Der Woodcube zeig

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Fokus: Urbanes Bauen
Auf der Internationalen Bauausstellung (IBA)
in Hamburg darf sich der Holzbau als solcher
präsentieren: Der Woodcube zeigt seine
Flächen und Tragwerke ungekapselt.
index
—
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E nt w u r fsp la nu ng
E nerg i eko nzept
I nt erv i ew
B r a nd sc h u t z
Fa zi t &
St ec k br i e f
4 P r oj e k t
Woodcube
Holz auf dem Vormarsch
text: Marc Wilhelm Lennartz, Polch-Ruitsch
Entwurfsplanung
D
ie Renaissance des Holzbaus hat die
Städte erreicht, und zwar nicht nur
im Süden Deutschlands, sondern auch
den hohen Norden, denn: Im holzbaulich
bis dato unbedarften Hamburg besetzt der
Holzbau den neuen Raum, den ihm die IBA
(Internationale Bauausstellung) durch die
sozial-ökologische Ausrichtung unbewusst
öffnete. Die Mehrzahl der Objekte der „Bau­
ausstellung in der Bauausstellung“ präsen­
tieren holzbasierte Lösungen, von denen
der Woodcube mit 900 m² Wohnfläche die
konsequenteste Umsetzung bereithält. Der
15 m hohe, massive Holzkubus beherbergt
auf fünf Geschossebenen acht Einheiten mit
zwei bis sechs Räumen und Wohnflächen
zwischen 70 und 190 m².
aus Stuttgart ließ sich Korff die ursprüngliche Hybrid­
konstruktion modifizieren und die Holzgewerke von
Folien, Verkapselungen, jedweder Bauchemie, Lacken,
Leimen und künstlichen Dämmmaterialien befreien.
Damit schließt er eine Gesundheits- und Umweltbe­
lastung durch Bauschadstoffe aus. Das Ergebnis zeigt
ein für den städtischen Raum geradezu revolutionäres
Bauwerk: Der Korpus inklusive der Decken und Böden
besteht einzig aus unbehandeltem, getrocknetem, ge­
sägtem und gehobeltem Holz, das sowohl im Außen- als
auch Innenbereich sichtbar geblieben ist – ein Novum
im postmodernen Städtebau.
Holz steht im Nu
Der Woodcube setzt sich aus vorgefertigten Wand‑,
Decken- und Dachelementen der österreichischen Sys­
tembauweise Thoma Holz100 zusammen. Großer Vor­
Fotos: Bernadette Grimmenstein
Erste Schritte zum Woodcube
Die Idee zum fünfgeschossigen Gebäude
aus Holz ging aus einem Architekturwettbewerb hervor. Die IBA Hamburg wählte
aus den verschiedenen Wettbewerbseinrei­
chungen den Entwurf des Instituts für ur­
banen Holzbau (IFUH) um Philipp Koch zur
Umsetzung des Projektes aus. Der Bauinves­
tor Matthias Korff nahm sich des Projektes
an und errichtete den Fünfgeschosser erst­
mals in rein ökologischer, massiver Holz­
bauweise. Vom Büro architekturagentur
→ Holz, wohin
man schaut: Im Inneren
des Woodcube
ist das unbehandelte
Holz sichtbar.
www.lignardo.de
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Fokus: Urbanes Bauen
← Fünf Geschosse,
ein System:
Beim Woodcube
wurden Vollholz­
elemente verbaut.
teil des hohen Vorfertigungsgrades: Der
hölzerne Rohbau konnte innerhalb von vier
Wochen errichtet werden. Die massiven
Holzelemente platzierten die Monteure auf
das Kellergeschoss rund um den zentralen
Erschließungskern mit Treppenhaus und
Aufzug, die beide aus Stahlbeton gefertigt
wurden. Die Elemente bestehen aus ver­
schieden starken Brettlagen bzw. Pfosten
aus Tannen- und Fichtenholz. Auf beiden
Seiten einer senkrecht stehenden, 80 mm
messenden Kantholzlage verbanden die
Verarbeiter verschiedene Brettschichten so­
wohl horizontal, vertikal als auch diagonal
zu kompakten Bauteilen miteinander. Die
Brettschichten von 24 mm Dicke befestigt
Thoma mit relativ trockenen Buchenholz­
dübeln, die, leicht befeuchtet, hydraulisch
in den Holzlagenverbund eingepresst wer­
den. Danach quellen sie auf und ziehen sich
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in Richtung des etwas feuchteren Weichhol­
zes fest. Aufgrund der unterschiedlichen
Feuchtegrade in den Dübeln aus Hartholz
und den Brettschichtlagen aus Weichholz
entsteht ein stabiler Kraftschluss im gesam­
ten Element, der auf der natürlichen, aus­
gleichenden Feuchtebewegung im Holzkör­
per beruht.
