Fokus: Urbanes Bauen Auf der Internationalen Bauausstellung (IBA) in Hamburg darf sich der Holzbau als solcher präsentieren: Der Woodcube zeigt seine Flächen und Tragwerke ungekapselt. index — 48 3 | 2013 49 55 56 58 59 E nt w u r fsp la nu ng E nerg i eko nzept I nt erv i ew B r a nd sc h u t z Fa zi t & St ec k br i e f 4 P r oj e k t Woodcube Holz auf dem Vormarsch text: Marc Wilhelm Lennartz, Polch-Ruitsch Entwurfsplanung D ie Renaissance des Holzbaus hat die Städte erreicht, und zwar nicht nur im Süden Deutschlands, sondern auch den hohen Norden, denn: Im holzbaulich bis dato unbedarften Hamburg besetzt der Holzbau den neuen Raum, den ihm die IBA (Internationale Bauausstellung) durch die sozial-ökologische Ausrichtung unbewusst öffnete. Die Mehrzahl der Objekte der „Bau­ ausstellung in der Bauausstellung“ präsen­ tieren holzbasierte Lösungen, von denen der Woodcube mit 900 m² Wohnfläche die konsequenteste Umsetzung bereithält. Der 15 m hohe, massive Holzkubus beherbergt auf fünf Geschossebenen acht Einheiten mit zwei bis sechs Räumen und Wohnflächen zwischen 70 und 190 m². aus Stuttgart ließ sich Korff die ursprüngliche Hybrid­ konstruktion modifizieren und die Holzgewerke von Folien, Verkapselungen, jedweder Bauchemie, Lacken, Leimen und künstlichen Dämmmaterialien befreien. Damit schließt er eine Gesundheits- und Umweltbe­ lastung durch Bauschadstoffe aus. Das Ergebnis zeigt ein für den städtischen Raum geradezu revolutionäres Bauwerk: Der Korpus inklusive der Decken und Böden besteht einzig aus unbehandeltem, getrocknetem, ge­ sägtem und gehobeltem Holz, das sowohl im Außen- als auch Innenbereich sichtbar geblieben ist – ein Novum im postmodernen Städtebau. Holz steht im Nu Der Woodcube setzt sich aus vorgefertigten Wand‑, Decken- und Dachelementen der österreichischen Sys­ tembauweise Thoma Holz100 zusammen. Großer Vor­ Fotos: Bernadette Grimmenstein Erste Schritte zum Woodcube Die Idee zum fünfgeschossigen Gebäude aus Holz ging aus einem Architekturwettbewerb hervor. Die IBA Hamburg wählte aus den verschiedenen Wettbewerbseinrei­ chungen den Entwurf des Instituts für ur­ banen Holzbau (IFUH) um Philipp Koch zur Umsetzung des Projektes aus. Der Bauinves­ tor Matthias Korff nahm sich des Projektes an und errichtete den Fünfgeschosser erst­ mals in rein ökologischer, massiver Holz­ bauweise. Vom Büro architekturagentur → Holz, wohin man schaut: Im Inneren des Woodcube ist das unbehandelte Holz sichtbar. www.lignardo.de 3 | 2013 49 — Fokus: Urbanes Bauen ← Fünf Geschosse, ein System: Beim Woodcube wurden Vollholz­ elemente verbaut. teil des hohen Vorfertigungsgrades: Der hölzerne Rohbau konnte innerhalb von vier Wochen errichtet werden. Die massiven Holzelemente platzierten die Monteure auf das Kellergeschoss rund um den zentralen Erschließungskern mit Treppenhaus und Aufzug, die beide aus Stahlbeton gefertigt wurden. Die Elemente bestehen aus ver­ schieden starken Brettlagen bzw. Pfosten aus Tannen- und Fichtenholz. Auf beiden Seiten einer senkrecht stehenden, 80 mm messenden Kantholzlage verbanden die Verarbeiter verschiedene Brettschichten so­ wohl horizontal, vertikal als auch diagonal zu kompakten Bauteilen miteinander. Die Brettschichten von 24 mm Dicke