wehringhausen - ardenkuverlag

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Elisabeth May
WEHRINGHAUSEN – ZEUGNIS
EINER AUFSTREBENDEN
INDUSTRIESTADT UM 1900
„Zwischen den Polen der Mühe und des Lohns lebt die Bevölkerung. […] Wie im Innern
ihrer Menschen, so sieht es auch in der Landschaft der westfälischen Industriestadt aus.
Trübes Arbeitsmüssen im ummauerten Bezirk, eingeteilt, unentrinnbar […], der Kohlenruß
läßt den Waldgeruch nicht in die Stadt dringen.“ 1
Einhundert Jahre nach dieser trefflichen Beschreibung in der Zeitschrift „Der Tag“ ist
das schmutzige Grau der Industriestadt im
Stadtteil Wehringhausen vollkommen verschwunden. Geblieben ist eine unerschöpfliche Vielfalt architektonischer Zeugnisse von
der Kaiserzeit bis zur Weimarer Republik.
Die wachsende Stahl- und Textilindustrie in
Hagen, die den Anstieg der Bevölkerungsdichte bedingte, zog seit den 70er Jahren
des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des
Ersten Weltkrieges eine wachsende Bau-
Detail eines Stuckornaments, Lange Straßen 47
konjunktur nach sich. Anschaulich für eine
schnell wachsende Industriestadt und die
turbulente wie krisengeprägte Zeit stehen in
Wehringhausen die gründerzeitlichen Prunkfassaden in Kontrast zu den sachlich-schlichten Bauten der 20er Jahre. Unbeschadet die
Kriegsereignisse überdauert haben ganze
Straßenzüge mit Industriellenvillen und Beamtenhäusern sowie Blockbebauungen, deren Innenhöfe heute teilweise einer grünen
Oase gleichen.
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DAS BUSCHEY-VIERTEL – VISUALISIERTES REPRÄSENTATIONSBEWUSSTSEIN
Historische Ansicht der Villa von Theodor jun. Springmann, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde
Rudolf Springmann-Villa während der Bauzeit
Das vom Flusslauf der Ennepe topographisch ansteigende Terrain findet ein städtebauliches Pendant in dem gesellschaftlichhierarchischen Aufbau des Wohnviertels.
Ein exponiertes Baugebiet entstand nach
den Gründerjahren an den Stadtgarten
grenzend und oberhalb des von Industrie,
Verkehrswegen und verdichtetem Wohnen
geprägten Tals.
Im Buschey-Viertel zeugen prächtige Villen
von einer glanzvollen Zeit. Selbst Karl Ernst
Osthaus, der seine Villenkolonie im durchgrünten Hohenhagen auf Emst begründete,
schrieb begeistert an seine Kusine Paula Deetjen, der Schwester Theodor jun. Springmanns: „[…] Gestern war van de Velde
hier. Ganz inkognito. Er hat sich den Platz
für Theo auf dem Goldberg besehen. Wir
waren beide überrascht, ihn so schön zu
finden. Er denkt sich das Haus in der Achse
der Koloniestrasse hoch auf dem Berge
oberhalb des Stadtgartens. Der Blick nach
beiden Seiten ist prachtvoll.“ 2
Die für Osthaus’ Vetter Theodor jun. Springmann 3 geplante Villa (Am Waldhang 4)
war Henry van de Veldes letztes Werk in Hagen und wurde durch den Ersten Weltkrieg
nicht fertig gestellt. Nach starken Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg abgerissen, erinnert heute nur noch die Torsituation an das
ehemals repräsentativ angelegte Anwesen. 4
Die bereits 1909/11 von dem belgischen
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Künstler-Architekten errichtete Rudolf-Springmann-Villa (Christian-Rohlfs-Straße 49) weist
heute noch herausragende Details auf wie
beispielsweise das Relief über dem Türsturz
der Eingangstür oder das original erhaltene Gitter des Treppenaufgangs. Auch verraten Fragmente in der Innenausstattung
heute noch die Handschrift des prominenten Jugendstilkünstlers. Insbesondere fand
das Gebäude die Anerkennung Osthaus’,
was aus einem Brief an den Berliner Fotografen Dr. Franz Stoedtner hervorgeht: „Es
ist recht schade, dass die Villa Springmann
von van de Velde, die m. E. sein bestes
bisheriges Werk wird […] noch nicht fertig
[ist, d.V.].“ 5
Unweit der Rudolf-Springmann-Villa steht
die Villa Oskar Funcke (Stadtgartenallee 1),
die 1925 von dem Architekturbüro Gebr.
Ludwigs erbaut wurde. Durch seine Lehrer
Peter Behrens und J.L.M. Lauweriks inspiriert, hat Leopold Ludwigs die am Berghang situierte und auf repräsentative Wirkung angelegte Villa durch eine sachliche
Formgebung mit plastisch ausgeprägten,
geometrischen Elementen monumental inszeniert. Insbesondere das Kreis-QuadratDreieck-Motiv erinnert an die Architektur
der Lehrer.
Gemeinsames Anliegen des Hagener Geldadels äußerte sich damals in dem Streben
nach Repräsentation, was die architektonische Vielseitigkeit dokumentiert. Neben innovativen, gesellschaftlich noch nicht etablierten Bauformen, finden sich ebenso
konventionelle Bauten, deren Legitimation
Treppenaufgang mit Originalgitter nach dem Entwurf von Henry van de Velde
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oben: Historische Ansicht mit original Dachform
links: Blick auf die Funcke-Villa in der Stadtgartenallee 1
unten: Laterne an der Funcke-Villa
aus vergangenen Epochen herrührt. Die von
dem Architekten Ernst Kohlhage 1908 entworfene Villa der Fabrikantenfamilie Otto
Elbers (Buscheystraße 45) beispielsweise
zeigt eine individuelle Fassadengestaltung
gepaart mit traditionellen Architekturelementen. Mit den giebelseitig gestalteten Ecksituationen, die das Hauptgebäude überragen, erinnert das Gebäude in seiner
formalen Gestaltung an eine Schlossanlage.
Den gewichtigen Charakter des Gebäudes
lockern die reichen, ornamentalen Steinmetzarbeiten auf, die den Eingangsbereich
zieren. Effektvoll über einer zentralen Trep-
links: Villa Rudolf Springmann an der Christian-RohlfsStraße mit erneuter Fassadenfassung
penanlage erreichbar, wirkt die Villa prächtig und erhaben.
Ein Blick links und rechts entlang der Buscheystraße verrät, dass sich hier talabwärts
der Übergang von der Villen- zur Mietblockbebauung vollzieht. Durch die topographische Nähe zum historischen Stadtkern bot
das Buschey-Viertel adäquat ein großbürgerliches Wohnen im Grünen. Dies dokumentiert auch die städtebauliche Entwicklung im
industriellen Zeitalter, indem sich im Laufe
des 19. Jahrhunderts Arbeits- vom Wohnraum getrennt hatten, bis sie schließlich an
unterschiedlichen Orten angesiedelt waren.
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