WMM 2_2015_Umbruch.indd - Sanitätsdienst Bundeswehr

Werbung
Fachorgan des Sanitätsdienstes der Bundeswehr
59. Jahrgang - Heft 2 - 20. Februar 2015
Wehrmedizinische Monatsschrift
Herausgegeben durch das Bundesministerium der Verteidigung
Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V.
WMM_2_U1.indd 1
05.02.15 10:31
HUMANITATI •
PA
TR
LL
EH
SE
RP
HAR
DEUTSC HE GE
Kongresse & Fortbildungen mit Industrieausstellungen
M AZIE E.V.
•
•
SC
IE
•
IAE
NT
E
IA
Deutsche Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. (DGWMP)
W
SC
HA
FT
FÜ
UN
R W E M E D I ZI N
HR
D
Kongresskalender
04. - 06.03.2015
13. Arbeitstagung der Offiziere des Sanitätsdienstes im Norden, Damp
20. - 21.03.2015
13. Aufbaukurs Allergologie, Ulm
04. - 07.05.2015
21th Nuclear Medical Defense Conference, Munich
29. - 31.05.2015
Jahrestagung des Deutschen SanOA e. V., Berlin
01. - 04.06.2015
COMEDS Plenary Meeting, Berlin
09. - 11.06.2015
1. Fachkolloquium Zahnmedizin, Kloster Banz/Bad Staffelstein
23.06.2015
Fortbildung im Rahmen der „Kieler Woche“, Kiel
07. - 09.07.2015
9. TCCC - Tactical Combat Casuality Care, Pfullendorf
15. - 17.10.2015
46. Kongress der DGWMP e. V., Oldenburg
29.10.2015
12. Notfallsymposium, Westerstede
13. - 15.01.2016
2. Arbeitstagung Zahnmedizin des Kdo RegSanUstg, Damp
27. - 29.01.2016
23. Jahrestagung ARCHIS, Hamburg
02. - 04.03.2016
1. Arbeitstagung des Kdo RegSanUstg Diez in Damp
Bundesgeschäftsstelle
10. - 13.05.2016
Medical Biodefense Conference, Munich
08. - 10.06.2016
2. Arbeitstagung des Kdo RegSanUstg Diez in Lahnstein
Neckarstraße 2a
53175 Bonn
29. - 30.06.2016
CMC - Combat Medical Care Conferece, Ulm
06. - 08.10.2016
47. Kongress der DGWMP e. V., Ulm
Telefon 0228/632420 Fax 0228/698533 E-Mail: [email protected]
Deutsche Gesellschaft für Wehrmedizin
und Wehrpharmazie e. V.
re
N
e
äh
m
w
dg
de
p.
w.
w
w
n
ne
tio
a
rm
fo
In
:
er
t
un
WMM_2_U2.indd 1
06.02.15 11:54
A5_Veranstaltungsvorschau03.02.15.indd 1
06.02.15 09:29
33
Sehr geehrte Leserinnen
und Leser,
vor Ihnen liegt eine Ausgabe der Wehrmedizinischen Monatsschrift, die sich im
Schwerpunkt mit Themen aus den Fachgebieten Neurologie und Psychiatrie befasst.
Damit stellen nach dem Schwerpunktheft
zur Unfall- und Einsatzchirurgie von Dezember 2014 zwei sogenannte “kleine Fächer“ ausgewählte Schwerpunkte aus ihrem
Fähigkeits- und Aufgabenspektrum vor, die
zeigen sollen, dass speziell in der Wehrmedizin erst durch das multidisziplinäre Zusammenwirken aller Fachgebiete und Approbationen die von unseren Soldatinnen und Soldaten zu erwartende Behandlungsqualität insbesondere im Auslandseinsatz erbracht werden
kann.
Aus der Psychiatrie geben der Leiter des Psychotraumazentrums
am Bundewehrkrankenhaus Berlin, Oberstarzt PD Dr. Zimmermann, und sein Team einen Überblick über die Entwicklung psychischer Erkrankungen in der Bundeswehr und stellen ausgewählte
Studien- und Forschungsprojekte zur Prävention und Behandlung
vor. Hieraus ist deutlich zu erkennen, welche Weiterentwicklung
dieses Fachgebiet in den letzten Jahren genommen hat und wie der
“way ahead“ aussieht. Als Originalarbeit von einem Autorenteam
um Oberfeldarzt d. R. Professor Dr. Kropp aus Teupitz wird das
Ergebnis einer Studie zum Zigarettenkonsum von Soldaten vorgestellt und, daraus abgeleitet, die Notwendigkeit adäquater Präventions- und Entwöhnungsangebote aufgezeigt. Dieser Beitrag ist ein
Beweis dafür, dass wissenschaftliches Arbeiten in unserem Sanitätsdienst nicht auf Kliniken und Institute beschränkt ist, sondern
auch in regionalen Sanitätseinrichtungen möglich ist.
Die neurologischen Themen werden von einem Beitrag eingeleitet,
der zeigt, dass über Ursachen, Symptome und Folgen der früher als
harmlos eingeschätzten Commotio cerebri neu nachgedacht werden
muss. In meinem Artikel über “mild traumatic brain injuries“ wird
zudem deutlich, dass Ergebnisse aus der wehrmedizinischen Forschung auch im Fachgebiet Neurologie Eingang in die allgemeine
klinische Medizin finden. Oberfeldarzt Dr. Harth aus Ulm stellt
dann zusammengefasst die häufigsten Läsionen peripherer Nerven
vor und zeigt auf, welche Maßnahmen zur Erkennung, Vermeidung
und Erstbehandlung jeder Truppenarzt treffen kann. Der Beitrag
von Oberfeldarzt Dr. Stark aus Hamburg gibt einen umfassenden
Überblick über neurologisch bedingte Schlafstörungen und die
heute zur Verfügung stehenden diagnostischen Verfahren. Die
wehrmedizinische Relevanz dieser Thematik wird deutlich, wenn
man die Auswirkungen mangelnden bzw. nicht erholsamen Schlafes auf die psychophysische Leistungsfähigkeit insbesondere unter
Einsatzbedingungen bedenkt. Aus diesem Grunde werden auch
Screeningmöglichkeiten zum Thema Tagesschläfrigkeit im Rahmen einer Studie am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg erforscht,
die in der Rubrik “Aus Forschung und Wissenschaft“ in diesem
Heft vorgestellt wird.
Sehr geehrte Leserinnen und Leser, ich hoffe, dass wir Ihnen mit
dieser Ausgabe einige wehrmedizinisch interessante Aspekte aus
den Fachdisziplinen Psychiatrie und Neurologie nahe bringen können und wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre.
Ihr
PD Dr. Frank Weber
Oberstarzt
Ärztlicher Direktor der Neurologischen Abteilung
am Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Inhaltsverzeichnis
ISSN 0043-2156
Heft 2/59. Jahrgang
Februar 2015
Editorial
33
Weber, F.
Wehrspychiatrie
Zimmermann, P., Alliger-Horn, C., Wesemann, U., Willmund, G.D.
34
Update: Psychische Erkrankungen in der Bundeswehr
Schura, R., Wesemann, U., Zimmermann, P., Kropp, S.
Zigarettenabhängigkeit bei Soldaten der Bundeswehr
38
Neurologie
Weber, F.
Mild Traumatic Brain Injury
42
Harth, A.
Häufige Läsionen peripherer Nerven im wehrmedizinischen
Alltag
45
Stark, R.
Schlafstörungen aus neurologischer Sicht
50
Aus Forschung und Wissenschaft
Forschungsprojekt Tagesschläfrigkeit
55
Aus dem Sanitätsdienst
56
Personalia
57
Aus der Nato
61
Mitteilungen aus der DGWMP e. V.
62
Buchbesprechungen
63
Titelbild: Proband im Schlaflabor der Abteilung Neurologie, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg (Demonstration durch Stabsunteroffizier
Alexander Laskowski, Hamburg)
Bildquelle: Sandra Herholt, BwKrHs Hamburg
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 33
06.02.15 13:26
34
Wehrpsychiatrie
Aus dem Zentrum für Psychiatrie und Psychotraumatologie (Leiter: Oberstarzt PD Dr. P. Zimmermann) des Bundeswehrkrankenhauses Berlin
(Chefarzt: Flottenarzt Dr. K. Reuter)
Update: Psychische Erkrankungen in der Bundeswehr
Update: Psychiatric Disorders in the German Armed Forces
Peter Zimmermann, Christina Alliger-Horn, Ulrich Wesemann, Gerd Dieter Willmund
Zusammenfassung
Psychische Erkrankungen haben mit einer 12-Monats-Prävalenz von 20 bis 23 % einen hohen Stellenwert im wehrmedizinischen Behandlungsspektrum der Bundeswehr. Eine
herausgehobene Position nehmen dabei einsatzbedingte psychische Erkrankungen ein. In den letzten 20 Jahren hat sich
die wehrpsychiatrische Therapie umfassend gewandelt. Vielfältige präventive und komplementärmedizinische Angebote
haben sich parallel etabliert.
Ziel dieses Beitrages ist es, einen Überblick über aktuelle
Entwicklungen in den Bereichen Prävention, Behandlung,
Begutachtung und Forschung zu psychischen Erkrankungen
in der Bundeswehr zu geben und zu diskutieren.
Schlagworte: Psychiatrie, Bundeswehr, Entwicklung, Therapie
Summary
Psychiatric disorders have, due to prevalence rates of 20 to
23 %, an outstanding position in Military Medicine of the
German Armed Forces. Deployment-related diseases are of
special importance.
Within the last 20 years treatment approaches and treatment
settings have substantially changed in the German Armed
Forces and numerous preventive and therapeutic elements
have been established.
The aim of this article is to give an overview concerning
recent developments in prevention, treatment, evaluation
and research in the field of psychiatric disorders in the German Armed Forces.
Keywords: psychiatry, German Armed Forces, treatment,
development
Einführung
Psychische Erkrankungen, Reaktionen und Belastungen sind
seit der Antike immer wieder als direkte Folge militärischen
Handelns beschrieben und diskutiert worden. Sie treten in vielfältigen und vor dem jeweiligen soziokulturellen Hintergrund
variablen Erscheinungsformen auf [1]. Dementsprechend sind
auch immer wieder unterschiedliche ätiologische und syndromatische Zuordnungen von Symptomkomplexen im militärischen Kontext vorgenommen und diskutiert worden.
Die Wehrpsychiatrie der Bundeswehr nahm nach dem 2. Weltkrieg ihren Neuanfang zunächst als Begutachtungspsychiatrie
mit eher diagnostischen Schwerpunktsetzungen. Seit Mitte der
90er Jahre hat jedoch durch das wachsende Engagement in
Auslandseinsätzen ein substanzieller Wandlungsprozess eingesetzt, der bis heute anhält. Zunehmend häufiger erwarten Soldaten von der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung eine
professionelle psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung
nach aktuellsten und auch zivil gültigen Standards, die zusätzlich militärspezifische Aspekte integriert und typischen Erfordernissen und Besonderheiten des Soldatenberufs gerecht wird.
In dem Bestreben, diesem Anspruch umfassend nach zu kommen, haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten zahlreiche Veränderungen und Bereicherungen des psychiatrisch-psychologischen Versorgungssystems entwickelt, die im Folgenden exemplarisch dargestellt werden sollen.
Erscheinungsformen und Prävalenzen
psychischer Erkrankungen in der Bundeswehr
In den Jahren 2010 bis 2013 hat die Bundeswehr im Auftrag des
Deutschen Bundestages eine großangelegte Studie zur Art und
Häufigkeit psychischer Erkrankungen in der Bundeswehr
durchgeführt. Das wissenschaftliche Team, das diese Studie
durchgeführt hatte, bestand aus Mitarbeitern der Technischen
Universität Dresden, Fachbereich Psychologie, sowie des Psychotraumazentrums der Bundeswehr, das als integraler Bestandteil des Bundeswehrkrankenhauses Berlin im Jahr 2009
eingerichtet wurde. Zu den Ergebnissen sind bereits zahlreiche
Publikationen erschienen (u. a. [2, 3]), weitere stehen noch aus.
In dieser Studie wurden umfangreiche standardisierte Interviews bei insgesamt ca. 3 000 Soldaten durchgeführt, die einen
methodisch sehr präzisen Einblick in das einsatzbedingte und
nicht-einsatzbedingte psychiatrische Krankheitsgeschehen bei
Soldaten geboten haben.
20 bis 22,5 % aller Soldaten mit und ohne Auslandseinsatz litten in einem Zeitraum von zwölf Monaten vor der Befragung
unter einer psychiatrischen Erkrankung. Am häufigsten waren
Angststörungen, depressive Erkrankungen, Suchterkrankungen, somatoforme Störungen sowie die posttraumatische Belas-
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 34
06.02.15 13:26
P. Zimmermann et al.: Update: Psychische Erkrankungen in der Bundeswehr
tungsstörung. Dabei gab es Unterschiede zwischen Einsatzsoldaten und ihren Inlandskameraden. Bei ersteren standen vor
allem Angststörungen (im Wesentlichen die Agoraphobie) sowie die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) im Vordergrund, in der Kontrollgruppe ohne Einsatz waren es Angststörungen und depressive Störungen.
In der Einsatzgruppe waren es bei 20 % der Einsatzteilnehmer
vor allem bereits vorbestehende psychische Erkrankungen, die
das Risiko für eine psychische Symptomatik nach dem Einsatz
signifikant erhöhten. Die Art der Stressoren im Einsatz hatte
demgegenüber nur einen geringen Einfluss auf die Symptomatik [3]. Auch die Einsatzdauer wirkte sich nur mäßig auf das
Erkrankungsrisiko aus; besonders gefährdet waren Soldaten,
die Kampftruppen angehörten und länger als sieben Monate im
Einsatz waren [4].
In ersten Pilotstudien des Psychotraumazentrums scheinen sich
einsatzbedingte psychische Erkrankungen auch anhand von
Veränderungen im funktionellen MRT sowie im Blutspiegel
von Omega-3-Fettsäuren abzubilden. Die Auswertungen dazu
sind jedoch noch nicht abgeschlossen.
Darüber hinaus wird das einsatzbedingte Erkrankungsgeschehen von persönlichen Risiko- und Schutzfaktoren beeinflusst.
Dazu zählen individuelle Wertorientierungen. In zwei kürzlich
veröffentlichen Studien des Psychotraumazentrums trugen
Wertorientierungen wie Hedonismus, die eine persönliche Bedürfnisbefriedigung in den Vordergrund stellen, eher zu einer
geringeren depressiven, ängstlichen und posttraumatischen
Symptombelastung nach Auslandseinsätzen bei, wohingegen
Wertbildungen, die mit Kameradschaft in Beziehung stehen,
z. B. Universalismus und Benevolenz (die Orientierung am
Wohl anderer und der Gemeinschaft) signifikant mit einer erhöhten Krankheitsschwere assoziiert waren [5].
Auch im Auslandseinsatz selbst kann es zu psychischen Belastungen oder Erkrankungen kommen. Diese hängen u. a. von
einsatzspezifischen Stressoren ab, die sich im Verlaufe verschiedener Kontingente verändern können. So standen 2009 in
der fachärztlichen Untersuchungsstelle Psychiatrie und Neurologie in Afghanistan akute Belastungsreaktionen und PTBS im
Vordergrund, die auf die umfangreichen Gefechtsaktivitäten
zurückzuführen waren. Im Jahre 2012 dagegen war der Psychiater vor Ort eher mit Anpassungsstörungen befasst, die vor allem aus dienstlichen Konfliktfeldern mit Kameraden oder Vorgesetzten bzw. mit dem heimischen Umfeld resultierten [6]. Die
Krisenintervention und initiale Behandlung derartiger Erkrankungen ist unter den Bedingungen eines Feldlazarettes gut
möglich. Dazu gehören auch traumatherapeutische Interventionen bis hin zur Traumakonfrontation. Eine solide fachgerechte
Ausbildung ist dafür allerdings erforderlich.
Kommt eine solche Behandlung nicht zustande oder ist die Erkrankung zu schwerwiegend, werden psychisch erkrankte Soldaten nicht selten auch vorzeitig aus gesundheitlichen Gründen
aus dem Einsatzgebiet repatriiert. Eine Studie des Zentrums für
Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in
Kooperation mit dem Psychotraumazentrum ergab, dass offenbar vor allem jüngere Soldaten, Mannschaftsdienstgrade, sowie
Kampftruppensoldaten eine Vulnerabilität für zur Repatriierung führende psychischen Erkrankungen aufweisen [7].
35
Prävention psychischer Erkrankungen
Um eine psychische Erkrankung während oder nach dem Einsatz zu verhindern oder die Früherkennung zu erleichtern, wurde in den letzten Jahren eine Reihe von Präventivmaßnahmen
in der Bundeswehr etabliert. Zentrale Elemente der Primärprävention vor Auslandseinsätzen und der Sekundärprävention
während und nach Auslandseinsätzen, sind in dem neuen Rahmenkonzept „Erhalt und Steigerung der psychischen Fitness
von Soldaten und Soldatinnen“ des Psychologischen Dienstes
der Bundeswehr zusammenfassend dargestellt worden und sollen nach der Evaluation noch durch weitere Maßnahmen ergänzt werden. Es handelt sich dabei allerdings nicht um psychotherapeutische Ansätze im engeren Sinne, da diese der Wiederherstellung der Gesundheit bei bereits bestehender psychischer Erkrankung dienen.
Die Basis für die präventiven Angebote in der Bundeswehr soll
in Zukunft ein “Psychological Fitness Screening“ darstellen,
das als truppenpsychologisches Instrument die truppenärztliche
Überprüfung der Einsatzverwendungsfähigkeit und der Einsatzfolgen ergänzen wird. Die angewandten Testungen, deren
Auswahl derzeit im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojektes des psychologischen Dienstes und des Psychotraumazentrums erfolgt, werden Aufschluss über die psychische Situation, aber auch über die Ressourcen von Einsatzteilnehmern
geben und bilden dann den Ausgangspunkt für notwendige weitere Schritte.
Einsatznachbereitungsseminare sollen auf eine Woche verlängert werden und dadurch einen größeren Spielraum für ressourcenfördernde Interventionen bieten. Präventivkuren werden
voraussichtlich weiterhin möglich sein, jedoch werden sie stärker zeitlich flexibilisiert und auf die Bedürfnisse der Einsatzteilnehmer zugeschnitten. Durch ihre grundsätzliche Beibehaltung würde u. a. der hohen Akzeptanz und positiven Bewertung
dieses Angebots seitens der Einsatzsoldaten Rechnung getragen
[8]. Auch die sporttherapeutischen Möglichkeiten an der Sportschule in Warendorf sollen vermehrt genutzt werden.
Trotz dieser Standardisierungsbemühungen sollten aber auch
weiterhin lokale Präventions-Initiativen möglich sein, in der
beispielsweise Truppenärzte und andere Mitarbeiter psychosozialer Netzwerke Angebote konzipieren und anwenden können.
Ein entsprechendes positives Beispiel wurde kürzlich in der
Wehrmedizinischen Monatsschrift publiziert [9].
Ergänzt werden die bundeswehrinternen Maßnahmen durch
vielfältige Angebote externer Initiativen und Träger, die Beratungsangebote, aber auch konkrete Einzelfallhilfe zur Verfügung stellen. Einen Überblick gibt die Website www.bundeswehr-support.de.
Eine mögliche Zukunftsperspektive wirksamer Prävention
stellt das Computerprogramm CHARLY dar. In diesem werden
Bausteine wie Psychoedukation oder soziales Kompetenztraining in einer sehr strukturierten und anschaulichen Form aufbereitet und dem Teilnehmer unter psychologischer Unterstützung
nahe gebracht. Insbesondere für potentiell hoch belastete Einsatzkräfte könnte dieser Ansatz, für den lediglich 1,5 Tage
Durchführungszeit benötigt werden, eine hilfreiche Option darstellen. Erste Evaluationen verliefen sehr vielversprechend
[10].
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 35
06.02.15 13:26
36
P. Zimmermann et al.: Update: Psychische Erkrankungen in der Bundeswehr
Therapie psychischer Erkrankungen
Die Therapie psychischer Erkrankungen von Soldaten erfolgt
im Schwerpunkt in den Bundeswehrkrankenhäusern (BwKrhs).
In den letzten Jahren haben sich an allen fünf Häusern sowie
auch in den eigenständigen fachärztlichen Untersuchungsstellen sehr differenzierte und vielfältige Behandlungskonzeptionen für einsatzbedingte und nicht einsatzbedingte psychische
Erkrankungen entwickelt. Diese multimodalen Settings kombinieren Einzelgespräche mit indikationsbezogenen Gruppenprogrammen sowie komplementär-medizinischen Verfahren. Am
Psychotraumazentrum sind beispielsweise tiefenpsychologisch
fundierte Gruppentherapien, Gruppentrainings sozialer Kompetenzen sowie qualifizierte Entzüge bei Alkoholabhängigkeit
mit positiven Ergebnissen evaluiert worden [11, 12].
Die therapeutischen Aktivitäten der BwKrhs werden sehr positiv und engagiert durch das Seelsorgeprojekt der Evangelischen
Militärseelsorge unterstützt. Diese bietet beispielsweise die
Möglichkeit, Angehörigenangebote für die Familien traumatisierter oder auch suchtkranker Soldaten mit einem für die Teilnehmer sehr geringen finanziellen Aufwand durchzuführen.
Dabei hat sich die Kombination psychotherapeutischer und spiritueller Ansätze bewährt.
Auch die traumaspezifische Therapie einsatzbedingter psychischer Erkrankungen erbrachte wissenschaftlich fundierte positive Veränderungen in den angewandten stationären Settings; dabei werden in der Bundeswehr insbesondere die Verfahren
EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) und
IRRT (Imagery Rescripting and Reprocessing) angewandt [13].
Stationäre Psychotherapie spielt in der Bundeswehr eine besonders große Rolle, da die oft weiten Entfernungen zwischen den
Behandlungseinrichtungen und den Truppenteilen eine ambulante Therapie in vielen Fällen unmöglich machen. Zudem bietet das multimodale Arbeiten mit der Integration verschiedener
Berufsgruppen auch wichtige Anregungen, der Nutzen für die
Patienten wird so vergrößert.
Einen besonderen therapeutischen Fokus stellen Schlafstörungen dar. Diese sind sowohl bei einsatz- als auch bei nichteinsatzbedingten Erkrankungen eine sehr häufige Begleiterscheinung. Im ersten Schritt werden in der Regel Maßnahmen der
Schlafhygiene (beispielsweise zu finden unter www.angriffauf-die-seele.de) sowie Entspannungstrainings angewandt.
Nicht selten ist dies jedoch nicht ausreichend. Das BwKrhs
Hamburg hat daher kürzlich einen Schlaffragebogen entwickelt
und evaluiert. Zusätzlich werden versuchsweise Verfahren wie
Akupunktur mit wissenschaftlicher Begleitung angewandt; die
ersten Erfahrungen sind sehr positiv [14].
Medikamentös sollte bei Schlafstörungen von der Verabreichung von Benzodiazepinen/-Derivaten Abstand genommen
werden. Stattdessen bieten sich Antidepressiva an, wie Trimipramin (10 - 50 mg zur Nacht) oder Mirtazapin (15 - 30 mg
zur Nacht), die kein Abhängigkeitspotential haben und die
Schlafarchitektur verbessern. Bei Trauma-assoziierten Schlafstörungen mit Alpträumen könnten in den nächsten Jahren Alpha-1-Adrenorezeptorantagonisten wie Prazosin (bis 16 mg)
oder Doxazosin (bis 2 - 8 mg) (im Offlabel-Use) einen verstärkten Stellenwert erlangen.
Von zunehmender Bedeutung insbesondere bei einsatzbedingten psychischen Erkrankungen sind begleitende moralische
Phänomene wie Schuldgefühle, Scham, aber auch Werteveränderungen durch Einsatzerlebnisse. Diese können mit speziellen
Therapieformen günstig beeinflusst werden. In derzeit laufenden Projekten des Psychotraumazentrums wird die Acceptance
and Commitment-(ACT)-Therapie für diese Indikation untersucht, zusätzlich kommen moralische Aspekte auch in traumatherapeutischen Ressourcengruppen zur Anwendung.