Ein Gebäude, ein Baustoff
Der Wandaufbau des hölzernen Würfels
misst 32 cm, inklusive einer 3 cm dicken
Dämmschicht aus Holzweichfaserplatten.
Geschützt zwischen zwei Brettlagen, sorgt
eine Fassadenschalungsbahn auf Zellulo­
sebasis und Holzweichfaserdämmung für
die nötige Wind- bzw. Luftdichtigkeit. Die
Außenhülle bildet eine witterungsresisten­
te Fassadenverkleidung aus unbehandel­
tem Lärchenholz. Mit der Verwendung des
4 P r oj e k t
Woodcube
Vertikalschnitt Balkonfenster
Brandriegel 30/50
Rhombusschalung Rotzeder/Lärche
Lattung 30/70
Wandschalungsbahn
40 mm Holzweichfaserplatte
Dichtungsband
Klebeanschluss
40 mm Steinwolle WLG 035
Steinwolle
Verdunkelungsraffstore
LED-Beleuchtung
Aussparung Blende d = 20 mm
Winkelblende Alu RAL 7016
Abschlusswinkel Alu RAL 7016
Klebeanschluss
Kompriband
Laibungsblech, Alu, RAL 7016
Führungsschiene Raffstore
Stahlstütze 120/120
Stütze außen
Wand innen
Dämmplatte außen
Dämmplatte innen
Wärmedämmung außen
Stütze innen
Fassade
Laibung
Bodenaufbau
50 mm Holzdielenboden inklusive Lagerhölzer
Filzauflager
22 mm Trockenestrich auf Zementbasis
Kraftpapier als Trennlage
22 mm Trockenestrich auf Zementbasis
33 mm Trittschalldämmung
60 mm Wabenschüttung
Rieselschutz/Folie zur Rauchdichtigkeit
235 mm Vollholz-Decke
Gitterrost 200 mm breit
Balkonaufbau
25 mm Holzdielen
75 mm Lagerholz
10 mm Lager auf Bautenschutzmatte
Abdichtungslage
Gefälledämmung max. 50 mm
235 mm Vollholz-Decke
Foto: architekturagentur
Dichtungsband
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Fokus: Urbanes Bauen
unbehandelten Holzes, altert
die Fassade auf natürliche Wei­
se, was somit die Ästhetik des
Werkstoffes Holz hervorhebt.
Unter der Fassadenverkleidung
stellt eine schmale Holzunter­
konstruktion die erforderliche
Belüftung sicher. Damit besteht
die gesamte Gebäudehülle des
Woodcube einzig aus Holz bzw.
Holzfasern. Die naturbelasse­
ne und puristische Bauweise
verzichtet bei den Wand- und
Deckenelementen bewusst auf
jedwede Verleimungen, Nägel,
Metalle, Folien oder Kunststoff­
bahnen. Durch die hölzerne
Einstofflichkeit des Baukörpers
vermeidet der Woodcube die
bei mehrstofflichen Konstruk­
tionen bekannten Problem­
felder wie Schimmelbildung,
Kondensation oder Anschluss­
fehler
aufeinandertreffender
Gewerke mit unterschiedlichen
Materialien. Doch ganz ohne
Metall kommt auch der fünfge­
schossige Woodcube nicht aus:
Die Montage der Bau-Elemente
ab der Bodenplatte erfordert
Schrauben, Nägel und Winkel
als Verbindungsmittel.
