Neue Z}rcer Zeitung FEUILLETON Samstag, 22.09.2001 Nr.220 66 Begriffs- und Wortlosigkeiten Dialog ohne gemeinsame Sprache In diesen Tagen nach den Anschlägen von New York und Washington sowie vor den Gegenschlägen der Amerikaner ist wieder viel die Rede von Samuel Huntingtons Buch «The Clash of Civilizations». Die Angst geht um, dass die bevorstehende Auseinandersetzung mit dem Terrorismus früher oder später in eine Konfrontation mit der islamischen Welt führen könnte. Die Angst ist sicher nicht ganz unbegründet. Doch möglicherweise liegen die wahren Probleme dabei an ganz anderen Stellen, als man sie derzeit vermutet. Ausgerechnet im Zeitalter der Kommunikation könnte das grösste Problem zwischen dem Westen und dem Islam das Problem des gegenseitigen Verstehens sein. «Wenn wir im Westen, die wir in der westlichen Tradition aufgewachsen sind, die Wörter ‹Islam› und ‹islamisch› verwenden, neigen wir zu dem natürlichen Irrtum, dass Religion für Muslime dasselbe bedeutet wie für den Westen. Wir halten Religion für einen Abschnitt oder Teilbereich des Lebens. In der islamischen Welt ist das jedoch nicht der Fall. In der Vergangenheit war es dort immer anders – im klassischen Islam gab es nie eine Trennung von Kirche und Staat –, und das Bemühen in der Moderne, es in dieser Hinsicht dem Westen gleichzutun, mag sich auf längere Sicht vielleicht als widernatürlicher Irrtum herausstellen.» Der Mann, der diese Worte bereits in den achtziger Jahren als Einleitung zu einer Vorlesung formulierte, ist kein notorischer Besserwisser, der uns vorhalten mag, dass wir den Islam ohnehin immer missverstünden, und auch kein Anhänger islamischer Autokratie. Bernard Lewis ist der hoch angesehene Doyen der anglo-amerikanischen Orientalistik. Ein Mann, der zudem in bester britischer und amerikanischer Wissenschaftstradition sowohl als grosser Universalgelehrter wie auch als «homo politicus» gelten darf. Der aus London gebürtige Jude, der zuletzt in Princeton lehrte, ist nicht nur einer der besten Kenner der monotheistischen Religionen, sondern auch verwurzelt im westlichen Liberalismus. Seine Werke sind wohl der grosse differenzierende Gegenentwurf zu Huntingtons plakativem «Clash of Civilizations». Zweierlei Weltsicht © 2001 Neue Zürcher Zeitung AG Lewis weist mit seinen Worten auf ein doppeltes Grundproblem des Westens im Umgang mit der islamischen Welt hin. Zum einen auf das an sich bekannte Phänomen, dass der Islam eine andere Grundvorstellung von Staat und Gesellschaft hat als der Westen. Unter Bezug auf die Anfänge in der Arabischen Halbinsel wie auch auf die grossen Reiche der Osmanen oder Moguln verweist Lewis in seinen Werken immer wieder auf das Vorhandensein eines eigenen Staats- und Gesellschaftsmodells, das man vielleicht am ehesten auf der Basis einer eigenen Weltanschauung mit religiösem Impetus erklären kann. Anders als im Westen, wo schon immer der Dualismus von Staat und Religion existierte («Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist»), gab es diesen im Islam nie. Doch diese reine Feststellung ist nur eine Hälfte des Problems. Hinzu kommt ein Kommunikationsproblem. In der westlich dominierten Politik- und Wissenschaftssprache existiert das Phänomen einer solchen Welt mit religiösem Impetus nicht. Der Westen hat zwar eine Staatslehre und ein Politikverständnis als übergeordnete Grössen gesellschaftlicher Ordnung. Religion ist jedoch immer untergeordnetes Gestaltungsprinzip, gleichsam Privates. Im Islam jedoch sind politisches und religiöses Verständnis identisch, der oft bemühte «politische Islam» mithin fast eine Tautologie. Insofern reden Politiker westlicher Staaten meist an Muslimen vorbei, wenn sie sagen, dass diese gerne gesehen seien, wenn sie ihren Islam nur als Religion verstünden. Die Tatsache, dass es mittlerweile eine grosse Zahl von verwestlichten Muslimen gibt, welche die Unterscheidung «politisch» und «religiös» machen, löst dabei nicht das Kommunikationsproblem mit der ebenfalls grossen Zahl derer, die dies nicht tun. Wobei auch das Argument, dass man eine andere Grundauffassung habe, nicht rechtfertigt, keine gemeinsame Sprache zu suchen. Dem Kommunismus hat man diesen «Gefallen» schliesslich auch getan. In seiner Vorlesung hatte Lewis noch andere Begriffe erläutert. Einer war jener der «Nation». Der Westen leitet den Begriff aus seiner nationalstaatlichen Tradition ab. Demzufolge ist eine Nation die Gemeinschaft eines Staates, auch wenn sich deren Mitglieder zuweilen ausserhalb Blatt 1 Neue Z}rcer Zeitung FEUILLETON dessen aufhalten. Vereinfacht könnte man von einer vertikalen Staats- und Gesellschaftsauffassung nach