Die reellen Zahlen als Dedekindsche Schnitte

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Die reellen Zahlen als Dedekindsche Schnitte
Iwan Otschkowski
14.12.2016
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Einleitung
In dieser Ausarbeitung konstruieren wir einen vollständig geordneten Körper aus gewissen
Teilmengen von Q, den Dedekindschen Schnitten. Dieser Körper hat alle ‘gewönlichen’
Eigenschaften der reellen Zahlen. Wir beginnen mit der Definition eines vollständig geordneten Körpers und eines Dedekindschen Schnittes.
Definition 1. Ein Körper ist eine Menge K mit zwei Verknüpfungen "+" und "·", die
die folgenden Eigenschaften haben.
1. Es gilt a + (b + c) = (a + b) + c für alle a, b, c ∈ K. (Assoziativgesetz der Addition)
2. Es gilt a + b = b + a für alle a, b ∈ K. (Kommutativgesetz der Addition)
3. Es existiert ein Element 0 ∈ K mit 0 + a = a für alle a ∈ K.
4. Zu jedem a ∈ K existiert ein Element −a ∈ K mit (−a) + a = 0.
5. Es gilt (a · b) · c = a · (b · c) für alle a, b, c ∈ K. (Assoziativgesetz der Multiplikation)
6. Es gilt a · b = b · a für alle a, b ∈ K. (Kommutativgesetz der Multiplikation)
7. Es existiert ein von 0 verschiedenes Element 1 ∈ K mit 1 · a = a.
8. Zu jedem a ∈ K \ {0} existiert ein Element a−1 ∈ K mit a · a−1 = 1.
9. Es gilt a · (b + c) = (a · b) + (a · c) für alle a, b, c ∈ K. (Distributivgesetz)
Der Körper K heißt geordnet, falls es eine Relation "<" auf K mit den folgenden
Eigenschaften gibt.
1. Für alle a, b ∈ K gilt genau eine der Aussagen
a = b, a < b, b < a.
2. Aus a < b folgt a + c < b + c für alle a, b, c ∈ K.
3. Aus 0 < a und 0 < b folgt 0 < a · b für alle a, b ∈ K.
4. Aus a < b und b < c folgt a < c für alle a, b ∈ K.
Schließlich heißt ein geordneter Körper K vollständig, falls jede nichtleere, nach oben
beschränkte Teilmenge von K eine kleinste obere Schranke hat.
Definition 2. Ein (Dedekindscher) Schnitt α ist eine Menge rationaler Zahlen mit
den folgenden Eigenschaften.
1. Seien x ∈ α und y ∈ Q mit y < x. Dann ist y ∈ α.
2. Es gilt α 6= ∅.
3. Es gilt α 6= Q.
4. Es existiert kein größtes Element in α, d.h. für jedes x ∈ α gibt es ein y ∈ α mit
y > x.
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Beispiel 3. Einige Beispiele zur Veranschaulichung der Definition.
• Die Menge α = {x ∈ Q : x2 < 2} ist kein Schnitt, denn sie hat Eigenschaft 1 nicht.
• Die Menge β = {x ∈ Q : x ≤ 1} ist kein Schnitt, denn sie hat Eigenschaft 4 nicht.
• Die Menge γ = {x ∈ Q : x < 0 oder x2 < 2} ist ein Schnitt.
Nun versehen wir die Menge aller Dedekindscher Schnitte mit zwei Verknüpfungen
+,· sowie einer Relation < und verifizieren, dass diese Struktur ein vollständig geordneter
Körper ist.
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Die Supremumseigenschaft
Definition 4. Seien α, β Schnitte. Wir schreiben α ≤ β, falls α eine Teilmenge von β
ist, und α < β, falls α eine echte Teilmenge von β ist.
Satz 5. (Supremumseigenschaft) Sei A 6= ∅ eine nach oben beschränkte Menge Dedekindscher Schnitte. Dann hat A eine kleinste obere Schranke.
Beweis. Zunächst zeigen wir, dass
β :=
[
{α : α ∈ A}
ein Dedekindscher Schnitt ist.
1. Seien x ∈ β und y ∈ Q mit y < x. Da x ∈ β ist, liegt x in einem α ∈ A. Da α ein
Schnitt ist, ist y in α und somit y in β.
2. Da A 6= ∅ ist, gibt es eine nichtleere Menge α in A und somit existiert ein x in β,
d.h. es gilt β 6= ∅.
3. Da A nach oben beschränkt ist, existiert ein Schnitt γ mit α < γ für alle α in A.
Nun ist γ 6= Q, d.h. es gibt x ∈ Q mit x ∈
/ γ und da α ≤ γ für alle α ∈ A gilt, ist
x∈
/ β. Damit gilt β 6= Q.