befestigt Thoma mit relativ trockenen Buchenholz­ dübeln, die, leicht befeuchtet, hydraulisch in den Holzlagenverbund eingepresst wer­ den. Danach quellen sie auf und ziehen sich 50 3 | 2013 in Richtung des etwas feuchteren Weichhol­ zes fest. Aufgrund der unterschiedlichen Feuchtegrade in den Dübeln aus Hartholz und den Brettschichtlagen aus Weichholz entsteht ein stabiler Kraftschluss im gesam­ ten Element, der auf der natürlichen, aus­ gleichenden Feuchtebewegung im Holzkör­ per beruht. Ein Gebäude, ein Baustoff Der Wandaufbau des hölzernen Würfels misst 32 cm, inklusive einer 3 cm dicken Dämmschicht aus Holzweichfaserplatten. Geschützt zwischen zwei Brettlagen, sorgt eine Fassadenschalungsbahn auf Zellulo­ sebasis und Holzweichfaserdämmung für die nötige Wind- bzw. Luftdichtigkeit. Die Außenhülle bildet eine witterungsresisten­ te Fassadenverkleidung aus unbehandel­ tem Lärchenholz. Mit der Verwendung des 4 P r oj e k t Woodcube Vertikalschnitt Balkonfenster Brandriegel 30/50 Rhombusschalung Rotzeder/Lärche Lattung 30/70 Wandschalungsbahn 40 mm Holzweichfaserplatte Dichtungsband Klebeanschluss 40 mm Steinwolle WLG 035 Steinwolle Verdunkelungsraffstore LED-Beleuchtung Aussparung Blende d = 20 mm Winkelblende Alu RAL 7016 Abschlusswinkel Alu RAL 7016 Klebeanschluss Kompriband Laibungsblech, Alu, RAL 7016 Führungsschiene Raffstore Stahlstütze 120/120 Stütze außen Wand innen Dämmplatte außen Dämmplatte innen Wärmedämmung außen Stütze innen Fassade Laibung Bodenaufbau 50 mm Holzdielenboden inklusive Lagerhölzer Filzauflager 22 mm Trockenestrich auf Zementbasis Kraftpapier als Trennlage 22 mm Trockenestrich auf Zementbasis 33 mm Trittschalldämmung 60 mm Wabenschüttung Rieselschutz/Folie zur Rauchdichtigkeit 235 mm Vollholz-Decke Gitterrost 200 mm breit Balkonaufbau 25 mm Holzdielen 75 mm Lagerholz 10 mm Lager auf Bautenschutzmatte Abdichtungslage Gefälledämmung max. 50 mm 235 mm Vollholz-Decke Foto: architekturagentur Dichtungsband www.lignardo.de 3 | 2013 51 Fokus: Urbanes Bauen unbehandelten Holzes, altert die Fassade auf natürliche Wei­ se, was somit die Ästhetik des Werkstoffes Holz hervorhebt. Unter der Fassadenverkleidung stellt eine schmale Holzunter­ konstruktion die erforderliche Belüftung sicher. Damit besteht die gesamte Gebäudehülle des Woodcube einzig aus Holz bzw. Holzfasern. Die naturbelasse­ ne und puristische Bauweise verzichtet bei den Wand- und Deckenelementen bewusst auf jedwede Verleimungen, Nägel, Metalle, Folien oder Kunststoff­ bahnen. Durch die hölzerne Einstofflichkeit des Baukörpers vermeidet der Woodcube die bei mehrstofflichen Konstruk­ tionen bekannten Problem­ felder wie Schimmelbildung, Kondensation oder Anschluss­ fehler aufeinandertreffender Gewerke mit unterschiedlichen Materialien. Doch ganz ohne Metall kommt auch der fünfge­ schossige Woodcube nicht aus: Die Montage der Bau-Elemente ab der Bodenplatte erfordert Schrauben, Nägel und Winkel als Verbindungsmittel. Lufteinschlüsse dämmen Die Holz100-Elemente verfügen über eine hohe Wärmedämmung. Das beruht zum einen auf den naturbedingt guten Dämm­ eigenschaften von Massivholz, dessen Wär­ meleitfähigkeit gering ist, zum anderen auf Lufteinschlüssen zwischen den einzelnen Brettlagen, die durch