht nur Don York gerne. Aber wie
bei der Sternentstehung haben die Astronomen auch beim Staub nur ein sehr grobes
Modell. Auf den ersten Blick scheint es gut zu funktionieren - aber sobald die Forscher
sich einige Details genauer ansehen, geraten sie in große Schwierigkeiten. Immerhin
hat Don York jetzt gerade einen interessanten Doppelstern beobachtet, der wie eine
riesige Fontäne kräftig Staub ins All pustet.
O-Ton 21 - Don York:
„There is one big star, a giant star. Matter that is flowing off the big star can drop on the
little star...
Voice over 7, männlich:
Einer der beiden Sterne ist ein alter Riesenstern. Er verliert allmählich Material an den
kleineren Begleiter. Die abströmende Materie bildet eine flache Scheibe, die den
kleineren Stern umgibt. Das meiste stürzt in den Stern, aber ein gewisser Teil des
abfließenden Materials wird in zwei Materiekegeln genau senkrecht nach oben und
unten aus der Scheibe herausgeschleudert. Auf diese Weise gelangt viel von dem
Staub, der in den Außenschichten des alten Riesensterns entstanden ist, in den
interstellaren Raum.
...so that it leaves the system.“
Autor:
Womöglich ist so auch der Staub hinaus ins All geschleudert worden, aus dem sich
dann unsere Erde gebildet hat. Denn unser Gestein ist nichts anderes als Staub, der
aus der Urwolke des Sonnensystems kondensiert und später verschmolzen ist. Die
Milchstraße recycelt perfekt ihr Material. Massereiche Sterne leben nur kurz,
produzieren aber viele chemische Elemente und Staub. Sterne wie unsere Sonne leben
lange, ermöglichen dafür aber Leben. Das alles geschieht so nebenher, während die
Sonne mit der Erde riesige Kreise um das Zentrum der Milchstraße zieht und die
Milchstraße wiederum sich kleinere Galaxien einverleibt, die ihr zu nahe kommen und
die Nachschub an Material liefern.
Lange Zeit eher als kosmischer Langweiler verschrien, sehen die Astronomen jetzt,
dass unsere Milchstraße eine enorm bewegte Vergangenheit hat - und dass die
Schlüssel zur Lösung fast aller Probleme der Astrophysik irgendwo in der Milchstraße
liegen. Doch niemand weiß genau, wo... Denn die Milchstraße ist uns so nah und doch
so fern. Sie scheint so heimelig vertraut und bleibt doch vor allem sehr geheimnisvoll das gilt heute wie vor hundert Jahren, als der Gelehrte Fritz Kahn sein Buch „Die
Milchstraße“ so enden ließ:
Rezitator 7:
Über den Sinn all dieser Sonnenwelten, über ihren Ursprung und Zweck ihres Daseins
gibt uns weder die astronomische Forschung noch irgendeine andere geistige
Erkenntnismöglichkeit, mag sie sich Philosophie, Wissenschaft oder Glaube nennen,
auch nur den kleinsten Aufschluss. Niemals können wir als Teil des Ganzen das Ganze
begreifen, können wir als ein Produkt der Welt die Welt enträtseln, niemals werden wir,
selbst nichts als denkende Materie, das Wesen dieser Materie erdenken.
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