Lufteinschlüsse dämmen
Die Holz100-Elemente verfügen über eine
hohe Wärmedämmung. Das beruht zum
einen auf den naturbedingt guten Dämm­
eigenschaften von Massivholz, dessen Wär­
meleitfähigkeit gering ist, zum anderen auf
Lufteinschlüssen zwischen den einzelnen
Brettlagen, die durch kleine eingefräste
Längsrillen entstehen. Nach dem Zusam­
menfügen der gerillten Brettlagen zu Mas­
sivholzelementen werden die Kopfenden
mit einem Naturöl-Holzstaub-Gemisch ver­
schlossen. Daraus resultiert eine „stehende
Luftschicht“, die die Dämmwirkung des Ge­
samtelements verstärkt, ohne sein Gewicht
zu erhöhen. Der Wandaufbau des Woodcube
erreicht Niedrigenergiestandard. Der Lamb­
dawert (Wärmeleitfähigkeit) der gefrästen
Holzschichten beträgt nur 0,079 W/(mK)
gegenüber einfachem Nadelholz mit 0,13
W/(mK). Der U-Wert der Wand beträgt
0,19 W/(m²K).
Die massiven Außenwände, Boden- und
Deckenelemente sorgen für eine sichere
Statik. Eine konstruktive Besonderheit zeigt
← Der hölzerne
Rohbau stand innerhalb
von vier Wochen.
← Der Woodcube
setzt sich aus
vorgefertigten
Wand-, Dach- und
Decken-Elementen
zusammen.
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Fotos: iba hamburg/martin kunze, Woddcube hamburg gmbh
—
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Woodcube
die Möglichkeiten im modernen Holzbau
auf: Die 23 cm dicken Holzdecken und die
Balkonplatten bestehen aus ein und densel­
ben Elementen. Sie reichen vom Erschlie­
ßungskern über den Innenraum und die
Außenwände bis nach außen, ohne eine
Wärmebrücke zu bilden, da das Bauteil
ungestört bleibt. Weil die Lasten von den
Außenwänden abgetragen werden, benö­
tigen die Räume keine weiteren Stützen in
Form von tragenden Innenwänden. Das er­
möglicht eine individuelle Raumaufteilung.
Hier setzte der Bauträger auf MetallständerLeichtbauwände mit schalldämpfender mi­
neralischer Dämmung und Gipsfaserbeplan­
kung, die wenig Fläche beanspruchen und
bei verändertem Raumbedarf versetzt oder
ganz entfernt werden können.
Ganzheitliche Bauphilosophie
Der Woodcube erreicht in etwa PassivhausLevel, wobei er die Voraussetzungen des för­
derfähigen KfW-Effizienzhauses 40 um 22 %
unterschreitet. Er trägt zum einen den be­
kannten Förderkriterien (Kreditanstalt für
www.lignardo.de
Wiederaufbau – KfW) und den Zertifizie­
rungskriterien (Deutsche Gesellschaft für
Nachhaltiges Bauen – DGNB e.V.) Rechnung,
die er ohne Probleme erfüllt, zum anderen
setzt er mit seiner ganzheit­
lichen Bauphilosophie kom­
plett neue Maßstäbe.
Der Massivholz-Prototyp
verfügt über eine CO2-neu­
trale Gesamtökobilanz, die
von der Herstellung sämt­
licher am Bau beteiligter
Materialien über den Bau­
prozess und die Nutzung
bis zum Rückbau inklusive
Recycling eine vollständig
evaluierte Prozesskette mit Vorbildcharak­
ter ausweist. Das unterscheidet ihn maß­
geblich von der rechtsgültigen, gleichwohl
zu kurz greifenden EnEV (Energieeinspar­
verordnung), die nur den Energieverbrauch
der Gebäude während ihrer Nutzungsphase
betrachtet. Der Bauträger mochte dieser
Einschränkung in der Evaluierung nicht fol­
gen. Er beauftragte die ina Planungsgesell­
Der MassivholzPrototyp verfügt
über eine CO²neutrale Gesamt­
ökobilanz.
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Fokus: Urbanes Bauen
schaft (www.ina-darmstadt.de),
ein Spin-off der TU Darmstadt
des Fachbereiches Architektur/
Fachgebiet Entwerfen und Ener­
gieeffizientes Bauen, mit der
nicht vorgeschriebenen, jedoch
sämtliche wichtigen Parameter
aufgreifenden Ökobilanzierung
des Woodcube. Die Analyse
erfolgte nach den Vorgaben
des Zertifizierungssystems der
DGNB (Deutsche Gesellschaft
für Nachhaltiges Bauen).