kleine eingefräste Längsrillen entstehen. Nach dem Zusam­ menfügen der gerillten Brettlagen zu Mas­ sivholzelementen werden die Kopfenden mit einem Naturöl-Holzstaub-Gemisch ver­ schlossen. Daraus resultiert eine „stehende Luftschicht“, die die Dämmwirkung des Ge­ samtelements verstärkt, ohne sein Gewicht zu erhöhen. Der Wandaufbau des Woodcube erreicht Niedrigenergiestandard. Der Lamb­ dawert (Wärmeleitfähigkeit) der gefrästen Holzschichten beträgt nur 0,079 W/(mK) gegenüber einfachem Nadelholz mit 0,13 W/(mK). Der U-Wert der Wand beträgt 0,19 W/(m²K). Die massiven Außenwände, Boden- und Deckenelemente sorgen für eine sichere Statik. Eine konstruktive Besonderheit zeigt ← Der hölzerne Rohbau stand innerhalb von vier Wochen. ← Der Woodcube setzt sich aus vorgefertigten Wand-, Dach- und Decken-Elementen zusammen. 52 3 | 2013 Fotos: iba hamburg/martin kunze, Woddcube hamburg gmbh — 4 P r oj e k t Woodcube die Möglichkeiten im modernen Holzbau auf: Die 23 cm dicken Holzdecken und die Balkonplatten bestehen aus ein und densel­ ben Elementen. Sie reichen vom Erschlie­ ßungskern über den Innenraum und die Außenwände bis nach außen, ohne eine Wärmebrücke zu bilden, da das Bauteil ungestört bleibt. Weil die Lasten von den Außenwänden abgetragen werden, benö­ tigen die Räume keine weiteren Stützen in Form von tragenden Innenwänden. Das er­ möglicht eine individuelle Raumaufteilung. Hier setzte der Bauträger auf MetallständerLeichtbauwände mit schalldämpfender mi­ neralischer Dämmung und Gipsfaserbeplan­ kung, die wenig Fläche beanspruchen und bei verändertem Raumbedarf versetzt oder ganz entfernt werden können. Ganzheitliche Bauphilosophie Der Woodcube erreicht in etwa PassivhausLevel, wobei er die Voraussetzungen des för­ derfähigen KfW-Effizienzhauses 40 um 22 % unterschreitet. Er trägt zum einen den be­ kannten Förderkriterien (Kreditanstalt für www.lignardo.de Wiederaufbau – KfW) und den Zertifizie­ rungskriterien (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – DGNB e.V.) Rechnung, die er ohne Probleme erfüllt, zum anderen setzt er mit seiner ganzheit­ lichen Bauphilosophie kom­ plett neue Maßstäbe. Der Massivholz-Prototyp verfügt über eine CO2-neu­ trale Gesamtökobilanz, die von der Herstellung sämt­ licher am Bau beteiligter Materialien über den Bau­ prozess und die Nutzung bis zum Rückbau inklusive Recycling eine vollständig evaluierte Prozesskette mit Vorbildcharak­ ter ausweist. Das unterscheidet ihn maß­ geblich von der rechtsgültigen, gleichwohl zu kurz greifenden EnEV (Energieeinspar­ verordnung), die nur den Energieverbrauch der Gebäude während ihrer Nutzungsphase betrachtet. Der Bauträger mochte dieser Einschränkung in der Evaluierung nicht fol­ gen. Er beauftragte die ina Planungsgesell­ Der MassivholzPrototyp verfügt über eine CO²neutrale Gesamt­ ökobilanz. 