Abbildung 1: Neue Broschüren des Psychotraumazentrums zu
einsatzbedingten psychischen Erkrankungen für Einsatzsoldaten und
deren Angehörige (erhältlich über die Fachinformationsstellen der
Bundeswehr und zum Downlaod über www.angriff-auf-die-seele.de)
Ebenfalls aus den Mitteln des Seelsorgeprojektes wurde ein
Kinderbuch für die Kinder traumatisierter Soldaten finanziert,
das seit Mitte 2014 über die Militärpfarrämter verfügbar ist.
Dieses Kinderbuch wird ergänzt durch Broschüren des Psychotraumazentrums für einsatzbelastete Soldaten sowie für Ihre
Angehörigen (Abbildung 1). Diese sind kostenfrei über die Fachinformationsstellen erhältlich oder können über die Webseite
www.angriff-auf-die-seele.de heruntergeladen werden.
Ein weiteres komplementäres Element stationärer Psychotherapien im militärischen Kontext könnten zukünftig evtl. tiergestützte Therapien sein. Vereinzelte zivile Evaluationen im englischsprachigen Raum erbrachten ermutigende Ergebnisse.
Auch in der Bundeswehr sind Studien dazu angelaufen, u. a. in
Koblenz und in Berlin, jedoch ist es für eine bewertende Aussage zur Wirksamkeit noch zu früh.
Nach Abschluss von Therapien im BwKrhs ist nicht selten eine
ambulante Fortsetzung im täglichen Leben erforderlich. Dafür
greift die Bundeswehr in der Regel auf zivile Psychotherapeuten zurück. Seit 2013 können diese auch ohne Kassenzulassung
(die Approbation ist jedoch zwingende Voraussetzung, um eine
verlässliche Behandlungsqualität sicherzustellen) beauftragt
werden und erhalten in strukturschwachen Regionen erhöhte
Behandlungssätze. Bis zu 25 Sitzungen können direkt vom
Truppenarzt verordnet werden. Dies stellt eine erhebliche Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgungssituation von
Soldaten dar.
Neben einer fachgerechten Behandlung von Soldaten sind häufig auch gutachterliche Empfehlungen oder Stellungnahmen zu
psychischen Erkrankungen seitens der BwKrhs notwendig.
Diese erfolgen in verschiedenen Rechtsgebieten. Am häufigsten
ist die Begutachtung der Verwendungsfähigkeit als Soldat oder
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 36
06.02.15 13:26
P. Zimmermann et al.: Update: Psychische Erkrankungen in der Bundeswehr
für spezielle Dienstposten, in den letzten Jahren zunehmend
aber auch die Begutachtung von Wehrdienstbeschädigungen.
Das Einsatzweiterverwendungsgesetz, das Einsatzversorgungsgesetz sowie die Einsatzunfallverordnung haben in diesem Bereich erhebliche Verbesserungen gebracht, so dass die fach- und
zeitgerechte Erfüllung von Begutachtungsaufträgen von besonderer Bedeutung ist.
Im Jahr 2013 ist ein Kompendium für Vorgesetzte entstanden,
das sich u. a. auch diesen Gesetzen und Fragestellungen widmet
und im Intranet verfügbar ist. Eine ebenfalls sehr wichtige Unterstützungsarbeit für die Versorgung einsatzgeschädigter Soldaten leistet der Beauftragte PTBS, der mit seinem Team sowohl Einzelfallhilfe leistet als auch Bewertungen des Versorgungssystems vornimmt und Verbesserungsvorschläge abgibt.
Zusammenfassung und Ausblick
Die psychiatrische Versorgung in der Bundeswehr hat sich in
den letzten Jahren erheblich weiter entwickelt und bietet Soldaten mit einsatzbedingten und nicht einsatzbedingten psychischen Belastungen und Erkrankungen ein breites Spektrum präventiver und therapeutischer Maßnahmen. Eine Herausforderung für die Zukunft wird darin bestehen, weitere inhaltliche,
militärspezifische Adaptationen vorzunehmen, um insbesondere einsatzbedingten Besonderheiten Rechnung zu tragen.
Dabei müssen aber auch die infrastrukturellen und personellen
Ressourcen so gestaltet werden, dass die Angebote zukunftsfest
und nachhaltig sein können. Die Beobachtung der Dunkelzifferstudie, dass sich derzeit nur 10 - 20 % der einsatzbedingt
psychisch erkrankten Soldaten in zeitnahe psychiatrische Behandlung begeben, lässt für die Zukunft bei verbesserter Aufklärung einen wachsenden Versorgungsbedarf voraussehen.
Ressourcenaktivierende therapeutische Optionen wie tagesklinische Behandlungskonzepte, die neben der täglichen psychotherapeutischen Behandlung auch eine Stärkung der Alltagsfähigkeit ermöglichen, könnten die klassischen stationären Konzeptionen sinnvoll ergänzen.
Um diesen Entwicklungen zu begegnen, wird auch die Weiterbildung von militärischen Vorgesetzten zu einem zentralen Anliegen, um betroffene Soldaten zeitgerecht zu identifizieren und
zu einer fachgerechten Intervention zu motivieren.
In der Forschung werden in den nächsten Jahren objektivierbare Marker psychischer Erkrankungen, wie beispielsweise das
funktionelle MRT, im Vordergrund stehen. Auch Verbesserungen der verfügbaren therapeutischen Ansätze, z. B. durch neue
therapeutische Elemente für die stationären Settings oder eine
Entwicklung und Evaluation innovativer Versorgungsangebote,
werden einen Fokus bilden. Hier kommen beispielsweise Internet-basierte Verfahren zur Behandlung von Depressionen oder
einsatzbedingten psychischen Erkrankungen in Frage, aber
auch weitere zielgruppenspezifische Forschungen, wie etwa zu
bereits ausgeschiedenen Soldaten.
Wünschenswert wäre in der Gesamtheit eine neue Grundhaltung in der Wehrmedizin, die die Wehrpsychiatrie als einen zentralen Bereich in einer ganzheitlichen medizinischen Betreuung
von Soldaten betrachtet.
37
Literatur
1. Zimmermann P, Hahne HH, Biesold KH, Lanczik M: Psychogene
Störungen bei deutschen Soldaten des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Fortschritte der Neurologie / Psychiatrie 2005; 73(2): 91102.
2. Wittchen HU, Schönfeld S, Kirschbaum C, Thurau C, Trautmann
S, Steudte S, Klotsche J, Höfler M, Hauffa R, Zimmermann P: Wie
hoch ist die Dunkelziffer? Traumatische Ereignisse und Post-traumatische Belastungsstörungen (PTBS) bei Soldaten nach Aus­
lands­einsätzen. Dt Ärztebl 2012; 109(35-36): 559-568.
3. Zimmermann P, Höfler M, Schönfeld S, Trautmann S, Hauffa R,
Kowalski JT, Wittchen HU: Deployment stressors and psychiatric
disorders in German soldiers - empirical structure and predictive
values. ZPPP 2014 (in press).
4. Trautmann S, Schönfeld S, Höfler M, Heinrich A, Hauffa R, Zimmermann P, Wittchen HU: Posttraumatic stress disorder after deployment of German soldiers : does the risk increase withdeployment duration. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung
Gesundheitsschutz 2013; 56(7): 930-40.
5. Zimmermann P, Firnkes S, Kowalski JT, Backus J, Siegel S, Willmund G, Maercker A: Personal values in soldiers after military
deployment: associations with mental health and resilience. Eur J
Psychotraumatol 2014; doi: 10.3402/ejpt.v5.22939.
6. Ungerer J, Weeke A, Zimmermann P, Petermann F, Kowalski JT:
Akute psychische Störungen deutscher Soldatinnen und Soldaten
in Afghanistan. ZPPP 2013; 61(4): 273-277.
7. Zimmermann P, Seiffert A, Herr H, Radunz N, Leonhardt R, Gallinat J, Heß J: Risk factors for mental health aeromedical evacuation
among German Armed Forces soldiers deployed to Afghanistan. J
Mil Behav Health 2014; (in press).
8. Zimmermann P, Kowalski JT, Niggemeier-Groben A, Sauer M,
Leonhardt R, Ströhle A: Evaluation of an inpatient preventive treatment program for soldiers returning from deployment. Work
2013 (in press: PMID: 23838190).
9. Hartmann D, Sauer M, Zimmermann P, Wloszczynski M: Truppenärztliche Seminare zur psychischen Einsatzvorbereitung bei Bundeswehrsoldaten. Wehrmed Monatsschr 2013; 57: 206-209.
10.Zimmermann P, Alliger-Horn C, Willmund G, Dunker S, Kowalski
JT: Integration moderner Medien in das psychosoziale Versorgungsangebot deutscher Soldaten. ZPPM 2013; 11(2): 35-49.
11. Zimmermann P, Alliger-Horn C, Kowalski JT, Plate S, Wallner F,
Wolff E, Ströhle A: Treatment of avoidant personality traits in a
German Armed Forces inpatient psychiatric setting. Mil Med
2013; 178(2): 213-217.
12.Zimmermann P, Kröger N, Willmund G, Ströhle A, Heinz A, Hahne HH: Inpatient short-term group psychotherapy – a therapeutic
option for Bundeswehr soldiers? Psychosoc Med 2008; 5: 1-8.
13.Alliger-Horn C, Mitte K, Zimmermann P. Vergleichende Wirksamkeit vom IRRT und EMDR bei kriegstraumatisierten deutschen
Soldaten. Trauma und Gewalt 2014 (in press)
14.Eisenlohr V, Römer HW, Zimmermann P. Akupunktur – eine neue
Option in der Behandlung traumatisierter Bundeswehrsoldaten?
Dt Zschr Akupunktur 2010; 53(2): 29-34.
Korrespondierender Autor
Oberstarzt Privatdozent Dr. med. Peter Zimmermann
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Zentrum für Psychiatrie und Psychotraumatologie
Scharnhorststraße 13
10115 Berlin
E-Mail: [email protected]
Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 37
06.02.15 13:26
38
Aus dem Sanitätsversorgungszentrum Mittenwald¹ (Leiter: Oberfeldarzt Dr. C. Fürlinger), der Abteilung VIb – Psychotraumazentrum (Leitender
Arzt: Priv. Doz. Oberstarzt Dr. P. Zimmermann) am Bundeswehrkrankenhaus Berlin² (Chefarzt: Admiralarzt Dr. W. Titius, MBA) und der Klinik für
Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Asklepios Fachklinikum Teupitz und Lübben³ (Chefarzt: OFA d. R. Prof. Dr. S. Kropp, MBA)
Zigarettenabhängigkeit bei Soldaten der Bundeswehr
Cigarette Dependence among German Soldiers
Richard Schura¹, Ulrich Wesemann², Peter Zimmermann² und Stefan Kropp³
Zusammenfassung
Zigarettenkonsum kann sich sowohl unmittelbar negativ auf
die Einsatzfähigkeit auswirken als auch langfristige schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Die derzeitig
hohe Prävalenz der Tabakrauchabhängigkeit bei Soldaten als
Risikofaktor für weitere gesundheitliche Schädigungen steht
in der wehrmedizinischen Truppenversorgung oft an nachrangiger Stelle, weshalb das Etablieren effizienter Präventionsprogramme und Therapieangebote in der Bundeswehr
weiter geboten erscheint.
Schlagworte: Bundeswehr, Soldaten, Rauchen, Abhängigkeit, Entwöhnung
Summary
Cigarette smoking has negative impact on military readiness
and can cause long-term harmful health effects. However,
current high prevalence of tobacco dependence among soldiers is a significant risk factor but still largely neglected by
military medical care. Therefore an establishment of effective preventive measures and treatments is necessary.
Keywords: Bundeswehr, soldiers, smoking, dependence,
cessation
und Bronchialkarzinome [5]. Ferner wird die Regenerationsfähigkeit des Gewebes und das Immunsystem des Körpers negativ beeinflusst, weshalb es nach Verletzungen oder operativen
Eingriffen häufiger zu Störungen der Wundheilung kommen
kann sowie ein allgemein erhöhtes Risiko durch Infektionskrankheiten vorliegt [6, 7]. Darüber hinaus schädigt das Rauchen die Augen, den Zahnhalteapparat und schränkt die Fruchtbarkeit ein [8].
Mechanismen der Abhängigkeit
Für die Entstehung der körperlichen Abhängigkeit beim Konsum von Zigaretten ist im Wesentlichen das Nikotin verantwortlich [9]. Der Effekt auf den Konsumenten ist bivalent, abhängig von Nikotindosis und Situation wirkt es als Antriebssteigerung (niedrigere Dosis) oder Sedierung (höhere Dosis). Die
Dosis wird über die Tiefe der Inhalation sowie Frequenz gesteuert. Das psychotrope Alkaloid wird als Gas beim Rauchen
zum größten Teil durch die Lunge resorbiert, gelangt über die
Blutbahn ins zentrale Nervensystem und bindet sich in kürzester Zeit an die nikotinergen Rezeptoren, wobei auch unterschiedliche Hormone und Neurotransmitter ausgeschüttet werden (Tab. 1).
Tab. 1: Biochemische Wirkung des Nikotins [10, 11]
Neurotransmitter
Einführung
Das Rauchen von Feinschnitt-Tabak in Form der Zigarette ist
heute sowohl in Deutschland als auch weltweit die mit Abstand
beliebteste Konsumart der herba nicotiana [1]. Das Tabakrauchen ist das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko unserer Zeit
[2, 3]. Die dadurch verursachten zahlreichen Erkrankungen
sind jährlich global für den Tod von über sechs Millionen Menschen verantwortlich. Der Konsum tötet statistisch beinahe jeden zweiten Abhängigen, die Hälfte dieser vorzeitigen Todesfälle tritt bereits im mittleren Lebensalter ein [3]. Die vom Tabakrauchkonsum ausgehenden Folgen und Zusammenhänge
für die Gesundheit sind in der Literatur inzwischen weitreichend beschrieben. Obwohl das Nikotin für die Entstehung der
Abhängigkeit verantwortlich ist, sind es vor allem viele der
weiteren Bestandteile und Zusatzstoffe im Tabak, die für die
Komorbiditäten verantwortlich gemacht werden. Das Kohlenmonoxid schädigt die Gefäße und leistet dadurch Durchblutungsstörungen und Arteriosklerose Vorschub, während die
Kondensatbestandteile vor allem bei der Entstehung von Krebserkrankungen eine Rolle spielen [4]. Die häufigsten Erkrankungen des Rauchens mit Todesfolge sind kardiovaskuläre Erkrankungen, chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen
Wirkung
Dopamin
Positive Befriedung und Lustempfinden
Noradrenalin
Aktivitäts- und Konzentrationsförderung, Vigilanz
Beta-Endorphin
Stress- und Schmerzminderung
Acetylcholin
Wahrnehmungssteigerung
Vasopressin
Gedächtnissteigerung
Serotonin
Appetithemmung, Angstlösung,
Beruhigung, Stimmungsaufhellung
Serotonin (Überdosis)
Nervosität, Schwindel, Schlaflosigkeit,
Übelkeit
Von den aufgeführten Transmittern ist es vor allem das Dopamin, das den größten Anteil an der positiven Verstärkerwirkung
des Nikotins hat [12]. Es stimuliert über dopaminerge Neuronen im Mittelhirn das Belohnungszentrum des Mesolimbischen
Systems im Nucleus accumbens. Die Affinität des Nikotins zu
nikotinergen alpha4beta2-Acetylcholinrezeptoren ist prä- und
postsynaptisch und führt zu einer generellen Aktivierung der
Erregbarkeit sowie Adaption in den Neuronen [13]. Durch das
chronische Zigarettenrauchen steigt die Desensibilisierung dieser Rezeptoren und führt zu einer erhöhten Ausprägung ihrer
Dichte [14]. Der wiederholte Nikotinkonsum hat auch Einfluss
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 38
06.02.15 13:26
R. Schura et al.: Zigarettenabhängigkeit bei Soldaten der Bundeswehr
auf die Transmission von Dopamin und Serotonin durch eine
Reduktion der Aktivität der Cholinacetyltransferase [15].
Das Tabakrauchen ist ein erlerntes Verhalten. Eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Abhängigkeit spielen klassische Lernmechanismen. Eine der Grundlagen stellt die klassische Konditionierung dar, die im Jahre 1918 vom russischen
Physiologen Iwan Pawlow entdeckt und beschrieben wurde
[16]. Im Falle des Rauchers wird ein Verhalten (Verlangen nach
und Konsum der Zigarette) durch einen Reiz ausgelöst. Dieser
Stimulus steht zunächst vor der erworbenen Verknüpfung dem
auslösenden Verhalten neutral gegenüber. Durch häufiges Wiederholen der Abfolge einer Reiz-Verhalten-Reaktion konditioniert und manifestiert sich diese Assoziation. Der auslösende
Reiz ist sehr individuell, z. B. Emotion (wie Panik oder Angst),
Situation (Stress, Autofahrt, soziale Interaktion), der Anblick
eines Objekts (z. B. Zigarettenschachtel, Feuerzeug) oder Konsum (z. B. Kaffee, Alkohol). Die operante Konditionierung ergänzt dieses Lernprinzip. Denn folgt auf eine spezifische Aktion
ein angenehmer Effekt, so wird dieses Verhalten in Zukunft häufiger gezeigt. In gleichem Maße wird das Verhalten seltener auftreten, wenn negative Konsequenzen die Folge gewesen sind.
Auch das soziale Umfeld einer Person übt Einfluss auf ihr Verhalten aus; von dieser Interaktion leitet sich die Theorie des
Modelllernens ab. Diese Lerntheorie beschreibt den kognitiven
Lernprozess, der vorliegt, wenn ein Individuum (Beobachter)
als Folge der Beobachtung des Verhaltens anderer Individuen
(Modell) sowie der darauffolgenden Konsequenzen sich neue
Verhaltensweisen aneignet oder schon bestehende Verhaltensmuster weitgehend verändert [17]. Eron [18] fügte der Theorie
Bedingungen hinzu, die besagen, dass zwischen Modell und
Beobachter eine Ähnlichkeit sowie emotionale Beziehung zu
bestehen und die soziale Macht und Status des Modells höher
als die des Beobachters zu sein haben. Auch eine stellvertretende Verstärkung beim Modell muss bestehen; sieht also das beobachtende Individuum eine Konsequenz bei anderen Individuen, so kann sich das auf das Verhalten des Beobachters auswirken. Die Wahrnehmung, Erwartung und Wertung des Individuums einer Situation hat einen bestimmenden Einfluss, ob beim
Stimulus auch ein Handeln ausgelöst wird und sich eine Ausbildung von Verhaltensmustern entwickelt. Diese kognitiven Aspekte sind Bindeglieder zwischen den Lernprozessen. So werden die negativen Attribute und Folgen des Zigarettenrauchens
(z. B. Abhängigkeit, Morbidität, Kosten) zugunsten positiver
Konsequenzen (z. B. Selbstsicherheit, Zugehörigkeit zu einer
Gruppe, Gewichtsabnahme) weniger stark gewichtet [19].
39
Prävalenz des Zigarettenkonsums bei Soldaten der
Bundeswehr
Die Querschnittsstudie von Trautmann et al. [22] bezüglich Tabakkonsum bei Soldaten (n = 2372, Durchschnittsalter 30 Jahre) der Bundeswehr zeigt eine Raucherquote von 55 %, wobei
die Raucher täglich im Schnitt rund 16 Zigaretten konsumierten. In einer Pilotstudie untersuchten Kropp et al. [23] insbesondere den Zigarettenkonsum in den deutschen Kampftruppen
(n = 264, Durchschnittsalter 25 Jahre). Der Anteil der regelmäßigen Zigarettenraucher (n = 149) betrug in diesem Untersuchungskollektiv 56,4 %, wobei in der Altersgruppe der 18- bis
29-jährigen Soldaten (n = 226) die Raucherquote sogar bei
59,3 % lag. Auch wurde die Graduierung der Zigarettenabhängigkeit mit Hilfe des Fagerström-Tests durchgeführt, der allgemein gebräuchlich in der Diagnostik der Zigarettenabhängigkeit ist [24] (Abb. 1).
Epidemiologie des Zigarettenkonsums
Epidemiologie in Deutschland
Die Datenerhebungen des Robert Koch-Instituts für das Jahr
2012 ergänzen den Mikrozensus 2009 des Bundesamtes für
Statistik und stellen repräsentative Werte für Deutschland dar.
Demnach sterben jährlich im Durchschnitt 850 000 Menschen
in der Bundesrepublik, davon bis zu 110 000 an den Folgen des
Tabakkonsums. 29,7 % aller 18- bis 79-jährigen rauchen regelmäßig Zigaretten, Frauen mit 26,9 % weniger häufig als Männer, deren Anteil bei 32,6 % liegt [20]. Insbesondere in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen Männer ist die Raucherquote mit
47 % signifikant am höchsten. Rund 56 % aller regelmäßigen Raucher werden als tabakabhängige Konsumenten betrachtet [21].
Abb. 1: Fagerström-Test für Nikotinabhängigkeit [25]
Die Suchtkriterien wurden in sechs Fragen unterteilt, die Antworten wurden kategorisiert und mittels der Gesamtpunktzahl
die Abhängigkeit bestimmt, wobei verlässliche statistische Eigenschaften des Instruments belegt sind. Insgesamt hatten
63,8 % (n=95) aller Raucher einen FTNA-Punktwert von 4 oder
höher, was nach der Definition von Breslau et al. [26] als deutlich abhängig gilt (Abb. 2).
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 39
06.02.15 13:26
40
R. Schura et al.: Zigarettenabhängigkeit bei Soldaten der Bundeswehr
Tab. 3: Raucherberatung bei Patienten ohne aktuellen Wunsch zum
Verzicht [29]
Kurzberatung nach den 5 R´s
• Relevanz des Rauchens für das Gesundheitsproblem aufzeigen
(“relevance“)
• Risiken für den einzelnen Raucher betonen (“risks“)
• Reize des Nichtrauchens in Aussicht stellen (“rewards“)
• Riegel vor persönlichem Rauchstopp eruieren (“roadblocks“)
• Repetition der Motivation vornehmen (“repetition“)
Abb. 2: Graduierung der Zigarettenabhängigkeit bei Soldaten [23]
Tabakentwöhnung
Die Tabakrauchabhängigkeit ist eine chronische Erkrankung
und vor dem Hintergrund der bereits erwähnten Gesundheitsgefahren sollte eine Entwöhnung jederzeit angestrebt werden. Es
gibt vielfältige, aber kaum zu überblickende Behandlungsangebote, sowie Techniken unterschiedlichster Genesen, Fundierungen und Vorgehensweisen. Als entscheidend für eine erfolgreiche Raucherberatung gelten die Dokumentation des Raucherstatus, die individuelle Beratung, bedarfsorientierte Vermittlung eines Tabakentwöhnungsprogramms sowie die Nikotinersatztherapie [27]. Dementsprechend werden evidenzbasierte
Raucherentwöhnungsmethoden nun näher beleuchtet.
Nichtmedikamentöse Therapie
Die individuelle ärztliche Kurzintervention ist eine verhaltenstherapeutische Methode und benötigt einen Zeitansatz von weniger als 10 Minuten, wobei sich diese Psychoedukation als effektiv erwiesen hat [28]. Die Gesprächsführung nach den 5
“A´s“ richtet sich an Patienten, die aktuell die Motivation zum
Rauchverzicht zeigen und dient der Einleitung zur Abstinenz.
(Tab. 2).
Tab. 2: Raucherberatung bei Patienten mit Motivation zur Abstinenz
[29]
Kurzberatung nach den 5 A´s
• Abfragen des Raucherstatus (“ask“)
• Anraten des Rauchverzichts (“advice“)
• Ansprechen der Aufhörmotivation (“assess“)
• Assistieren beim Rauchverzicht (“assist“)
• Arrangieren der Folgekontakte (“arrange“)
Bei Rauchern ohne aktuelle Rauchverzichtsabsicht sollen die
folgenden “R´s“ der ärztlichen Kurzintervention zur Erhöhung
der persönlichen Motivation beitragen (Tab. 3).