4. Sei x ∈ β. Dann ist x in mindestens einem α ∈ A. Da jedes α kein größtes Element
besitzt, existiert immer ein y in α mit x < y. Somit ist auch y ∈ β und β hat kein
größtes Element.
Für alle α ∈ A ist α ≤ β und somit β eine obere Schranke für A. Sei nun γ eine weitere
obere Schranke für A. Dann ist α ≤ γ für alle α ∈ A. Damit ist β ≤ γ und β ist die
kleinste obere Schranke von A.
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Arithmetik
Definition 6. Seien α und β Schnitte. Dann ist ihre Summe durch
α + β = {x : x = y + z mit y ∈ α und z ∈ β}
definiert.
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Satz 7. Seien α und β Schnitte. Dann ist α + β auch ein Schnitt.
Beweis. Wir weisen die vier Eigenschaften für α + β nach.
1. Sei x ∈ α + β und w ∈ Q mit w < x. Dann ist x = y + z mit y ∈ α und z ∈ β und
es gilt w < y + z sowie w − y < z. Somit ist w − y ∈ β und da w = y + (w − y) ist,
gilt w ∈ α + β.
2. Da α 6= ∅ und β 6= ∅ sind, ist auch α + β 6= ∅.
3. Da α 6= Q und β 6= Q, existieren rationale Zahlen a und b mit a ∈
/ α und b ∈
/ β. Für
jedes y ∈ α gilt y < a und für jedes z ∈ β gilt z < b. Somit ist y + z < a + b für alle
y ∈ α und z ∈ β. Damit ist a + b nicht in α + β.
4. Sei x ∈ α + β. Dann ist x = y + z mit y ∈ α und z ∈ β. Da α und β Schnitte
sind, existieren y 0 ∈ α und z 0 ∈ β mit y 0 > y und z 0 > z. Damit ist y 0 + z 0 ∈ α und
y 0 + z 0 > y + z und y 0 + z 0 liegt in α + β.
Satz 8. (Assoziativgesetz bezüglich Addition) Seien α, β und γ Schnitte. Dann gilt
(α + β) + γ = α + (β + γ).
Satz 9. (Kommutativgesetz bezüglich Addition) Seien α, β Schnitte. Dann gilt
α + β = β + α.
Definition 10. (Neutrale Element bezüglich Addition) Das neutrale Element bezüglich der Addition ist durch
0 = {x ∈ Q : x < 0}
definiert.
Satz 11. Sei α ein Schnitt. Dann gilt α + 0 = α.
Beweis. Wir zeigen, dass α + 0 ≤ α sowie α ≤ α + 0 ist, sodass α + 0 = α gilt.
Sei x ∈ α und y ∈ 0 . Dann ist y < 0 und x + y < x. Damit ist x + y in α. Folglich gilt
α + 0 ≤ α.
Sei nun x ∈ α, dann existeren ein y ∈ α, sodass y > x und x − y in Q ist. Da
x = y + (x − y) gilt, ist x ∈ α + 0 . Folglich gilt α ≤ α + 0 .
Definition 12. (Inverse bezüglich Addition) Sei α ein Schnitt. Dann ist das additive
Inverse zu α durch
−α = {x ∈ Q : −x ∈
/ α, aber −x ist nicht das kleinste Element von Q \ α}
definiert.
Bemerkung 13. Falls die Menge Q \ α ein kleinstes Element x0 hat, so hat die Menge
{x ∈ Q : −x ∈
/ α} ein größtes Element −x0 .
Satz 14. Sei α ein Schnitt. Dann ist −α ein Schnitt.
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Lemma 15. Sei α ein Schnitt und z ∈ Q mit z > 0. Dann existiert ein x ∈ α und y ∈
/α
mit y − x = z und y ist nicht das kleinste Element von Q \ α.
Satz 16. Sei α ein Schnitt. Dann gilt
α + (−α) = 0.
Beweis. Wir zeigen, dass α + (−α) ≤ 0 sowie 0 ≤ α + (−α) ist, sodass α + (−α) = 0
gilt.
Sei x in α und y in −α. Dann ist −y nicht in α und es gilt −y > x. Daher ist x + y < 0
und somit x + y ∈ 0 . Folglich gilt α + (−α) ≤ 0 .
Sei nun z in 0 . Dann ist −z > 0. Nach dem Lemma 15 existiert ein x ∈ α und ein y ∈
/α
mit y − x = z, sodass x + (−y) = z ist. Da x ∈ α und −y ∈ −α sind, ist z ∈ α + (−α).
Folglich gilt 0 ≤ α + (−α).
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Ordnung
Definition 17. Die positiven reellen Zahlen P sind durch die Menge
P = {α : α ist Schnitt und α > 0}
definiert.
Bemerkung 18. Es ist aus der Definition ersichtlich, dass α + β ∈ P für α ∈ P und
β ∈ P gilt.