3 | 2013 53 Fokus: Urbanes Bauen schaft (www.ina-darmstadt.de), ein Spin-off der TU Darmstadt des Fachbereiches Architektur/ Fachgebiet Entwerfen und Ener­ gieeffizientes Bauen, mit der nicht vorgeschriebenen, jedoch sämtliche wichtigen Parameter aufgreifenden Ökobilanzierung des Woodcube. Die Analyse erfolgte nach den Vorgaben des Zertifizierungssystems der DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen). Hauptsache schadstofffrei Der Woodcube hat es nun ge­ schafft, den Norden Deutsch­ lands zu erobern – und das Er­ gebnis überzeugt: Der Woodcube ist sowohl in der Herstellung als auch im Betrieb in Gänze CO2neutral und schadstofffrei. Das machte sich auch schon wäh­ rend der Bauphase bemerkbar: hier konnten 8.500 Tonnen CO2 eingespart werden. Mit den CO2Emissionen, die beim Bau eines in Form und Größe vergleichba­ ren konventionellen, minera­ ↑ Der Brandschutz kommt ohne Verkapselung, Schutzanstrich und teure Sprinkler aus. lischen Passivhauses entstünden, könnten im Gegensatz dazu 70 Woodcubes errichtet und betrieben werden. Die verwendeten Hölzer beim Bau des Woodcubes stammen aus nachhaltiger Forstwirtschaft, geerntet im Winter bei ab­ nehmendem Mond als sog. „Mondphasen­ holz“. Die große Besonderheit dabei: Laut der ETH Zürich besitzt das Mondphasenholz eine ­höhere Dichte und Resistenz gegenüber Schädlingen. Sämtliche eingesetzten Materialien im Holzkubus sind komplett recyclingfähig, biologisch abbaubar und baubiologisch einwandfrei. Im Gebäude minimiert und optimiert ein vernetztes Energiemanage­ mentsystem die Verbräuche und stimmt sie auf das individuelle Nutzerverhalten ab. So werden z. B. die Heizenergie, die dezentra­ le Lüftung mit Wärmerückgewinnung und die Jalousien automatisch gesteuert bzw. ganz abgeschaltet, wenn der Bewohner auf Reisen ist. Die Verbräuche jedes einzelnen Energieabnehmers inklusive der Beleuch­ tung werden in einem Terminal dokumen­ tiert, sodass der Bewohner seinen Stromver­ brauch kennt und bei Bedarf gegensteuern kann. In den öffentlichen Bereichen wie Kel­ ler, Foyer und Treppenhaus arbeiten 1-WattLED-Leuchten, der Aufzug verfügt über eine Bremsenergierückgewinnung. Insgesamt wurden für den Woodcube 500 m³ Holz verbaut. Das entspricht einem Kohlenstoffanteil, aus dem Holz zu 50 % be­ steht, von umgerechnet 125 Tonnen, wor­ aus eine CO2-Speicherung von über 458 Ton­ nen resultiert. Die energetische Versorgung erfolgt ebenfalls CO2-neutral: Auf dem Dach produzieren PV-Elemente mehr Strom, als der öffentliche Bereich des Gebäudes benö­ tigt, während die Energie für Warmwasser und Heizung durch regenerativ erzeugte Fernwärme sichergestellt wird. - ← Einziger Bestandteil des Woodcubes aus Stahl-Beton: Das Treppenhaus und der Aufzugschacht. 54 3 | 2013 Fotos: Bernadette Grimmenstein — 4 P r oj e k t Woodcube Energie K o n z ept Um die energetischen Qualitäten des WoodcubeMassivholzsystems zu unterstützen, setzte die Planung auch beim Energiekonzept auf ressourcensparende Technik. Alle haustechnischen Komponenten werden in einem zentralen Medienmöbel in den Wohnungen verwaltet – und nicht dezentral. Dies spart Bauteile und zusätzliche Leitungswege. Stimmiges Konzept: vom Aufbau bis zur Verkabelung Beim Woodcube endet die energetische Intelligenz nicht nur beim Aufbau der Außenhaut. Ein komplexes Konzept stellt stattdessen sicher, dass alle Komponenten von der Planung bis zum Rückbau energetisch optimiert und nachhaltig sind. Die Nahwärmeversorgung des Gebäudes erfolgt komplett über regenerativ erzeugte Heizenergie respektive den Energiebunker der IBA. Sämtliche Heizleitungen bestehen aus Edelstahl. Verbundrohre sind nicht