Hauptsache schadstofffrei
Der Woodcube hat es nun ge­
schafft, den Norden Deutsch­
lands zu erobern – und das Er­
gebnis überzeugt: Der Woodcube
ist sowohl in der Herstellung als
auch im Betrieb in Gänze CO2neutral und schadstofffrei. Das
machte sich auch schon wäh­
rend der Bauphase bemerkbar:
hier konnten 8.500 Tonnen CO2
eingespart werden. Mit den CO2Emissionen, die beim Bau eines
in Form und Größe vergleichba­
ren konventionellen, minera­
↑ Der Brandschutz kommt
ohne Verkapselung, Schutzanstrich
und teure Sprinkler aus.
lischen Passivhauses entstünden, könnten
im Gegensatz dazu 70 Woodcubes errichtet
und betrieben werden.
Die verwendeten Hölzer beim Bau des
Woodcubes stammen aus nachhaltiger
Forstwirtschaft, geerntet im Winter bei ab­
nehmendem Mond als sog. „Mondphasen­
holz“. Die große Besonderheit dabei: Laut
der ETH Zürich besitzt das Mondphasenholz
eine ­höhere Dichte und Resistenz gegenüber
Schädlingen.
Sämtliche eingesetzten Materialien im
Holzkubus sind komplett recyclingfähig,
biologisch abbaubar und baubiologisch
einwandfrei. Im Gebäude minimiert und
optimiert ein vernetztes Energiemanage­
mentsystem die Verbräuche und stimmt sie
auf das individuelle Nutzerverhalten ab. So
werden z. B. die Heizenergie, die dezentra­
le Lüftung mit Wärmerückgewinnung und
die Jalousien automatisch gesteuert bzw.
ganz abgeschaltet, wenn der Bewohner auf
Reisen ist. Die Verbräuche jedes einzelnen
Energieabnehmers inklusive der Beleuch­
tung werden in einem Terminal dokumen­
tiert, sodass der Bewohner seinen Stromver­
brauch kennt und bei Bedarf gegensteuern
kann. In den öffentlichen Bereichen wie Kel­
ler, Foyer und Treppenhaus arbeiten 1-WattLED-Leuchten, der Aufzug verfügt über eine
Bremsenergierückgewinnung.
Insgesamt wurden für den Woodcube
500 m³ Holz verbaut. Das entspricht einem
Kohlenstoffanteil, aus dem Holz zu 50 % be­
steht, von umgerechnet 125 Tonnen, wor­
aus eine CO2-Speicherung von über 458 Ton­
nen resultiert. Die energetische Versorgung
erfolgt ebenfalls CO2-neutral: Auf dem Dach
produzieren PV-Elemente mehr Strom, als
der öffentliche Bereich des Gebäudes benö­
tigt, während die Energie für Warmwasser
und Heizung durch regenerativ erzeugte
Fernwärme sichergestellt wird.
-
← Einziger
Bestandteil des
Woodcubes
aus Stahl-Beton:
Das Treppenhaus und der
Aufzugschacht.
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Fotos: Bernadette Grimmenstein
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Woodcube
Energie
K o n z ept
Um die energetischen Qualitäten des WoodcubeMassivholzsystems zu unterstützen, setzte die Planung auch beim Energiekonzept auf ressourcensparende Technik. Alle haustechnischen Komponenten
werden in einem zentralen Medienmöbel in den Wohnungen verwaltet – und nicht dezentral. Dies spart
Bauteile und zusätzliche Leitungswege.
Stimmiges Konzept: vom Aufbau bis zur Verkabelung
Beim Woodcube endet die energetische
Intelligenz nicht nur beim Aufbau der
Außenhaut. Ein komplexes Konzept stellt
stattdessen sicher, dass alle Komponenten
von der Planung bis zum Rückbau energetisch optimiert und nachhaltig sind.