Satz 19. Sei α ein Schnitt. Dann gilt genau eine der folgenden Aussagen.
1. Es gilt α = 0.
2. Es gilt α ∈ P .
3. Es gilt −α ∈ P .
Satz 20. Seien α, β und γ Schnitte und α < β. Dann gilt
α + γ < β + γ.
Beweis. Da α eine echte Teilmenge von β ist, folgt aus der Definition der Addition, dass
α + β eine Teilmenge von β + γ ist. Somit ist α + γ ≤ β + γ. Sei nun α + γ = β + γ. Dann
gilt α = α + γ + (−γ) = β + γ + (−γ) = β und dies ist ein Widerspruch zu α < β.
Definition 21. Seien α, β Schnitte mit α, β > 0. Dann ist das Produkt durch
α · β = {z : z ≤ 0 z = xy mit x ∈ α, y ∈ β und x, y > 0}
definiert.
Satz 22. Seien α und β Schnitte mit α, β > 0. Dann ist α · β ein Schnitt.
Bemerkung 23. Seien α, β ∈ P mit 0 < α, 0 < β. Dann ist α · β ∈ P , d.h. es gilt
0 < α · β.
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Definition 24. Sei α ein Schnitt. Dann ist der Betrag |α| durch
(
|α| =
α,
falls α ≥ 0,
−α, falls α > 0,
definiert.
Definition 25. Seien α, β Schnitte. Dann ist das Produkt |α| · |β| durch



0,
falls α = 0 oder β = 0,
|α| · |β| = |α| · |β|,
falls α > 0, β > 0 oder α < 0, β < 0,



−(|α| · |β|), falls α > 0, β < 0 oder α < 0, β > 0,
definiert.
Satz 26. (Assoziativgesetz bezüglich Multiplikation) Seien α, β und γ Schnitte. Dann
gilt
α · (β · γ) = (α · β) · γ.
Satz 27. (Kommutativgesetz bezüglich Multiplikation) Seien α, β Schnitte. Dann gilt
α · β = β · α.
Definition 28. (Neutrale Element bezüglich Multiplikation) Das neutrale Element
bezüglich der Multiplikation ist durch
1 = {x ∈ Q : x < 1}
definiert.
Satz 29. Sei α ein Schnitt. Dann gilt α · 1 = α.
Beweis. Wir zeigen, dass α · 1 ≤ α sowie α ≤ α · 1 ist und somit α · 1 = α gilt.
Sei zunächst α > 0 . Jedes Element aus α · 1 ist auch in α, sodass α · 1 ≤ α.
Sei nun x in α. Falls x ≤ 0 gilt, ist x in α · 1 . Falls x > 0 ist, existiert ein y in α mit
x < y. Damit gilt x = y( xy ) mit y ∈ α und xy ∈ 1 . Somit ist x in α und α · 1 ≤ α.
Für α < 0 und α = 0 folgt die Aussage aus der Definition der Multiplikation.
Definition 30. (Inverse bezüglich Multiplikation) Sei α ein Schnitt mit α > 0. Dann
ist das multiplikative Inverse zu α durch
α−1 ={x ∈ Q : x ≤ 0}
∪ {x ∈ Q : x > 0 und
1
x
∈
/ α, aber
1
x
ist nicht das kleinste Element von Q \ α}
definiert.
Satz 31. Sei α ein Schnitt und α 6= 0. Dann ist α−1 ein Schnitt.
Lemma 32. Sei α ein Schnitt mit α > 0 und z ∈ Q mit z > 1. Dann existiert x ∈ α und
y∈
/ α mit xy = z und y ist nicht das kleinste Element von Q \ α.
Satz 33. Sei α ein Schnitt und α 6= 0. Dann gilt α · α−1 = 1.
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Beweis. Wir zeigen, dass α · α−1 ≤ 1 sowie 1 ≤ α · α−1 ist und somit α · α−1 = 1 gilt.
Sei 0 < x ∈ α und 0 < y ∈ α−1 . Dann ist y1 nicht in α und somit xy < 1. Daher ist xy
in 1 . Ferner gilt x ≤ 0 und somit α · α−1 ≤ 1 .
Sei nun z ∈ 1 . Falls z ≤ 0 gilt, ist z in α · α−1 . Sei 0 < z < 1. Dann existiert nach
Lemma 32 ein x > 0 in α und y > 0 mit y ∈
/ α, sodass xy = z1 gilt und y nicht das
kleinste Element von Q \ α ist. Damit ist z = x( y1 ) mit x in α und y1 in α−1 . Somit ist z
in α · α−1 .
Satz 34. (Distributivgesetz) Seien α, β und γ Schnitte. Dann gilt α·(β+γ) = α·β+α·γ.
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