notwendig, ein Rückbau des Rohrsystems daher problemlos möglich. Strahlungsheizkörper decken Spitzenlasten ab 2 (Heizwärmebedarf bei 20,8 kWh/(m a). Externes Monitoring durch die TU Braunschweig erlaubt eine lückenlose Kontrolle der Verbräuche. Die kontrollierte Be- und Entlüftung erfolgt über Fassadenlüfter mit Wärmerückgewinnung. Das geschieht in den Wohnund Schlafräumen zentral gesteuert. In den Bädern wird dies zusätzlich feuchteabhängig gesteuert. Eine Photovoltaikanlage mit 10 KWp Leistung produziert Strom. Für die Allgemeinbeleuchtung nutzt der Woodcube LED-Technologie bis maximal 5 W Leistungsaufnahme. PVC- und halogenfreie Verkabelung dient der Reduzierung von VOC-Emissionen. Innerhalb der Wohnungen ermöglicht die intelligente Steuerung aller haustechnischen Komponenten die Optimierung www.lignardo.de Energiekennwerte Gebäudevolumen 3.430 m³ Umfassungsfläche 1.474 m² A/V-Verhältnis 0,43 Nutzfläche 998 m² Transmissions­wärmeverlust 0,246 W/(m²K) Heizwärmebedarf 18 kWh/(m²a) Endenergiebedarf 39,3 kWh/(m²a) Endenergie 39.200 kWh/a Primärenergie­bedarf 21,3 kWh/(m²a) Grenzwert KfW 40 27,2 kWh/(m²a) (22 % Unterschreitung) der Innenraumkonditionen und Verbräuche. Alle Lüfter, die Jalousien, die Stellmotoren der Heizkörper und die Fensterkontakte sind via Smart Metering miteinander vernetzt. Der Verbrauch kann somit sofort im Haus durch Visualisierung angezeigt werden. Funkvernetzte Sensoren dienen der Steuerung der Innenluftqualität und Heizkurve. Dabei wird Funkimpulsenergie über Sonnenlicht erzeugt und ohne Elektrosmogemission gesendet. Zur Vermeidung von Elektrosmog dient eine komplette Netzfreischaltung. Alle haustechnischen Komponenten zur Steuerung und Verbrauchserfassung wurden erstmals in einem zentralen Möbel – der MedienBox – eingebaut. Diese konnte in einem hohen Maß werkseitig vorgefertigt werden. Vor Ort wurde dann nur noch per „Plug-and-play“ angeschlossen. So entstand ein flexibel bestückbares Möbel, welches auch künftig einfach zu warten und zu konfigurieren ist. Insgesamt konnte so die Bauzeit erheblich verkürzt werden. Dank Energierückgewinnungstechnologie arbeitet sogar der Aufzug des Gebäudes energieeffizient. Mithilfe einer solarthermischen Analyse konnte zudem die außen liegende Verschattung optimiert werden. Nur dort, wo es wirklich notwendig ist, brachten die Verarbeiter einen Behang an. 3 | 2013 55 — Fokus: Urbanes Bauen I n t e rv i e w »Sondermüllproblem? Nicht beim Woodcube.« Das Schlagwort CO₂-Neutralität lässt viel vermuten und muss dennoch nichts bedeuten. Denn nicht selten werden bei der Berechnung die Themen graue Energie und Rückbau nicht berücksichtigt. Beim Woodcube dachten die Planer an alles. 1 Herr Hilt, was ist beim Woodcube anders als bei anderen Bauwerken? CO2-neutral nennen sich doch heutzutage viele Projekte. Für die meisten Gebäude – selbst wenn sie mit den höchsten Nachhaltigkeitszertifika­ ten ausgezeichnet sind – wird für das The­ ma CO2-Neutralität lediglich ihre Nutzungs­ zeit betrachtet, in der sie ihre Verbräuche durch regenerative Energiegewinne kom­ pensieren. Doch um ein Gebäude zu erstel­ len, benötigt man ebenfalls Energie, für den Transport, den Bau oder einfach nur dazu, um aus Rohstoffen Baumaterialien herzu­ stellen. Dabei entsteht CO2. Der Woodcube ist – als große Ausnahme – bereits in dieser Herstellungsphase CO2-neutral, nicht erst in der Nutzungsphase. 