Eine ärztliche Kurzintervention kann auch dann als erfolgreich
angesehen werden, wenn sich beim Raucher ein Problembewusstsein entwickelt oder eine Verhaltensänderung in absehbarer
Zukunft ins Auge gefasst wird [30]. Höchste Effektivität zeigt die
Intensivbehandlung im gruppen- und einzeltherapeutischen Setting [31]. Die Raucherberatung zielt darauf ab, in einem Dialog
dem Raucher zu vermitteln, dass die langfristigen Vorteile der
Abstinenz und die Nachteile des Konsums (bezüglich der gesundheitlichen Situation, des Gefühls der Abhängigkeit, finanzieller Aspekte) bei weitem die kurzfristigen Nachteile der Abstinenz (Angst vor dem Scheitern, Angst vor einer Gewichtszunahme, Verlust der funktionalen Bedeutung des Rauchens bei der
Überwindung von Gefühlen wie Langeweile, Stress, Ängstlichkeit) und Vorteile des Konsums (soziale Verstärkung, Geschmack,
belohnende Wirkung des Nikotins) überwiegen [13].
Pharmakotherapie
Unterstützend zu einer psychotherapeutischen Maßnahme kann
die medikamentöse Behandlung indiziert werden, wobei nach
Fiore et al. [28] die Kombination beider Therapieelemente die
effektivsten Langzeitergebnisse darstellen. Durch die therapeutische Substitution des Nikotins, welches im Tabakrauch primär
als suchterzeugend angesehen wird, lässt sich ohne die begleitenden Schadstoffe aus dem Zigarettenrauch die sich nach dem
Rauchstopp manifestierte Entzugssymptomatik mindern. Die
Nikotinersatztherapie sollte unter der Beachtung möglicher unerwünschter Arzneimittelwirkungen für die Dauer von 8 bis 12
Wochen durchgeführt und während dieses Zeitraums allmählich reduziert werden [13] (Tab. 4).
Tab. 4: Therapieempfehlungen der ersten Wahl [32]
Nikotinersatzstoff (NET) als Arzneimittel der ersten Wahl
Wirkstoff
Tagesdosierung
NET als Pflaster
Bei > 10 Zigaretten/Tag: 7 bzw. 8 mg/16 Std.
Bei > 20 Zigaretten/Tag: 14 bzw. 16 mg/ 24 Std.
Bei > 30 Zigaretten/Tag: 21 bzw. 24 mg/24 Std.
Es kann eine höhere Dosisstärke für 6
Wochen, dann für weitere Wochen (eine)
geringere Dosisstärke(n) verwandt werden.
NET als Kaugummi 2 mg: maximal 24 Stück/Tag
4 mg: maximal 15 Stück/Tag
Anwendung für 12 Wochen, dann allmähliche
Reduktion
Bei wiederholtem Therapieversagen der NET, aber bei weiterem bestehenden Wunsch nach Abstinenz können unter Berücksichtigung der Kontraindikationen Bupropion (Antidepressivum) und Vareniclin (Partialagonist der Nikotinrezeptoren
α4β2) eingesetzt werden (Tab. 5).
Therapeutische Verfahren ohne Evidenz
Gegenwärtig finden sich in der Literatur keine Belege für eine
anerkannte langfristige Wirksamkeit von populären Methoden
wie der Akupunktur und Hypnotherapie. Auch für homöopathische Medikationen, esoterische oder suggestible Verfahren liegen keine anerkannten Nachweise vor [13].
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 40
06.02.15 13:26
R. Schura et al.: Zigarettenabhängigkeit bei Soldaten der Bundeswehr
Tab. 5: Therapieempfehlungen der zweiten Wahl [32]
Arzneimittel der zweiten Wahl
Wirkstoff
Tagesdosierung
Bupropion
Für die ersten 7 Tage:
1 x 150mg/Tag danach Rauchstopp,
ab dem 8. Tag:
2 x 150mg/Tag für 8 Wochen
(zwischen den aufeinander folgenden Einzeldosen
muss eine Zeitspanne von mindestens 8 Stunden
liegen)
Vareniclin
Für 3 Tage: 1 x 0,5 mg,
für 4 Tage: 2 x 0,5 mg,
dann Rauchstopp,
daraufhin ca. 12 Wochen Fortführung mit 2 x 1 mg
(bzw. 1 x 1 mg bei Kreatinin-Clearance < 30 ml/min)
Präklinische und erste klinische Daten weisen auf ein Potenzial
der E-Zigarette als Entwöhnungshilfe hin. Doch fehlen noch
aussagekräftige Studien, die die Evidenz für die Wirksamkeit
dieser Entwöhnungsmethode zeigen, weshalb derzeit keine klare Empfehlung diesbezüglich ausgesprochen werden kann [33].
Schlussfolgerungen
Die dargestellte hohe Prävalenz der Zigarettenabhängigkeit bei
Soldaten war wehrmedizinisch lange Zeit ein vernachlässigter
Risikofaktor. Chronisches Rauchen hat nicht nur negative Folgen auf die körperliche Gesundheit, es reduziert auch nachhaltig die seelische Belastungsfähigkeit. Die bestehenden Paradigmen der truppenärztlichen Wertung und Behandlung dieser
stofflichen Abhängigkeitserkrankung sollten kritisch reflektiert
werden. Notwendige Präventionsprogramme und Therapieangebote der Bundeswehr hierzu gilt es weiter zu fördern und auszubauen. Dieser Artikel soll eine kompakte Übersicht zur Beratung und Behandlung von Patienten mit einer Tabakrauch­
abhängigkeit geben.
Literatur
1. Dieterich CM: Dicke Luft um blauen Dunst. Marburg: Jonas-Ver-
lag 1998; 25
2. DKFZ: Tabakatlas Deutschland 2009. Heidelberg: Steinkopff Verlag 2009
3. World Health Organization: REPORT on the global TOBACCO
epidemic. (Datenstand: 2013): http://www.who.int/tobacco
4. Lampert T: Rauchen – Aktuelle Entwicklungen bei Erwachsenen.
Berlin: Robert Koch-Institut. GBE kompakt 2(4) 2011
5. Ezzati M, Lopez AD: Estimates of global mortality attributable to
smoking in 2000. Lancet 2003; 362: 847-852
6. Nagachinta T, Stephens M, Reitz B, Polk BF: Risk factors for surgical-wound infection following cardiac surgery. J Infect Dis 1987;
156(6): 967-973
7. Silverstein P: Smoking and wound healing. Am J Med 1992;
93(1A): 22-24
8. Huizink AC, Mulder EJ: Maternal smoking, drinking or cannabis
use during pregnancy and neurobehavioral and cognitive functioning in human offspring. Neurosci Biobehav 2006; 30: 24-41
9. Uchtenhagen A, Zieglgänsberger W: Suchtmedizin. München: Urban & Fischer Verlag 2000; 27-29
10.Balfour DJK: Neuronal mechanisms underlying nicotine dependence. Addiction 1994; 89: 1419-1423
41
11. Griesar WS, Zajdel DP, Oken BS: Nicotine effects on alertness and
spatial attention in non-smokers. Nicotine Tob Res 2002; 4: 185-194
12.Watkins SS, Koob GF, Markou A: Neural mechanisms underlying
nicotine addiction: acute positive reinforcement and withdrawal.
Nicotine Tob Res 2000; 2: 19-37
13.Batra A: Treatment of tobacco dependence. Dtsch Arztebl Int
2011; 108(33): 555–564
14.McGehee DS, Heath MJS, Gelber S, Devay P, Role LW: Nicotine
enhancement of fast excitatory synaptic transmission in the CNS
by presynaptic receptors. Science 1995; 269: 1692-1696
15.Trauth JA, McCook EC, Seidler FJ, Slotkin TA: Modeling adolescent nicotine exposure: effects on cholinergic systems in rat brain
regions. Brain Res 2000; 873: 18-25
16.Hand I: Pawlows Beitrag zur Psychiatrie. Entwicklungs- und
Strukturanalyse einer Forschungsrichtung. Stuttgart: Thieme Verlag 1972
17.Bandura A, Ross D, Ross SA: Imitation of film - mediated aggressive models. J Abnorm Psychol 1963; 66: 3-11
18.Eron LD: The development of aggressive behavior from the perspective of a developing behaviorism. Am Psychol 1987; 42: 435–442
19.Beck AT: Cognitive Therapy and the Emotional Disorders. Madison: Intl Universities Pr 1975: 20
20.Lampert T, von der Lippe E, Müters S: Verbreitung des Rauchens
in der Erwachsenenbevölkerung in Deutschland. Bundesgesundheitsbl 2013 56: 802–808
21.Hoch E, Muehlig S, Höfler M, Lieb M, Wittchen HU: How prevalent is smoking and nicotine dependence in primary care in Germany? Addiction 2004; 99(12): 1586-1598
22.Trautmann S, Schönfeld S, Behrendt S, Höfler M, Zimmermann P,
Wittchen HU: Substance use and substance use disorders in recently deployed and never deployed soldiers. Drug Alcohol Depend
2014; 134: 128–135
23.Kropp S, Schura R, Danker-Hopfe H, Zimmermann P: Das RSL
Projekt - Nikotin im Einsatz. Vortrag auf der Tagung der DGPPN
2013, Berlin.
24.Fagerström K: Determinants of Tobacco use and Renaming the
FTND to the Fagerström Test for Cigarette Dependence. Nicotine
Tob Res 2012; 14: 75-78
25.Heatherton TF, Kozlowski LT, Frecker RC, Fagerström KO: The
Fagerström Test for Nicotine Dependence: a revision of the Fagerström Tolerance Questionnaire. Br J Addict 1991; 86: 1119-1127
26.Breslau N, Johnson EO: Predicting smoking cessation and major
depression in nicotine-dependent smokers. Am J Public Health
2000; 90: 1122-1127
27.Bundesärztekammer, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen
Medizinischen Fachgesellschaften, Kassenärztliche Bundesvereinigung: Nationale Versorgungsleitlinie COPD, Langfassung Version1.3, Dezember 2006; http://www.copd.versorgungsleitlinien.de
28.Fiore MC, Jaen CR, Baker TB, Bailey WC, Benowitz N, Curry SJ,
et al.: Treating tobacco use and dependence: 2008 update. Rockville, MD: U.S. Department of Health and Human Services
Interessenskonflikt
Die Autoren erklären, dass im Sinne der Richtlinien des International
Commitee of Medical Journal Editors keine Interessenskonflikte bestehen.
Korrespondenz:
Oberfeldarzt d.R. Prof. Dr. med. Stefan Kropp, MBA
Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
Asklepios Fachklinikum Teupitz und Lübben
Buchholzer Str. 21, 15755 Teupitz
E-Mail: [email protected]
Der Beitrag wird mit dem vollständigen Literaturverzeichnis im
Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 41
06.02.15 13:26
42
Neurologie
Aus der Abteilung VI A, Neurologie, (Leiter: Oberstarzt PD Dr. F. Weber) des Bundeswehrkrankenhauses Ulm (Chefarzt: Generalarzt Dr. A.
Kalinowski)
Mild Traumatic Brain Injury (mTBI) – Pathophysiologie, Diagnostik
und Therapie
Mild Traumatic Brain Injury (mTBI) – Pathophysiology, Diagnostics, and Therapy
Frank Weber
Zusammenfassung
Das leichte gedeckte Schädelhirntrauma, früher schlicht als
Gehirnerschütterung oder Commotio cerebri bezeichnet, hat
unter dem Ausdruck “mild traumatic brain injury“ neue,
weltweite Aufmerksamkeit erfahren. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es innerhalb wie außerhalb der Wehrmedizin
vermehrt diagnostiziert wird und dass die ursprüngliche
Grundannahme, es handele sich lediglich um eine vorübergehende Funktionsstörung des Gehirn, nicht aufrecht erhalten werden kann. Vielmehr kommt es zu strukturellen Mikroläsionen, die sich nur mit besonderen kernspintomographischen Methoden nachweisen lassen und die wahrscheinlich
die Basis für lang andauernde, vegetative, funktionelle und
neuropsychologische Symptome bilden. Nicht nur im militärischen Kontext überlappen sich diese Symptome mit denen
der posttraumatischen Belastungsstörung.
Schlüsselworte: Schädel-Hirn-Trauma, Commotio cerebri,
mTBI, Posttraumatische Stress Belastung, Explosionsverletzung
Summary
Mild traumatic brain injury, formerly known as concussion,
as a consequence of blunt force trauma inside or outside the
military environment or as a consequence of battlefield blast
exposure has been of increasing concern. The original concept of the concussion as a pure functional transient disturbance of brain functions had to be revised in favour of the
concept of mTBI as a substantial albeit small brain injury
with morphological lesions that need special MRI protocols
to be visualized. These lesions are thought to form the biological basis of neuropsychiatric sequelae. There is substantial
overlap between post-concussion syndrome and post-traumatic stress disorder, and blast related mTBI seems to increase the risk of post-traumatic stress disorder.
Keywords: Concussion, post-concussion syndrome, posttraumatic stress disorder, blast, explosion
Einleitung
Wer sich mit neurologischer oder psychiatrischer Thematik in
der Wehrmedizin beschäftigt, wird in den letzten Jahren häufig
mit der diagnostischen Entität “mTBI“ konfrontiert; die Abkürzung steht für “mild traumatic brain injury“. Was ist darunter zu
verstehen?
Auf den ersten Blick scheint mTBI nichts anderes als die bekannte Gehirnerschütterung (“Commotio cerebri“) zu sein. Die klassische Diagnose einer Commotio ist aber an zwei Voraussetzungen
geknüpft, die für mTBI nicht notwendigerweise gelten: Die
Commotio erfordert die Kopfkontaktverletzung, also zumindest
eine Schädelprellung und den Verlust des Bewusstseins. Außerdem ging man jahrzehntelang stillschweigend von der Annahme
aus, dass es sich bei der Commotio um eine vorübergehende
Hirnfunktionsstörung handelt, die keine morphologischen Folgen hinterlässt. Deshalb wurde beispielsweise in der Begutachtung auf Beschwerden nach Commotio wenig Rücksicht genommen. Insbesondere die wehrmedizinische Forschung zu mTBI
zeigt, dass diese Auffassung revidiert werden muss.
mTBI - Prävalenz, Pathophysiologie, Klinik
In den großen militärischen Auseinandersetzungen der letzten
Jahre (im Wesentlichen im Irak und in Afghanistan) wurde
mTBI bei den Soldaten unserer Verbündeten, v. a. bei der USArmy, mit einer Prävalenz von etwa 20 % der „combat casualties“ diagnostiziert. Während es von vornherein klar war, dass
eine externe Gewaltanwendung auf den Kopf durch Sturz etc.
ursächlich sein kann, musste man lernen, dass auch eine indirekte Gewalteinwirkung durch Druckwellen ohne unmittelbare
Einwirkung auf den Schädel (“blast injury“) eine Commotio
verursachen kann. Die Symptome bestehen in einer in der Regel vorübergehenden Bewusstseinsstörung, aber später auch in
unspezifischen, nicht fokal-neurologischen Symptomen wie
Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, leichter Erschöpfbarkeit, Schlafstörungen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Verschwommensehen sowie Überempfindlichkeit gegen Licht und Geräusche. Der Verlust des Bewusstseins
führt notwendigerweise zur posttraumatischen Amnesie, anterograd oder retrograd. Der Verlust oder die Störung des Bewusstseins kann aber von so kurzer Dauer sein, dass sie sich im
Kampfgeschehen dem Nachweis entzieht; deshalb wurde in den
USA der Bewusstseinsverlust als Definitionskriterium wieder
fallen gelassen [1, 2].
Zeitlich parallel mit der weltweit intensiveren Befassung der
Wehrmedizin mit Hirnverletzungen hat das Thema der gedeckten Schädelhirnverletzung in der Sportmedizin (“sport concussion“) an Bedeutung gewonnen. Wie man am Fall des deut-
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 42
06.02.15 13:26
F. Weber: Mild Traumatic Brain Injury (mTBI) – Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie
43
schen Fußballspielers Christoph Kramer im Endspiel der
Fußballweltmeisterschaft 2014 (Deutschland gegen Argentinien) sehen kann, ist auch in diesem Kontext das Kriterium
des Bewusstseinsverlustes ein schlechter diagnostischer
Marker für mTBI. Eine epidemiologische Analyse US-amerikanischer Afghanistan- oder Irakrückkehrer hat zudem gezeigt, dass die Kriterien Bewusstseinsverlust oder Bewusstseinsstörung für Hirnverletzungen, die im Rahmen von
Kampfhandlungen entstanden sind, nicht sensitiv genug
sind, weil sie einerseits die Fälle fokaler Hirnläsionen ohne
Bewusstseinsstörung übersehen und andererseits bei Bewusstseinsstörungen anderer Ursache (kardiozirkulatorisch,
medikamentös) falsch positiv sind [2].
Blast-Injury und mTBI
Die Fortleitung einer überschallschnellen Druckwelle, vorübergehend und von kurzer Dauer, kann zu Gehirnverletzungen führen (der “Shell shock“ des ersten Weltkrieges). Gut bekannt sind
die Effekte auf luftgefüllte Organe, wie Blutungen in Lunge und
Ohr. Trommelfellzerreissungen als Folge von Blast-Injury sind
gut bekannt, was im Umkehrschluss bedeutet, dass bei Patienten
mit Trommelfellruptur im Kontext einer Blast-Injury immer auch
mit Hirnschäden gerechnet werden muss [3]. Die Effekte auf das
Hirngewebe sind noch nicht richtig verstanden; es kommt aber
wohl zu Störungen der Bluthirnschranke, zu kleinen Blutungen
und zu axonalen Zerreissungen. Ist das Trauma mit einer Kopfkontakverletzung kombiniert, greift der Mechanismus der diffusen axonalen Verletzung (“DAI“, diffuse axonal injury). Die
Funktionen der axonalen Membranen brechen zusammen, das
Membranpotential erlischt, innerhalb von Minuten dehnt sich
eine “spreading depression“ aus, innerhalb von Stunden kommt
es zu strukturellen Läsionen der axonalen Membranen, dies führt
zu regionalen kleinräumigen Blutungen und Ödemen. Außerdem
werden die Astrocyten in ihrer Funktion gestört, es kommt zur
Glutamattoxicität und zahlreichen weiteren Effekten, die Gegenstand laufender Forschungen sind [3].
Diagnostik der mTBI
Im Einzelfall können die Veränderungen des Gehirns diskret
sein, so dass es spezieller kernspintomographischer Techniken
bedarf, um sie zu erkennen. Das normale Computertomogram
ist bei einem “reinen“ mTBI mit oder ohne Blast-Verletzung
immer normal. Mikroblutungen sind in T2*-gewichteten Kernspintomografie-Bildern zu sehen, Läsionen der weißen Substanz, sofern sie in den gängigen T1/T2/FLAIR/DWI-Wichtungen nicht zu erkennen sind, im “Diffusion Tensor Imaging“
(DTI) [4].
Das DTI-Verfahren erscheint als besonders aussichtsreich (Beispiel siehe Abbildung 1). Die geschädigten Axone geben keine
Diffusionsrichtung mehr vor (Anisotropie), die mittels DTI visualisiert werden kann. Man weiß, dass die Anisotropie sowohl
im akuten wie im chronischen Stadium mit kognitiver Beeinträchtigung assoziiert ist. Als besonders vulnerabel gelten die
Kommissuren, bei denen die weißen Fasern dicht gepackt sind,
so der hintere Teil des Balkens. Es gibt aber noch keine Normwerte, so dass das Verfahren noch nicht breit eingesetzt werden
kann. Zum jetzigen Zeitpunkt kann es deshalb nicht als etabliert
gelten.
Abb. 1: Beispiel für Diffusion Tensor Imaging
Darstellung der Faserbündel; gleiche Faserbündel haben gleiche
Farben.
Man geht davon aus, dass eben diese organischen Schädigungen für die Langzeitbeschwerden der Betroffenen ursächlich
sind. Rückkehrer (“Veterans“) mit mTBI, ohne oder mit
Blast-Injury, haben vermehrt Kopfschmerzen, oft Migräne,
häufiger andere Schmerzstörungen, vermehrt kognitive Defizite, häufiger Schlafstörungen sowie Verhaltensauffälligkeiten
wie vermehrte Reizbarkeit. Und bei Rückkehrern mit mTBI
kommt es häufiger zum Auftreten einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als bei Rückkehrern ohne mTBI. Langfristig dominieren Störungen des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeitsfunktionen, des Antriebs und der psychomotorischen
Geschwindigkeit sowie der exekutiven Funktionen die neuropsychologische Symptomatik. Die Symptome des BlastInjury mTBI ähneln somit sehr den bekannten Symptomen
nach einem “normalen“ gedeckten Schädelhirntrauma.
Da die o. a. NMR-Techniken in der Regel nicht akut zur Verfügungen stehen (im Einsatz überhaupt nicht), bleibt die Diagnose weiterhin eine klinische. Wegen der bereits dargestellten Unzulänglichkeiten des Kriteriums “Bewusstseinsverlust“ kann
die Diagnose auch klinisch unter Umständen erst im Verlauf
gestellt werden.
Überschneidung mTBI / PTBS
Es gibt eine enge Beziehung zwischen PTBS und durch
Blast-Injury induzierte mTBI. Die Symptomatik überlappt sich
in weiten Bereichen, Blast-Injury induzierte mTBI erhöht das
Risiko für die Ausbildung einer PTBS. Möglicherweise werden
diejenigen Hirnareale, die für die emotionale Kontrolle zuständig sind, bevorzugt geschädigt und disponieren den Patienten
zu PTBS und Depression. Die Langzeitfolgen sind neuropsych-
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 43
06.02.15 13:26
44
F. Weber: Mild Traumatic Brain Injury (mTBI) – Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie
iatrischer Natur und müssen deshalb multidisziplinär behandelt
werden. Hier besteht ein großer Unterschied zur normalen Gehirnerschütterung, bei der kognitive Beschwerden und Symptome in der Akutphase häufig sind, aber in der Regel nach 3 bis 12
Monaten abklingen [3].
Idealtypisches praktisches Vorgehen
Auch wenn Soldaten der Bundeswehr bisher kaum von mTBI
betroffen sind (wahrscheinlich, weil sie relativ selten in Kampfhandlungen verwickelt waren), muss bekannt sein, wann der
Verdacht auf eine substanzielle Hirnschädigung besteht [5]. Die
wichtigsten Befunde hierzu sind in Tabelle 1 dargestellt.
Tabelle 1: Klinische Befunde einer substanziellen Hirnschädigung
•Bewusstlosigkeit > 1 h (falls keine iatrogene Ursache und kein
Schock),
• retrograde Amnesie > 8 h und/oder anterograde Amnesie > 24 h
(falls keine iatrogene Ursache),
• Desorientierung und/oder Verwirrtheit > 24 h (falls keine
iatrogene Ursache oder Entzug),
• fokale zentral-neurologische Ausfälle (dokumentiert und dem
Trauma zuzuordnen),
• Bildgebungs-Darstellung von Hirnsubstanzschäden, die dem
Trauma zuzuordnen sind,
• EEG-Veränderungen (Allgemeinveränderung, Herdbefund) > 24
h nach Trauma mit anschließender Dynamik (falls keine
medikamentöse Ursache und falls das initiale EEG adäquat
abgeleitet und dokumentiert wurde, z. B. Vigilanzprüfung bei
Grundrhythmusverlangsamung).
Die Bewertung der genannten klinischen Befunde stößt in der
Praxis häufig an Grenzen, wenn in die Primärversorgung kein
Neurologe oder Neurochirurg und auch keine geeignete Bildgebung einbezogen wurde, was das Erfordernis neurologischer
Fachexpertise zumindest ab der Ebene 3 begründet.
Ärztliche Dokumentationen der Akutbehandlung machen oft
keine genauen Angaben über Tiefe und Dauer einer Bewusstseinsstörung bzw. über Verwirrtheit, Desorientiertheit oder andere psychische Auffälligkeiten. Der Nachweis länger dauernder Bewusstlosigkeit, Amnesie oder Verwirrtheit scheitert oft
an Erfordernissen der Behandlung (Sedierung, Beatmung, operative Versorgung). Ein unauffälliger somatisch-neurologischer
Befund schließt eine “substanzielle Hirnschädigung“ nicht aus.
Besondere Bedeutung kann ein möglichst früh (am Besten innerhalb von 24 Stunden nach Ereignis) und adäquat abgeleitetes EEG gewinnen, wenn z. B. der Vergleich mit späteren Ableitungen eine Grundrhythmusverlangsamung oder einen sich
rückbildenden Herdbefund ergibt. Allerdings ist in diesem Fall
auszuschließen, dass die EEG-Veränderungen durch die Gabe
von Arzneimitteln bedingt waren.