Die Nahwärmeversorgung des Gebäudes
erfolgt komplett über regenerativ erzeugte Heizenergie respektive den Energiebunker der IBA. Sämtliche Heizleitungen
bestehen aus Edelstahl. Verbundrohre sind
nicht notwendig, ein Rückbau des Rohrsystems daher problemlos möglich. Strahlungsheizkörper decken Spitzenlasten ab
2
(Heizwärmebedarf bei 20,8 kWh/(m a).
Externes Monitoring durch die TU Braunschweig erlaubt eine lückenlose Kontrolle
der Verbräuche.
Die kontrollierte Be- und Entlüftung erfolgt über Fassadenlüfter mit Wärmerückgewinnung. Das geschieht in den Wohnund Schlafräumen zentral gesteuert. In den
Bädern wird dies zusätzlich feuchteabhängig gesteuert.
Eine Photovoltaikanlage mit 10 KWp
Leistung produziert Strom. Für die Allgemeinbeleuchtung nutzt der Woodcube
LED-Technologie bis maximal 5 W Leistungsaufnahme. PVC- und halogenfreie
Verkabelung dient der Reduzierung von
VOC-Emissionen.
Innerhalb der Wohnungen ermöglicht die
intelligente Steuerung aller haustechnischen Komponenten die Optimierung
www.lignardo.de
Energiekennwerte
Gebäudevolumen
3.430 m³
Umfassungsfläche
1.474 m²
A/V-Verhältnis
0,43
Nutzfläche
998 m²
Transmissions­wärmeverlust
0,246 W/(m²K)
Heizwärmebedarf
18 kWh/(m²a)
Endenergiebedarf
39,3 kWh/(m²a)
Endenergie
39.200 kWh/a
Primärenergie­bedarf
21,3 kWh/(m²a)
Grenzwert KfW 40
27,2 kWh/(m²a)
(22 % Unterschreitung)
der Innenraumkonditionen und
Verbräuche. Alle Lüfter, die Jalousien, die Stellmotoren der Heizkörper und die Fensterkontakte sind
via Smart Metering miteinander
vernetzt. Der Verbrauch kann somit
sofort im Haus durch Visualisierung
angezeigt werden. Funkvernetzte
Sensoren dienen der Steuerung
der Innenluftqualität und Heizkurve. Dabei wird Funkimpulsenergie
über Sonnenlicht erzeugt und ohne
Elektrosmogemission gesendet. Zur
Vermeidung von Elektrosmog dient
eine komplette Netzfreischaltung.
Alle haustechnischen Komponenten
zur Steuerung und Verbrauchserfassung wurden erstmals in einem
zentralen Möbel – der MedienBox
– eingebaut. Diese konnte in einem
hohen Maß werkseitig vorgefertigt
werden. Vor Ort wurde dann nur
noch per „Plug-and-play“ angeschlossen. So entstand ein flexibel
bestückbares Möbel, welches auch
künftig einfach zu warten und zu
konfigurieren ist. Insgesamt konnte
so die Bauzeit erheblich verkürzt
werden.
Dank Energierückgewinnungstechnologie arbeitet sogar der Aufzug des Gebäudes energieeffizient.
Mithilfe einer solarthermischen
Analyse konnte zudem die außen
liegende Verschattung optimiert
werden. Nur dort, wo es wirklich
notwendig ist, brachten die Verarbeiter einen Behang an.
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Fokus: Urbanes Bauen
I n t e rv i e w
»Sondermüllproblem?
Nicht beim Woodcube.«
Das Schlagwort CO₂-Neutralität
lässt viel vermuten und muss
dennoch nichts bedeuten. Denn
nicht selten werden bei der
Berechnung die Themen graue
Energie und Rückbau nicht
berücksichtigt. Beim Woodcube
dachten die Planer an alles.
1
Herr Hilt, was ist beim Woodcube anders
als bei anderen Bauwerken? CO2-neutral
nennen sich doch heutzutage viele Projekte.
Für die meisten Gebäude – selbst wenn sie
mit den höchsten Nachhaltigkeitszertifika­
ten ausgezeichnet sind – wird für das The­
ma CO2-Neutralität lediglich ihre Nutzungs­
zeit betrachtet, in der sie ihre Verbräuche
durch regenerative Energiegewinne kom­
pensieren. Doch um ein Gebäude zu erstel­
len, benötigt man ebenfalls Energie, für den
Transport, den Bau oder einfach nur dazu,
um aus Rohstoffen Baumaterialien herzu­
stellen. Dabei entsteht CO2. Der Woodcube
ist – als große Ausnahme – bereits in dieser
Herstellungsphase CO2-neutral, nicht erst in
der Nutzungsphase.