2 Woran liegt das? Das liegt einfach daran, dass das Holz­ bausystem schon mit einem positiven CO2Kontingent aus der Fabrikation heraus­ kommt. Der Hersteller, die Thoma Holz GmbH, hat sein Werk so umgestellt, dass er seine Betriebsenergie komplett selbst erwirtschaftet. Und die Energie, die man braucht, um Holz zu Bauholz umzuformen, ist so gering, dass sie sich leicht mit eigenen Mitteln erwirtschaften lässt. 3 Wie läuft der Rückbau ab? Wird das Gebäude rückgebaut, fährt Thoma den Produktionsprozess rückwärts. Der Hersteller nimmt die Holzelemente in der Werkstatt an, liest die alten Produkti­ onsdaten wieder ein und die Dübel werden genau dort herausgebohrt, wo sie ursprüng­ lich montiert wurden. Übrig bleibt nach dieser Prozedur nichts als ein großer Stapel Bretter und Kanthölzer, die alle wiederver­ wendet werden können. 56 3 | 2013 4 Theoretisch könnte man aber doch jedes verleimte Holz rückverwerten? Das stimmt nur bedingt. Heut­ zutage wird vorwiegend che­ misch hergestellter Leim ver­ wendet. Das Holz lässt sich nicht mehr voneinander lösen. Es muss geschreddert werden und kann höchstens thermisch weiterverwertet werden. 5 Wie sieht es mit den Ausbaumaterialien im Woodcube aus? Ist auch da die Wiederverwertbarkeit gewährleistet? Auch die verwendeten Ausbau­ materialien sind alle sortenrein trennbar und lassen sich so problemlos weiterverwenden. So nutzen wir etwa Pappwaben mit einer Füllung aus Muschel­ kalkkieseln für den Boden­ aufbau. Wir haben Folien auf Zellulosebasis, die man nach Gebrauch kompostieren kann. Als Bodenbeläge kommen ge­ nagelte Dielen aus Massivholz zum Einsatz, die lediglich mit Leinöl behandelt wurden. Der Trockenestrich ist auf zemen­ tärer Basis und die dämmenden Holzweichfaserplatten verzich­ ten auf Zusatzstoffe. 6 Basiert auch Ihre Entscheidung für den Baustoff Holz auf dieser Denkweise? Den Anstoß für die Material­ wahl hat der Bauherr gegeben. Er wollte ein Haus bauen, das sozusagen ohne Plastiktüte über dem Kopf auskommt, aber die energetische Qualität aufweist, die die heutigen Regelwerke vorgeben. Seiner Erfahrung nach machen alle Gebäude, die in Folie, Dämmsysteme und Ähnliches eingepackt wurden, früher oder später Probleme. 4 P r oj e k t Woodcube 8 7 Foto: architekturagentur Wie haben Sie daraufhin reagiert? Wir haben uns daraufhin ge­ fragt, ob es nicht Bausysteme gibt, die dauerhaft von solchen Schäden verschont bleiben kön­ nen und dennoch alle Vorgaben erfüllen. Also haben wir uns mit dem Statiker, dem Brand­ schutzexperten und dem Bau­ physiker zusammengesetzt und in Workshops eruiert, welche Bauweise und welcher Baustoff wirklich zielführend sind, also alle gewünschten Eigenschaf­ ten beinhalten und dabei ohne zusätzliche Folien, Kleber oder Ähnliches auskommen. Ge­ landet sind wir letztlich beim Baustoff Holz, und zwar in un­ verklebter Verwendung und komplett einstofflich. Welche Vorteile bietet Holz? Der große Vorteil ist die Diffusionsof­ fenheit. Ist ein Bauteil in der Lage, Dampf­ druckunterschiede auszugleichen, kann kein Kondensatproblem entstehen. Das trifft auf unbehandeltes Holz zu. Es kann auf­ grund seiner Kapillarstruktur viel Feuchtig­ keit aufnehmen, speichern und zeitversetzt abgeben. Dies sorgt so auch für ein hohes Maß an Behaglichkeit und spart Energie. 