Die Bildgebung einer akuten traumatischen Hirnschädigung
beweist diese, der Nachweis einer traumabedingten Subarach-
noidalblutung (SAB) oder eines akuten subduralen Hämatoms
legt sie nahe.
Für den Sanitätsdienst der Bundewehr gilt für die Versorgung
im Einsatz:
• Patienten mit Bildgebungsnachweis einer akuten traumatischen Hirnschädigung müssen repatriiert werden,
• Patienten mit normalem CCT und abnormem EEG ebenso,
wenn sich das EEG nicht rasch normalisiert.
Andere NATO-Nationen verfolgen eine andere Vorgehensweise. So erlauben es die britischen Richtlinien beispielsweise, einen Patienten mit der klinischen Diagnose einer mTBI bis zu 14
Tage in einer Einrichtung der Role 1 zu belassen. Die Langzeitergebnisse müssen hier abgewartet werden. Fernziel ist es, einen bildgebungsunabhängigen Biomarker zu entwickeln, der
dem erstversorgenden Arzt anzeigt, ob überhaupt eine Hirnverletzung stattgefunden hat.
Fazit
Das leichte gedeckte Schädelhirntrauma (mTBI) führt zu Hirnsubstanzverletzungen. Der Nachweis des Bewusstseinsverlustes ist für die Diagnose nicht mehr notwendig. Die akuten klinischen Aspekte unterscheiden sich zwischen Blast-Injury mTBI
und mTBI ohne Blast-Injury nicht. Im militärischen Kontext
treten PTBS und andere neuropsychiatrische Folgen häufiger
bei mTBI nach Blast-Injury auf. Deshalb sollten Diagnostik
und Behandlung in Einrichtungen der Bundeswehr erfolgen, da
im zivilen Bereich insbesondere Blast Injury als Ursache für
mTBI praktisch unbekannt sind.
Literatur
1. Garber B, Wang Y, Carre E t al: Mild Traumatic Brain Injury in a
Military Operational Setting. RTO Technical Report 2014. STOTR-HFM-193
2. Xydakis MS, Ling GSF, Mulligan MP, Olsen CH, Dorlac WC:
Epidemiological Aspects of Traumatic Brain Injury in Acute Combat Casualties at a Major Military Medical Center: A Cohort Study.
Ann Neurol 2012; 72:673-681
3. Rosenfeld JV, McFarlane AC, Bragge P et al: Blast-related traumatic brain injury, www.thelancet.com/neurology, http://dx.doi.
org/10.1016/S1474-4422(13)70161-3
4. Ilvesmaki T, Luoto TM, Hakulinen U, et al: Acute mild traumatic
brain injury is not associated with white matter change on diffusion tensor imaging, Brain 2014: 137; 1876–1882
5. Wallesch CW, Fries W, Marx P et al: Begutachtung nach gedecktem Schädelhirntrauma. Fortschr Neurol Psych 2013: 81;511-522
Bildquelle: Abbildung 1: BwKrhs Ulm – Radiologische Abteilung
Korrespondierender Autor:
Oberstart PD Dr. Frank Weber
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Abteilung VIA, Neurologie
Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm
E-Mail: [email protected]
Der Beitrag wird mit dem vollständigen Literaturverzeichnis im
Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 44
06.02.15 13:26
45
Aus der Abteilung VI A, Neurologie (Leiter: Oberstarzt PD Dr. med. F. Weber) des Bundeswehrkrankenhauses Ulm (Chefarzt: Generalarzt
Dr. A. Kalinowski)
Häufige Läsionen peripherer Nerven im wehrmedizinischen Alltag
Common lesions of peripheral nerves in military environment
Andreas Harth
Zusammenfassung
Periphere Syndrome stellen einen beträchtlichen Anteil in
der neurologischen Fachuntersuchungsstelle im Bundeswehrkrankenhaus (BwKrhs) Ulm dar. Eine rasche Erkennung der häufigen Kompressionssyndrome durch den Truppenarzt ermöglicht eine verzugslose Therapie und rasche
Genesung und damit verbunden die Wiederherstellung oder
Aufrechterhaltung der Dienstfähigkeit. Die neurologische
Untersuchung mit elektrophysiologischer und neurosonologischer Diagnostik sichert die Diagnose und lässt mögliche
zugrundeliegende prädisponierende Faktoren wie zum Beispiel hereditäre Neuropathien erkennen. In diesem Artikel
wird auf häufige Syndrome und Läsionen wie das Carpaltunnelsyndrom, das Sulcus ulnaris Syndrom, die Peroneuslähmung und Plexopathien eingegangen; auch deren rasche Behandlungsmöglichkeiten werden aufgezeigt.
Schlüsselworte: Periphere Nerven, Lähmung, Kompression, Plexopathie, hereditäre Neuropathie
Summary
Syndromes of peripheral nerve lesions are a dominating cause for visiting the neurological outpatient clinic of the military hospital in Ulm. A fast detection of the most frequent
compression neuropathies at unit level facilitates a therapy
without delay, leading to fast regeneration which enables the
soldier to stay fit for duty or to restore his medical fitness.
The neurological examination including electrophysiological and neurosonological diagnostics is ensuring the diagnosis and sometimes reveals additional predisposing factors
like e. g. hereditary neuropathies. In this article we focus on
common syndromes and lesions like the syndrome of the
carpal tunnel, ulnar neuropathy at the elbow, the peroneal
nerve palsy and plexopathies as well as their proper and
quick therapeutic strategies.
Keywords: Peripheral nerves, palsy, compression, plexopathy, hereditary neuropathy
Einführung
Erkrankungen peripherer Nerven oder von Nervenwurzeln stellen einen beträchtlichen Anteil der Indikationen zur Vorstellung
in der Neurologie dar. Ursächlich hierfür sind vorwiegend
Kompressionen oder Irritationen im Rahmen degenerativer Erkrankungen wie zum Beispiel Bandscheibenvorfälle oder Engpass-Syndrome. Einen ebenso nicht zu unterschätzenden Anteil
bilden die hereditären Neuropathien, welche mit einer Prävalenz von bis zu 1 : 2 500 die häufigste erbliche neurologische
Erkrankung ausmachen und für periphere Kompressionssyndrome prädestinieren. Insbesondere im militärischen Umfeld
erlangen diese Erkrankungen eine besondere Bedeutung, da in
einzelnen Verwendungen lange Zwangshaltungen und die
punktuelle Belastung an exponierten Stellen unausweichlich
sind. Auch ist in diesem Zusammenhang oft die Frage zu klären, ob der Soldat in seine bisherige Verwendung zurückkehren
kann, ohne weitere gesundheitliche Risiken in Kauf zu nehmen.
Dieser Artikel soll dazu beitragen, die häufigen Kompressionssyndrome zu erkennen und eine frühzeitige Behandlung bereits
vor der fachärztlichen Vorstellung zu ermöglichen. Eine
fachärztliche Untersuchung und Diagnostik ist jedoch hierdurch nicht zu ersetzen.
Anatomie
Grundsätzlich ist das zentrale vom peripheren Nervensystem zu
unterscheiden. Das zentrale Nervensystem umfasst das Gehirn
sowie das Rückenmark, das periphere Nervensystem umfasst
alle außerhalb dieses Bereichs gelegenen Strukturen wie Nervenwurzeln, Spinalnervenpaare, Plexus und periphere gemischte Nerven, aber auch die pseudounipolaren sensiblen Nervenzellkerne der Spinalganglien. Auf die Entwicklung sowie die
grundlegende Organisation des Nervensystems wird im Weiteren hier verzichtet und auf die einschlägigen Lehrbücher verwiesen.
Die Diagnose einer peripheren Nervenläsion kann im Allgemeinen klinisch gestellt werden und orientiert sich an entsprechenden Reizerscheinungen (Schmerz, Parästhesien) bzw. sensiblen
(Beeinträchtigung der Oberflächensensibilität) oder motorischen (Paresen und Reflexverlust) Ausfällen in den jeweiligen
Versorgungsgebieten des gemischten Nerven, des Plexusanteils
oder der betroffenen Wurzel. Liegen Ausfälle vor, so handelt es
sich um ein Kompressionssyndrom, im Falle von Reizerscheinungen um eine Irritation.
Die Läsion kann zum einen akut auftreten, wie zum Beispiel im
Rahmen von stumpfen oder penetrierenden Traumata, sich jedoch ebenso subakut – beispielsweise durch entzündliche Prozesse – entwickeln. Darüber hinaus sind insbesondere im Rahmen degenerativer Veränderungen schleichende Entwicklungen
über Monate und Jahre möglich.
Insbesondere im Falle akuter und subakuter Erkrankungen entscheiden die therapeutischen Maßnahmen der ersten Tage über
den weiteren Verlauf der Erkrankung, wohingegen chronische
Läsionen eine abwartende Haltung rechtfertigen können.
Der Schlüssel zur Diagnose ist immer die Anamnese.
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 45
06.02.15 13:26
46
A. Harth: Häufige Läsionen peripherer Nerven im wehrmedizinischen Alltag
Häufige Krankheitsbilder
Die im allgemeinen auch im truppenärztlichen Sprachgebrauch
am häufigsten verwendeten Begriffe sind die des Carpaltunnelsyndroms (CTS) bzw. des Sulcus ulnaris Syndroms (SUS); nicht
selten werden jedoch die beiden an sich grundsätzlich verschiedenen Krankheitsbilder miteinander verwechselt. Beiden gemein
ist der Umstand, dass es sich um klassische Engpass-Syndrome
handelt, also im Wesentlichen um Druckläsionen an natürlichen,
durch den Nerv zu passierenden anatomischen Engstellen. Eine
Lumeneinengung kann genauso ursächlich sein wie eine Schwellung des betreffenden Nerven; stets besteht eine Störung der Mikrozirkulation durch eine Druckerhöhung.
Carpaltunnelsyndrom
Ätiologie
Beim CTS wird der Nervus medianus bei seinem Eintritt in die
Handinnenfläche unter dem Ligamentum carpi transversum
komprimiert, was zu Symptomen in seinem Versorgungsgebiet
führt. Sensibel versorgt der Nervus medianus die volarseitigen
Anteile der Finger I bis III sowie die radiale Seite von D IV
unter Einschluss der Fingerkuppen. motorisch versorgt er die
Thenarmuskulatur, der zugehörige Kennmuskel ist der M. abductor pollicis brevis. Die Läsion im Bereich des Carpaltunnels
ist die bei Weitem häufigste des Nervus medianus; proximale
Läsionen sind seltener und werden in diesem Artikel auch nicht
weiter behandelt.
Symptomatik
In der Anamnese ist somit zumeist eine sensible Störung vorwiegend der Finger I bis III zu finden, motorische Ausfälle treten regelhaft erst bei fortgeschrittenem CTS hinzu. Der Patient
beklagt häufig nächtliche Armschmerzen (Brachialgia praesthetica nocturna), welche sich nicht auf die Hand beschränken,
sondern über den Ellenbogen bis in die Schulter ausstrahlen
können und damit auch an proximaler gelegene Ursachen denken lassen. Das Ausschütteln der Hand verschafft zumindest im
Anfangsstadium häufig rasche und deutliche Linderung.
In der Untersuchung kann das Abspreizen des Daumens senkrecht zur Handfläche abgeschwächt sein (M. abductor pollicis
brevis), der Daumen kann zum Greifen nur eingeschränkt abgespreizt werden, es findet sich das sogenannte Flaschenzeichen
(Abbildung 1). Die klinische Untersuchung der weiteren Thenarmuskeln bringt wenig zusätzlichen Informationsgewinn, da
diese nicht selten parallel durch den N. ulnaris versorgt werden.
Das oft beschriebene Hoffmann-Tinel-Klopfzeichen (Parästhesien im Versorgungsgebiet, ausgelöst durch Klopfen auf den
Nervenstamm mit den Fingern) ist ein äußerst unsicheres und
von marginaler Sensitivität und Spezifität, so dass das die Abwesenheit keine Aussage erlaubt.
Im Anamnesegespräch ist explizit nach auslösenden Tätigkeiten zu fragen, beispielsweise nach außerordentlicher handwerklicher Tätigkeit; dies hat großen therapeutischen Einfluss. Das
Bild einer Schwurhand hat stets eine Läsion proximal des Ellenbogens als Ursache.
Therapie
Im Falle akuter, klar tätigkeitsbezogener Carpaltunnelsyndrome ist die passagere nächtliche Ruhigstellung mittels einer entsprechend Orthese, gefolgt von beschwerdeabhängiger Belas-
Abb. 1: Flaschenzeichen (rechts)
Aufgrund der Abduktionsschwäche des Daumens im Rahmen einer
Medianus-Läsion kann ein runder Gegenstand nicht wie gewohnt
umfasst werden.
tung, in der Regel die Therapie der Wahl. Im Falle chronischer
Carpaltunnelsyndrome bietet die operative Sanierung mittels
Spaltung des Ligamentum carpi transversum langfristig die
besten Ergebnisse. Auch im Falle ausgeprägter akuter Carpaltunnelsyndrome mit z. B. erheblicher sensibler Beeinträchtigung und daraus resultierender Behinderung (Schließen von
Knöpfen nicht möglich) kann eine frühzeitige Dekompression
Therapie der Wahl sein.
Differenzialdiagnose
Differenzialdiagnostisch muss im Wesentlichen an eine Radikulopathie C7 gedacht werden; hier ist jedoch regelhaft der Daumen ausgespart, auch sind begleitende Cervicobrachialgien typisch. Im Falle einer Kompression ist der Tricepssehnenreflex
abgeschwächt oder erloschen, was durch eine Medianusläsion
nie erklärt werden kann. Im Falle eines CTS ist die DML (distal
motorische Latenz) häufig über 4,2 ms verlängert (Abbildung 2).
Sulcus ulnaris Syndrom
Ätiologie
Der N. ulnaris versorgt sensibel Dig V und den ulnarseitigen
Anteil von Dig IV sowie die volare und dorsale ulnare Handkante. Er beteiligt sich nicht an der sensibeln Versorgung des
Unter- oder Oberarmes. Durch bereits proximal des Ellenbogens abgehende Äste erfolgt die Versorgung der mm. flexor carpi ulnaris und flexor digitorum profundus, distal des Ellenbogens versorgt er die muskulatur des Hypothenars sowie die
kleinen Handmuskeln.
Das SUS wird für gewöhnlich durch eine Kompression des N.
ulnaris in seinem Verlauf im Cubitaltunnel oder der Ulnarisrinne im Bereich des medialen Ellenbogens verursacht. Wie beim
CTS kann einen akute vermehrte Druckbelastung, aber auch
eine anlagebedingte Störung, ursächlich sein.
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 46
06.02.15 13:26
A. Harth: Häufige Läsionen peripherer Nerven im wehrmedizinischen Alltag
47
Abb. 2: Neurographie bei CTS
Die mit 6,2 ms verzögerte Distal motorische Latenz (DML, Normwert bis 4,2 ms) bestätigt auch elektrophysiologisch das klinisch vorhandene
Carpaltunnelsyndrom.
Symptomatik
Die Patienten beklagen sensible Ausfälle im entsprechenden
Versorgungsgebiet und über Schwäche, v. a. wenn die Gebrauchshand betroffen ist. Zunächst oft fluktuierender Verlauf
bis zum Eintreten einer persistierenden Taubheit der Finger IV
und V. Schmerzen finden sich in der Anamnese selten; auch ist
erfahrungsgemäß nur in wenigen Fällen ein auslösendes moment zu eruieren.
In der klinischen Untersuchung ist bei motorischen Ausfällen
ein positives Froment Zeichen (Abbildung 3) zu finden, auch
die Fingerab- und adduktion sind betroffen.
Therapie
Die Therapie richtet sich grundsätzlich nach dem Beschwerdebild. Das akut aufgetretene, ggf. sogar mit einer Überbelastung
klar in Verbindung zu bringende SUS spricht regelhaft gut auf
eine konservative Therapie an. Um weiteren Druck zu vermeiden, sollte der N. ulnaris im Ellenbogenbereich abgepolstert
werden. Dies ist zum einen durch entsprechende handelsübliche Bandagen möglich, welche vom Patienten bedarfsweise
angezogen werden können, aber auch bereits die nächtliche
Umwickelung des betroffenen Ellenbogens mit Handtüchern ist
eine effektive maßnahme. Die Operation mit oder ohne Vorverlagerung des Nerven bleibt i. d. R. Einzelfällen vorbehalten.
Differenzialdiagnose
Vorrangig ist an eine Radikulopathie C8 zu denken. Wie bereits
im Falle des CTS ist auch hier eine Cervicobrachialgie für ge-
Abb. 3: Froment Zeichen (rechts)
Der Patient wird aufgefordert, einen flachen Gegenstand oder auch
ein Blatt Papier mit beiden Händen bei gestrecktem Daumen
zwischen Daumen und Zeigefinger zu fixieren und unter Zug zu
setzen. Die Adduktionsschwäche des Daumens durch eine Läsion des
Nervus ulnaris wird durch die Flexion im Daumenendglied (M. flexor
pollicis longus, medianusinnerviert) kompensiert.
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 47
06.02.15 13:26
48
A. Harth: Häufige Läsionen peripherer Nerven im wehrmedizinischen Alltag
wöhnlich ein Begleitsymtom; auch müssen sensible Ausfälle
oder Reizerscheinungen proximal des Handgelenkes an eine andere Ursache denken lassen. Im Falle einer erheblichen C8-Kompression sind weiterhin auch Paresen der Thenarmuskulatur zu
erwarten. Klinisch bereitet manchmal die Differen­zialdiagnose
zum Loge de Guyon Syndrom Schwierigkeiten; hier handelt es
sich um die distale Kompression des N. ulnaris im Bereich des
Handgelenkes mit einer dem SUS ähnlichen Symptomatik. Das
Loge de Guyon Syndrom ist jedoch erheblich seltener, die Differenzialdiagnose wird elektrophysiologisch gestützt.
Peroneusparese
Ätiologie
Der N. peroneus communis entstammt wie auch der N. tibialis
dem N. ischiadicus. Der Abgang des Peroneusnerven ist sehr
variabel, liegt jedoch stets proximal der Fossa poplitea. In seinem weiteren Verlauf wendet er sich nach lateral und verläuft
sehr oberflächennah unterhalb des Fibulaköpfchens in den Unterschenkel. Er teilt sich in den superfiziellen und den profunden Anteil; der N. peroneus superficialis versorgt im Wesentlichen den lateralen Unterschenkel sowie den Fußrücken und die
Zehenzwischenräume sensibel, weiterhin die Mm. peronei.
Eine Ausnahme stellt der erste Zehenzwischenraum dar; hier
handelt es sich um das sensible Versorgungsgebiet des N. peroneus profundus, welcher die gesamte Extensorengruppe des
Unterschenkels motorisch versorgt.
Die Schädigung des N. peroneus kann grundsätzlich auf allen
Höhen erfolgen. Proximal besteht die Möglichkeit einer Ischiadicusläsion, wobei zum Beispiel im Rahmen von Druckläsionen vorwiegend die peronealen Fasern betroffen sind und der
Anteil des N. tibialis keinerlei Schädigung aufweist. Die Ursache der höheren Vulnerabilität der peronealen Fasern ist bislang
nicht eindeutig geklärt. Der Hauptläsionsort liegt sicherlich im
oberflächlichen Verlauf im osteomuskulär begrenzten Kanal im
Bereich distal des Fibulaköpfchens, wo der Nerv z. B. durch
knieende Tätigkeiten, aber auch durch längeres Übereinanderschlagen der Beine komprimiert werden kann.
Ein weiterer Läsionsort liegt im Unterschenkel, wo der profunde Anteil im Rahmen eines Kompartmentsyndroms Schaden
erleiden kann.
Symptomatik
Eine vollständige Läsion des N. peroneus communis zeigt sich
in einem sensiblen Ausfall im Bereich des lateralen Unterschenkels sowie des Fußrückens. Klinisch imponiert eine Fußheberparese, auch die Zehen können nicht gestreckt werden.
Der Patient zeigt das klassische Gangbild eines Stepperganges.
Die Pronation ist ebenso paretisch aufgrund der Beeinträchtigung der Mm. peronei. Im Falle einer Läsion des profunden
Astes findet sich eine Parese der Extensoren in Verbindung mit
einer Hypästhesie im ersten Interdigitalraum. Danach muss explizit in der Untersuchung gefragt werden, da bereits leichte
stumpfe Traumata ein Kompartmentsyndrom auslösen können
und hier alleine die zeitnahe operative Sanierung dauerhafte
Beeinträchtigungen zu vermeiden vermag.
Therapie
Wie bei allen Druckläsionen ist die weitere Druckbelastung des
Nerven unbedingt zu vermeiden. Die häufigsten Läsionen sind
hierdurch bereits gut behandelbar. Im Falle eines Kompart-
mentsyndroms ist die unverzügliche chirurgische Intervention
unentbehrlich.
Differenzialdiagnose
Im Wesentlichen muss die Peroneuslähmung von der Radikulopathie L5 abgegrenzt werden. Im Falle eines L5 Syndroms mit
begleitenden Paresen ist in der Regel der m. gluteus medius als
L5-, jedoch nicht peroneusversorgter Muskel betroffen. Klinisch zeigt sich dies in einer Parese der Hüftabduktion sowie
dem typischen Trendelenburgschen Hinken mit Herabsinken
des Spielbeins bzw. positivem Hip-Lag-Zeichen (siehe WMM
10-11/14, S. 358).
Läsion Plexus cervicobrachialis
Ätiologie
Der Plexus cervicobrachialis setzt sich aus Anteilen der Wurzeln C5 bis Th1 zusammen. Aus ihnen gehen die Nerven hervor, die die Muskulatur des Armes und des Schultergürtels versorgen. Wir unterscheiden einen posterioren, einen lateralen
und medialen Faszikel sowie einen supra- und infraklavikulären Teil. Klinisch für den Nicht-Neurologen relevant sind die
Aufteilung in einen oberen Plexus (C5/C6) sowie unteren Plexus (C8/Th1). Im Rahmen von Traumata, hier insbesondere
Hochrasanztraumata bei Motorradfahrern, kommt es nicht selten zu erheblichen Verletzungen des Plexus, teilweise auch mit
Wurzelausrissen, besonders der unteren Anteile. Auf diese erhebliche Verletzung mit auch ungünstiger Prognose wird im
weiteren Verlauf nicht eingegangen, da sie in der truppenärztlichen Sprechstunde von untergeordneter Bedeutung ist. Durch
Gepäckmärsche oder auch andere Belastungen der Schulter im
Rahmen von Trageübungen oder auch Zwangshaltungen werden vorwiegend obere Plexusanteile in Mitleidenschaft gezogen. Im Rahmen von Prozessen der Lungenspitze (Pancoast-Tumor) kann es zu einer Infiltration oder Kompression des unteren
Plexus kommen, woraus sich langsam entwickelnde Paresen
oder auch ein Horner Syndrom entstehen können.
Symptomatik
Die Patienten können, wenn Sie mit den Beschwerden die
Sprechstunde besuchen, recht klar das auslösende Ereignis
schildern, auch wenn sie es nicht selbst unmittelbar kausal hiermit in Verbindung bringen. Nicht selten kommt es zum Beispiel
auch noch einen Tag nach Abschluss der Übung oder des
­Ausbildungsvorhabens zu einer verzögerten Verschlechterung
der Symp­tomatik. Im Falle einer oberen Plexuslähmung
­(Duchenne-Erb) sind vorwiegend die Muskeln des Schultergürtels betroffen. Am auffälligsten hierbei ist die paretische Armabduktion durch Lähmung des M. deltoideus (C5), wie aber
auch die beeinträchtigte Außenrotation und – in geringerem
Ausmaß – die Armbeugung. Gelegentlich findet sich im Rahmen dieser Läsionen auch eine Scapula alata. Diese wird, wenn
solitär als Ausdruck einer Läsion des N. thoracicus longus vorhanden, oftmals vom Pa­tienten selbst nicht bemerkt. Sie wird
klinisch apparent, wenn der Patient dem Untersucher den Rücken zudreht und den Arm antevertiert oder sich mit gestreckten Armen an der Wand abstützt.