2
Woran liegt das?
Das liegt einfach daran, dass das Holz­
bausystem schon mit einem positiven CO2Kontingent aus der Fabrikation heraus­
kommt. Der Hersteller, die Thoma Holz
GmbH, hat sein Werk so umgestellt, dass
er seine Betriebsenergie komplett selbst
erwirtschaftet. Und die Energie, die man
braucht, um Holz zu Bauholz umzuformen,
ist so gering, dass sie sich leicht mit eigenen
Mitteln erwirtschaften lässt.
3
Wie läuft der Rückbau ab?
Wird das Gebäude rückgebaut, fährt
Thoma den Produktionsprozess rückwärts.
Der Hersteller nimmt die Holzelemente in
der Werkstatt an, liest die alten Produkti­
onsdaten wieder ein und die Dübel werden
genau dort herausgebohrt, wo sie ursprüng­
lich montiert wurden. Übrig bleibt nach
dieser Prozedur nichts als ein großer Stapel
Bretter und Kanthölzer, die alle wiederver­
wendet werden können.
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3 | 2013
4
Theoretisch könnte man
aber doch jedes verleimte
Holz rückverwerten?
Das stimmt nur bedingt. Heut­
zutage wird vorwiegend che­
misch hergestellter Leim ver­
wendet. Das Holz lässt sich
nicht mehr voneinander lösen.
Es muss geschreddert werden
und kann höchstens thermisch
weiterverwertet werden.
5
Wie sieht es mit den Ausbaumaterialien im Woodcube
aus? Ist auch da die Wiederverwertbarkeit gewährleistet?
Auch die verwendeten Ausbau­
materialien sind alle sortenrein
trennbar und lassen sich so
problemlos weiterverwenden.
So nutzen wir etwa Pappwaben
mit einer Füllung aus Muschel­
kalkkieseln für den Boden­
aufbau. Wir haben Folien auf
Zellulosebasis, die man nach
Gebrauch kompostieren kann.
Als Bodenbeläge kommen ge­
nagelte Dielen aus Massivholz
zum Einsatz, die lediglich mit
Leinöl behandelt wurden. Der
Trockenestrich ist auf zemen­
tärer Basis und die dämmenden
Holzweichfaserplatten verzich­
ten auf Zusatzstoffe.
6
Basiert auch Ihre Entscheidung für den Baustoff
Holz auf dieser Denkweise?
Den Anstoß für die Material­
wahl hat der Bauherr gegeben.
Er wollte ein Haus bauen, das
sozusagen ohne Plastiktüte über
dem Kopf auskommt, aber die
energetische Qualität aufweist,
die die heutigen Regelwerke
vorgeben. Seiner Erfahrung
nach machen alle Gebäude, die
in Folie, Dämmsysteme und
Ähnliches eingepackt wurden,
früher oder später Probleme.
4 P r oj e k t
Woodcube
8
7
Foto: architekturagentur
Wie haben Sie daraufhin reagiert?
Wir haben uns daraufhin ge­
fragt, ob es nicht Bausysteme
gibt, die dauerhaft von solchen
Schäden verschont bleiben kön­
nen und dennoch alle Vorgaben
erfüllen. Also haben wir uns
mit dem Statiker, dem Brand­
schutzexperten und dem Bau­
physiker zusammengesetzt und
in Workshops eruiert, welche
Bauweise und welcher Baustoff
wirklich zielführend sind, also
alle gewünschten Eigenschaf­
ten beinhalten und dabei ohne
zusätzliche Folien, Kleber oder
Ähnliches auskommen. Ge­
landet sind wir letztlich beim
Baustoff Holz, und zwar in un­
verklebter Verwendung und
komplett einstofflich.
Welche Vorteile bietet Holz?