geographischen Grenzen sprechen. Anders der Islam. Er meint mit «Nation» in seinem klassischen Verständnis Gemeinschaften wie Muslime, Christen oder Juden. Deren Zusammengehörigkeit ist denn auch nicht an Staatsgrenzen gebunden. Man könnte mithin von einer horizontalen oder auch von einer universalen Auffassung reden. Überspitzt formuliert könnte man sogar sagen, der Islam habe die Globalisierung bereits gelebt, bevor der Westen den Begriff erst erfunden hat. Patrioten, Nationalisten, Weltbürger Nun könnte man die Ausführungen von Lewis als akademisch abtun. Doch gerade die gegenwärtige Situation zeigt, welche Bedeutung seinen Erkenntnissen zukommt. Nach über zwanzig Jahren der fortschreitenden Reislamisierung (hier beginnend mit der Revolution in Iran 1979) muss man wohl davon ausgehen, dass grosse Teile der muslimischen Gesellschaft weltweit sich wieder stärker auf den Islam beziehen. Was dies heisst, wird nun in der Tat eher deutlich, wenn man den Begriff der «Nation» zugrunde legt, als wenn man den der «Religion» bemüht. In einer jeden Nation – ob Amerikaner, Deutsche oder Schweizer – gibt es drei Spezies. Es gibt erklärte Anhänger jener «Nation», die man «Patrioten» nennt. Es gibt die negative Facette dessen, die «Nationalisten». Und es gibt jene, die mit ihrer Nation nichts als den Pass gemein haben. Dazwischen allerdings tummeln sich zahllose Graduierungen und Schattierungen. Genau das gilt auch in der islamischen Welt. Es gibt «Patrioten» und Muslime, die dies nur qua Geburt sind – sowie unendlich viele Schattierungen und Graduierungen dazwischen. Und es gibt natürlich auch «Nationalisten», die Extremisten der islamischen Welt. Und genau an dieser Stelle kommt sie wieder ins Spiel: die Wortlosigkeit im Dialog mit der islamischen Welt. Während man im Westen zwischen «Patriot» und «Nationalist» unterscheidet, gibt es für die islamische Welt nur den Begriff «Islamismus», behelfsweise «islamischer Fundamentalismus» (Letzteres schon deshalb unsinnig, weil der Begriff aus dem Christentum kommt). Diese Begriffe jedoch sind ausschliesslich negativ besetzt. Auch die Tatsache, dass von «liberalen» oder «progressiven Islamisten» gesprochen wird, macht die Sache nicht besser. Trotz den grossen © 2001 Neue Zürcher Zeitung AG Samstag, 22.09.2001 Nr.220 66 Kulturen und Zivilisationen des Islam, trotz den ausformulierten Staats- und Gesellschaftsstrukturen hat man eine positive gestalterische Kraft für die heutige Zeit nicht auf der Rechnung – zumindest nicht in der eigenen Sprache. Abgesehen davon, dass dies schon fast eine Diskriminierung ist, widerspricht es allen Erkenntnissen der gleichen modernen Politik und Politikwissenschaft. Beide gehen eigentlich immer davon aus, dass der Anteil extremistischer Kräfte in organisierten Gesellschaften bei einigen Prozenten liegt, bestenfalls einmal im niedrigen zweistelligen Bereich. Doch wie korrespondiert dies mit folgenden Zahlen? In der Türkei etwa sagen Umfragen für die kommenden Wahlen einen Stimmenanteil von gut 30 Prozent für eine Gruppierung des «Islamisten» Recep Tayyip Erdogan voraus (obwohl er nicht der einzige Islamist ist). In Algerien stand die «islamistische» FIS 1992 kurz vor dem Wahlsieg, als die Militärs die Wahlen absagten. In Ägypten wird die Anhängerschaft der «islamistischen» Muslimbrüder stets auf rund ein Drittel der Bevölkerung geschätzt. Hier stellt sich die ernsthafte Frage, ob es sich bei diesen «Islamisten» immer nur um Extremisten handeln kann, wenn sie oft einen derart breiten Rückhalt haben. In der Muslimbruderschaft etwa unter Händlern, Juristen oder Lehrern. In diesen Tagen ist viel die Rede davon, dass in die internationale Koalition wider den Terrorismus auch die islamische Welt einbezogen werden müsste. Dabei wird man allerdings mit ihr reden müssen. Und es wird die Frage sein, ob man dabei zumindest langfristig nur die Regierungen dieser Länder wird im Auge haben können. Möglicherweise wird man auch einmal die Politik und die Semantik gegenüber der islamischen Welt überdenken müssen. Sollte es nämlich in der Tat eine breite «islamistische» – um diesen Ausdruck nun einmal wertfrei zu benutzen – Basis ausserhalb des Extremismus geben, könnte gerade sie an der Seite des Westens ausgesprochen wertvoll sein. Die Anfänge zur Überwindung der unterschiedlichen Sprache könnten schon sehr einfach sein. So könnte man im Westen etwa auch vom «Angriff auf die Zivilisationen» (Plural) sprechen. Dem könnte der «Schulterschluss der Zivilisationen» folgen. Zumindest wäre dies angebracht, solange man auch wie selbstverständlich vom «Clash of Civilizations» redet. Volker S. Stahr Blatt 2