Die untere Plexuslähmung (Déjerine-Klumpke) betrifft vorwiegend die Muskulatur des Unterarmes und der Hand. Insgesamt
folgen die sensiblen und motorischen Ausfallserscheinungen
keinem radikulären oder peripher nervalen muster.
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 48
06.02.15 13:26
A. Harth: Häufige Läsionen peripherer Nerven im wehrmedizinischen Alltag
Therapie
Im Falle komplexer Traumatisierungen besteht ggf. die Möglichkeit einer unmittelbaren oder verzögerten operativen Sanierung mit dem Versuch einer Anastomosierung; Wurzelausrisse
sind in aller Regel einer direkten Therapie nicht zugänglich.
Die Druckläsionen, welche zum Beispiel im Rahmen von militärischen Übungen oder Ausbildungsvorhaben erlitten werden,
heilen zu einem großen Teil folgenlos aus, wenn auch der Verlauf protrahiert sein kann. In Abhängigkeit vom Ausmaß der
Schädigung kann nach Wallerscher Degeneration ein Aussprossen neuer Axone zur Regeneration notwendig werden. Im Mittel beträgt die Wachstumsgeschwindigkeit ca. 1 - 2 mm pro Tag.
Wie bei allen Druckläsionen muss jede weitere darüber hinausgehende Druckeinwirkung vermieden werden.
Differenzialdiagnose
Stets sind radikuläre Läsionen und Erkrankungen der peripheren Nerven abzugrenzen. Im Falle einer unteren Plexuslähmung
muss auch an eine Raumforderung im Bereich der Lungenspitze gedacht werden, eine unnötige zeitliche Verzögerung der
­Diagnostik muss unterbleiben.
Hereditäre Neuropathien
Im Rahmen der elektrophysiologischen Diagnostik können regelmäßig hereditäre Neuropathien diagnostiziert werden. Die
häufigste, mit einer Prävalenz von 1 : 2 500 vorkommende, ist
die Charcot marie Tooth Neuropathie. Es handelt sich hierbei
um eine heterogene Gruppe von teils demyelinisierenden oder
axonalen Neuropathien, die mit einer erhöhten Vulnerabilität
der peripheren Nerven einhergehen. Die Diagnose wird elektrodiagnostisch gestellt und kann durch die freiwillige genetische
Diagnostik gesichert werden.1
Nicht selten werden diese Störungen im jungen Erwachsenenalter klinisch manifest. Eine frühzeitige Diagnose kann einen wesentlichen Beitrag im Rahmen der Berufswahl leisten, da ein
betroffener Soldat beispielsweise für eine infanteristische Verwendung nicht geeignet ist.
Diskussion
Im militärischen Alltag in der Fachuntersuchungsstelle Neurologie spielen die in diesem Artikel vorgestellten Krankheitsbilder eine wesentliche Rolle. Sie sind hier neben den noch weiter
verbreiteten Monoradikulopathien durch degenerative Wirbelsäulenerkrankungen ein Hauptkonsultationsgrund.
Die Diagnostik stützt sich im Wesentlichen auf die Anamnese
sowie die klinischen Befunde. Gestützt wird die Diagnose
durch die in der Fachuntersuchungsstelle zur Verfügung stehenden elektrophysiologischen Untersuchungen wie die Elektro­
neurographie und die Elektromyographie. Insbesondere bei
Nervenkompressionssyndromen findet die Neurosonologie zunehmend Anwendung und erlangt einen immer höheren Stellenwert, da sie es ermöglicht, unmittelbar und ohne Schädigung
Bilder des betroffenen Nerven anzufertigen und auch dynamische Prozesse, wie zum Beispiel die Luxation des N. ulnaris bei
Bewegung in der Funktion, aufzuzeigen.
49
Ergänzende bildgebende Verfahren wie Röntgen, CT oder das
mRT bleiben vereinzelten Fragestellungen oder untypischen
Verläufen vorbehalten und sind nicht selten entbehrlich.
Klare Syndrome – wie beispielsweise ein Carpaltunnelsyndrom
– können klinisch auch von Nicht-Neurologen erfasst und als
wahrscheinlich diagnostiziert werden. Auch andere Kompressionssyndrome oder Druckläsionen sind außerhalb des Krankenhauses diagnostizierbar und eine entsprechende Therapie kann
bereits begonnen werden. Die hier vorgestellten Erkrankungen
bedürfen oft nur einfacher Maßnahmen, um eine Besserung zu
erzielen; teure oder gar potenziell schädigende Therapieverfahren sind in aller Regel nicht indiziert. Die Substitution mit Vitaminen der B-Reihe bei Druckläsionen ist ohne nachgewiesenen
Effekt. Eine neurologische Vorstellung ist auch zur Erkennung
begleitender prädisponierender Erkrankungen geboten.
Fazit
Der Truppenarzt ist im Falle der Behandlung von Soldatinnen/
Soldaten derjenige ärztliche Ansprechpartner, welcher die Arbeitsumstände und Belastungen der jeweiligen Truppengattungen oder Einheiten am besten einzuschätzen weiß. Durch die
täglichen Kontakte kann er erfassen, welche Erkrankungen oder
Verletzungen mit einer entsprechenden Regelmäßigkeit oder
Häufigkeit am Standort auftreten und kann damit auch im Rahmen der Gesunderhaltung präventiv tätig werden. Hierzu ist eine
gewisse Kenntnis der Pathomechanismen auch neurologischer
Erkrankungen von Nöten und hilfreich. Auch der bei Übungen,
Ausbildungsvorhaben und im Einsatz begleitende Arzt sollte an
Druckläsionen peripherer Nerven denken und ggf. frühzeitig eingreifen, wenn erste Symptome einer Plexusläsion im Rahmen
von Zwangshaltungen auftreten. Das frühe Unterbrechen und
wiederkehrende Pausen verhindern im Einzelfall langwierige
Verläufe, in welchen der/die Betroffene teilweise vollständig aus
dem Routinedienst oder der Ausbildung ausscheidet.
Eine frühe Therapie kann auch bei erst späterem neurologischen Vorstellungstermin bereits durch den Truppenarzt eingeleitet werden; im Falle akuter Läsionen sollte im Zweifel die
notfällige Vorstellung erfolgen.
Von der Veranlassung bildgebender Verfahren ohne fachärztliche Empfehlung sollte im Sinne des Strahlenschutzes (CCT)
und nicht zuletzt auch aus wirtschaftlichen Gründen Abstand
genommen werden. Die Supplementierung mit B-Vitamin Präparaten ist ohne nachgewiesenen Nutzen, die Entlastung komprimierter Nerven hingegen nicht.
Bildquellen: Abb. 1 - 3: Oberfeldarzt Dr. Harth, Ulm
Korrespondierender Autor:
Oberfeldarzt Dr. Andreas Harth
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Abteilung VI A -NeurologieOberer Eselsberg 40
89081 Ulm
E-Mail: [email protected]
Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 49
06.02.15 13:26
50
Aus der Abteilung Neurologie (Leitender Arzt: Oberstarzt Dr. T. Duwe) des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg (Chefarzt: Generalarzt Dr. J.
Hoitz)
Schlafstörungen aus neurologischer Sicht
Sleep Disorders from a Neurological Perspective
Reinhard Stark
Zusammenfassung
Bei der Genese von Schlafstörungen differenziert man zwischen organischer (Obstruktion der Atemwege, Lungen- und
Hirnfunktionsstörungen, usw.) und nicht organischer Erkrankung. In diesem Artikel werden organisch-neurologisch
bedingte Schlafstörungen vorgestellt, Diagnoseverfahren erläutert und Therapiemöglichkeiten beschrieben. Zudem wird
auf die von der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin, in
Anlehnung an die American Academy of Sleep Medicine
(AASM) empfohlene Schläfrigkeitsdiagnostik eingegangen.
Schlagwörter: Insomnie, Hypersomnie, Parasomnie,
Schlaf­störung, Schläfrigkeitsdiagnostik
Summary
The causes of sleep disorders can be divided into organic
(airway obstruction, pulmonary and brain dysfunctions, etc.)
and non-organic disorders. This article describes sleep disorders with neurological causes as well as diagnostic methods
and treatment options. In addition, it also addresses the diagnosis of excessive daytime sleepiness (EDS) recommended
by the German Sleep Society (DGSM) and based on criteria
of the American Academy of Sleep Medicine (AASM).
Keywords: insomnia, hypersomnia, parasomnia, sleep disorder, EDS diagnosis
Einführung
Neurologisch bedingte Schlafstörungen sind bei jungen Soldaten im Vergleich zu der dort dominierenden Genese einer psychiatrischen Erkrankung eher selten. Ihre Inzidenz steigt mit
zunehmendem Lebensalter aber an. Am häufigsten sind periodische Beinbewegungen im Schlaf (periodic leg/limb movements
in sleep (PLMS)) zu finden, die auch im jüngeren Lebensalter
bereits eine Prävalenz von 4 % haben. Interessanterweise werden in der aktuell gültigen Internationalen Klassifikation der
Krankheiten (ICD-10) auch die schlafbezogenen Atmungs­
störungen (zentrales/obstruktives Schlafapnoesyndrom, schlafbezogenes Hypoventilationssyndrom) dem neurologischen
Fach­gebiet zugeordnet (“G“-Codierung). Gemäß dieser
ICD-10-Klassifikation werden Schlafstörungen unterteilt in
solche mit organischem Ursprung und in solche psychischer
Genese. Die organgebundenen Erkrankungen werden gegliedert in Ein- und Durchschlafstörungen, krankhaft gesteigertes
Schlafbedürfnis, Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, Schlaf­
apnoe-Syndrome, die Narkolepsie und Kataplexie und sonstige
Schlafstörungen.
Dieser Beitrag soll einen Überblick über die wichtigsten organisch-neurologischen Schlafstörungen geben sowie die grundlegenden diagnostischen Verfahren erörtern.
Krankheitsbilder
Ein- und Durchschlafstörungen (Insomnie)
Eine Insomnie zeichnet sich durch nicht erholsamen Schlaf aus.
Eine erhöhte Einschlafzeit, häufige Weckreaktionen mit teilweise längeren nächtlichen Wachphasen und ein frühmorgendliches Erwachen weit vor dem Weckerklingeln sind die Charakteristika der Erkrankung. Der Patient fühlt sich am Morgen erschöpft, weist eine verminderte Leistungsfähigkeit sowie Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen auf. Die müdigkeits­
assoziierte Konzentrationsminderung und dadurch bedingte
Neigung zu Arbeitsfehlern führen zu beruflichen Einschränkungen, die Reduktion des Antriebs und der Initiative teilweise zu
sozialer Isolation. Die Unfallgefährdung im Straßenverkehr ist
deutlich erhöht [1]. Begleitend werden häufig Organsymptome
(u. a. Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen) geklagt.
Eine manifeste Insomnie weist nach den diagnostischen Kriterien der ICD-10 ca. 6 % der deutschen Bevölkerung auf [2]. Ein
Großteil der Betroffenen leidet unter einer nichtorganischen
Störung. Primär bedarf es dennoch des Ausschlusses einer mitverursachenden somatischen Erkrankung. Nach Erhebung der
allgemeinen Anamnese, körperlicher Untersuchung und Bestimmung der unten angeführen Laborparameter ist ggf. eine
weitergehende psychiatrische und neurologische Untersuchung
mit Dokumentation der spezifischen Schlafanamnese erforderlich.
Mittels Polysomnographie und im Bedarfsfall weiterer neurophysiologischer Zusatzdiagnostik (z. B. Elektroencephalographie (EEG), Multipler Schlaflatenztest (MSLT)) werden schlafgebundene organische Erkrankungen (beispielsweise schlafgebundene Atmungsstörungen, Bewegungsstörungen) ausgeschlossen. Neurologische Erkrankungen, die sekundär mit nicht
erholsamem Schlaf vergesellschaftet sind, sind neurodegenerative Erkrankungen wie der M. Parkinson oder demenzielle Erkrankungen. Bei diesen Krankheitsbildern beklagen die Patienten häufig ausgeprägte Schlafstörungen, bedingt durch aufgelöste Tages- und Nachtrhythmik. Organische, nicht neurologische Ursachen einer Ein- und Durchschlafstörung sind beispielsweise die Hyperthyreose, (nächtliche) tachykarde Herzrhythmusstörungen und chronische Schmerzzustände.
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 50
06.02.15 13:26
R. Stark: Schlafstörungen aus neurologischer Sicht
51
Krankhaft gesteigertes Schlafbedürfnis (Hypersomnie)
Hypersomnien zeichnen sich durch eine erhöhte Tagesschläfrigkeit aus. Dies unterscheidet sie von den Insomnien, die mit
einer verstärkten Tagesmüdigkeit einhergehen. Trotz teilweise
ungestörten Nachtschlafs wirkt dieser nicht erholsam. Der Patient wacht am Morgen bereits “wie erschlagen“ auf und weist
über Tage eine gesteigerte, teils imperative Einschlafneigung
auf, auch außerhalb von monotonen Situationen. Die Häufigkeit
der Neigung zur verstärkten Tagesschläfrigkeit liegt in der Allgemeinbevölkerung bei 4 - 9 % [3, 4].
Die Einteilung der Schlafstörungen nach AASM-Kriterien
(American Academy of Sleep Medicine [5]) ordnet den Hypersomnien die Narkolepsie unter. Nach ICD-10-Kriterien wird
dieser Erkrankung ein eigenständiger Überpunkt zugewiesen,
so dass auf die Narkolepsie weiter unten eingegangen wird.
Zum Ausschluss einer Organerkrankung als Ursache einer Hypersomnie bedarf es einerseits der Abklärung in Bezug auf
schlafunterbrechende Störungen (z. B. schlafbezogene Atmungsstörungen, nächtliche Bewegungsstörung), andererseits
hinsichtlich Erkrankungen aus dem internistischen (kardial-endokrinen) Formenkreis. So führt eine Hypothyreose zu verstärkter Tagesmüdigkeit und kann zudem eine obstruktive
Schlafapnoe triggern [6]. Auch andere hormonelle Fehlsteuerungen können ein obstruktives Schlafapnoesyndrom initiieren
und dadurch zu einer Hypersomnie führen. Hierzu zählen unter
anderem die verstärkte Ausschüttung des Wachstumshormons
mit konsekutiver Akromegalie, das Cushing-Syndrom bei Hypercortisolismus, der ACTH-Überschuss bei z. B. M. Cushing
und der Diabetes mellitus. Kardiale Erkrankungen wie die Hypotonie und die Herzinsuffizienz sind oftmals begleitet von verstärkter Müdigkeit. Eine Niereninsuffizienz, Schlaganfälle und
entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems können ebenfalls eine Schlafstörung, zudem auch komplexe schlafgebundene Atmungsstörungen initiieren.
der oberen Atemwege eine Abnahme der Obstruktion bewirken
[8]. Operative Verfahren sollten nur bei Unverträglichkeit der
nicht operativen Möglichkeiten angewendet werden.
Schlafbezogene Atmungsstörungen
Bei den schlafbezogenen Atmungsstörungen unterscheidet man
solche mit und ohne Obstruktion der Atemwege.
Atmungsstörungen mit Obstruktion:
Je nach Grad der Obstruktion differenziert man das harmlose
primäre Schnarchen, die Frühform der Atmungsstörung, das sogenannte Upper Airway Resistance Syndrom und schließlich
die manifeste obstruktive Schlafapnoe. Bezüglich der Schweregradeinteilung ist neben der Symptomatik einer erhöhten Tagesschläfrigkeit der Apnoe-Hypopnoe-Index pro Stunde Schlaf
(AHI) entscheidend. Eine verbindliche Definition existiert hierzu allerdings nicht. Nach der Medizinischen Leitlinie “Nicht
erholsamer Schlaf - Schlafstörungen“ wird ein obstruktives
Schlafapnoesyndrom mit einem AHI bis 15 als leichtgradig,
zwischen 15 und 30 als mittelgradig und ab einem AHI größer
als 30 als schwergradig eingestuft [7].
Therapeutisch wird je nach Ursache und Ausprägung ein Rückenlagevermeidungstraining, eine Unterkieferprotrusionsschiene, insbesondere aber die Überdrucktherapie (vornehmlich mittels kontinuierlich positivem Atmungsdruck (CPAP))
empfohlen. Zu einer generellen Verbesserung führt eine Gewichtsreduktion bei bestehender Adipositas. Aber auch Didgeridoo-Spielen soll durch Kräftigung der Weichteilmuskulatur
Als Ursache wird eine Überaktivität des REM-Schlaf steuernden Systems beschrieben, welches durch seine passagere Aktivierung zumindest die REM-Schlaf assoziierten Symptome erklärbar macht (Kataplexie, hypnagoge Halluzinationen und
Schlaflähmung). Parallel dazu kommt es zu einem Abfall der
Hormone Hypocretin 1 und 2. Diese Peptide scheinen stimulierend auf die Wachheit fördernden Systeme zu wirken. Mit einer
Prävalenz von 26 - 50 pro 100 000 Einwohner ist diese Erkrankung keineswegs selten [9, 10]; obwohl klare Diagnosekriterien
vorliegen, ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen [10].
Nur ca. 1/3 der Patienten weist das Vollbild der Erkrankung auf;
insbesondere zu Beginn kann sich die Narkolepsie monosymptomatisch präsentieren, vorrangig mit dem Leitsyndrom der Tagesschläfrigkeit. Erst im Laufe von Jahren treten bei den meisten Patienten dann weitere Symptome hinzu.
Atmungsstörungen ohne Obstruktion:
Hierunter werden einerseits Erkrankungen subsumiert, die den
Atmungsantrieb im Hirnstamm hemmen (zentrales Schlaf­
apnoesyndrom), beispielsweise primäre Hirnerkrankungen
(u. a. Schlaganfall, Enzephalitis) und/oder eine manifeste Herzoder Niereninsuffizienz. Andererseits fallen in diese Kategorie
die Hypoventilations- bzw. Hypoxämiesyndrome.
Therapeutisch bedarf es in diesen Fällen vorrangig einer Posi­
tiv­druckbeatmung (Bilevel-Therapie).
Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus
Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus (zirkadiane Rhythmusschlafstörungen) finden sich gehäuft bei Schichtarbeitern,
blinden, alten oder dementen Patienten. Zudem erlebt jeder
Fluggast mit Transmeridianflug diese in mehr oder weniger
ausgeprägter Form. Bei dieser sogenannten “Jetlag-Symptomatik“ kann 4 Tage vor dem geplanten Flug Melantonin zu der
voraussichtlichen Schlafzeit am Zielort eingenommen werden.
Narkolepsie und Kataplexie
Narkolepsie ist definiert als eine chronische Erkrankung, die
meist zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr beginnt und durch
eine erhöhte Einschlafneigung am Tage (auch in ungewöhnlichen Situationen, z. B. während des Essens oder eines Gespräches), Kataplexien (plötzlicher Muskeltonusverlust mit der Folge eines Zusammensackens bei emotionaler Erregung ohne
Verlust des Bewusstseins), Schlaflähmungen und sogenannte
hypnagoge Halluzinationen (“verfrühter Traumschlaf“ - lebhafte Vorstellungen, die während des Einschlafens auftreten und
meist negativ getönt sind) gekennzeichnet ist. (Tabelle 1)
Zur medikamentösen Behandlung der Tagesschläfrigkeit ist
Modafinil und Methylphenidat (BTM-pflichtig), zur Therapie
der REM-Schlaf-assoziierten Symptome ist Clomipramin und
Natriumoxybat (BTM-pflichtig) zugelassen [11]. Ergänzend
bedarf es aber auch verhaltensmodifizierender Maßnahmen:
Verbesserungen können durch die Anwendung von Coping-Strategien, einer strikten Schlafhygiene (u. a. kein Schichtdienst, Alkoholverbot) und durch die Einrichtung individuell
angepasster Tagschlafepisoden erreicht werden.
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 51
06.02.15 13:26
52
R. Stark: Schlafstörungen aus neurologischer Sicht
Tabelle 1: Diagnosekriterien der Narkolepsie gemäß der International
Classification of Sleep Disorders (ICSD-2)
Narkolepsie mit Kataplexie
AExzessive Tagesschläfrigkeit täglich oder nahezu täglich seit
mindestens drei Monaten
BDefinitive Kataplexie (plötzliche und transiente Episoden von
Muskeltonusverlust getriggert durch Emotionen)
CWenn immer möglich Bestätigung mittels Polysomnographie
und multiplem Schlaflatenztest (mittlere Einschlaflatenz unter
acht Minuten* + mindestens zwei Sleep Onset REM-Perioden)
ODER
Hypocretin-1 Spiegel ist im Liquor erniedrigt (≤ 110 pg/ml
oder ein Drittel der normalen mittleren Kontrollwerte)
D Ausschluss einer anderen Ursache
Narkolepsie ohne Kataplexie
AExzessive Tagesschläfrigkeit täglich oder nahezu täglich seit
mindestens drei Monaten
B Eindeutige Kataplexien fehlen
CBestätigung mittels Polysomnographie und multiplem
Schlaflatenztest (mittlere Einschlaflatenz unter acht Minuten*
+ mindestens zwei Sleep Onset REM-Perioden)
DDie Hypersomnie ist nicht durch andere schlafmedizinische,
neurologische beziehungsweise psychiatrische oder internistische Erkrankungen besser erklärt, auch nicht durch Gebrauch
von Medikation oder Substanzen.
*Schlaflatenzen unter acht Minuten sind nicht spezifisch und können auch
in anderem Zusammenhang vorkommen. Vor dem multiplen Schlaflatenztest ist die Durchführung einer Polysomnographie gefordert, welche eine
nächtliche Schlafzeit von mindestens sechs Stunden aufweist.
Auf die Durchführung der Polysomnographie und des Multiplen
Schlaflatenztests im Rahmen der Narkolepsie-Abklärung wird
im Abschnitt “Diagnostik“ eingegangen.
REM-Schlaf-Verhaltensstörungen
Bei der REM-Schlaf-Verhaltensstörung, die häufig mit degenerativen ZNS-Erkrankungen wie z. B. Morbus Parkinson bzw.
Parasomnien assoziiert ist, fehlt die physiologische Muskeltonusblockade im Traumschlaf. Trauminhalte werden somit mit
passender motorischer Aktivität “ausgelebt“ (der Einbrecher
wird in die Flucht geschlagen, der Angreifer niedergerungen).
Dadurch kann der Bettnachbar unbewusst verletzt werden und
der Patient sich selber bei groben Bewegungen im Schlaf Schaden zufügen. Betroffene weisen u. a. während des REM-Schlafes einen erhöhten Kinnmuskeltonus auf. Der fehlende Abfall
dieser Muskelaktivität im submentalen EMG ist neben anderen
Kriterien diagnostisch wegweisend. Therapeutisch kann lediglich symptomatisch mit z. B. Benzodiazepinen (Clonazepam)
behandelt werden.
Periodische Bewegungen der Gliedmaßen im Schlaf (periodic limb movements in sleep – PLMS)
PLMS sind durch schlafgebundene episodisch auftretende periodische Bein- oder seltener Armbewegungen gekennzeichnet.
Sie können einseitig, beidseitig, symmetrisch oder alternierend
auftreten. Diese Phänomene werden überwiegend in den
Schlafstadien N1 und N2 beobachtet; im REM-Schlaf treten sie
am wenigsten auf. Ebenfalls findet man sie beim Übergang vom
Wachen zum Schlaf. Die Symptomatik findet sich bei Gesunden im Alter zwischen 30 und 50 Jahren in etwa 5 %, bei über
50-jährigen in etwa 30 %. (Tabelle 2)
Tabelle 2: Diagnosekriterien der Periodischen Beinbewegungen im
Schlaf gemäß der International Classification of Sleep Disorders
(ICSD-2)
PLMS-Diagnosekriterien
A.Im Polysomnogramm finden sich periodische Beinbewegungen im Schlaf (periodic leg movements in sleep – PLMS)
B.Der PLMS-Index (Anzahl der PLMS pro Stunde Schlafzeit)
ist > 5/h bei Kindern und > 15/h bei Erwachsenen.
C. Der Patient klagt über Schlafstörungen oder Tagesmüdigkeit.
D.Die PLMS können nicht durch eine andere schlafbezogene
Erkrankung (RLS, REM-Schlaf Verhaltensstörung oder
Narkolepsie) oder neurologische / internistische Erkrankung,
Medikamenteneinnahme oder Substanzmissbrauch erklärt
werden (PLMS, die am Ende von Apnoe-Phasen auftreten,
sollten nicht als „echte“ PLMS gewertet werden).