Der große Vorteil ist die Diffusionsof­
fenheit. Ist ein Bauteil in der Lage, Dampf­
druckunterschiede auszugleichen, kann
kein Kondensatproblem entstehen. Das trifft
auf unbehandeltes Holz zu. Es kann auf­
grund seiner Kapillarstruktur viel Feuchtig­
keit aufnehmen, speichern und zeitversetzt
abgeben. Dies sorgt so auch für ein hohes
Maß an Behaglichkeit und spart Energie.
9
Können Sie weitere Vorteile nennen?
Holz ist die tragfähigste Wärmedäm­
mung, die es gibt: Das Material dämmt nicht
nur, es ist auch statisch wirksam. Mit Holz
lassen sich sehr gute Brandschutzwerte er­
reichen, auch wenn Holz per se brennt. Die
Schallschutzwerte sind ebenfalls hervorra­
gend, wenn Holz in hoher Masse verbaut
wird. Wir haben mit Holz also ein Baumate­
rial, das all diese verschiedenen Erfordernis­
se im Bauwesen sozusagen aus einer Hand
erfüllt. Mit anderen Materialien müsste
man die Wandstärken immens vergrößern,
um zum gleichen Ziel zu kommen.
Oliver Hilt ist Architekt im Stuttgarter Büro
architekturagentur. Mit dem woodcube auf der
Internationalen Bauausstellung Hamburg
hat das schwäbische Architektenteam das erste
fünfgeschossige leim- und schadstofffreie Wohngebäude aus Massivholz erstellt.
10
Können Sie ein Beispiel nennen?
Der Woodcube kommt mit 30 cm
Wandstärke aus und erreicht dabei statisch
wie energetisch das Optimum. Würde man
das gleiche Gebäude mit Beton bauen, müss­
te man viel dickere, vielleicht sogar 2,50 m
dicke Wände errichten, um dieselben Werte
zu erreichen – und das, obwohl Beton schon
bei 10 cm Dicke trägt. Das ist völlig unver­
hältnismäßig.
11
Gelten diese Vorteile für alle
­Holzkonstruktionen?
Nein. Der synergetische Effekt des Baustoffes
Holz entsteht nur in massiver Verarbeitung.
Zum Vergleich: Der Holzrahmenbau kommt
mit viel weniger Material aus, aber die Zwi­
schenräume müssen gedämmt werden und
die Schallschutzwerte sind ohne Zusatzauf­
bauten auch schlecht. Vor allem erfüllen
diese Systeme die Brandschutzanforderun­
gen nur mit zusätzlichen Kapselschichten.
Das Massivholzsystem erweist sich über alle
Disziplinen hinweg als optimale Konstrukti­
on. Den energetischen Standard haben wir
damit sozusagen geschenkt bekommen.
Fokus: Urbanes Bauen
Brandschutz
S
ollten die optischen und haptischen
Qualitäten des Holzes erfahrbar blei­
ben, machte dies in der jüngsten
Vergangenheit demnach umfangreiche
Anlagentechnik als Kompensation erfor­
derlich. In den einen Gebäuden wurde also
gekapselt, in anderen gesprinklert. Der
Woodcube wehrt sich gegen beide Konzeptansätze. Durch dezidierte Risikobetrachtun­
gen von möglichen Brandszenarien wurde
der Einsatz ungeschützter Holzbauteile er­
möglicht. Lediglich der als Fluchtweg und
Feuerwehrangriffsweg dienende Treppen­
raum wurde in Stahlbeton hergestellt. Bei
den Decken und tragenden Außenwänden
hingegen kam eine Massivholzbauweise zur
Ausführung. Das Holz blieb dabei mit Aus­
nahme der Deckenoberseite ohne Brand­
schutzbekleidungen, -beschichtungen oder
-imprägnierungen.
Ermöglicht wird dies insbesondere durch
das im Brandfall gutmütige Verhalten der
Massivholzbauweise. Die Gefahr von schwie­
rig erkennbaren löschbaren Hohlraumbrän­
den bei Holzständerbauweisen ist wesent­
licher Grund für die in der M-HFHHolzR
geforderte Kapselung. Bei der Massivholz­
bauweise hingegen ist diese Gefahr nicht
vorhanden. Umso mehr kann sie die brand­
schutztechnischen Stärken des Werkstoffs
Holz ausspielen. So konnte im vorliegenden
Fall für die tragenden Massivholzwände an­
statt des geforderten Feuerwiderstands von
F60 ein Feuerwiderstand von über 90 Minu­
ten realisiert werden. In einer gutachterli­
chen Stellungnahme von Prof. Dr. Karsten
Tichelmann wurde nachgewiesen, dass die
bauordnungsrechtlich definierten Schutz­
ziele auch bei der ungekapselten Holzkon­
struktion erreicht werden.