9 Können Sie weitere Vorteile nennen? Holz ist die tragfähigste Wärmedäm­ mung, die es gibt: Das Material dämmt nicht nur, es ist auch statisch wirksam. Mit Holz lassen sich sehr gute Brandschutzwerte er­ reichen, auch wenn Holz per se brennt. Die Schallschutzwerte sind ebenfalls hervorra­ gend, wenn Holz in hoher Masse verbaut wird. Wir haben mit Holz also ein Baumate­ rial, das all diese verschiedenen Erfordernis­ se im Bauwesen sozusagen aus einer Hand erfüllt. Mit anderen Materialien müsste man die Wandstärken immens vergrößern, um zum gleichen Ziel zu kommen. Oliver Hilt ist Architekt im Stuttgarter Büro architekturagentur. Mit dem woodcube auf der Internationalen Bauausstellung Hamburg hat das schwäbische Architektenteam das erste fünfgeschossige leim- und schadstofffreie Wohngebäude aus Massivholz erstellt. 10 Können Sie ein Beispiel nennen? Der Woodcube kommt mit 30 cm Wandstärke aus und erreicht dabei statisch wie energetisch das Optimum. Würde man das gleiche Gebäude mit Beton bauen, müss­ te man viel dickere, vielleicht sogar 2,50 m dicke Wände errichten, um dieselben Werte zu erreichen – und das, obwohl Beton schon bei 10 cm Dicke trägt. Das ist völlig unver­ hältnismäßig. 11 Gelten diese Vorteile für alle ­Holzkonstruktionen? Nein. Der synergetische Effekt des Baustoffes Holz entsteht nur in massiver Verarbeitung. Zum Vergleich: Der Holzrahmenbau kommt mit viel weniger Material aus, aber die Zwi­ schenräume müssen gedämmt werden und die Schallschutzwerte sind ohne Zusatzauf­ bauten auch schlecht. Vor allem erfüllen diese Systeme die Brandschutzanforderun­ gen nur mit zusätzlichen Kapselschichten. Das Massivholzsystem erweist sich über alle Disziplinen hinweg als optimale Konstrukti­ on. Den energetischen Standard haben wir damit sozusagen geschenkt bekommen. Fokus: Urbanes Bauen Brandschutz S ollten die optischen und haptischen Qualitäten des Holzes erfahrbar blei­ ben, machte dies in der jüngsten Vergangenheit demnach umfangreiche Anlagentechnik als Kompensation erfor­ derlich. In den einen Gebäuden wurde also gekapselt, in anderen gesprinklert. Der Woodcube wehrt sich gegen beide Konzeptansätze. Durch dezidierte Risikobetrachtun­ gen von möglichen Brandszenarien wurde der Einsatz ungeschützter Holzbauteile er­ möglicht. Lediglich der als Fluchtweg und Feuerwehrangriffsweg dienende Treppen­ raum wurde in Stahlbeton hergestellt. Bei den Decken und tragenden Außenwänden hingegen kam eine Massivholzbauweise zur Ausführung. Das Holz blieb dabei mit Aus­ nahme der Deckenoberseite ohne Brand­ schutzbekleidungen, -beschichtungen oder -imprägnierungen. Ermöglicht wird dies insbesondere durch das im Brandfall gutmütige Verhalten der Massivholzbauweise. Die Gefahr von schwie­ rig erkennbaren löschbaren Hohlraumbrän­ den bei Holzständerbauweisen ist wesent­ licher Grund für die in der M-HFHHolzR geforderte Kapselung. Bei der Massivholz­ bauweise hingegen ist diese Gefahr nicht vorhanden. Umso mehr kann sie die brand­ schutztechnischen Stärken des Werkstoffs