PLMS gehen häufiger mit anderen Schlafstörungen einher; sie
treten bei Insomnie, bei der Schlafapnoe, bei der Narkolepsie
oder auch der REM-Schlaf-Verhaltensstörung (s.o.) gehäuft
auf.
PLMS führen häufig zu einem Beinaheerwachen (Microarousal) und im ausgeprägten Krankheitsbild zu einer dadurch
bedingten Aufhebung der Schlafarchitektur mit konsekutiv ausgeprägter Tagesschläfrigkeit. Zur Einordnung des Schweregrades ist der PLM-Arousal-Index in Kombination mit der vom
Patienten beschriebenen Beschwerdesymptomatik gefragt. Bis
zu 5 PLMS pro Stunde Schlaf zeigen einen eher unauffälligen
Befund, 5 bis 20 PLMS/Stunde eine leichte Störung, über 20
eine moderate und über 60 eine schwere Erkrankung auf. Therapeutisch werden nach Ausschluss einer behandelbaren Grunderkrankung (Z. B. Eisen-, Vitamin B12-Mangel, Nierenfunktionsstörung oder Schilddrüsenerkrankung, Medikamenteninteraktion) symptomatisch L-Dopa oder Dopaminagonisten gegeben [11].
Diagnostik bei Schlafstörungen
Bei Schlafstörungen jeglicher Art bedarf es primär einer organischen Differenzialdiagnostik. So kann wiederholt nächtliches
Erwachen bzw. der nichterholsame Schlaf Ausdruck einer somatischen Erkrankung sein. Findet sich in der Anamnese und
Basisdiagnostik (u. a. Laborscreening gem. Tabelle 3, Ausschluss Herzerkrankung, Lungenerkrankung, höhergradige
Stoffwechselstörung, Schilddrüsenerkrankung, neurologische
Erkrankung, s. o.) und ggf. spezifischen schlafmedizinischen
Abklärung (häusliche Polygraphie, stationäre Polysomnographie) kein relevanter organischer Befund einerseits, andererseits anamnestisch belastende psychische Faktoren, ist die Ursache einer nicht organischen Ein- und Durchschlafstörung
(Insomnie) wahrscheinlich. In diesen Fällen bedarf es weiterge-
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 52
06.02.15 13:26
R. Stark: Schlafstörungen aus neurologischer Sicht
Tabelle 3: Empfohlenes Laborscreening bei Schlafstörungen
•
Blutbild,
•
Blutsenkung,
•
C-reaktives Protein,
•
Elektrolyte (Natrium, Kalium, Kalzium),
•
Glukose,
•
Schilddrüsenparameter,
•
Kreatinin,
•
Harnstoff,
•
Transaminasen und
•
Gamma-Glutamyl-Transferase.
Bei entsprechendem Verdacht zusätzlich Vitamin B 12, Folsäure,
Eisenstoffwechsel und Blutzuckertagesprofil
hender psychiatrischer Exploration und ggf. multimodaler
(pharmakologisch-psychotherapeutischer) Therapie.
Die klassische neurologische Diagnostik bei Schlafstörungen
umfasst neben der EEG-Diagnostik den multiplen Wachbleibeund multiplen Schlaflatenz-Test sowie die Polysomnographie.
Elektroenzephalographie (EEG)
Mittels EEG-Diagnostik wird als Basismaßnahme die Hirnaktivität aufgezeichnet. Ergeben sich hier Auffälligkeiten, muss
eine weitergehende cranielle Bildgebung, bevorzugt Kernspintomographie, erfolgen. Eine Verlangsamung der EEG-Aktivität
kann im Sinne einer Allgemeinveränderung beispielsweise auf
Stoffwechselstörungen oder Hirnabbauprozesse hinweisen. Bei
fokalen Unterschieden zwischen der rechten und der linken
Hirnhemisphäre bedarf es des Tumor-, Schlaganfall- und Entzündungsausschlusses. Graphoelemente der Erregbarkeitssteigerung
können ein Zeichen für (schlafgebundene) epileptische Anfälle sein.
Ist diese Diagnostik unauffällig,
folgt im Anschluss bei verstärkter
Tagesschläfrigkeit der multiple
Wachbleibe-Test.
Multipler Wachbleibetest (MWT)
Der MWT wird insbesondere zur
Objektivierung und besseren Einordnung einer erhöhten Einschlafneigung durchgeführt und testet die
Fähigkeit des Wachbleibens während monotoner Tätigkeiten, z. B.
nächtlicher Autobahnfahrten. Als
alleinige Methode zur Erfassung einer Tagesschläfrigkeit ist er zu unpräzise. Der Patient erhält die Anweisung, während der Diagnostik
mit offenen Augen dazusitzen, keinesfalls einzuschlafen. Es finden im
Tagesverlauf vier bzw. fünf
EEG-Ableitungen mit einer Dauer
von mindestens 20 Minuten statt. Im
Vorfeld muss ausreichend Nachtschlaf bestanden haben. Mindestens
sechs Stunden sind gefordert, im
Idealfalls dokumentiert mittels Polysomnographie. Der Patient sitzt in
53
einem bequemen Liegestuhl, darf den Kopf auflegen, darf sich
aber nicht durch Setzen von Schmerzreizen, Erzählen etc. wach
halten. Je nach Autor gelten Einschlaflatenzen unter elf beziehungsweise acht Minuten als pathologisch [12, 13].
Multipler Schlaflatenztest (MSLT)
Ganz anders ist die Fragestellung beim MSLT, der mit ähnlichem
Setting durchgeführt wird (5 Durchgänge über Tage, Registrierung der EEG-Aktivität jeweils über mindestens 20 Minuten,
ausreichend Nachtschlaf im Vorfeld). Hier bekommt der Betroffene die Aufgabe, schnellstmöglich einzuschlafen. Die Ableitung
erfolgt beim im Bett liegenden Patienten, der Raum wird abgedunkelt. Begleitend zur Einschlaflatenz wird die Schlaftiefe
(Schlafstadium 1 bis 3) und zusätzlich mittels EOG (Elektrookulogramm) mögliche SOREM (sleep-onset-REM-Phasen, “verfrühter Traumschlaf“, siehe oben bei Vorstellung der Narkolepsie) registriert. Traumschlaf (REM-Schlaf) stellt sich im Durchschnitt während des Nachtschlafes erst nach 90 Minuten ein. Erreicht der Patient in zwei dieser Tagesnaps SOREM-Phasen, ergibt sich der Hinweis auf eine Narkolepsie [14]. Narkoleptiker
weisen zudem eine durchschnittliche Einschlaflatenz von drei
Minuten auf. Ähnlich wie beim MWT werden Einschlaflatenzen
unter zehn Minuten als auffällig gewertet.
Polysomnographie (PSG)
Die PSG stellt das Kernstück bei der Diagnostik von Schlafstörungen dar. Mit ihr lassen sich u. a. die Verteilung der
Abb. 1: Polysomnographie bei zentraler Apnoe: Beinbewegungen, bevorzugt des linken Beines (erste
Spur) mit konsekutiver Weckreaktion (Mikroarousal) in der 5 Minuten-Darstellung der Polysomnographie (01:42:58 – 01:47:58); zusätzlich stellen sich 2 zentrale Atmungsaussetzer (Apnoen) ohne
Atmungsfluss (dritte Spur) und mit aussetzender Thorax-/Abdomenexkursion (Spuren 4 und 5) dar. Die
Sauerstoffsättigung bleibt dabei konstant (Spur 6).
Gemessene Parameter: EMG-tib-li / EMG-tib-re = EMG linkes/rechtes Bein; Atm-Flow = Atmungsfluss;
Atm.-Thor./Atm-.Abdo. = Thorax-/Abdomenexkursion; SaO2 = Sauerstoffsättigung; Snore = Schnarchen
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 53
06.02.15 13:26
54
R. Stark: Schlafstörungen aus neurologischer Sicht
werden musste [15]. Insbesondere bei schlafbezogenen Atmungsstörungen muss häufig
ein Wechsel der Diagnose erfolgen oder eine relevante schlafbezogene Zweitdiagnose gestellt werden.
Fazit
Schlafstörungen haben erhebliche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit im Beruf und im
täglichen Leben. Aus wehrmedizinischer Sicht darf ihr Einfluss
auf die Fähigkeit zur Ausübung
komplexer militärspezifischer
Tätigkeiten nicht unterschätzt
werden, kann hier doch die geminderte Leitungsfähigkeit eines Soldaten/einer Soldatin
durchaus auch das ganze Team
gefährden.
Eine sorgfältige “State oft he
Art“-Diagnostik von Schlafstörungen ist deshalb sowohl im
Sinne einer bestmöglichen Therapie des/der Betroffenen als
auch zur Beurteilung der individuellen Verwendungsfähigkeit
zwingend erforderlich. Diese
sollte deshalb nicht zuletzt wegen der Kenntnis des militärischen Umfeldes und der Möglichkeit zur multidisziplinären
Diagnostik und Therapie in Bundeswehrkrankenhäusern erfolgen.
Abb. 2: Periodische Beinbewegungen im Schlaf (PMLS) (1. und 2. Spur) mit konsekutiver Weckreaktion
(Mikroarousal) in der 10 min-Darstellung der Polysomnographie (22:30:11 – 22:40:14). Die scheinbar
schwankende Sauerstoffsättigung (6. Spur) begründet sich durch Messartefakte, bedingt durch PMLS
assoziierte Körperbewegungen.
Gemessene Parameter: Siehe Abb. 1
Schlafphasen, die Einschlaflatenz, die Häufigkeit des Erwachens (Arousals) und die Dauer der Wachperioden ermitteln
und deren Ursache detektieren (beispielsweise höhergradige
Atmungsstörungen, Herzrhythmusstörungen, unwillkürliche
Körperbewegungen). Unregelmäßigkeiten der Herzfrequenz
können neben primären Herzerkrankungen auch im Rahmen
von Atmungsstörungen oder nächtlichen Angstreaktionen
vorkommen. Zudem wird die Schlafarchitektur erfasst. Diese
ist physiologisch gekennzeichnet durch ein periodisches Muster (Zyklus) zwischen Leichtschlaf, mitteltiefem Schlaf und
Tiefschlaf, gefolgt von einer Traumschlafphase. Alle Zyklen
addiert ergeben das Hypnogramm. Mittels Atmungsfühler,
Brust- und Bauchgurt wird die Atmungsperiodik und deren
Tiefe festgehalten. Mittels Pulsoximetrie werden die Sauerstoffsättigung, mittels Kehlkopf- und Raummikrophon
Schnarchen und Sprechen im Schlaf (Somniloquie) dargestellt. Mittels Elektroden an den Unterschenkeln und an der
Kinnmuskulatur wird Muskelaktivität aufgezeichnet. An den
Beinen dient diese Diagnostik führend zur Darstellung von
periodischen Beinbewegungen, an der Kinnmuskulatur zur
Detektion von Zähneknirschen (Bruxismus) und einer veränderter Muskelanspannung in Abhängigkeit der unterschiedlichen Schlafphasen. Der an der Brust angebrachte Lagesensor
dokumentiert die Schlafposition (Rückenlage, Seitenlage,
Bauchlage).
In zahlreichen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass
der Anteil von ambulant gestellten Diagnosen nach einer PSG
in bis zu 50 % der Fälle modifiziert oder wesentlich ergänzt
Literatur
1. Zulley J, Cronlein T, Hell W, Langwieder K: Falling asleep at the
wheel: the chief cause of severe traffic accidents. Wien Med Wochenschr 1995; 145 (17–18).
2. Schlack R, Hapke U, Maske U, Busch M A, Cohrs S: Häufigkeit
und Verteilung von Schlafproblemen und Insomnie in der deutschen Erwachsenenbevölkerung, Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsblatt 2013; 56 (740–748).
3. Dauvilliers Y, Buguet A: Hypersomnia. Dialogues Clin Neurosci
2005; 7 (347-356).
4. Young TJ, Silber MH: Hypersomnias of central origin. Chest 2006;
130 (913-920).
5. American Acadamy of Sleep Medicine (ed) (2005) International
classification of sleep disorders, 2nd edn: Diagnostic and coding.
American Academy of Sleep Medicine, Westchester, IL.
6. Michael W , Patrick L: Hypothyreose und OSAS: Assoziation mit
einer Zungengrundstruma. Somnologie Volume 10, February
2006; Issue 1 (21–26).
7. S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin
(DGSM). In: AWMF online (Stand 2009).
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 54
06.02.15 13:26
55
R. Stark: Schlafstörungen aus neurologischer Sicht
8. Puhan M et al.: Didgeridoo playing as alternative treatment for
obstructive sleep apnoea syndrome: randomised controlled trial.
BMJ 2006; 332 (266).
9. Hublin C, Partinen M, Kaprio J et al.: Epidemiology of narcolepsy.
Sleep 1994; 17 (S7–S12)
10. Dauvilliers Y, Arnulf I, Mignot E: Narcolepsy with cataplexy. Lancet 2007; 369 (499–511)
11. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 5., vollständig überarbeitete Auflage, Thieme-Verlag 2012, ISBN 978-313-132415-3.
12. Doghramji K, Mitler M, Shapiro C et al.: A normative study of the
maintenance of wakefulness test (MWT). Electroencephalography
Clin Neurophysiol 1997; 103(5) (554–562).
13. Sullivan S, Kushida C: Multiple Sleep Latency Test and Maintance
of Wakefulness Test. Chest 2008; 134 (4) (854–861).
14. Mignot E, Lin L, Finn L et al.: Correlates of sleep-onset REM periods during the Multiple Sleep Latency Test in community adults.
Brain 2006; 129 (1609–1623).
15. Praxis der Schlafmedizin, Springer Verlag 2009, ISBN 978-3-54088699-0 von Boris Stuck, Joachim T. Maurer, Michael Schredl,
H.-G. Weeß.
Korrespondierender Autor:
Oberfeldarzt Dr. Reinhard Stark
Facharzt für Neurologie - Psychotherapie, Schlafmedizin
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Abteilung Neurologie
Lesserstr. 180, 22149 Hamburg
E-Mail: [email protected]
Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.
Aus Forschung und Wissenschaft
In der Rubrik “Aus Forschung und Wissenschaft“ soll eine Auswahl von wehrmedizinischen Forschungsprojekten, Studien
usw. vorgestellt werden, die aktuell durchgeführt werden. Außerdem sollen hier Ergebnisse/Zwischenergebnisse von wissenschaftlichen Projekten aus dem Sanitätsdienst veröffentlicht
werden, soweit diese nicht als Artikel in der WMM erscheinen.
Und nicht zuletzt kann hier auch über Ergebnisse aus Forschungsprojekten / Studien berichtet werden, an denen Angehörige des Sanitätsdienstes z. B. im Rahmen von Verbundforschungsvorhaben beteiligt waren. In dieser Ausgabe wird ein
aktuell am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg startendes Sonderforschungsprojekt berichtet, auf welches z. B. durch Aushang in der Sanitätseinrichtung hingewiesen werden kann.
Todbringende Monotonie
Verstärkte Tagesschläfrigkeit im Einsatzgeschehen
Unter der Projektnummer 19K2-S-321515 beginnt in der Abteilung Neurologie am BwKrhs Hamburg ab April 2015 ein wehrmedizinisches Sonderforschungsvorhaben, mit dem die Erkrankung der verstärkten Tagesschläfrigkeit testdiagnostisch objektiv erfasst und individuell eingeordnet werden soll. Hypersomnie (verstärkte Tagesschläfrigkeit) ist eine häufige Ursache für
lebensgefährdende Fehlhandlungen. Triggerfaktoren sind, neben einer individuellen Prädisposition, Tätigkeiten mit Schlafentzug und erhöhte Monotoniebelastung. Diesen ist der Soldat
im Einsatz einerseits verstärkt und teilweise unvorhersehbar
ausgesetzt, andererseits wird gerade unter diesen Umständen
von ihm gefordert, immer wach, aufmerksam und reaktionsschnell lebensrettend tätig zu sein. Schläfrigkeits- und aufmerksamkeitsbezogene Einschränkungen haben Auswirkungen auf
die Fahrtauglichkeit und kognitive Leistungsfähigkeit, insbesondere an einem Arbeitsplatz mit Monotoniehäufung.
Oberfeldarzt Dr. Reinhard Stark ist mit der Durchführung der
Untersuchungen beauftragt. Er hat zu diesem Thema u.a. in der
WMM 12-2013 (S. 326) berichtet und stellt in dieser Ausgabe
die neurologischen Ursachen von Schlafstörungen vor.
Bei der im März beginnenden Studie werden gängige und für
die Hypersomniediagnostik von der Deutschen Gesellschaft für
Schlafmedizin empfohlene neurophysiologische Testverfahren
auf der einen und psychologische Diagnostik auf der anderen
Seite gemäß ihrer Gütekriterien verglichen. Ziel ist es, ein optimales Screeningverfahren bzw. eine erforderliche Kombination
einzelner Tests herauszuarbeiten.
Alle angewendeten Testverfahren sind seit Jahren im Krankenhaus etabliert; sie sind für den Probanden risikofrei und selbstverständlich schmerzlos. Die Diagnostik wird innerhalb eines
Tages abgeschlossen sein.
Probanden gesucht
Für die Untersuchung werden einerseits “gesunde“ Probanden,
andererseits Soldatinnen/Soldaten gesucht, die unter verstärkter
Tagesschläfrigkeit leiden. Hierzu sollte durch den Truppenarzt/
die Truppenärztin bzw. durch interessierte Soldatinnen/Soldaten selbst mit dem beauftragten Arzt Kontakt aufgenommen
werden. Rückfragen können ebenfalls an die u. a. Kontaktadresse gerichtet werden.
Sonderforschungsvorhaben 19K2-S-321515
“Todbringende Monotonie - Verstärkte
Tagesschläfrigkeit im Einsatzgeschehen“
Kontaktdaten:
Oberfeldarzt Dr. Reinhard Stark
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg –
Abteilung Neurologie
Tel.: 040 / 6947 -16300 (BwKennzahl : 7947 – 16300)
Email: [email protected]
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 55
06.02.15 13:26
56
Aus dem Sanitätsdienst
12 Monate FUAV
Förderverein zur Unterstützung der Arbeit mit Versehrten
am Zentrum für Sportmedizin der Bundewehr vor einem
Jahr gegründet
Am 27.02.2014 wurde am Rande der Arbeitstagung der Offiziere des Sanitätsdienstes des Nordens in Damp der Förderverein
zur Unterstützung der Arbeit mit Versehrten am Zentrum für
Sportmedizin der Bundeswehr – kurz FUAV – gegründet. Die
Initiative hierzu war aus dem Arbeitskreis der Offiziere des Militärfachlichen Dienstes (OffzMilFD) der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie (DGWMP e.V.)
gekommen, die diese Idee nach einem Vortrag von OTA Dr.
Lison, dem Leiter des Zentrums für Sportmedizin in Warendorf,
zum Präventionsprogramm nach Einsatzschädigung entwickelten.
Dem Präventionsprogramm nach Einsatzschädigung liegt der
umfassende Rehabilitationsbegriff der WHO zugrunde. Dabei
geht es nicht nur um Verbesserung der körperlichen und seelischen Verfassung sondern um psychologische und soziale Inhalte mit dem Ziel der größtmöglichen Teilhabe des Individuums, dem Recht auf fachübergreifende medizinische Früherkennung, der bestmöglichen Wiedereingliederung ins Arbeitsleben sowie der Teilhabe am Sport. Dabei ist die Möglichkeit
zur Teilnahme an diesem Programm nicht nur einsatzgeschädigten Soldatinnen/Soldaten vorbehalten; vielmehr kommen
die Maßnahmen allen Bundeswehrangehörigen zu Gute, die auf
Grund schwerer Verletzungen und/oder Erkrankungen eine
bleibende Behinderung erlitten haben. Sporttherapeutische
Maßnahmen unterstützen den Heilungsprozess und tragen entscheidend dazu bei, dem Betroffenen ein langfristiges Selbstmanagement zu ermöglichen. Neben Sporttherapie-Lehrgängen
an der Sportschule der Bundeswehr gehören auch die Teilnahme an nationalen und internationalen Sportwettkämpfen im Behindertensport sowie die Betreuung der Angehörigen dazu.
Der FUAV hat sich zum Ziel gesetzt, Bundeswehrangehörigen
mit Behinderung diese möglichst umfassende Teilhabe zu ermöglichen, und zwar durch finanzielle und ideelle Unterstützung. Bereits im ersten Jahr seines Bestehens konnte der FUAV
aus Spenden fünf Hochleistungs-Sportbögen, ein Sitzvolleyballfeld und zwölf Sportrollstühle für Basketballspiele beschaffen. Die Sportteilnahme von Gesunden und Behinderten “auf
Augenhöhe“
wird
damit möglich. Als
nächste Ziele stehen
die
Realisierung
konkreter
Betreuungsangebote
für
Familien und die
Förderung der internationalen Kooperation, insbesondere
mit den USA und
Großbritannien, im
Rahmen von Sportwettkämpfen an.
Beim Sitzvolleyball spielen Versehrte und Gesunde auf Augenhöhe – mit Hilfe des FUAV wurde die Anlage im
September 2014 erstellt.
Bildquelle: FUAV
An diese positive Bilanz des ersten Jahres
gilt es anzuknüpfen.
Hierzu kann von jedem durch eine Mitgliedschaft und/oder
(projektbezogenen)
Spenden ein Beitrag
geleistet werden. Detaillierte Informationen finden sich auf
der
Internetseite
www.fuav.de.
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 56
06.02.15 13:26
57
Personalia
Nachruf auf Admiraloberstabsarzt a. D.
Dr. Karsten Ocker
Am 26. Januar 2015 verstarb der ehemalige Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Herr Admiraloberstabsarzt a. D.
Dr. Karsten Ocker, im Alter von 69 Jahren.
Geboren am 23. März 1945 in
Holte (Emsland) studierte Karsten Ocker Medizin an der Christian-Albrechts-Universität zu
Kiel, der Universität Wien und
der Medizinischen Akademie
zu Lübeck. Seine Approbation
als Arzt und die Promotion zum
Dr. med. erlangte er im Jahr
1974 und leistete unmittelbar
im Anschluss daran seinen
Grundwehrdienst als Stabsarzt
und Geschwaderarzt beim 1.
U-Bootgeschwader in Kiel ab.
Diese erste Berührung mit der
Bundeswehr war für Dr. Ocker
so prägend, dass er nach nur
zwei Jahren als Assistenzarzt an
der Klinik für Unfallchirurgie
der Medizinischen Hochschule
Hannover den Weg zurück in
die Truppe suchte und schließlich am 3. Oktober 1977 als Berufssoldat in Marineuniform im
vorläufigen Dienstgrad Oberstabsarzt in den Sanitätsdienst der
Bundeswehr eintrat.
Nachdem Dr. Ocker zunächst
als Truppenarzt in den Sanitätsstaffeln der Marinefliegergeschwader 1 in Kropp und 3 in Admiraloberstabsarzt Dr. Ocker
Nordholz eingesetzt war, absolvierte er im Jahr 1979 den internationalen Fliegerarztlehrgang
bei der US Navy in Pensacola, Florida, und kehrte als Fliegerarzt zurück nach Nordholz, wo er fast 5 Jahre tätig war. In diese
Zeit fielen die Beförderung zum Flottillenarzt und die Anerkennung als Fliegerarzt der Bundeswehr, aber auch die Zuerkennung der Facharztbezeichnung “Arzt für Arbeitsmedizin“ durch
die Ärztekammer Niedersachsen im Jahr 1981. Von 1984 bis
1985 folgte eine weitere Verwendung als Fliegerarzt beim Marinefliegergeschwader 5 in Kiel, bevor Dr. Ocker unter gleichzeitiger Beförderung zum Flottenarzt auf den Dienstposten des
Divisionsarztes der Marinefliegerdivision in Kiel wechselte. Ab
1991 war Dr. Ocker als Kommandoarzt des Territorialkommandos Schleswig-Holstein sowie als Wehrbereichsarzt des
Wehrbereichskommandos I und Divisionsarzt der 6. Panzergrenadierdivision tätig.