Gleiches gilt für die Fassade, die nach
Bauordnung mindestens aus schwer ent­
flammbaren Materialien (Baustoffklasse B1)
bestehen muss, was den Einsatz von Holz
(Baustoffklasse B2) zunächst ausschließt.
Durch die Ausführung der Fassade als nicht
hinterlüftete Konstruktion in Kammerbau­
weise in Verbindung mit einer schutzzielori­
entierten Risikobetrachtung konnte jedoch
auch hier die Zustimmung der Behörden
zum Einsatz unbehandelten Holzes erreicht
werden.
Zur Kompensation wurden lediglich
Rauchwarnmelder in den Wohneinheiten
und im Treppenhaus als Brandfrüherken­
nung eingesetzt. Durch eine brandschutz­
technisch wirksame Durchdetaillierung der
Bauteilfügungen und -anschlüsse konnte
auf weitergehende Kompensationsmaßnah­
men wie auch auf chemische Ertüchtigun­
gen verzichtet werden.
Im Gegensatz zu vergleichbaren Gebäuden
mittlerer Höhe aus Holz kann der Woodcu­
be als das erfahren werden, was er ist – als
ein Holzbau, wie er authentischer nicht sein
kann. Auch wenn die brandschutztechni­
sche Bewertung solcher Gebäude weiterhin
für jedes Objekt individuell erfolgen muss,
verdeutlicht der Woodcube einmal mehr
das Potenzial von Holzbauweisen und ist
ein richtungsweisender Schritt bei der Etab­
lierung ungekapselter Massivholzbauten bei
Gebäuden mittlerer Höhe.
-
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↑ Probekörper
des Holzelements
der Außenwand
des Woodcubes
nach 60 Minuten
direkt gestützter
Beflammung.
Foto: Thoma Holz GmbH
—
4 P r oj e k t
Woodcube
Stec kb r i ef
Woodcube
Neubau eines Wohngebäudes
900
3.430
m2 Wo hnf läc he
Fa z i t
D
er Woodcube entstand, weil der Bauherr ein Ge­
bäude bauen wollte, das ohne kritische Dämm­
stoffe und Folien auskommt, aber trotzdem ener­
getische Eigenschaften aufweist, die derzeit gefordert
sind. Der Woodcube ist das Ergebnis dieser Denkweise.
Alle am Bau Beteiligten besprachen, welche Eigenschaf­
ten der Baukörper haben sollte. Dabei wurde auch der
Wunsch nach einer möglichst unbehandelten Konstruk­
tion berücksichtigt. Denn die Planer wollten, dass das
Gebäude irgendwann auch wieder problemlos zurück­
gebaut werden kann.
-
m3 G ebäud evo lumen
Bau träg e r:
Woodcube Hamburg GmbH
DeepGreen Development
22081 Hamburg
www.woodcube-hamburg.de
Arc h i te ktu r:
architekturagentur
70176 Stuttgart
www.architekturagentur.de
Stati k:
Isenmann Ingenieure
Büro für Tragwerks­planung
und Bauwesen
77716 Haslach
www.isenmann-ingenieure.de
→ Auf fünf
Geschoss­
ebenen sind
acht Einheiten mit zwei
bis sechs
Räumen und
Wohnflächen von 70
bis 190 m².
Bran dsc h u tz:
T|S|B Ingenieurgesellschaft mbH
64285 Darmstadt
www.tsb-ing.de
Foto und Zeichnung: Architekturagentur
Ho l zbau :
Ing. Erwin Thoma Holz GmbH,
Thoma Forschungszentrum
für Holz­verarbeitung
A-5622 Goldegg
www.thoma.at
Bau l e i tu n g Hau stec h n i k:
keenco3 UG
21079 Hamburg
www.keenco3.de
www.lignardo.de
3 | 2013
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