Holz ausspielen. So konnte im vorliegenden Fall für die tragenden Massivholzwände an­ statt des geforderten Feuerwiderstands von F60 ein Feuerwiderstand von über 90 Minu­ ten realisiert werden. In einer gutachterli­ chen Stellungnahme von Prof. Dr. Karsten Tichelmann wurde nachgewiesen, dass die bauordnungsrechtlich definierten Schutz­ ziele auch bei der ungekapselten Holzkon­ struktion erreicht werden. Gleiches gilt für die Fassade, die nach Bauordnung mindestens aus schwer ent­ flammbaren Materialien (Baustoffklasse B1) bestehen muss, was den Einsatz von Holz (Baustoffklasse B2) zunächst ausschließt. Durch die Ausführung der Fassade als nicht hinterlüftete Konstruktion in Kammerbau­ weise in Verbindung mit einer schutzzielori­ entierten Risikobetrachtung konnte jedoch auch hier die Zustimmung der Behörden zum Einsatz unbehandelten Holzes erreicht werden. Zur Kompensation wurden lediglich Rauchwarnmelder in den Wohneinheiten und im Treppenhaus als Brandfrüherken­ nung eingesetzt. Durch eine brandschutz­ technisch wirksame Durchdetaillierung der Bauteilfügungen und -anschlüsse konnte auf weitergehende Kompensationsmaßnah­ men wie auch auf chemische Ertüchtigun­ gen verzichtet werden. Im Gegensatz zu vergleichbaren Gebäuden mittlerer Höhe aus Holz kann der Woodcu­ be als das erfahren werden, was er ist – als ein Holzbau, wie er authentischer nicht sein kann. Auch wenn die brandschutztechni­ sche Bewertung solcher Gebäude weiterhin für jedes Objekt individuell erfolgen muss, verdeutlicht der Woodcube einmal mehr das Potenzial von Holzbauweisen und ist ein richtungsweisender Schritt bei der Etab­ lierung ungekapselter Massivholzbauten bei Gebäuden mittlerer Höhe. - 58 3 | 2013 ↑ Probekörper des Holzelements der Außenwand des Woodcubes nach 60 Minuten direkt gestützter Beflammung. Foto: Thoma Holz GmbH — 4 P r oj e k t Woodcube Stec kb r i ef Woodcube Neubau eines Wohngebäudes 900 3.430 m2 Wo hnf läc he Fa z i t D er Woodcube entstand, weil der Bauherr ein Ge­ bäude bauen wollte, das ohne kritische Dämm­ stoffe und Folien auskommt, aber trotzdem ener­ getische Eigenschaften aufweist, die derzeit gefordert sind. Der Woodcube ist das Ergebnis dieser Denkweise. Alle am Bau Beteiligten besprachen, welche Eigenschaf­ ten der Baukörper haben sollte. Dabei wurde auch der Wunsch nach einer möglichst unbehandelten Konstruk­ tion berücksichtigt. Denn die Planer wollten, dass das Gebäude irgendwann auch wieder problemlos zurück­ gebaut werden kann. - m3 G ebäud evo lumen Bau träg e r: Woodcube Hamburg GmbH DeepGreen Development 22081 Hamburg www.woodcube-hamburg.de Arc h i te ktu r: architekturagentur 70176 Stuttgart www.architekturagentur.de Stati k: Isenmann Ingenieure Büro für Tragwerks­planung und Bauwesen 77716 Haslach www.isenmann-ingenieure.de → Auf fünf Geschoss­ ebenen sind acht Einheiten mit zwei bis sechs Räumen und Wohnflächen von 70 bis 190 m². Bran dsc h u tz: T|S|B Ingenieurgesellschaft mbH 64285 Darmstadt www.tsb-ing.de Foto und Zeichnung: Architekturagentur Ho l zbau : Ing. Erwin Thoma Holz GmbH, Thoma Forschungszentrum für Holz­verarbeitung A-5622 Goldegg www.thoma.at Bau l e i tu n g Hau stec h n i k: keenco3 UG 21079 Hamburg www.keenco3.de www.lignardo.de 3 | 2013 59