Ausgestattet mit diesen umfangreichen Erfahrungen aus einem
breiten militärischen und fachlichen Verwendungsaufbau wur-
de Dr. Ocker 1995 ins Bundesministerium der Verteidigung in
Bonn versetzt und war dort zunächst als Referatsleiter InSan II
4 (Ausbildung) und ab 1997 als Referatsleiter InSan I 1 (Wehrmedizinische Grundsatzfragen) tätig.
Mit der Übernahme der Position des Admiralarztes der Marine
erfolgte am 1. Oktober 1998 die Beförderung zum Admiralarzt.
Im Oktober 2001 wurde ihm
die Verantwortung als Kommandeur des neu aufgestellten
Sanitätskommandos I in Kiel
übertragen.
Bereits 6 Monate später, am
1. April 2002, wurde Dr. Ocker
zurück nach Bonn berufen, wo
er mit Beförderung zum Admiralstabsarzt
Stellvertreter
des Inspekteurs des Sanitätsdienstes und Chef des Stabes
der Inspektion des Sanitätsdienstes im Bundesministerium der Verteidigung wurde,
bevor er am 1. April 2003
schließlich von Peter Struck,
dem damaligen Bundesminister der Verteidigung, zum 12.
Inspekteur des Sanitätsdienstes
des Bundeswehr ernannt und
zum Admiraloberstabsarzt befördert wurde. Am 30. September 2006 trat er den Ruhestand.
In den über dreieinhalb Jahren,
die Admiraloberstabsarzt Dr.
Ocker das höchste militärische
Amt eines Arztes in Deutschland bekleidete, hatte er einige
Herausforderungen zu meis(Bildquelle: KdoSanDstBw) tern. Da war zum einen die
Umsetzung,
Weiterentwicklung und Anpassung des Mitte
2001 neu geschaffenen Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr als eigenständiger Organisationsbereich innerhalb der
Streitkräfte, die er – auch gegen den einen oder anderen Widerstand – erfolgreich voranbrachte. Der Sanitätsdienst in seiner
heutigen Form trägt zu einem Großteil die Handschrift von Admiraloberstabsarzt Dr. Ocker.
Eines der weiteren wesentlichen Themen während seiner Amtszeit als Inspekteur war die Bewältigung zahlreicher Einsätze
des Sanitätsdienstes im In- und Ausland, darunter besonders zu
erwähnen der humanitäre Hilfseinsatz nach der TsunamiKatastrophe in Indonesien. Dieser Einsatz wurde erstmals unter
dem Kommando eines Sanitätsoffiziers durchgeführt und stellte
damit ein absolutes Novum in der Bundeswehr dar. Bei allen
Einsätzen galt das besondere Augenmerk von Admiraloberstabsarzt Dr. Ocker der Sicherheit der eingesetzten Soldaten sowie
der dem Sanitätsdienst anvertrauten Patienten. Dabei suchte er
fortwährend den direkten Kontakt und machte sich höchstper-
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 57
06.02.15 13:26
WMM 4_2014_Umbruch_Layout 1 07.04.14 14:41 Seite 142
142
58
Personalia
P ERSONALIA
Nach der Entbindung von seinen
dienstlichen Aufgaben war Dr.
Ocker auch auf dem zivilen Sektor vielerorts
präsent.
Neben der
dieser
Zeit
bildete
er
sich
außerdem
in diesem
Aufgabenfeld
inNachruf Oberstarzt Dr. Wolfgang Seiler
Mitgliedschaft
in zahlreichen
tensiv weiter und hospitierte beim
Ärztlichen Direktor
der UniAm 23. Februar 2014 verstarb Oberstarzt Dr. Wolfgang Seiler,
Fachgesellschaften war er Präsiversitätsklinik Bonn.
Sachgebietsleiter und stellvertretender Leiter der Abteilung
Beirats
Medical
Ab 2011 war Oberstarzt Dr. dent
Seilerdes
wieder
beimvon
SanitätsfühKrankenhausmanagement des Kommandos Sanitätsdienst der
Corps
International
(2006
rungskommando in Koblenz eingesetzt und wurde mit Aufstel-Bundeswehr, nach kurzer schwerer Krankheit.
2011), engagierte
sich als
Bunlung des Kommandos Sanitätsdienst
der Bundeswehr
SachgeGeboren 1964 in Memmingen in Bayern durchlief Oberstarzt
desarzt
und
Mitglied
des
Bunbietsleiter und stellvertretender Abteilungsleiter in der AbteiDr. Seiler seine schulische Laufbahn in Baden-Württemberg,
desvorstandes im Arbeiter-Salung C, Bundeswehrkrankenhausmanagement.
wo er auch 1983 sein Abitur machte.
Deutschland
e. V.
Am 10. Dezember 2012 wurdemariter-Bund
er zum Oberstarzt
befördert.
Unmittelbar anschließend leistete er sei(2006
2010)
und
war
VorsitzenOberstarzt Dr. Seiler war mit Leib und
nen Wehrdienst in der Sanitätsstaffel des
dermit
dereiner
Ständigen
Konferenzund
für
Seele Arzt
ausgezeichneten
Jagdbombergeschwaders 49 in FürstenKatastrophenvorsorge
und
Besehr breit aufgestellten Ausbildung, die
feldbruck ab.
(2008
- 2010).
er auch völkerungsschutz
bis kurz vor seiner
Erkrankung
1985 wurde Dr. Seiler Sanitätsoffizieranstets im Rettungsdienst und in der Notwärter und studierte an der Philipps UniAusdruck
integfallmedizin
in derseiner
Ulmerenormen
Region eingeversität in Marburg Humanmedizin.
rativen
Kraft
ist
die
hohe
Anerbracht hat.
Nach seiner Approbation als Arzt promokennung,
die
ihm
von
allen
SeiMit seinem Wissen und seiner Erfahrung
vierte er 1992 im Fachgebiet der Halsten
dafür
zukam:
Für
seine
herhat er nicht nur im Bereich der klinischen
Nasen-Ohren-Heilkunde.
ausragenden
Verdienste
wurde
Versorgung gewirkt, sondern sie auch
Von 1992 bis 1995 folgte eine sehr intenDr. Ockerundunter
stets erfolgreich
sehr anderem
umsichtigmit
in
sive und breite klinische Ausbildung, die
dem
Verdienstkreuz
am unserer
Bande
der Organisation und Führung
Oberstarzt Dr. Seiler am Bundeswehrdes Verdienstordens der
BundesBundeswehrkrankenhäuser
eingesetzt.
Admiraloberstabsarzt
Ocker
beim Innere
Truppenbesuch
krankenhaus
Ulm inDr.
den
Fächern
republik
Deutschland,
dem
EhSo
war
seine
Arbeit
stets
von
dem
Be(Bildquelle: Thüringer Allgemeine Zeitung)
Medizin, Anästhesiologie und Chirurgie
renkreuz
der
Bundeswehr
in
streben
geprägt,
die
Bundeswehrkrandurchlief.
Gold,
der
Heinrich-Bürkle-dekenhäuser vor dem Hintergrund der EinAnschließend
absolvierte
Dr.
sönlich
für deren
Belange Oberstarzt
stark. Als strenger,
aber geradliniger
la-Camp-Medaille dersatzerfordernisse
Deutschen Gesellschaft
für Plastische
von SoldatenbehandSeiler
diegab
fürer
Humanmediziner
obligatoOffi
zier
stets Halt und war
Vorbild. Im Inland war ihm
und Wiederherstellungschirurgie,
dem
Offi
zierskreuz
derziviEhlungsstätten zu modernen, auch im
rische
Truppenarztzeit
im Luftwaffendie
Sicherung
der unentgeltlichen
truppenärztlichen Versorrenlegion der französischen
Republik,
dem
Großen
Goldenen
len Markt erfolgreich agierenden Kranausbildungsregiment
1. Während
gung
als unverzichtbarer
Pfeiler desdieser
Sanitätsdienstes ein zentraEhrenzeichen für Verdienste
um die
Republik
Österreich
und
kenhäusern
weiter
zu entwickeln.
Dabei
Zeit
hat
er
1996
nicht
nur
seine
Facharztles Anliegen. Für deren Erhalt setzte er sich bei den politischen
dem Goldenen Verdienstorden
derdem
Republik
Ungarn
ausgefühlte
er
sich
Gedanken
der
InnovaOberstarzt Dr. Wolfgang Seiler
anerkennung für Allgemeinmedizin
Entscheidungsträgern
vehement ein. erzeichnet.
tion verpflichtet, bewies aber immer ei(Bildquelle: KdoSanDst Archiv)
reicht, sondern erhielt zudem die Zusatznenein
gesunden
Blick für das
Bis
zuletzt
war
Dr.
Ocker
hoch geschätzter
und “Machbare“.
gern geseheUnd
schließlich
bestand eine
weitere wesentliche Herausfordebezeichnung
„Ärztliches
Qualitätsmanagement“
und wurde
ner
Gast
auf
Veranstaltungen
und
stets
kritischer
Begleiter
aktuIn
seiner
Rolle
als
Vorgesetzter
ist
er
stets
auch
Kamerad
und
rung
derLeiter
Verzahnung
unseres Sanitätsdienstes
dann in
auch
des Sanitätszentrums
vor Ort. mit den Sanieller
Entwicklungen
im
Sanitätsdienst
der
Bundeswehr.
Viel
zu
Mensch
gewesen,
der
seinen
Vorgesetzten
immer
loyal
gegentätsdiensten
unserer NATO-Partner.
Admiraloberstabsarzt
Dr.
Nach einer Zwischenstation
im Personalamt
in Köln ging Oberfrüh
haben
wir
mit
ihm
einen
unserer
profi
liertesten
Sanitätsofüberstand
und
für
seine
Untergebenen
das
Fürsorgeprinzip
der
Ocker
setzte
stets
auf
multinationale
Kooperation
und
gegenstarzt Dr. Seiler 1998 erneut an das Bundeswehrkrankenhaus
fi
ziere verloren.
Dr.hat.
Ocker galt nicht nur im Sanitätsdienst als
Bundeswehr
gelebt
seitige
der Wahrnehmung
vielfältigen
Ulm undUnterstützung
erwarb in derinInneren
Medizin seinender
zweiten
Fachmoralische
Instanz
undhinterlässt
als wesentlicher
Schöpfer
heute
allOberstarzt Dr.
Seiler
eine Ehefrau
unddes
zwei
Söhne
Aufgaben
in den Einsatzgebieten, aber auch in der Ausbildung
arzt.
gemein
angesehenen
er genoss auch weit
im Alterhoch
von sechs
und dreiSanitätsdienstes,
Jahren.
des
Krönung
dieser
war die
Von Sanitätspersonals.
2003 bis 2011 wurde
Oberstarzt
Dr.Anstrengungen
Seiler in verschiedenen
darüber
einen ausgezeichneten
Ruf. fachliche Lücke geÜbernahme
der Sanitätsführungskommando
Aufgabe des Chairman des “Committee
of the
Der Todhinaus
von Oberstarzt
Dr. Seiler hat eine
Funktionen im
und dem BundesChiefs
of Military
Medical Services
in InNATO“
(COMEDS)
rissen,Tod
die hat
nur eine
schwer
zu schließen
ist. Wir
ihn als Kaministerium
der Verteidigung
eingesetzt.
diesen VerwendunSein
Lücke
hinterlassen,
diewerden
nicht geschlossen
durch
den Inspekteur
des deutschen
Sanitätsdienstes
imbeim
Nomeraden,
Kollegen,
vor allem
als Menschen
schmerzlich
gen, insbesondere
im Arbeitsstab
„Integrierte
Versorgung“
werden
kann.
Er wirdaber
in unserem
Kreise
einen festen
Platz der
vember
2006.für das Gesundheitswesen, stand dabei sein Arbeivermissen. behalten.
Beauftragten
Erinnerung
ten an verschiedenen Fachkonzeptionen zur klinischen VersorHeute wissen wir, dass der von Admiraloberstabsarzt Dr. Ocker
Dr. Ingo Patschke
Für das Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr
gung und zum Krankenhausmanagement im Mittelpunkt, aber
eingeschlagene Weg der Richtige war. Er hat sich durch alle
Generaloberstabsarzt
Dr. Pracht
auch sein erfolgreiches Mitwirken an den Organisationsverseine Handlungslinien unschätzbare Verdienste erworben.
Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr
Generalstabsarzt
handlungen der Bundeswehrkrankenhäuser im Jahre 2006. In
Wehrmedizinische Monatsschrift 58 (2014), 4/2014
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 58
06.02.15 13:26
Personalia
Nachruf auf Generalapotheker a. D.
Walther Rahn
Am 12. Januar 2015 verstarb der ehemalige Inspizient für Pharmazie und Sanitätsmaterial, Herr Generalapotheker a. D.
Walther Rahn, im Alter von 94 Jahren in seinem Hause in Wetzlar.
59
Am 1. Januar 1958 trat Walter Rahn in die damals noch ganz
junge Bundeswehr ein und begann seine zweite beeindruckende
militärische Karriere. Den Einfluss der Jahre bis 1945 hat sein
damaliger Nachfolger, Generalapotheker a. D. Walther, treffend
auf den Punkt gebracht: „Die Feststellung, dass er kriegsgedienter Soldat war, gewinnt Bedeutung, wenn man eine Erklärung dafür sucht, weshalb ein Mann seinen sanitätsdienstlichen
Auftrag mit einer solch kompromisslosen Leidenschaft erfüllt
wie er. Ohne Zweifel wird sein Handeln bestimmt durch die
bitteren Erfahrungen aus einem Krieg, in dem der Sanitätsdienst für viele verwundete Soldaten die entscheidende Station
darstellte.“ Es ging ihm bei seinem Wirken in letzter Konsequenz also immer um den Patienten, den erkrankten Soldaten,
den Verwundeten. Für ihr Wohl war er hart in der Sache und
handelte nach dem Grundsatz, dass „einmal als richtig erkannte
Planungen zielstrebig zu verfolgen sind, auch wenn man gegen
den Strom schwimmen muss“.
Auf dieser Grundlage widmete er sich mit großem Engagement
dem Aufbau des Sanitätsdienstes und einer leistungsfähigen
Wehrpharmazie in den neuen deutschen Streitkräften. Die Sanitätsmaterialversorgung und die materielle Ausstattung des Sanitätsdienstes tragen noch heute an nicht wenigen markanten
Punkten, insbesondere auch im Hinblick auf die Materialerhaltung, seine vorausschauende konzeptionelle Handschrift. Ein
besonderes Anliegen war ihm die Arzneimittelsicherheit in der
Bundeswehr - ein noch heute hochaktuelles Thema, das inzwischen seine Weiterentwicklung im Begriff der Arzneimitteltherapiesicherheit gefunden hat. Auch um die Weiterentwicklung
analytischer Untersuchungsmethoden für langzeitgelagerte
Arzneimittel sowie dem Aufbau bundeswehreigener Kapazitäten zur Arzneimittelherstellung hat er sich besonders verdient
gemacht.
Generalapotheker a. D. Walther Rahn, ca. 1979
(Bildquelle: KdoSanDstBw)
Walther Rahn wurde am 10. Juli 1920 geboren und bereits im
Dezember 1939 erstmals Soldat, obwohl seine Vorstellungen
damals ganz andere waren. Er wollte die Kolonialschule in Witzenhausen besuchen und anschließend eine Versuchsfarm für
Arzneidrogen am Fuße des Kilimandscharo im ehemaligen
Deutsch-Ostafrika aufbauen.
Wie für so viele junge Männer seiner Generation kam es anders
als gedacht. Zunächst als Artillerist im Frankreich-Feldzug,
später als Panzeroffizier an der Ostfront und zuletzt als Kompaniechef und zugleich Führer einer Panzerabteilung in der Abwehrschlacht im Westen kämpfte er einen – wie wir heute wissen – aussichtslosen Kampf. Das im Kriege Erlebte und die
gemachten, sicherlich oft sehr schmerzlichen Erfahrungen haben Walter Rahn auch in Bezug auf seine spätere Karriere als
Sanitätsoffizier Apotheker in der Bundeswehr stark geprägt.
Zunächst aber begann nach Entlassung aus amerikanischer
Kriegsgefangenschaft am 1. April 1946 seine pharmazeutische
Berufsausbildung – wie es damals noch üblich war – mit einer
zweijährigen Tätigkeit als Apothekerpraktikant in der Paracelsus-Apotheke in Groß-Umstadt. Nach dem anschließenden Studium der Pharmazie in Würzburg und Marburg legte er 1951
sein Staatsexamen ab und arbeitete bis Ende 1957 in öffentlichen Apotheken.
Seine außergewöhnlichen beruflichen Leistungen führten ihn
schließlich 1977 in das Spitzenamt eines “Inspizienten für
Pharmazie und Sanitätsmaterial“ (wie es damals noch hieß) im
Range eines Generalapothekers. Diesen herausragenden
Dienstposten bekleidete er – auch als enger Berater des damaligen Inspekteurs für das Sanitäts- und Gesundheitswesen – drei
Jahre lang bis zu seiner Zurruhesetzung im Jahre 1980.
Ein besonderer Höhepunkt zum Ende seiner Dienstzeit war die
Durchführung einer Arbeitstagung im März 1980, die erstmals
die Apotheker aller Teilstreitkräfte und der damaligen Zentralen
Sanitätsdienststellen der Bundeswehr zusammenführte und bei
der zum ersten Mal Aufgaben der Wehrpharmazie an den
Schnittstellen ihrer Teilbereiche Pharmazie, Lebensmittelchemie und Sanitätsmaterial gemeinsam behandelt wurden. Diese
bilden heute noch – mehr als drei Jahrzehnte später – die drei
Säulen und das gemeinsame Fundament der Wehrpharmazie,
was die Bedeutung des seiner Zeit visionären Handelns von Generalapotheker Rahn unterstreicht.
Nicht nur die besonderen Verdienste als solche sind wichtig,
sondern auch die Art und Weise, wie sie erworben wurden. Generalapotheker Rahn war ein vorbildlicher Vorgesetzter, von
dem ein besonderer kameradschaftlicher Geist ausging. In all
seinen Verwendungen bewahrte er sich stets ein aufrichtiges
Verständnis und Interesse für die Belange der Mitarbeiter bzw.
Untergebenen und gab ihnen so als strenger, aber geradliniger
Offizier Halt und Vorbild. „Ich habe immer die Verbindung und
Übereinstimmung nach unten gesucht; der Segen von oben kam
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 59
06.02.15 13:26
60
Personalia
dann von allein“, hat er einmal gesagt. Dieses Motto ist zeitlos
und spricht für sich.
Neben seinen dienstlichen Verpflichtungen hat er – u. a. auch
auf vielen Reisen, insbesondere nach Südwestafrika – ein fundiertes Wissen zur Kolonialgeschichte erworben, das mit weiteren Aktivitäten in diesem Zusammenhang letztlich auch zu einem persönlichen Engagement bei humanitären Hilfsaktionen
für Afrika geführt hat. Darüber hinaus trat er tatkräftig für die
sozialmissionarische Randgruppenarbeit des christlichen Hilfswerks Lebensbrücke e. V. ein.
Trotz altersbedingter und letztlich unvermeidlicher gesundheitsbedingter Probleme blieben ihm Tatkraft, Unternehmungsgeist und eine bewundernswert positive Einstellung zu den Dingen des Lebens bis ins hohe Alter erhalten. Diejenigen, die ihn
länger gekannt und erlebt haben, begeistern sich noch heute für
seine Freude an der ständigen Erweiterung und Weitergabe seiner historischen Kenntnisse und Erkenntnisse, die er auch in
etlichen Schriften niedergelegt hat und die noch heute zu intensivem Nachdenken anregen können.
Mit seinem Einsatz für die Wehrpharmazie hat Generalapotheker Rahn Hervorragendes geleistet, wichtige Impulse zur Weiterentwicklung gegeben und damit in bemerkenswerter Weise
zu deren Leistungsfähigkeit und Ansehen beigetragen. Dafür
gilt ihm unser tief empfundener Dank. Die Sanitätsoffiziere
Apotheker der Bundeswehr werden ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren.
Arne Krappitz
Oberstapotheker
Inspizient Wehrpharmazie der Bundeswehr
Generalapotheker a. D. Dr. Jörg Hoff zum
75. Geburtstag
Am 23. Januar 2015 konnte Generalapotheker a. D. Dr. Hoff die
Vollendung seines 75. Lebensjahres im Kreise der Familie sowie von Freunden und Weggefährten feiern. Die Sanitätsoffiziere Apotheker der Bundeswehr gratulieren ihm ganz herzlich
zu diesem besonderen Geburtstag und freuen sich sehr, dass er
sich nach wie vor guter Gesundheit erfreut und das Leben zusammen mit seiner lieben Frau bei immer noch vielfältigen Aktivitäten genießen kann.
Generalapotheker a. D. Dr. Hoff kann auf ein interessantes und
abwechslungsreiches Berufsleben zurückschauen. Geboren
1940 in Kassel, studierte er nach dem Abitur und dem damals
noch vorgeschriebenen Apotheker-Praktikum Pharmazie an der
Philipps-Universität in Marburg. Nach der Approbation als
Apotheker trat er am 1. Januar 1968 als “Grundwehrdienst leistender Sanitätsoffizier“ in die Bundeswehr ein. Er durchlief
nach seinem Start beim Sanitätsbataillon 7 in Hamm und zwischenzeitlich erfolgter Übernahme in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten zunächst mehrere Verwendungen, von denen jene als Adjutant des damaligen Inspekteurs des Sanitätsund Gesundheitswesens der Bundeswehr – Admiraloberstabsarzt Dr. Stemann – sicherlich von herausragender Bedeutung
war. Hier lernte er den Sanitätsdienst auf höchster Ebene umfassend kennen und konnte auch erste internationale Erfahrungen sammeln.
Nach einer Verwendung in seiner hessischen Heimat als Divisionsapotheker der 2. Jägerdivision in Kassel – in diese Zeit fiel
auch seine Promotion zum Dr. rer. nat. bei Prof. Dr. Schmitz in
Marburg 1980 – und drei weiteren Jahren als Kommandoapotheker beim Territorialkommando Nord in Mönchengladbach
führte ihn der Weg an die Sanitätsakademie nach München, wo
er zunächst als Fachlehrer für Sanitätsmaterial und später als
Chef des Akademiestabes erfolgreich wirkte.
In seiner dann folgenden Funktion als Personalführer im BMVg
gestaltete er auch meinen militärischen Werdegang mit, indem
er mir als Erstverwendung nach dem Studium den Dienstposten
eines Nachschubzugführers in der Sanitätsmaterialkompanie in
Generalapotheker Dr. Hoff, ca. 1998 (Bildquelle: Kdo SanDstBw)
Quakenbrück zudachte. Damals davon eher weniger begeistert,
bin ich heute dankbar über diesen Start, der mich schließlich in
meine heutige Funktion geführt hat.
Zum 1. Oktober 1990 übernahm Dr. Hoff die Leitung des Referates InSan II 6 im BMVg, zuständig für die Entwicklung und
Beschaffung des Sanitätsmaterials der Bundeswehr und die materielle Ausstattung der Sanitätsdienststellen. Hier wurde er
1991 zum Oberstapotheker befördert. Große Verdienste erwarb
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 60
06.02.15 13:26
61
Personalia
er sich bei der Einführung der „Modularen Sanitätseinrichtungen (MSE)“ in Containerbauweise, mit denen sich der Sanitätsdienst für das neue Aufgabenspektrum der Bundeswehr rüstete,
sowie insbesondere auch bei der materiellen Ausstattung der
neuen Abteilung Herzchirurgie im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz.
Mit gleichzeitiger Beförderung zum Generalapotheker übernahm Dr. Hoff am 1. Oktober 1997 das Amt des Inspizienten
Wehrpharmazie der Bundeswehr, welches er bis zu seiner Zurruhesetzung im März 2000 bekleidete. Die Zusammenarbeit
mit den Standesorganisationen und dem Hochschulbereich sowie die fachliche Fort- und Weiterbildung – er selbst ist Apotheker für Öffentliches Gesundheitswesen – lagen ihm dabei
immer besonders am Herzen. Auch im internationalen Bereich
erwarb er sich große Verdienste, insbesondere als Vorsitzender
der Kommission für Pharmazie im International Committee for
Military Medicine (ICMM) - eine wichtige Aufgabe, die bis
heute traditionell in den Händen des Inspizienten Wehrpharmazie der Bundeswehr liegt. Für seine besonderen Leistungen
wurde Dr. Hoff im Sommer 1999 mit dem Verdienstkreuz am
Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
ausgezeichnet.
Mit Generalapotheker a. D. Dr. Hoff feiert ein Sanitätsoffizier
seinen 75. Geburtstag, der stets alle Facetten dieses Berufes in
beeindruckender Weise vorgelebt hat. Geradlinig und verbindlich
in der Sache, dabei freundlich und bescheiden im Auftreten, haben wir ihn als Grandseigneur und die Wehrpharmazie in besonderem Maße prägende Persönlichkeit in bester Erinnerung.
Die Sanitätsoffiziere Apotheker der Bundeswehr wünschen ihrem Jubilar alles erdenklich Gute und hoffen sehr, dass ihm
auch künftig eine stabile Gesundheit als Voraussetzung für ein
weiterhin aktives und erfülltes Leben beschieden ist. Möge er
noch viele schöne und glückliche Jahre zusammen mit seiner
Gemahlin gemäß dem Motto seiner oberösterreichischen Wahlheimatstadt Gallkirchen bei Linz “Stadt erleben, Land genießen“ verbringen können. Unsere besten Wünsche hierfür werden Generalapotheker a. D. Dr. Hoff begleiten.
Oberstapotheker Arne Krappitz
Inspizient Wehrpharmazie der Bundeswehr
Aus der Nato
Aus dem Human Factors and
Medicine (HFM) Panel der NATO
Science and Technology Organization (STO)
TR-HFM-193: Mild Traumatic Brain
Injury in a Military Operational Setting
Ganz aktuell wurde im Januar 2015 der Bericht der Research
Task Group (RTG) HFM 193, auf den Oberstarzt PD Dr. Weber
in seinem Beitrag in diesem Heft u. a. Bezug nimmt, frei zugänglich veröffentlicht
Aufgabe der RTG 193 war es, den aktuellen Wissensstand und
die praktischen Erfahrungen im Umgang mit Patienten zusammenzutragen, die in militärischen Einätzen ein leichtes gedecktes Schädel-Hirntrauma (mild traumatic brain injury, MTBI)
erlitten hatten.
Die Einrichtung der RTG im Jahre 2009 ging auf eine Initiative
der USA zurück, die unter ihren Veteranen eine rapide ansteigende Zahl von Patienten fanden, die über eine Vielzahl vonSymptomen nach vergleichsweise leichten Schädel-Hirntraumen klagten. Insgesamt beteiligten sich Experten aus 5 Nationen (CAN, FRA, NLD, SWE, USA, SWE) an der RTG.
In acht Kapiteln wird das Thema aus klinischer und präventivmedizinischer Sicht beleuchtet, zivil-militärische Vergleichsbetrachtungen vorgenommen sowie die aktuelle wie für die Zukunft geplante Forschung vorgestellt. Breiten Raum nehmen
die Analyse von Blast Injuries als Ursache von MTBI und von
Zusammenhängen zwischen MTBI und Posttraumatischen Be-
lastungsstörungen ein. Der Bericht belegt eindrücklich, dass die
z. T. immer noch verbreite Auffassung, dass eine “Gehirnerschütterung“ folgenlos ausheilt, zu revidieren ist.
In insgesamt sechs Anhängen werden die Behandlungsleitlinien
der an der Studie beteiligten Nationen (Guidance and Policy)
mit Ablaufdiagrammen sowie die epidemiologischen Daten zu
MTBI im militärischen Bereich vorgestellt.
In den Anhängen E und F werden die “US Clinical Management Algorithms“ über alle Ebenen der sanitätsddienstlichen
Versorgung sowie das in den USA etablierte Verfahren “MACE“
(Military Acute Concussion Evaluation) abgebildet.
Der TR-HFM-193 ist die zur Zeit umfassendste zur Verfügung
aktuelle Übersicht über das Krankheistbild MTBI, die auf
wehrmedizinische Aspekte focussiert. Da er auf z. T. sehr hohen Fallzahlen (z. B. USA 2010 – 2013 insgesamt 2260 Fälle
von MTBI aus Afghanistan und 333 Fälle aus dem Irak) beruht,
kann er als Grundlage für die Entwicklung von Präventionsund Behandlungsstrategien im zivilen wie militärischen Bereich dienen.
Der vollständige Report steht im Internet unter http://www.
cso.nato.int/pubs/rdp.asp?RDP=STO-TR-HFM-193
oder unter
http://mci-forum.com/nato/index.html
zum Download zur Verfügung.
Verfasser: OTA a. D. Dr. Mees
E-Mail: [email protected]
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 61
06.02.15 13:26
62
Mitteilungen aus der DGWMP e. V.
Wir gratulieren zum 80. Geburtstag und älter:
Dr. med. Dietrich Glauer
Oberstarzt a. D.
Wittsfeld 10
26127 Oldenburg
17.04.1920
Dr. med. dent. Diethelm Zosel
Oberfeldarzt a. D.
Wichter Sandweg 20
26524 Hage
02.04.1918
Adolf Quilling
Oberstapotheker a. D.
Albrecht-Dürer-Str. 3
76530 Baden-Baden
20.04.1933
06.04.1926
Prof. Dr. med. Paul Oldenkott
Oberstarzt a. D.
Schönenbergstr. 4
89081 Ulm
22.04.1934
06.04.1934
Dr. med. Wolf J. Eichstädt
Oberstarzt d. R.
Nerotal 12
65193 Wiesbaden
24.04.1932
07.04.1929
Claus-G. von Puttkamer
Fregattenkapitän a. D.
Ulrichstr. 13
26388 Wilhelmshaven
24.04.1925
Dr. Dr. Klaus Berghorn
Flottenarzt d. R.
Auf der Klamm 11
76646 Bruchsal
27.04.1934
Geburtstage April 2015
Dr. med. Hansjoachim Linde
Generaloberstabsarzt a. D.
Porzeltstr. 4
41063 Mönchengladbach
Dr. med. Thomas Röpke
Oberstarzt d. R.
Braunschweiger Str. 33
27321 Thedinghausen
Dr. med. dent. Hans G. Breitschwerdt
Flottillenarzt d. R.
Liebersbronner Str. 37
73732 Esslingen
Ilse Rappold-Hoffmann
Kohlenstr. 34
34621 Frielendorf
Dr. med. Hermann Rohwedder
Admiralarzt a. D.
August-Hinrichs-Str. 24
26386 Wilhelmshaven
Prof. Dr. med. Peter Volk
Oberstabsarzt d. R.
Postfach 6451
79040 Freiburg i.Br.
Prof. Dr. med. Dieter Wiebecke
Oberstarzt d. R.
Am Hölzlein 30
97076 Würzburg
Reiner Völp
Oberstapotheker a. D.
Elsenhöhe 8
35037 Marburg
Dr. med. Claus Voss
Generaloberstabsarzt a. D.
Blumenstr. 14
56070 Koblenz
Dr. med. dent. Dieter Forberger
Oberstabsarzt d. R.
Börn 6
24235 Laboe
Dr. med. Günther Hartmann
Oberstarzt a. D.
Sollingstr. 86
37603 Holzminden
09.04.1920
Wir gratulieren zum 75. Geburtstag:
09.04.1925
09.04.1931
09.04.1933
Dr. med. vet. Gert Rottmann
Oberstveterinär d. R.
Ringstr. 2
72488 Sigmaringen
22.04.1940
Dr. med. Horst Krekeler
Flottenarzt d. R.
Perricher Kirchweg 26
46487 Wesel-Ginderich
23.04.1940
Priv. Doz. Dr. med. Peter M. Müller-Seydlitz
Stabsarzt d. R.
Stolzingstr. 21/2
81927 München
24.04.1940
10.04.1928
Wir gratulieren zum 70. Geburtstag:
11.04.1929
Dr. med. univ. Reinhard Neumayr
Oberst-Arzt a. D.
Schidlachstr. 9
6020 Innsbruck/Österreich
15.04.1945
14.04.1935
Dr. med. Wolfgang Knigge
Oberstarzt a. D.
Hans-Sailer-Str. 75
99089 Erfurt
20.04.1945
15.04.1924
Dr. med. Dipl.Ing. Heiko Welsch
Oberstarzt a. D.
Rothenturmer Str. 33a
85053 Ingolstadt
20.04.1945
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 62
06.02.15 13:26
63
Buchbesprechungen
G. Triebig / M. Kentner / R. Schiele (Hrsg.)
ßern bzw. das Metallrauchfieber bei Schweißern in eigenen
Textbeiträgen nun Berücksichtigung.
Arbeitsmedizin
Handbuch für Theorie und Praxis
Mit der Aktualisierung und Anpassung an aktuelle Themen in
dieser als “Standardwerk der Arbeitsmedizin“ bezeichenbaren
4. Auflage wurde den Veränderungen sowohl der rechtlichen
Vorgaben wie auch der Weiterentwicklung der medizinischen
und wissenschaftlichen Erkenntnissen vollumfänglich Rechnung getragen. Insbesondere die Novellierung der arbeitsmedizinischen Vorsorge machte eine Überarbeitung zwingend notwendig, den Autoren ist darüber hinaus aber auch eine Aktualisierung dieses Handbuchs an neue wissenschaftliche und rechtliche Erkenntnisse gelungen.
4. vollständig überarbeitete
Auflage 2014
ISBN 978-3-87247-755-1,
Gebunden ca. 1050 Seiten
€ 128,00, sFr 160,00 zzgl.
Versandkosten
In diesem “Standardwerk der
Arbeitsmedizin“ fassen die
Autoren in 15 Kapiteln mit
insgesamt 51 Unterkapiteln
die gesamte Palette des Fachgebietes in gewohnt kompakter Form zusammen. Neben
den Besonderheiten von speziellen Arbeitsplätzen und
deren Belastungen werden in eigenen Kapiteln u. a. die Arbeitsphysiologie und Ergonomie, die Arbeitspsychologie sowie
Prävention und Rehabilitation abgehandelt. Den größten Teil
des Buches umfasst mit 300 Seiten die systematische Gliederung und Beschreibung der Berufskrankheiten entsprechend
der Berufskrankheiten-Verordnung.
In dieser vollständig überarbeiteten Auflage wurde neben einer
Aktualisierung der einzelnen Kapitel insbesondere die Novellierung der arbeitsmedizinischen Vorsorge berücksichtigt sowie
die seit der 3. Auflage neu hinzugekommenen Berufskrankheiten “Karpaltunnelsyndrom“, “Hypothenar- und Thenar-Hammer-Syndrom“ und “„Hautkrebs durch UV-Strahlung“ ausführlich behandelt. Die Kapitel “Hautkrankheiten“ sowie “Staatlicher Arbeitsschutz“ wurden vollständig neu verfasst und das
Kapitel Ergonomie an aktuelle Herausforderungen angepasst.
Mit den Themen “Psychische Belastungen am Arbeitsplatz“
und “Tropenmedizin in der Arbeitsmedizin“ wurden zwei Aspekte der modernen Arbeitsmedizin, auch im Kontext von Globalisierung, neu aufgenommen. Ebenso finden spezielle Erkrankungen wie die obstruktive Lungenerkrankung bei Schwei-
Hans-Herbert Wellhöner
Pharmakologie und Toxikologie
7., neu bearbeitete Auflage,
Harms Verlag, Ulm, 2014, ISBN 978-3-86026-220-7,
624 Seiten, broschiert, 28,80 Euro
Das Lehrbuch “Pharmakologie und Toxikologie“ von Hans-Herbert Wellhöner in der nunmehr 7. Auflage verfolgt ein interessantes und innovatives Konzept. Neben dem gedruckten Buch
wird ein elektronischer Anhang (E-Book, ca. 700 Seiten) zur
Insgesamt überzeugt dieses Lehr- und Nachschlagebuch mit einem sowohl fürs Lesen wie auch fürs Nachschlagen optisch ansprechendem Layout mit übersichtlichen, gut strukturierten Abbildungen. Intermittierende Fallbeispiele zeigen die Relevanz
und den praktischen Bezug. Insbesondere das Kapitel der Berufskrankheiten eignet sich als Nachschlagewerk aufgrund seiner
kompakten, aber dennoch vollständigen Beschreibungen der jeweiligen arbeitsmedizinischen Besonderheiten. Am Ende einzelner Themenblöcke wird auf weiterführende Literatur verwiesen.
Das überarbeitete Kapitel der Reise- und Tropenmedizin kann
mit insgesamt 17 Seiten nur einen kurzen Einblick in diese spezielle Thematik geben und ersetzt damit gerade für den reisemedizinisch beratenden Truppenarzt keine entsprechenden Standardund Nachschlagewerke für diesen Aufgabenbereich.
Für den arbeitsmedizinisch tätigen Arzt sowohl in Weiterbildung als auch in täglicher Berufsausübung eignet sich dieses
Buch als Lern- und Nachschlagewerk in besonderer Weise; mit
knapp über 1000 Seiten stellt es für Studenten jedoch eine Herausforderung dar, die wesentlichen Aspekte der Arbeitsmedizin
aus der Fülle der zur Verfügung stehenden Informationen herauszufiltern. Darüber hinaus bietet es als Nachschlagewerk
auch interessierten Ärzten sowie Ärzten mit Berührungspunkten zur Arbeitsmedizin eine wertvolle Hilfe bei entsprechenden
Fragestellungen.
Flottillenarzt Dr. Stefan Sammito
Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr Koblenz
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Verfügung gestellt, welcher als Ergänzung parallel zum gedruckten Buch Detailinformationen vermittelt. Sehr hilfreich
sind interaktive Verlinkungen innerhalb des elektronischen Dokumentes zu einer Vielzahl von wissenschaftlichen Publikationen, die noch weiterführende Informationen und Originaldaten
zur Verfügung stellen.
Besonders erwähnenswert ist die Leistung von Hans-Herbert
Wellhöner, dieses Lehrbuch als alleiniger Autor verfasst zu haben.
Die äußere Erscheinung des Buches ist schlicht, aber zweckmäßig. Die einfachen Abbildungen verstehen sich als schemati-
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 63
06.02.15 13:26
64
Buchbesprechungen
Die Kapitel werden in der Regel mit einem kurzen allgemeinen Teil eingeleitet,
bevor einzelne Wirkmechanismen, Wirkstoffe oder Präparate erläutert werden. Die
einzelnen Pharmaka werden mit Name,
Struktur (meist im elektronischen Anhang
zu finden), Mechanismus bzw. Wirkung,
Indikation, Dosierung, Kinetik, unerwünschter Arzneimittelwirkung, Kontraindikationen sowie Besonderheiten bei
Mutter und Kind dargestellt. Der Autor
hat auf die Darstellung der wesentlichen
und relevanten Aspekte fokussiert. Daher
sollten beim Leser grundlegende Kenntnisse der Physiologie und allgemeinen
Pharmakologie bereits vorhanden sein.
Hervorzuheben sind die Angaben zur Dosierung sowie weitere Hinweise für den
klinischen Alltag, die oft mit praktischen
Beispielen unterlegt werden.
sche Darstellungen und sind überwiegend
dreifarbig (schwarz / weiß mit wenigen
blauen Akzenten) gestaltet. Der Text ist im
2-Spalten-Layout gehalten. Neben Textpassagen unterschiedlicher Länge nutzt
der Autor Aufzählungen, um den Inhalt zu
vermitteln. Dabei kommen einfache
Schlagwortaufzählungen neben ausformulierten Aufzählungspunkten vor.
Das Buch ist in sieben Abschnitte mit Unterkapiteln gegliedert, wobei die “Abschnitte“ als Hauptkapitel zu verstehen sind. Zu
Beginn werden in einem knappen Abschnitt
Grundbegriffe wie Arzneimittel, Pharmakon oder Gift erläutert sowie die Pharmakologie und Toxikologie differenziert. Es folgen ein Abschnitt zur Pharmakokinetik mit
den relevanten Kapiteln zur Resorption,
Verteilung, Elimination und deren Zusammenwirken. Der Abschnitt Pharmakodynamik beschreibt Wirkstoff unabhängig allgemeine Wirkungsgrundsätze. Wichtige Aspekte wie Dosis-Wirkungsbeziehungen, therapeutische Breite und therapeutischer
Quotient werden unter anderem besprochen. Es folgt ein Abschnitt, der besondere pharmakologische und toxikologische Situationen beschreibt. Hier finden sich Kapitel zur Arzneimitteltherapie in Schwangerschaft und Stillzeit, bei Kindern und
z. B. in höherem Lebensalter. Kurz angerissen werden auch weitere Einflüsse auf die Wirkung von Arzneimitteln wie z. B. Tageszeit oder Ernährung. Im fünften Abschnitt wird die spezielle
Pharmakologie einzelner Arzneistoffgruppen oder Organsysteme
vorgestellt. Auf eine übergreifende Strukturierung hat der Autor
dabei verzichtet. Ein weiterer Abschnitt befasst sich mit der Toxikologie. Abgeschlossen wird das Lehrbuch mit einem Abschnitt
zu Diagnostika, in welchem Pharmaka dargestellt werden, die in
der klinischen Diagnostik eingesetzt werden.
Fazit
Das Lehrbuch richtet sich vornehmlich an Medizinstudenten im
fortgeschrittenen Studienabschnitt, z. B. im praktischen Jahr.
Aber auch für den niedergelassenen Arzt mit spezifischen Fragen an ein Pharmakon kann dieses Buch eine Hilfe sein. Sind
grundlegende Kenntnisse der Physiologie und sowie der allgemeinen Pharmakologie vorhanden, eignet sich dieses Werk sehr
gut, um die Pharmakologie bestimmter Wirkstoffe im kurzen
und knappen Stil zu rekapitulieren. Das Preis/Leistungsverhältnis muss positiv erwähnt werden.
Oberfeldarzt Dr. Dirk Steinritz
Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr,
München
Wehrmedizinische Monatsschrift
Redaktion: Oberstarzt a. D. Dr. med. Peter Mees, Baumweg 14, 53819 Neunkirchen-Seelscheid, Telefon +49 2247 912057, E-Mail: [email protected]
Herausgeber: Bundesministerium der Verteidigung, Presse- und Informationsstab, Stauffenbergstraße 18, 10785 Berlin.
Beirat: Prof. Dr. med. H. Fassl, Lübeck; Prof. Dr. med. L.-E. Feinendegen, Jülich; Prof. Dr. med. Dr. phil. G. Jansen, Düsseldorf; Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. H.-W. Kreysel, Bonn; Prof. Dr. med. Dr. med.
dent. E. Lehnhardt, Hannover; Prof. Dr. W. Mühlbauer, München; Prof. Dr. med. K.-M. Müller, Bochum; Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. E. Mutschler, Frankfurt; Prof. Dr. med. G. Paal, München; Oberstapotheker a. D. Dr. rer. nat. H. Paulus; Prof. Dr. med. dent. P. Raetzke, Frankfurt; Prof. Dr. rer. nat. H.-J. Roth, Tübingen; Prof. Dr. med. L. Schweiberer, München; Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Schwenzer,
Tübingen; Prof. Dr. med. H.-G. Sieberth, Aachen; Prof. Dr. med. H. E. Sonntag, Heidelberg; Generalarzt a. D. Dr. med. J. Binnewies, Köln; Admiralarzt a. D. Dr. med. R. Pinnow, Glücksburg.
Verlag:
Beta Verlag & Marketinggesellschaft mbH, Celsiusstraße 43, 53125 Bonn, Telefon 02 28/9 19 37-10, Telefax 02 28/9 19 37-23, E-Mail: [email protected]; Geschäftsleitung: Heike
Lange; Objektleitung: Peter C. Franz; Produktionsleitung: Thorsten Menzel. Satz und Litho: Susanne Hellinger, Langenfeld. Druck: Rautenberg Media & Print Verlag KG, Troisdorf. Die Zeitschrift und
alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig
und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Autorenhinweise können unter www.wehrmed.de im Internet abgerufen werden.
Alle namentlich gezeichneten Beiträge – soweit sie nicht ausdrücklich mit einem * gekennzeichnet sind – geben die persönlichen Ansichten der Verfasserin, des Verfassers oder der Verfasser wieder. Sie
entsprechen nicht unbedingt den Auffassungen der Redaktion oder des Bundesministeriums der Verteidigung. Manuskriptsendungen an die Redaktion erbeten. Erscheinungsweise mindestens acht mal im
Jahr. Bezugspreis jährlich inkl. Porto- und Handlingkosten Inland: € 35,–; Europa: € 41,50; weltweit: € 49,50. Einzelheft: € 4,50 zzgl. Versandkosten € 1,80 Inland, € 4,50 Europa, € 9,50 weltweit. Das
Abonnement verlängert sich jeweils um 1 Jahr, falls nicht 8 Wochen vor Ablauf des Bezugsjahres gekündigt wird. Für Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V.
ist der Bezug der Zeitschrift im Mitgliedsbeitrag enthalten. Sanitätsoffiziere der Bundeswehr, die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie sind, erhalten die
„Wehrmedizinische Monatsschrift“ über ihre Dienststellen.
Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 2/2015
WMM 2_2015_Umbruch.indd 64
06.02.15 13:26
wenn Sekunden zählen...
LEADING THROUGH
MEDICAL TACTICAL
EXPERIENCE
Wir helfen helfen. Einsatznah und kompetent.
TOURNIQUETS, MEDIC KITS, TRAINING...U.V.M.
www.ctcmedical.de
Eigenanzeige ALMANAC 1-2 - 2014-Deutsch 06.02.15 11:45 Seite 1
ALMANAC
Military Medical Corps Worldwide
EDITION 2015
Die neue Ausgabe 2015 des ALMANAC Military Medical Corps Worldwide ist Ende 2014 erschienen. Der ALMANAC dient
als Nachschlagewerk für internationale militärische Sanitätsdienste und stellt deren aktuellsten Stand dar. Im Vordergrund
stehen beispielsweise Militärkrankenhäuser und Institute der jeweiligen Sanitätsdienste.
Der ALMANAC Military Medical Corps Worldwide
gibt einen umfassenden Überblick und einen systematischen Einblick in den Aufbau und die
Aufgaben des militärischen Sanitätsdienstes in Form von umfangreichen Portraits
nn
stellt 130 länderspezifische Sanitätsdienste vor
nn
wird in 180 Länder verbreitet
nn
wird versendet an
– Kommandeure der Sanitätsdienste
– Entscheider in den militärischen Sanitätsdiensten und in Verteidigungsministerien
– Chefärzte der Militärkrankenhäuser
– Führungskräfte militärmedizinischer Institute.
EUR 56,–
nn
A publication of
Beta Publishing Group
Die weltweit positive Resonanz auf die bisherigen Ausgaben des Almanac zeigt, dass großes Interesse an der Publikation
besteht. Die Verbesserung von Dialog und Zusammenarbeit sind hierbei Schwerpunkte.
Preis: EUR 56,– pro Exemplar zzgl. Versandkosten.
WMM_2_U3.indd 1
Beta Verlag & Marketinggesellschaft mbH
Celsiusstr. 43 // 53125 Bonn // Germany
Phone: +49 (228) 91937-10 // Fax: +49 (228) 91937-23
[email protected]
06.02.15 12:02
•
SC
IE
C
HA
W
LS
EH
EL
RP
HAR
S
DEUTSC HE GE
46. KONGRESS
M AZIE E.V.
•
Deutsche Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V., Bereichsgruppe NORD-WEST
HUMANITATI •
PA
TR
E
IA
•
IAE
NT
FT
FÜ
R W E M E D I ZI N
HR
UN
D
der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin
& Wehrpharmazie. e. V. (DGWMP)
Tagungspräsident:
Dr. med. Udo Schumann, Oberstarzt
Wissenschaftliche Leitung:
André Gutcke, Oberstarzt
Dr. med. Torsten Groß, Oberfeldarzt
Dr. med. Heinrich Weßling, Oberfeldarzt
Von der Forschung
über das Krankenbett
bis in den Einsatz
Anmeldung wissenschaftlicher Vorträge und Poster bis zum 30. Juni 2015 unter:
[email protected]
Tel.: 04488/508935
15. bis 17. Oktober 2015
Weser-Ems Halle, Oldenburg
Weitere Informationen zum Kongress unter: www.dgwmp.de
WMM_2_U4.indd 1
Plakat2015_A4_Anzeige.indd 1
06.02.15 11:56
20.10.14 12:59
Herunterladen